| European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:2025:T049023.20250605 | ||||||||
|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|
| Datum der Entscheidung: | 05 Juni 2025 | ||||||||
| Aktenzeichen: | T 0490/23 | ||||||||
| Anmeldenummer: | 19173486.2 | ||||||||
| IPC-Klasse: | B60N 2/28 | ||||||||
| Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
| Verteilung: | D | ||||||||
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| Bezeichnung der Anmeldung: | KINDERSITZ ZUR ANBRINGUNG AUF EINEM KRAFTFAHRZEUGSITZ | ||||||||
| Name des Anmelders: | CYBEX GmbH | ||||||||
| Name des Einsprechenden: | Wonderland Nurserygoods Company Ltd. | ||||||||
| Kammer: | 3.2.01 | ||||||||
| Leitsatz: | - | ||||||||
| Relevante Rechtsnormen: | |||||||||
| Schlagwörter: | Neuheit - Hauptantrag (ja) Erfinderische Tätigkeit - Hauptantrag (ja) Ausreichende Offenbarung - (ja) Änderungen - zulässig (ja) Beweisaufnahme - Augenschein Beweisaufnahme - offenkundige Vorbenutzung |
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| Orientierungssatz: |
- |
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| Angeführte Entscheidungen: |
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| Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
I. Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) hat gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, mit welcher der Einspruch gegen das europäische Patent Nr. 3 564 068 zurückgewiesen worden ist, Beschwerde eingelegt.
Die Einspruchsabteilung stellte fest, dass die geltend gemachten Einspruchsgründe gemäß Artikel 100(a) i.V.m. mit Artikeln 54 und 56, Artikel 100(b) i.V.m. Artikel 83 sowie Artikel 100(c) i.V.m. Artikel 123(2) EPÜ der Aufrechterhaltung des Streitpatents in erteilter Fassung nicht entgegen stünden. Der Einspruch wurde somit zurückgewiesen.
Folgende Beweismittel sind für diese Entscheidung relevant:
- D9: EP 2 275 303 A1
- D16: EP 0 958 959 A2
- D17: WO2013/189819 A1
- Vorbenutzung des Kindersitzes ,,Comfort X3" gestützt auf:
D1: Anlagekonvolut
D7: Gutachten von Dr. Heiko Johannsen zu den Seitenaufpralltests an dem Kindersitz ,,Comfort X3"
D20: Gebrauchtanweisung betreffend den Kindersitz ,,Comfort X3" mit und ohne Isofix Einbau
- Vorbenutzung des Kindersitzes ,,Atom 4" gestützt auf:
D2: Kaufbeleg
Internetvideo: https://www.youtube.com/watch?v=LI0xMREmxtM
- Vorbenutzung des Kindersitzes ,,Baby Safe Plus II" gestützt auf:
D3: Heft Juni 2011 der Stiftung ,,Warentest", S. 76-77
D4: ADAC Motorwelt Heft 6, Seiten 62 und 63
D5: Kaufbeleg
D8: Gebrauchtanleitungen betreffend den Kindersitz ,,Baby Safe Plus I"
Internetvideo: https://www.youtube.com/watch?v=nCU7cjfVN04
- Vorbenutzung des Kindersitzes ,,PALLAS M" gestützt auf:
Internetvideo: https://www.youtube.com/watch?v=4W91RYVSziY
II. In einer am 22. Januar 2025 versandten Mitteilung gemäß Artikel 15(1) VOBK legte die Kammer ihre vorläufige Meinung dar.
Eine mündliche Verhandlung fand am 5. Juni 2025 vor der Kammer statt.
Während der mündlichen Verhandlung wurde durch die Kammer und auf Antrag der Beschwerdeführerin eine Beweisaufnahme in Form einer Inaugenscheinnahme des Kindersitzes ,,Comfort X3" in Gegenwart der Beteiligten durchgeführt. Zum Beweisbeschluss und Ergebnis der Beweisaufnahme wird hier auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung verwiesen.
III. Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) beantragte, die Entscheidung der Einspruchsabteilung aufzuheben und das Patent vollumfänglich zu widerrufen. Darüber hinaus beantragte die Beschwerdeführerin (Einsprechende), der Großen Beschwerdekammer die Frage vorzulegen, wie bei der Neuheitsprüfung eines Sachanspruchs vorzugehen sei.
Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte, die Beschwerde zurückzuweisen, hilfsweise das Patent auf Grundlage eines der Hilfsanträge 1 bis 8 aufrechtzuerhalten.
IV. Der unabhängige Anspruch 1 des Streitpatents in erteilter Fassung lautet wie folgt (Merkmalsgliederung wie in der angefochtenen Entscheidung):
M1.1 ,,Kindersitz zur Anbringung auf einem Kraftfahrzeugsitz mit einem Sitzelement (10), insbesondere Sitzschale,
M1.2 und einem Seitenaufprallschutz mit einem Klappelement (11),
M1.3 der von einer innerhalb einer vorgegeben Breite, insbesondere Standardbreite, gelegenen Ruhestellung in eine außerhalb der vorgegeben Breite, insbesondere Standardbreite, gelegenen Funktionsstellung und umgekehrt bringbar ist dadurch gekennzeichnet, dass
M1.4 der Kindersitz eine Stellungsüberführungseinrichtung aufweist, die derart ausgebildet ist, dass die Stellungsüberführungseinrichtung selbsttätig den Seitenaufprallschutz von seiner Ruhestellung oder einer Zwischenstellung zwischen Ruhe- und Funktionsstellung in seine Funktionsstellung überführt,
M1.5 wobei die Stellungsüberführungseinrichtung mindestens eine Feder (31) umfasst,
M1.6 wobei das Klappelement in der Funktionsstellung teilweise in einer Außenwand des Sitzelementes eingebettet ist, so dass nur ein Abschnitt des Klappelementes über die Außenwand vorragt,
M1.7 wobei das Klappelement in der Funktionsstellung um mindestens 50%, jedoch höchstens 80% seiner Länge über die Außenwand des Sitzelementes vorragt."
Entscheidungsgründe
Einspruchsgrund gemäß Artikel 100(c) i.V.m. Artikel 123(2) EPÜ
1. Der Einspruchsgrund gemäß Artikel 100(c) i.V.m. Artikel 123(2) EPÜ steht der Aufrechterhaltung des Streitpatents in erteilter Fassung nicht entgegen, wie zutreffend von der Einspruchsabteilung festgestellt wurde.
2. Die Beschwerdeführerin bestritt die Schlussfolgerung der Einspruchsabteilung, dass das Streitpatent den Erfordernissen von Artikel 123(2) EPÜ genügt.
Die Offenbarung in der ursprünglichen Anmeldung der Merkmale M1.3 und M1.7 des erteilten Anspruchs 1 stand zur Debatte:
2.1 Merkmal M1.3 des erteilten Anspruchs 1 lautet:
,,.. der von einer innerhalb einer vorgegeben Breite, insbesondere Standardbreite, gelegenen Ruhestellung in eine außerhalb der vorgegeben Breite, insbesondere Standardbreite, gelegenen Funktionsstellung .."
2.1.1 Die Beschwerdeführerin hielt daran fest, dass das Merkmal der ,,vorgegebenen Breite" und dessen Beziehung zu den anderen Merkmalen des erteilten Anspruchs 1 in den ursprünglich eingereichten Unterlagen, insbesondere in der Stammanmeldung WO 2017/042326 (im Folgenden als D0 bezeichnet) nicht unmittelbar und eindeutig offenbart seien. Der Begriff ,,vorgegebene Breite" sei in der ursprünglichen Beschreibung lediglich im engen Zusammenhang mit anderen Merkmalen genannt; vgl. Seite 4, letzter Absatz der D0. Aus dieser Textstelle ergebe sich somit keine unmittelbare und eindeutige Offenbarung für das Merkmal M1.3 in der im Anspruch 1 beanspruchten Merkmalskombination. Entgegen der Einschätzung der Einspruchsabteilung seien der Begriff ,,Standardbreite" des ursprünglich eingereichten Anspruchs 1 und der Begriff ,,angegebene Breite" des erteilten Anspruchs 1 keine Synonyme. Die Beschwerdeführerin trug vor, dass der ursprünglich offenbarte Begriff ,,Standardbreite" eine einschränkende Bedeutung gegenüber dem Begriff ,,angegebene Breite" habe, z.B. eine Breite, die einer bestimmten technischen Norm entspreche. Dies gehe eindeutig aus der in Merkmal M1.3 verwendeten Formulierung "vorgegeben Breite, insbesondere Standardbreite" hervor, die ansonsten keine sinnvolle Bedeutung habe. Die in Vergleich zum ursprünglichen Anspruch 1 geänderte Formulierung des Merkmals M1.3 des erteilten Anspruchs 1 verletze somit auch aus diesem Grund Artikel 123(2) EPÜ.
2.1.2 Die Beschwerdegegnerin trugt vor, dass es sich bei dem geänderten Wortlaut des Merkmals M1.3 nur um eine reine Umformulierung bzw. Klarstellung handele, die sich bereits aus dem ursprünglichen Anspruch 1 ergebe, der bereits die Ruhestellung und die Funktionsstellung im Zusammenhang mit einer Breite, ,,insbesondere" einer Standardbreite definiere. Der Begriff ,,vorgegebene Breite" sei wörtlich in den die Seiten 4 und 5 der D0 verbindenden Absätzen verwendet. In diesem Zusammenhang kritisierte die Beschwerdegegnerin, dass seitens der Beschwerdeführerin nicht substantiiert worden sei, welche Merkmale der erwähnte Offenbarungsstelle im erteilten Anspruch 1 fehlen.
2.1.3 Die Kammer schließt sich der Einschätzung der Einspruchsabteilung an, dass die Formulierung des erteilten Anspruchs 1 ,,vorgegebene Breite, insbesondere Standardbreite" und die im ursprünglichen Anspruch 1 verwendete Formulierung ,,insbesondere ... Standardbreite" inhaltlich gleichzusetzen sind, so dass keine nicht-offenbarte Information vorliegt. Wie von der Einspruchsabteilung zutreffend angemerkt wurde, kann die Behauptung der Beschwerdeführerin, dass der Begriff ,,Standardbreite" auf eine bestimmte Norm hinweise und deshalb eine einschränkende Bedeutung habe nicht überzeugen, weil es hier wohl um ein beliebiges herstellerintern standardisiertes Maß handeln kann. Das Gegenteil wurde von der Beschwerdeführerin nicht belegt.
2.2 Merkmal Ml.7 des erteilten Anspruchs 1 lautet:
,,wobei das Klappelement in der Funktionsstellung um mindestens 50%, jedoch höchstens 80% seiner Länge über die Außenwand des Sitzelementes vorragt"
2.2.1 Die von der Beschwerdegegnerin geltend gemachte Offenbarung dieses Merkmals sei in der Passage auf Seite 5, erster Absatz der D0 zu finden:
,,Vorzugsweise ragt das Klappelement in der Funktionsstellung um mindestens 50%, weiter vorzugsweise mindestens 70%, jedoch höchstens 90, vorzugsweise 80% seiner Länge über die Außenwand des Sitzelementes vor."
2.2.2 Die Beschwerdeführerin trug vor, dass der Fachmann den in dieser Passage angegebenen Prozentsatz von 80% nicht als bevorzugte Obergrenze, d.h. als "höchstens 80%" unmittelbar und eindeutig verstehe, sondern als einen lediglich bevorzugten Einzelwert innerhalb des angegebenen Bereichs von 50% (vorzugsweise 70%) bis 90%. Eine eindeutige Offenbarung einer Obergrenze für das Herausragen des Klappelements über die Außenwand des Sitzelements von 80% sei somit in der ursprünglicher Anmeldung nicht eindeutig und unmittelbar zu finden.
2.2.3 Die Kammer ist nicht überzeugt und schließt sich der Auslegung dieser Textstelle durch die Einspruchsabteilung und die Beschwerdegegnerin an, wonach 80% in der zitierten Passage doch als bevorzugter Wert für die unmittelbar zuvor angegebene maximale Obergrenze von 90(%) zu verstehen ist. Die Fachperson, die diese Passage syntaktisch korrekt und mit der Bereitschaft sie zu verstehen liest, entnimmt ohne weiteres, dass sich das Wort ,,höchstens" ersichtlich sowohl auf den Wert ,,90(%)" als auch auf den kurz dahinter genannten vorzuziehenden Wert von 80% bezieht. Das Weglassen des Zeichens "%" nach dem Wert ,,90" ist nicht auf einen Fehler zurückzuführen, sondern bestätigt die Absicht der Beschwerdeführerin bei der Abfassung der europäischen Anmeldung, 80% als bevorzugte Obergrenze für das Herausragen des Klappelements über die Außenwand des Sitzelements zu offenbaren. Es kann deswegen dahin stehen, ob und unter welchen Voraussetzungen, wie von der Beschwerdegegnerin vorgetragen, auch ein explizit offenbarter Einzelwert (im vorliegenden Fall 80%) eines beanspruchten Bereiches als Grenzwert dieses Bereichs herangezogen werden kann, ohne dadurch Artikel 123(2) bzw. 76(1) EPÜ zu verletzen.
Einspruchsgrund gemäß Artikel 100(b) i.V.m. Artikel 83 EPÜ
3. Der Einspruchsgrund gemäß Artikel 100(b) i.V.m. Artikel 83 EPÜ steht der Aufrechterhaltung des Streitpatents in erteilter Fassung nicht entgegen, wie von der Einspruchsabteilung zutreffend festgestellt wurde.
3.1 Hinsichtlich des Einwands der unzureichenden Offenbarung verwiesen die Parteien in der mündlichen Verhandlung auf ihr schriftliches Vorbringen. Die Kammer sieht somit keinen Grund von ihren vorläufiger Einschätzung dieses Einspruchsgrunds abzuweichen, die hiermit bestätigt wird und wie folgt lautet:
3.1.1 Die Beschwerdeführerin führte aus, dass die Argumentation der Einspruchsabteilung zur Begründung des Neuheit gegenüber der Vorbenutzung ,,Comfort X3" sowie die zugrundeliegende engere Auslegung des Begriffes ,,Seitenaufprallschutz" des Merkmals M1.2 durch die erste Instanz die Folge der fehlenden Ausführbarkeit dieses Merkmals sei.
3.1.2 Die Kammer teilt diese Auffassung nicht:
Wie ein ,,Seitenaufprallschutz mit einem Klappelement" gemäß dem Streitpatent ausgestaltet werden kann ist für die Fachperson den Figuren und der entsprechenden Beschreibung ohne weiteres zu entnehmen. Im Einklang mit den Ausführungen der Einspruchsabteilung und der Beschwerdegegnerin sieht die Kammer somit keine Schwierigkeit in der Ausführung eines patentgemäßen Kindersitzes mit einem Seitenaufprallschutz gemäß Merkmal M1.2 des erteilten Anspruchs 1. Darüber hinaus sieht die Kammer nicht, warum die Feststellung der Einspruchsabteilung, dass die ,,Gurtstrafferklappen" des Kindersitzes ,,Comfort X3" keinen Seitenaufprallschutz im Sinne des Streitpatents darstellen, die Ausführbarkeit der Erfindung wie beansprucht in Frage stellen soll.
Einspruchsgrund gemäß Artikel 100(a) i.V.m. Artikel 54 EPÜ
4. Der Einspruchsgrund gemäß Artikel 100(a) i.V.m. Artikel 54 EPÜ steht der Aufrechterhaltung des Streitpatents in erteilter Fassung nicht entgegen, wie zutreffend von der Einspruchsabteilung festgestellt wurde.
4.1 Die Beschwerdeführerin hielt daran fest, dass der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 von den Vorbenutzungen ,,Comfort X3", ,,Atom 4" sowie vom technischen Inhalt der Druckschrift D9 vorweggenommen sei.
Neuheit gegenüber der Vorbenutzung ,,Comfort X3"
4.2 Entgegen der Einschätzung der Einspruchsabteilung trug die Beschwerdeführerin vor, dass die Gurtstrafferklappen des Kindersitzes ,,Comfort X3" das strittige Zweckmerkmal M1.2 ,,Seitenaufprallschutz" des erteilten Anspruchs 1 vorwegnehmen. Darüber hinaus seien für die Fachperson auch die strittigen Merkmale M1.6 und M1.7 des erteilten Anspruchs 1 am Vorbenutzungsobjekt unmittelbar zu erkennen.
4.3 Die Ausführungen der Parteien zur strittigen Offenbarung der Merkmale M1.2, M1.6 und M1.7 des erteilten Anspruchs 1 - soweit sie für die vorliegende Entscheidung relevant sind, lassen sich wie folgt zusammenfassen:
Zu Merkmal M1.2
4.4 Es ist unbestritten, dass die Gebrauchsanweisung D20 eine Eignung der dort gezeichneten Gurtstrafferklappen des Kindersitzes in ausgeklapptem Zustand als Seitenaufprallschutz, insbesondere bei einem Isofix Einbau, nicht erwähnt ist.
4.4.1 Die Beschwerdeführerin bestritt die Auslegung durch die Einspruchsabteilung der reinen Eignungsangabe ,,Seitenaufprallschutz", die - ihrer Auffassung nach - im Widerspruch zur ständigen Rechtsprechung, insbesondere zur Entscheidung G1/92 der Großen Beschwerdekammer stehe. Sie führte aus, dass die für eine korrekte Einschätzung des technischen Inhalts der Vorbenutzung ,,Comfort X3" relevante Frage nicht sei, ob eine Aufprallschutzfunktion der Gurtstrafferklappen in der Gebrauchsanweisung D20 beschrieben sei, sondern ob eine Eignung der Gurtstrafferklappen in ausgeklapptem Zustand als Seitenaufprallschutz aufgrund ihrer Anordnung und strukturellen Merkmale tatsächlich gegeben sei oder nicht. Die Beschwerdeführerin betonte, dass das Zweckmerkmal ,,Seitenaufprallschutz" laut der Beschreibung des Streitpatents sehr breit auszulegen sei (vgl. Absatz [0004]). Nirgendwo sei erwähnt, dass der beanspruchte Seitenaufprallschutz in allen Fällen und unabhängig von der Ausrichtung der Aufprallkraft eine Absicherung des Kindes gegen einen Seitenaufprall gewährleisten soll. Die Beschwerdeführerin erklärte, dass eine Eignung der Gurtstrafferklappen des Vorbenutzungsgegenstandes als Seitenaufprallschutz lediglich verlange, dass sich das vorhandene Klappelement in ausgeklapptem Zustand im Sinne von Merkmal M1.3 über eine vorgegebene Breite hinaus erstrecke und somit als erster Krafteinleitungspunkt etwaige Seitenaufprallkräfte aufnehme und an die Sitzschale weiterleite. Diese Funktionalität sei bei den Gurtstrafklappen der Vorbenutzung ,,Comfort X3" ohne weiteres erfüllt, wie durch das Gutachten D7 zweifellos belegt. Im Zweifelsfall hätte die Einspruchsabteilung im Laufe der beantragten, aber nicht durchgeführten Inaugenscheinnahme des Vorbenutzungsgegenstandes prüfen müssen, ob das Klappelement des Kindersitzes ,,Comfort X3" die verlangte Eignung als Seitenaufprallschutz hatte oder nicht. Vor diesem Hintergrund kritisierte die Beschwerdeführerin die Entscheidung der Einspruchsabteilung, die mündliche Verhandlung per Videokonferenz durchzuführen, was einen Inaugenscheinnahme des Vorbenutzungsgegenstandes ausschloss. Die Beschwerdeführerin vertritt die Auffassung, dass die Einspruchsabteilung im Laufe einer Inaugenscheinnahme ohne weiteres hätte erkennen können, dass die ausgeklappten Klappelemente des Kindersitzes ,,Comfort X3" in ihren Freiheitsgraden so angeordnet und geankert seien, dass sie bei einer aus seitlicher Richtung auftretenden Kraft stabil ausgeklappt bleiben und dabei Kräfte in die Sitzschale weiterleiten. Die Beschwerdeführerin erneuerte somit ihren Antrag auf Beweisaufnahme in Form einer Inaugenscheinnahme des Kindersitzes ,,Comfort X3" durch die Kammer.
4.4.2 In Einklang mit der Auffassung der Einspruchsabteilung hielt die Beschwerdegegnerin dahingegen fest, dass eine Nutzung des Kindersitzes mit geöffneten Gurtstrafferklappen - selbst bei einer Isofix Befestigung des Kindersitzes - vom Hersteller gar nicht vorgesehen sei, was sich aus der vorgelegten Gebrauchsanweisung D20 ergebe. Die ,,Funktionsstellung" der Gurtstrafferklappen des Vorbenutzungsgegenstandes im Sinne der Anspruchsmerkmale M1.2 und M1.3 sei gemäß Gebrauchsanweisung nicht der ausgeklappte sondern der eingeklappte Zustand, in welchem offensichtlich keine Aufprallschutzfunktion gewährleistet sei. Darüber hinaus hielt die Beschwerdegegnerin die Schlussfolgerungen des Gutachtens D7 aus verschiedenen Gründen für willkürlich. Dem Gutachten ließe es sich nicht entnehmen, dass bei dem - nach Angabe des Gutachters selbst - einzigen realistischen Szenario gemäß Test 3 (Verwendung einer Gummimatte) eine merkbare Verbesserung des Aufprallschutzes in Vergleich mit einer Situation mit eingeklappten Gurtstrafferklappen (Test 2) erzielt werde. Eine Verbesserung sei nur bei dem aus Sicht des Gutachters selbst nicht realistischen Test 1 erzielt.
Zu Merkmale M1.6 und M1.7
4.4.3 Die Beschwerdeführerin kritisierte die Schlussfolgerung der Einspruchsabteilung mit der Begründung, dass nicht nachvollziehbar sei, welchen Punkt der Außenwand des Sitzelementes sie für ihre Feststellung, Merkmal M1.7 sei nicht offenbart, herangezogen habe. Die Beschwerdeführerin bezog sich wiederum auf die von der Einspruchsabteilung referenzierten Abbildungen auf Seiten 26 und 27 des Einspruchsschriftsatzes, in welchen dahingegen klar zu erkennen sei, dass auch beim Vorbenutzungsgegenstand ,,Comfort X3" höchstens 80% der Länge des (grauen) Klappelements in der Funktionsstellung über die gekrümmte (schwarze) Außenwand hervorrage. Auch hinsichtlich der Einschätzung des Vorhandenseins der Merkmale M1.6 und M1.7 am Vorbenutzungsgegenstand, behauptete die Beschwerdeführerin, dass die Einspruchsabteilung irrtümlicherweise auf einer Inaugenscheinnahme des Vorbenutzungsgegenstandes verzichtet habe, die zu einem anderen Ergebnis geführt hätte. Eine Inaugenscheinnahme des Kindersitzes ,,Comfort X3" sei daher auch für eine korrekte Entscheidung über Merkmale M1.6 und M1.7 unbedingt sachdienlich.
4.4.4 In Einklang mit der Begründung der Einspruchsabteilung hielt die Beschwerdegegnerin daran fest, dass eine teilweise Einbettung der Gurtstrafferklappen im Sinne der Merkmale M1.6 und M1.7 des Anspruchs 1 den Abbildung des Kindersitzes ,,Comfort X3" auf Seiten 26 und 27 des Einspruchsschriftsatzes nicht eindeutig und unmittelbar zu entnehmen sei. Zunächst sei das Klappelement des Kindersitzes ,,Comfort X3" nicht - wie vom Merkmal M1.6 verlangt - in der Außenwand des Sitzelementes, sondern in ein separates, als ,,Stützabschnitt" bezeichnetes schwarzes Element eingebettet, das lediglich auf der Seitenwand angebracht ist. Die Beschwerdegegnerin vertritt auch die Auffassung, dass die über die Außenwand vorragende Länge des Klappelementes in der Funktionsstellung genau von dem Punkt zu messen sei, an dem das Klappelement die Einbettung verlässt. Dass der Kindersitz ,,Comfort X3" eine Dimensionierung im Sinne des Merkmals M17 aufweise, ergebe sich auf keinen Fall aus den zitierten Bildern. Somit weise der Kindersitz ,,Comfort X3" keines der Merkmale M1.4 bis M1.7 des Anspruchs 1 auf.
Beweisaufnahme in Form einer Inaugenscheinnahme des Kindersitzes ,,Comfort X3"
5. Während der mündlichen Verhandlung beschloss die Kammer gemäß Artikel 117 f) und Regel 117 EPÜ eine Beweisaufnahme in Form einer Inaugenscheinnahme des Vorbenutzungsgegenstands ,,Comfort X3" durchzuführen, um das Verhalten und der Stabilität der Gurtstrafferklappen unter dynamische Belastung von simulierten Aufprallkräfte aus verschiedenen Richtungen festzustellen, und dadurch die entscheidende Frage der Eignung der Klappelemente als Seitenaufprallschutz zu beantworten. Im Laufe der Inaugenscheinnahme wurde eine direkte Messung am Vorbenutzungsgenstand der über die Außenwand vorragenden Länge des Klappelements des Kindersitzes ,,Comfort X3" vorgenommen, die allein auf Basis der zitierten Abbildungen nicht in zuverlässiger Weise möglich erschien. Die Beweisaufnahme fand in Gegenwart und unter Mitwirkung der Beteiligten statt. Zum Beweisbeschluss sowie zum Ergebnis der Inaugenscheinnahme wird hier auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung verwiesen.
Feststellungen der Kammer basierend auf den Ergebnissen der Beweisaufnahme
Zu Merkmal M1.2
6. Die Inaugenscheinnahme führte zu folgenden Ergebnissen:
Jede Gurtstrafferklappe in ausgeklapptem Zustand liegt stabil unter den Einwirkung einer Feder auf einem Anschlag. Eine weitere Rotation des Klappelements im Uhrzeigersinn (in Draufsicht gesehen) wird dadurch verhindert. Eine Verriegelung gegen Rotation im Gegenuhrzeigersinn ist aber nicht vorgesehen. Die Rotation des Klappelements im Gegenuhrzeigersinn wird lediglich durch die geringe Kraft der Feder entgegengewirkt. Bei im wesentlich senkrecht zur vertikalen Mittelebene des Kindersitzes erfolgenden seitlichen Krafteintragungen direkt auf die obere Kante des Klappelements erfolgt eine erkennbare Aufnahme der seitlichen Aufprallkräfte. Allerdings klappt bei Krafteinwirkungen, die von hinten (ab grob geschätzt 100°) auf das Klappelement einwirken, dieses nach vorne gegen die sehr geringe Federkraft weg. Die Kammer stellt somit fest, dass keine merkbare Kraftaufnahme/Ableitung von Aufprallkräften die von hinten mit einem Winkel von grob geschätzt 100° bis 180° zur vertikalen Mittelebene des Kindersitzes auf das Klappelement - sei es auf ihren oberen Rand oder auf ihre äußeren Fläche - einwirken, stattfindet.
Zur Auslegung des Begriff "Seitenaufprallschutz" ist auf die darin ausgedrückte technische Funktionalität im technischen Kontext des Streitpatents abzustellen. Vor dem Hintergrund der dort genannten Aufgabe impliziert der Begriff nach Überzeugung der Kammer die Ermöglichung eines im praktischen Einsatz wirksamen technischen Effektes. Um einen solchen bejahen zu können, müsste zumindest eine Aufnahme von Aufprallkräften sichergestellt sein, die innerhalb eines Winkels wirken, welcher sich deutlich beidseitig der vertikalen Mittelebene des Kindersitzes erstreckt. Ein Seitenaufprallschutz soll nämlich gegen einen Aufprall schützen, der aus möglichst viele Seitenrichtungen kommt, da die Richtung des Aufpralls nicht in voraus zu bestimmen ist. Die Inaugenscheinnahme hat aber gezeigt, dass der Kindersitz ,,Comfort X3" aufgrund fehlender Verriegelung des Klappelements der Gurtstrafferklappen gegen Rotation im Gegenuhrzeigersinn keinen Seitenaufprallschutz in allen relevanten Aufprallrichtungen gewährleisten kann: Bei einer Aufprallrichtung von weniger als 100°zur vertikalen Mittelebene des Kindersitzes klappt das Klappelement wirkungslos nach vorne weg. Eine Eignung der Gurtstrafferklappen, Seitenaufprallschutz zu gewähren, ist somit nicht gegeben. Die Ergebnisse des Gutachtens D7 können diese Schlussfolgerung nicht in Frage stellen. In diesem Zusammenhang schließt sich die Kammer den Ausführungen der Einspruchsabteilung an, dass das Gutachten selbst betont , dass bei einem Aufprall mit geöffneten Gurtklappen Teile der Klappen in den Sitz eindringen können (siehe Seite 7, letzter Absatz). Dies kann nur durch den Einsatz einer zusätzlichen Dämpfungsmatte verhindert werden (siehe Seite 8 des Gutachtens). Das Gutachten selbst erhebt somit Zweifel an der Eignung der Gurtstrafferklappen als Seitenaufprallschutz unter normalen Bedingungen, d.h. in Abwesenheit einer zusätzlichen Dämpfungsmatte.
6.1 Im Übrigen merkt die Kammer an, dass die Art und Weise der Verformung der Karosserie/Fahrzeugtür unter Einwirkung von Seitenaufprallkräften auch die Position des Krafteinleitungspunktes bestimmt. Sollte der Krafteinleitungspunkt auf der äußeren Fläche des Klappelementes des Kindersitzes ,,Comfort X3" liegen, würde die senkrechte Komponente (zur mittleren Ebene des Kindersitzes) der einwirkenden Aufprallkraft das Klappelement gegen die geringe Federkraft beaufschlagen und es sofort in den eingeklappten Zustand bringen. Bei einer solchen wohl möglich Aufprallsituation würde keinen merkbaren Aufprallkraftaufnahme bzw. Aufprallkraftableitung erfolgen und somit auch kein Aufprallschutz gewährleistet.
6.2 Aus den oben angegebenen Gründe sieht die Kammer keine Eignung der Gurtstrafferklappe des Kindersitzes ,,Comfort X3" als Aufprallschutz im Sinne des Merkmals M1.2 des erteilten Anspruchs 1. Merkmale 1.3 bis M1.5, die das Vorhandensein eines Seitenaufprallschutzes gemäß Merkmal M1.2 voraussetzen, sind ebenfalls dieser Vorbenutzung nicht zu entnehmen.
Zu Merkmalen M1.6 und M1.7
6.3 Die Kammer teilt der Auslegung der Beschwerdeführerin, dass Merkmal M1.6 nicht ausschließt, dass die Außenwand des Sitzelementes aus zwei oder mehr Teilen besteht. Vor diesem Hintergrund und in Einklang mit der Beschwerdeführerin betrachtet die Kammer das schwarze Aufsatzteil, das in allen während der Inaugenscheinnahme aufgenommenen Bilder sichtbar ist, als Bestandteil der Seitenwand des Kindersitzes ,,Comfort X3". Aus den Bildern geht unmittelbar hervor, dass das Klappelement jeder Gurtstrafferklappe in ausgeklapptem Zustand und im Bereich um ihre Drehachse herum in dieses schwarze Aufsatzteil teilweise eingebettet ist, wobei Merkmal M1.6 erfüllt ist.
6.3.1 Wie sich aus den dem Protokoll der mündlichen Verhandlung als Anlage beigefügten Bildern IMG_0789 und IMG_791 ergibt, beträgt die Erstreckung des gesamten Klappelements der Gurtstrafferklappe 14,3 cm. Das ist unstrittig.
6.3.2 Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin schließt sich die Kammer den Ausführungen der Beschwerdegegnerin an, dass es für die Fachperson technisch sinnvoll erscheint, die Erstreckung des Abschnittes des Klappelements, der im Sinne des Merkmals M1.7 über die Außenwand des Sitzelementes vorragt, ab dem Kreuzpunkt zwischen dem Klappelement und dem schwarzen Aufsatzteil zu messen, d.h. ab dem Punkt, an dem das Klappelement die Außenwand des Sitzelementes verlässt. Aus den beigefügten Bilder IMG_0793 und IMG_0794 ergibt sich, dass die so zu bestimmende Erstreckung 12,3 cm beträgt. Das Klappelement des Kindersitzes ,,Comfort X3" in der Funktionsstellung, d.h. in ausgeklapptem Zustand, ragt daher um 86% [(12,3/14,3) x 100)] seiner Länge über die Außenwand des Sitzelements vor. Aus der Inaugenscheinnahme ergibt sich somit vor dem Hintergrund der gebotenen Auslegung der im Merkmal verwendeten Begriffe, dass Merkmal M1.7 des Anspruchs 1 von der Vorbenutzung ,,Comfort X3" nicht erfüllt ist
6.4 Der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 ist somit neu gegenüber der Vorbenutzung ,,Comfort X3" wie von der Einspruchsabteilung zutreffend festgestellt wurde.
Neuheit gegenüber den Vorbenutzungen ,,Aton 4" und der Entgegenhaltung D9
6.5 Hinsichtlich der Frage der Neuheit gegenüber der offenkundigen Vorbenutzung ,,Aton 4" und der Entgegenhaltung D9 verwiesen die Parteien während der mündlichen Verhandlung auf ihr schriftliches Vorbringen. Die Kammer hat somit keinen Grund von ihren vorläufiger Einschätzung dieser weiteren Neuheitsangriffe abzuweichen, die hiermit bestätigt wird und wie folgt lautet:
Neuheit gegenüber der Vorbenutzung ,,Aton 4"
6.6 Die Beschwerdeführerin hielt daran fest, dass - entgegen der Schlussfolgerung der Einspruchsabteilung - auch Merkmale M1.4 bis M1.7 des erteilten Anspruchs 1 dieser Vorbenutzung eindeutig und unmittelbar zu entnehmen seien.
6.6.1 Die Kammer ist nicht überzeugt:
In Einklang mit der Einschätzung der Einspruchsabteilung und dem Vortrag der Beschwerdegegnerin ist die Kammer der Auffassung, dass der Verriegelungsschieber des Kindersitzes ,,Aton 4" (vgl. Standbilder bei den Sekunden 0:34 bis 0:37 des unter dem Link https://www.youtube.com/watch?v=LI0xMREmxtM aufrufbaren Internetvideos) funktionsmäßig nicht - wie von der Beschwerdeführerin behauptet - als eine Stellungsüberführungseinrichtung im Sinne des Merkmals M1.4 des Anspruchs 1 zu betrachten ist; denn er überführt das Seitenaufprallelement nicht von der einen in die andere Stellung, sondern verriegelt es nur in der bereits ausgefahrenen Funktionsstellung und mag dabei allenfalls im allerletzten Bereich eine geringe Verschiebung im einstelligen Grad-Bereich bewirken. Dies stellt aber keine anspruchsgemäße Stellungsüberführung dar. Obwohl im eingereichten Video das Herausklappen der Klappenelemente des Seitenaufprallschutzes ohne manuellen Angriff zu erfolgen scheint, könnte es sich dabei um eine reine Animation handeln. Da weder eine Stellungsüberführungseinrichtung noch eine Betätigung des Herausklappens durch ein am Kindersitz vorgesehenes Betätigungsorgan zu erkennen ist, kann man nicht ausschließen, dass das Ausklappen genau wie das Schließen bis einer Verriegelungsposition von Hand erfolgt. Dies wurde von der Beschwerdeführerin nicht bestritten. Somit werden die Merkmale M1.4 und M1.5 des Anspruchs 1 von der Vorbenutzung ,,Aton 4" nicht vorweggenommen, wie von der Einspruchsabteilung zutreffend festgestellt wurde.
6.6.2 Die angeblich engere Auslegung des Begriffes "eingebettet" des Merkmals M1.6 des Anspruchs 1 durch die Einspruchsabteilung wurde von der Beschwerdeführerin kritisiert und stand zur Debatte. Die Kammer schließt sich der Auslegung der Einspruchsabteilung und der Beschwerdegegnerin an, das Merkmal M1.6 des Anspruchs 1 verlangt, dass das Klappelement ringsum unmittelbar von einer umschließenden Außenwand des Sitzelementes teilweise umgeben ist. Mit Blick auf die Standbilder des oben genannten Internetvideos (vgl. Sekunden 00:30 bis 00:37) ist eine Teileinbettung des Klappelements in einer Außenwand des Sitzelements in Sinne des Merkmals M1.6 bei der Vorbenutzung ,,Aton 4" nicht zu erkennen. Vielmehr wirkt das Klappelement eindeutig auf die Außenwand aufgesetzt. Die Kammer schließt sich somit der Schlussfolgerung der Einspruchsabteilung an, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 des Streitpatents neu gegenüber der Vorbenutzung ,,Aton 4" ist, weil dieser bekannte Kindersitz die Merkmale M1.4 bis M1.7 nicht aufweist.
Neuheit gegenüber D9
6.7 Entgegen der Schlussfolgerung der Einspruchsabteilung, hielt die Beschwerdeführerin daran fest, dass der in dieser Entgegenhaltung offenbarte Kindersitz auch die Merkmale M1.4 bis M1.7 des Anspruchs 1 aufweise und somit neuheitsschädlich sei. Die Beschwerdeführerin kritisierte die Auffassung der Einspruchsabteilung, die einen Unterschied zwischen der in D9 erwähnten automatischen Überführung und der vom Merkmal M1.4 verlangten selbsttätigen Überführung des Seitenaufprallschutzes erkannte. Dahingegen seien die Begriffe "automatisch" und "selbsttätig" Synonyme. Merkmal M1.5 weise keinerlei Bezug zum Klappelement auf und fordere lediglich, dass eine Feder von der Stellungsüberführungseinrichtung umfasst werde. Das die bekannte Stellungsüberführungseinrichtung eine Feder aufweise sei für den Fachmann in Hinblick auf die Absätze [0023] und [0045] des D9 zumindest implizit. Schließlich sieht sie Beschwerdeführerin in den Figuren 5 und 6 des D9 sowohl die beanspruchte Einbettung des bogenförmigen Klappelements (101) in einer Seitenwand des Sitzelementes als auch einen Überstand über die Außenwand in der Funktionsstellung von etwa drei Viertel ihrer Länge, so dass auch Merkmale M1.6 und M1.7 von D9 vorweggenommen werden.
6.7.1 Die Kammer ist nicht überzeugt und schließt sich den Ausführungen der Beschwerdegegnerin an, dass bei dem D9 die Überführung des Klappelements (101) des Seitenaufprallschutzes von seiner Ruhestellung in seine Funktionsstellung aufgrund der Zusammenwirkung zwischen mechanischen Eingenschaften des gesamten Systems umfassend den Kindersitz und Fahrzeug erfolgt. Der aus dem D9 bekannte Kindersitz weist selbst aber keine Überführungseinrichtung auf, die eine selbsttätige Überführung, d.h. eine Überführung aufgrund der mechanischen Eigenschaften des Kindersitzes allein, gewährleistet. Merkmal M1.4 ist daher in D9 nicht offenbart. Eine Feder ist in Zusammenhang mit dem relevanten Ausführungsbeispiel der Figuren 4 bis 6, insbesondere in Absatz [0023] nicht erwähnt. Absatz [0045], der in der Tat eine Feder nennt, betrifft die Ausführungsform gemäß Figur 11, die keine Klappelement des Seitenaufprallschutzes aufweist. Das Klappelement (101) in den Figuren 4 bis 6 der D9 ist in der Funktionsstellung offensichtlich nicht - wie von Merkmal 1.6 verlangt - in einer Außenwand des Sitzelements teilweise eingebettet, sondern an dem unteren Ende des Tragegriffs schwenkbar gelagert (vgl. Definition durch die Kammer des Begriffes "eingebettet" in vorstehendem Absatz 6.6.2). Schließlich kann auf keinen Fall die spezifische Dimensionierung des Merkmals M1.7 nicht den schematischen Figuren 4 bis 6 eindeutig und unmittelbar entnommen werden.
6.8 Die Feststellung der Einspruchsabteilung, dass die Entgegenhaltung D9 die Merkmale M1.4 bis M1.7 des Anspruchs 1 nicht offenbart, ist somit zu bestätigen.
Einspruchsgrund gemäß Artikel 100(a) i.V.m. Artikel 56 EPÜ
7. Der Einspruchsgrund gemäß Artikel 100(a) i.V.m. Artikel 56 EPÜ steht der Aufrechterhaltung des Streitpatents in erteilter Fassung nicht entgegen, wie von der Einspruchsabteilung zutreffend festgestellt wurde.
7.1 Die Beschwerdeführerin machte geltend, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 des Streitpatents ausgehend von der Vorbenutzung ,,Aton 4" in Kombination mit dem D17 oder ausgehend von D17 in Kombination mit den Vorbenutzungen ,,Pallas M", ,,Aton 4", den Entgegenhaltungen D9 oder D16 bzw. Fachwissen naheliegend sei.
Ausgehend von der Vorbenutzung ,,Aton 4"
7.2 Hinsichtlich der Argumentationslinie basierend auf der Vorbenutzung ,,Aton 4" in Kombination mit dem D17 verwiesen die Parteien während der mündlichen Verhandlung auf ihr schriftliches Vorbringen. Die Kammer hat somit keinen Grund von ihrer vorläufigen Einschätzung dieses Einwandes abzuweichen, die hiermit bestätigt wird und wie folgt lautet:
7.2.1 Die Ausführungen der Beschwerdeführerin stützten sich auf die Annahme, dass der Kindersitz ,,Aton 4" die Merkmale M1.4 und M1.5 aufweise. Da dieser Annahme nicht gefolgt werden kann (vgl. vorstehenden Punkte 6.6.1 und 6.6.2), läuft der Vortrag der Beschwerdeführerin zu mangelnder erfinderischen Tätigkeit ausgehend von der Vorbenutzung "Aton 4" ins Leere.
Ausgehend von D17
8. Es ist unbestritten, dass der aus dem D17 bekannte Kindersitz die Merkmale M1.4 (selbsttätige Überführung), M1.5 (Federmechanismus), und M1.7 nicht aufweist. Die Beschwerdegegnerin vertritt die Auffassung, dass auch Merkmal M1.6 (Einbettung) dem D17 nicht zu entnehmen sei.
8.1 Die Kammer teilt die Ansicht der Beschwerdegegnerin, dass die durch die Merkmalskombination des erteilten Anspruchs 1 zu lösende technische Aufgabe darin besteht, einerseits eine verbesserte Absicherung gegenüber einem Seitenaufprall (bewirkt durch die Merkmale M1.6 und M1.7) und, andererseits, eine vergleichsweise einfachere Bedien- und Einstellbarkeit eines Seitenaufprallschutzes (bewirkt durch die unterscheidenden Merkmale M1.4 und M1.5) zu gewährleisten .
8.2 Die Kammer schließt sich der Auffassung der Einspruchsabteilung und Beschwerdeführerin an , dass kein offensichtliches technisches Zusammenwirken der oben genannten Gruppen unterscheidender Merkmale zu erkennen ist. Es ist somit gerechtfertigt, die Einschätzung des Vorliegens eines erfinderischen Beitrags des Gegenstandes des erteilten Anspruchs 1 mithilfe von zwei getrennten Aufgabe-Lösung-Ansätzen zu durchzuführen.
zu Merkmalen M1.4 und M1.5
8.3 Die Beschwerdeführerin führte aus, dass eine Fachperson ausgehend von D17 und mit der Absicht, die Bedien- und Einstellbarkeit des hier vorhandenen Seitenaufprallschutzes zu verbessern, veranlasst sei, die beim Kindersitz ,,Pallas M" vorhandene selbsttätige Stellungsüberführungseinrichtung (vgl. Internetvideo, Sekunden 46 bis 56) im aus dem D17 bekannten Kindersitz zu übernehmen. Die Beschwerdeführerin trug vor, dass die Tatsache, dass der Kindersitz ,,Pallas M" kein klappbares sonst ein linear verschiebbares Aufprallschutzelement aufweist halte die Fachperson nicht ab, das Konzept der selbsttätigen Stellungsüberführung des ,,Pallas M" auch bei dem klappbaren Aufprallschutzelement des D17 zu verwenden. Aus denselben Gründen sei naheliegend, die Stellungsüberführungseinrichtung des ,,Atom 4" und des Dokuments D9 in den aus dem D17 bekannten Kindersitz aufzunehmen. Auch Dokument D16 lege die Einführung einer selbsttätigen Stellungsüberführung mittels einer Feder in den aus dem D17 bekannten Kindersitzes nahe. Diesbezüglich bestritt die Beschwerdeführerin den Vortrag der Einspruchsabteilung, dass der Kindersitz des D16 Schutzelemente (20,22) aufweise, die - anders als bei dem Kindersitzes des D17 - nur im Fall eines Aufpralls selbsttätig ausklappen. Der Absatz [0004], Zeilen 31 bis 34, lehre den Gegenteil.
8.4 Die Ausführungen der Beschwerdeführerin zum Naheliegen der Merkmale M1.4 und M1.5 in Hinblick auf die erwähnten Entgegenhaltungen sind nicht überzeugend:
8.4.1 Die Kammer folgt dem Vortrag der Beschwerdegegnerin, dass es an einer Anregung fehlt, den selbsttätigen Federmechanismus isoliert aus dem teleskopischen Seitenaufprallschutz des ,,Pallas M" herauszunehmen und ihn auf den klappbaren Seitenaufprallschutz des D17 zu übertragen. In diesem Zusammenhang merkt die Kammer an, dass der Federmechanismus des Kindersitzes ,,Pallas M" auf das dort vorhandene translatorischen Hinausschieben des Aufprallschutzes abgestimmt und daher kann er nicht ohne weiteres bei einem klappbaren Aufprallschutz angewendet werden. Die von der Beschwerdeführerin angeregte Übertragung auf die aus dem D17 bekannte "rotatorischen" Lösung des aus dem D16 bekannten Federmechanismus setzt erhebliche baulichen Anpassungen und strukturellen Modifizierung voraus, die als nicht-naheliegend zu betrachten sind.
8.4.2 Wie unter Punkten 6.6.1 und 6.7.1 oben ausgeführt, weisen die Kindersitze gemäß der Vorbenutzung ,,Aton 4" und dem D9 keine Stellungsüberführungseinrichtung im Sinne der Merkmale M1.4 und M1.5 des erteilten Anspruchs 1. Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin können diese unterscheidenden Merkmale von der Kombination von D17 mit diesen Entgegenhaltungen nicht nahegelegt werden.
8.4.3 Wie bei dem Kindersitz ,,Pallas M" sind die Aufprallschutzelemente (,,side wings extensions 20,22") des aus dem D16 bekannten Kindersitzes keine Klappelemente im Sinne des Anspruchs 1. Sie werden von der Ruhestellung (Figur 2) in die Funktionsstellung (Figur 5) linear verschoben (vgl. Figur 5). Aus denselben Gründen, die bezüglich der Kombination mit der Vorbenutzung ,,Pallas M" angegeben wurden, kann Dokument D16 die Merkmale M1.4/M1.5 nicht nahelegen.
8.4.4 Schließlich sieht die Kammer keine Anregung für die Fachperson aufgrund ihres Fachwissens, Merkmale M1.4 und M1.5, die einen klappbaren Aufprallschutz voraussetzen, in den aus dem D17 bekannten Kindersitz einzuführen, der ein verschiebbares Aufprallschutzelement verwendet. Es gelten die gleichen Argumente die hinsichtlich der Kombination des D17 mit der Vorbenutzung ,,Pallas" im vorherigen Absatz 8.4.1 angegeben wurden.
9. Die Kammer kommt somit zum Schluss, dass der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 schon aufgrund der unterscheidenden Merkmale M1.4 und M1.5 vom Stand der Technik nicht nahegelegt wird. Die Frage des strittigen erfinderischen Beitrags des Merkmals M1.7 kann daher dahingestellt bleiben.
Antrag auf Vorlage einer Frage an die große Beschwerdekammer
10. Für den Fall, dass die Kammer die Vorbenutzung des Kindersitzes ,,Comfort X3" für nicht neuheitsschädlich halten sollte, beantragte die Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 29. November 2024 eine Vorlage an die Große Beschwerdekammer betreffend die Frage, wie bei der Neuheitsprüfung eines Sachanspruchs vorzugehen ist. Diese Vorlage ergab sich insbesondere aus der Diskussion der strittigen Offenbarung des Merkmals M1.2 (Seitenaufprallschutz).
10.1 Nach Artikel 112(1)a) EPÜ befasst die Beschwerdekammer, bei der ein Verfahren anhängig ist, von Amts wegen oder auf Antrag eines Beteiligten die Große Beschwerdekammer, wenn sie hierzu eine Entscheidung für erforderlich hält.
10.2 Wie oben ausgeführt, unterscheidet sich der Gegenstand des Anspruchs 1 gegenüber der Vorbenutzung ,,Comfort X3" jedoch nicht nur durch das strittige Merkmal M1.2, sondern auch durch das Merkmale M1.7. Der Gegenstand des Anspruchs 1 ist somit neu unabhängig von der Frage, ob die Vorbenutzung ,,Comfort X3" das Merkmal M1.2 aufweist oder nicht.
10.3 Darüber hinaus hat die Kammer - in Übereinstimmung mit den Prinzipen der von der Beschwerdeführerin zitierten, gängigen Rechtsprechung - die Eignung der Gurtstrafferklappen des Kindersitzes ,,Comfort X3" als Seitenaufprallschutz - ungeachtet der Tatsache, dass eine solche Verwendung in der Gebrauchsanweisung D20 nicht erwähnt ist - geprüft, und ist im Ergebnis dann aber zu dem Schluss gekommen, dass eine solche Eignung nicht gegeben ist. Eine Abweichung von der Rechtsprechung der Beschwerdekammer, die zu einer nicht-einheitlichen Rechtsanwendung führen könnte, ist somit nicht gegeben.
10.4 Aus beiden Gründen entschied die Kammer, dass eine Vorlage der gestellten Frage an die Große Beschwerdekammer nicht erforderlich ist.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.