European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:2024:T229422.20241211 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 11 Dezember 2024 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 2294/22 | ||||||||
Anmeldenummer: | 14713765.7 | ||||||||
IPC-Klasse: | C08J 5/18 C08L 23/28 C08L 27/06 F16L 58/10 |
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Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | D | ||||||||
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Bezeichnung der Anmeldung: | THERMOPLASTISCHE FOLIE | ||||||||
Name des Anmelders: | L'Isolante K-Flex S.p.A. | ||||||||
Name des Einsprechenden: | Armacell Enterprise GmbH & Co. KG | ||||||||
Kammer: | 3.3.09 | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: |
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Schlagwörter: | Einspruchsgründe - unzulässige Erweiterung (ja) Einspruchsgründe - Klarheit im Einspruchsbeschwerdeverfahren Änderungen - Erweiterung über den Inhalt der Anmeldung in der eingereichten Fassung hinaus (ja) Änderungen - Hauptantrag und Hilfsanträge 1, 2 und 4 Patentansprüche - Klarheit Patentansprüche - Hilfsantrag 3 (nein) |
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Orientierungssatz: |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
I. Die Patentinhaberin (Beschwerdeführerin) legte Beschwerde gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung ein, das Streitpatent zu widerrufen.
II. In ihrer Entscheidung befand die Einspruchsabteilung unter anderem, dass der Einspruchsgrund Artikel 100 (c) EPÜ der Aufrechterhaltung des Streitpatents entgegenstehe. Ferner befand die Einspruchsabteilung, dass auch der Gegenstand von Anspruch 1 der damaligen Hilfsanträge 1 bis 3 (vorliegende Hilfsanträge 1, 2 und 4) über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgehe und somit nicht das Erfordernis von Artikel 123 (2) EPÜ erfülle. Ferner verletze der Gegenstand von Anspruch 1 der damaligen Hilfsanträge 1 und 3 das Erfordernis von Artikel 123 (3) EPÜ.
III. In ihrer Einspruchsschrift hatte die Einsprechende den Widerruf des Patents im gesamten Umfang beantragt, gestützt u.a. auf Artikel 100 (c) EPÜ als Einspruchsgrund.
IV. Mit der Beschwerdebegründung reichte die Beschwerdeführerin 4 Hilfsanträge ein, die dieser Entscheidung, neben dem Patent in erteilter Fassung, zu Grunde liegen.
V. Wortlaut der relevanten Ansprüche
Anspruch 1 wie erteilt lautet:
"Folie aufweisend 10 bis 20 Gewichtsprozent eines thermoplastischen Elastomers, wobei der thermoplastische Elastomer chloriert ist, insbesondere ein chloriertes Polyethylen, 10 bis 20 Gewichtsprozent eines Thermoplasten, wobei der Thermoplast ein auf Chlor basierender Kunststoff ist, weniger als 15 Gewichtsprozent eines Modifiziermittels, wobei das Modifiziermittel ein Harz ist, mit dem insbesondere die mechanischen Eigenschaften der Folie vorgebbar sind, weniger als 20 Gewichtsprozent eines nicht diffundierenden Weichmachers, weniger als 40 Gewichtsprozent eines Füllstoffs sowie weniger als 20 Gewichtsprozent eines flammenhemmenden Materials."
Anspruch 1 des 1. Hilfsantrags weist gegenüber Anspruch 1 wie erteilt folgende (im Text hervorgehobene) Änderungen auf:
"[...] weniger als 20 Gewichtsprozent eines nicht diffundierenden Weichmachers, bis zu 40 Gewichtsprozent eines Füllstoffs sowie 1 bis 15 Gewichtsprozent eines flammenhemmenden Materials."
Anspruch 1 des 2. Hilfsantrags wurde wie folgt geändert:
"[...] weniger als 20 Gewichtsprozent eines nicht diffundierenden Weichmachers, weniger als 20 Gewichtsprozent eines Füllstoffs sowie weniger als 20 Gewichtsprozent eines flammenhemmenden Materials."
Anspruch 1 des 3. Hilfsantrags wurde wiederum wie folgt gegenüber erteiltem Anspruch 1 geändert:
"[...] weniger als 20 Gewichtsprozent eines nicht diffundierenden Weichmachers, [deleted: weniger als 40 Gewichtsprozent ]eines Füllstoffs sowie [deleted: weniger als 20 Gewichtsprozent ]eines flammenhemmenden Materials."
Im 4. Hilfsantrag wurde Anspruch 1 wie folgt geändert:
"[...] [deleted: weniger als] 5-20 Gewichtsprozent eines nicht diffundierenden Weichmachers, 0-40 Gewichtsprozent eines Füllstoffs sowie 1-15 Gewichtsprozent eines flammenhemmenden Materials."
VI. Die für die Entscheidung relevanten Argumente der Parteien werden nachfolgend in den Entscheidungsgründen abgehandelt.
VII. Anträge
Die Beschwerdeführerin beantragte, die angefochtene Entscheidung der Einspruchsabteilung aufzuheben, den Einspruch zurückzuweisen und das Patent wie erteilt aufrechtzuerhalten. Hilfsweise beantragte sie die Aufrechterhaltung des Patents im Umfange eines der Hilfsanträge 1 bis 4, alle eingereicht mit der Beschwerdebegründung.
Die Beschwerdegegnerin (Einsprechende) beantragte die Zurückweisung der Beschwerde.
Entscheidungsgründe
1. Änderungen - Hauptantrag
1.1 Die Kammer ist der Ansicht, dass der Gegenstand von Anspruch 1 wie erteilt über den Inhalt der Anmeldung in ihrer eingereichten Fassung hinausgeht. Gegenüber Anspruch 1 der Anmeldung wie eingereicht wurden vier Änderungen durchgeführt bzw. aufgenommen:
1. "aufweisend" statt "bestehend aus" in Zeile 1
2. "weniger als 40 Gewichtsprozent" kennzeichnend den Füllstoffgehalt
3. "weniger als 20 Gewichtsprozent" eines flammenhemmenden Materials
4. Die resultierende Summe der Mengen der Komponenten Weichmacher, Füllstoff und Flammhemmer als neue Merkmalskombination.
1.2 Als Basis für die erste Änderung kann die auf Seite 2 der Beschreibung der Anmeldung offenbarte Folie dienen. Diese weist die in Anspruch 1 bezeichneten Komponenten aus, wobei offenbart ist, dass die Folie diese Komponenten "aufweist". Beim Ausdruck "eines thermischen Elastomers" handelt es sich hierbei um einen offensichtlichen Fehler. Die Fachperson ergänzt hier eindeutig zu "eines thermoplastischen Elastomers". Somit entspricht dieser Absatz inhaltlich, bis auf die offene Formulierung der Bestandteile der Folie, dem Wortlaut von Anspruch 1. Es kann daher dahinstehen, ob Anspruch 1 im Lichte dieser Passage auszulegen ist, wie dies die Beschwerdeführerin vorträgt.
1.3 Zu untersuchen ist, ob auch die weiteren Änderungen eine Grundlage in den ursprünglichen Unterlagen aufweisen.
1.4 Was jedenfalls die dritte Änderung betrifft, so ist diese weder den Ansprüchen noch der Beschreibung in ihrer eingereichten Fassung zu entnehmen. So bezieht sich der Ausdruck "weniger als 20 Gewichtsprozent" in Anspruch 1 wie eingereicht weder eindeutig auf einen identischen, jeweiligen maximalen Gehalt an nicht-diffundierendem Weichmacher, Füllstoff und flammenhemmendem Material von weniger als 20 Gew.-% noch eindeutig auf die Gesamtmenge von nicht-diffundierendem Weichmacher, Füllstoff sowie flammenhemmendem Material, wie dies die Beschwerdegegnerin richtig vorträgt. Zumindest kann keine unmittelbare und eindeutige Basis für die Anwendung von "weniger als 20 Gewichtsprozent" auf jeweils jede der drei auf diesen Ausdruck folgenden Komponenten und damit auf das flammenhemmende Material, was der dritten in Streit stehenden Änderung entspricht, in Anspruch 1 der Anmeldung abgeleitet werden.
1.5 Eine Menge von "weniger als 20 Gewichtsprozent eines flammenhemmenden Materials" (besagte dritte Änderung) ist der Anmeldung auch in der Beschreibung nicht zu entnehmen. "Weniger als 20 Gewichtsprozent" in der Fügung "weniger als 20 Gewichtsprozent eines nicht diffundierenden Weichmachers, eines Füllstoffs sowie eines flammenhemmenden Materials" auf Seiten 2/3 der Beschreibung der Anmeldung kann sich entweder auf i) auf die Summe aller Komponenten, ii) auf jede derselben oder iii) alternativ lediglich auf den nicht-diffundierenden Weichmacher beziehen. Wie von der Beschwerdegegnerin richtig bemerkt, weist auch die Tabelle auf Seite 4 das Merkmal "weniger als 20 Gewichtsprozent eines flammenhemmenden Materials" nicht aus. Zudem handelt es sich in besagter Tabelle, wie auch auf Seite 5 im sechsten Absatz der Beschreibung, um spezifische flammenhemmende Materialien mit engeren Gewichtsprozent-Bereichen als dem Besagten.
Die Beschwerdeführerin argumentierte, das Bindewort "sowie" in Anspruch 1 bzw. der Passage auf Seite 2 der Beschreibung signalisiere, dass "weniger als 20 Gewichtsprozent" auf jede der drei genannten Komponenten anzuwenden sei. Gemäß Duden sei "sowie" die Bedeutung von "und außerdem", "und auch" und "wie auch" zuzuweisen. Mit diesem Verständnis sei Alternative ii), und damit die in Streit stehende 3. Änderung, gestützt. Durch den Sinn von "sowie" werde insbesondere die letzte Komponente (das flammenhemmende Material) hervorgehoben, so dass für die Fachperson der Bezug von 20 Gewichtsprozent auf jeweils die einzelne Komponente ersichtlich sei. Auch sei ersichtlich aufgrund der erwähnten Bedeutungen von "sowie", dass im Beispiel "weniger als 2 l einer roten Farbe, einer grünen Farbe, und außerdem, und auch, wie auch einer blauen Farbe" die Mengenangabe sich auf die jeweilige Farbe beziehen müsse.
Diese Argumentation der Beschwerdeführerin hält die Kammer nicht für überzeugend. Die Kammer kann der im Duden für "sowie" angegebenen Bedeutung der Verknüpfung der Glieder einer Aufzählung nicht entnehmen, dass im gegebenen Fall "weniger als 20 Gewichtsprozent" zwingend auf jeweils jede der drei Komponenten anzuwenden wäre.
1.6 Aus diesen Gründen ist der Gegenstand von Anspruch 1 der Anmeldung nicht unmittelbar und eindeutig zu entnehmen. Somit steht der Einspruchsgrund gemäß Artikel 100 (c) EPÜ der Aufrechterhaltung des Patents entgegen.
2. Änderungen - 1. Hilfsantrag
2.1 Wie oben in Punkt 1.5 dargelegt, kann sich "weniger als 20 Gewichtsprozent" auf Seite 2/3 der Anmeldung, i) auf die Summe aller Komponenten, ii) auf jede derselben oder iii) alternativ lediglich auf den Weichmacher beziehen.
2.2 Eine unmittelbare und eindeutige Offenbarung des Merkmals "weniger als 20 Gewichtsprozent eines nicht diffundierenden Weichmachers", welche allenfalls durch die o.a. Alternativen ii) oder iii) gestützt wäre, ergibt sich somit nicht.
Ferner führt die Beschwerdegegnerin zu Recht an, dass die Möglichkeit von drei Alternativen bei der Auslegung einer Passage in den ursprünglichen Unterlagen nicht jede dieser Alternativen als in der Anmeldung unmittelbar und eindeutig beschriebene Ausführungsformen der beschriebenen Erfindung offenbart.
2.3 Aus diesen Gründen erfüllt der Gegenstand von Anspruch 1 nicht das Erfordernis von Artikel 123 (2) EPÜ.
3. Änderungen - 2. Hilfsantrag
3.1 Der 2. Hilfsantrag entspricht dem der angefochtenen Entscheidung zugrunde liegenden 2. Hilfsantrag. Dieser wurde mangels eindeutiger Gewährbarkeit nicht zum Einspruchsverfahren zugelassen.
3.2 Die unter Punkt 1 angeführten Überlegungen gelten in gleicher Weise für den Gegenstand von Anspruch 1 des 2. Hilfsantrags. So ergibt sich keine unmittelbare und eindeutige Offenbarung für die o.a. Alternative ii), die allenfalls die Änderung in diesem Antrag stützen könnte. Da der Antrag nach Ansicht der Kammer aus den gleichen Gründen wie der Hauptantrag hinsichtlich der dritten und vierten besagten Änderung in Anspruch 1 nicht das Erfordernis von Artikel 123 (2) EPÜ erfüllt, kann die Frage seiner Zulässigkeit dahingestellt bleiben.
Die Änderungen sind somit der Anmeldung nicht unmittelbar und eindeutig zu entnehmen. Aus diesen Gründen erfüllt der Gegenstand von Anspruch 1 nicht das Erfordernis von Artikel 123 (2) EPÜ.
4. Klarheit der Ansprüche - 3. Hilfsantrag
4.1 Die in Anspruch 1 aufgenommene Änderung beruht auf Seite 2 der ursprünglichen Beschreibung und ist nicht Gegenstand erteilter Ansprüche. Somit ist diese Änderung einem Einwand unter Artikel 84 EPÜ zugänglich (G 3/14). Die Maßgabe "weniger als 20 Gewichtsprozent eines nicht diffundierenden Weichmachers, eines Füllstoffs sowie eines flammenhemmenden Materials" ist jedoch nicht eindeutig. Wie oben ausführlich dargelegt, kann sich die Gehaltsangabe "weniger als 20 Gewichtsprozent" entweder auf die Summe aller Komponenten, auf jede derselben oder alternativ lediglich auf den Weichmacher beziehen. Da für die Fachperson nach Ansicht der Kammer unklar ist, welche dieser Alternativen gemeint ist, ist das Erfordernis der Deutlichkeit nach Artikel 84 EPÜ nicht erfüllt. Ob die Zugrundelegung einer dieser Alternativen eine Beschränkung des Schutzbereichs zur Folge hat, wie dies die Beschwerdeführerin vorträgt, ist dabei unerheblich.
4.2 Auch der kursorische Verweis auf T 268/13 seitens der Beschwerdeführerin führt nach Ansicht der Kammer zu keinem anderen Ergebnis. So betraf T 268/13 u.a. die Frage, ob ein bestimmtes Zeichen im gegebenen Kontext ein Symbol sei oder nicht (Punkt 3 der Entscheidungsgründe). Die T 268/13 zugrunde liegende Fall ist daher mit dem vorliegenden nicht vergleichbar.
4.3 Daher erfüllt der Antrag nicht die Erfordernisse von Artikel 84 EPÜ.
5. Änderungen - 4. Hilfsantrag
5.1 Die Beschwerdeführerin führte an, dass der Gegenstand von Anspruch 1 hinsichtlich der prozentualen Bereiche des nicht-diffundierenden Weichmachers, des Füllstoffs sowie des flammenhemmenden Materials in Ansprüchen 2 bis 4 der Anmeldung unmittelbar und eindeutig offenbart sei. Auch seien die Änderungen in Anspruch 1 durch die auf Seite 4 abgedruckte Tabelle hinsichtlich der einzelnen Bestandteile gestützt. Diese folge in der Logik der auf Seite 2 der Beschreibung offenbarten Filme.
5.2 Die Kammer ist der Ansicht, dass der Ausdruck "0-40 Gewichtsprozent eines Füllstoffs" sich von "dass der Füllstoff bis zu 40 Gewichtsprozent der Folie ausmacht" wie in Anspruch 3 der Anmeldung dadurch unterscheidet, dass im ersteren Falle die Abwesenheit des Füllstoffs mitumfasst ist, im letzeren Falle jedoch nicht. Basis für das Merkmal "0-40 Gewichtsprozent eines Füllstoffs" kann somit nicht Anspruch 3, sondern allenfalls die Tabelle auf Seite 4 darstellen.
Diese Tabelle weist jedoch nur engere Bereiche von "1-10%" bzw. "5-15%" für spezifische flammenhemmende Materialien aus, nicht jedoch einen Bereich von 1 bis 15 (Gew.-)% für jedwedes flammenhemmende Material.
Die Extraktion des Füllstoffgehalts aus dem spezifischen Kontext der Tabelle auf Seite 4 ist hinsichtlich des Erfordernisses von Artikel 123(2) EPÜ zu beanstanden. Die dort angegebenen engeren Mengenbereichsangaben beziehen sich ausschließlich auf bestimmte flammenhemmende Materialien. Eine Kombination des Füllstoffgehalts gemäß dieser Tabelle mit Anspruch 2 oder alternativ die Bildung eines breiten, allgemeinen Bereichs von 1 bis 15 Gew.-% für das flammenhemmende Material auf Basis dieser Tabelle führt daher zu einem Gegenstand in Anspruch 1, der der Anmeldung nicht unmittelbar und eindeutig entnehmbar ist.
5.3 Der Gegenstand von Anspruch 1 erfüllt daher nicht das Erfordernis von Artikel 123 (2) EPÜ.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.