T 2464/22 () of 1.10.2024

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2024:T246422.20241001
Datum der Entscheidung: 01 October 2024
Aktenzeichen: T 2464/22
Anmeldenummer: 08707642.8
IPC-Klasse: B60R 13/08
E04C 2/16
C04B 26/28
D04H 1/4209
D04H 1/64
F16L 59/04
C04B 111/28
D04H 1/76
C04B 111/52
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: VERFAHREN UND VORRICHTUNG ZUR HERSTELLUNG EINES FORMTEILS SOWIE FORMTEIL ALS WÄRME- UND/ODER SCHALLDÄMMELEMENT
Name des Anmelders: ROCKWOOL A/S
Name des Einsprechenden: URSA Insulation S.A.
Kammer: 3.2.01
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 100(b)
European Patent Convention Art 83
European Patent Convention Art 123(2)
European Patent Convention Art 113(1)
European Patent Convention R 111(2)
Rules of procedure of the Boards of Appeal 2020 Art 011
European Patent Convention R 103(1)(a)
Schlagwörter: Einspruchsgründe - mangelhafte Offenbarung (nein)
Änderungen - unzulässige Erweiterung (nein)
Rechtliches Gehör - Verletzung (ja)
Rechtliches Gehör - wesentlicher Verfahrensmangel (ja)
Angefochtene Entscheidung - begründet (nein)
Angefochtene Entscheidung - wesentlicher Verfahrensmangel (ja)
Zurückverweisung - (ja)
Rückzahlung der Beschwerdegebühr - (ja)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
G 0003/14
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerde der Einsprechenden richtet sich gegen die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung, wonach das Streitpatent in der geänderter Fassung des in der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung gestellten Hilfsantrags 2 EPÜ-konform ist.

II. Folgende Entgegenhaltungen sind für diese Entscheidung relevant:

D1: DE 10147527 A1,

D2: DE 4213388 A1,

D8: US 6659756 B2,

D9: US 6291064 B1,

D10: US 2007020446 A1,

D11: US 5578535 A,

D12: US 4840755 A,

D13: DE 10324735 B3,

D14: DE 202005008687 U1, und

D15: US 4401610 A.

III. In ihrer Entscheidung stellte die Einspruchsabteilung hinsichtlich der aufrechterhaltenen Fassung unter anderem fest, dass:

- die Erfindung ausreichend offenbart sei;

- Anspruch 2 keinen Gegenstand darstelle, der über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgehe; und

- der Gegenstand des Anspruchs 1 im Hinblick auf die folgenden Kombinationen auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe:

- D1 mit Fachwissen oder D2; oder

- D8 bis D12, jeweils mit Fachwissen;

Zum Gegenstand des Anspruchs 16, der dem erteilten Anspruch 22 entspricht, schweigt die angefochtene Entscheidung.

IV. In ihrer Mitteilung gemäß Artikel 15(1) VOBK (Verfahrensordnung der Beschwerdekammern, Amtsblatt EPA 2024, A15) vom 5. August 2024 legte die Kammer ihre vorläufige Auffassung dar. Insbesondere war die Kammer in Übereinstimmung mit der Einspruchsabteilung in ihrer Entscheidung der Ansicht, dass die Erfindung ausreichend offenbart sei und der Gegenstand des geänderten Patents nicht über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgehe. Darüber hinaus stellte die Kammer fest, dass in der angefochtenen Entscheidung nicht über die im Einspruchsverfahren geltend gemachten Angriffe mangelnder erfinderische Tätigkeit ausgehend von D2, D13, D14 oder D15 in Kombination mit dem Fachwissen entschieden wurde. Da somit ein wesentlicher Mangel vorzuliegen schien, informierte die Kammer die Parteien, dass sie beabsichtige, die Sache unter Rückzahlung der Beschwerdegebühr nach Regel 103(1)a) EPÜ an die Einspruchsabteilung zurückzuverweisen. Sie wies ferner darauf hin, dass die Kammer, falls die Parteien ihren Antrag auf mündliche Verhandlung zurückziehen, eine Entscheidung im Sinne ihrer Mitteilung erlassen werde.

V. Mit Schriftsatz vom 15. August 2024 nahm die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) ihren Antrag auf mündliche Verhandlung zurück.

Mit Eingabe vom 26. August 2024 änderte die Beschwerdeführerin (Einsprechende) ihren Antrag auf mündliche Verhandlung dahingehend, dass vor einer Entscheidung der Kammer über die Zurückverweisung der Sache an die Einspruchsabteilung, zunächst keine mündliche Verhandlung und eine solche gegebenenfalls erst nach einer Entscheidung über die Einspruchsgründe nach Artikel 100b) und c) EPÜ, beantragt wird.

VI. Die im schriftlichen Verfahren gestellten Anträgen lauten wie folgt.

Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) beantragt, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent zu widerrufen. Außerdem beantragt sie die Rückzahlung der Beschwerdegebühr nach Regel 103(1)a) wegen wesentlicher Verfahrensmängel.

Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragt, die Beschwerde der Einsprechenden zurückzuweisen (Hauptantrag).

Darüber hinaus beantragt sie implizit und hilfsweise, das Patent im Umfang der im Einspruchsverfahren anhängigen Hilfsanträge 3 bis 6 aufrechtzuerhalten. Insoweit beantragt sie lediglich die Zurückverweisung der Sache an die Einspruchsabteilung (siehe Seite 43, letzter Absatz ff. der Beschwerdeerwiderung).

VII. Die unabhängigen Ansprüche 1, 2 und 16 gemäß Hauptantrag lauten wie folgt (Merkmalsgliederung durch die Kammer).

Anspruch 1

1a,b) Verfahren zur Herstellung eines als Wärme- und/oder

Schalldämmelement ausgebildeten Formteils aus Mineralfasern,

1c) bei dem die Mineralfasern als Flocken und/oder

Granulate agglomeriert

1d) mit oder ohne Bindemittel in eine Form eingefüllt sind,

1e) mit vorbestimmter Schüttdichte und/oder vorbestimmtem

Flächengewicht und/oder vorbestimmtem Bindemittelanteil,

1f) und anschließend als Formteil gepresst werden,

dadurch gekennzeichnet, dass

1g) aus den Flocken und/oder Granulaten Formteile mit einem

Flächengewicht zwischen 200 und 7.500 g/m2 hergestellt werden.

Anspruch 2 (Unterschiede zum erteilten Anspruch 2 in Fettdruck)

2a,b) Verfahren zur Herstellung eines als Wärme- und/oder

Schalldämmelement ausgebildeten Formteils aus Mineralfasern,

2c) bei dem die Mineralfasern als Flocken und/oder

Granulate agglomeriert

2d) auf einem Förderelement abgelegt werden, das

Bestandteil des Formteils wird,

dadurch gekennzeichnet, dass

2e) ein Teil des Förderelementes mit darauf angeordneten

Mineralfasern, während oder nach dem Pressvorgang abgetrennt wird, und dass

2f) das Förderelement aus einem Faservlies ausgebildet

wird.

Anspruch 16

16a) Formteil

16b) als Wärme- und/oder Schalldämmelement,

16c) hergestellt mit einem Verfahren nach einem der

Ansprüche 1 bis 15,

16d) bestehend aus Mineralfasern, die als Flocken und/oder

Granulate agglomeriert

16e) mit oder ohne Bindemittel in einer Form und/oder auf

einer Auflage angeordnet sind,

16e1) mit vorbestimmter Schüttdichte

16e2) und/oder vorbestimmtem Flächengewicht zwischen 20 und

7.500 g/m2

16e3) und/oder vorbestimmtem Bindemittelanteil

16f) und durch Druck miteinander verbunden sind,

dadurch gekennzeichnet, dass

16g) die Flocken und/oder Granulate mit der Auflage oder der

Form verbunden sind.

Entscheidungsgründe

1. Anspruch 1 des Hauptantrags entspricht dem erteilten Anspruch 1. Anspruch 2 des Hauptantrags unterscheidet sich vom erteilten Anspruch 2 dadurch, dass er noch Merkmal 2f enthält.

Anspruch 16 des Hauptantrags entspricht dem erteilten Anspruch 22.

2. Ausreichende Offenbarung

2.1 Das Patent offenbart die Erfindung so deutlich und vollständig, dass ein Fachmann sie ausführen kann (Artikel 100b) und 83 EPÜ).

2.2 Die Beschwerdeführerin wiederholte im Wesentlichen die Argumente, die die Einspruchsabteilung in ihrer Entscheidung ordnungsgemäß geprüft hatte.

Sie machte geltend, dass der Fachmann vor der vermutlich recht schwierigen und mühsamen Aufgabe stehe, herauszufinden, wie er bindemittelfreie Flocken und/oder Granulate herstellen könne (Ansprüche 1 und 16), geschweige denn, was genau unter Mineralfaserflocken und -granulaten zu verstehen sei. Das Patent offenbare keine bindemittelfreie alternative Methode zur Herstellung der benötigten Mineralfaserflocken. Die einzige Lehre darüber, wie die angeblich neuen und erfinderischen Flocken und/oder Granulate zu erhalten seien, scheine in der kurzen Aufzählung möglicher Ausgangsstoffe in den Absätzen [0010] und [0011] zu bestehen. Der dem Fachmann abverlangte Aufwand stelle sicherlich eine unzumutbare Belastung dar. Ein detailliertes Verfahren zur Herstellung solcher Flocken und/oder Granulate fehle im Streitpatent.

Die von der Einspruchsabteilung insoweit als ausreichend angesehene Lehre, die in Absatz [0011] des Patents offenbart sei, könne dem Fachmann nicht weiterhelfen. Die dortige Offenbarung erkläre nicht, was unter "mechanischen Verbindungen" von Mineralfasern zur Bindung der Flocken und/oder Granulate - wie in Anspruch 15 angegeben - zu verstehen sei, sondern vielmehr, dass mechanisch gebundene Fasern eine Alternative zur Verwendung von Flocken und Granulaten seien. Die Entscheidung sei daher insoweit unzutreffend.

Infolgedessen könne der Fachmann die Erfindung nach Anspruch 15 auch nicht ausführen.

Das Streitpatent offenbare auch nicht, wie ein Formteil ohne Verwendung eines Bindemittels hergestellt werden könne, was implizit durch Anspruch 2 und explizit durch die Ansprüche 1 und 16 des Hauptantrags abgedeckt sei. Es bleibe dem Fachmann überlassen herauszufinden, wie ein Formteil aus Mineralfasern ohne Bindemittel hergestellt werde könne, insbesondere wenn die Flocken und Granulate selbst kein (geeignetes) Bindemittel enthielten. Dies führe auch zu einem Problem der unzureichenden Offenbarung.

2.3 Die Einschätzung der Einspruchsabteilung in der Entscheidung und die der Beschwerdegegnerin in der Beschwerdeerwiderung sind zutreffend.

Unter Agglomeration von Mineralfasern für die Wärme- und/oder Schalldämmung versteht man in der Verfahrenstechnik die Vergrößerung eines Partikels (Kornvergrößerung oder Stückigmachen), damit die agglomerierten Partikel geblasen oder geschüttet werden können. Dabei können die Fasern zu Flocken, Granulaten oder Perlen agglomeriert werden.

Diese unterscheiden sich bekanntlich in ihrer Form und Größe. Wie sie hergestellt werden können, wird in den Absätzen [0010] und [0011] des Streitpatents außerdem erläutert.

Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin beschreibt die Passage in Absatz [0011] des Streitpatents keine Alternative zur Verwendung von Flocken und/oder Granulaten, sondern legt dar, dass eine alternative Herstellungsmethode darin besteht, die Mineralfasern durch mechanische Verfestigung, z. B. durch Vernadeln oder Verfilzen, zu Flocken und/oder Granulaten zu verbinden, so dass auf die Zugabe von Bindemitteln verzichtet werden kann. Damit ist auch die Erfindung nach Anspruch 15 ausreichend offenbart.

Die Frage der ausreichenden Offenbarung, wie ein Fachmann ein Formteil ohne Bindemittel herstellen kann, hat die Beschwerdeführerin erstmals in der Beschwerdebegründung aufgeworfen.

Die diesbezügliche Zulassungsrüge der Beschwerdegegnerin kann dahingestellt bleiben, da sie aus den nachfolgenden Gründen in der Sache nicht durchgreift.

Der Beschwerdegegnerin ist darin zuzustimmen, dass das Patent, wenn in seiner Gesamtheit betrachtet, nicht auf die Herstellung eines Formteils ohne Bindemittel gerichtet ist, sondern auf die Herstellung eines Formteils aus Mineralfasern mit dem erforderlichen Bindemittel (siehe z.B. Absätze [0008], [0012] und [0014]).

Der Einwand der Beschwerdeführerin richtet sich daher gegen ihrer Ansicht nach fehlende Merkmale in den Ansprüchen, insbesondere betreffend das erforderliche Bindemittel, um die Mineralfasern der Flocken und/oder Granulate zur Herstellung des beanspruchten, als Wärme- und/oder Schalldämmelement ausgebildeten Formteils miteinander zu binden (dies geschieht patentgemäß durch Aushärtung des Bindemittels während des Pressvorgangs durch Druck und/oder Temperatur). Das Fehlen wesentlicher Merkmale in den Ansprüchen ist jedoch eine Frage des Artikels 84 EPÜ und nicht des Artikels 83 EPÜ. Nach G 3/14 ist dieser Einwand daher im Einspruchs(beschwerde)verfahren nicht zur Prüfung offen.

3. Unzulässige Erweiterung

3.1 Der Gegenstand des Anspruchs 2 geht über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung nicht hinaus (Artikel 123(2) EPÜ).

3.2 Der Anspruch 2 entspricht dem ursprünglich eingereichten Anspruch 2 mit dem zusätzlichen Merkmal 2f), nämlich: "und dass das Förderelement aus einem Faservlies ausgebildet wird.".

Die Einspruchsabteilung kam zu dem Schluss, dass der Gegenstand des Anspruchs 2 auf den Ansprüchen 2 und 40 der ursprünglich eingereichten Anmeldung basiere (vgl. A-Schrift der Anmeldung).

3.3 Die Beschwerdeführerin argumentierte, dass der ursprüngliche Anspruch 40, der von dem ursprünglichen Anspruch 39 abhängig sei, sich nicht auf ein Verfahren, sondern nur auf eine Vorrichtung beziehe. Es gebe keine offensichtliche Verbindung zwischen diesen Ansprüchen und dem Verfahrensanspruch 2, außer dass die Vorrichtung für die Durchführung des Verfahrens nach Anspruch 2 nützlich sein könnte. Außerdem enthalte Anspruch 39 als wesentliches Element eine Kompressionsvorrichtung, die in Anspruch 2 ebenfalls fehle.

So beziehe sich der Anspruch 2 des Hauptantrags auf eine bestimmte Merkmalskombination, die als solche in der ursprünglich eingereichten Anmeldung nicht offenbart sei. Der Umstand, dass in der ursprünglich eingereichten Fassung der Anmeldung - unter Bezugnahme auf den zweiten Absatz auf Seite 14 - die mögliche Relevanz der Wahl eines Faservlieses als Förderelement in keiner Weise erläutert werde, mache es zudem unmöglich, die Relevanz oder fehlende Relevanz der spezifischen Rollen 19, der Vorratsrolle 21 oder der Kompressionsvorrichtung (29/30) im Hinblick auf diese spezifische Wahl des Materials für das Förderelement zu beurteilen.

3.4 Dies ist aus folgenden Gründen nicht überzeugend:

Die Verbindung mit dem Verfahrensanspruch 2 ist durch den Wortlaut im Anspruch 39 "vorzugsweise mit einem Verfahren nach einem der Ansprüche 2 bis 14" eindeutig manifestiert.

Außerdem umfasst das Verfahren nach Anspruch 2 einen Pressvorgang durch das Merkmal 2e ("...während oder nach dem Pressvorgang"), d.h. einen Kompressionsvorgang wie im ursprünglich eingereichten Anspruch 39.

Folglich ergibt sich der Gegenstand des Anspruchs 2 unmittelbar und eindeutig aus den ursprünglich eingereichten Ansprüchen 2 und 40, so dass die angefochtenen Entscheidung insoweit richtig ist.

4. Schwerwiegender Verfahrensfehler

4.1 Zum materiellen Patentrecht führte die Einspruchsabteilung in der angefochtenen Entscheidung unter anderem aus, dass der Gegenstand von Anspruch 1, der dem erteilten Anspruch 1 entspricht, hinsichtlich folgender Kombinationen auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe:

- D1 mit Fachwissen oder D2; oder

- D8 bis D12, jeweils mit Fachwissen;

Zum Gegenstand des Anspruchs 16, der dem erteilten Anspruch 22 entspricht, schweigt die angefochtene Entscheidung.

4.2 Die Beschwerdeführerin hatte im Hinblick auf Anspruch 1 zusätzlich vorgebracht, dass der Gegenstand von Anspruch 1 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit ausgehend von D2, D13, D14 oder D15, jeweils in Kombination mit dem allgemeinen Fachwissen beruhe.

4.3 Diese Angriffe finden sich nicht nur in der Beschwerdebegründung, sondern waren bereits Bestandteil der Einspruchsschrift (siehe Punkte IV.1.2, IV.1.4 bis IV.1.6) sowie der Eingabe vom 28. April 2022 (siehe Punkte 3.1.2, 3.1.4 bis 3.1.6). Diese Angriffe wurden auch zu keinem Zeitpunkt des Einspruchsverfahrens zurückgenommen.

4.4 Die Einspruchsabteilung hat hierzu jedoch keine begründete Entscheidung getroffen.

4.5 Nach Regel 111(2) EPÜ sind Entscheidungen des Europäischen Patentamts, die mit der Beschwerde angefochten werden können, zu begründen.

Gemäß Artikel 113(1) EPÜ dürfen Entscheidungen des Europäischen Patentamts nur auf Gründe gestützt werden, zu denen sich die Beteiligten äußern konnten.

Nach ständiger Rechtsprechung der Beschwerdekammern schließt die Begründungspflicht nach Regel 111(2) EPÜ den Grundsatz des rechtlichen Gehörs ein, der nicht nur das Recht umfasst, sich zu äußern, sondern auch das Recht darauf, dass diese Äußerung gebührend berücksichtigt wird. Das Vorbringen einer Partei im Einspruchsverfahren ist daher in der nachfolgenden Entscheidung zu berücksichtigen (vgl. Rechtsprechung der Beschwerdekammern des EPA, 10. Auflage 2022, III.K.3.4.2).

4.6 Da die angefochtene Entscheidung zu den vorgenannten Angriffe schweigt und die Kammer daher nicht in der Lage ist, die Entscheidung insoweit gerichtlich zu überprüfen, ist gegen Artikel 113(1) und Regel 111(2) EPÜ verstoßen worden. Diese Verletzung stellt einen wesentlichen Verfahrensmangel dar.

4.7 Das für den Gegenstand von Anspruch 1 Gesagte gilt in gleicher Weise auch für den Gegenstand von Anspruch 16 (erteilter Anspruch 22), im Hinblick auf welchen die Beschwerdeführerin in der Einspruchsschrift und in der Eingabe vom 28. April 2022 Einwände mangelnder Neuheit und erfinderischer Tätigkeit in Bezug auf bzw. ausgehend von D1, D17, D15 und D18 erhobenen hatte (siehe Punkte IV.22.1 bis IV.22.4 der Einspruchsschrift und Punkte 3.4.1 und 3.4.2 der genannten Eingabe).

5. Zurückverweisung

5.1 Gemäß Artikel 11 VOBK verweist eine Kammer die Angelegenheit nur dann zur weiteren Entscheidung an das Organ zurück, das die angefochtene Entscheidung erlassen hat, wenn besondere Gründe dafür sprechen. Besondere Gründe liegen in der Regel vor, wenn das Verfahren vor diesem Organ wesentliche Mängel aufweist.

5.2 Im vorliegenden Fall stellt die oben erwähnte Verletzung des rechtlichen Gehörs und der Begründungspflicht einen wesentliche Mangel dar, der eine Zurückverweisung rechtfertigt (siehe Rechtsprechung der Beschwerdekammern des EPA, 10. Auflage 2022, V.A.9.4.4 a)).

6. Rückzahlung der Beschwerdegebühr

6.1 Nach Regel 103(1)a) EPÜ wird die Beschwerdegebühr in voller Höhe zurückgezahlt, wenn der Beschwerde durch die Beschwerdekammer stattgegeben wird und die Rückzahlung wegen eines wesentlichen Verfahrensmangels der Billigkeit entspricht.

6.2 Im vorliegenden Fall sind die Erfordernisse der Regel 103(1)a) EPÜ erfüllt: Die Kammer gibt der Beschwerde statt und ordnet die Rückerstattung der Beschwerdegebühr an, da eine solche Rückerstattung aufgrund des erheblichen Verfahrensfehlers eindeutig der Billigkeit entspricht (siehe Rechtsprechung der Beschwerdekammern des EPA, 10. Auflage 2022, V.A.11.6.9 und 11.6.11 b)(iii)).

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtenen Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Angelegenheit wird an die Einspruchsabteilung zur weiteren Entscheidung zurückverwiesen.

3. Die Beschwerdegebühr wird in voller Höhe zurückgezahlt.

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