T 2001/22 () of 4.12.2023

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2023:T200122.20231204
Datum der Entscheidung: 04 Dezember 2023
Aktenzeichen: T 2001/22
Anmeldenummer: 15191202.9
IPC-Klasse: B25J 9/16
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: FLEXIBLES TAKTZEITOPTIMIERTES TEILEN EINES ARBEITSRAUMS FÜR ROBOTER
Name des Anmelders: KUKA Deutschland GmbH
Name des Einsprechenden: -
Kammer: 3.2.07
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 56
European Patent Convention Art 83
European Patent Convention Art 84
European Patent Convention Art 113(1)
European Patent Convention Art 116(1)
European Patent Convention Art 123(2)
Rules of procedure of the Boards of Appeal 2020 Art 012(8)
Schlagwörter: Ausreichende Offenbarung - (ja)
Patentansprüche - Deutlichkeit (ja)
Erfinderische Tätigkeit - (ja)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
T 0011/82
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Anmelderin (Beschwerdeführerin) legte frist- und formgerecht Beschwerde gegen die am 28. Februar 2022 zur Post gegebenen Entscheidung der Prüfungsabteilung ein, mit der die europäische Patentanmeldung 15 191 202.9 zurückgewiesen wurde.

II. Die Anmeldung wurde als nicht patentfähig angesehen, weil sie nicht den Erfordernissen der Artikel 56, 83 und 84 EPÜ genügte.

III. In einer Mitteilung gemäß Artikel 15 (1) VOBK vom 19. September 2023 nahm die Kammer zur Sach- und Rechtslage vorläufig Stellung und erörterte die Patentfähigkeit der Ansprüche gemäß Hauptantrag und den von der Beschwerdeführerin mit der Beschwerdebegründung gestellten Antrag auf Rückzahlung der Beschwerdegebühr nach Artikel 103 (1) a) EPÜ. Gleichzeitig lud die Kammer für den 10. Januar 2024 zur mündlichen Verhandlung.

IV. Mit Schriftsatz vom 29. November 2023 nahm die Beschwerdeführerin ihren Antrag auf Rückzahlung der Beschwerdegebühr zurück.

V. Die Beschwerdeführerin beantragte zuletzt

die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und

die Erteilung eines Patents auf Grundlage der Ansprüche gemäß dem Hauptantrag, erstmalig eingereicht im Prüfungsverfahren mit Schriftsatz vom 8. November 2021 und erneut mit der Beschwerdebegründung,

sowie hilfsweise,

die Erteilung eines Patents auf Grundlage der Ansprüche gemäß einem der Hilfsanträge 1 bis 9, erstmalig eingereicht im Prüfungsverfahren mit Schriftsatz vom 8. November 2021 und erneut mit der Beschwerdebegründung,

sowie weiter hilfsweise,

die Erteilung eines Patents auf Grundlage der Ansprüche gemäß einem der Hilfsanträge 10 bis 19, erstmalig eingereicht im Prüfungsverfahren in der mündlichen Verhandlung am 8. Dezember 2021 und erneut mit der Beschwerdebegründung,

sowie weiter hilfsweise,

die Erteilung eines Patents auf Grundlage der Ansprüche gemäß einem der Hilfsanträge 20 bis 37, erstmalig eingereicht mit der Beschwerdebegründung.

VI. In dieser Entscheidung wird auf folgende Dokumente Bezug genommen:

D1: EP 2 586 574 A1;

D5: Lee B. H. et al., "Collision-free Motion

Planning of Two Robots", IEEE Transactions

on Systems, Man and Cybernetics, IEEE Inc.

New York, US, Bd. 16, Nr. 1, Seiten 21-32,

XP0111611561, ISSN: 0018-9472.

VII. Der unabhängige Anspruch 1 gemäß Hauptantrag lautet:

"Verfahren zum Steuern eines ersten Manipulators (110; 210), insbesondere eines ersten Roboters, der einen Arbeitsraum (130; 230) nicht gleichzeitig mit zumindest einem zweiten Manipulator (120; 220) insbesondere eines zweiten Roboters, teilt, wobei die beiden Manipulatoren jeweils vorgegebene Bewegungsprofile aufweisen,

aufweisend folgende Verfahrensschritte:

a) Bereitstellen von Echtzeitinformation über den Ist-Zustand des Bewegungsprofils des zweiten Manipulators (120; 220), während dieser im Arbeitsraum (130; 230) ist,

b) Bestimmen, basierend auf der bereitgestellten Echtzeitinformation und dem vorgegebenen Bewegungsprofil des zweiten Manipulators (120; 220), der Restdauer, die der zweite Manipulator (120; 220) benötigt um den Arbeitsraum (130; 230) zu verlassen;

c) Anpassen des Bewegungsprofils des ersten Manipulators (110; 210) als Reaktion auf die in Schritt b) bestimmte Restdauer, sodass der erste Manipulator (110; 210) seine Bewegung an die Grenze des Arbeitsraums (130; 230) derart anpasst, dass ein Anhalten des ersten Manipulators (110; 210) vor dem Arbeitsraum (130; 230) vermieden wird, und sodass der erste Manipulator (110; 210) frühestens nach Ablauf der Restdauer in den Arbeitsraum einfährt und vorher nicht an der Grenze zu dem Arbeitsraum anhält und auf eine Freigabe des Arbeitsraumes wartet."

VIII. Der abhängige Anspruch 2 gemäß Hauptantrag lautet:

"Verfahren nach Anspruch 1, wobei die Echtzeitinformation Position, und/oder Geschwindigkeit und/oder Kräfte und/oder Momente umfasst."

IX. Ein Wiedergabe der Hilfsanträge ist angesichts des vorliegenden Entscheidungsausspruchs nicht erforderlich.

X. Das entscheidungserhebliche Vorbringen der Beschwerdeführerin wird im Detail in den Entscheidungsgründen diskutiert.

Entscheidungsgründe

1. Verfahrensrechtliche Aspekte

1.1 Die vorliegende Entscheidung ergeht im schriftlichen Verfahren ohne mündliche Verhandlung gemäß Artikel 12 (8) VOBK unter Wahrung der Verfahrensrechte der Verfahrensbeteiligten nach Artikel 113 und 116 EPÜ.

1.2 Der Grundsatz des rechtlichen Gehörs nach Artikel 113 (1) EPÜ ist uneingeschränkt beachtet, da die Verfahrensbeteiligte umfangreich zur Sache vorgetragen und die Kammer diesen Vortrag ihrer Entscheidung zugrunde gelegt hat.

1.3 Der von der Verfahrensbeteiligten hilfsweise gestellte Antrag auf mündliche Verhandlung gemäß Artikel 116 (1) EPÜ steht unter der Bedingung, dass die Kammer nicht schon ihrem Antrag, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und auf Grundlage des erstmalig im Prüfungsverfahren mit Schriftsatz vom 8. November 2021 eingereichten Hauptantrags ein Patent zu erteilen, stattgibt.

1.4 Da die Kammer mit der vorliegenden Entscheidung dem Hauptantrag der Beschwerdeführerin als Verfahrensbeteiligte folgt, wird der vorgenannte hilfsweise gestellte Antrag auf mündliche Verhandlung verfahrensrechtlich nicht wirksam.

1.5 Der Termin zur mündlichen Verhandlung am 10. Januar 2024 wird aufgehoben.

2. Erfordernisse des Artikels 83 EPÜ

2.1 In Punkt 3. der Entscheidungsgründe stellte die Prüfungsabteilung fest, dass der Wortlaut des Anspruchs 2 gemäß Hauptantrag, nämlich dass

"die Echtzeitinformation Position, und/oder Geschwindigkeit und/oder Kräfte und/oder Momente umfasst"

dazu führe, dass die Erfordernisse des Artikels 83 EPÜ nicht erfüllt seien.

2.2 Sie begründete dies damit, dass Anspruch 2 eine Interpretation zulasse, in der die Echtzeitinformation die Position nicht umfasse. Die aktuelle Position des zweiten Manipulators sei aber (zwingend) notwendig, um die betreffende Restdauer zu bestimmen.

2.3 Die Beschwerdeführerin wendete jedoch zurecht ein, dass Anspruch 2 eine nicht abschließende Auflistung der Größen angibt, die von der Echtzeitinformation umfasst sind. Die Fachperson wird entsprechend alle aus ihrer Sicht notwendigen Echtzeitinformationen berücksichtigen, die zur Bestimmung der Restdauer notwendig erscheinen, auch wenn diese in der in Anspruch 2 angegebenen Auswahl nicht genannt sind.

2.4 Die Kammer ist zudem davon überzeugt, dass die Kenntnis der jeweils aktuellen Position des zweiten Manipulators nicht zwingend notwendig ist, um die betreffende Restdauer zu bestimmen. Es ist vielmehr möglich, die Position des zweiten Manipulators aus anderen Größen zu ermitteln.

2.5 Anspruch 2 erfüllt daher die Erfordernisse des Artikels 83 EPÜ.

3. Erfordernisse des Artikels 84 EPÜ

3.1 Die Prüfungsabteilung stellte in Punkt 4.1 fest, dass in Anspruch 1 gemäß Hauptantrag der Begriff "Arbeitsraum" verwendet werde, dieser in der Robotik aber eine eigene Bedeutung habe und den Raum bezeichne, in dem der Roboter selbst sich bewegen könne. Anspruch 1 erfülle nicht die Erfordernisse des Artikels 84 EPÜ, weil der Anspruch 1 verlange, dass ein erster Manipulator einen Arbeitsraum nicht gleichzeitig mit zumindest einem zweiten Manipulator teile, also, dass der erste (oder der zweite) Manipulator zeitweise den Arbeitsraum verlasse.

3.2 Für das enge Verständnis des Begriffs "Arbeitsraum" gibt es jedoch keinen Anlass. Der Begriff "Arbeitsraum" ist aus dem Wortlaut erkennbar nicht nur auf einen der beiden Manipulatoren bezogen, sondern auf beide. Die Fachperson versteht den Anspruch unmittelbar so, dass es sich bei dem erwähnten "Arbeitsraum" um einen Raumabschnitt handelt, der von beiden Manipulatoren genutzt werden kann. Dabei besteht offenkundig die Einschränkung, dass nicht beide Manipulatoren gleichzeitig innerhalb dieses Raumabschnitts anwesend sind.

3.3 Die Kammer teilt ebenfalls nicht die Feststellung der Prüfungsabteilung in Punkt 4.2 der Entscheidungsgründe, dass das Merkmal

"wobei die vorher definierte Bedingung ein Unterschreiten einer vorher definierten Restdauer beinhaltet, die der zweite Manipulator (120; 220) benötigt um den Arbeitsraum (130; 230) zu verlassen, und/oder ein Unterschreiten einer vorher definierten räumlichen Distanz des zweiten Manipulators (120; 220) zur Arbeitsraumgrenze beinhaltet"

des Anspruchs 8 gemäß Hauptantrag zu einer Unklarheit führe.

3.4 Wie von der Beschwerdeführerin zutreffend auf Seite 9, Absätze 4 und 5, der Beschwerdebegründung vorgetragen, ist Anspruch 8 auf Anspruch 7 zurückbezogen und konkretisiert eine vorher definierte Bedingung zu Bereitstellungen von Echtzeitinformation und/oder der bestimmten Restdauer. Daraus ergibt sich auch vor dem Hintergrund der Zweckangabe in Anspruch 1 gemäß Hauptantrag, auf den jedenfalls beide Ansprüche rückbezogen sind, nicht die Möglichkeit, dass der erste Manipulator in den gemeinsamen Arbeitsraum einfährt, obwohl sich der zweite Manipulator darin befindet.

3.5 Der Hauptantrag erfüllt folglich die Erfordernisse des Artikels 84 EPÜ.

4. Erfordernisse des Artikels 56 EPÜ

4.1 Die Prüfungsabteilung traf hinsichtlich des Hauptantrags keine Feststellungen zu Artikel 52 (1) EPÜ. Ihre Feststellungen zu Artikel 56 EPÜ hinsichtlich der Ansprüche 1 und 10 gemäß Hilfsantrag 10 sind jedoch gleichermaßen auf die Gegenstände der Ansprüche 1 bzw. 10 gemäß Hauptantrag zutreffend, da sich die Formulierung der Ansprüche lediglich in der Konkretisierung des Begriffs "Arbeitsraum" zu "gemeinsamer Arbeitsraum" unterscheidet, diese Konkretisierung bzw. Klarstellung aber bei der Erörterung der erfinderischen Tätigkeit nicht relevant ist.

4.2 Die Prüfungsabteilung stellte fest, dass der Gegenstand von Anspruch 1 (und entsprechend auch von Anspruch 10) gemäß Hilfsantrag 10 ausgehend von der Lehre des Dokuments D1 in Kombination mit dem allgemeinen Fachwissen nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht. Als Beleg für das allgemeine Fachwissen zog die Prüfungsabteilung das Dokument D5 heran.

4.3 Es ist unstreitig und aus Sicht der Kammer zutreffend, dass sich der Gegenstand von Anspruch 1 (und folglich auch von Anspruch 10) gemäß Hilfsantrag 10 von der Lehre des Dokuments D1, wie in Punkt 9.2 der Entscheidungsgründe festgestellt, zumindest durch die beiden folgenden Merkmale unterscheidet:

"b) Bestimmen, basierend auf der bereitgestellten Echtzeitinformation und dem vorgegebenen Bewegungsprofil des zweiten Manipulators (120; 220), der Restdauer, die der zweite Manipulator (120; 220) benötigt um den Arbeitsraum (130; 230) zu verlassen;

c) Anpassen des Bewegungsprofils des ersten Manipulators (110; 210) als Reaktion auf die in Schritt b) bestimmte Restdauer, sodass der erste Manipulator (110; 210) seine Bewegung an die Grenze des Arbeitsraums (130; 230) derart anpasst, dass ein Anhalten des ersten Manipulators (110; 210) vor dem Arbeitsraum (130; 230) vermieden wird, und sodass der erste Manipulator (110; 210) frühestens nach Ablauf der Restdauer in den Arbeitsraum einfährt und vorher nicht an der Grenze zu dem Arbeitsraum anhält und auf eine Freigabe des Arbeitsraumes wartet."

4.4 Diese Merkmale ergeben sich nicht aus der Offenbarung des Dokuments D5. Insbesondere ist aus Dokument D5 kein Bestimmen der Restdauer bekannt, die der zweite Manipulator benötigt, um den mit dem ersten Manipulator geteilten Arbeitsraum zu verlassen.

4.5 Es ist für die Kammer auch sonst nicht nachvollziehbar, weshalb sich die oben genannten Unterscheidungsmerkmale aus dem allgemeinen Fachwissen ergeben sollten.

4.6 Bereits deshalb kann nach Verständnis der Kammer die Fachperson ausgehend von Dokument D1 und vor dem Hintergrund des allgemeinen Fachwissens (oder der Lehre des Dokuments D5) nicht in naheliegender Weise zu den Gegenständen der Ansprüche 1 und 10 gemäß Hilfsantrag 10 gelangen.

4.7 Diese Überlegungen treffen angesichts der Erwägungen in Punkt 4.1 der vorliegenden Entscheidung in gleicher Weise für den Hauptantrag zu.

5. Im Ergebnis ist daher die angefochtene Entscheidung aufzuheben.

6. Weitere Patentierungsvoraussetzungen

6.1 Die Prüfungsabteilung stellte zu Hilfsantrag 10 fest, dass dieser die Erfordernisse des Artikels 123 (2) EPÜ erfüllt (siehe Punkt 6 der Gründe der angefochtenen Entscheidung). Dies trifft aus Sicht der Kammer ebenfalls auf den Hauptantrag zu, da sich der Hilfsantrag 10 lediglich in einer begrifflichen Konkretisierung vom Hauptantrag unterscheidet.

6.2 Die Prüfungsabteilung traf zudem weiter keine Feststellungen zu Artikel 54 EPÜ, weder zum Hauptantrag noch hinsichtlich Hilfsantrag 10. Anspruch 1 gemäß Hauptantrag ist auch aus Sicht der Kammer offenkundig neu gegenüber dem im Verfahren vorliegenden Stand der Technik.

6.3 Die angefochtene Entscheidung und die Anträge der Beschwerdeführerin beruhen auf der Beschreibung und den Zeichnungen in der ursprünglich eingereichten Fassung.

6.4 Im vorliegenden Fall gelangt die Kammer zu der Überzeugung, dass der in den vorliegenden Unterlagen angeführte Stand der Technik der Erfindung hinreichend nahekommt, so dass die Öffentlichkeit in der Lage ist, die Erfindung und ihre etwaigen vorteilhaften Wirkungen aus der Beschreibung jederzeit zu verstehen (vgl. T 11/82).

6.5 Die Kammer stellt ferner fest, dass die Beschreibung in der ursprünglichen Fassung die Ansprüche gemäß Hauptantrag stützt. Es besteht daher keine Notwendigkeit, die Beschreibung an den vorliegenden Anspruchssatz des Hauptantrags anzupassen, um die Erfordernisse des Artikels 84 EPÜ im vorliegenden Fall zu erfüllen.

6.6 Es sind folglich keine Hindernisse offenkundig, die einer Erteilung eines Patents entgegenstehen.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Angelegenheit wird an die Prüfungsabteilung mit der Anordnung zurückverwiesen, ein Patent mit folgender Fassung zu erteilen:

Ansprüche: 1 bis 10 gemäß Hauptantrag,

eingereicht mit der Beschwerdebegründung;

Beschreibung: Seiten 1 bis 12 der ursprünglich

eingereichten Unterlagen;

Zeichnungen: Figuren 1 bis 3 der ursprünglich

eingereichten Unterlagen.

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