T 0367/23 () of 4.7.2024

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2024:T036723.20240704
Datum der Entscheidung: 04 Juli 2024
Aktenzeichen: T 0367/23
Anmeldenummer: 17000548.2
IPC-Klasse: G01B 11/26
G01B 11/24
G01B 5/00
G01B 11/27
G01L 5/00
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: VORRICHTUNG UND VERFAHREN ZUM MESSEN DER GERADHEIT EINES STABFÖRMIGEN WERKSTÜCKS
Name des Anmelders: MSG Maschinenbau GmbH
Name des Einsprechenden: RDE Company S.r.l.
Q-TEC S.r.l. / EJP Maschinen GmbH
Kammer: 3.4.02
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 54(3)
RPBA2020 Art 013(2)
RPBA2020 Art 015(6)
Schlagwörter: Neuheit - Hauptantrag (nein)
Rückkehr in das schriftliche Verfahren (nein)
Aussetzung wegen des anhängigen Verfahrens G 1/24 (nein)
Hilfsanträge - Änderung nach Ladung - berücksichtigt (nein) - außergewöhnliche Umstände (nein)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
G 0001/24
T 0439/22
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Einsprechenden 2 (Q-TEC S.r.l. und EJP Maschinen GmbH; im Folgenden die Einsprechende) haben gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, den Einspruch gegen das Patent Nr. 3225320 zurückzuweisen, Beschwerde eingelegt.

Mit dem Einspruch war das Patent in gesamtem Umfang im Hinblick auf die Einspruchsgründe gemäß Artikel 100 a) und b) EPÜ angegriffen worden.

Die Einspruchsabteilung war der Auffassung, dass die Einspruchsgründe nach Artikel 100 a) und b) EPÜ der Aufrechterhaltung des Patents in der erteilten Fassung nicht entgegenstünden.

II. In einer Mitteilung gemäß Artikel 15 (1) VOBK, die als Anlage einer Ladung zur mündlichen Verhandlung beigefügt war, teilte die Kammer den Beteiligten ihre vorläufige und unverbindliche Meinung zu bestimmten, wesentlichen Aspekten des vorliegenden Beschwerdeverfahrens mit.

III. Die mündliche Verhandlung vor der Beschwerdekammer fand am 4. Juli 2024 statt.

IV. Die Einsprechende (Beschwerdeführerin) beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents.

V. Die Patentinhaberin (Beschwerdegegnerin) beantragte abschließend als Hauptantrag die Zurückweisung der Beschwerde, d.h. die Aufrechterhaltung des Patents im erteilten Umfang. Hilfsweise beantragte sie, das Verfahren schriftlich fortzusetzen. Weiter hilfsweise beantragte sie, das Verfahren im Hinblick auf das vor der Großen Beschwerdekammer anhängige Verfahren G 1/24 auszusetzen. Weiter hilfsweise beantragte sie, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent in geändertem Umfang auf Grundlage der Ansprüche gemäß einem der Hilfsanträge 1 oder 2, eingereicht in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer am 4. Juli 2024, aufrechtzuerhalten.

VI. Die vorliegende Entscheidung nimmt Bezug auf die folgende, aus dem erstinstanzlichen Verfahren bekannte Druckschrift:

D10: WO 2017/168324 A1.

VII. Die Eingaben der Einsprechenden werden wie folgt mit E1 und E2 bezeichnet:

E1: Beschwerdebegründung, eingereicht mit Schreiben vom 28. April 2023,

E2: Schreiben vom 22. Mai 2024.

Die Eingaben der Patentinhaberin werden wie folgt mit P1 und P2 bezeichnet:

P1: Beschwerdeerwiderung, eingereicht mit Schreiben vom 18. September 2023,

P2: Schreiben vom 4. Juni 2024.

VIII. Der Wortlaut des Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag lautet (die aus der angefochtenen Entscheidung bekannte Gliederung a bis d der Merkmale des Anspruchs 1 wird übernommen und dem eigentlichen Wortlaut der jeweiligen Merkmale des Anspruchs 1 vorangestellt):

"Vorrichtung zur Messung der Geradheit eines stabförmigen Werkstücks mit

a einer Auflage für das stabförmige Werkstück und

b einer Einrichtung zur optischen Erfassung und/oder mechanischen Abtastung des stabförmigen Werkstücks, dadurch gekennzeichnet, dass

c die Auflage mehrere Abschnitte (2, 3, 4) mit jeweils einer Auflagefläche (5, 6, 7) aufweist, wobei

d mindestens ein mit einer Auflagefläche (5, 6, 7) gekoppelter Kraftsensor (8, 9) zur Bestimmung einer von dem stabförmigen Werkstück auf die Auflagefläche (5, 6, 7) ausgeübten Kraft in einer Richtung im Wesentlichen quer zur Richtung der Erdbeschleunigung vorgesehen ist".

Der Wortlaut des Anspruchs 1 gemäß dem ersten Hilfsantrag, welcher dem erteilten Verfahrensanspruch 11 entspricht, lautet:

"Verfahren zum Messen der Geradheit eines stabförmigen Werkstücks, wobei das Werkstück auf eine Auflage mit mehreren Abschnitten mit jeweils einer Auflagefläche (5, 6, 7) aufgelegt wird und das Werkstück optisch erfasst und/oder mechanisch abgetastet wird dadurch gekennzeichnet, dass die von dem stabförmigen Werkstück auf die Auflagefläche (5, 6, 7) ausgeübte Kraft in einer Richtung im Wesentlichen quer zur Richtung der Erdbeschleunigung mittels eines mit einer Auflagefläche (5, 6, 7) gekoppelten Kraftsensors (8) gemessen wird".

Anspruch 1 des zweiten Hilfsantrags unterscheidet sich von dem Anspruch 1 des ersten Hilfsantrags durch das folgende, am Ende des Anspruchs hinzugefügte Merkmal:

"dass mindestens eine Auflagefläche (5, 6, 7) quer zur Richtung der Erdbeschleunigung mit einer Komponente ungleich der Längsrichtung des stabförmigen Werkstücks bewegt wird und dass die Bewegung der Auflagefläche (5, 6, 7) quer zur Richtung der Erdbeschleunigung erfasst wird".

Entscheidungsgründe

1. Hauptantrag - Neuheit

Der Gegenstand des Anspruchs 1 ist nicht neu gegenüber Dokument D10 (Artikel 100 a) EPÜ in Verbindung mit Artikel 54 (1) und (3) EPÜ).

1.1 Wirksamkeit der Priorität des Dokuments D10

Der Vortrag der Patentinhaberin hinsichtlich der vermeintlichen Unwirksamkeit der Priorität des Dokuments D10 im Hinblick auf den die Seiten 11 und 12 überbrückenden Absatz der D10 ist als verspätet nicht im Beschwerdeverfahren zu berücksichtigen (Artikel 13 (2) VOBK).

1.1.1 Vortrag der Patentinhaberin

Erstmals mit dem Schreiben vom 4. Juni 2024, Punkt 1.2, trug die Patentinhaberin vor, dass der die Seiten 11 und 12 überbrückende Absatz in D10 nicht in dem Prioritätsdokument der D10 enthalten sei. Als Nachweis reichte die Patentinhaberin das Prioritätsdokument der D10 in italienischer Sprache ein. Daher sei der Zeitrang dieses Absatzes nicht das Datum des Prioritätsdokuments der D10 (nämlich der 1. April 2016), sondern der Anmeldetag der D10 (nämlich der 28. März 2017). Da das Prioritätsdatum des Patents der 2. April 2016 sei, gehöre dieser Absatz in D10 mit dem Zeitrang vom 28. März 2017 nicht zum Stand der Technik gemäß Artikel 54 (2) oder (3) EPÜ. "Mithin [sei] dieser Absatz der D10 bei der Beurteilung der Neuheit des Anspruchs 1 (und des Anspruchs 11) des Streitpatents nicht zu berücksichtigen" (P2, Seite 4, vorletzter Absatz).

1.1.2 Zulassung des Vortrags der Patentinhaberin hinsichtlich des Zeitrangs des die Seiten 11 und 12 überbrückenden Absatzes der D10

a) Einsprechende

In der mündlichen Verhandlung vor der Kammer beantragte die Einsprechende, den erstmals einen Monat vor der mündlichen Verhandlung eingereichten Vortrag der Patentinhaberin hinsichtlich der vermeintlichen Unwirksamkeit der Priorität in Bezug auf den die Seiten 11 und 12 überbrückenden Absatz der D10 als verspätet nicht zuzulassen. Insbesondere seien die Anforderungen an die Zulassung verspäteten Vorbringens in der hier vorliegenden dritten Stufe des im Beschwerdeverfahren anzuwendenden Konvergenzansatzes besonders streng auszulegen.

Darüber hinaus sei der Einwand unwirksamer Priorität dieses Absatzes prima facie nicht relevant. Das als Beweismittel vorgelegte Dokument sei in italienischer Sprache abgefasst und daher prima facie nicht verständlich, da keine Übersetzung in eine der drei Amtssprachen des EPA eingereicht worden sei. Außerdem reiche es nicht aus, aufzuzeigen, dass ein bestimmter Abschnitt in dem Prioritätsdokument fehle, da es möglich sei, dass der Absatz oder zumindest sein technischer Inhalt an anderer Stelle im Prioritätsdokument zu finden sei.

b) Patentinhaberin

Die Patentinhaberin führte aus, dass "[d]ie Beschwerdekammer [...] hinsichtlich der vermeintlichen Offenbarung des Merkmals (d) in der D10 insbesondere auf den die Seiten 11 und 12 überbrückenden Absatz der D10 ab[stellt]" (P2, Seite 3, vorletzter Absatz). Erst dadurch sei die Patentinhaberin auf das Fehlen dieses Absatzes im Prioritätsdokument aufmerksam geworden. Im Hinblick auf die italienische Sprachfassung des Prioritätsdokuments vertrat die Patentinhaberin die Auffassung, dass das Fehlen des betreffenden Absatzes für den Fachmann auch ohne Kenntnisse der italienischen Sprache unmittelbar ersichtlich sei.

c) Beschwerdekammer

Wie von der Einsprechenden ausgeführt, wurde der Einwand der teilweise unwirksamen Priorität des Dokuments D10 von der Patentinhaberin erst nach Zustellung der Ladung zur mündlichen Verhandlung vorgebracht. In dieser Phase des Verfahrens werden gemäß Artikel 13 (2) VOBK Änderungen des Beschwerdevorbringens eines Beteiligten grundsätzlich nicht berücksichtigt, es sei denn, der Beteiligte hat stichhaltige Gründe dafür aufgezeigt, dass außergewöhnliche Umstände vorliegen.

Die Argumentation der Patentinhaberin, wonach sie erst durch die Mitteilung der Kammer gemäß Artikel 15 (1) VOBK auf die Relevanz des betreffenden Absatzes aufmerksam wurde, ist für die Kammer nicht überzeugend. Dieser Absatz wurde von der Einsprechenden seit Beginn des Einspruchsverfahrens durchgehend als Offenbarungsstelle für Merkmal d von Anspruch 1 angeführt (siehe Einspruchsschrift, Seite 22, viertletzter Absatz; Antwortschreiben vom 12. August 2022 der Einsprechenden auf den Ladungsbescheid der Einspruchsabteilung, Seite 3, Mitte; Protokoll der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung, Seite 3, zweitletzter Absatz; in der Beschwerdebegründung, Seite 3, dritter Absatz, bezieht sich die Einsprechende indirekt auf diesen Absatz, indem sie die in diesem Absatz offenbarte Wägezelle (load cell) zitiert).

Da der betreffende Absatz im Einspruchsverfahren durchgehend eine zentrale Rolle im Hinblick auf die fehlende Neuheit des Merkmals d gespielt hat, hätte die Patentinhaberin die Relevanz dieses Absatzes erkennen können und den Einwand unwirksamer Priorität früher im Verfahren erheben können und müssen. Die Tatsache, dass die Kammer in ihrer Mitteilung gemäß Artikel 15 (1) VOBK, Punkt 6.2, diesen Absatz als Offenbarungsstelle für das Merkmal d anführt, kann daher nicht als außergewöhnlicher Umstand angesehen werden, der den verspäteten Vortrag der Patentinhaberin rechtfertigt.

Der Vortrag der Patentinhaberin hinsichtlich des Zeitrangs des die Seiten 11 und 12 überbrückenden Absatzes der D10 ist daher nicht zu berücksichtigen (Artikel 13 (2) VOBK).

1.2 Fehlende Neuheit

Der Gegenstand des Anspruchs 1 ist nicht neu im Hinblick auf D10 (Artikel 100 a), 54 (1) und (3) EPÜ).

1.2.1 Es ist unstrittig zwischen den Beteiligten, dass D10 alle Merkmale außer Merkmal d offenbart.

1.2.2 D10, Figur 2A, offenbart eine Vorrichtung zur Messung der Geradheit eines stabförmigen Werkstücks (18)

- mit einer Auflage (8x1) für das stabförmige Werkstück (18)

[die Auflage (8x1) weist acht Einzelauflageflächen (1) auf]

- und einer Einrichtung (28; D10, Seite 19, Zeilen 12 bis 19, Figuren 6 und 7) zur optischen Erfassung des stabförmigen Werkstücks (18),

- wobei die Auflage (8x1) mehrere Abschnitte mit jeweils einer Auflagefläche (2x1) aufweist,

[die Auflage (8x1) besteht aus vier Abschnitten, von denen jeder eine aus zwei Einzelauflageflächen (1) bestehende Auflagefläche (2x1) aufweist],

- wobei ein mit einer Auflagefläche (2x1) gekoppelter Kraftsensor zur Bestimmung einer von dem stabförmigen Werkstück (18) auf die Auflagefläche (2x1) ausgeübten Kraft in einer Richtung im Wesentlichen quer zur Richtung der Erdbeschleunigung vorgesehen ist

[der Kraftsensor in D10 ist ein Spannungs-/Dehnungssensor, wie z.B. eine Wägezelle (D1, Seite 11, letzter Absatz), und befindet sich in dem Kreuzgelenk 3 eines Verbindungsarms (4) (D10, Seite 13, Zeilen 23 bis 31, in Verbindung mit Seite 17, Zeilen 26 bis 29)].

D10 offenbart, dass der Kraftsensor in der Lage ist, die vorhandenen Spannungen um die Achsen der Kreuzgelenke zu detektieren (siehe D10, Seite 11, Zeile 33, bis Seite 12, Zeile 1: "... being able to detect the existing stresses around the axes of the universal joints"). Da jedoch die Spannung eine Kraft ist (nämlich eine Kraft, die auf eine bestimmte Fläche eines Bauteils wirkt), offenbart D10 einen mit einer Auflagefläche gekoppelten Kraftsensor zur Bestimmung einer von dem stabförmigen Werkstück auf die Auflagefläche ausgeübten Kraft. In der Tat stellen diese Spannungen eine mechanische Belastung dar. Der Kraftsensor von D10 ist als Spannungs-/Dehnungssensor bzw. Wägezelle inhärent geeignet, ein elektrisches Signal als Reaktion auf eine mechanische Belastung im Sinne einer Kraft zu erzeugen, und damit die ausgeübte Kraft zu bestimmen.

Da des Weiteren die Sensoren gemäß D10 die um die Achsen der Kreuzgelenke vorhandenen Spannungen erfassen, bestimmen die in D10 offenbarten Kraftsensoren je nach der genauen Art der Ungeradheit des Werkstücks die Kraft auch in einer Richtung, die nicht vertikal ist, d.h. "im Wesentlichen quer zur Richtung der Erdbeschleunigung".

Es folgt, dass die Vorrichtung von D10 einen Kraftsensor offenbart, der geeignet ist, die Kraft zu bestimmen, die auf die aus zwei Einzelauflageflächen (1) bestehende Auflagefläche (2x1) wirkt (in einer Richtung im Wesentlichen quer zur Richtung der Erdbeschleunigung).

Somit nimmt D10 die beanspruchte Vorrichtung vorweg.

1.2.3 Die Patentinhaberin hat folgende Argumente für die Neuheit vorgetragen:

a) Keine Offenbarung in D10 eines Kraftsensors

D10 offenbare keine Kraftsensoren, sondern "lediglich Sensoren zur Bestimmung von Rotationsspannungen bzw. Torsionssensoren beispielsweise in Form von Dehnungsmessstreifen oder piezoelektrischen Sensoren, vgl. D10, Anspruch 6; S. 13, Z. 20-27" (P2, Seite 5, dritter Absatz). Die Sensoren in D10 lieferten "eine elektrische Spannung bzw. ein elektrisches Signal, aus der bzw. dem beispielsweise mittels einer entsprechenden Tabelle direkt die Torsionsspannung bzw. das Torsionsmoment bestimmt wird, ohne dass dabei zu irgendeinem Zeitpunkt eine Kraft bestimmt wird" (P2, Seite 5, letzter Absatz).

b) Keine Offenbarung in D10 einer Bestimmung einer von dem Werkstück auf die Auflagefläche ausgeübten Kraft

"Selbst wenn man unzutreffender Weise davon ausginge, dass einer der in der D10 genannten Sensoren geeignet wäre, eine Kraft (...) zu bestimmen, so würde es sich bei dieser Kraft jedenfalls nicht um eine von dem Werkstück auf die Auflagefläche ausgeübte Kraft handeln, wie dies Merkmal (d) weiter fordert" (P2, Seite 6, letzter Absatz).

Unter Bezugnahme auf Figur 2A der D10 geht die Patentinhaberin zutreffend davon aus, dass die Kraftsensoren in D10 an den Kreuzgelenken (3) vorgesehen sind. Die Auflageflächen im Sinne des Anspruchs 1 seien die einteiligen, mit der Bezugszahl (1) bezeichneten Einzelauflageflächen (in der Figur 2A in D10 sind 8 Einzelauflageflächen (1) eingetragen). Weiterhin trägt sie vor, dass ein Kraftsensor in D10 "nicht lediglich die von dem Werkstück 18 auf eine der Auflageflächen [1] ausgeübte Kraft [...] [misst], sondern die von dem Werkstück 18 auf mehrere der Auflageflächen [1] ausgeübten Kräfte" (P2, Seite 7, drittletzter Absatz). Der Sensor in D10 messe eine andere Kraft als die von dem stabförmigen Werkstück auf die Auflagefläche ausgeübte Kraft, wie in Merkmal d des Anspruchs 1 angegeben.

c) Merkmal d definiert eine einzige Auflagefläche

Gemäß Merkmal d sei "mindestens ein mit einer Auflagefläche gekoppelter Kraftsensor vorgesehen". Dieser mindestens eine Kraftsensor sei zur "Bestimmung einer von dem stabförmigen Werkstück auf die Auflagefläche ausgeübten Kraft" vorgesehen. Im Merkmal d sei daher von einer Auflagefläche in der Einzahl die Rede. Aufgrund der Wörter "einer" und "die" im Merkmal d sei klar, dass Anspruch 1 die Zuordnung (mindestens) eines Kraftsensors zu einer einzigen Auflagefläche definiere, nämlich zu genau der einzigen Auflagefläche, mit der der Kraftsensor gekoppelt sei.

Diese genaue Zuordnung sei ebenfalls im Absatz [0014] der Beschreibung der Patentschrift beschrieben: Der Kraftsensor messe die von dem Werkstück "auf die jeweilige Auflagefläche ausgeübte Kraft". Auch die Figuren 1 bis 3 des Patents, beschrieben in den Absätzen [0048] und [0049] der Patentschrift, zeigten eine Zuordnung mindestens eines Kraftsensors (8, 9) zu jeweils einer einzigen Auflagefläche (5, 6, 7).

Die Patentinhaberin schlussfolgerte, dass das Merkmal d eine zahlenmäßige Zuordnung von mindestens einem Kraftsensor zu einer und einer einzigen Auflagefläche definiere.

Im Gegensatz dazu sei in D10 ein Kraftsensor, der in einem Kreuzgelenk (3) angeordnet ist, zwei Auflageflächen (1) zugeordnet. Dabei verwies die Patentinhaberin auf D10, Seite 13, Zeilen 13 bis 33, Seite 17, Zeilen 25 bis 29, die Figur 2A und Ansprüche 1 und 6 (siehe auch P2, Punkt 1.4).

d) Die Auflagefläche in Anspruch 1 ist eine zusammenhängende Fläche

In der mündlichen Verhandlung vor der Kammer trug die Patentinhaberin vor, dass die beanspruchte Vorrichtung aufgrund ihrer Eignung zur Messung der Geradheit eines stabförmigen Werkstücks ortsaufgelöste Auflageflächen benötige, die nicht unterbrochen, sondern einteilig seien.

Würde man in der Vorrichtung von D10, Figur 2A, zwei einzelne Auflageflächen (1) zusammen als eine Auflagefläche im Sinne des Anspruchs 1 ansehen, könne die von dem Kraftsensor gemessene Krafteinwirkung nicht ortsaufgelöst bestimmt werden. Es gebe nämlich zwei Krafteinwirkungen (auf jede der beiden Auflageflächen (1)), aber nur eine einzige Kraft würde gemessen. Dadurch könne der Effekt der "Ungeradheit" eines Werkstücks nicht ortsaufgelöst bestimmt werden. Es sei nicht möglich, die Richtung und das Ausmaß der Durchbiegung des Werkstücks am genauen Ort der Krafteinwirkung auf jede einzelne Auflagefläche zu bestimmen.

1.2.4 Die Argumente der Patentinhaberin sind aus den folgenden Gründen nicht überzeugend:

a) Wie von der Patentinhaberin vorgetragen, offenbart D10 Sensoren, die in Antwort auf eine mechanische Krafteinwirkung "eine elektrische Spannung bzw. ein elektrisches Signal" erzeugen. Anhand dieses elektrischen Signals ist das Ausmaß der einwirkenden Kraft bestimmbar. Daher sind die Sensoren von D10 Kraftsensoren im Sinne des Anspruchs 1, die geeignet sind, eine Kraft zu bestimmen. Insbesondere ist die in D10, Seite 11, Zeile 32, erwähnte Wägezelle ein Sensor, der geeignet ist, die auf eine Auflagefläche ausgeübte Kraft zu bestimmen. Dass das elektrische Signal des Kraftsensors in D10 möglicherweise verwendet wird, um eine Kraft pro Flächeneinheit (Spannung) oder eine Torsion zu bestimmen, ändert nichts an der Tatsache, dass der Kraftsensor von D10 geeignet ist, eine Kraft zu bestimmen.

b) Bei ihrer Aussage, wonach der Kraftsensor in D10 nicht die "von dem Werkstück auf die Auflagefläche ausgeübte Kraft" (P2, Seite 6, letzter Absatz) messen würde, geht die Patentinhaberin von einer zu engen Auslegung des Begriffs "Auflagefläche" aus. Wie in den nachstehenden Punkten c) und d) erläutert, fällt auch eine aus zwei Einzelauflageflächen (1) bestehende Auflagefläche unter den Wortlaut des Anspruchs 1. Bei einer solchen, aus zwei zusammengesetzten Einzelauflageflächen bestehenden Auflagefläche misst der Kraftsensor in D10, genau wie in Anspruch 1 definiert, die von dem stabförmigen Werkstück auf die Auflagefläche ausgeübte Kraft.

c) Der Ausdruck "einzige Auflagefläche" oder ein ähnlicher Ausdruck ist im Wortlaut von Patentanspruch 1 nicht enthalten. Wie von der Einsprechenden in der mündlichen Verhandlung vorgetragen, lässt Anspruch 1 offen, ob das Wort "die" in dem Ausdruck des Merkmals d "auf die Auflagefläche [ausgeübte] Kraft" ein Zahlwort oder ein unbestimmter Artikel ist.

Es kann jedoch dahingestellt bleiben, ob der Wortlaut des Anspruchs 1 eine einzige oder mehrere Auflageflächen definiert, weil der Anspruch 1 nicht die genauen Eigenschaften der Fläche definiert. Insbesondere geht aus dem Wortlaut des Anspruchs 1 nicht hervor, ob die Auflagefläche im Anspruch 1 eine zusammenhängende Fläche ist. Die Summe von zwei Einzelflächen (1) in der Vorrichtung von D10 ist ebenfalls eine Fläche und kann im Sinne des Anspruchs 1 als eine einzige Auflagefläche angesehen werden, mit der ein Kraftsensor gekoppelt ist.

d) Der Ausdruck "zusammenhängende Auflagefläche" oder ein ähnlicher Ausdruck ist im Wortlaut von Patentanspruch 1 nicht enthalten. Anspruch 1 lässt offen, ob die Auflagefläche ein- oder mehrteilig, zusammenhängend, durchgehend oder unterbrochen ist.

Entgegen der Auffassung der Patentinhaberin lässt sich allein aus einer allgemeinen Eignung zur Messung der Geradheit eines Werkstücks nicht eindeutig ableiten, ob die Messvorrichtung Auflageflächen für das Werkstück aufweisen muss, die einteilig bzw. einstückig sind, oder ob sie aus zwei oder mehreren Teilflächen bestehen können. Denn abhängig z.B. von der gewünschten ortsaufgelösten Genauigkeit der Geradheitsmessung, dem Abstand zwischen den Teilflächen und deren genauer mechanischer Ausführung erlaubt die Messung der Krafteinwirkung auf eine aus zwei Teilflächen bestehende Auflagefläche Rückschlüsse darauf, ob das Werkstück gerade oder verformt ist. So besteht auch die im Absatz [0022] der Patentschrift erwähnte V-Form der Auflagefläche aus zwei Teilflächen, auf die ein ungerades Werkstück unterschiedliche Kräfte ausübt, die aber nur gemeinsam von einem einzigen Kraftsensor erfasst werden.

2. Rückkehr in das schriftliche Verfahren

Der Antrag der Patentinhaberin, das Verfahren schriftlich fortzusetzen, wird zurückgewiesen.

2.1 Während der Diskussion über die Neuheit des Anspruchs 1 und vor der Entscheidung der Kammer, dass D10 die Neuheit des Gegenstands des Anspruchs 1 vorwegnimmt, beantragte die Patentinhaberin, zum schriftlichen Verfahren zurückzukehren. Das angefochtene Patent sei ein wichtiges Patent für ein kleines Unternehmen. Ein Widerruf des Patents hätte daher erhebliche negative wirtschaftliche Auswirkungen auf die Patentinhaberin. Außerdem sei die Diskussion über die Auslegung des Begriffs "Auflagefläche" in der mündlichen Verhandlung aufgrund der Intervention der Kammer für die Patentinhaberin so überraschend gekommen, dass sie mehr Bedenkzeit benötige, um zu entscheiden, wie sie am besten vorgehen solle.

2.2 Die Einsprechende argumentierte, dass sie dringend Rechtssicherheit brauche. Auch sehe sie keine Notwendigkeit, in das schriftliche Verfahren zurückzukehren.

2.3 Die Kammer ist der Auffassung, dass die Rückkehr in das schriftliche Verfahren nur in ganz besonderen Ausnahmefällen in Betracht gezogen werden sollte (vgl. insofern auch Artikel 15 (6) VOBK).

In dem vorliegendem Fall sieht die Kammer jedoch keine besonderen Gründe dafür. Die Neuheit des Gegenstands des Anspruchs 1 war seit Beginn des Einspruchsverfahrens streitig. Die Einsprechende hatte insbesondere mangelnde Neuheit hinsichtlich des Merkmals d geltend gemacht. Dass die genaue Bedeutung des Begriffs "die Auflagefläche" im Merkmal d in der mündlichen Verhandlung ausführlich zu erörtern sein würde, war für alle Beteiligten bereits vor der mündlichen Verhandlung vorhersehbar. Von einer außergewöhnlichen und überraschenden Wendung des Verfahrens während der mündlichen Verhandlung kann daher keine Rede sein.

Des Weiteren steht einer Rückkehr zum schriftlichen Verfahren sowohl das offenkundige Interesse der Einsprechenden und der Öffentlichkeit im Allgemeinen an Rechtssicherheit durch eine zügige Entscheidung des vorliegenden Falles, als auch das Gebot der Verfahrensökonomie gegenüber. Eine Rückkehr in das schriftliche Verfahren könnte die Entscheidung um Monate oder Jahre verzögern und wäre mit einem erheblichen Mehraufwand für die Kammer und den Einsprechenden verbunden.

3. Aussetzung des Verfahrens

Der Antrag der Patentinhaberin auf Aussetzung des Verfahrens im Hinblick auf das vor der Großen Beschwerdekammer anhängige Verfahren G 1/24 wird zurückgewiesen.

3.1 Während der Diskussion über die Neuheit des beanspruchten Gegenstands und vor der Entscheidung der Kammer, dass D10 die Neuheit des Gegenstands des Anspruchs 1 vorwegnimmt, machte die Patentinhaberin geltend, dass die Große Beschwerdekammer durch die Kammer in der Sache T 439/22 mit der Frage befasst wurde, ob und gegebenenfalls wie die Beschreibung und die Zeichnungen einer Patentschrift zur Auslegung der Patentansprüche gemäß Artikel 69 (1) EPÜ heranzuziehen seien. Das Verfahren vor der Großen Beschwerdekammer sei derzeit unter dem Aktenzeichen G 1/24 anhängig. Der Ausgang dieses Verfahrens könnte unmittelbare Auswirkungen auf das vorliegende Verfahren haben, insbesondere wenn die Große Beschwerdekammer die Frage bejahen würde, ob Artikel 69 (1) EPÜ bei der Auslegung der Ansprüche zur Beurteilung der Neuheit einer Erfindung heranzuziehen ist.

Die Patentinhaberin beantragte daher die Aussetzung des vorliegenden Verfahrens bis zum Vorliegen der Entscheidung der Großen Beschwerdekammer im Fall G 1/24.

3.2 Gemäß der Patentinhaberin bestätigten die Beschreibung und die Zeichnungen des Patents die Auslegung der Patentinhaberin, dass der Kraftsensor in Anspruch 1 eine Kraft und keine Spannung oder Torsion bestimme und dass die Auflageflächen in Anspruch 1 jeweils einteilige, zusammenhängende Auflageflächen seien. Diese Merkmale seien in D10 nicht offenbart, und daher könne die Vorrichtung in D10 die beanspruchte Vorrichtung nicht vorwegnehmen.

Insbesondere verwies die Patentinhaberin auf folgende Stellen der Beschreibung und auf folgende Figuren des Patents:

- Im Absatz [0011] des Patents sei die Kraft definiert, die im Anspruch 1 erwähnt ist, nämlich eine Kraft und nicht eine Spannung, die auf eine einzige Auflagefläche von dem Werkstück ausgeübt wird. Die im Anspruch 1 erwähnte Kraft sei eine Größe mit einem genauen, einzigen Angriffspunkt. Diese Kraft im Anspruch 1 sei auch keine Größe wie die Torsionsinformation in D10, in der die Kraftinformation untergeht (Verweis u.a. auf Absatz [0016] des Patents).

- Aus dem Satz "Mittels des Kraftsensors ..." im Absatz [0014] des Patents gehe hervor, dass ein Kraftsensor einer einzigen Auflagefläche zugeordnet sei.

- In Figur 1 und in den Absätzen [0046] und [0047] sei beschrieben, was eine Auflagefläche sei, nämlich jeweils eine einzige, einteilige Fläche (5, 6, 7). Wie in Figur 1 gezeigt, bestehe eine Auflagefläche nicht aus mehreren Teilflächen.

3.3 Die Kammer ist nicht von der Begründung der Patentinhaberin überzeugt, warum das vorliegende Verfahren wegen des vor der Großen Beschwerdekammer anhängigen Verfahrens G 1/24 ausgesetzt werden sollte. Aus keinen der von der Patentinhaberin zitierten Stellen der Patentschrift geht eindeutig hervor, dass die Auflagefläche in Anspruch 1 nicht aus mehreren Teilen bestehen kann.

Der an sich klare Begriff "die Auflagefläche" wurde von der Kammer lediglich so breit wie technisch sinnvoll ausgelegt. Die in Figur 1 gezeigte spezielle Ausführungsform der drei Auflageflächen (5, 6, 7) kann nicht als Grundlage für eine einschränkende Auslegung des Begriffs "die Auflagefläche" in Anspruch 1 herangezogen werden. Insbesondere fehlt es in der Beschreibung an einer eindeutigen Lehre, dass diese spezielle Ausführungsform der Auflageflächen für die Vorrichtung des Anspruchs 1 zwingend erforderlich ist.

Die Kammer sieht keinen Widerspruch oder Unstimmigkeit zwischen ihrer Auslegung des Begriffs "Kraftsensor" (siehe oben Punkte 1.2.2 und 1.2.4 a)) und derjenigen, die sich aus der Beschreibung der Patentschrift ergibt. In beiden Fällen handelt es sich um einen Sensor, z.B. eine Wägezelle, der als Reaktion auf eine mechanische Einwirkung ein elektrisches Signal erzeugt und geeignet ist, aus dem elektrischen Signal eine Kraft zu bestimmen.

Außerdem sieht die Kammer, da die Beschreibung der Patentschrift keine Stelle enthält, die einen eindeutigen und allgemein gültigen Hinweis darauf gibt, wie die beiden Begriffe "Kraftsensor" und "Auflagefläche" im Anspruch 1 auszulegen sind, keine Notwendigkeit, den Anspruch 1 enger auszulegen, als sie es oben in den Punkten 1.2.2 und 1.2.4 a) getan hat. Auch deshalb besteht keine Notwendigkeit, das vorliegende Verfahren im Hinblick auf die Entscheidung in dem Fall G 1/24 auszusetzen.

4. Hilfsanträge 1 und 2 - Berücksichtigung

Die Hilfsanträge 1 und 2 sind gemäß Artikel 13 (2) VOBK nicht im Beschwerdeverfahren zu berücksichtigen.

4.1 Nachdem die Kammer in der mündlichen Verhandlung verkündet hatte, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hauptantrags nicht neu im Hinblick auf D10 sei, reichte die Patentinhaberin zwei neue Hilfsanträge ein. Die Patentinhaberin begründete die erstmalige Einreichung der Hilfsanträge zu diesem späten Zeitpunkt damit, dass sie erst in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer die Begründung für die fehlende Neuheit des Merkmals d im Zusammenhang mit dem Begriff "Auflagefläche" gehört habe und auf diese neue Entwicklung reagieren dürfe. Insbesondere sei die von der Kammer gestellte Frage, was genau eine "Auflagefläche" sei, erstmals in der mündlichen Verhandlung aufgekommen. Die Tatsache, dass diese Frage nicht von der Einsprechenden, sondern von der Kammer gestellt wurde, trage zum Vorhandensein außergewöhnlicher Umstände im vorliegenden Fall bei.

Um der Auslegung des Begriffs "Auflagefläche" durch die Kammer entgegenzutreten, wurden im Hilfsantrag 1 alle erteilten Vorrichtungsansprüche 1 bis 10 gestrichen. Der Anspruch 1 des Hilfsantrags 2 wurde gegenüber dem Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 durch zusätzliche Merkmale weiter eingeschränkt. Somit sei der Gegenstand des Anspruchs 1 der beiden Hilfsanträge 1 und 2 eindeutig neu gegenüber D10 und behebe den Einwand, der zum Widerruf des erteilten Patents führen würde.

4.2 Die Kammer ist von der Begründung der Patentinhaberin für die Zulassung der verspätet eingereichten Hilfsanträge 1 und 2 nicht überzeugt. Gemäß Artikel 13 (2) VOBK bleiben Änderungen des Beschwerdevorbringens nach Zustellung einer Mitteilung der Kammer nach Artikel 15 (1) VOBK grundsätzlich unberücksichtigt, es sei denn, dass stichhaltige Gründe dafür aufgezeigt werden, dass außergewöhnliche Umstände vorliegen.

4.2.1 Wie von der Einsprechenden vorgebracht, liegen im vorliegendem Fall keine solchen außergewöhnlichen Umstände vor, die eine Zulassung der Hilfsanträge 1 und 2 rechtfertigen würden. Seit Beginn des Einspruchsverfahrens ist der Einwand der fehlenden Neuheit des Anspruchs 1 des erteilten Patents gegenüber D10 diskutiert worden. In der Mitteilung der Kammer gemäß Artikel 15 (1) VOBK, die dazu dient, die Beteiligten auf die Diskussion der wesentlichen Punkte in der mündlichen Verhandlung vorzubereiten, ist der Patentinhaberin mitgeteilt worden, dass die Kammer beabsichtige, der Einsprechenden in ihrer Beurteilung der fehlenden Neuheit des beanspruchten Gegenstands zu folgen. Spätestens zu diesem Zeitpunkt hat die Patentinhaberin gute Gründe gehabt, Hilfsanträge zu stellen.

4.2.2 Die Frage hinsichtlich der genauen Natur der "Auflagefläche" wurde erst durch die Argumente der Patentinhaberin in ihrem Schreiben vom 4. Juni 2024, d.h. einen Monat vor der mündlichen Verhandlung, aufgeworfen. Darin trug die Patentinhaberin erstmalig vor, dass "in die an den Kreuzgelenken 3, 5 wirkenden Kräfte jeweils nicht lediglich die von dem Werkstück 18 auf eine der Auflageflächen ausgeübte Kraft [...] [einfließe], sondern die von dem Werkstück 18 auf mehrere der Auflageflächen ausgeübten Kräfte" (P2, Seite 7, drittletzter Absatz; Hervorhebung durch die Kammer). Dieses Argument impliziert, dass die Patentinhaberin davon ausging, dass eine Auflagefläche notwendigerweise eine zusammenhängende Fläche sein müsse, und dass dies in der Vorrichtung von D10 nicht der Fall sei.

Bis zu dem Zeitpunkt des Schreibens der Patentinhaberin vom 4. Juni 2024 war der Begriff der "Auflagefläche" im Anspruch 1 von der Patentinhaberin nicht als ein kritisches und möglicherweise neuheitsbegründendes Merkmal angesehen worden. Für die Kammer und die Einsprechende bestand daher vorher kein Anlass, sich über die genaue Beschaffenheit der "Auflagefläche" Gedanken zu machen. Im Gegensatz dazu hatte die Patentinhaberin durch die erstmalige Thematisierung in ihrem Schreiben vom 4. Juni 2024 der genauen Anzahl der Auflageflächen in D10, auf die das Werkstück die gemessenen Kräfte ausübt, Veranlassung, sich Gedanken über die genaue Natur der "Auflagefläche" zu machen, um nicht in der mündlichen Verhandlung von dieser Frage überrascht zu werden. Die Diskussion in der mündlichen Verhandlung über die genaue Beschaffenheit der Auflagefläche stellt daher keine neue und überraschende Entwicklung dar.

4.2.3 Der Umstand, dass die Kammer und nicht die Einsprechende die seit dem Schreiben der Patentinhaberin vom 4. Juni 2024 im Raum stehende Frage nach der Beschaffenheit der "Auflagefläche" in Anspruch 1 in der mündlichen Verhandlung formuliert hat, stellt keinen außergewöhnlichen Umstand dar, der die Zulassung neuer Hilfsanträge in der mündlichen Verhandlung rechtfertigt. Um die Argumentation der Patentinhaberin in ihrem Schreiben vom 4. Juni 2024, Seite 7, drittletzter Absatz, für die Neuheit des Merkmals d aufgrund der unterschiedlichen Beschaffenheit der Auflageflächen im Anspruch 1 und in D10 vollständig zu verstehen und dann eine Entscheidung darüber zu treffen, ob der Kraftsensor in D10 die auf eine Auflagefläche ausgeübte Kraft misst oder nicht, war es für die Kammer unerlässlich zu klären, was genau die Auflagefläche im Anspruch 1 des Patents und in D10 ist. Dabei ist es unerheblich, ob die Kammer oder die Einsprechende diese für die Entscheidung über die Neuheit des Merkmals d notwendige Frage explizit formuliert hat.

5. Aus den oben dargelegten Gründen kommt die Kammer zum Schluss, dass der Hauptantrag der Patentinhaberin nicht gewährbar ist und die Hilfsanträge 1 und 2 nicht zu berücksichtigen sind, so dass das Patent zu widerrufen ist.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Das Patent wird widerrufen.

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