T 1914/22 () of 23.9.2024

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2024:T191422.20240923
Datum der Entscheidung: 23 September 2024
Aktenzeichen: T 1914/22
Anmeldenummer: 17156613.6
IPC-Klasse: E04B 1/94
E04C 2/24
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
Download und weitere Informationen:
Text der Entscheidung in DE (PDF, 392 KB)
Alle Dokumente zum Beschwerdeverfahren finden Sie im Register
Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: BRANDSCHUTZBESCHICHTUNG
Name des Anmelders: Owens Corning Intellectual Capital, LLC
Name des Einsprechenden: SILCART S.P.A.
Kammer: 3.2.07
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 83
European Patent Convention Art 123(2)
European Patent Convention Art 56
Schlagwörter: Ausreichende Offenbarung - (ja)
Änderungen - Erweiterung über den Inhalt der Anmeldung in der eingereichten Fassung hinaus (nein)
Erfinderische Tätigkeit - (ja)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
G 0003/14
T 1011/01
T 0206/13
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Einsprechende (Beschwerdeführerin) legte form- und fristgerecht Beschwerde gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung ein, mit welcher festgestellt wurde, dass unter Berücksichtigung der von der Patentinhaberin im Einspruchsverfahren vorgenommenen Änderungen das europäische Patent Nr. 3 363 959 und die Erfindung, die es zum Gegenstand hat, den Erfordernissen des Übereinkommens genügen.

II. In einer Mitteilung nach Artikel 15 (1) VOBK teilte die Kammer den Parteien ihre vorläufige Beurteilung der Sach- und Rechtslage mit, wonach voraussichtlich die Beschwerde zurückzuweisen sein dürfte.

III. Am 23. September 2024 fand die mündliche Verhandlung vor der Kammer statt. Zu den Einzelheiten des Verlaufs wird auf das Protokoll verwiesen.

IV. Die Beschwerdeführerin beantragte zuletzt:

die Aufhebung der angefochtene Entscheidung und

den vollständigen Widerruf des Patents.

V. Die Patentinhaberin (Beschwerdegegnerin) beantragte zuletzt

die Zurückweisung der Beschwerde,

d.h. die Aufrechterhaltung des Patents in der von der Einspruchsabteilung als den Erfordernissen des EPÜ genügend erachteten geänderten Fassung, hilfsweise

bei Aufhebung der angefochtenen Entscheidung,

die Aufrechterhaltung des Patents auf Basis des Hilfsantrags 1 oder des Hilfsantrags 2, beide eingereicht mit der Beschwerdeerwiderung.

VI. Der unabhängige Anspruch 1 gemäß aufrechterhaltener Fassung (Hauptantrag) lautet wie folgt (die in der angefochtenen Entscheidung sowie in der Beschwerdebegründung verwendete Merkmalsgliederung wurde durch die Kammer hinzugefügt):

"Rückenschicht (2) für eine Wärmeisolierplatte umfassend

1a) eine Entkopplungsschicht (30) mit einer ersten

Hauptfläche und eine der ersten Hauptfläche abgewandten zweiten Hauptfläche,

1b) wobei die Entkopplungsschicht (30) ein oder mehrere

Fasern und/oder Vliese umfasst, die ausgewählt sind aus der Gruppe bestehend aus Glasfaservlies, Polyestervlies, Glasgewebevlies, Glasgelegevlies und Glasfaser-/Polyester-Gemisch-Vlies,

1c) eine Verstärkungsschicht (20), die auf der ersten

Hauptfläche der Entkopplungsschicht (30) aufgebracht und mit dieser verbunden ist,

1d) wobei die Verstärkungsschicht (20) anorganische Salze

in einer Menge von wenigstens 50 Gew.-%, bezogen auf das Gesamtgewicht der Verstärkungsschicht (20), aufweist; und

1e) eine Brandschutzschicht (40), die auf der zweiten

Hauptfläche der Entkopplungsschicht (30) aufgebraucht und mit dieser verbunden ist,

1f) dadurch gekennzeichnet, dass die Brandschutzschicht

(40) ein expansives Graphit (A) mit einer mittleren Teilchengröße D50 < 150 µm in einer Menge von 3 bis 10 Gew.-% und

1g) ein expansives Graphit (B) mit einer mittleren

Teilchengröße D50 von 180 bis 500 µm in einer Menge von 20 bis 50 Gew.-%, jeweils bezogen auf das Gesamtgewicht der Brandschutzschicht (40), aufweist."

Der Wortlaut der Hilfsanträge 1 und 2 ist für die vorliegende Entscheidung nicht relevant.

VII. In dieser Entscheidung wird auf die folgenden Dokumente Bezug genommen:

D5: EP 2 942 193 A1

D6: WO 2005/003254 A1

D13: "Expandable Graphite Test Report", SILCART,

10. Dezember 2021, 6 Seiten

D18: Jürgen Müller, "Eigenschaften von expandiertem

Graphit mit verschiedenen Korngrößen",

28. Januar 2022, 4 Seiten

VIII. Das entscheidungserhebliche Vorbringen der Parteien wird im Detail in den Entscheidungsgründen diskutiert.

Entscheidungsgründe

1. Ausführbarkeit - Artikel 83 EPÜ

1.1 Die Einspruchsabteilung war der Auffassung, dass die Erfordernisse der ausreichenden Offenbarung erfüllt sind, auch wenn kein Bindemittel im Anspruch 1 des Hauptantrags beansprucht wird. Die Einspruchsabteilung argumentierte, dass der Fachmann in der Lage ist, zwischen nacharbeitbaren Ausführungsformen und solchen, die bedeutungslos sind, zu unterscheiden (Punkt II.18 der angefochtenen Entscheidung).

1.2 Die Beschwerdeführerin argumentiert, dass das Streitpatent zwar die Anwesenheit eines Bindemittels zur Bildung der expandierbaren Graphit enthaltenden Schicht lehre, der Fachmann jedoch nicht in der Lage sei, sich vorzustellen, welche anderen Lösungen zur Bildung einer stabilen Schicht erreicht werden könnten, da expandierbarer Graphit eine körnige Verbindung sei, die als solche keine Schicht bilden könne.

Die Beschwerdeführerin ist der Ansicht, dass die Anwesenheit eines Bindemittels in der expandierbaren Graphitschicht die einzige in der Beschreibung offenbarte Ausführungsform darstelle, so dass es sich um ein wesentliches Merkmal handele, das in Anspruch 1 fehle.

Wie beispielsweise aus den Entscheidungen T 1011/01 oder T 206/13 ableitbar sei, müsse jede Ausführungsform der Erfindung, wie sie im weitesten Anspruch definiert sei, auf der Grundlage der Offenbarung realisierbar sein, sodass die Anforderungen an die ausreichende Offenlegung nur dann erfüllt seien, wenn die Offenlegung der Erfindung es dem Fachmann ermögliche, ohne unzumutbare Mühe im Wesentlichen alle Ausführungsformen durchzuführen, die von der beanspruchten Erfindung abgedeckt seien.

Deswegen sei die Erfindung nicht ausreichend offenbart.

1.3 Die Kammer ist von den Argumenten der Beschwerdeführerin nicht überzeugt.

Gemäß der Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts ist die ausreichende Offenbarung einer Erfindung anhand der Gesamtoffenbarung zu beurteilen.

Diese Gesamtoffenbarung ist an eine Fachperson adressiert, die die im Patent enthaltenen Informationen durch ihr allgemeines Fachwissen vervollständigen kann (Rechtsprechung der Beschwerdekammern, 10. Auflage 2022, "RdB" im folgenden, II.C.4.1).

Die vorliegende Erfindung ist so deutlich und vollständig offenbart, dass eine Fachperson sie ausführen kann, auch wenn das Bindemittel nicht ausdrücklich im Anspruch 1 erwähnt wird, gerade weil die Beschreibung des Streitpatents die allgemein in diesem technischen Gebiet bekannte Verwendung eines Bindemittels in der expandierbaren Graphitschicht offenbart, siehe Absatz [0058].

Der Verweis auf die Entscheidungen T 1011/01 und T 206/13 ist insoweit nicht entscheidend, weil nach ständiger Rechtsprechung die Aufnahme des Bindemittels in den Anspruch nur unentbehrlich gewesen wäre, wenn die Fachperson, der das allgemeine Fachwissen unmittelbar zur Verfügung steht, nicht in der Lage wäre, die Erfindung ohne erfinderisches Zutun in die Praxis umzusetzen.

Kann die Fachperson unter Berücksichtigung der gesamten Offenbarung und des allgemeinen Fachwissens erschließen, was funktioniert und was nicht, ist eine beanspruchte Erfindung hinreichend offenbart, auch wenn eine breite Auslegung auch einen Gegenstand einschließen könnte, der nicht funktioniert (RdB, II.C.5.4).

Im vorliegenden Fall hat die Beschwerdeführerin nicht überzeugend erklärt, warum die Fachperson nicht in der Lage sein sollte, die Ausführungsformen direkt zu erkennen und auszuschließen, die offenkundig nicht funktionsfähig sind, weil sie kein Bindemittel enthalten.

Die Begründung der angefochtenen Entscheidung, Punkt II.18, wird somit als zutreffend angesehen.

1.4 Es wird ferner angemerkt, dass das Fehlen eines wesentlichen Merkmales, wie von der Beschwerdeführerin behauptet, keinen Einwand mangelnder Ausführbarkeit betrifft, sondern einen Einwand mangelnder Klarheit im Sinne von Artikel 84 EPÜ. Da das angeblich fehlende Merkmal bereits in Anspruch 1 des Patents in der erteilten Fassung fehlt, insbesondere im Hinblick auf die in Anspruch 1 des Patents in der erteilten Fassung enthaltenen Merkmale der Brandschutzschicht, die expansives Graphit aufweist, kann der Einwand mangelnder Klarheit im Beschwerdeverfahren nicht geprüft werden (vgl. G 3/14). Auch aus diesem Grund sind die Argumente der Beschwerdeführerin bezüglich mangelnder Ausführbarkeit nicht überzeugen.

2. Änderungen - Artikel 123(2) EPÜ

2.1 Punkt II.22 der angefochtenen Entscheidung befasst sich mit den Änderungen des Anspruchs 1 des Hauptantrags durch Aufnahme spezifischer Mengenbereiche für die Graphite A und B.

Die Einspruchsabteilung war der Auffassung, dass keine unzulässige Erweiterung vorhanden sei, weil der Fachmann aus den letzten beiden Sätzen des Absatzes [0051] der A1-Veröffentlichung der Anmeldung des Streitpatents klar und unmittelbar entnähme, dass die beiden engsten Mengenbereiche für die Graphite (A) und (B) zum besten Ergebnis führten.

2.2 Die Beschwerdeführerin kritisiert die oben zusammengefassten Feststellungen mit den folgenden Argumentationslinien.

2.2.1 Die Beschwerdeführerin argumentiert, dass aus Absatz [0051] der A1-Veröffentlichung klar hervorgehe, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 die Zusammensetzung von zwei unterschiedlichen und voneinander getrennten Ausführungsformen sei.

Entgegen den Feststellungen der angefochtenen Entscheidung gehe der Anspruchsgegenstand über den Inhalt der ursprünglichen Anmeldung hinaus weil Absatz [0051] keinen Hinweis enthalte, dass die beanspruchten Mengen an Graphit A und Graphit B in irgendeiner Weise zu kombinieren seien.

2.2.2 Für den Fall, dass Absatz [0051] als Basis für die Kombination dieser spezifischer Mengenbereiche gelten sollte, machte die Beschwerdeführerin während der mündlichen Verhandlung zum ersten Mal im Verfahren weiter geltend, dass der Anspruchsgegenstand trotzdem über den Inhalt der ursprünglichen Anmeldung hinausginge aufgrund einer unzulässigen Zwischenverallgemeinerung.

Grund dafür sei, dass das in diesem Absatz bevorzugte Gewichtsverhältnis von expansivem Graphit (B) zu expansivem Graphit (A) 4:1 bis 8:1 nicht beansprucht sei. Aus den Tabellen des Streitpatents gehe klar hervor, dass die entsprechenden Mengen der Graphite A und B in Zusammenhang mit deren Verhältnis stehe, um die erwünschten Eigenschaften der Brandschutzschicht bzw. der Rückenschicht zu erreichen.

2.3 Die Kammer kann sich den Argumenten der Beschwerdeführerin aus den folgenden Gründen nicht anschließen.

2.3.1 Gemäß der Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts ist bei der Beurteilung der Zulässigkeit von Änderungen der Gesamtinhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung zu berücksichtigen (RdB, II.E.1.2.1).

Die Fachperson erkennt ausgehend von Absatz [0051] der A-Veröffentlichung unmittelbar und eindeutig, aufgrund dessen Formulierung, dass die beanspruchten Mengenbereiche für die Graphite A und B die bevorzugten Bereiche sind.

Sind, wie vorliegend, bestimmte Merkmale in der ursprünglichen Anmeldung als bevorzugt offenbart, so ist dies ein Hinweis für die Fachperson, weil eine Kombination der bevorzugten Merkmale offensichtlich die beste Möglichkeit bietet, die mit der Erfindung beabsichtigte technische Wirkung zu erzielen (RdB, II.E.1.6.2 c)).

Aus diesem Grund leitet der fachkundige Leser aus Absatz [0051] die Information ab, dass es die Verwendung dieser beiden Mengenbereiche gemeinsam ist, die zu den besten Ergebnissen führt, so dass die Kombination dieser Merkmalen als offenbart anzusehen ist.

Absatz [0051] gilt somit als Basis für die kombinierte Aufnahme der spezifischen Mengenbereiche für die Graphite A und B in Anspruch 1.

2.3.2 Der Einwand der Beschwerdeführerin, dass auch das in diesem Absatz als besonders bevorzugt angegebene Gewichtsverhältnis von expansivem Graphit B zu expansivem Graphit A zu beanspruchen sei (4:1 bis 8:1), überzeugt die Kammer nicht (auf die Frage der Zulassung dieses Argumentes nach Artikel 13 (2) VOBK kommt es folglich nicht an).

Der Grund dafür ist, dass Absatz [0051] keinen eindeutigen Zusammenhang definiert zwischen den Angaben für bevorzugte Gewichtsverhältnisse von Graphit B zu Graphit A 2:1 bis 5:1, 3:1 bis 10:1 oder 4:1 bis 8:1 und den beanspruchten Mengen, in Bezug auf das Gesamtgewicht der Brandschutzschicht, an Graphit A und Graphit B. Dies gilt auch für die Tabellen des Streitpatents.

Darüber hinaus stehen die beanspruchten Mengen an Graphit A (3 bis 10%) und Graphit B (20 bis 50%) in Bezug auf das Gesamtgewicht der Brandschutzschicht auch nicht im Widerspruch zu den Angaben für das allgemeine Gewichtsverhältnis von > 1 von Graphit B zu Graphit A.

Die Beschwerdeführerin hat daher nicht überzeugend dargelegt, dass die beanspruchten Mengen an Graphit A und Graphit B in Bezug auf das Gesamtgewicht der Brandschutzschicht mit einem der in Absatz [0051] erwähnten Gewichtsverhältnisse untrennbar verknüpft sind.

2.3.3 Die Begründung der angefochtenen Entscheidung, Punkt II.22, wird somit auch als zutreffend angesehen.

3. Erfinderische Tätigkeit

3.1 Offenbarung der D5

3.1.1 Die Einspruchsabteilung folgte der Argumentation der Beschwerdeführerin, dass D5 der nächstliegende Stand der Technik sei (Punkt II.23.1 der angefochtenen Entscheidung).

3.1.2 Die Beschwerdeführerin argumentiert, dass D5 lediglich Merkmal 1f) nicht offenbare, weil ein expansives Graphit mit einer mittleren Teilchengröße D50 von 180 bis 500 µm in einer Menge von 20 bis 50 Gew.-%, jeweils bezogen auf das Gesamtgewicht der Brandschutzschicht (Merkmal 1g)) von dieser Schrift abgeleitet werden könne.

Grund dafür sei, als erste Argumentationslinie, dass in D5, Absatz [0011], eine Partikelgröße des expandierbaren Graphits von mindestens 50 mym genannt werde.

Wenn man die Eigenschaften einer typischer Verteilungskurve von Graphit betrachte, sei eine untere Grenze von 50 mym mit einem D50 von 180 bis 500 µm kompatibel.

Außerdem werde in Tabelle 1 (Absatz [0050], Zeile 2 der Tabelle 1) von D5 eine Graphitmenge von 50 Gew.% angegeben, die im beanspruchten Bereich liege. Daher nehme D5 Merkmal 1g) des Anspruchs 1 vorweg.

Alternativ, als zweite Argumentationslinie, machte die Beschwerdeführerin während der mündlichen Verhandlung geltend dass, mit der Angabe einer unteren Grenze von 50 mym, Absatz [0011] eine Vielzahl von Verteilungen offenbare, von denen einige die beanspruchte Anforderung von D50 zwischen 180 und 500 µm zwingend erfüllten.

3.1.3 Die Kammer ist von dieser Analyse der Offenbarung der D5 nicht überzeugt.

a) Merkmal 1g)

Die erste Argumentationslinie der Beschwerdeführerin zur Offenbarung von Merkmal 1g) beruht auf den Annahmen, dass

a) aus der Angabe einer Untergrenze von 50 mym auf die Verwendung eines groben Graphits mit einem D50 zwischen 180 und 500 mym geschlossen werden könne, und

b) die in einem Ausführungsbeispiel genannte Menge von 50 Gew.-% für den Graphit mit D50 zwischen 180 und 500 mym gelte.

Es gibt jedoch keine Basis in D5, auf deren Grundlage diese Annahmen als zutreffend anzusehen wären.

In Absatz [0011] von D5 wird lediglich eine bevorzugte Untergrenze der Partikelgröße von 50 mym genannt. Daraus lässt sich nicht ableiten, insbesondere wenn die Form der Distribution und die Standardabweichung der Distribution nicht bekannt sind, dass der Medianwert D50 im beanspruchten Bereich von 180 bis 500 mym liegen muss.

Vielmehr ist der besagte Medianwert D50 völlig offen.

Die weitere Argumentationslinie der Beschwerdeführerin, dass aus Absatz [0011] der D5 eine Vielzahl von Verteilungen abgeleitet werden können, von denen einige die beanspruchte Anforderung von D50 zwischen 180 und 500 µm zwingend erfüllen, überzeugt die Kammer auch nicht.

Grund dafür ist, dass nach ständiger Rechtsprechung (RdB, I.C.5.2.6) die Offenbarung einer allgemeinen Lehre die Neuheit einer beanspruchten speziellen Ausführungsform grundsätzlich nicht vorwegnimmt.

Während eine spezielle Offenbarung für ein generisches Merkmal neuheitsschädlich ist, kann eine generische Offenbarung für ein spezielles Merkmal nicht neuheitsschädlich sein.

Aus Absatz [0011] geht somit nicht hervor, dass die Partikelgröße D50 des expandierbaren Graphits in dem beanspruchten Bereich von 180 bis 500 mym liegt.

Auch die pauschale Angabe einer Graphitmenge von 50 Gew.-% in einem Ausführungsbeispiel in Absatz [0050] lässt nicht den Schluss zu, dass diese Menge spezifisch für den Graphit B mit D50 in dem Bereich von 180 bis 500 mym gilt.

D5 offenbart somit Merkmal 1g) nicht.

b) Merkmal 1f)

Was Absatz [0011] von D5 offenbart ist vielmehr, wie von der Einspruchsabteilung festgestellt, dass die Brandschutzschicht ein expansives Graphit A mit einer mittleren Teilchengröße D50 < 150 mym enthält (Merkmal 1f), erster Teil).

Jedoch, wie von der Beschwerdegegnerin korrekt angemerkt, offenbart D5 nicht den zweiten Teil des Merkmals 1f), nämlich dass Graphit A in einer Menge von 3 bis 10 Gewichtsprozent vorhanden ist.

3.2 Offenbarung der D6

3.2.1 Die Beschwerdeführerin macht geltend, dass D6 sowohl Graphit A als auch Graphit B offenbare.

Graphit A sei im ersten Absatz auf Seite 9 dieser Schrift offenbart, wo Graphit mit D50 = 44 mym erwähnt werde (Zeilen 4 und 5).

Graphit B sei in gleichem Satz offenbart, weil, so die Beschwerdeführerin, dort zusätzlich auch Graphit mit einer Partikelverteilung D17,5 < 300 mym und D82,5 größer/gleich als 300 mym erwähnt werde.

Dies bedeutet, dass eine Vielzahl von Verteilungen offenbart sei, von denen einige zweifellos die beanspruchte Anforderung von D50 zwischen 180 und 500 µm erfüllten.

Die Beschwerdeführerin führt weiter aus, dass die gesamte Menge an expandierbarem Graphit, die in D6 offenbart werde, zwischen 15 und 45 % Gewichtsanteil (Seite 12 und 13, Tabelle 2, Blähgraphit) liege.

3.2.2 Die Kammer ist von dieser Analyse der Beschwerdeführerin nicht überzeugt.

a) Merkmal 1f)

Der erste Absatz auf Seite 9 von D6, der "wenigstens eine Blähgraphit" erwähnt, offenbart die Verwendung von einem expandierbaren Graphit, die dem Graphit A des Anspruchs entspricht, weil der dort angegebene Wert D50 von 44 mym in dem beanspruchten Bereich (<150 mym) liegt.

Merkmal 1f) ist aber nur teilweise offenbart, weil diese Schrift die beanspruchte Menge von Graphit A von 3 bis 10% nirgendwo erwähnt.

Die einzigen Angaben in diesem Dokument zu den Graphitmengen sind nämlich, dass die gesamte Menge an expandierbarem Graphit zwischen 5 und 90 % Gewichtsanteil (Seite 12, Tabelle 1) oder 15 bis 45% Gewichtsanteil (Seiten 12 und 13, Tabelle 2) liegt.

Da D6, wie vom Beschwerdeführerin vorgebracht, tatsächlich die Verwendung von mehr als einem expandierbaren Graphit offenbart, kann die Gesamtmenge des in D6 offenbarten Graphits nicht in Graphit A oder B unterteilt werden. Daher kann die Menge des beanspruchten Graphits A nicht unmittelbar und eindeutig aus D6 abgeleitet werden.

b) Merkmal 1g)

Merkmal 1g) ist in seiner Gesamtheit nicht offenbart, aus folgenden Gründen.

Die Argumentationslinie, wie für D5 vorgebracht, dass aus den Ausführungen auf Seite 9 von D6 eine Vielzahl von Verteilungen, von denen einige die beanspruchte Anforderung von D50 zwischen 180 und 500 µm zwingend erfüllen, abgeleitet werden können, überzeugt die Kammer nicht.

Graphit B ist in diesem Absatz nicht offenbart, weil die Offenbarung einer allgemeinen Lehre (eine Mehrzahl an Verteilungen, die bestimmte, nicht anspruchsgemäße Kriterien erfüllen) die Neuheit einer beanspruchten speziellen Ausführungsform grundsätzlich nicht vorwegnehmen kann.

Nicht überzeugend an den Argumenten der Beschwerdeführerin ist auch, dass ein Graphit mit D17,5 < 300 dem Graphit B des Anspruchs 1 entspricht, insbesondere weil keine überzeugende Erklärung dafür vorliegt, wie es möglich ist, aus diesem allein in D6 erwähnten Wert der Partikeldistribution, ohne Kenntnis der Varianz bzw. der gesamten Verteilungskurve, den Medianwert D50 abzuleiten.

3.3 Kombination von D5 mit der Lehre von D6

3.3.1 Die oben durchgeführte Analyse der Offenbarung der Schriften D5 und D6 zeigt, dass weder D5 noch D6 offenbaren

-Merkmal 1g) in seiner Gesamtheit, und

-Merkmal 1f, was die beanspruchte Menge betrifft.

3.3.2 Die Einspruchsabteilung befand, dass ausgehend von D5 und unter Berücksichtigung der Lehre der D6 der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hauptantrags als erfinderisch anzusehen war (Punkt II.23.1 der angefochtenen Entscheidung).

3.3.3 Die Beschwerdeführerin macht die mangelnde erfinderische Tätigkeit des Gegenstands des Anspruchs 1 ausgehend von D5 in Kombination mit D6 mit dem Argument geltend, dass die Unterscheidungsmerkmale keine Wirkung haben.

Die Beschwerdeführerin verweist hierzu auf die in Dokument D13 dargestellten Versuchsergebnisse. Diese würden belegen, dass eine Mischung der beiden Graphitarten keinerlei Einfluss auf die Brandschutzwirkung der Brandschutzschicht habe. Die von der Beschwerdegegnerin vorgelegten Versuchsergebnisse (D18) seien nicht geeignet, das Gegenteil zu beweisen, weil dort keine anspruchsgemäße Schicht getestet würde.

Hinzu komme, dass die Beispiele 2 und 3 in Absatz [0075] und [0077] des Streitpatents eindeutig zeigten, dass der im Streitpatent erwähnte Effekt (Brandschutzwirkung) nicht auf Grund der beiden Graphite erfolge, sondern auf Grund des Vorhandenseins von Melamincyanurat und Ammoniumpolyphosphat, die im Anspruch 1 nicht enthalten seien.

Die zu lösende Aufgabe sei somit eine alternative Zusammensetzung für eine Rückenschicht für eine Wärmeisolierplatte zur Verfügung zu stellen.

Während der mündlichen Verhandlung trug die Beschwerdeführerin vor, dass eine solche Alternative willkürlich ausgewählt werden könne und dass bei einer solchen willkürlichen Auswahl keine Veranlassung für die Fachperson nötig sei, sich für die beanspruchte Lösung zu entscheiden.

Alternativ trug die Beschwerdeführerin vor, wenn die Auswahl der Unterscheidungsmerkmale nicht als willkürlich angesehen werden könne, sei dies höchstens eine Tätigkeit, die sich in bloßem Herumexperimentieren, ohne über das allgemeine Fachwissen hinausgehendes Können, erschöpfe. Insbesondere offenbare D6 zwei Graphite, ein feines und ein grobes. Das grobe Graphit sei von der Fachperson als flammenhemmend bekannt, während das feine Graphit bekannt sei, um kompaktere Struktur zu ermöglichen. Mit diesem Fachwissen gelange die Fachperson nach einigen Versuchen zu den beanspruchten Mengen ohne erfinderisch tätig zu werden.

Deswegen sei der Gegenstand des Anspruchs 1, ausgehend von D5 in Kombination mit der Lehre der D6, als nicht erfinderisch anzusehen.

3.3.4 Diese Einwände der Beschwerdeführerin überzeugen die Kammer nicht.

Entsprechend der Rechtsprechung der Beschwerdekammern (RdB, I.D.4.5) zieht die Fachperson, wenn die Erfindung als einzigen Beitrag etwas vorschlägt, das sich vom Stand der Technik unterscheidet (d. h. die Bereitstellung einer Alternative), jede Alternative in Betracht, die auf dem zugrunde liegenden technischen Gebiet bekannt ist, sofern der nächstliegende Stand der Technik nicht davon wegführt.

Zur Feststellung der mangelnden erfinderischen Tätigkeit einer Alternative ist somit ein Beweis erforderlich, dass die beanspruchte Lösung, also die Unterscheidungsmerkmale, in dem zugrunde liegenden technischen Gebiet bereits bekannt sind.

Diese Situation trifft jedoch nicht auf den Einwand der Beschwerdeführerin zu, der auf die Kombination von D5 mit D6 gestützt ist.

Grund dafür ist, dass auch D6 nicht die Merkmale offenbart, die den Gegenstand des Anspruchs 1 von der Rückenschicht des Dokuments D5 unterscheiden (siehe die Punkte 3.1 und 3.2 oben), und dass die Beschwerdeführerin keinen Beweis vorgelegt hat, dass die Unterscheidungsmerkmale sonst bekannt sind.

Die nach einer Alternative suchende Fachperson kann somit durch die Kombination dieser beiden Dokumente, selbst unter Heranziehung des Fachwissens, nicht zu einem Gegenstand gelangen, der Merkmale enthält, die in dem zugrunde liegenden technischen Gebiet überhaupt nicht bekannt sind.

Die Behauptung der Beschwerdeführerin, dass die Auswahl der Unterscheidungsmerkmale das bloße Ergebnis aus naheliegenden Versuchen sei, ist unsubstantiiert geblieben und somit auch nicht überzeugend.

Das bedeutet, dass selbst unter der Annahme, dass Unterscheidungsmerkmale als wirkungslos zu betrachten sind, die Argumentation der Beschwerdeführerin die Korrektheit der Feststellungen der angefochtenen Entscheidung zur erfinderischen Tätigkeit nicht infrage stellt.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Quick Navigation