T 0389/22 (Fahrzeugnetzwerk II/ZF Systems) of 22.1.2024

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2024:T038922.20240122
Datum der Entscheidung: 22 Januar 2024
Aktenzeichen: T 0389/22
Anmeldenummer: 15712041.1
IPC-Klasse: H04L 29/06
H04W 12/08
B60R 25/00
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Verfahren zur Autorisierung in einem drahtlosen Fahrzeug-netzwerk
Name des Anmelders: ZF CV Systems Hannover GmbH
Name des Einsprechenden: Knorr-Bremse Systeme für Nutzfahrzeuge GmbH
Kammer: 3.5.05
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 54
Rules of procedure of the Boards of Appeal Art 13(1)
Rules of procedure of the Boards of Appeal Art 12(4)
Schlagwörter: Neuheit - Hauptantrag (nein)
Zulassung eines in der mündlichen Verhandlung eingereichten Anspruchssatzes - Hilfsantrag 0a (nein): keine außergewöhnlichen Umstände
Zulassung von vor der ersten Instanz eingereichten, aber nicht behandelten Anspruchssätzen ("carry-over requests") - Hilfsanträge 1 bis 5 (nein): nicht dargelegt, dass sie "in zulässiger Weise vorgebracht" wurden + nicht
prima facie
gewährbar
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
T 1924/20
T 0246/22
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerde der Einsprechenden richtete sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, den Einspruch zurückzuweisen.

II. Der folgende Stand der Technik ist für die vorliegende Entscheidung relevant:

D1: GB 2505949 A.

III. In einer Mitteilung gemäß Artikel 15 (1) VOBK teilte die Kammer ihre negative vorläufige Meinung zur Neuheit und erfinderischen Tätigkeit mit.

IV. Am 22. Januar 2024 fand eine mündliche Verhandlung vor der Kammer statt, an deren Ende die Entscheidung der Kammer verkündet wurde.

Die Einsprechende beantragte, die Entscheidung der Einspruchsabteilung aufzuheben und das Patent zu widerrufen.

Die Patentinhaberin beantragte, die Beschwerde zurückzuweisen (Hauptantrag, d. h. das Patent in erteilter Form aufrechtzuerhalten), oder hilfsweise das Patent in geänderter Fassung auf der Grundlage der Ansprüche eines der Hilfsanträge 0a und 1 bis 5 aufrechtzuerhalten. Hilfsantrag 0a wurde in der mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer und Hilfsanträge 1 bis 5 mit der Beschwerdeerwiderung eingereicht.

V. Anspruch 1 des Hauptantrags hat folgenden Wortlaut (Merkmalsgliederung der Kammer):

a) "Verfahren zur Autorisierung in einem drahtlosen Fahrzeug-Netzwerk, nämlich zur Autorisierung der Kommunikation zwischen einer ersten einem Steuergerät zugeordneten fahrzeugseitigen Kommunikationseinheit (13) eines ersten Fahrzeugs (10)

b) und einer zweiten einem Steuergerät zugeordneten fahrzeugseitigen Kommunikationseinheit (12) eines zweiten Fahrzeugs (11)

c) wobei zwischen den beiden Fahrzeugen eine physikalisch-mechanische Verbindung (18) besteht, dadurch gekennzeichnet,

d) dass zwischen den beiden fahrzeugseitigen Kommunikationseinheiten eine nicht-autorisierte drahtlose Verbindung besteht,

e) dass die erste fahrzeugseitige Kommunikations-einheit über die drahtlose Verbindung an die zweite fahrzeugseitige Kommunikationseinheit eine Anfrage nach Autorisierung der Kommunikation sendet, und

f) dass dann eine der beiden Alternativen a) oder b) ausgeführt wird:

[Alternative] a)

g) - eine der beiden fahrzeugseitigen Kommunikationseinheiten fordert über die drahtlose Verbindung die jeweils andere fahrzeugseitige Kommunikationseinheit zu einer Rückmeldung auf,

h) - die Rückmeldung erfolgt auf der

physikalisch-mechanischen Verbindung,

i) - nach erfolgter Rückmeldung wird eine autorisierte drahtlose Verbindung eingerichtet;

[Alternative] b)

j) - eine der beiden fahrzeugseitigen Kommunikationseinheiten veranlasst über die physikalisch-mechanische Verbindung die jeweils andere fahrzeugseitige Kommunikationseinheit zu einer Rückmeldung,

k) - die Rückmeldung erfolgt über die drahtlose Verbindung oder über die physikalisch-mechanische Verbindung,

l) - nach erfolgter Rückmeldung wird eine autorisierte drahtlose Verbindung eingerichtet."

VI. Anspruch 1 von Hilfsantrag 0a unterscheidet sich von Anspruch 1 des Hauptantrags dadurch, dass in der Alternative a nach Merkmal g) das folgende Merkmal hinzugefügt wurde (Merkmalsgliederung der Kammer):

m) "das Steuergerät, dem die andere fahrzeugseitiqe

Kommunikationseinheit zugeordnet ist, löst eine Funktion aus, die die gewünschte Rückmeldung bewirkt,".

VII. Anspruch 1 von Hilfsantrag 1 unterscheidet sich von Anspruch 1 des Hauptantrags dadurch, dass Merkmale a) und b) nun wie folgt lauten (Merkmalsgliederung und Unterstreichung hinzugefügter Elemente der Kammer):

a') "Verfahren zur Autorisierung in einem drahtlosen

Fahrzeug-Netzwerk, nämlich zur Autorisierung der Kommunikation zwischen einer ersten einem elektronischen Bremsen-Steuergerät zugeordneten fahrzeugseitigen Kommunikationseinheit (13) eines ersten Fahrzeugs (10)

b') und einer zweiten einem elektronischen

Bremsen-Steuergerät zugeordneten fahrzeugseitigen

Kommunikationseinheit (12) eines zweiten

Fahrzeugs (11)".

VIII. Anspruch 1 von Hilfsantrag 2 unterscheidet sich von Anspruch 1 des Hauptantrags dadurch, dass die Merkmale g) bis i) gestrichen wurden und Merkmal f) nun wie folgt lautet (Merkmalsgliederung und Kenntlichmachung von Änderungen durch die Kammer):

f') dass dann [deleted: eine der beiden Alternativen A) oder B)]

die folgenden Schritte ausgeführt [deleted: wird]werden:

IX. Anspruch 1 von Hilfsantrag 3 unterscheidet sich von Anspruch 1 von Hilfsantrag 2 dadurch, dass die Merkmale a) und b) durch die Merkmale a') und b') ersetzt wurden.

X. Anspruch 1 von Hilfsantrag 4 unterscheidet sich von Anspruch 1 von Hilfsantrag 3 dadurch, dass Merkmal k) nun wie folgt lautet (Merkmalsgliederung und Durchstreichung von gestrichenem Text durch die Kammer)

k') die Rückmeldung erfolgt über die [deleted: drahtlose]

[deleted: Verbindung oder] physikalisch-mechanische Verbindung,

und dass nach Merkmal j) das folgende Merkmal hinzugefügt wurde (Merkmalsgliederung der Kammer):

n) "das Steuergerät, dem die andere fahrzeugseitige

Kommunikationseinheit zugeordnet ist, löst eine Funktion aus, die die gewünschte Rückmeldung bewirkt,".

XI. Anspruch 1 von Hilfsantrag 5 unterscheidet sich von Anspruch 1 von Hilfsantrag 4 dadurch, dass Merkmal n) nun wie folgt lautet (Merkmalsgliederung und Unterstreichung von hinzugefügtem Text der Kammer):

n') "das Steuergerät, dem die andere fahrzeugseitige

Kommunikationseinheit zugeordnet ist, löst eine Funktion aus, die die gewünschte Rückmeldung bewirkt, indem ein Ventil in einer pneumatischen Bremsanlage zur Erzeugung einer Änderung in einem Steuerdruck oder Vorratsdruck geöffnet oder geschlossen wird,".

Entscheidungsgründe

1. Hauptantrag - Neuheit (Artikel 100 a) und 54 EPÜ)

1.1 Technischer Hintergrund des Streitpatents

Das Streitpatent betrifft den Aufbau einer autorisierten drahtlosen Kommunikationsverbindung bzw. das "Pairing" zwischen einer ersten Kommunikations-einheit eines ersten Fahrzeugs und einer zweiten Kommunikationseinheit eines zweiten Fahrzeugs, wobei die Fahrzeuge "physikalisch-mechanisch" miteinander verbunden sind, wie beispielsweise bei einem Zugfahrzeug und einem Anhängefahrzeug bzw. Trailer eines Lastzugs. Dazu fordert eine Kommunikationseinheit von der anderen eine Rückmeldung an, wobei die Aufforderung über die drahtlose Kommunikations-verbindung und die Rückmeldung über die

"physikalisch-mechanische Verbindung" erfolgt oder umgekehrt die Aufforderung über die

physikalisch-mechanische Verbindung und die Rückmeldung über die drahtlose oder die physikalisch-mechanische Verbindung erfolgt.

1.2 Auslegung der Merkmale c) und g)

1.2.1 Die "physikalisch-mechanische Verbindung" gemäß Merkmal c) kann eine pneumatische bzw. eine elektrische Verbindung umfassen, da auch elektrische Signale physikalischer Natur sind (vgl. auch die zweite Hälfte von Absatz [0025] des Patents). Die in den Merkmalen h), j) und k) über die physikalisch-mechanische Verbindung übertragenen Meldungen können damit auch über eine elektrische Verbindung übertragen werden.

1.2.2 In Merkmal g) wird zwar eine Kommunikationseinheit zu einer Rückmeldung aufgefordert, aber hierbei offen gelassen, wer oder was letztendlich die Rückmeldung ausführt. Da eine eventuelle Mitwirkung des Fahrers nicht explizit ausgeschlossen ist, umfasst Anspruch 1 auch den Fall, dass die Kommunikationseinheit die Aufforderung zur Rückmeldung erhält und eine entsprechende Anweisung an den Fahrer weitergibt.

1.3 Dokument D1 richtet sich ebenfalls auf die Kopplung bzw. das "Pairing" eines Trailers, was implizit eine Autorisierung umfasst (vgl. Titel).

1.3.1 Betreffend die Merkmale a) und b) richtet sich die "Kopplung" auf eine Kopplung zwischen einer Zugmaschine und einem Anhänger bzw. Trailer (D1, Seite 2, vierter und fünfter Absatz). Im Detail findet die Kopplung zwischen einem Trailerzugangspunkt ("trailer access point") mit einem Mikrocontroller und einer drahtlosen Schnittstelle und einem tragbaren Gerät statt, z. B. einem Mobiltelefon oder einem Navigationssystem, das implizit ebenfalls eine drahtlose Schnittstelle aufweist (Seite 5, zweiter und vierter Absatz in Verbindung mit Seite 6, zweiter Absatz). Nach Ansicht der Kammer kann das verwendete Mobiltelefon bzw. Navigationssystem durchaus als "fahrzeugseitige Kommunikationseinheit" betrachtet werden, die einem "Steuergerät" zugeordnet ist, da die Zuordnung auch nur administrativ sein und darin bestehen kann, dass die genannten Geräte einem bestimmten Fahrzeug zugeordnet sind.

1.3.2 In Bezug auf Merkmal c) sind der Trailer und die Zugmaschine über eine elektrische und eine pneumatische Leitung miteinander verbunden (Seite 3, zweiter Absatz und Seite 4, letzter Absatz bis Seite 5, erster Absatz).

1.3.3 Zu Merkmal d) stellt die Kammer fest, dass das in D1 offenbarte Aussenden der Aufforderung an den Fahrer, auf den Trailer einzuwirken und insbesondere die Bremse zu betätigen, eine vorhandene Verbindung zwischen der fahrzeugseitigen und der mobilen Kommunikationseinheit impliziert, die bereits vor der Autorisierung bestanden haben muss und somit "nicht-autorisiert" ist (Zusammenfassung und Seite 6, dritter Absatz). Das Merkmal ist somit zumindest implizit offenbart.

1.3.4 Die Patentinhaberin argumentierte, dass Dokument D1 Merkmal e) nicht implizit offenbare, denn es gäbe für den Ablauf der Autorisierung grundsätzlich drei verschiedene Möglichkeiten. So könne neben der Abfolge gemäß Anspruch 1 auch die "fahrzeugseitige Kommunikationseinheit" selbstständig das Auftauchen der mobilen Kommunikationseinheit im Netzwerk erkennen und die Aufforderung zur Fahreraktion senden oder es könnte auch die Autorisierungsanfrage von der mobilen Kommunikationseinheit gleichzeitig mit der Autorisierungsaktion durch den Fahrer erfolgen. Aus dem letzten Absatz auf Seite 6 von D1 würde sich zudem ergeben, dass sich die fahrzeugseitige Kommunikationseinheit ("trailer access point") direkt mit der Aufforderung zur Authentifizierung an die mobile Kommunikationseinheit ("control device") wendet. In dieser Variante würde die Aufforderung zur Rückmeldung aber ohne vorherige Anfrage nach Autorisierung gesendet werden.

Diesem Argument kann aus den folgenden Gründen nicht gefolgt werden. Das in Figur 2 von D1 teilweise dargestellte Bremssystem umfasst einen Trailerzugangspunkt ("trailer access point") mit einer drahtlosen Bluetooth- oder WiFi 802.11-Schnittstelle, die dem Steuergerät zugerechnet werden kann (Seite 4, letzter Absatz; Seite 5, zweiter Absatz). Die Kopplung zweier Geräte nach dem Bluetooth- oder dem

WiFi-Standard beginnt typischerweise mit der Anfrage eines Geräts, auf welche das andere Gerät antwortet, um Informationen über diese Geräte auszutauschen. Dabei können erst nach der erfolgreichen Kopplung die Daten ausgetauscht werden. Im Fall von Bluetooth sind dies beispielsweise eine "Inquiry" und "Inquiry response". Vor dem Senden der Anforderung in Merkmal e) ist also in jedem Fall eine Nachricht von der mobilen Kommunikationseinheit an die fahrzeugseitige Kommunikationseinheit gesendet worden, die somit durchaus als "Anfrage" gemäß Merkmal e) angesehen werden kann.

1.3.5 Merkmal f) schränkt Anspruch 1 nur insoweit ein, dass die Schritte zumindest nach einer der folgenden Alternativen durchgeführt werden.

1.3.6 Betreffend das Merkmal g) sendet der Trailerzugangspunkt eine Nachricht an das Gerät ("device") des Fahrers mit der Aufforderung, die Bremse zu betätigen, um Steuerfunktionen auf diesem Gerät zu ermöglichen (Seite 6, dritter Absatz). Bei dem Gerät handelt es sich um das tragbare Gerät, z. B. ein Mobiltelefon, des Fahrers, wie es sich aus dem Umstand ergibt, dass auf Seite 6 am Anfang des dritten Absatzes auf das Gerät des Ausführungsbeispiels gemäß dem zweiten Absatz Bezug genommen wird.

1.3.7 Die Patentinhaberin argumentierte, dass im Patent nicht konkret stünde, wie die Rückmeldung erfolgt, und daher die Patentbeschreibung heranzuziehen sei, um dem Merkmal einen Sinn zu verleihen. Dort sei nämlich in Absatz [0026] des Streitpatents, insbesondere in den Zeilen 21 bis 26, ausgeführt, dass das "Steuergerät" die Rückmeldung bewirkt und nicht der Fahrer. Dies sei aber in dem System von D1 nicht offenbart.

Die Kammer ist von dem Argument aus primär zwei Gründen nicht überzeugt. Erstens sagt Merkmal g) aus, dass von einer der Kommunikationseinheiten eine Aufforderung nach einer Rückmeldung an die andere Kommunikations-einheit ergeht. Auch wenn es zugegebenermaßen offen gelassen ist, wer die Rückmeldung wie ausführt, besteht keine Unklarheit über den Gegenstand der Merkmale g) und h) und damit kein Auslegungsbedarf, der einen Rückgriff auf die Beschreibung überhaupt notwendig machen würde. Zweitens ergibt sich, selbst wenn man die Beschreibung zur Auslegung des Anspruchs heranziehen würde (vgl. aber z. B. auch T 1924/20, Gründe 2.7), kein anderes Verständnis des Anspruchs als das oben dargelegte. Die Fachperson hätte nämlich die angeführte Textstelle aus Absatz [0026] der Patentschrift als ein nicht einschränkendes Ausführungsbeispiel betrachtet.

1.3.8 Der vorgenannte Trailerzugangspunkt von D1 ist hinsichtlich der Merkmale h) und i) in einem Ausführungsbeispiel in der Lage, die vom Fahrer ausgelöste Bremsaktion zu detektieren, um davon abhängig die Steuerfunktionen zu ermöglichen bzw. die Verbindung dafür zu autorisieren (Seite 6, dritter Absatz).

1.4 Dokument D1 offenbart somit ein Verfahren mit allen Merkmalen von Anspruch 1 gemäß "Alternative a".

1.5 Der Gegenstand von Anspruch 1 des Hauptantrags erfüllt somit nicht das Erfordernis der Neuheit (Artikel 100 a) i.V.m. 54 EPÜ).

2. Hilfsantrag 0a - Zulassung (Artikel 13 (2) VOBK)

2.1 In Anspruch 1 von Hilfsantrag 0a ist weiter ausgeführt, dass das Steuergerät des Fahrzeugs, das die Aufforderung nach Rückmeldung erhält, eine Funktion auslöst, die die gewünschte Rückmeldung bewirkt.

2.2 Die Patentinhaberin argumentierte, dass die Änderung jetzt klarstelle, dass das "Steuergerät" die Rückmeldung bewirke, und dass die Beurteilung der Neuheit gemäß dieser Änderung keine großen Probleme aufwerfen würde. Es sei nur zu prüfen, ob das hinzugefügte Merkmal in Dokument D1 offenbart sei oder nicht.

2.3 Die Kammer ist hier anderer Ansicht. Hilfsantrag 0a wurde nach der Ladung zur mündlichen Verhandlung und insbesondere während dieser Verhandlung eingereicht. Er fällt daher in den Anwendungsbereich von Artikel 13 (2) VOBK. Dementsprechend ist dieser Hilfsantrag nicht zu berücksichtigen, es sei denn, der betreffende Beteiligte kann stichhaltige Gründe dafür aufzeigen, dass "außergewöhnliche Umstände" vorliegen.

2.4 Die Kammer stellt hierzu fest, dass die Patentinhaberin keinerlei Aussagen darüber gemacht hat, warum der Hilfsantrag 0a erst zu diesem sehr späten Zeitpunkt eingereicht worden ist, so dass entgegen der Erfordernisse von Artikel 13 (2) VOBK keine Gründe für "außergewöhnliche Umstände" dargelegt wurden.

2.5 Darüber hinaus stehen auch die Kriterien von

Artikel 13 (1) VOBK aus den folgenden Gründen der Zulassung dieses Hilfsantrags entgegen:

Auch Anspruch 1 von Hilfsantrag 0a schließt eine Mitwirkung der Bedienperson nicht aus. So kann die ausgelöste Funktion durchaus eine bloße Anweisung an die Bedienperson darstellen, die Bremse zu betätigen und so die gewünschte Rückmeldung zu bewirken, wie es auch in D1 offenbart ist. Die Änderung ist somit nicht geeignet, den Einwand der mangelnden Neuheit auszuräumen. Wenn man jedoch, arguendo, Anspruch 1 von Hilfsantrag 0a dahingehend auslegen sollte, dass tatsächlich das "Steuergerät" selbst die Rückmeldung durchführt, hätte dies zur Folge, dass jetzt ein in einem wesentlichen Punkt substanziell veränderter Gegenstand vorläge. Dies würde die Diskussion deutlich erschweren und auf neue Aspekte ausdehnen, wie beispielsweise die Übertragung einer Rückmeldung über die CAN-Verbindung, die ja auch Teil der

"physikalisch-mechanischen Verbindung" ist. Außerdem müsste dann der Einsprechenden die Gelegenheit gegeben werden, darauf reagieren zu können und gegebenenfalls weitere Dokumente aus dem Verfahren heranzuziehen, so dass in diesem Fall auch das Gebot der Verfahrens-ökonomie verletzt wäre.

2.6 Die Kammer hat deshalb entschieden, Hilfsantrag 0a nicht in das Verfahren zuzulassen.

3. Hilfsanträge 1 bis 5 - Zulassung (Artikel 12 (4) VOBK)

3.1 Die Patentinhaberin hat die Hilfsanträge 1 bis 5 bereits im Einspruchsverfahren (kurz vor Ablauf der nach Regel 116 (1) EPÜ bestimmten 2-Monats-Frist vor der mündlichen Verhandlung) eingereicht. Die Hilfsanträge mussten jedoch von der Einspruchsabteilung nicht behandelt werden, da das Streitpatent wie erteilt aufrechterhalten wurde (es handelt sich hierbei also um sog. "carry-over requests"; vgl. auch T 246/22). Somit liegen diese Hilfsanträge nicht im Sinne von

Artikel 12 (2) VOBK der angefochtenen Entscheidung zugrunde. Folglich sind sie auch nicht automatisch Teil des Beschwerdeverfahrens.

Liegen jedoch bestimmte Anträge gemäß Artikel 12 (2) VOBK nicht der Entscheidung "zugrunde", so sind diese Anträge als "Änderung" im Sinne von Artikel 12 (4) Satz 1 VOBK zu betrachten, "sofern der Beteiligte nicht zeigt, dass dieser Teil in dem Verfahren, das zu der angefochtenen Entscheidung geführt hat, in zulässiger Weise vorgebracht und aufrechterhalten wurde". Deren Zulassung läge dann gemäß Artikel 12 (4) Satz 2 VOBK im Ermessen der Kammer.

3.2 Aus dem Wortlaut von Artikel 12 (4) VOBK geht nach Ansicht dieser Kammer klar hervor, dass der Gesetzgeber den Kammern keine Verpflichtungen von Amts wegen auferlegen wollte, das erstinstanzliche Verfahren zu studieren, Anträge zu identifizieren und bis zu ihrem Ursprung zurückzuverfolgen und zu verstehen, warum sie eingereicht wurden. Vielmehr obliegt es dem betreffenden Verfahrensbeteiligten, darzulegen, dass diese Anträge "in zulässiger Weise vorgebracht" wurden.

3.3 Im vorliegenden Fall ist die Patentinhaberin dieser Darlegungslast z. B. in Bezug auf den Zweck der Änderungen nicht nur in ihrer Beschwerdeerwiderung, sondern auch während der mündlichen Verhandlung vor der Kammer nicht nachgekommen. Die Beschwerdeerwiderung enthält nämlich im letzten Absatz nur die folgenden Ausführungen zu den betreffenden Hilfsanträgen:

"Bezüglich der Hilfsanträge, die den Hilfsanträgen aus dem Einspruchsverfahren entsprechen und zu denen die Beschwerdeführerin in der Beschwerdebegründung nicht vorträgt, wird auf das Vorbringen im Schriftsatz der Patentinhaberin im Einspruchsverfahren vom 13.07.2021 verwiesen."

3.4 Dieser pauschale Verweis auf einen Schriftsatz des Einspruchsverfahrens genügt jedoch weder den Anforderungen der Substanziierung gemäß Artikel 12 (3) VOBK noch den Anforderungen von Artikel 12 (4) Satz 1 VOBK. Der Umstand, dass die Beschwerdeführerin in ihrer Beschwerdebegründung diese Hilfsanträge nicht präventiv angegriffen hat, ist hier völlig irrelevant. Die Beschwerde eines Einsprechenden richtet sich notwendigerweise gegen die angefochtene Entscheidung und den darin für gewährbar erachteten Anspruchssatz und nicht gegen hypothetische Anträge, die der Entscheidung nicht zugrunde liegen und die der Patentinhaber erst im Beschwerdeverfahren stellen könnte.

Zudem sind die Merkmale von Anspruch 1 von keinem der Hilfsanträge 1 bis 5 wörtlich in den ursprünglich eingereichten Ansprüchen enthalten, so dass dessen Merkmale der Beschreibung entnommen wurden. Die Einsprechende und die Einspruchsabteilung wären somit etwa zwei Monate vor der mündlichen Verhandlung mit einem veränderten Gegenstand konfrontiert gewesen.

3.5 Somit konnte die Patentinhaberin nicht zeigen, dass die Hilfsanträge 1 bis 5 im Einspruchsverfahren tatsächlich "in zulässiger Weise vorgebracht" wurden. Die Kammer selbst sieht auch keine Gründe, die dafür sprechen würden, dass diese Anträge tatsächlich im Einspruchsverfahren "in zulässiger Weise vorgebracht" wurden.

3.6 Aus dem Obigen folgt, dass die Hilfsanträge 1 bis 5 "Änderungen" im Sinne von Artikel 12 (4) Satz 1 VOBK darstellen. Es liegt somit gemäß Artikel 12 (4) Satz 2 VOBK im Ermessen der Kammer, diese Hilfsanträge in das Beschwerdeverfahren zuzulassen. Dabei berücksichtigt die Kammer insbesondere die Kriterien der Komplexität der Änderung, ihre Eignung zur Behandlung der Fragen, die zur angefochtenen Entscheidung geführt haben, und das Gebot der Verfahrensökonomie (vgl. Artikel 12 (4) Satz 5 VOBK).

3.7 Das in Anspruch 1 von Hilfsantrag 1 hinzugefügte Merkmal ist offensichtlich bereits aus D1 bekannt, da dort eine Kommunikationseinheit Teil des Bremsensteuergeräts des Trailers ist und das Mobiltelefon bzw. das Navigationssystem auch administrativ dem Bremsensteuergerät des Zugfahrzeugs zugeordnet werden kann (vgl. Punkt 1.3.1 oben). Die Änderung ist somit nicht geeignet, die Neuheit gegenüber D1 herzustellen.

3.8 In Anspruch 1 aller übrigen Hilfsanträge 2 bis 5 ist die "Alternative a" gestrichen worden, die aber die Grundlage für die Beurteilung des Hauptantrags war. Es verbleibt die "Alternative b", in der die Aufforderung zur Rückmeldung drahtgebunden erfolgt, so dass diese Änderung den Gegenstand wesentlich verändert und die Diskussion anderer Dokumente erforderlich machen würde. Somit spricht auch die Komplexität der Änderung gegen die Zulassung dieser Hilfsanträge.

3.9 Zudem wurde zu keinem der Hilfsanträge entgegen der Erfordernisse von Artikel 12 (4) Satz 4 VOBK die Grundlage der entsprechenden Änderungen angegeben oder Gründe angeführt, warum diese die erhobenen Einwände ausräumen. Auch in diesem Zusammenhang ist der bloße

Verweis auf einen Schriftsatz im Einspruchsverfahren nicht ausreichend.

3.10 Darüber hinaus stellt die Kammer zur Sache prima facie fest, dass in Anspruch 1 der Hilfsanträge 2 und 3 eine Kommunikationseinheit die andere Kommunikationseinheit zu einer Rückmeldung "veranlasst". Die Rückmeldung "erfolgt" drahtlos oder, wie in D1, über die "physikalisch-mechanische Verbindung". Es ist jedoch offen gelassen, wie die "veranlasste" Kommunikationseinheit die Rückmeldung tatsächlich bewirkt, so dass auch eine Nachricht an eine Bedienperson mit der Anweisung, die Bremse zu betätigen, darunter fallen würde, wie es auch in Dokument D1 bereits offenbart ist. Der einzige Unterschied zum Verfahren von D1 bestünde somit darin, dass die Nachricht an die Bedienperson nicht drahtlos, sondern über die "physikalisch-mechanische Verbindung" und insbesondere über die elektrische CAN-Verbindung erfolgt, die in D1 auch bereits offenbart ist und auch Teil der "physikalisch-mechanischen Verbindung" gemäß Anspruch 1 sein kann (vgl. Punkt 1.2.1 oben). Die Verwendung des drahtgebundenen Übertragungswegs für die Rückmeldung an die Bedienperson wäre nach Ansicht der Kammer eine einfache alternative Option, die somit prima facie nicht zu einer erfinderischen Tätigkeit beitragen kann.

3.11 In Anspruch 1 der Hilfsanträge 4 und 5 ist noch hinzugefügt, dass das "Steuergerät", das die Aufforderung zur Rückmeldung erhält, eine Funktion auslöst, die die gewünschte Rückmeldung bewirkt. Dieses Merkmal ist jedoch nur in der ursprünglich eingereichten Beschreibung auf Seite 13 im zweiten Absatz im Rahmen der "Alternative a" offenbart. Wie von der Einsprechenden argumentiert, findet sich in den ursprünglich eingereichten Unterlagen keine Stütze für das in den Hilfsanträgen 4 und 5 hinzugefügte Merkmal im Rahmen der "Alternative b", so dass die beiden Hilfsanträge Anlass zu neuen Einwänden gemäß Artikel 123 (2) EPÜ geben würden.

3.12 Die Kammer hat deshalb entschieden, die Hilfsanträge 1 bis 5 nicht in das Verfahren zuzulassen.

4. Da kein gewährbarer Anspruchssatz vorliegt, ist das Streitpatent zu widerrufen.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Das Patent wird widerrufen.

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