T 0150/23 (Formstück/BÄNNINGER) of 18.7.2024

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2024:T015023.20240718
Datum der Entscheidung: 18 Juli 2024
Aktenzeichen: T 0150/23
Anmeldenummer: 08158478.1
IPC-Klasse: B32B 27/32
B32B 27/18
F16L 9/133
B32B 1/08
F16L 11/04
B32B 27/08
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: FORMSTÜCK AUS KUNSTSTOFF
Name des Anmelders: Bänninger Kunststoff-Produkte GmbH
Name des Einsprechenden: Aquatherm GmbH
Kammer: 3.3.06
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 56
RPBA2020 Art 012(5)
Schlagwörter: Hauptantrag - Erfinderische Tätigkeit - (nein)
Ermessen Vorbringen nicht zuzulassen - Voraussetzungen des Art. 12 (3) VOBK 2020 erfüllt (nein)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
T 1220/21
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerde der Einsprechenden richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, den Einspruch gegen das europäische Patent Nr. 2 050 564 zurückzuweisen.

II. Der erteilte Anspruch 1 in der von der Beschwerdeführerin vorgelegten Merkmalsgliederung hat den folgenden Wortlaut:

M 1.1 Formstück aus Kunststoff zum Herstellen von

Rohrleitungen mit einem im Querschnitt

mehrschichtigen Aufbau,

M 1.2 wobei das Formstück einen dreischichtigen

Aufbau aufweist,

M 1.3 wobei das Formstück zumindest eine Innenschicht

und

M 1.4 zumindest eine Barriereschicht aufweist,

M 1.5 wobei die Barriereschicht von einer Außenschicht

allseitig umfasst ist,

M 1.6 wobei das Formstück aus Polypropylene-Random-

Crystalline-Temperaturbeständigen Material

(PP-R-CT) hergestellt ist und

M 1.7 wobei das PP-R-CT-Polypropylenmaterial eine

Kristallstruktur mit in beta-Form kristallisierten

Polypropylen aufweist,

M 1.8 wobei die Außenschicht und die Barriereschicht

aus PP-R-CT-Polypropylenmaterial hergestellt

ist,

M 1.9 wobei das Formstück neben der ersten

Barriereschicht aus einem kristallinem und/oder

nukleiertem Polymer zumindest eine zweite

Barriereschicht aufweist.

III. Mit der Beschwerdebegründung brachte die Beschwerdeführerin unter anderem vor, der Gegenstand von Anspruch 1 sei nicht erfinderisch ausgehend von D1 (EP 1 145 844) und unter Berücksichtigung von D2 (Gard et al., "PP-RCT: A NEW MATERIAL CLASS FOR PLUMBING AND HEATING APPLICATIONS", Plastic Pipe Conference, 2.-5.10.2006, Washington DC, USA).

IV. Mit der Beschwerdeerwiderung vom 28. Juli 2023 reichte die Patentinhaberin und Beschwerdegegnerin vier Hilfsanträge ein.

V. Am 18. Juli 2024 fand die mündliche Verhandlung vor der Kammer statt. Die abschließenden Anträge der Parteien waren wie folgt:

Die Beschwerdeführerin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents.

Die Beschwerdegegnerin beantragte, die Beschwerde zurückzuweisen, hilfsweise, das Patent in geänderter Form auf Basis eines der mit der Beschwerdeerwiderung eingereichten Hilfsanträge 1 bis 4 aufrechtzuerhalten.

Entscheidungsgründe

1. Auslegung von Anspruch 1

Die Kammer legt den Anspruch so aus, dass ein Formstück gemäß Anspruch 1 auch mehr als drei und insbesondere vier Schichten aufweisen kann, nämlich die Innenschicht, die Außenschicht und zwei dazwischenliegende Barriereschichten. Dieser Auslegung hat die Beschwerdegegnerin ausdrücklich zugestimmt (Seite 2 der Beschwerdeerwiderung, vorletzter Absatz).

2. Hauptantrag - Erfinderische Tätigkeit

2.1 Die beanspruchte Erfindung betrifft mehrschichtige Formstücke aus Kunststoff zur Herstellung von Rohrleitungen.

2.2 Dl betrifft ebenfalls solche Formstücke und kommt als nächstliegender Stand der Technik für die Würdigung der erfinderischen Tätigkeit in Betracht. Auch wenn die Beschwerdegegnerin in der mündlichen Verhandlung vorgebracht hat, dass D7 (EP 1 260 546) besser geeignet sei, hat sie nicht bestritten, dass das Vorliegen einer erfinderischen Tätigkeit auch ausgehend von D1 beurteilt werden kann.

Dokument D1 offenbart ein mindestens dreischichtiges Kunststoffrohr (Ansprüche 1 und 3), das die Merkmale 1.1-1.5 aufweist. Insbesondere ist die mittlere Schicht als Füllstoffe enthaltende Barriereschicht ausgebildet, welche die Migration von Additiven aus der Innen- in die Außenschicht verhindern. Sämtliche Schichten bestehen aus PP-R Material, und damit nicht aus PP-R-CT, so dass die Merkmale 1.6-1.8 nicht offenbart sind. Ferner wird keine zweite Barriereschicht offenbart (Merkmal 1.9). Die Art und Anzahl der Unterscheidungsmerkmale war nicht strittig.

2.3 Das Streitpatent (Absatz 0006) stellt sich die Aufgabe, ein Formstück zur Verfügung zu stellen, welches gegenüber dem Stand der Technik verbesserte mechanische Eigenschaften bei höheren Temperaturen aufweist. Weiter wird in Absatz 0015 beschrieben, dass durch die zweite Barriereschicht eine weitere Reduzierung der Immigration der Additive aus der Innenschicht erreicht werden kann. Dementsprechend formulierte die Beschwerdegegnerin in der mündlichen Verhandlung die Aufgabe als die Bereitstellung eines Formstücks mit höherer Stabilität und einer verbesserten Additiveinbindung.

2.4 Dabei handelt es sich laut der Beschwerdegegnerin nicht um Teilaufgaben, deren Naheliegen unabhängig voneinander geprüft werden könne, sondern um eine gemeinsame Aufgabe, denn die erhöhte Festigkeit, die aus der Verwendung von PP-R-CT resultiere, erlaube eine Reduzierung der Wandstärke, die es erst ermögliche, eine zweite Barriereschicht vorzusehen. Ferner habe diese zweite Barriereschicht wiederum Auswirkungen auf die Festigkeit des Rohrs, denn die Barrierewirkung gegen die Migration der in der Innenschicht vorhandenen Füllstoffe beruhe auf den in die Barriereschicht eingebrachten Füllstoffen, wie zum Beispiel Glasfasern, die die Festigkeit der Schicht und damit des Formstücks erhöhten.

Als Lösung für diese Aufgabe schlage das Streitpatent ein Formstück vor, dessen Schichten aus PP-R-CT basieren und das eine zweite Barriereschicht aufweist.

Keine der Entgegenhaltungen lege diese Lösung nahe. So lehre D2 höchstens die Verwendung von PP-R-CT, aber nicht das Vorsehen einer zweiten Barriereschicht. Auch die übrigen Entgegenhaltungen lehrten nicht, in einem Formstück das Material PP-R-CT und zwei Barriereschichten einzusetzen. Darüber hinaus löse D1 die Aufgabe bereits, so dass keine Motivation für weitere Verbesserungen bestünde.

2.5 Die Kammer ist von dem grundlegenden Argument der Beschwerdegegnerin, das Formstück gemäß Anspruch 1 löse eine gemeinsame Aufgabe, nicht überzeugt, denn es beruht auf Merkmalen, die nicht im Anspruch stehen. So definiert der Anspruch keine Schichtdicken, so dass das Argument, die Verwendung von PP-R-CT erlaube den Einsatz geringerer Schichtdicken, was es wiederum möglich mache, eine zweite Barriereschicht vorzusehen, im Hinblick auf den beanspruchten Gegenstand keinen Effekt über die gesamte Anspruchsbreite bewirkt. Ferner erwähnt der Anspruch weder die Additive in der Innenschicht, deren Migration die Barriereschicht(en) verhindern sollten, noch die zu diesem Zweck in die Barriereschicht einzubringenden Füllstoffe, so dass auch dieses Argument nicht überzeugt. Zudem hat die Beschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung zutreffend darauf hingewiesen, dass der Einsatz von Glasfasern die Barriereschicht verstärken würde, aber der Einsatz anderer Füllstoffe, wie zum Beispiel Glasmehl, zumindest nicht verstärkend wirken würde, so dass ein technischer Zusammenhang der Unterscheidungsmerkmale und ihrer Effekte nicht erwiesen ist, zumindest nicht über den kompletten beanspruchten Bereich.

Insofern kommt die Kammer wie die Beschwerdeführerin zu dem Ergebnis, dass zwei unabhängige Teilaufgaben vorliegen, die getrennt voneinander geprüft werden können, nämlich zum einen die Erhöhung der mechanischen Stabilität und zum anderen die Erhöhung der Barrierewirkung, wenn man zugunsten der Beschwerdegegnerin davon ausgeht, dass zwei Barriereschichten zu einer solchen Erhöhung führen, obwohl der Anspruch die Dicken der Barriereschichten offen lässt, siehe oben.

2.6 Die erste Teilaufgabe wird anspruchsgemäß durch den Einsatz von PP-R-CT in allen Schichten gelöst. Diese Lösung wird jedoch durch D2 nahegelegt, denn dieses Dokument offenbart, dass PP-R-CT gegenüber PP-R verbesserte mechanische Eigenschaften aufweist, wobei als Anwendungsgebiet speziell der Rohrleitungsbau genannt wird. Somit wäre es naheliegend für die Fachperson, das in Dl verwendete herkömmliche PP-R gegen den verbesserten Werkstoff PP-R-CT auszutauschen, um die mechanischen Eigenschaften der Rohrleitung zu verbessern.

2.7 Die Beschwerdegegnerin hat bestritten, dass D2 die Fachperson dazu anregen würde, das Polymermaterial in allen Schichten der in Dl offenbarten Rohrleitungen auszutauschen. Insbesondere offenbare D2 nicht, dass PP-R-CT mit den Additiven und Füllstoffen nach Dl verträglich sei. Auch die Einspruchsabteilung hat ihre Entscheidung damit begründet, D2 lege nicht nahe, in allen Schichten des aus Dl bekannten Rohrs PP-R-CT einzusetzen.

2.8 Dieses Argument überzeugt jedoch nicht, weil D2 offenbart in allgemeiner Form, dass PP-R-CT gegenüber PP-R verbesserte Eigenschaften hat und sagt voraus, dass in Zukunft Rohre aus dem verbesserten Material hergestellt werden würden ("This is now set to change (...)", zweiter Absatz der Zusammenfassung). Das Dokument macht dabei keinerlei Vorbehalte etwa der Art, dass das Material nur in bestimmten Schichten oder nicht in Verbindung mit bestimmten Additiven oder Füllstoffen eingesetzt werden könne. Vielmehr betrifft das Dokument nicht nur einzelne Schichten, sondern Rohre bzw. den Rohrleitungsbau im Allgemeinen ("Pipes produced from this material (...)") so dass die Fachperson angenommen hätte, dass das neue Material auch mit gängigen Füllstoffen kompatibel ist. Zumindest gibt D2 keinen Anlass zu diesbezüglichen Zweifeln.

2.9 Somit gelangt der Fachmann ausgehend von D1 durch Berücksichtigung der Lehre von D2 in naheliegender Weise zu einem Formstück mit den Merkmalen 1.1-1.8.

2.10 Was die zweite Aufgabe angeht, ist die Kammer der Ansicht, dass es für die Fachperson naheliegend ist, die Barrierewirkung dadurch zu erhöhen, dass zwei Barriereschichten eingesetzt werden. Die Formulierung "mindestens drei Schichten" in Anspruch 1 von Dl legt bereits nahe, dass weitere Schichten eingebaut werden können, wenn eine entsprechende Funktionalität gewünscht ist. Steht der Fachmann vor der Aufgabe, die Barrierewirkung weiter zu erhöhen, stehen hierfür mehrere naheliegende Lösungen zu Verfügung, wie die Vergrößerung der Schichtdicke der vorhandenen Schicht, aber auch das Hinzufügen einer zweiten Barriereschicht gleicher oder ähnlicher Zusammensetzung. Eine solche Maßnahme ist für die Kammer jedoch nicht erfinderisch, so dass der Hauptantrag nicht gewährbar ist.

2.11 Das Argument, D1 löse die erfindungsgemäße Aufgabe bereits, so dass keine Veranlassung für weitere Verbesserungen bestehe, ist ebenfalls nicht überzeugend. Die Ratio des Aufgabe-Lösungsansatzes sieht vor, als Ausgangspunkt ein Dokument aus dem gleichen technischen Gebiet auszuwählen, das idealerweise auf die Lösung der gleichen oder einer ähnlichen Aufgabe gerichtet ist. Die Tatsache, dass ein solches Dokument zur Verfügung steht, kann jedoch nicht als Indiz für das Vorliegen einer erfinderischen Tätigkeit gewertet werden. Vielmehr sucht die Fachperson immer nach Alternativen und/oder weiteren Verbesserungen.

2.12 Im Ergebnis steht der Einspruchsgrund der Artikel 100 a), 56 EPÜ daher der Aufrechterhaltung des Streitpatents in der erteilten Fassung entgegen.

3. Hilfsanträge 1-4

Die Kammer hat ihr Ermessen unter Artikel 12(3),(5) VOBK 2020 dahingehend ausgeübt, die Hilfsanträge nicht zum Verfahren zuzulassen, denn sie sind nicht ausreichend substantiiert.

3.1 Die Kammer in anderer Besetzung hat unter Punkt 4.3 der Entscheidung T 1220/21 aufgeführt, welche Angaben in der Regel notwendig sind, damit ein Antrag das Erfordernis von Artikel 12(3) VOBK 2020 erfüllt. So sollte die Patentinhaberin unter anderem angeben, welche Einwände durch die Änderungen adressiert werden, und begründen, warum die Änderungen geeignet sind, die Einwände auszuräumen. Ausführungen hierzu fehlen in der Beschwerdeerwiderung und im gesamten Beschwerdeverfahren jedoch gänzlich.

3.2 In der o.g. Entscheidung wird unter Punkt 4.3.2 weiter ausgeführt, dass die Kammer bei der Ausübung ihres Ermessens im Falle unzureichender Substantiierung normalerweise berücksichtigen wird, wenn Sinn und Zweck der Änderungen unter den Umständen des konkreten Falls selbsterklärend sind. Dies ist vorliegend jedoch nicht der Fall, denn wie in der vorläufigen Meinung der Kammer ausgeführt, scheint keine der Änderungen prima facie geeignet, die gegen den Hauptantrag vorgebrachten Einwände auszuräumen. Dies ist von der Beschwerdegegnerin nicht bestritten worden.

3.3 Unter diesen Umständen hat die Kammer ihr Ermessen unter Artikel 12(3),(5) VOBK 2020 dahingehend ausgeübt, die Hilfsanträge 1-4 nicht zum Verfahren zuzulassen.

4. Da der Hauptantrag nicht gewährbar ist und die Hilfsanträge nicht zum Verfahren zugelassen werden, ist das Patent zu widerrufen.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Das Patent wird widerrufen.

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