T 2139/22 (Herstellung eines Karosseriebauteils/Benteler Automobiltechnik) of 4.9.2024

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2024:T213922.20240904
Datum der Entscheidung: 04 September 2024
Aktenzeichen: T 2139/22
Anmeldenummer: 17191247.0
IPC-Klasse: B32B 15/01
B21D 22/02
C21D 8/02
C21D 9/46
C21D 1/18
C22C 38/00
C22C 38/02
C22C 38/04
C22C 38/06
C22C 38/18
C22C 38/28
C22C 38/32
B21D 22/26
C21D 8/00
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: VERFAHREN ZUR HERSTELLUNG EINES KAROSSERIEBAUTEILS MIT REDUZIERTER RISSNEIGUNG
Name des Anmelders: Benteler Automobiltechnik GmbH
Name des Einsprechenden: ArcelorMittal
Kammer: 3.3.05
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 123(2)
European Patent Convention Art 84
Schlagwörter: Änderungen - unzulässige Erweiterung (ja)
Patentansprüche - Klarheit (nein)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
G 0003/14
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die vorliegende Beschwerde der Einsprechenden (nun Beschwerdeführerin) richtet sich gegen die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung, dass das europäische Patent EP 3 296 104 B1 auf Basis des dann anhängigen Hilfsantrags 1 die Erfordernisse des EPÜ erfülle.

II. Das Streitpatent bezieht sich auf Verfahren zur Herstellung eines Karosseriebauteils mit reduzierter Rissneigung.

III. Anspruch 1 der aufrechterhaltenen Fassung (nun Hauptantrag) lautet wie folgt:

"Verfahren zur Herstellung eines Karosseriebauteils (1) aus Manganstahlblech umfassend die Schritte:

* Bereitstellung eines Manganstahlblechs (10) aus einer Legierung, die neben Eisen und erschmelzungsbedingten Verunreinigungen folgende Elemente in Gew.-% umfasst:

Kohlenstoff 0,15 bis 0,4

Silizium 0,1 bis 1,0

Mangan 0,8 bis 2,0

Phosphor und Schwefel maximal jeweils 0,05

Aluminium maximal 0,15

Chrom 0,05 bis 0,5

Titan 0,05 bis 0,5 und

Bor 0,0013 und 0,0050

und das Manganstahlblech (10) eine Hauptlage (11) und wenigstens eine Außenlage (12, 13) aus dem gleichen Stahlwerkstoff aufweist,

wobei der Kohlenstoffgehalt in der Außenlage (12, 13) durch eine geeignete Vorbehandlung, nämlich eine entkohlende Behandlung, reduziert ist, wobei die Hauptlage (11) einen C-Gehalt in Gew.-% von 0,15 bis 0,4 aufweist und die Außenlage (12, 13) eine Lagendicke (Da) zwischen 15 mym und 100 mym sowie einen gegenüber der Hauptlage (11) um wenigstens 10 % reduzierten C-Gehalt aufweist,

* Erwärmen auf größer als die Ac3-Temperatur zum Zwecke der Austenitisierung des Manganstahlblechs (10) in einer Erwärmungszeit von weniger als 30 Sekunden,

* Transfer des erwärmten Manganstahlblechs (10) in ein kaltes und/oder gekühltes Formwerkzeug (22),

* Umformen des erwärmten Manganstahlblechs (10) in dem Formwerkzeug (22),

* Formhärten im gekühlten Formwerkzeug (22) zum Karosseriebauteil (1), wobei beim Formhärten eine

Rm > 1300 MPa sowie ein Biegewinkel gemäß Plättchenbiegeversuch nach VDA 238-100 eingestellt wird, der > 65° bei einer Blechstärke <=1,5 mm, > 55° bei einer Blechstärke zwischen 1,5 mm und 2,5 mm und

> 50° bei einer Blechstärke >=2,5 mm beträgt."

IV. Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 unterscheidet sich von dem des Hauptantrags darin, dass folgendes Merkmal am Ende des Anspruchs angefügt ist:

"* wobei das Umformen und Formhärten in einem gekühlten Formwerkzeug (22) in einer Härtezeit innerhalb von weniger als 20 Sekunden durchgeführt wird."

Anspruch 1 des Hilfsantrags 2 unterscheidet sich von dem des Hauptantrags darin, dass folgendes Merkmal am Ende des Anspruchs angefügt ist:

"* wobei ein einziges lineares Transfersystem das Manganstahlblech (10) zum Erwärmen, Umformen und Formhärten transferiert und die Transferzeit weniger als 5 Sekunden, insbesondere 2 bis 4 Sekunden, beträgt."

Hilfsantrag 3 ist eine Kombination der Hilfsanträge 1 und 2.

Anspruch 1 des Hilfsantrags 4 unterscheidet sich von dem des Hauptantrags darin, dass folgendes Merkmal am Ende des Anspruchs angefügt ist:

"* wobei das Erwärmen durch Kontakt des Manganstahlblechs (10) mit einer beheizten oder heißen Kontaktplatte durchgeführt wird."

Hilfsantrag 5 ist eine Kombination der Hilfsanträge 3 und 4, mit angepasster Reihenfolge der Merkmale.

V. Die Beschwerdeführerin ist unter anderem der Auffassung, dass der Hauptantrag die Erfordernisse der Artikel 123(2) und 84 EPÜ nicht erfülle und dies auch für die Hilfsanträge gelte.

VI. Die Patentinhaberin (nun Beschwerdegegnerin) ist der Auffassung, dass diese Erfordernisse erfüllt seien.

VII. In ihrer Mitteilung gemäß Artikel 15(1) VOBK (14. Juni 2024) war die Kammer der vorläufigen Meinung, dass keiner der Anträge die Erfordernisse der Artikel 123(2) und 84 EPÜ erfülle und das Streitpatent voraussichtlich zu widerrufen sei.

VIII. Mit ihrer Eingabe vom 11. Juli 2024 nahm die Beschwerdegegnerin ihren Antrag auf eine mündliche Verhandlung zurück. Daraufhin hob die Kammer die Ladung zur mündlichen Verhandlung auf (19. August 2024).

IX. Die Beschwerdeführerin beantragte, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent zu widerrufen.

Die Beschwerdegegnerin beantragte, die Beschwerde zurückzuweisen (Hauptantrag), und hilfsweise das Patent auf der Grundlage eines der Hilfsanträge 1-5, eingereicht mit der Beschwerdeerwiderung, aufrechtzuerhalten.

Entscheidungsgründe

1. Notwendigkeit einer mündlichen Verhandlung

1.1 Die Beschwerdegegnerin hat ihren Antrag auf mündliche Verhandlung zurückgenommen (Punkt VIII.). Die Beschwerdeführerin hat eine mündliche Verhandlung nur für den Fall beantragt, dass die Beschwerde zurückgewiesen wird. Diese Bedingung ist vorliegend - wie im Folgenden dargelegt - nicht eingetreten.

1.2 Daher bestand aufgrund der vorliegenden Antragslage keine Notwendigkeit für eine mündliche Verhandlung.

Hauptantrag

2. Artikel 123(2) EPÜ

2.1 Anspruch 1 des Hauptantrags enthält unter anderem folgendes, im Vergleich zu Anspruch 7 in der ursprünglich eingereichten Fassung zusätzlich aufgenommenes Merkmal (durch Hervorhebungen durch die Kammer kenntlich gemacht): "und das Manganstahlblech (10) eine Hauptlage (11) und wenigstens eine Außenlage (12, 13) aus dem gleichen Stahlwerkstoff aufweist, wobei der Kohlenstoffgehalt in der Außenlage (12, 13) durch eine geeignete Vorbehandlung, nämlich eine entkohlende Behandlung, reduziert ist". Dieses Merkmal stützt sich auf Seite 3, dritter Absatz, der Beschreibung der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung. Dort wurde jedoch ausdrücklich offenbart, dass "erfindungsgemäß die Außenlage aus dem gleichen Stahlwerkstoff gebildet ist, welcher lediglich in deren [sic] Kohlenstoffgehalt durch eine geeignete Vorbehandlung reduziert ist" (Hervorhebung durch die Kammer).

2.2 Das Weglassen des Worts "lediglich" bewirkt, dass der Unterschied zwischen dem Stahlwerkstoff in der Außenlage und der Hauptlage nun nicht mehr auf einen unterschiedlichen Kohlenstoffgehalt beschränkt ist.

Die Beschwerdegegnerin bestreitet nicht, dass die genannte Offenbarung in der Beschreibung der ursprünglich eingereichten Fassung ausdrückt, dass nur der Kohlenstoffgehalt durch eine geeignete Vorbehandlung reduziert ist (Beschwerdeerwiderung, siehe den die Seiten 9 und 10 verbindenden Absatz). Ihrer Auffassung nach sei es jedoch nicht notwendig, das Wort "lediglich" im Anspruchswortlaut zu wiederholen, da die Vorbehandlung explizit als entkohlende Behandlung definiert sei (ibid.). Die Beschwerdegegnerin sieht es als implizit an, dass eine entkohlende Behandlung lediglich den Kohlenstoffgehalt reduziere.

2.3 Diese Argumente der Beschwerdegegnerin sind nicht überzeugend. Der Einschub "nämlich eine entkohlende Behandlung" verlangt, dass die Vorbehandlung eine Entkohlung bewirkt, beschränkt diese jedoch nicht darauf. Die Entkohlung kann ohne weitere Angaben nicht so verstanden werden, dass lediglich eine Reduktion des Kohlenstoffgehalts erfolgt, d.h. ein Einfluss auf andere Legierungselemente auszuschließen ist. Ferner ist Anspruch 1 offen definiert ("umfassend die Schritte"), so dass weitere Vorbehandlungsschritte, die sich beispielsweise auf die Zusammensetzung der Außenlage auswirken könnten, ebenfalls nicht ausgeschlossen sind.

2.4 Daher geht der Gegenstand von Anspruch 1, in dem der Unterschied zwischen dem Stahlwerkstoff in der Außenlage und der Hauptlage nicht auf einen unterschiedlichen Kohlenstoffgehalt beschränkt ist, nicht unmittelbar und eindeutig aus der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hervor.

2.5 Die Erfordernisse des Artikel 123(2) EPÜ sind nicht erfüllt.

3. Artikel 84 EPÜ

3.1 Gemäß G 3/14 kann der Anspruch auf die Erfordernisse des Artikels 84 EPÜ geprüft werden, sofern und soweit eine Änderung einen Verstoß gegen die Erfordernisse des Artikels 84 EPÜ herbeiführt (Leitsatz).

3.2 Im Einspruchsverfahren wurde gegenüber der erteilten Fassung folgendes Merkmal in Anspruch 1 aufgenommen: "wobei der Kohlenstoffgehalt in der Außenlage durch eine geeignete Vorbehandlung, nämlich eine entkohlende Behandlung, reduziert ist."

3.3 Im Kontext des Anspruchs ist unklar, ob dieses Merkmal lediglich das bereitgestellte Manganstahlblech näher definiert, im Sinn eines product-by-process Merkmals, oder ob zusätzlich zum ausdrücklich genannten Schritt der Bereitstellung ein weiterer Schritt der Vorbehandlung definiert werden soll. Zwar ist der Anspruch insgesamt ein Verfahrensanspruch, dies bedeutet jedoch nicht, dass jedes einzelne Merkmal des Verfahrens automatisch als Verfahrensschritt zu verstehen ist. Das strittige Merkmal nimmt einerseits auf Verfahrensschritte Bezug ("Vorbehandlung", "entkohlende Behandlung"), ohne ausdrücklich als Verfahrensschritt formuliert zu sein. Es kann andererseits als resultierende Eigenschaft des Manganblechs im Sinn eines product-by-process Merkmals verstanden werden, ohne ausdrücklich als solches formuliert zu sein.

3.4 Daher sind auch die Erfordernisse des Artikel 84 EPÜ nicht erfüllt.

Hilfsanträge 1-5

4. Unabhängig von der Frage, ob die Hilfsanträge mit den Angaben unter Punkt V der Beschwerdeerwiderung ausreichend substantiiert wurden, adressieren oder beheben keine der Änderungen in den Hilfsanträgen die genannten Einwände unter Artikel 123(2) und 84 EPÜ. Diese Einwände gelten somit ebenfalls für den jeweiligen Anspruch 1 der Hilfsanträge 1-5.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Das Patent wird widerrufen.

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