T 0167/23 (Erzeugung von Synthesegas/THYSSENKRUPP) of 30.4.2025

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2025:T016723.20250430
Datum der Entscheidung: 30 April 2025
Aktenzeichen: T 0167/23
Anmeldenummer: 14815580.7
IPC-Klasse: C21B 5/06
C21B 7/00
C21C 5/38
C01B 3/32
C10K 3/04
C10K 3/06
C25B 15/08
C25B 1/04
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: VERFAHREN ZUR ERZEUGUNG VON SYNTHESEGAS IM VERBUND MIT EINEM HÜTTENWERK
Name des Anmelders: thyssenkrupp AG
Name des Einsprechenden: ArcelorMittal
Kammer: 3.3.05
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 83
European Patent Convention Art 54
European Patent Convention Art 56
Schlagwörter: -
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
T 0063/06
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerde der Einsprechenden (Beschwerdeführerin) betrifft die Entscheidung der Einspruchsabteilung, den Einspruch gegen das europäische Patent EP 3 080 307 B1 zurückzuweisen.

II. Unter anderem waren die folgenden Dokumente Gegenstand des Einspruchsverfahrens:

D4 |WO 2004/101829 A2 |

D7 |FR 2 494 711 A1 |

D10|US 2012/0079917 A1|

III. Zusätzlich hat die Beschwerdeführerin folgendes Dokument mit ihrer Beschwerdebegründung eingereicht:

D11|"Hauptbestandteil", Wiktionary Eintrag, Version vom 9. März 2023|

IV. Die Einspruchsabteilung war unter anderem zum Schluss gekommen, dass das Streitpatent die Erfordernisse der Artikel 83, 54 und 56 EPÜ erfüllt.

V. Der unabhängige Anspruch des Hauptantrags (erteilte Fassung) lautet wie folgt:

"1. Verfahren zur Erzeugung von Synthesegas im Verbund mit einem Hüttenwerk (1), welches zumindest einen Hochofen (2) zur Roheisenerzeugung, ein Konverterstahlwerk (3) und eine Koksofenanlage (4) umfasst,

wobei ein Teil des bei der Roheisenerzeugung entstehenden Hochofengichtgases (6) und/oder ein Teil des im Konverterstahlwerk (3) anfallenden Konvertergases (7) und/oder ein Teil des in der Koksofenanlage (4) entstehenden Koksofengases (8) gemischt wird,

wobei durch Wahl der zu einem Mischgas zusammengeführten Gasströme und/oder durch Änderung der Mischungsverhältnisse der zusammengeführten Gasströme zumindest zwei Nutzgasströme (13, 14) erzeugt werden, die sich hinsichtlich ihrer Zusammensetzung unterscheiden und jeweils zu Synthesegasströmen aufbereitet werden,

wobei ein erster Nutzgasstrom (13) durch Mischung von zumindest zwei Gasströmen, die als Hochofengichtgas (6), Konvertergas (7) oder Koksofengas (8) anfallen, gebildet wird und dass ein zweiter Nutzgasstrom (14) nur aus Hochofengichtgas (6), Konvertergas (7) oder Koksofengas (8) besteht und

wobei ein erster H2-enthaltender Nutzgasstrom (13) gebildet wird, aus dem durch Gaskonditionierung ein erstes Synthesegas (13') erzeugt wird, welches als Hauptbestandteile beispielsweise CO und H2 oder N2 und H2 enthält, und dass ein zweiter im Wesentlichen H2-freier zweiter Nutzgasstrom (14) erzeugt wird, welcher als Hauptbestandteil CO enthält,

und wobei die Nutzgasströme (13, 14) zu Synthesegasströmen aufbereitet werden, die sich hinsichtlich ihrer Zusammensetzung unterscheiden und zur Herstellung von unterschiedlichen Chemieprodukten verwendet werden."

Die abhängigen Ansprüche 2 bis 10 betreffen bevorzugte Ausführungsformen.

VI. Die entscheidungswesentlichen Argumente der Beschwerdeführerin werden wie folgt zusammengefasst:

Das Streitpatent erfülle nicht die Erfordernisse von Artikel 83 EPÜ.

Der Gegenstand von unter anderem Anspruch 1 des Hauptantrags sei nicht neu gegenüber D4.

Der Gegenstand von Anspruch 1 des Hauptantrags sei nicht erfinderisch gegenüber D4 allein oder in Kombination mit D7 oder D10.

VII. Die entscheidungswesentlichen Argumente der Patentinhaberin (Beschwerdegegnerin) werden wie folgt zusammengefasst:

Das Dokument D11 sei nicht zu berücksichtigen.

Das Streitpatent in der erteilten Fassung erfülle die Erfordernisse des EPÜ.

VIII. Die Beschwerdeführerin beantragt, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent zu widerrufen.

Die Beschwerdegegnerin beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen. Hilfsweise beantragt sie, das Patent in geänderter Form auf der Basis von:

- einem der Hilfsanträge 1 bis 4 (eingereicht mit Eingabe vom 9. September 2022),

- Hilfsantrag 4' (eingereicht mit der Beschwerdeerwiderung) oder

- einem der Hilfsanträge 5 bis 7 (eingereicht mit Eingabe vom 9. September 2022)

aufrechtzuerhalten.

Entscheidungsgründe

Hauptantrag

1. Artikel 83 EPÜ

Nach Auffassung der Beschwerdeführerin enthalte das Streitpatent keine ausreichende Lehre, wie beispielsweise aus einem CO-armen sowie CH4- und N2-reichen Koksofengas ein H2-freier Nutzgasstrom mit CO als Hauptbestandteil erzeugt werden kann. Bezüglich der Zusammensetzung eines solchen Koksofengases verwies die Beschwerdeführerin auf Paragraph [0004] des Streitpatents. Die Erfindung sei daher nicht ausreichend offenbart.

Dieses Argument kann jedoch nicht nachvollzogen werden. Der Fachperson stehen aufgrund ihres Fachwissens zahlreiche Trennverfahren zur Verfügung, die es erlauben, die verschiedenen Bestandteile eines Gases abzutrennen bzw. aufzukonzentrieren. Zudem ist es der Fachperson bekannt, den CO-Gehalt eines Gases wie Koksofengas mittels partieller Oxidation von CH4 zu erhöhen.

Die Beschwerdeführerin hat die von ihr behaupteten Schwierigkeiten zudem nicht belegt (T 0063/06, erster Leitsatz).

Somit sind die Erfordernisse von Artikel 83 EPÜ erfüllt.

2. Artikel 54 EPÜ

Nach Auffassung der Beschwerdeführerin sei der Gegenstand von Anspruch 1 nicht neu gegenüber D4 (Artikel 54 EPÜ).

Aus den folgenden Gründen offenbart D4 jedoch zumindest nicht das Merkmal, dass der im Wesentlichen H2-freie zweite Nutzgasstrom - welcher in Figur 1 von D4 als Strom 22 vor Aufbereitung 24 interpretiert wird - "als Hauptbestandteil CO" enthält.

2.1 Die Beschwerdeführerin vertritt die Meinung, dieses Merkmal erfordere nicht, dass CO die Komponente mit der absolut höchsten Konzentration ist. Vielmehr sei es so zu verstehen, dass CO lediglich eine Komponente mit einer relativ hohen Konzentration ist, insbesondere im Vergleich zu H2. So fehle in Anspruch 1 der bestimmte Artikel vor dem Wort "Hauptbestandteil". Auch das Streitpatent liefere keine weitere Definition, was unter dem Begriff "Hauptbestandteil" zu verstehen ist.

Auch dieses Argument überzeugt nicht. Im vorliegenden Fall versteht die Fachperson den Ausdruck "als Hauptbestandteil CO" in Anspruch 1 so, dass CO der Haupt­bestandteil des H2-freien zweiten Nutzgasstroms ist. Andernfalls hätte es "als ein Hauptbestandteil CO" oder "als einen der Haupt­bestand­teile CO" geheißen.

Der Begriff Hauptbestandteil ist hier also absolut zu sehen, nicht nur relativ zur H2-Konzentration.

Auch Paragraph [0020] des Streitpatents führt zu keinem anderen Schluss. Da "Hauptbestandteil" dort im Singular verwendet wird, bezieht es sich nur auf den direkt danach genannten Stickstoff, nicht auf die nach­folgenden Komponenten CO und CO2.

2.2 Ungeachtet der Frage der Berücksichtigung der von der Beschwerdeführerin eingereichten D11 bestätigt selbst dieses Dokument, dass "Hauptbestandteil", d.h. im Singular, als "wichtigster Teil von etwas" (siehe "Bedeutung") anzusehen ist, also absolut, und nicht nur als ein wichtiger Teil.

Dass nach dem Diagramm auf der rechten Seite von D11 Stickstoff und Sauerstoff als "[d]ie Hauptbestandteile unserer Luft" bezeichnet werden, erklärt sich durch die Tatsache, dass "die Hauptbestandteile" im Plural genannt werden.

2.3 Dagegen ist in D4 der Hauptbestandteil des Stroms 22 vor Aufbereitung 24 (Figur 1), also der Bestandteil mit der höchsten Konzentration, Methan (siehe Tabelle 1), oder ggf. N2 (siehe den letzten Absatz auf Seite 6), aber jedenfalls nicht CO.

3. Artikel 56 EPÜ

Aus den folgenden Gründen ist die Schlussfolgerung der Einspruchsabteilung, wonach der Hauptantrag die Erfordernisse von Artikel 56 EPÜ erfüllt, ebenfalls korrekt.

3.1 Die Erfindung betrifft ein Verfahren zur Erzeugung von Synthesegas im Verbund mit einem Hüttenwerk.

3.2 Es besteht Einigkeit, dass D4 als nächstliegender Stand der Technik anzusehen ist.

Da in D4 ebenfalls Synthesegas in einem Verbund mit einem Hüttenwerk erzeugt wird (siehe Seite 1, Zeilen 5 bis 11, sowie die Figur 1 beispielsweise mit Synthesegasstrom 69), ist D4 ein geeigneter Startpunkt für die Bewertung der erfinderischen Tätigkeit.

3.3 Laut Streitpatent ist die zu lösende Aufgabe das Bereitstellen eines Verfahrens zur Erzeugung von Synthesegas im Verbund mit einem Hüttenwerk, das es erlaubt, anfallende Gase möglichst vollständig in wirtschaftlichen Prozessen zu nutzen (Abschnitte [0005] und [0006] des Streitpatents).

3.4 Im schriftlichen Verfahren hat die Beschwerdeführerin nicht bestritten, dass diese Aufgabe erfolgreich gelöst worden ist (Ende von Seite 9 der Beschwerdebegründung).

3.5 Aus den folgenden Gründen ist die beanspruchte Lösung dieser Aufgabe nicht naheliegend (Artikel 56 EPÜ).

Wie die Inhaberin anmerkt, zielt der Prozess von D4 auf eine erhöhte Stahlproduktion ab (siehe auch D4, Seite 3, Zeilen 18/19).

Innerhalb dieses integrierten Prozesses der D4 ist es schwer möglich, die Zusammensetzung von Strom 22 oder Strom 26 dermaßen zu ändern, dass CO Hauptbestandteil ist. In der Tat enthält dieses Gas typischerweise 4% H2, 24% CO und 23% CO2, wobei der Rest hauptsächlich N2 ist (Seite 6, Zeilen 32 bis 33). Wegen der Integration des Prozesses mit verschiedenen Recycleströmen würde eine solche Änderung zwangsläufig auch Modifikationen der anderen Prozessschritte erfordern.

Die Passage auf Seite 7, Zeilen 1 bis 5 erläutert, dass Hochofengichtgas wegen des hohen Stickstoffgehalts in der Vergangenheit lediglich für die Verbrennung in Öfen und Boilern verwendet worden war (z.B. als Brennstoff für Koksöfen). Die Verbrennung eines Teils (Strom 28 in Figur 1 der D4) des Hochofen­gicht­gases zur Erwärmung des Reduktionsgases 72 (Seite 7, Zeilen 5 bis 6) steht dazu in keinerlei Widerspruch. Mit anderen Worten ist eine Änderung der Zusammensetzung für diese Verwendung nicht erforderlich. Eine Gastrennung bzw. Änderung der Zusammensetzung wird auf Seite 7 ebenfalls nicht erwähnt.

Sollte beispielsweise eine andere Verwendung der Gase 22, 26 oder 28 in D4 in Betracht gezogen werden, müsste die Wärme für Erhitzer 30 bzw. für die auf Seite 7 genannten Koksöfen und anderen Verwendungen anderweitig bereitgestellt werden.

Unter diesen Umständen ist eine Veränderung der Zusammensetzung eines der Ströme 22, 26 oder 28 von D4 (so dass CO Hauptkomponente ist) das Ergebnis einer rückschauenden Betrachtung.

Daran ändern auch die Kombinationsdokumente D7 (Figur 2) bzw. D10 (Anspruch 1) nichts. In diesen Dokumenten werden zwar Chemieprodukte (D7: synthetisches Erdgas GNS in Figur 2; D10: Rohsynthesegas nach Anspruch 1) aus einem CO-reichen Gas hergestellt, aber auch hier müssten für eine Anwendung der Lehre eines der Dokumente D7 oder D10 mehrere Schritte des integrierten Verfahrens der D4 verändert werden. Unter den vorliegenden Umständen würde die Fachperson dies aus den obengenannten Gründen jedoch nicht tun.

Zudem betreffen D7 und D10 im Gegensatz zum Merkmal, dass der zweite Nutzgasstrom nur aus Hochofengichtgas, Konvertergas oder Koksofengas besteht, die Verwendung einer Mischung von mehreren Gasen aus einem Hüttenwerk als Nutzgas.

3.6 Während der mündlichen Verhandlung hat die Beschwerdeführerin die Aufgabe nur noch als die Bereitstellung eines alternativen Verfahrens angesehen.

Doch selbst bei dieser Aufgabenstellung würde die Fachperson den hochintegrierten Prozess der D4 aus den obengenannten Gründen nur mithilfe einer rückschauenden Betrachtung derart ändern, dass CO Hauptbestandteil eines im Wesentlichen H2-freien zweiten Nutzgases ist.

3.7 Aus den gleichen Gründen ist auch der Gegenstand der abhängigen Ansprüche erfinderisch.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

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