European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:2024:T060622.20240722 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 22 Juli 2024 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 0606/22 | ||||||||
Anmeldenummer: | 16150711.6 | ||||||||
IPC-Klasse: | B65B 51/26 B65B 9/20 B65B 61/18 B29C 65/18 B29C 65/30 B29C 65/78 |
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Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | D | ||||||||
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Bezeichnung der Anmeldung: | VORRICHTUNG ZUM VERSIEGELN EINER VERPACKUNG ODER EINES VERPACKUNGSMATERIALS | ||||||||
Name des Anmelders: | Syntegon Packaging Solutions B.V | ||||||||
Name des Einsprechenden: | - | ||||||||
Kammer: | 3.2.07 | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: |
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Schlagwörter: | Neuheit - offenkundige Vorbenutzung (nein) Neuheit - nicht ausreichend bewiesen Zurückverweisung - (nein) |
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Orientierungssatz: |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
I. Die Patentinhaberin legte form - und fristgerecht Beschwerde gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung ein, mit der festgestellt wurde, dass unter Berücksichtigung der von der Patentinhaberin im Einspruchsverfahren vorgenommenen Änderungen (damals Hilfsantrag 2) das europäische Patent Nr. 3 048 056 und die Erfindung, die es zum Gegenstand hat, den Erfordernissen des Übereinkommens genügen.
II. Der Einspruch richtete sich gegen das Patent im gesamten Umfang und stützte sich auf die Einspruchsgründe aus Artikel 100 a) EPÜ.
III. Die Einsprechende nahm ihren Einspruch am 2. Januar 2024 zurück.
IV. Die Patentinhaberin beantragte,
die angefochtene Entscheidung aufzuheben und
das Patent in erteilter Fassung aufrechtzuerhalten (Hauptantrag),
und hilfsweise, die Aufrechterhaltung des Patents gemäß einem der mit der Beschwerdebegründung vorgelegten Hilfsanträge I bis XVI.
V. In dieser Entscheidung wird auf das folgende erstmalig mit Schriftsatz vom 3. Juni 2022 durch die Patentinhaberin vorgelegte Dokument Bezug genommen:
A38: "Guest statement" der Sante A Kowalski Sp.j.,
Version 8 vom 18. Oktober 2012 und Version 9
vom 19. Oktober 2020.
Im übrigen wird auf die konsolidierte Liste der Dokumente in der angefochtenen Entscheidung verwiesen.
VI. Der unabhängige Anspruch 1 des Patents in erteilter Fassung lautet (die Merkmalsanalyse entspricht Punkt II.3.1 der Entscheidungsgründe):
"M1.1 Vorrichtung zum Versiegeln einer Verpackung oder eines Verpackungsmaterials, umfassend
M1.2 zumindest einen Formatsatz zu Formung eines Verpackungsmaterials zu einem Schlauch, umfassend
M1.3 zumindest ein Abzugsorgan, das das Verpackungsmaterial in einer Transportrichtung bewegt,
M1.4 mit zumindest einer Längssiegeleinrichtung zur Erstellung zumindest einer Längsnaht,
M1.5 wobei die Längssiegeleinrichtung zumindest zwei zueinander verfahrbare Siegelbacken umfasst,
M1.6 mit zumindest einer Quersiegeleinheit zur Erstellung zumindest einer Quernaht,
M1.7 wobei zumindest ein Antrieb vorgesehen ist, der die Längssiegeleinrichtung während des Siegelvorgangs der Längsnaht entlang der Transportrichtung des Verpackungsmaterials bewegt,
dadurch gekennzeichnet, dass
M1.8 zumindest eine Siegelbacke zumindest zwei Siegelelemente umfasst zur Erstellung zumindest zweier Siegelungen,
M1.9 dass zumindest ein Siegelelement zur Einsiegelung eines Verschlusses, insbesondere eines Zip-Verschlusses, ausgebildet ist."
VII. Angesichts der getroffenen Entscheidung ist eine Wiedergabe der Hilfsanträge nicht erforderlich.
VIII. Das entscheidungserhebliche Vorbringen der Patentinhaberin wird im Detail in den Entscheidungsgründen diskutiert.
Entscheidungsgründe
1. Entscheidung im schriftlichen Verfahren
1.1 Die vorliegende Entscheidung ergeht im schriftlichen Verfahren ohne mündliche Verhandlung gemäß Artikel 12 (8) VOBK unter Wahrung der Verfahrensrechte der Patentinhaberin nach Artikel 113 (1) und 116 (1) EPÜ.
1.2 Der Grundsatz des rechtlichen Gehörs nach Artikel 113 (1) EPÜ ist uneingeschränkt beachtet, da die Patentinhaberin umfangreich zur Sache vorgetragen und die Kammer diesen Vortrag ihrer Entscheidung zugrunde gelegt hat. Die ehemalige Einsprechende nahm ihren Einspruch zurück und schied damit als Verfahrensbeteiligte aus.
1.3 Da die Kammer der Beschwerde stattgibt, entfaltet der Antrag auf mündliche Verhandlung keine prozessuale Wirkung (Artikel 116 (1) EPÜ).
1.4 Die Beschwerdesache ist vielmehr auf der Grundlage der zu überprüfenden angefochtenen Entscheidung und des schriftsätzlichen Vorbringens der Patentinhaberin unter Wahrung deren Rechts gemäß Artikel 113 (1) und 116 (1) EPÜ entscheidungsreif.
2. Neuheit des Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag gegenüber der angeblich offenkundigen Vorbenutzung OV1 (Artikel 100 a) und 54 EPÜ)
2.1 Die Patentinhaberin wendete sich gegen die Feststellung in Punkt II.2.2 der Entscheidungsgründe, dass die Vorbenutzung OV1 als öffentlich zugänglich anzusehen ist.
2.2 Die Einspruchsabteilung stützte ihre Feststellung zur Offenkundigkeit der Vorbenutzung auf die Zeugenaussage des Zeugens Herrn Traum. Der Zeuge erklärte in seiner Aussage, dass für ihn während des der Vorbenutzung zugrundeliegenden Besuchs im Betrieb der Sante A. Kowalski Sp.j. keine Verpflichtung hinsichtlich dessen bestand, was er im Betrieb gesehen hatte (vgl. Niederschrift über die Beweisaufnahme, Seite 2, letzter vollständiger Absatz). Weiterhin erklärte er, dass er nicht davon abgehalten wurde, in dem Betrieb Videoaufnahmen zu machen. Er erklärte, sich an keine Hinweise zur Geheimhaltung erinnern zu können (vgl. a.a.O., Seite 5, Absätze 2 und 3). Ergänzend erklärte der Zeuge, dass er bei der Zugangskontrolle unterschreiben musste, Hygiene- und Sicherheitsvorschriften einzuhalten (vgl. a.a.O., Seite 2, Absatz 5).
2.3 Im vorliegenden Fall lagen sämtliche Beweismittel zu der geltend gemachten, angeblich offenkundigen Vorbenutzung im Einflussbereich der damaligen Einsprechenden, die sich auf ein während eines Besuchs eines ihrer Mitarbeiter, des Zeugens Herrn Traum, bei der Sante A. Kowalski Sp.j. erstelltes Video stützt. Die Offenkundigkeit der Vorbenutzung war daher durch die Einsprechende gemäß regelmäßiger Rechtsprechung der Beschwerdekammern lückenlos nachzuweisen (vgl. Rechtsprechung der Beschwerdekammern [RdB], 10. Auflage 2022, III.G.4.3.2.b)).
2.4 Die Patentinhaberin legte mit Schriftsatz vom 3. Juni 2022 durch Dokument A38 zwei hinsichtlich der Punkte 3. und 9. zur Vertraulichkeit im wesentliche identische Versionen einer "Guest Statement"-Erklärung der Firma Sante A. Kowalski Sp.j. vor, von der sie behauptet, dass diese im maßgeblichen Zeitraum der angeblich offenkundigen Vorbenutzung jeder Besucher des Betriebsgeländes der Sante A. Kowalski Sp.j, zu unterzeichnen hatte.
2.5 Beide "Guest Statement"-Erklärungen sind dem Augenschein nach in Einklang mit der Aussage des Zeugens über die im Zeitraum seines Besuchs bei Sante A. Kowalski Sp.j. bestehende Zugangskontrolle und die Pflicht der Besucher, eine Erklärung zu unterzeichnen.
2.6 Das Dokument A38 enthält aber - entgegen der vage bleibenden Aussage des Zeugens - ausdrücklich Regelungen zur Vertraulichkeit und ein Verbot von Videoaufnahmen auf dem Gelände ohne Zustimmung von Sante A. Kowalski Sp.j.
2.7 Auch wenn nicht nachgewiesen wurde, dass der Zeuge bei Zugang auf das Betriebsgelände eine der Erklärungen aus Dokument A38 und nicht ein anderes Dokument unterzeichnet hatte und ob, für den Fall, dass er eine Erklärung entsprechend Dokument A38 unterzeichnete, nicht ein Einverständnis zum Erstellen der Videoaufzeichnungen vorlag, entstehen durch die Vorlage des Dokuments A38 erhebliche Zweifel an der Feststellung der Einspruchsabteilung, dass kein Geheimhaltungsinteresse seitens Sante A. Kowalski Sp.j. existierte. Vielmehr erscheint für Besucher eine Geheimhaltung als übliche Praxis bestanden zu haben. Es ist nicht ersichtlich, dass für bestimmte Besuchergruppen, beispielsweise Servicetechniker, davon eine Ausnahme gemacht wurde. Auch der Zeuge erwähnt lediglich allgemein eine Zugangskontrolle.
2.8 Diese aufgebrachten Zweifel lassen sich im vorliegenden Verfahren nicht mehr überprüfen, denn weitere Nachforschungen zur Aufklärung des Sachverhalts erfordern angesichts ihres Einflusses über die Beweismittel notwendigerweise die Mitwirkung der Einsprechenden, die ihren Einspruch jedoch zurückgenommen hat. Die Kammer kommt daher zu der Schlussfolgerung, dass nach Vorlage des Dokuments A38 an der Offenkundigkeit der Vorbenutzung hinreichend berechtigte Zweifel bestehen (vgl. T 1534/16, insbesondere Punkt 1 der Entscheidungsgründe).
2.9 Mangels eines lückenloses Nachweises der Offenkundigkeit der Vorbenutzung halten jedoch die Feststellungen der Einspruchsabteilung zur fehlenden Neuheit des Gegenstands von Anspruch 1 gemäß Hauptantrag gegenüber der geltend gemachten offenkundigen Vorbenutzung einer Überprüfung nicht stand.
2.10 Die angefochtene Entscheidung ist aufzuheben.
3. Weitere Einwände nach Artikel 100 a) EPÜ
3.1 Da die Einspruchsabteilung zu der Entscheidung gekommen war, dass das Patent wie erteilt wegen Artikel 100 a) und 54 EPÜ aufgrund der angeblichen offenkundigen Vorbenutzung zu widerrufen sei, hatte sie keinen rechtlich zwingenden Anlass, auch über die weiteren von der Einsprechenden mit dem Einspruch und erneut im Beschwerdeverfahren vorgebrachten Einwände aus Artikel 100 a) EPÜ (Neuheit und erfinderische Tätigkeit) gegenüber dem Hauptantrag zu entscheiden. Die angefochtenen Entscheidung enthält hierzu zu Recht keine Feststellungen.
3.2 Die Patentinhaberin begehrt mit ihrem Antrag eine Aufrechterhaltung des Patents in erteilter Fassung. Dieser Antrag kann allerdings nur gewährt werden, wenn die vorgebrachten Einspruchsgründe der Aufrechterhaltung des erteilten Patents nicht entgegenstehen. Bei dieser Prüfung können Argumente Beweismittel, die von der Einsprechenden vor Rücknahme des Einspruchs vorgebracht worden sind, herangezogen werden (siehe RdB, supra, III.Q.3.3, siehe auch T 629/90 sowie T 46/10).
Sofern nicht alle Einspruchsgründe geprüft sind, so wird die Angelegenheit an die Einspruchsabteilung zurückverwiesen, so dass diese gemäß Regel 84 (2) EPÜ prüft, ob sie das Einspruchsverfahren fortsetzt (G 8/91, siehe auch T 1627/18). Die Einspruchsabteilung setzt das Verfahren dann fort, wenn sie der Auffassung ist, dass dieses voraussichtlich ohne zusätzliche Hilfe der Einsprechenden und ohne aufwendige eigene Ermittlungen zu einer Beschränkung oder zum Widerruf des europäischen Patents führen wird (Richtlinien für die Prüfung D-VII, 5.2 und 5.3). Im vorliegenden Fall sieht die Kammer von einer Zurückverweisung aus den folgenden Gründen ab.
3.3 Die Einspruchsgründe mangelnder Neuheit und mangelnder erfinderischer Tätigkeit nach Artikel 100 a) EPÜ wurden mit Erhebung des Einspruchs substantiiert vorgetragen und im Verlaufe des Einspruchsverfahrens diskutiert. Dabei legte die Einsprechende wiederholt unterschiedliche Dokumente als Beweismittel vor und trug darauf basierend gegen den Hauptantrag verschiedene Einwände im Rahmen der geltend gemachten Einspruchsgründe vor.
3.4 Mit ihrer vorläufigen Meinung vom 2. August 2019 und 23. Juni 2020 gelangte die Einspruchsabteilung zu der vorläufigen Auffassung, dass bis auf die geltend gemachte offenkundige Vorbenutzung sämtliche bis zu dem jeweiligen Zeitpunkt vorgebrachten Einwände im Rahmen des Einspruchsgrunds nach Artikel 100 a) EPÜ voraussichtlich nicht erfolgreich seien. Der Neuheitseinwand basierend auf D15 wurde aufgrund fehlender prima facie-Relevanz nicht in das Verfahren zugelassen. In Bezug auf die mit den Schriftsätzen im Beschwerdeverfahren neu eingereichten Einwände, insbesondere die offenkundige Vorbenutzung IV, erkennt die Kammer keinen Grund, warum diese ins Verfahren zugelassen werden sollten.
Die Kammer sieht demnach keinen Grund, die Angelegenheit an die Einspruchsabteilung zur Fortführung des Einspruchsverfahrens gemäß Regel 84 (2) EPÜ zurückzuverweisen.
4. Es sind entsprechend zudem keine Einspruchsgründe nach Artikel 100 EPÜ erkennbar, die der Aufrechterhaltung des Patents in erteilter Fassung augenscheinlich entgegenstünden.
5. Es erübrigt sich somit eine Prüfung der Hilfsanträge.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Das Patent wird in unveränderter Form aufrechterhalten.