European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:2023:T030722.20231027 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 27 October 2023 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 0307/22 | ||||||||
Anmeldenummer: | 16705960.9 | ||||||||
IPC-Klasse: | A47L 15/00 A47L 15/42 |
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Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | D | ||||||||
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Bezeichnung der Anmeldung: | SPÜLMASCHINE | ||||||||
Name des Anmelders: | WINTERHALTER GASTRONOM GMBH | ||||||||
Name des Einsprechenden: | Hobart GmbH | ||||||||
Kammer: | 3.2.04 | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: |
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Schlagwörter: | Priorität - dieselbe Erfindung (nein) Priorität - Teilpriorität (ja) Verspätet geltend gemachte Veröffentlichung im Prioritätsintervall - Zulassung (nein) |
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Orientierungssatz: |
Ein von der Einspruchsabteilung nicht zugelassenes Dokument kann in der Beschwerde durchaus zugelassen werden, wenn die Vorinstanz verkannt hat, dass der beanspruchten Erfindung nur eine Teilpriorität zukommt und das erstinstanzlich nicht zugelassene Dokument als Stand der Technik für die Frage der erfinderischen Tätigkeit der nicht prioritätsberechtigten Alternativen des unabhängigen Anspruchs relevant ist. |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
I. Die Beschwerde der Einsprechenden richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, den Einspruch gegen das Streitpatent zurückzuweisen.
In dieser hatte die Einspruchsabteilung unter anderem festgestellt, dass der Gegenstand der Ansprüche neu ist.
Ferner hat sie das nachgereichte Dokument D7 wegen mangelnder Relevanz nicht zum Verfahren zugelassen.
II. In einer Mitteilung nach Artikel 15(1) VOBK hat sich die Kammer vorläufig der Auffassung der Einspruchsabteilung angeschlossen und die mangelnde Relevanz von D7, wenn auch aus anderem Grund, bestätigt.
III. Am 27. Oktober 2023 fand in Anwesenheit aller Parteien eine mündliche Verhandlung vor der Kammer statt.
IV. Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) beantragt die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents.
Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragt die Zurückweisung der Beschwerde und hilfsweise die Aufrechterhaltung des Patents auf der Grundlage der Hilfsanträge 1, 1a, 2, 2a, 3 - 5, 5a, 6, 6a, 7, 8, 8a, 9, 10, 10a, 11, von denen 1 und 2 bereits im Einspruchsverfahren, 3 - 11 mit Beschwerdeerwiderung sowie 1a, 2a, 5a, 6a, 8a, 10a mit Schreiben vom 17. November 2022 eingereicht wurden.
V. Der unabhängige Anspruch des Hauptantrags hat folgenden Wortlaut:
"Spülmaschine (1) mit
einer Öffnung (6) zum Be- und Entladen der Spülmaschine (1) mit Spülgut;
einer Tür zum Verschließen der Öffnung (6), die wenigstens ein Türblatt (21) und wenigstens eine Scharniervorrichtung (51) zum beweglichen Verbinden des Türblatts (21) mit der Spülmaschine (1) umfasst, und
wobei die wenigstens eine Scharniervorrichtung (51) ein als Kippgelenk ausgebildetes erstes Lager und einen Träger (53) aufweist, der mittels des Kippgelenks beweglich an der Spülmaschine (1) gehalten wird, wobei das Kippgelenk eine Bewegung des Türblatts (21) um eine vom Kippgelenk bereitgestellte erste Schwenkachse (A1) zwischen einer ersten Stellung, in der sich das Türblatt (21) zum Verdecken der Öffnung (6) in Vertikalrichtung erstreckt, und einer zweiten Stellung, in der sich das Türblatt (21) zum Freigeben der Öffnung (6) in Horizontalrichtung erstreckt, ermöglicht,
gekennzeichnet dadurch, dass
der Träger (53) als Winkelstück, insbesondere L-förmig, ausgebildet ist, und
die Scharniervorrichtung (51) ein als Abklappgelenk ausgebildetes zweites Lager aufweist, mittels dessen das Türblatt (21) beweglich am Träger (53) gehalten wird, wobei das Abklappgelenk eine Bewegung des Türblatts (21) um eine weitere, zweite Schwenkachse (A2) von der ersten Stellung in eine die Öffnung (6) freigebende dritte Stellung ermöglicht, in der sich das Türblatt (21) in Vertikalrichtung erstreckt."
VI. In der vorliegenden Entscheidung wird auf folgende Dokumente Bezug genommen:
D5: JP 7-124096
D5a: Übersetzung von D5
D6: JP 3553807 B2
D6a: Übersetzung zu D6
D7: DE 20 2015 100 873 U1
D8: DE 10 2015 102 593 A1.
VII. Das Vorbringen der Beschwerdeführerin (Einsprechenden) lässt sich wie folgt zusammenfassen:
Dem Streitpatent komme nicht der mit der Priorität beanspruchte Zeitrang zu, so dass der Gegenstand des Anspruchs 1 nicht neu gegenüber der Offenbarung der mit dem Prioritätsdokument inhaltsgleichen D7 sei. D7 sei daher hochrelevant und hätte in korrekter Ausübung des Ermessens von der Einspruchsabteilung zum Verfahren zugelassen werden müssen.
Darüber hinaus nähmen D5 und D5 den Gegenstand des Anspruchs 1 neuheitsschädlich vorweg.
Das Vorbringen der Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) lässt sich wie folgt zusammenfassen:
Die Einspruchsabteilung habe bei der Nichtzulassung der D7 wegen mangelnder Relevanz ihr Ermessen korrekt ausgeübt. Der Gegenstand des Anspruchs sei auch neu im Lichte der D5 und D6.
Entscheidungsgründe
1. Die Beschwerde ist zulässig.
2. Das Patent und sein technischer Hintergrund
2.1 Das Patent befasst sich mit der Türöffnung bei einer gewerblichen Spülmaschine. Wie bei Haushaltsgeräten wird üblicherweise zum Be- und Entladen der Spülmaschine eine Vordertür aus einer senkrechten Schließstellung in eine horizontale Offenstellung verschwenkt, und ein Geschirrkorb aus dem Innenraum, der Spülmaschine, der sogenannten Spülkammer, über der horizontalen Tür ausgezogen.
2.2 Die Spülkammer gewerblicher Spülmaschinen muss jedoch aus hygienischen Gründen täglich gereinigt werden, wobei auch Teile wie Siebe und Spülarme entnommen werden. Die horizontale ausgeklappte Tür stellt dabei ein Hindernis dar, um so mehr, als gewerbliche Spülmaschinen wesentlich größer als Haushaltsgeräte sein können.
Um einen besseren Zugang zur Spülkammer zu ermöglichen (siehe Absatz [0013] des Patents), sind aus dem Stand der Technik Spülmaschinen bekannt, deren Türen zumindest teilweise nach einer Verschwenkung in eine horizontale Öffnungsstellung weiter nach unten in eine wiederum senkrechte Stellung verschwenkt werden können, siehe D5, Fig. 4 - 6, D6, Fig. 1 - 3.
2.3 Das Patent schlägt grundsätzlich auch diesen Weg ein und definiert im erteilten Anspruch 1 strukturelle Merkmale zu dessen Umsetzung, insbesondere einen als Winkelstück ausgebildeten Träger und zwei Lager einer Scharniervorrichtung zum Öffnen, Schließen und Abklappen der Tür.
3. Prioritätsrecht aus D8 und Zulassung der D7
3.1 Mit Bescheid vom 16. März 2021 lud die Einspruchsabteilung zu einer mündlichen Verhandlung am 27. Oktober 2021 und räumte den Parteien eine Frist nach Regel 116 EPÜ für eine Stellungnahme bis zum 27. August 2021 ein. Mit Schreiben vom 21. Oktober 2021 überreichte die Beschwerdeführerin (Einsprechende) das Prioritätsdokument D8 des Streitpatents und die am 9. April 2015 veröffentlichte, inhaltsgleiche Gebrauchsmusteranmeldung D7 der Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) mit gleichem Anmeldetag wie das Prioritätsdokument D8 (24. Februar 2015). Sie bestritt die gültige Inanspruchnahme der Priorität aus D8 und stützte einen Neuheitseinwand auf D7.
Die Einspruchsabteilung bestätigte die Gültigkeit der Priorität und den Zeitrang des Patents als den 24. Februar 2015, womit die verspätet außerhalb der Frist nach Regel 116(1) EPÜ und sechs Tage vor der mündlichen Verhandlung vorgelegte D7 nicht Stand der Technik nach Artikel 54(2) EPÜ und somit nicht relevant sei, siehe Abschnitt 2.3.2.2 der angefochtenen Entscheidung. Aus diesen Gründen ließ sie D7 nicht zum Verfahren zu.
3.2 Grundsätzlich ist eine Beschwerdekammer darauf beschränkt, zu überprüfen, ob die Einspruchabteilung ihr Ermessen unter Artikel 114, Regel 116(1) EPÜ bei der Nichtzulassung eines verspätet vorgebrachten Dokuments wie D7 korrekt ausgeübt hat, d.h. nicht willkürlich und unter Berücksichtigung von angemessenen Kriterien, siehe RSdBK, 10. Auflage, V.A.3.4.1.b). Somit entscheidet die Kammer in der Regel also nicht nochmals an Stelle der Einspruchsabteilung über die Zulassung in Ausübung eigenen Ermessens.
Vorliegend beruht die Ermessenentscheidung der Einspruchsabteilung jedoch auf einer vorhergehenden materiellrechtlichen Feststellung der gültigen Inanspruchnahme der Priorität und damit der Zuerkennung eines entsprechenden Zeitrangs für das Patent. Dass dieser bestätigt wurde, führte unmittelbar zur mangelnden Relevanz der damit nicht mehr zum Stand der Technik nach Artikel 54 EPÜ zählenden D7.
Eine solche Entscheidung über Priorität und Zeitrang ist durchaus einer Überprüfung durch die Kammer zugänglich (RSdBK, 10. Auflage, V.A.3.4.1.c), die sie im folgenden vornimmt.
3.3 Der erteilte Anspruch 1 beruht auf einer Kombination der Ansprüche 1, 8 und einer Abwandlung des ersten Teils von Anspruch 9 von D8. Fraglich ist, ob das isolierte und geänderte Merkmal des Anspruchs 9, wonach der Träger als Winkelstück ausgebildet ist, eine Grundlage an anderer Stelle in der Gesamtoffenbarung der D8 hat, insbesondere in den den Ansprüchen 8 und 9 zugeordneten Absätzen [0028] - [0030] des allgemeinen Teils der Beschreibung von D8.
3.3.1 Absatz [0029] enthält zunächst die Option, dass "der Träger ein Winkelstück mit zwei zueinander in einem Winkel versetzten Schenkeln umfassen" kann.
Die beanspruchte Ausbildung des Trägers als Winkelstück lässt sich aber auch in dieser Allgemeinheit widerspruchsfrei sämtlichen beschriebenen Ausführungsvarianten entnehmen. Gemäß Absatz [0029] selbst muss das Winkelstück nicht wie in den Figuren gezeigt L-förmig sein. Selbst wenn, wie in Absatz [0078] beschriebenen, zu der in den Fig. 5, 6 umgekehrten Kinematik Bolzen 63 und Stift 69 als Bestandteile des zweiten Lagers am Winkelstück befestigt wären, umfasste der Träger diese nicht in Widerspruch zu Anspruch 1 als weitere Bauteile zusätzlich zum Winkelstück. Die optionale Nase 46 des Trägers aus Absatz [0081], Fig. 5, 6 ist hingegen integraler Bestandteil des Winkelstücks, nicht zusätzlicher Bestandteil des gemäß Anspruch 1 als Winkelstück ausgebildeten Trägers 53.
Ferner geht die Kammer davon aus, dass ein Winkelstück definitionsgemäß zwei zueinander in einem Winkel versetzte Schenkel aufweist. Diese Merkmale an sich liest der Fachmann, ein Diplom-Ingenieur mit mechanischen und konstruktiven Kenntnissen, implizit im Begriff "Winkelstück" mit.
3.3.2 Dass die Schenkel trotzdem ausdrücklich in Anspruch 9 und Absatz [0029] einleitend erwähnt werden, liegt daran, dass dort nachfolgend zur Beschreibung weiterer Gestaltungen des Winkelstücks auf sie zurückgegriffen wird.
Dabei werden diese Gestaltungen überwiegend mit der Formulierung "kann" als optional dargestellt, nämlich zunächst verschiedene Winkel zwischen den Schenkeln, die in einer L- oder V-Form des Trägers resultieren, später in Absatz [0030] Merkmale des zweiten Schenkels hinsichtlich eines Anschlags, die sich auch am Ende des Anspruchs 9 wieder finden. Hier bietet also D8 eine Offenbarungsgrundlage für eine Spülmaschine, die diese Merkmale des Anspruchs 9 nicht enthält.
3.3.3 Eingerahmt von diesen Optionen und im Gegensatz zu ihrer Formulierung werden in Absatz [0029] für den ersten Schenkel jedoch ohne Relativierung oder Ausnahme durch Ausdrücke wie "bevorzugt", "optional" oder "kann" faktisch Merkmale festgelegt ("ist"), die ebenfalls in Anspruch 9 der D8 enthalten sind: Er ist mit dem Türblatt verbunden und erstreckt sich in der ersten wie auch der zweiten Stellung des Türblatts im Wesentlichen parallel zum Türblatt.
Somit offenbart D8 keine Spülmaschine, deren Scharniervorrichtung einen als Winkelstück ausgebildeten Träger ohne diese weiteren Merkmale aufweist, die auch allen Ausführungsbeispielen und deren Alternativen gemeinsam sind. Zwar wird in Absatz [0069] die L-Form des Winkelstücks wieder als beispielhaft bezeichnet, trotzdem aber wiederholt, dass sich der (erste) Türschenkel 55 - deshalb wohl auch so benannt - in der geschlossenen Stellung parallel zum Türblatt 21 erstreckt.
3.3.4 Die Beschwerdegegnerin sieht trotz der unterschiedlichen Formulierung in Absatz [0029] dort auch diese Merkmale des Anspruchs 9 als nur optional offenbart an. Denn sie stünden in einer Reihe mit bloßen Gestaltungsmöglichkeiten, bezögen sich auf die vorher erwähnten Optionen unterschiedlicher Winkel und fügten diesen weitere hinzu.
Die Kammer vermag keinen Zusammenhang zwischen dem Winkelverhältnis beider Schenkel zueinander und der funktionalen Anordnung des ersten Schenkels parallel zum Türblatt erkennen, und damit auch keine Bezugnahme auf vorhergehende optionale Merkmale. In der Tat sind in den Absätzen [0029] und [0030] der D8 mehrere Gestaltungsmöglichkeiten der Reihe nach aufgezählt, nur eben einige ausdrücklich optional und andere hingegen nicht, wozu die Anordnung des ersten Schenkels gehört.
3.3.5 Weil der erteilte Anspruch 1 die weiteren Merkmale des ersten Schenkels gemäß Absatz [0029] und Anspruch 9 der D8 nicht enthält, betrifft er nicht nur dieselbe Erfindung im Sinne von Artikel 89 EPÜ wie D8, sondern schließt darüber hinaus andere, nicht in D8 offenbarte Alternativen der Anordnung von erstem Schenkel und Türblatt mit ein, insbesondere deren nicht-parallele Anordnung.
3.4 Da Anspruch 1 gemäß Hauptantrag (erteilte Fassung) somit entgegen der Feststellung der Einspruchsabteilung nicht über seinen gesamten Umfang der über die Priorität beanspruchte Zeitrang zukommt, entfällt die Grundlage für die Ermessensentscheidung der Einspruchsabteilung, D7 nicht zum Verfahren zuzulassen. Daher musste die Kammer erneut über die Zulassung der D7 befinden, RSdBK, 10. Auflage V.A.3.4.2.b), V.A.3.4.3.a).
3.4.1 In den Abschnitten 1.5 - 1.7 ihres Bescheids nach Artikel 15(1) VOBK hat sie die Absicht bekundet, D7 trotzdem wegen mangelnder Relevanz nicht nachträglich zum Verfahren zuzulassen. Denn auch wenn die Unterkombination von Merkmalen in Anspruch 1, insbesondere das isolierte und geänderte Merkmal des Anspruchs 9 der D8, wonach der Träger als Winkelstück ausgebildet ist, als solches keine Offenbarungsgrundlage in D8 findet, so besteht dennoch eine Teilpriorität für die aus D8 bekannte Merkmalskombination der Ansprüche 1, 8 und 9 sowie für alle unmittelbar und eindeutig dort offenbarten Ausführungsformen, die vom erteilten breiteren Anspruch 1 umfasst sind, siehe RSdBK II.D.5.3.2, G 1/15.
Da D7 und D8 inhaltlich identisch sind, stellen die Ausführungsformen der am 9. April 2015 veröffentlichten D7 keinen Stand der Technik im Sinne von Artikel 54(2) EPÜ für den Teil des Anspruchsgegenstands dar, der wirksam die Priorität der D8 vom 24. Februar 2015 in Anspruch nimmt, also zusätzlich einen ersten mit dem Türblatt verbunden Schenkel aufweist, der sich in der ersten wie auch der zweiten Stellung des Türblatts im Wesentlichen parallel zum Türblatt erstreckt. Bezüglich des verbleibenden Teils von Anspruch 1 - Spülmaschinen mit "nicht-paralleler" Anordnung von erstem Schenkel und Türblatt - findet sich analog zu D8 in D7 keine neuheitsschädliche Offenbarung.
3.4.2 In der mündlichen Verhandlung trug die Beschwerdeführerin dazu vor, G1/15 sei nicht einschlägig, denn der erteilte Anspruch 1 umfasse nicht mehrere Alternativen, von denen einige einen prioritätsbegründeten Zeitrang hätten und andere nicht, sondern insgesamt eine andere Erfindung ("aliud"). Die erfindungswesentlichen Merkmale der beiden in einem Winkel zueinander angeordneten Schenkel und der Anordnung des ersten Schenkels bezüglich des Türblatts fehlten im Anspruch 1 und seien nicht von ihm umfasst, dafür andere Gestaltungen und Anordnungen eines wie auch immer als Winkelstück ausgebildeten Trägers.
3.4.3 Dem kann sich die Kammer nicht anschließen.
Anspruch 1 enthält gegenüber der Offenbarung des Prioritätsdokuments D8 eine Art von Zwischenverallgemeinerung. Diese betrifft weder das Vorhandensein zweier Schenkel, das bereits durch den Begriff "Winkelstück" impliziert ist, noch die für eine bewegliche Halterung des Türblatts an der Spülmaschine notwendige Verbindung eines der Trägerschenkel der Scharniervorrichtung mit dem Türblatt, sondern lediglich die damit einhergehende Anordnung des ersten Schenkels zum Türblatt. Anspruch 1 umfasst nunmehr sowohl eine parallele Anordnung in der ersten (geschlossenen, vertikalen) und zweiten (offenen, horizontalen) Stellung des Türblatts gemäß den in D8 offenbarten Merkmalen, als auch eine entsprechende nicht-parallele Anordnung sowie "gemischte" parallele und nicht-parallele Anordnungen in beiden Türblatt-Stellungen. Damit ist der Anspruchsgegenstand aber kein aliud, sondern enthält der Anspruch unterscheidbare Alternativen, von denen wie im G1/15 zugrunde liegenden Fall nur eine die Priorität aus D8 wirksam in Anspruch nehmen kann.
3.4.4 Folglich sind die in G1/15 entwickelten Grundsätze der wirksamen Inanspruchnahme einer Teilpriorität vorliegend anwendbar, und ist D7 kein für die Neuheit des Anspruchs 1 relevanter Stand der Technik. Insoweit bestand also nach wie vor kein Grund, D7 abweichend von der Ermessensentscheidung der Einspruchsabteilung zum Verfahren zuzulassen.
3.5 Allerdings trug die Beschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung erstmals vor, dass für die Alternativen des Anspruchs 1, denen nicht der Zeitrang der D8 zukomme, D7 durchaus veröffentlichter Stand der Technik und außerdem geeignet sei, die erfinderische Tätigkeit dieser erst in der Folgeanmeldung beanspruchten Alternativen in Frage zu stellen.
3.5.1 In ihrer Beschwerdebegründung hatte sich die Beschwerdeführerin darauf beschränkt, mangelnde Neuheit gegenüber D5 - D7 geltend zu machen. Das Argument fehlender erfinderischer Tätigkeit ist deshalb eine Änderung ihres Vorbringens, deren Zulassung gemäß Artikel 13(2) VOBK dem Ermessen der Kammer unterliegt.
Dass die Kammer in ihrer Mitteilung nach Artikel 15(1) VOBK der Auffassung der Einspruchsabteilung zur vollumfänglichen Gültigkeit der Priorität aus D8 nicht gefolgt ist, aber aus dem von ihr ex officio eingeführten Grund der aus D8 bestehenden Teilpriorität die Zulassung der D7 trotzdem vorläufig abgelehnt hat, stellt einen außergewöhnlichen Umstand im Sinne von Artikel 13(2) VOBK dar, der die Zulassung dieses neuen Arguments an sich rechtfertigen könnte. Mit anderen Worten erscheint die Relevanz der D7 nunmehr in einem anderen Licht, weil sie erst durch die vorläufige Auffassung der Kammer zur Teilpriorität der D8 als ein Dokument in Frage kommt, dass die erfinderische Tätigkeit des Hauptantrages in Frage stellen kann.
3.5.2 Letzteres kommt aber nur dann in Betracht, wenn das verspätete Vorbringen die Zulassungshürde des Artikels 13(1) VOBK überwindet, der die Zulassung einer nach Beschwerdebegründung erfolgten Änderung in das Ermessen der Kammer stellt. In diesem späten Verfahrensstadium stellt die Kammer bei der Ausübung ihres Ermessens unter Beachtung des Grundsatzes der Verfahrensökonomie insbesondere darauf ab, ob die auf das neue Argument gestützte Rechtsfolge unmittelbar und offensichtlich eintreten würde, mithin ob der Hauptantrag letztlich nicht gewährbar wäre, weil der Gegenstand seines Anspruchs 1, insbesondere ausgehend von D7, prima facie nicht auf erfinderischer Tätigkeit beruhte. Denn weder die Tatsache, dass die beanspruchte Erfindung nur eine Teilpriorität genießt, noch, dass ein mit der Prioritätsanmeldung D8 identisches Dokument D7 im Prioritätsintervall veröffentlicht worden ist, stellen die erfinderische Tätigkeit als solche in Frage.
3.5.3 Nach der Beschwerdeführerin ergibt sich die mangelnde erfinderische Tätigkeit bereits als logische Konsequenz daraus, dass alle von Anspruch 1 abgedeckten, nicht-parallelen Alternativen für den Fachmann im Lichte der Gesamtoffenbarung der Patentschrift in naheliegender Weise ausführbar im Sinne von Artikel 83 EPÜ sein müssen, obwohl sie nicht Gegenstand eines dezidierten Ausführungsbeispiels, einer Variante eines solchen oder auch nur irgendeiner technischen Erläuterung in der Patentschrift sind.
Die Kammer sieht keinen solchen zwingenden Zusammenhang zwischen den Erfordernissen der Artikel 83 und 56 EPÜ. Auch im Rahmen fachmännischer Tätigkeit grundsätzlich technisch umsetzbare Alternativen können auf erfinderischer Tätigkeit beruhen, wenn ausgehend von einem bestimmten Stand der Technik wie D7 diese Umsetzung zur Lösung einer technischen Aufgabe nicht naheliegend ist. Mit anderen Worten kann wie beim klassischen Aufgabe-Lösung-Ansatz die bloße Machbarkeit einer technischen Änderung oder Maßnahme ("could") nicht die ebenfalls aufzuzeigende hinreichende Motivation dafür ("would") ersetzen. Eine technische Alternative kann damit zwar fachmännisch ausführbar, muss aber deswegen nicht zwingend naheliegend sein.
3.5.4 Ausgehend von D7 als nächstem Stand der Technik besteht die zu lösende Aufgabe in der Bereitstellung einer alternativen Lagerung des Türblatts, die weiterhin dessen drei Stellungen sowie einen erleichterten Zugang zum Spülraum in Abklappstellung sicherstellt.
Als von Anspruch 1 umfasste und zur Lösung dieser Aufgabe naheliegende Alternative betrachtet die Beschwerdeführerin eine Art von kinematisch umgekehrter Anordnung des als Winkelstück ausgebildeten Trägers außerhalb der Spülmaschine bzw. auf der der Spülkammer gegenüberliegenden Seite des Türblatts, wie sie die Beschwerdeführerin auf der rechten Seite der Skizze im Anhang des Protokolls zur mündlichen Verhandlung darstellt. Das Türblatt steht dann in Schließstellung senkrecht auf dem einen Ende des ersten, horizontalen Schenkels (grün), während an dessen anderem Ende das erste Lager liegt und der zweite, senkrecht nach unten verlaufende Schenkel (rot) anschließt. Wie beim Ausführungsbeispiel des Patents führt eine Drehung des Winkelstücks im Uhrzeigersinn um das erste Lager zu einem Verschwenken des Türblatts in eine horizontale Offenstellung.
3.5.5 Allerdings liegt die Ebene des horizontalen Türblatts in Offenstellung oberhalb derer des ersten Lagers, so dass der Spülraum in der Höhe verkleinert oder das Türblatt in der Höhe über den Spülraum hinaus verlängert werden muss, um einen Geschirrkorb aus dem Spülraum auf das horizontale Türblatt in Offenstellung herausziehen zu können. Damit er dabei nicht durch das ebenfalls an dem einen Ende des ersten Schenkels platzierte zweite Lager, das ein Abklappen des Türblatts in die Senkrechte ermöglicht, bzw. durch den oberen Rand des Türblatts in Abklappstellung behindert wird, scheint eine komplexe und relativ aufwendige Konstruktion des zweiten Lagers geboten zu sein. Schließlich erleichtert das über die Länge des zweiten Schenkels in seiner Abklappstellung "vorverlagerte" Türblatt den Zugang zum Spülraum nur bedingt.
Aus den vorstehenden Gründen erscheint der Kammer die von der Beschwerdeführerin aufgezeigte Alternative ausgehend von der in D7 gezeigten parallelen Anordnung von erstem Schenkel und Türblatt alles andere als offensichtlich naheliegend, denn über eine kinematische Umkehr hinaus sind bei ihrer Umsetzung zahlreiche Anpassungen vorzunehmen und konstruktive Schwierigkeiten zu überwinden.
3.6 Da D7 somit nicht prima facie relevant für die Patentfähigkeit des Gegenstands von Anspruch 1 gemäß Hauptantrag ist, hat die Kammer D7 auch in Ausübung ihres Ermessens nach Artikel 13(1), (2) VOBK nicht zum Verfahren zugelassen.
4. Hauptantrag - Neuheit und erfinderische Tätigkeit
4.1 In ihrer Mitteilung nach Artikel 15(1) VOBK hat die Kammer wie folgt zu den Neuheitseinwänden der Beschwerdeführerin aus D5 und D6 vorläufig Stellung genommen:
"In D5, Fig. 3, 4 scheint eine Scharniervorrichtung 13 u.a. ein erstes Lager 10a im Sinne des Anspruchs aufzuweisen. Eine Scharniervorrichtung ist dabei nach vorläufiger Ansicht der Kammer nicht auf ein "klassisches" zweiflügeliges Scharnier beschränkt, bei dem die Schwenkachse im wesentlichen mit der Schnittachse der Flügelebenen zusammenfällt. Vielmehr scheint der Begriff "Scharniervorrichtung" im Patent eine Vorrichtung mit Scharnierfunktion zu bezeichnen, bei der zumindest ein Lager lediglich eine relative Schwenkbewegungen in einem Freiheitsgrad erlaubt.
Mittels des ersten Lagers 10a scheint ein als L-förmiges Winkelstück ausgebildeter Träger 10 ("connecting arm") beweglich an der Spülmaschine gehalten zu sein. Ferner weist die Scharniervorrichtung gemäß Fig. 6 ein zweites Lager 21 auf, mit dem ein erster Teil 19 des Türblatts 9 beweglich an einem zweiten Teil 20 gehalten ist, das wiederum fest am Träger 30 gehalten ist.
Der zweite Teil 20 des Türblatts 9 scheint somit zwar beweglich zum Träger 30, aber nicht wie beansprucht beweglich am Träger 30 gehalten zu sein.
Sähe man, wie die Beschwerdeführerin, den ersten Teil 19 des Türblatts als Teil des Trägers an, so scheint dieser nicht als ein Winkelstück ausgebildet zu sein, sondern lediglich ein solches, mit Bezugszeichen 10 versehen, aufzuweisen.
Daher scheint der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag neu im Sinne von Artikel 54(1), (2) EPÜ gegenüber der Offenbarung der D5 zu sein.
Obwohl die Beschwerdeführerin mangelnde Neuheit gegenüber D6 erstmals im Beschwerdeverfahren geltend zu machen scheint, kann im Rahmen der Prüfung auf erfinderische Tätigkeit ausgehend von D6, die Gegenstand der Einspruchsentscheidung war, ermittelt werden, ob und wenn ja, welche Unterschiede zur Spülmaschine nach D6 der Gegenstand des Anspruchs 1 aufweist, G 07/97.
Zwar scheint eine Scharniervorrichtung 13 u.a. ein erstes Lager 43 zum Verschwenken des Türblatts 10 von einer vertikalen geschlossenen in eine horizontale offene Stellung zu umfassen sowie ein zweites Lager 15 zum weiteren Überführen in eine nach unten gerichtete vertikale Stellung, Fig. 1 - 4. Ein als Winkelstück ausgebildeter Träger 45 der Scharniervorrichtung scheint mittels des ersten Lagers 43 beweglich an der Spülmaschine gehalten zu sein. Weder trägt die Beschwerdeführerin aber vor, noch ist der Kammer ersichtlich, dass das Türblatt mittels des zweiten Lagers 15 am beweglichen Träger 45 gehalten ist. Wie in D5 scheint scheint das Türblatt lediglich beweglich zum Träger 45 gehalten zu sein. Auch zum Naheliegen eines solchen Merkmals trägt die Beschwerdeführerin nichts vor."
4.2 Nach Erhalt der Mitteilung nach Artikel 15(1) VOBK äußerte sich die Beschwerdeführerin nicht zu dieser vorläufigen Ansicht der Kammer und verwies in der mündlichen Verhandlung lediglich auf ihr diesbezügliches schriftliches Vorbringen. Daher hat die Kammer keine Veranlassung, ihre vorläufige Ansicht zu ändern und bestätigt, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 im Hinblick auf die Offenbarung der D5 und D6 neu ist bzw. auf erfinderischer Tätigkeit beruht.
5. Ergebnis
Obwohl sich die Beschwerdeführerin (Einsprechende) mit ihrer Beschwerde erfolgreich gegen die Befunde der Einspruchsabteilung zum Umfang des aus D8 bestehenden Prioritätsrechts wendet, lässt die Kammer die vor dem Anmeldetag des Streitpatents veröffentlichte, im Einspruchsverfahren verspätet eingereichte und von der Einspruchsabteilung nicht zugelassene D7 aus anderen Gründen nicht zum Verfahren zu.
Dass darüber hinaus der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag der Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) im Lichte des angezogenen Standes der Technik den Erfordernissen des EPÜ, insbesondere denen der Artikel 54 und 56 EPÜ hinsichtlich Neuheit und erfinderischer Tätigkeit genügt, führt schließlich zur Zurückweisung der Beschwerde gegen die entsprechende Entscheidung der Einspruchabteilung auf Zurückweisung des Einspruchs.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.