European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:2024:T174622.20241205 | ||||||||
---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|
Datum der Entscheidung: | 05 Dezember 2024 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 1746/22 | ||||||||
Anmeldenummer: | 17800363.8 | ||||||||
IPC-Klasse: | A61B 17/068 | ||||||||
Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | D | ||||||||
Download und weitere Informationen: |
|
||||||||
Bezeichnung der Anmeldung: | VORRICHTUNG ZUM VERBINDEN VON KÖRPERGEWEBEN | ||||||||
Name des Anmelders: | Klaffenböck, Johann Klaffenböck, Lukas Mair, Julian |
||||||||
Name des Einsprechenden: | - | ||||||||
Kammer: | 3.2.02 | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: |
|
||||||||
Schlagwörter: | Änderung nach Zustellung der Mitteilung gem. Art. 15(1) VOBK - berücksichtigt (ja) Patentansprüche - Stützung durch die Beschreibung Patentansprüche - Hauptantrag (nein) Patentansprüche - Hilfsantrag (ja) |
||||||||
Orientierungssatz: |
- |
||||||||
Angeführte Entscheidungen: |
|
||||||||
Anführungen in anderen Entscheidungen: |
|
Sachverhalt und Anträge
I. Die Beschwerde richtet sich gegen die Entscheidung der Prüfungsabteilung mit Datum vom 15. Februar 2022 die europäische Patentanmeldung zurückzuweisen. Die Zurückweisung wurde damit begründet, dass Anspruch 1 des am 27. Oktober 2020 eingereichten Anspruchssatzes nicht die Erfordernisse des Artikels 84 EPÜ erfüllt.
II. Eine mündliche Verhandlung vor der Kammer fand am 5. Dezember 2024 statt.
Die Beschwerdeführer beantragten, die Entscheidung der Prüfungsabteilung aufzuheben und ein Patent auf der Basis des Hauptantrags oder des Hilfsantrags, beide am 25. September 2024 eingereicht, zu erteilen.
III. Anspruch 1 des Hauptantrags lautet wie folgt:
"Vorrichtung zum Verbinden von Körpergeweben mit einem in eine Körperöffnung einschiebbaren Kopfteil (100) mit einer Längsachse (6a), wobei in dem Kopfteil (100) eine Mehrzahl von Gewebeklammern (1) in einer Vorratsstellung (7) aufgenommen sind, die aus einem linearen Hauptabschnitt (2) und zwei davon senkrecht abstehenden Eingriffsabschnitten (3) bestehen und die jeweils in einer ersten Ebene (7a) ausgerichtet sind, die im Wesentlichen senkrecht zur Längsachse (6a) ist, und mit einen [sic] Hydraulikzylinder (6) und einer Kolbenstange (10), die mit einem Schieber (17) fest verbunden ist, dadurch gekennzeichnet, dass der Hydraulikzylinder (6) und/oder die Kolbenstange (10) zumindest teilweise im Inneren des Raums angeordnet sind, der zwischen den Eingriffsabschnitten (3) der Gewebeklammern (1) in der Vorratsstellung (7) liegt."
Anspruch 1 des Hilfsantrags unterscheidet sich von Anspruch 1 des Hauptantrags durch den am Ende des Anspruchs hinzugefügten folgenden Wortlaut:
"und dass zwei Rotorelemente (9) vorgesehen sind, die um eine zu den Hauptabschnitten (2) der Gewebeklammern (2) parallele Achse schwenkbar sind und die jeweils eine Auflagefläche (13) für einen Eingriffsabschnitt (3) einer Gewebeklammer (1) aufweisen, um diese aus der Vorratsstellung (7) in eine Arbeitsstellung (29) zu drehen, in der die Gewebeklammer (1) in einer weiteren Ebene (29a) angeordnet ist, die im Wesentlichen senkrecht zur ersten Ebene (7a) orientiert ist, und dass ein Schieber (7) vorgesehen ist, um die in der Arbeitsstellung (29) vorliegende Gewebeklammer (1) in der weiteren Ebene (29a) vorzuschieben und in eine Klammerstellung zu verformen."
IV. Die entscheidungsrelevanten Argumente der Beschwerdeführer lassen sich wie folgt zusammenfassen:
Zulassung des Haupt- und des Hilfsantrags
Die Kammer habe in ihrer vorläufigen Stellungnahme erstmals einen Einwand nach Artikel 123 (2) EPÜ erhoben. Der Haupt- und der Hilfsantrag stellten eine Reaktion auf diesen Einwand dar und sollten zugelassen werden.
Hauptantrag - Artikel 84 EPÜ
Die Erfindung betreffe die platzsparende Anordnung des Hydraulikzylinders und/oder der Kolbenstange. Die nachfolgende Drehung der Gewebeklammer sei zwar für die Vorrichtung erforderlich, aber kein wesentliches Merkmal der Erfindung. Die Aufgabe werde auch ohne dieses Merkmal gelöst, vergleichbar mit der Situation in den Entscheidungen T 1069/01 und T 41/91. Die Drehung der Gewebeklammer sei auf Seite 2 der Beschreibung als wichtiger Aspekt der Erfindung dargestellt, aber nicht als wesentlich. Andere Merkmale seien ebenfalls notwendig und nicht ausdrücklich definiert, ohne dass dies zu einem Einwand führe.
Entscheidungsgründe
1. Die Anmeldung
1.1 Es ist in der Medizin bekannt, Wunden durch Gewebeklammern zu verschließen, die im Bereich der Wundränder in die Haut eingeführt werden und danach verformt werden, um die Wundränder gegeneinander zu halten. Zur Durchführung dieses Vorgangs wurden Vorrichtungen entwickelt, die als Stapler gezeichnet werden. Typischerweise werden dabei mehrere Gewebeklammern in einem Magazin gestapelt, ähnlich wie dies bei Büroklammern der Fall ist. Vor der Benutzung wird die jeweils vorderste Gewebeklammer von einer Vorratsstellung in eine Stellung gedreht, in der sie vorgeschoben und in die Haut eingebracht werden kann.
1.2 Um diesen Vorgang bei endoskopischen oder laparoskopischen Eingriffen durchführen zu können, sind kompakte Vorrichtungen erforderlich, die einen möglichst geringen Querschnitt aufweisen, aber die erforderlichen Betätigungskräfte sicher einleiten und eine hohe Zuverlässigkeit gewährleisten.
1.3 Anspruch 1 betrifft eine Vorrichtung zum Verbinden von Körpergeweben. Die Vorrichtung umfasst einen Kopfteil, in dem Gewebeklammern in einer Vorratsstellung aufgenommen sind. Die Vorrichtung umfasst ferner einen Hydraulikzylinder und eine Kolbenstange, die mit einem Schieber fest verbunden ist. Eine platzsparende Anordnung wird dadurch erreicht, dass der Hydraulikzylinder und/oder die Kolbenstange zumindest teilweise im Inneren des Raums angeordnet sind, der zwischen den Eingriffsabschnitten der Gewebeklammern in der Vorratsstellung liegt.
1.4 Eine erfindungsgemäße Vorrichtung ist in der unten wiedergegebenen Figur 14 dargestellt. Aus Figur 14 ist ersichtlich, dass sich die Eingriffsabschnitte 3 der Gewebeklammern 1 in der Vorratsstellung 7 über den unteren Bereich der Kolbenstange 10 hinaus nach oben erstrecken. Eine weitere Gewebeklammer 1 liegt auf einer Auflagefläche 13 in einer Arbeitsstellung 29 vor.
FORMEL/TABELLE/GRAPHIK
2. Zulassung des Haupt- und des Hilfsantrags
2.1 Der Haupt- und der Hilfsantrag wurden erst nach Zustellung der Mitteilung nach Artikel 15 (1) VOBK eingereicht. In dieser Mitteilung hat die Kammer einen neuen Einwand nach Artikel 123 (2) EPÜ erhoben. Durch die Änderungen im Haupt- und Hilfsantrag wird dieser Einwand ausgeräumt. Dies stellt im vorliegenden Fall außergewöhnliche Umstände im Sinne des Artikels 13 (2) VOBK dar. Die Kammer hat daher entschieden, diese Anträge zuzulassen.
3. Hauptantrag - Artikel 84 EPÜ
3.1 Die der Erfindung zugrundeliegende subjektive Aufgabe ist, eine kompakte und problemlos anwendbare Vorrichtung bereitzustellen, mit der es möglich ist, Körpergewebe im Inneren des Körpers zu verbinden (Beschwerdebegründung, Seite 2, zweiter Absatz; Beschreibung, Seite 1, dritte und fünfter Absatz). Bei der beanspruchten Vorrichtung wird der Raum zwischen den Eingriffsabschnitten der in der Vorratsstellung befindlichen Gewebeklammern durch den Hydraulikzylinder und/oder die Kolbenstange genutzt (siehe den kennzeichnenden Teil von Anspruch 1). Dies trägt zu einem platzsparenden Aufbau der Vorrichtung bei. Beispielsweise befindet sich die Kolbenstange zumindest teilweise in dem Raum zwischen den Eingriffsabschnitten, wenn die Kolbenstange entlang der Längsachse ein- und ausgefahren wird, um eine entsprechende Bewegung des Schiebers zu bewirken (siehe auch Beschreibung, Seite 7, 4. und 7. Absätze; und Seite 11, 3. Absatz).
3.2 Gemäß Anspruch 1 sind die in der Vorratsstellung befindlichen Gewebeklammern jeweils in einer ersten Ebene ausgerichtet, die im Wesentlichen senkrecht zur Längsachse ist. Damit der Schieber eine Gewebeklammer vorschieben und in das Gewebe einbringen kann, ist es daher zwingend erforderlich, die Gewebeklammer zuvor aus der in Anspruch 1 definierten Vorratsstellung zu drehen (siehe auch Beschreibung, Seite 8, 1. und 2. Absätze; Seite 9, 4. Absatz; und Seite 10, letzter Absatz bis Seite 11, 2. Absatz). Alle Ausführungsbeispiele der Vorrichtung enthalten einen Mechanismus (die Rotorelemente), der diese Drehung bewirkt.
3.3 Der platzsparende Aufbau der Vorrichtung zum Verbinden von Körpergeweben, bei dem die Gewebeklammern in der Vorratsstellung jeweils in einer Ebene senkrecht zur Längsachse liegen und den Hydraulikzylinder und/oder die Kolbenstange teilweise umgeben, erfordert daher nicht nur die vorliegenden Merkmale des Anspruchs 1 mit der im kennzeichnenden Teil definierten Anordnung, sondern auch einen Mechanismus, der die Gewebeklammern aus der Vorratsstellung in eine (gedrehte) Arbeitsstellung überführt. Eine Vorrichtung mit der beanspruchten platzsparenden Anordnung funktioniert nur, wenn die Gewebeklammern aus der Vorratsstellung gedreht werden, und kann ohne ein entsprechendes Merkmal den beanspruchten Zweck des Verbindens von Körpergeweben nicht erfüllen. Dieses Merkmal ist somit - entgegen der Meinung der Beschwerdeführer - ein Merkmal der beschriebenen Erfindung, das wesentlich zur Lösung der subjektiven Aufgabe ist. Eine Lösung ohne dieses Merkmal wird durch die Beschreibung nicht gestützt.
3.4 Der unabhängige Anspruch 1 des Hauptantrags enthält keinen Mechanismus für die Drehung der Gewebeklammern aus der Vorratsstellung, und somit nicht alle wesentlichen Merkmale, die zur Definition der Erfindung erforderlich sind. Daher ist Anspruch 1 nicht von der Beschreibung gestützt (Artikel 84 EPÜ).
3.5 Die Beschwerdeführer beziehen sich auf die Entscheidungen T 1069/01 und T 41/91. In T 1069/01 befand die zuständige Kammer, dass das umstrittene Merkmal nicht erforderlich sei, um die technische Aufgabe zu lösen. Im vorliegenden Fall ist die Drehung der Gewebeklammern aus der Vorratsstellung jedoch notwendig, um die Aufgabe zu lösen, nämlich eine kompakte Vorrichtung zum Verbinden von Körpergeweben bereitzustellen. In T 41/91 hatte die zuständige Kammer eine konkrete Umsetzung der in einem Merkmal definierten Fehlerminimierung als nicht wesentlich angesehen. Im vorliegenden Fall geht es jedoch nicht um eine konkrete Umsetzung, sondern darum, dass ein Mechanismus zum Drehen der Gewebeklammern überhaupt nicht beansprucht ist.
4. Hilfsantrag
4.1 Anspruch 1 des Hilfsantrags umfasst zusätzlich die Merkmale des ursprünglichen Anspruchs 3, einschließlich zweier Rotorelemente, um eine Gewebeklammer aus der Vorratsstellung in eine Arbeitsstellung zu drehen. Die Erfordernisse des Artikels 84 EPÜ sind somit erfüllt.
4.2 Die Prüfungsabteilung hatte keine Bedenken hinsichtlich Neuheit und erfinderischer Tätigkeit und erhob auch sonst keine weiteren Einwände. Die Kammer kommt daher zu dem Schluss, dass der Hilfsantrag gewährbar ist.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
Die Angelegenheit wird an die Prüfungsabteilung mit der Anordnung zurückverwiesen, ein Patent mit folgenden Ansprüchen und einer noch anzupassenden Beschreibung zu erteilen: Ansprüche 1 bis 14 des Hilfsantrags, eingereicht mit Schreiben vom 25. September 2024.