T 0179/23 () of 18.10.2024

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2024:T017923.20241018
Datum der Entscheidung: 18 October 2024
Aktenzeichen: T 0179/23
Anmeldenummer: 14796460.5
IPC-Klasse: B08B 3/02
A47L 11/40
B08B 13/00
B05B 1/16
B05B 9/01
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: HOCHDRUCKREINIGUNGSSYSTEM UND VERFAHREN ZUM BETREIBEN EINES HOCHDRUCKREINIGUNGSSYSTEMS
Name des Anmelders: Alfred Kärcher SE & Co. KG
Name des Einsprechenden: Nilfisk A/S
Kammer: 3.2.07
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 84
European Patent Convention R 76(2)
European Patent Convention Art 123(2)
European Patent Convention Art 54
European Patent Convention Art 56
Schlagwörter: Zulässigkeit des Einspruchs - (ja)
Patentansprüche - Deutlichkeit (ja)
Änderungen - Erweiterung über den Inhalt der Anmeldung in der eingereichten Fassung hinaus (nein)
Neuheit - (ja)
Erfinderische Tätigkeit - (ja)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
G 0003/14
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Patentinhaberin und die Einsprechende legten jeweils form- und fristgerecht Beschwerde gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung ein, mit der festgestellt wurde, dass unter Berücksichtigung der von der Patentinhaberin im Einspruchsverfahren vorgenommenen Änderungen (damals Hilfsantrag 1) das Patent Nr. 3 212 341 und die Erfindung, die es zum Gegenstand hat, den Erfordernissen des Übereinkommens genügen.

II. Der Einspruch richtete sich gegen das Patent im vollen Umfang auf Grundlage der Einspruchsgründe nach Artikel 100 a) EPÜ (Neuheit und erfinderische Tätigkeit) und Artikel 100 b) EPÜ (vollständige Offenbarung).

III. Mit Mitteilung gemäß Artikel 15 (1) VOBK vom 12. Juni 2024 teilte die Kammer den Beteiligten ihre vorläufige Beurteilung der Sach- und Rechtslage mit, derzufolge die Beschwerde der Patentinhaberin voraussichtlich erfolgreich sein dürfte.

IV. Die Patentinhaberin nahm mit Schriftsatz datiert auf den 15. August 2024 und die Einsprechende mit Schriftsatz datiert auf den 6. September 2024 zu dieser Mitteilung inhaltlich Stellung.

V. Am 18. Oktober 2024 fand die mündliche Verhandlung vor der Beschwerdekammer statt.

VI. Wegen der Einzelheiten des Verlaufs der mündlichen Verhandlung wird auf das Protokoll verwiesen.

VII. Der Tenor der Entscheidung wurde am Schluss der mündlichen Verhandlung verkündet.

VIII. Die Patentinhaberin beantragte

die Verwerfung des Einspruchs als unzulässig,

die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents in geänderter Fassung gemäß dem am 1. Dezember 2021 vorgelegten Hauptantrag,

hilfsweise,

die Zurückweisung der Beschwerde der Einsprechenden, d.h. die Aufrechterhaltung des Patents in geänderter Fassung im Umfang des Hilfsantrags 1 vom 16. September 2022 (aufrechterhaltene Fassung),

sowie weiter hilfsweise

bei Aufhebung der angefochtenen Entscheidung,

die Aufrechterhaltung des Patents in geänderter Fassung im Umfang eines der Hilfsanträge 2 bis 11, vorgelegt am 16. September 2022, oder eines der Hilfsanträge 1a bis 4a und 4b, vorgelegt mit der Beschwerdebegründung der Patentinhaberin.

IX. Die Einsprechende beantragte

die Zurückweisung der Beschwerde der Patentinhaberin und

die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den vollständigen Widerruf des Patents.

X. In dieser Mitteilung wird auf die folgenden Dokumente Bezug genommen:

D1: US 2013/0214059 A1;

D3: US 2006/0108449 A1.

XI. Der unabhängige Anspruch 1 gemäß Hauptantrag (Merkmalsgliederung gemäß Punkt II.2. der Entscheidungsgründe):

"M1.1 Hochdruckreinigungssystem, umfassend ein

Hochdruckreinigungsgerät (12) mit einer

Hochdruckpumpe (16) zum Steigern des Druckes

einer Reinigungsflüssigkeit

M1.2 sowie zwei oder mehr voneinander unterschiedliche

Austragseinheiten (48, 52, 56, 60, 64, 70) zum

Austragen der Reinigungsflüssigkeit, die

wahlweise in Fluidverbindung mit einem

Pumpenauslass (22) der Hochdruckpumpe (16)

bringbar sind,

M1.3 wobei die Austragseinheiten (48, 52, 56, 60, 64,

70) an eine Bedieneinheit (26) des

Hochdruckreinigungssystems (10) anschließbar sind

oder an zumindest einer Austragseinheit (48, 52,

56, 60, 64, 70) eine Bedieneinheit (26)

angeordnet ist,

M1.4 wobei das Hochdruckreinigungssystem (10) eine

Eingabeeinheit (96) umfasst, über die von einem

Benutzer mindestens ein Förderparameter vorgebbar

ist,

M1.5 wobei der mindestens eine Förderparameter von

einer mit der Eingabeeinheit (96) gekoppelten

Steuereinheit (82, 98) des

Hochdruckreinigungssystems (10) gemäß der Vorgabe

eingestellt wird,

M1.6 und wobei das Hochdruckreinigungssystem (10) eine

mit der Steuereinheit (82, 98) gekoppelte

Ausgabeeinheit (100) umfasst,

dadurch gekennzeichnet,

M1.7 dass an der Ausgabeeinheit (100) abhängig von der

Vorgabe des Benutzers ein Hinweis (116)

bereitgestellt wird, der eine Empfehlung (118,

120, 122) mindestens einer Austragseinheit (48,

52, 56, 60, 64, 70) umfasst."

XII. Angesichts des Entscheidungsausspruchs erübrigt sich eine Wiedergabe der Hilfsanträge.

XIII. Das entscheidungserhebliche Vorbringen der Beteiligten wird im Detail in den Entscheidungsgründen diskutiert.

Entscheidungsgründe

1. Vorbemerkung

Die Beteiligten verwiesen in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer hinsichtlich der Einwände zur Zulässigkeit des Einspruchs, zur Deutlichkeit der Ansprüche und zur Zulässigkeit der Änderungen im Hauptantrag allein auf ihr schriftsätzliches Vorbringen. Dieses war nach Erhalt der Mitteilung gemäß Artikel 15 (1) VOBK ebenfalls inhaltlich nicht ergänzt worden, so dass die von der Kammer in der Mitteilung gemäß Artikel 15 (1) VOBK dargelegte vorläufige Meinung im Ergebnis von den Beteiligten weder weiter kommentierten noch bestritten wurde. Deshalb sieht die Kammer - nachdem sie erneut alle relevanten Aspekte in Bezug auf diese Fragen berücksichtigt hat - keinen Grund, von ihrer in der Mitteilung gemäß Artikel 15 (1) VOBK dargelegten vorläufigen Überzeugung abzuweichen und bestätigt diese, wie im folgenden näher dargelegt.

2. Zulässigkeit des Einspruchs (Artikel 99 (1) EPÜ)

2.1 Die Patentinhaberin rügte, dass der Einspruch entgegen der Feststellung in Punkt II.1 der Entscheidungsgründe als unzulässig zu verwerfen sei, da die Erfordernisse der Regel 76 (2) c) EPÜ nicht erfüllt seien. Die Einspruchsschrift enthalte zwar Ausführungen zum Stand der Technik und auch eine Bezugnahme auf die Merkmale in englischer Sprache. Es sei jedoch keinerlei Verknüpfung dieser Merkmale mit den Anspruchsmerkmalen enthalten und nicht ersichtlich, ob die Argumente in Bezug auf die Merkmale in englischer Sprache überhaupt von Relevanz für die Anspruchsmerkmale in deutscher Sprache seien.

2.2 Regel 76 (2) c) EPÜ verlangt die Angabe der zur Begründung vorgebrachten Tatsachen und Beweismittel. Gemäß der Rechtsprechung der Beschwerdekammern muss die Angabe so fundiert sein, dass die Patentinhaberin und die Einspruchsabteilung klar erkennen können, in welcher Weise und mit welchen Beweismitteln das Patent genau angegriffen wird. Hierzu muss soweit auf die relevanten Umstände des Falls eingegangen werden, dass sich die Patentinhaberin und die Einspruchsabteilung ohne weitere Ermittelungen eine abschließende Meinung zu mindestens einem vorgebrachten Einspruchsgrund bilden können (vgl. Rechtsprechung der Beschwerdekammern [RdB], 10. Auflage, 2022, IV.C.2.2.8 b)).

2.3 Dieses Erfordernisse ist nicht derart formal zu verstehen, dass in der Einspruchsschrift ausdrücklich ein Bezug zwischen den vorgebrachten Beweismitteln und dem originären Wortlaut der Ansprüche hergestellt werden muss. Es genügt, wenn dieser Zusammenhang ohne besondere Hindernisse erkennbar ist.

2.4 Jedenfalls ist allein der Umstand, dass die Einsprechende in der Einspruchsbegründung zu Anspruch 1 lediglich Argumente in Hinblick auf eine englische Übersetzung der Anspruchsmerkmale vorgebracht hat, als solches nicht ausreichend, die Zulässigkeit des Einspruchs in Frage zu stellen. Es erscheint der Kammer entgegen der nicht weiter belegten Behauptung der Patentinhaberin, dass die Einspruchsabteilung zutreffend festgestellt hat, dass die in der Einspruchsbegründung in englischer Sprache vorgebrachten Merkmale mit der englischen Übersetzung in der B1 Schrift übereinstimmen, so dass zweifelsfrei ein erkennbarer Zusammenhang zwischen diesen und dem originären Anspruch 1 besteht.

2.5 Die Kammer folgt der Einspruchsabteilung, dass der Einspruch in Bezug auf Anspruch 1 hinreichend substantiiert ist.

2.6 Weil somit das Erfordernis der Regel 76 (2) c) EPÜ für einen Einspruchsgrund erfüllt ist, kommt es zudem auf die Rüge der Patentinhaberin hinsichtlich des Vorbringens in der Einspruchsbegründung zu Verfahrensanspruch 17 nicht an, denn für die teilweise Zulässigkeit eines Einspruchs findet sich im Übereinkommen keine Grundlage. Vielmehr kann das Konzept der "Unzulässigkeit" nur auf die Einspruchsschrift als Ganzes angewendet werden (vgl. RdB, supra, VI.C.2.8.8 a)).

2.7 Die Einspruchsbegründung erfüllt folglich entgegen der Rüge der Patentinhaberin die Erfordernisse von Regel 76 (2) c) EPÜ und der Einspruch folglich zulässig ist.

3. Deutlichkeit der Ansprüche(Artikel 84 EPÜ)

3.1 Die Einsprechende rügte, dass durch die Änderung der Beschreibung im Hauptantrag in Anspruch 1 gemäß Hauptantrag eine Unklarheit hinsichtlich des Verständnisses des Begriffs "Empfehlung" in Merkmal 1.7, nämlich

"dass an der Ausgabeeinheit (100) von der Vorgabe des Benutzers ein Hinweis (116) bereitgestellt wird, der eine Empfehlung (118, 120, 122) mindestens einer Austragseinheit (48, 52, 56, 60, 64, 70) umfasst"

entstehe.

3.2 Unabhängig von der Frage, ob durch eine Änderung des Absatzes [0103] der Beschreibung, die im übrigen als Reaktion auf einen Einwand nach Artikel 83 EPÜ und nicht in Hinblick auf ein mögliches Verständnis des Anspruchs 1 erfolgte, eine an sich gemäß geltender Rechtsprechung ausgeschlossene Prüfung der Erfordernisse des Artikels 84 EPÜ eröffnet ist (vgl. G 3/14), kann das Argument bereits inhaltlich nicht überzeugen.

3.3 Der allgemein übliche Sprachgebrauch des Begriffs "Empfehlung" beinhaltet grundsätzlich eine Wahlfreiheit des Empfängers dieser Empfehlung, hier also des Benutzers. Der Begriff ist insofern nicht unscharf, sondern in sich klar und ohne Zweifel hinsichtlich seiner Bedeutung eindeutig. Es bedarf bereits deshalb keiner Auslegung des Begriffs vor dem Hintergrund der Beschreibung, die im übrigen nach Verständnis der Kammer weder vor noch nach der Änderung im Hauptantrag im Widerspruch zu diesem Verständnis stand.

3.4 Es ist hingegen nicht klar, was die Einsprechende unter dem Begriff "forced recommendation" versteht. Jedenfalls beinhaltet der Begriff "Empfehlung" nicht, dass eine solche, wie bei einer automatisch erzwungenen Einstellung, ohne weiteres Eingreifen des Benutzers, d.h. zwangsweise und zudem ohne erkennbare Möglichkeit eines korrektiven Eingreifens, umgesetzt wird.

3.5 Im Ergebnis hat die durch Vorlage des Hauptantrags erfolgte Änderung in Absatz [0103] der Beschreibung somit keinen Einfluss auf den Gegenstand von Anspruch 1 gemäß Hauptantrag.

3.6 Die Kammer vermag folglich nicht zu erkennen, worin ein Verstoß gegen die Erfordernisse des Artikels 84 EPÜ begründet sein sollte.

4. Zulässigkeit der Änderungen (Artikel 123 (2) EPÜ)

4.1 Die Einsprechende rügte, dass die mit dem Hauptantrag erfolgte Änderung in Absatz [0103] der Beschreibung zu einer Änderung des Verständnisses des Anspruchs 1 führe, insbesondere hinsichtlich des Begriffs "Empfehlung", was jedoch ursprünglich derart nicht offenbart gewesen sei. Dies stelle einer Verstoß gegen die Erfordernisse des Artikels 123 (2) EPÜ dar.

Angesichts der oben in Punkt 3.5 dargelegten Gründe hat die Änderung jedoch keinen Einfluss auf das Verständnis des Begriffs "Empfehlung" und folglich ebenfalls nicht auf den Gegenstand von Anspruch 1, der seinerseits im Hauptantrag gegenüber der erteilten Fassung unverändert blieb.

4.2 Entsprechend stehen die Erfordernisse des Artikels 123 (2) EPÜ einer Zulassung der durch den Hauptantrag erfolgten Änderungen nicht entgegen.

5. Neuheit des Gegenstands von Anspruch 1 gegenüber der Lehre von Dokument D1 (Artikel 54 EPÜ)

5.1 Die Patentinhaberin wendete sich gegen die Feststellung in Punkt II.4 der Entscheidungsgründe, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag nicht neu gegenüber der Lehre des Dokuments D1 sei.

5.2 Diesen Einwand begründete die Patentinhaberin damit, dass unter anderem das kennzeichnende Merkmal 1.7 nicht in Dokument D1 offenbart sei. Insbesondere offenbare Dokument D1 keine "Empfehlung" als Bestandteil des Hinweises im Sinne des Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag. Zudem sei in Dokument D1 nicht offenbart, dass der Hinweis abhängig von der Vorgabe des Benutzers bereitgestellt werde, wie dies in Merkmal M1.7 gefordert sei.

5.3 In Punkt II.4.1 der Entscheidungsgründe wurde festgestellt, dass sich aus der Offenbarung der Absätze [0043], [0044] und [0045] von Dokument D1 die Lehre ergebe, dass an einer Anzeigeeinheit anhängig von der Vorgabe des Benutzers ein Hinweis bereitgestellt werde, der eine Empfehlung mindestens einer Austragseinheit umfasse, wobei jedoch diese Empfehlung automatisch vom System umgesetzt werde. Eine Abhängigkeit zwischen der Vorgabe des Benutzers und der Empfehlung mindestens einer Austragseinheit sei implizit in den Absätzen [0043] und [0044] offenbart. Zudem ergebe sich eine explizite Offenbarung aus Anspruch 9 des Dokuments D1.

5.4 Es war vor dem Hintergrund dieser Feststellung zwischen den Beteiligten unstreitig, dass die Frage der Neuheit somit wesentlich von der Frage abhängt, wie der anspruchsgemäße Begriff "Empfehlung" verstanden wird und dass die Lehre des Dokuments D1 gerade keine Wahlfreiheit des Benutzers hinsichtlich der Auswahl einer Düse zulässt, sondern stets eine automatische, nicht beeinflussbare Düsenauswahl getroffen wird.

5.5 Wie in Punkt 3.3 oben bereits dargelegt, schließt sich die Kammer jedoch der Auffassung der Patentinhaberin zum Verständnis des Begriffs "Empfehlung" an, so dass nicht erkennbar ist, weshalb Merkmal M1.7 in Dokument D1 offenbart sein sollte.

5.6 Im Ergebnis gelangt die Kammer daher zu der Überzeugung, dass zumindest das Merkmal M1.7 nicht in Dokument D1 offenbart ist, so dass der Anspruch 1 gemäß Hauptantrag neu gegenüber der Lehre des Dokuments D1 ist.

6. Erfinderische Tätigkeit des Gegenstands von Anspruch 1 ausgehend von der Lehre von Dokument D1 (Artikel 56 EPÜ)

6.1 Die Einsprechende machte geltend, dass der Gegenstand von Anspruch 1 gemäß Hauptantrag ausgehend von der Lehre des Dokuments D1 in Kombination mit dem allgemeinen Fachwissen oder der Lehre des Dokuments D3 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht.

6.2 Als Unterscheidungsmerkmal ist zumindest das Merkmal M1.7 anzusehen, wobei die Kammer der Einsprechenden darin zustimmt, dass ein manueller Austausch der Austragseinheit, beispielsweise in Form der Düsen eines Hochdruckreinigungssystems, der Fachperson aus dem allgemeinen Fachwissen oder auch aus der Lehre des Dokuments D3 zum maßgeblichen Anmeldezeitpunkt grundsätzlich bekannt war.

6.3 Die Kammer teilt indes nicht die während der mündlichen Verhandlung vorgebrachten Argumentation der Einsprechenden, dass die mit dem Unterscheidungsmerkmal M1.7 verbundene objektive technische Aufgabe in einer reinen Manualisierung bzw. Vereinfachung eines ansonsten bekannten Systems liege, so dass die Lösung der Rechtsprechung der Beschwerdekammer folgend keine erfinderische Tätigkeit begründen könne.

6.4 Wie die Patentinhaberin aus Sicht der Kammer zutreffend vortrug, ist mit dem Merkmal M1.7, insbesondere dem Bereitstellen eines Hinweises in Form einer Empfehlung, eine höhere Flexibilität bzw. Vielseitigkeit des Anwendungsbereichs des Systems ermöglicht, da die beanspruchte Lösung mittels der Empfehlung im Vergleich zu der Lehre des Dokuments D1 keinen zwangsläufigen Automatismus in der Bereitstellung einer bestimmten Austragseinheit vorsieht. Entsprechend sieht die Kammer als für die Fachperson ausgehend von der Lehre des Dokuments D1 die zu lösende objektive technische Aufgabe nicht in einer reinen Vereinfachung oder Manualisierung des Systems, sondern vielmehr in einer Vergrößerung der Einsatzmöglichkeiten des Systems.

6.5 Die Kammer ist dabei nicht von dem Argument der Einsprechenden überzeugt, dass die derart formulierte Aufgabe vom Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag nicht gelöst werde, weil der Anspruch offen lasse, ob die anspruchsgemäße Vorrichtung mit einer "fehlerhaften" bzw. nicht geeigneten Düse betrieben werden könne, so dass die Einsatzmöglichkeiten praktisch nicht erweitert würden. Die Folgen einer bestimmten Auswahl einer Austragseinheit durch den Bediener blieben im Anspruch vielmehr offen.

Wie jedoch die Patentinhaberin zurecht vortrug, beruht dieses Argument auf reiner Spekulation. Es besteht gerade nicht zwingend eine eindeutige Verbindung zwischen einer empfohlenen Anwendung und einer bestimmten, vorgegebenen Ausgabeeinheit. Es kann vielmehr, wie sich beispielsweise an den Figuren 5 und 6 des Streitpatents erkennen lässt, eine Zuordnung verschiedener Ausgabeeinheiten für einen Anwendungszweck erfolgen, die gerade eine Auswahl durch den Benutzer ermöglicht oder möglicherweise sogar erfordert. Im Ergebnis erfolgt durch die anspruchsgemäße Empfehlung gegenüber der eindeutigen, weil automatischen Auswahl der Austragseinheit gemäß der Lehre des Dokuments D1 somit die Möglichkeit einer Entscheidung zwischen verschiedenen Austragseinheiten bzw. Düsen und damit eine Erweiterung der Einsatzmöglichkeiten des Hochsdruckreinigungssystems. Die Tatsache, dass nach der Wahl des Bedieners eine Sicherheitsmaßnahme oder eine Steuerung es aus irgendeinem Grund ermöglicht, die Ausgabe der Reinigungsflüssigkeit zu blockieren, spielt hinsichtlich der Entscheidungsmöglichkeit des Bedieners keine Rolle.

6.6 Es wurde von der Einsprechenden nicht dazu vorgetragen, weshalb der Fachperson zur Lösung der derart formulierten Aufgabe das Unterscheidungsmerkmal M1.7 nahegelegen habe.

6.7 Aus Sicht der Kammer ergibt sich auch aus dem Unterscheidungsmerkmal M1.7 nicht ohne Weiteres die weitere technische Aufgabe einer Vereinfachung bzw. einer Manualisierung des aus D1 bekannten Systems, die durch z. B. das Weglassen von dem Motor für das Drehen des Rads auf Figur 11, links unten, von D1 gelöst werde, da ebenfalls in einer automatischen Einstellung wie in D1 eine Vereinfachung für den Bediener gesehen werden kann, die durch eine weitere Wahlfreiheit hinsichtlich der Austragseinheit wie in Anspruch 1 eben nicht gegeben wäre.

Die Argumentation der Einsprechenden, dass die von der Patentinhaberin formulierte Aufgabe der Erweiterung der Einsatzmöglichkeiten lediglich einen weiteren technischen Effekt, d.h. einen Bonuseffekt darstelle, kann folglich mangels einer anderen der Fachperson sich stellenden Aufgabe nicht überzeugen kann.

6.8 Selbst aber für den Fall, dass argumentationshalber der Einsprechenden gefolgt würde, dass die technische Aufgabe in einer strukturellen Vereinfachung bzw. Manualisierung des in Dokument D1 offenbarten Systems zu sehen wäre, kann ihre Argumentation, dass der Fachperson der Gegenstand des Anspruchs 1 nahegelegen habe, nicht überzeugen.

Es trifft zwar zu, dass die Vereinfachung einer komplexen Technologie in Situationen, in denen die Fachperson erwarten kann, dass die Vorteile einer vereinfachte Komplexität die verminderte Leistungsfähigkeit eines Systems für vernünftigerweise überwiegen, im Rahmen des üblichen Handelns der Fachperson liegen (vgl. RdB, supra, I.D.9.21.8). Das bedeutet jedoch nicht, dass eine Vereinfachung, beispielsweise durch eine Manualisierung eines ansonsten automatisierten Systems, grundsätzlich bereits deshalb naheliegen, weil damit eine strukturelle Vereinfachung oder eine höhere Flexibilität bei der Benutzung des Systems erreicht würde.

Im gegebenen Fall gilt dies umso mehr, als die vermeintliche strukturelle Vereinfachung gegenüber der aus Dokument D1 bekannten Vorrichtung lediglich eine Manualisierung bei der Auswahl der Austragseinheit vorsehen würde. Es bliebt hingegen offen, warum die Fachperson gerade bei diesem Aspekt ein Mitwirken des Bedieners erwogen hätte und nicht, wie es auch die Einspruchsabteilung zurecht feststellte (siehe angefochtene Entscheidung, Punkt II.9.1.2), andere aus dem Stand der Technik bekannte Maßnahmen, wie den Einsatz einer Tabelle aus Figur 4 des Dokuments D3 anstatt einer elektronischen Anzeige herangezogen hätte. Dadurch würde die Fachperson nicht zum beanspruchten Gegenstand gelangen.

Selbst vor dem Hintergrund, dass ein manueller Austausch der Austragseinheit der Fachperson aus dem Fachwissen oder der Lehre des Dokuments D3 bekannt war, ist folglich nicht nachvollziehbar, weshalb die Fachperson aufgrund dieser Kenntnis die Lehre des Dokuments D1 so weiterentwickelt hätte, dass sie den Hinweis als Empfehlung ausgestaltet hätte, noch wird deutlich weshalb sie gerade einen manuellen Austausch der Austragseinheiten bei der Lösung der von der Einsprechenden formulierten objektiven technischen Aufgabe berücksichtigt hätte.

6.9 Im Ergebnis beruht der Gegenstand von Anspruch 1 gemäß Hauptantrag ausgehend von der Lehre des Dokuments D1 in Kombination mit dem Fachwissen oder der Lehre des Dokuments D3 auf einer erfinderischen Tätigkeit.

7. Weiter Einwände gegen den Hauptantrag wurden von der Einsprechenden nicht erhoben.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Angelegenheit wird an die

Einspruchsabteilung zurückverwiesen mit der

Anordnung, das Patent in geändertem Umfang auf

Grundlage der folgenden Unterlagen

aufrechtzuerhalten:

Ansprüche: 1 bis 17 der Patentschrift;

Beschreibung: Absätze 1 bis 102 und Absatz 104

der Patentschrift und

Absatz 103, eingereicht am

1. Dezember 2021;

Zeichnung: Figuren 1 bis 9 der Patentschrift.

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