T 1118/22 () of 15.11.2023

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2023:T111822.20231115
Datum der Entscheidung: 15 November 2023
Aktenzeichen: T 1118/22
Anmeldenummer: 18151980.2
IPC-Klasse: B05B 13/02
B05B 16/20
B05B 16/00
B25J 9/00
B05B 13/04
B05B 1/00
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: BESCHICHTUNGSANLAGE UND VERFAHREN ZUM BETREIBEN EINER BESCHICHTUNGSANLAGE
Name des Anmelders: AUDI AG
Name des Einsprechenden: Dürr Systems AG
Eisenmann SE
Kammer: 3.2.07
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 100(a)
European Patent Convention Art 54
European Patent Convention Art 56
European Patent Convention R 115(2)
Rules of procedure of the Boards of Appeal 2020 Art 012(3)
Rules of procedure of the Boards of Appeal 2020 Art 012(5)
Rules of procedure of the Boards of Appeal 2020 Art 013(2)
Rules of procedure of the Boards of Appeal 2020 Art 015(3)
Schlagwörter: Neuheit - Hauptantrag (ja)
Erfinderische Tätigkeit - Hauptantrag (ja)
Vorbringen nicht zuzulassen - Voraussetzungen des Art. 12 (3) VOBK erfüllt (nein)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
T 0503/20
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Patentinhaberin als Beschwerdeführerin legte form- und fristgerecht Beschwerde gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung vom 11. März 2022 ein, mit der festgestellt wurde, dass unter Berücksichtigung der von der Patentinhaberin im Einspruchsverfahren vorgenommenen Änderungen das Patent und die Erfindung, die es zum Gegenstand gemäß dem Hilfsantrag 2 hat, den Erfordernissen des EPÜ genügen.

II. Der Einsprüche der Einsprechenden 1 und Einsprechenden 2 richteten sich jeweils gegen das Patent im vollem Umfang auf der Grundlage der Einspruchsgründe nach Artikel 100 a) und 100 b) EPÜ.

III. Mit Mitteilung gemäß Artikel 15 (1) VOBK vom 14. Juli 2023 teilte die Kammer den Beteiligten ihre vorläufige Beurteilung der Sach- und Rechtslage mit, derzufolge die angefochtene Entscheidung voraussichtlich aufzuheben und das Patent in unveränderter Form aufrechtzuerhalten wären.

IV. Mit Schriftsatz vom 28. Juli 2023 nahm die Einsprechende 1 und mit Schriftsatz vom 25. September 2023 nahm die Patentinhaberin zu der Mitteilung gemäß Artikel 15 (1) VOBK Stellung.

V. Die Einsprechende 2, Verfahrensbeteiligte gemäß Artikel 107 EPÜ, stellte in der Beschwerde weder Anträge noch trug sie inhaltlich zu der Beschwerde vor. Sie teilte lediglich mit Schriftsatz vom 4. September 2023 mit, nicht an der mündlichen Verhandlung teilnehmen zu wollen.

VI. Am 15. November 2023 fand die mündliche Verhandlung vor der Beschwerdekammer statt und zwar gemäß Regel 115(2) EPÜ und Artikel 15(3) VOBK 2020 in Abwesenheit der Einsprechenden 2.

VII. Wegen der Einzelheiten des Verlaufs der mündlichen Verhandlung wird auf das Protokoll verwiesen.

VIII. Der Tenor der Entscheidung wurde am Schluss der mündlichen Verhandlung verkündet.

IX. Die Patentinhaberin beantragte zuletzt

die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und

die Zurückweisung der Einsprüche, d. h. die Aufrechterhaltung des Patents in erteilter Fassung (Hauptantrag),

sowie hilfsweise

bei Aufhebung der angefochtenen Entscheidung die Aufrechterhaltung der Patents in geänderten Umfang auf Grundlage des Hilfsantrags 1, eingereicht im Einspruchsverfahren mit Schriftsatz vom 18. November 2020, oder des Hilfsantrags 1a, eingereicht im Beschwerdeverfahren am 15. Juni 2022.

X. Die Einsprechende 1 (Beschwerdegegnerin) beantragte zuletzt

die Zurückweisung der Beschwerde.

XI. In dieser Entscheidung wird auf die folgenden Dokumente Bezug genommen:

E4: DE 103 50 846 A1;

E5: EP 1 702 687 B1;

E7: DE 10 2008 036 321 A1;

E8: US 2010/0263191 A1;

E9: DE 102 32 402 A1;

E10: DE 10 2008 036 322 A1;

E11: DE 10 2013 003 057 A1;

E12: DE 10 2008 038 760 A1;

E13: DE 41 15 111 A1;

E15: WO 2007/131660 A1;

E16: DE 196 41 524 A1;

E17: Keller, Ralf, "Das Meisterstück:

Lackierungsanlagen-Neubau bei laufenden

Betrieb" Journal für Oberflächentechnik,

Springer, 2000, Band 40, Seiten 34 bis 38;

E18: WO 2018/069012 A1;

E19: DE 20 2004 018 512 U1.

XII. Der unabhängige Anspruch 1 gemäß Hauptantrag (erteilte Fassung) lautet:

"Verfahren zum Betreiben einer Beschichtungsanlage (10, 50) zur automatischen Serienbeschichtung von Werkstücken (30, 32, 34, 36, 74), deren Beschichtung mehrere aufeinanderfolgende Beschichtungsprozessschritte erfordert, umfassend

- wenigstens zwei Beschichtungsstationen (12, 14, 16, 18, 20, 22, 24, 52, 54, 56) mit jeweiligen Beschichtungsvorrichtungen (26, 28) zur Durchführung jeweils wenigstens eines Beschichtungsprozessschrittes,

- wenigstens eine Übergabestelle (42, 44, 58),

wobei ein automatisches Transportsystem (38, 62) vorgesehen ist, mittels welchem die Werkstücke (30, 32, 34, 36, 74) individuell und unabhängig voneinander zwischen den wenigstens zwei Beschichtungsstationen (12, 14, 16, 18, 20, 22, 24, 52, 54, 56) und der wenigstens einen Übergabestelle (42, 44, 58) verbringbar sind,

gekennzeichnet durch folgende Schritte:

- Bereitstellen eines Datensatzes mit einer Vielzahl an Daten über zu beschichtende Werkstücke (30, 32, 34, 36, 74), umfassend den jeweiligen Typ der Werkstücke und Kenndaten über die jeweils zur individuellen Beschichtung erforderlichen Beschichtungsprozessschritte,

- automatisches Erstellen eines optimierten Produktionsplanes zur individuellen Beschichtung der Werkstücke (30, 32, 34, 36, 74) entsprechend den jeweils erforderlichen Beschichtungsprozessschritten,

- wobei für jedes Werkstück (30, 32, 34, 36, 74) eine individuelle Reihenfolge ermittelt wird, entsprechend derer das jeweilige Werkstück (30, 32, 34, 36, 74) mittels des automatischen Transportsystems (38, 62) zur Beschichtung in jeweils geeignete Bearbeitungsstationen (12, 14, 16, 18, 20, 22, 24, 52, 54, 56) beziehungsweise in den Zwischenspeicher (34, 60) zu verbringen ist, berücksichtigend folgende Optimierungskriterien:

- Vermeidung des Verbringens von Werkstücken in solche Beschichtungsstation (12, 14, 16, 18, 20, 22, 24, 52, 54, 56), welche zumindest auch für Beschichtungsprozessschritte vorgesehen sind, die für die individuelle Beschichtung des jeweiligen Werkstückes (30, 32, 34, 36, 74) nicht erforderlich sind,

- möglichst homogene Auslastung der Beschichtungsstationen (12, 14, 16, 18, 20, 22, 24, 52, 54, 56),

- Beschichtung der Werkstücke (30, 32, 34, 36, 74) entsprechend dem Produktionsplan."

XIII. Im Hinblick auf die Entscheidung der Kammer bedarf es keiner Wiedergabe der Hilfsanträge 1 und 1a.

XIV. Das entscheidungserhebliche Vorbringen der Beteiligten wird im Detail in den Entscheidungsgründen diskutiert.

Entscheidungsgründe

1. Neuheit gegenüber der Lehre von Dokument E9 (Artikel 100 a) und 54 EPÜ)

1.1 Die Patentinhaberin wendete sich gegen die Feststellung der Einspruchsabteilung in Punkt 2.3.1 der Gründe der angefochtenen Entscheidung, dass sämtliche Merkmale des Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag in Dokument E9 offenbart seien.

1.2 Sie trug unter anderem vor, dass das Merkmal 1.9 von Anspruch 1 gemäß Hauptantrag, nämlich dass die Ermittlung der individuellen Reihenfolge bei einer Verbringung jeden Werkstückes (30, 23, 34, 36, 74) mittels des automatischen Transportsystems (38, 62) zur Beschichtung in jeweils geeignete Bearbeitungsstationen (12, 14, 16, 18, 20, 22, 24, 52, 54, 56) unter anderem eine

"möglichst homogene Auslastung der Beschichtungsstationen (12, 14, 16, 18, 20, 22, 24, 52, 54, 56) "

als Optimierungskriterium berücksichtigt, nicht in Dokument E9 offenbart sei.

1.3 Die Einspruchsabteilung stellte auf Seite 17, Absatz 2, der Entscheidungsgründe fest, dass die Einschränkungen, die durch das Wort "homogen" impliziert werden, durch das Wort "möglichst" erheblich aufgeweicht seien. Dieses Verständnis des Merkmals 1.9 ist im Ergebnis auch zutreffend, zumal auch die Patentinhaberin darin zustimmt, dass das Wort "möglichst" betont, dass im Ergebnis der Optimierung nicht notwendigerweise eine perfekt homogene Auslastung der Beschichtungsstationen gegeben sein muss.

1.4 Die Einsprechende 1 argumentierte, dass mit dem Wort "möglichst" jedwede Einschränkung des Begriffs "homogen" "aufgelöst werde" (vgl. Beschwerdeerwiderung Seite 7, Absatz 1). Die Kammer kann aus folgenden Gründen diesem Argument nicht zustimmen. Das Merkmal 1.9 als Bestandteil des Anspruchs 1 kann in sinnvoller Weise nur so verstanden werden, dass sich eine Beschränkung des Anspruchsgegenstands ergibt. Diese Beschränkung kann nur so verstanden werden, dass anspruchgemäß bei der automatischen Erstellung eines optimierten Produktionsplanes zwingend eine möglichst homogene Auslastung der Beschichtungsstationen als Optimierungskriterium berücksichtigt ist.

1.5 Für die Frage der Neuheit des Anspruchs 1 ist daher allein erheblich, ob eine Fachperson vor dem Hintergrund ihres allgemeinen Fachwissens diese Lehre entweder explizit oder implizit unmittelbar und eindeutig der Offenbarung von Dokument E9 entnimmt, dass die Homogenität der Auslastung bei der Ermittlung der individuellen Reihenfolge der Werkstücke tatsächlich als Optimierungskriterium berücksichtigt ist, auch wenn dieses Optimierungskriterium nicht jederzeit maximal erreicht wird.

1.6 Die Einsprechende 1 verwies hierzu in ihrer Beschwerdeerwiderung auf Seite 7, Absatz 1, und in ihrem Schriftsatz vom 28. Juli 2023, Seite 3, Absatz 3, auf Absatz [0110] des Dokuments E9, nachdem mit dem in E9 dargestellten System "eine optimale Auslastung des Systems als solchen und der Bearbeitungsplätze möglich ist". Weiter verwies sie im Verlauf der mündlichen Verhandlung auf Absatz [0081] des Dokuments E9, wonach ein Transport von einer ersten Ebene in eine andere Ebene eine bessere Bewältigung "eventuell lokal auf einer Ebene auftretende[r] Spitzen im Transportaufkommen" ermöglicht.

1.7 Dazu rügte die Patentinhaberin, dass dieser Vortrag erstmals im Verlauf der mündlichen Verhandlung vor der Kammer vorgebracht wurde, und angesichts des späten Vorbringens nach Artikel 13 (2) VOBK im Verfahren nicht zu berücksichtigen sei (vgl. Protokoll der mündlichen Verhandlung, Seite 2, Absatz 2). Die Frage der Zulassung der auf Absatz [0081] basierenden Argumentationslinie ist für die Entscheidung jedoch bereits deshalb unerheblich, weil diese Argumentationslinie nicht überzeugt.

1.8 Den von der Einsprechenden 1 angeführten Offenbarungsstellen ist nämlich das Merkmal 1.9 nicht explizit zu entnehmen. Die angeführten Passagen betreffen lediglich eine mögliche optimale Auslastung des Systems. So wie auch Absatz [0091] des Dokuments E9, den die Einsprechende 1 als Offenbarung einer optimierten Tagesplanung betrachtet (vgl. Beschwerdeerwiderung, Seite 6, Absatz 4, und Schriftsatz vom 28. Juli 2023, Seite 6, Absatz 4) bieten sie keine genaue Informationen zu möglichen Kriterien, unter denen die in Dokument E9 beschriebene Tagesplanung optimiert wird.

1.9 Darüber hinaus wurden weder in der angefochtenen Entscheidung noch durch die Einsprechende 1 andere Fundstellen in Dokument E9 zu einer möglichen expliziten Offenbarung des Merkmals 1.9 angeführt. Eine solche ist vielmehr offenkundig nicht erkennbar.

1.10 Eine Berücksichtigung einer homogenen Auslastung der Bearbeitungsstationen als Optimierungskriterium ist für die Fachperson in der Lehre des Dokuments E9 auch nicht implizit offenbart.

1.11 Nach gefestigter Rechtsprechung der Beschwerdekammern kann eine Offenbarung nur dann als implizit angesehen werden, wenn für die Fachperson sofort erkennbar ist, dass nichts anderes als das angebliche implizite Merkmal Teil des offenbarten Gegenstands war (vgl. Rechtsprechung der Beschwerdekammern [RdB], 10. Auflage 2020, I.C.4.3).

1.12 Die Einsprechende 1 vertrat mit ihrem Schriftsatz vom 28. Juli 2023 die Auffassung, dass sich die Berücksichtigung einer homogenen Auslastung der Bearbeitungsstationen der Fachperson als notwendiges Optimierungskriterium aus dem allgemeinen Fachwissen ergebe. Sie verwies dazu auf eine Passage aus einer Monographie zu Logistischen Kennlinien von Nyhuis und Wiendahl aus dem Jahr 2012.

1.13 Die Patentinhaberin rügte, dass insbesondere das Vorbringen der Einsprechenden 1 zu der Monographie von Nyhuis und Wiendahl eine Änderung des Beschwerdevorbringens darstellt, die nach Artikel 13 (2) VOBK nicht zu berücksichtigen sei.

1.14 Da die auf der Monographie von Nyhuis und Wiendahl gestützte Argumentationslinie jedoch inhaltlich nicht überzeugen kann, kommt es auf die Frage der Zulassung dieses Vorbringens im Ergebnis nicht an.

1.15 Das vorgelegte Zitat ist ein Ausschnitt aus dem Vorwort einer Monographie zu Logistischen Kennlinien. Die Kammer ist bereits nicht davon überzeugt, dass diese Quelle das der Fachperson am Anmeldetag zur Verfügung stehende allgemeine Fachwissen wiedergibt. Jedenfalls wird aber aus dem angegebenen Zitat, dass einem Produktionsunternehmen eine gleichmäßige und hohe Auslastung nicht aus dem Blick geraten dürfen, ohne weiteren Bezug, nicht deutlich, was mit einer "gleichmäßigen und hohen Auslastung" gemeint ist und worauf sich diese bezieht. Das Zitat ist in seinem Inhalt derart allgemein gehalten, dass die Fachperson dieses nicht notwendigerweise auf ein Verfahren zum Betreiben einer Beschichtungsanlage mit wenigstens zwei Beschichtungsstationen, also auf eine komplexe Produktionsanlage, beziehen wird.

1.16 In der mündlichen Verhandlung trug die Einsprechende 1 weiter vor, dass eine hohe Auslastung notwendigerweise eine homogene Auslastung beinhalte. Dieses Argument überzeugt die Kammer nicht. Die merkmalsgemäß geforderte homogene Auslastung der Beschichtungsstationen bedeutet zunächst nur eine gleichmäßige Auslastung der Beschichtungsstationen und ist von einer hohen Auslastung der Beschichtungsstationen oder des Gesamtsystems zu unterscheiden, die auch auf anderem Wege erzielt werden kann.

1.17 Der in der mündlichen Verhandlung von der Einsprechenden 1 ergänzend vorgebrachte Verweis auf die Internetseiten des Fraunhofer-Instituts blieb derart pauschal und unkonkret, dass er nicht geeignet ist, dasjenige allgemeine Fachwissen darzulegen, das der Fachperson zum Anmeldezeitpunkt des Streitpatents zur Verfügung stand.

1.18 Die Patentinhaberin trug hingegen zurecht vor, dass wirtschaftliche Aspekte auch zu anderen Optimierungserwägungen führen können, wie beispielsweise hinsichtlich geringer Transferzeiten (und damit ein höherer Durchsatz) oder allgemeiner Erwägungen hinsichtlich einer maximalen Auslastung.

1.19 Entsprechend kannte die Fachperson aus dem Fachwissen verschiedene Optimierungskriterien um unterschiedliche Optimierungsziele bei der aus Dokument E9 bekannten Tagesplanung verfolgen zu können. Sie war entsprechend bei einer Erstellung einer der Lehre des Dokuments E9 entsprechenden Tagesplanung nicht dazu veranlasst, notwendigerweise das in Merkmal 1.9 angegebene Optimierungskriterium zu berücksichtigen.

1.20 Die Kammer kommt folglich zu der Überzeugung, dass weder die Berücksichtigung einer homogenen Auslastung der Bearbeitungsstationen der Fachperson als notwendiges Optimierungskriterium tatsächlich aus dem allgemeinen Fachwissen bekannt war, noch dass vor dem Hintergrund allgemeiner Grundsätze der Produktionsoptimierung eine optimale Auslastung von Bearbeitungsplätzen in jedem Fall eine gleichmäßige Auslastung aller verfügbaren Bearbeitungsplätze beinhaltet oder erfordert, so dass sich Merkmal 1.9 der Fachperson aus dem allgemeinen Fachwissen notwendigerweise ergab.

1.21 Die Feststellung der Einspruchsabteilung, dass die in Dokument E9 in Absatz [0110] formulierte optimale Auslastung der Bearbeitungsplätze aus wirtschaftlichen Aspekten für den Betrieb einer Beschichtungsanlage zwangsläufig das Optimierungskriterium der homogenen Auslastung beinhalte, hält daher der Überprüfung der Kammer nicht stand.

1.22 Im Ergebnis ist das Merkmal 1.9 weder explizit noch implizit der Lehre des Dokuments E9 zu entnehmen.

1.23 Der Gegenstand von Anspruch 1 gemäß Hauptantrag ist folglich neu gegenüber der Lehre des Dokuments E9. Die angefochtene Entscheidung ist folglich insoweit aufzuheben.

2. Erfinderische Tätigkeit gegenüber der Lehre von Dokument E9 (Artikel 100 a) und 56 EPÜ)

2.1 In der angefochtenen Entscheidung finden sich angesichts der Entscheidung zur mangelnden Neuheit des Hauptantrags keine Feststellungen zur erfinderischen Tätigkeit des Gegenstands von Anspruch 1 gemäß Hauptantrag gegenüber der Lehre von Dokument E9.

2.2 Auf der Lehre des Dokuments E9 basierende Einwände mangelnder erfinderischer Tätigkeit wurden formal mit dem Einspruch der Einsprechenden 2 erhoben.

2.3 In der Mitteilung nach Artikel 15 (1) VOBK verwies die Kammer in Punkt 10. darauf, dass dieser Einwand erfinderischer Tätigkeit voraussichtlich gemäß Artikel 12 (5) VOBK nicht ins Verfahren zuzulassen wäre. Entsprechend erhielten die Patentinhaberin sowie die Einsprechende 1 im Verlauf der mündlichen Verhandlung die Gelegenheit, sich sowohl zu der Zulassung dieses Einwands in das Verfahren als auch zu dessen Begründetheit zu äußern (vgl. Protokoll, Seiten 2 und 3, übergreifender Absatz).

2.4 Die Einsprechende 1 argumentierte zur Begründung ihres Einwands allein damit, dass die Fachperson angesichts der Anregungen aus der Lehre des Dokuments E9 unter Berücksichtigung des allgemeinen Fachwissens dazu veranlasst sein würde, die Lehre des Dokuments E9 in Richtung des Gegenstands des Streitpatents weiterzuentwickeln, also auch das in Merkmal 1.9 angegebene Optimierungsmerkmal bei der Erstellung eines Produktionsplans zu berücksichtigen. Dieser Vortrag wurde von der Patentinhaberin im folgenden schriftlichen Verfahren und in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer inhaltlich nicht weiter kommentiert.

2.5 Der Einwand beruht damit grundlegend auf der Annahme, dass die Berücksichtigung des in Merkmal 1.9 angegebenen Optimierungskriteriums der Fachperson bekannt war und/oder von der Fachperson aufgrund des allgemeinen Fachwissens notwendigerweise in einen Zusammenhang mit der Erstellung eines optimierten Produktionsplans gebracht wird. Wie in Punkt 1.20 der vorliegenden Entscheidung bereits dargelegt, ist die Kammer der Überzeugung, dass diese Annahme nicht zutrifft. Im Ergebnis ist der Einwand zur mangelnden erfinderischen Tätigkeit des Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag ausgehend von der Lehre des Dokuments E9 in Kombination mit dem allgemeinen Fachwissen nicht begründet. Es kommt deshalb für diese Entscheidung im übrigen auf die aufgeworfene Frage der Zulassung des betroffenen Einwands nicht an.

2.6 Im Ergebnis beruht der Gegenstand des Anspruchs 1 gegenüber der Lehre von Dokument E9 und dem allgemeinen Fachwissen auf einer erfinderischen Tätigkeit.

3. Weitere Einwände gegen den Hauptantrag - Zulassung

3.1 Die Einsprechende 1 verwies in ihrer Beschwerdeerwiderung in Bezug auf eine mangelnde Neuheit des Gegenstands des Anspruchs 1 gegenüber der jeweiligen Lehre der Dokumente E18, E19, E12, E15, E4, E5, E7, E10 und E16 und eine mangelnde erfinderische Tätigkeit ausgehend von den Lehren der Dokumente E12, E19, E8, E11, E13 und E17 auf das schriftliche Vorbringen beider Einsprechenden im Einspruchsverfahren. Sie begründete den bloßen Verweis auf das Vorbringen im Einspruchsverfahren damit, dass die angefochtene Entscheidung der Einspruchsabteilung keine Feststellungen zu diesen im Einspruchsverfahren erhobenen Einwänden enthalte und die Patentinhaberin sich selber in der Beschwerdebegründung zu diesen Einwänden einlasse und dabei lediglich ihre Argumente aus dem Einspruchsverfahren wiederhole und demzufolge substantiell nichts Neues vorbringe. Im übrigen behielt sich die Einsprechende 1 vor, nach Bedarf und/oder Aufforderung ihr Vorbringen zu ergänzen.

3.2 Der allgemeine Verweis auf eine Reihe von erstinstanzlichen Schriftsätzen oder allgemein auf das erstinstanzliche Vorbringen macht die darin angeführten Einwände indes nicht zum Teil des Beschwerdevorbringens der Einsprechenden 1. Eine Auseinandersetzung der Einsprechenden 1 mit den in der Beschwerdebegründung angeführten Argumenten der Patentinhaberin ist weder ersichtlich noch durch den lediglich pauschalen Verweis auf das Einspruchsverfahren offenkundig bzw. ohne Weiteres nachvollziehbar. Dies gilt unabhängig davon, ob die Argumente der Patentinhaberin selber nur eine wörtliche Wiederholung ihres Vorbringens aus dem Einspruchsverfahren darstellt.

3.3 Das Einspruchsverfahren bestand notwendigerweise aus einem wechselseitigen Vorbringen von Argumenten in unterschiedlichen Verfahrensständen und es blieb durch den pauschalen Verweis unklar, ob der Austausch von Argumenten vollständig war oder ob einzelne Argumente angesichts möglicherweise vorgetragener Gegenargumente weiterverfolgt wurden, so dass der in eine Überprüfung durch die Kammer zu ziehende Sachstand durch einen Verweis auf erstinstanzliches Vorbringen nicht eindeutig definiert wird.

3.4 Wie in T 503/20 (Punkt 3.7.4 der Entscheidungsgründe) ausgeführt, kann daher die bloße Bezugnahme auf das Einspruchsvorbringen eine sachgerechte Begründung im Beschwerdeverfahren nicht ersetzen; vielmehr ist die von der Verfahrensordnung in Artikel 12(3) Satz 1 und Satz 2, 2. Halbsatz VOBK weiterhin geforderte Vollständigkeit des Beschwerdevorbringens deshalb geboten, weil es nicht Aufgabe der Kammer sein kann, nachzuforschen, welche der Argumente aus dem Einspruchsverfahren weiterhin relevant bleiben könnten.

3.5 Dies ändert sich auch nicht dadurch, dass die Einsprechende 1 zu diesen Einwänden in ihrem Schriftsatz vom 28. Juli 2023 umfangreich vortrug.

3.6 Die Vorschrift des Artikels 12 (3) VOBK betrifft den Zeitpunkt der Vorlage der Beschwerdebegründung bzw. der Beschwerdeerwiderung im Beschwerdeverfahren. Ihr schließen sich Vorschriften zum weiteren Verfahren an, insbesondere Artikel 13 (2) VOBK, wonach Änderung des Beschwerdevorbringens nach Zustellung der Ladung zur mündlichen Verhandlung grundsätzlich unberücksichtigt bleiben, es sei denn der betroffene Beteiligte hat stichhaltige Gründe dafür aufgezeigt, dass außergewöhnliche Umstände vorliegen. Entsprechende rechtfertigende Gründe wurden jedoch weder vorgetragen noch sind sie angesichts des Fehlens eines substantiierten Vorbringens in der Beschwerdebegründung offenkundig. Bei der Beurteilung der Frage, ob ein hinreichend vollständiger Sachvortrag im Sinne des Artikels 12 (3) VOBK vorliegt, kommt es vielmehr lediglich auf den Inhalt der Beschwerdebegründung und der Beschwerdeerwiderung an. Eine spätere Verfahrenshandlung oder ergänzendes Vorbringen eines Beteiligten ist hingegen nicht geeignet, einen Verstoß gegen die Erfordernisse des Artikels 12 (3) VOBK gewissermaßen zu heilen.

3.7 Folglich sind die weiteren Einwände mangelnder Neuheit des Gegenstands von Anspruch 1 gemäß Hauptantrag hinsichtlich der jeweiligen Lehre der Dokumente E18, E19, E12, E15, E4, E5, E7, E10 und E16 und mangelnder erfinderischer Tätigkeit des Gegenstands von Anspruch 1 gemäß Hauptantrag ausgehend von der jeweiligen Lehre der Dokumente E12, E19, E8, E11, E13 und E17 gemäß Artikel 12 (5) und 13 (2) VOBK nicht ins Verfahren zuzulassen.

4. Schlussfolgerung

Entsprechend gelangt die Kammer zu der folgenden Überzeugung:

- der Gegenstand von Anspruch 1 gemäß Hauptantrag ist neu gegenüber der Lehre von Dokument E9,

- der Gegenstand von Anspruch 1 gemäß Hauptantrag beruht gegenüber der Lehre von Dokument E9 und dem allgemeinen Fachwissen auf einer erfinderischen Tätigkeit, und

- alle weiteren Einwände der Einsprechenden 1 gegen den Hauptantrag wurden nicht in zulässiger Weise im Beschwerdeverfahren vorgebracht,

so dass die angefochtene Entscheidung aufzuheben ist.

Es liegen keine in zulässiger Weise vorgebrachten Einwände vor, die einer Aufrechterhaltung des Patents in unveränderter Form entgegenstünden.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Das Patent wird in unveränderter Form

aufrechterhalten.

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