T 0298/22 () of 20.3.2025

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2025:T029822.20250320
Datum der Entscheidung: 20 März 2025
Aktenzeichen: T 0298/22
Anmeldenummer: 13732139.4
IPC-Klasse: G01V 8/20
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
Download und weitere Informationen:
Text der Entscheidung in DE (PDF, 510 KB)
Alle Dokumente zum Beschwerdeverfahren finden Sie im Register
Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: LICHTGITTEREINRICHTUNG, LICHTGITTERSICHERUNGSVORRICHTUNG UND DAMIT VERSEHENES AUTOMATISCH ANGETRIEBENES TOR
Name des Anmelders: Hörmann KG Antriebstechnik
Name des Einsprechenden: Novoferm Nederland B.V.
Kammer: 3.4.03
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 101(3)(b)
European Patent Convention Art 111(1)
European Patent Convention Art 112a(2)(c)
European Patent Convention Art 112a(2)(d)
European Patent Convention Art 113(1)
European Patent Convention Art 114(2)
European Patent Convention Art 123(2)
European Patent Convention R 106
Rules of procedure of the Boards of Appeal Art 13(2)
Schlagwörter: Änderungen - zulässig (nein)
Änderungen - unzulässige Erweiterung (ja)
Änderungen - Zwischenverallgemeinerung
Spät eingereichte Hilfsanträge - Rechtfertigung für späte Vorlage (nein)
Spät eingereichte Hilfsanträge - zugelassen (nein)
Rüge gemäß Regel 106 EPÜ - Verletzung rechtlichen Gehörs durch Nichtberücksichtigung von Hilfsanträgen (nein)
Orientierungssatz:

Bei der Prüfung nach Artikel 123 (2) EPÜ, ob eine Merkmalskombination ursprünglich offenbart war, erfordert der Goldstandard nicht, dass die Kombination der Merkmale durch den Fachverstand der Fachperson möglicherweise aus der Beschreibung ableitbar ist oder dass sich die Fachperson die beanspruchte Kombination aus möglichen Ausführungen der Offenbarung ableiten kann, sondern dass die Kombination unmittelbar und eindeutig offenbart ist (Gründe 2.1.6).

Angeführte Entscheidungen:
G 0009/92
G 0004/93
R 0024/22
T 0714/00
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerde der Einsprechenden richtet sich gegen die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung, dass das Patent EP 2 880 468 B1 und die Erfindung, auf die es sich bezieht, unter Berücksichtigung der von der Patentinhaberin während des Einspruchsverfahrens vorgenommenen Änderungen gemäß dem damals (fristgerecht) vor der mündlichen Verhandlung gestellten neuen Hilfsantrag 1 den Erfordernissen des EPÜ entsprechen.

II. Die Einsprechende hatte den Widerruf des Patents in vollem Umfang auf der Grundlage von Artikel 100 a) EPÜ und Artikel 100 b) EPÜ beantragt. Die Einspruchsabteilung vertrat in der angefochtenen Entscheidung die Auffassung, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hilfsantrags 1 neu ist und auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht. Ferner stellte die Einspruchsabteilung fest, dass Anspruch 1 des Patents in der von ihr aufrechterhaltenen Fassung den Erfordernissen des Artikels 123 (2) EPÜ genügt.

III. Anträge

Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) beantragt die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents, weil Anspruch 1 des Patents in der aufrechterhaltenen Fassung nicht den Erfordernissen des Artikels 123 (2) EPÜ und der Artikel 52 (1) und 56 EPÜ entspräche. Insbesondere sei Merkmal (1.6) in Kombination mit der Alternative (1.7b) nicht ursprünglich offenbart und könne nicht aus dem Zusammenhang der Beschreibung ohne unerlaubte Zwischenverallgemeinerung isoliert werden.

Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragt als Hauptantrag, die Beschwerde zurückzuweisen, d.h. das Patent in der von der Einspruchsabteilung aufrechterhaltenen Fassung aufrechtzuerhalten. Hilfsweise beantragte sie die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents in geänderter Fassung auf Grundlage der Ansprüche gemäß einem der Hilfsanträge 5 bis 9, eingereicht mit Schriftsatz vom 20. Februar 2025, oder gemäß einem der Hilfsanträge 1 bis 4, eingereicht mit der Beschwerdeerwiderung vom 6. September 2022.

IV. Anspruch 1

des

Hauptantrags

(Patent wie aufrechterhalten, entspricht Anspruch 1 des Hilfsantrags 1, eingereicht mit Schriftsatz vom 22. September 2021; Merkmalsbezeichnung (1.1), (1.2), ... wie von der Einsprechenden eingefügt):

(1.1) Automatisch angetriebenes Tor (10) mit einem in einer ersten und einer zweiten Laufschiene (12) geführten automatisch angetriebenen Torflügel und

(1.2) wenigstens einer Lichtgittereinrichtung (22), die an wenigstens einer der vorzugsweise schräg verlaufenden Laufschienen anliegend befestigt ist,

(1.3) wobei die Lichtgittereinrichtung (22) zum Bilden eines Senders oder/und eines Empfängers einer Lichtgittersicherungsvorrichtung (20) für ein automatisch angetriebenes mit Laufschienen (12) versehenes Tor (10) ausgebildet ist,

(1.4) wobei die Lichtgittereinrichtung (22) ein Profilgehäuse (24) zum Aufnehmen eines länglichen Lichtgitterelements (26) umfasst, das zum Aussenden oder Empfangen einer Serie von Lichtstrahlen ausgebildet ist,

(1.5) wobei das Profilgehäuse (24) wenigstens einen Anlagebereich (48) aufweist, der zur Anlage des Profilgehäuses (24) an einer Laufschiene (12) des Tores (10) in Richtung der Längserstreckung der Laufschiene (12) ausgebildet ist,

dadurch gekennzeichnet, dass

(1.6) aufgrund der Anlage des Profilgehäuses (24) an der Laufschiene (12) eine Lichtebene stets an den Verlauf des Torweges derart angepasst ist, dass über die gesamte zu sichernde Strecke die Lichtebene derart angeordnet ist, dass sich diese durch eine Mittelebene von an der Laufschiene (12) geführten Torlamellen (18) eines Torflügels (16) des Tores (10) erstreckt, sodass mit nur einer Lichtebene das Einfahren eines Gegenstandes von beiden Seiten des Tores (10) mit gleicher Sicherheit überwachbar ist, wobei

(1.7a) a) der Anlagebereich (48) einen Vorsprung (60) zum formschlüssigen Erfassen der Laufschiene (12) aufweist und/oder

(1.7b) b) die Lichtgittereinrichtung (22) weiter wenigstens einen Abstandshalter (68) zum Beabstanden der Laufschiene (12) von dem Profilgehäuse (24) umfasst, wobei der Abstandshalter (68) ein erstes Paar Kontaktbereiche (70) mit einem ersten Abstand (X) aufweist, wobei das erste Paar Kontaktbereiche (70) mit dem Profilgehäuse (24) und mit der Laufschiene (12) verbindbar ist, dass der Abstandshalter (68) ein zweites Paar Kontaktbereiche (74) mit einem zweiten Abstand (Y) aufweist, wobei das zweite Paar Kontaktbereiche (74) mit dem Profilgehäuse (24) und mit der Laufschiene (12) verbindbar ist, wobei der erste Abstand (X) kleiner als der zweite Abstand (Y) ist, um die Laufschiene (12) und das Profilgehäuse (24) entsprechend der Anordnung des Abstandshalters (68) beabstandbar zu machen.

Die Kammer merkt an, dass die Einspruchsabteilung auf Seite 7 der angefochtenen Entscheidung den Wortlaut des Merkmals (1.7a) unzutreffend wiedergegeben hat ("a) der Anlagebereich (48) einen Vorsprung (60) aufweist, der die Laufschiene (12) formschlüssig erfasst, und/oder") und die Beschwerdegegnerin im Beschwerdeverfahren für ihre Hilfsanträge 2 bis 4 (siehe sogleich) diesen geänderten Wortlaut des Merkmals 1.7a) zugrunde gelegt hat.

V. Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 unterscheidet sich von Anspruch 1 des Hauptantrags dadurch, dass das Merkmal (1.6) unter Option "a)" von Merkmal (1.7a) aufgenommen wird.

VI. Anspruch 1 des Hilfsantrags 2 unterscheidet sich von Anspruchs 1 des Hauptantrages dadurch, dass im Merkmal (1.7b) die Ausdrücke "zum Beabstanden der ... " und "beabstandbar zu machen" durch die Ausdrücke "der die ... beabstandet" bzw. "beabstanden" ersetzt werden.

VII. Im Anspruch 1 des Hilfsantrags 3 werden im Wesentlichen im Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 dieselben Änderungen wie im Anspruch 1 des Hilfsantrags 2 durchgeführt.

VIII. Anspruch 1 des Hilfsantrags 4 unterscheidet sich von Anspruchs 1 des Hauptantrages dadurch, dass am Ende des Merkmals (1.6) "entweder" hinzugefügt und die Option "und" im Merkmal (1.7a) gestrichen wird und basierend auf Seite 4, dritter Absatz, der ursprünglich eingereichten Beschreibung am Ende des Merkmals (1.7b) folgendes Merkmal hinzugefügt wird:

(1.8'') , wobei wenigstens ein Profilgehäuse (24) der Lichtgittereinrichtung (22) mittelbar durch zwischen dem Profilgehäuse (24) der Lichtgittereinrichtung (22) und wenigstens einer Laufschiene (12) eingefügte Abstandshalter (68) an wenigstens einer der Laufschienen (12) kraft- oder formschlüssig anliegend angeordnet ist, wobei wenigstens ein erster Halter (28) der Lichtgittereinrichtung (22) am der Laufschiene (12) abgewandten Seitenbereich des Profilgehäuses (24) in einem Halteraufnahmebereich (36) des Profilgehäuses (24) eingreift und an vorgefertigten Befestigungsöffnungen im Innern einer Zarge (14) des Tores (10) befestigt ist.

IX. Anspruch 1 des Hilfsantrags 5 unterscheidet sich von Anspruchs 1 des Hilfsantrags 1 im Wesentlichen dadurch, dass am Ende des Merkmals (1.5) "entweder" hinzugefügt und die Option "und" im Merkmal (1.7a) gestrichen wird und folgende Merkmale aus den ursprünglichen Ansprüchen 2, 6 und 11 der Option "a)" angefügt werden:

(1.8) wobei das Tor einen Halter (28) umfasst, der einen Profilbefestigungsbereich (54) und einen Torbefestigungsbereich (56) aufweist,

(1.9) wobei das Profilgehäuse (24) einen länglichen Halteraufnahmebereich (36) zum entlang der Profillängsrichtung verschiebbaren Verankern des Profilbefestigungsbereichs (54) des Halters (28) aufweist,

(1.10) wobei der Torbefestigungsbereich (56) ein Langloch (58) aufweist, das sich mit einer Richtungskomponente quer zu der Profillängsrichtung erstreckt,

(1.11) wobei das Profilgehäuse (24) relativ zu einer mittig zu einem Lichtgitterspalt (42) verlaufenden Mittellängsebene (44) symmetrisch ausgebildet ist;

X. Anspruch 1 des Hilfsantrags 6 unterscheidet sich von Anspruchs 1 des Hilfsantrags 5 im Wesentlichen dadurch, dass folgende Merkmale aus den ursprünglichen Ansprüchen 8 und 16 der Option "a)" angefügt werden:

(1.12) wobei das Profil des Profilgehäuses (24) einen C-förmigen Hauptkanal (34) zum Aufnehmen des Lichtgitterelements (26) aufweist, welcher C-förmiger Hauptkanal einen Lichtgitterspalt (42) für die Lichtstrahlen des Lichtgitters aufweist,

(1.13) wobei wenigstens ein Profilgehäuse (24) der Lichtgittereinrichtung (22) an wenigstens einer der Laufschienen (12) kraft- oder formschlüssig anliegend angeordnet ist,

(1.14) wobei wenigstens ein erster Halter (28) der Lichtgittereinrichtung (22) am der Laufschiene (12) abgewandten Seitenbereich des Profilgehäuses (24) in einem Halteraufnahmebereich (36) des Profilgehäuses (24) eingreift und an vorgefertigten Befestigungsöffnungen im Innern der Zarge (14) des Tores (10) befestigt ist;

Ferner wird im Merkmal (1.1) nach "Laufschiene (12)" der Ausdruck "an einer Zarge (14)" eingefügt.

XI. Anspruch 1 des Hilfsantrags 7 unterscheidet sich von Anspruchs 1 des Hilfsantrags 1 im Wesentlichen dadurch, dass am Ende des Merkmals (1.5) "entweder" hinzugefügt und die Option "und" im Merkmal (1.7a) gestrichen wird und folgende Merkmale aus der ursprünglichen Beschreibung, Seite 8, letzter Absatz bis Seite 9, vorletzter Absatz, der Option "a)" angefügt werden:

(1.8') wobei das Profilgehäuse (24) einen C-förmig profilierten Hauptkanal (34), in dem das Lichtgitterelement (26) eingeschoben ist, und einen Halteraufnahmebereich (36) aufweist, an dem ein Halter (28) verschiebbar eingeführt und durch Befestigungsschrauben oder Schraubbefestiger (40) festgesetzt verankert ist;

(1.9') wobei der C-förmige Hauptkanal (34) einen Lichtgitterspalt (42) aufweist, durch den die Lichtstrahlen sendbar bzw. empfangbar sind, wobei die Lichtstrahlen auf einer durch die Mitte dieses Lichtgitterspaltes (42) verlaufende Mittelebene (44) durch das Profilgehäuse (24) verlaufend sendbar und empfangbar sind;

(1.10') wobei das Profilgehäuse (24) symmetrisch zu dieser Mittelebene (44) ausgebildet ist, so dass auf beiden Seiten je ein Halteraufnahmebereich (36) ausgebildet ist, wobei der Halteraufnahmebereich einen C-förmigen Seitenkanal (46) zur Aufnahme von Köpfen von Klemmschrauben (40) oder zur Aufnahme eines Eingriffsbereichs des Halters (28) aufweist;

(1.11') wobei jede schmale Längsseite des Profilgehäuses (24) außerdem als Anlagebereich (48) ausgebildet ist, sich entlang der gesamten Profilgehäuselänge an die Laufschiene (12) anliegend anzuschmiegen;

(1.12') wobei das Profilgehäuse (24) mit einer schmalen Längsseite an einer der Laufschienen (12) anliegend angeordnet ist und auf der anderen schmalen Längsseite mit dem Halter (28) an vorgefertigten Öffnungen innerhalb der Zarge (14) befestigt ist;

(1.13') wobei der Halter (28) als Haltewinkel mit einem ersten Schenkel (50) und einem zweiten Schenkel (52) ausgebildet ist,

(1.14') wobei der erste Schenkel (50) einen Profilbefestigungsbereich (54) zur Verankerung des Halters (28) an dem Halteraufnahmebereich (36) des Profilgehäuses (24) aufweist,

(1.15') wobei der zweite Schenkel (52) einen Torbefestigungsbereich (56) zur Befestigung des Halters (28) an Öffnungen in der Zarge (14) aufweist,

(1.16') wobei der Torbefestigungsbereich (56) ein Langloch (58) aufweist;

Ferner wird im Merkmal (1.1) nach "Laufschiene (12)" der Ausdruck "an einer Zarge (14)" eingefügt.

XII. Anspruch 1 des Hilfsantrags 8 unterscheidet sich von Anspruchs 1 des Hilfsantrags 7 im Wesentlichen dadurch, dass am Ende des Merkmals (1.5) "entweder", die Option "oder" im Merkmal (1.7a) und die Option "b)", d.h. das Merkmal (1.7b), vollständig gestrichen werden.

XIII. Anspruch 1 des Hilfsantrags 9 unterscheidet sich von Anspruchs 1 des Hilfsantrags 7 im Wesentlichen dadurch, dass am Ende des Merkmals (1.5) "entweder" und die Option "a)", d.h. das Merkmal (1.7a), vollständig gestrichen werden.

XIV. Die Argumentation der Beschwerdeführerin (Einsprechenden), soweit sie für diese Entscheidung relevant ist, kann folgendermaßen zusammengefasst werden:

a) Die Kombination der Merkmale (1.6) und (1.7b) ist ursprünglich nicht offenbart.

b) Ferner kann Merkmal (1.6) nicht ohne unerlaubte Zwischenverallgemeinerung aus dem spezifischen Ausführungsbeispiel auf den Seiten 8 bis 9 der Beschreibung in der ursprünglich eingereichten Fassung isoliert werden.

c) Die Hilfsanträge 5 bis 9 sind im Beschwerdeverfahren nicht zu berücksichtigen, da keine außerordentlichen Umstände oder stichhaltige Gründe für ihre verspätete Einreichung vorliegen; insbesondere sind in der Mitteilung der Kammer nach Artikel 15 (1) VOBK keine neuen Einwände erhoben worden, so dass diese Hilfsanträge vor dieser Mitteilung eingereicht hätten werden müssen.

d) Die Einwände für den Hauptantrag gelten auch für die Hilfsanträge 1 bis 4.

XV. Die Argumentation der Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin), soweit sie für diese Entscheidung von Belang ist, kann folgendermaßen zusammengefasst werden:

a) Aus der Gesamtoffenbarung der Beschreibung geht klar hervor, dass sich das Merkmal (1.6) auf alle Ausführungsbeispiele bezieht.

b) Folglich kann dieses Merkmal auch aus dem Zusammenhang der Beschreibung isoliert werden.

c) Die Hilfsanträge 5 bis 9 sind zuzulassen, da in der Mitteilung nach Artikel 15 (1) VOBK zum ersten Mal vorgebracht wurde, dass die Ausführungsbeispiele der Figuren 1 bis 11 und 12 bis 16 komplementär zueinander sind.

d) In den Hilfsanträgen 5 bis 9 wird der Einwand der unerlaubten Zwischenverallgemeinerung durch die zusätzlichen Merkmale in der Option "a)" bzw. durch Streichung der Option "a)" bzw. "b)" ausgeräumt.

Entscheidungsgründe

1. Die Erfindung

FORMEL/TABELLE/GRAPHIKStreitpatent

1.1 Beim Schließen eines (Roll-)Tores soll mit einer Lichtschranke in beiden Laufschienen (12) überwacht werden, ob sich Gegenstände, Personen, Fahrzeuge o.Ä. in der Mittelebene des Weges des Tores (44) befinden.

1.2 Dies wird erreicht durch jeweils eine Lichtgittereinrichtung (22), die an der Laufschiene (12) montiert ist und eine Lichtebene (44) aufspannt, die der Tormittelebene entspricht. Wenn Gegenstände, Personen, Fahrzeuge o.Ä. in der Lichtebene detektiert werden, kann das Tor gestoppt werden.

1.3 Wie in Figur 1 gezeigt soll die Tormittelebene im Wesentlichen der Lichtebene (Bezugszeichen 44) und der Symmetrie-Ebene der Hauptoberflächen der Torlamelle (d.h. des "Torflügels" 18) entsprechen (Merkmal (1.6)).

2. Hauptantrag - unzulässige Erweiterung, Artikel 123 (2) EPÜ

2.1 Kombination der Merkmale (1.6) und (1.7b)

2.1.1 Für die Beurteilung, ob eine Änderung mit den Erfordernissen des Artikels 123 (2) EPÜ in Einklang steht, gilt der durch die ständige Rechtsprechung der Beschwerdekammern etablierte sogenannte "Goldstandard": Jede Änderung darf unabhängig vom Kontext der vorgenommenen Änderung nur im Rahmen dessen erfolgen, was die Fachperson der Gesamtheit der Unterlagen in ihrer ursprünglich eingereichten Fassung unter Heranziehung des allgemeinen Fachwissens - objektiv und bezogen auf den Anmeldetag - unmittelbar und eindeutig entnehmen kann (vgl. "Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts", 10. Auflage 2022 ("Rechtsprechung"), Abschnitt II.E.1.1).

2.1.2 Merkmal (1.7a) geht auf den ursprünglichen Anspruch 7 zurück, Merkmal (1.7b) auf die ursprünglichen Ansprüche 12 und 13. Merkmal (1.7a) ist in den Figuren 1, 2 und 6 dargestellt, Merkmal (1.7b) jedoch nicht. Merkmal (1.7b) ist in den Figuren 12 bis 16 dargestellt, Merkmal (1.7a) nicht. Merkmale (1.7a) und (1.7b) schließen sich in den Ausführungsbeispielen der Figuren 1 bis 11 und 12 bis 16 gegenseitig insofern aus, als das Profilgehäuse 24 nicht durch einen Vorsprung 60 (Figuren 1, 2 und 6) formschlüssig und unmittelbar an der Laufschiene 12 anliegen kann und gleichzeitig durch einen Abstandshalter 68 (Figuren 12 bis 16) beabstandet sein kann.

2.1.3 Die Beschwerdeführerin argumentiert, dass die Kombination der Merkmale (1.6) und (1.7b) ursprünglich nicht offenbart sei. Aus Seite 9, letzter Absatz, gehe hervor, dass Merkmal (1.6) lediglich in Verbindung mit der formschlüssigen Anlage durch den Vorsprung 60 des Profilgehäuses 24 an der Laufschiene 12 offenbart sei. Diese Anlage werde u.a. mit Hilfe des Halters 28 erreicht, welcher unmittelbar vor der Offenbarung des Merkmals (1.6) auf Seite 9 der ursprünglich eingereichten Beschreibung beschrieben werde. Diese Stelle sei die einzigen Stelle, wo Merkmal (1.6) offenbart werde. Merkmal (1.6) werde insbesondere nicht im Zusammenhang mit dem Ausführungsbeispiel der Figuren 12 bis 16 offenbart.

2.1.4 Die Beschwerdegegnerin argumentiert, dass es durch die der Fachperson vermittelte technische Lehre der Gesamtoffenbarung und insbesondere durch Seite 10, erster und zweiter Abschnitt sowie die letzten beiden Abschnitte auf Seite 12, für die Fachperson eindeutig sei, dass sich der letzte Abschnitt der Seite 9 auch auf das Beispiel der Figuren 12 bis 16 bezöge. Aus der Angabe in der letzten Zeile der Beschreibung ("die Mitte des breiteren Torflügels 16 wird überwacht") verstehe die Fachperson implizit, dass damit das Merkmal (1.6) gemeint sei. Somit sei Merkmal (1.6) sowohl für das Ausführungsbeispiel der Figuren 12 bis 16 offenbart als auch aus dem spezifischen Zusammenhang der Ausführungsbeispiele isolierbar.

2.1.5 Die Kammer stimmt der Beschwerdeführerin zu, dass das Merkmal (1.6) nur in Verbindung mit dem Ausführungsbeispiel der Figuren 1 bis 11 und somit nur im Zusammenhang mit Merkmal (1.7a) offenbart ist, aber nicht im Zusammenhang mit dem Ausführungsbeispiel der Figuren 12 bis 16 und somit im Zusammenhang mit Merkmal (1.7b). Gemäß Seite 10, erster Abschnitt, gehören die Figuren 1 bis 11 zu einem Ausführungsbeispiel und Figuren 12 bis 16 zu einem anderen Ausführungsbeispiel, das komplementär zum ersten Ausführungsbeispiel ist, da der Abstandhalter 68 nach Merkmal (1.7b) ("mittelbares Anliegen" des Profilgehäuses an der Laufschiene) nicht mit einem Vorsprung 60 ("unmittelbares Anliegen" des Profilgehäuses) kombiniert werden kann. Eine "Überwachung der Mitte des Tores" ist ein deutlich breiterer Begriff, als wenn sich die Mittelebene des Torflügels durch die Mittelebene der Lichtebene eines Lichtgitters erstreckt, und kann andere Aspekte aufweisen. Die Fachperson weiß, dass eine Ausführung des Merkmals "Überwachung der Mitte des Tores" durch das Merkmal (1.6) erfüllt sein kann, es ergeben sich aber auch andere Möglichkeiten, nämlich z.B., dass nicht exakt die Mittelebene des Torflügel überwacht wird, sondern ein breiterer Bereich, der als Mitte definiert wird.

2.1.6 Bei der Prüfung nach Artikel 123 (2) EPÜ, ob eine Merkmalskombination ursprünglich offenbart ist, erfordert der Goldstandard nicht, dass die Kombination der Merkmale durch den Fachverstand der Fachperson möglicherweise aus der Beschreibung ableitbar ist oder dass sich die Fachperson die beanspruchte Kombination aus möglichen Ausführungen der Offenbarung ableiten kann, sondern dass die Kombination unmittelbar und eindeutig offenbart ist.

2.1.7 Im vorliegenden Fall liegt weder eine unmittelbare noch eine eindeutige Offenbarung vor.

2.1.8 Da Anspruch 1 des Hauptantrags die Kombination der Merkmale (1.6) und (1.7b) umfasst, die ursprünglich nicht offenbart ist, genügt dieser Anspruch nicht den Anforderungen des Artikels 123 (2) EPÜ.

2.2 Zwischenverallgemeinerung im Merkmal (1.6)

2.2.1 In Beachtung des Goldstandards (s.o. Ziffer 2.1.1) ist eine "Zwischenverallgemeinerung" (also eine Verallgemeinerung einer ursprünglich offenbarten besonderen Ausführungsform, wobei der Gegenstand der Verallgemeinerung zwischen dieser besonderen Ausführungsform und der ursprünglichen, allgemein gefassten Definition der Erfindung liegt) nach ständiger Rechtsprechung der Beschwerdekammern nur zu rechtfertigen, wenn keinerlei eindeutig erkennbare funktionale oder strukturelle Verbindung zwischen den Merkmalen der spezifischen Kombination besteht oder das herausgegriffene Merkmal nicht untrennbar mit diesen Merkmalen verknüpft ist (vgl. Rechtsprechung, Abschnitt II.E.1.9.1; T 714/00, Gründe 3.3).

2.2.2 Die Beschwerdegegnerin geht auf die funktionale Verknüpfung des Merkmals (1.6) mit anderen Merkmalen des ersten Ausführungsbeispiels ein. Sie argumentiert, dass die anderen in den Figuren gezeigten und in der zugehörigen Beschreibung beschriebenen Merkmale nicht in funktionalem Zusammenhang mit Merkmal (1.6) stünden.

2.2.3 Diesbezüglich ist die Kammer der Meinung, dass Figur 1 und das entsprechende Ausführungsbeispiel auf den Seiten 8 und 9 der ursprünglich eingereichten Beschreibung viele nicht-optionale Merkmale offenbart, die alle im Zusammenhang mit dem Merkmal (1.6) stehen, da diese Merkmale in Summe zu dem gemäß Merkmal (1.6) zu erreichenden Resultat führen (d.h. "Über die gesamte zu sichernde Strecke ist die Mittelebene [der Lichtebene]... derart angeordnet, dass sich diese Mittelebene durch die Mittelebene der an der Laufschiene 12 geführten Torlamellen 18 des Torflügels 16 erstreckt", entspricht Merkmal (1.6)).

2.2.4 Folglich stehen die Merkmale des in Figur 1 gezeigten Ausführungsbeispiels mit Merkmal (1.6) in funktionalem Zusammenhang und können von Merkmal (1.6) gemäß den durch die Rechtsprechung gestellten Anforderungen (s.o. Ziffer 2.2.1) nicht getrennt werden.

2.2.5 Zum Beispiel enthält Anspruch 1 nicht das unmittelbar vor der im Abschnitt 2.2.3 zitierten Textpassage am Ende der Seite 9 beschriebene funktionale Merkmal, dass durch das Langloch 58 der Torbefestigungsbereich an einen schrägen Verlauf der Laufschiene angepasst werden kann. Oben genannte Textpassage bezieht sich direkt auf dieses Merkmal, da dadurch, z.B. bei leicht schrägem Verlauf des Torweges, die Ausrichtung der Lichtebene auf die Tormittelebene möglich ist.

2.2.6 Besagte Textpassage steht auch im Zusammenhang mit anderen Merkmalen, die nicht im Anspruch 1 aufgeführt sind, wie z.B. ein C-förmiger Seitenkanal zur Aufnahme der Klemmschrauben oder andere Mittel, um den Halter am Profilgehäuse zu befestigen. Ohne solche Befestigungsmittel kann das Profilgehäuse nicht an der der Laufschiene abgewandten Seite durch den Halter 28 befestigt werden, so dass die Bedingung im funktionalen Merkmal (1.6) erfüllt ist, nämlich eine exakte mittige Ausrichtung des Lichtgitterelements.

2.2.7 Auch ohne die auf Seite 8, letzter Abschnitt, der ursprünglich eingereichten Beschreibung erwähnte C-förmig profilierter Hauptkanal, in welcher eine Füllmasse vergossen ist, kann das Lichtgitterelement 26 nicht dauerhaft in einer stabilen Position gehalten werden, so dass dauerhaft die in Merkmal (1.6) definierte Bedingung erfüllt ist. Die oben zitierte Textpassage befindet sich am Ende der Beschreibung des ersten Ausführungsbeispiels und definiert einen funktionalen Zusammenhang, der die Summe der vorangehenden Merkmale ist. Das Isolieren dieses funktionalen Merkmals unter Weglassung der vorangehenden Merkmale, welche auf dieses funktionale Merkmal hinwirken, ist folglich ohne unerlaubte Zwischenverallgemeinerung nicht möglich.

2.2.8 Somit kann Merkmal (1.6) nicht isoliert in den breiteren Zusammenhang des Gegenstandes des (ursprünglichen) Anspruchs 1 gesetzt werden (unerlaubte Zwischenverallgemeinerung). Insbesondere tragen viele im Anspruch nicht aufgeführte, aber in Figur 1 gezeigte und beschriebene Elemente dazu bei, dass das in Merkmal (1.6) definierte Ziel erreicht wird, nämlich eine Führung der Torlamellen genau mittig zur Ebene 44.

2.2.9 Folglich geht der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hauptantrags auch aus diesem Grund über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinaus (Artikel 123 (2) EPÜ).

3. Berücksichtigung der Hilfsanträge 5 bis 9 - Artikel 13 (2) VOBK

3.1 Gemäß Artikel 13 (2) VOBK bleiben Änderungen des Beschwerdevorbringens eines Beteiligten nach Zustellung einer Mitteilung nach Artikel 15 (1) VOBK grundsätzlich unberücksichtigt, es sei denn, der betreffende Beteiligte hat stichhaltige Gründe dafür aufgezeigt, dass außergewöhnliche Umstände vorliegen.

3.2 Die Beschwerdegegnerin hat in ihrem Schriftsatz in Antwort auf die Mitteilung nach Artikel 15 (1) VOBK keinerlei Begründung vorgelegt, warum außerordentliche Umstände für die späte Einreichung der neuen Hilfsanträge vorliegen.

3.3 Die von der Kammer in der Mitteilung nach Artikel 15 (1) VOBK behandelten Einwände bezüglich des Hauptantrags und der Hilfsanträge 1 bis 4 waren nicht neu, sondern wurden allesamt von der Beschwerdeführerin im Verfahren zuvor schon vorgebracht. Insbesondere hat die Beschwerdeführerin den oben in Ziffer 2.1 behandelten Einwand (Kombination der Merkmale 1.6 und 1.7b) in der Beschwerdebegründung, Seite 3 Ziffer 2, und im Schriftsatz vom 22. Februar 2024, Seite 6 f. Ziffer 2.1, erhoben, sowie den oben in Ziffer 2.2 behandelten Einwand (Zwischenverallgemeinerung in Merkmal (1.6)) in ihrem Schriftsatz vom 22. Februar 2024, Seite 8 Ziffer 3.1. Die Kammer hat sich diesen Argumentationslinien in Ziffer 4 ihrer Mitteilung vorläufig angeschlossen. Die Beschwerdegegnerin konnte also hierdurch nicht überrascht worden sein. Spätestens nach dem Schriftsatz der Beschwerdeführerin vom 22. Februar 2024 hätte die Beschwerdegegnerin also in Reaktion auf die von der Beschwerdeführerin geführten Einwände die neuen Hilfsanträge 5 bis 9 einreichen können und müssen.

3.4 In der mündlichen Verhandlung gab die Beschwerdegegnerin an, dass sie durch die vorläufige Meinung der Kammer gemäß Ziffer 4.3 ihrer Mitteilung, wonach die "Figuren 1 bis 11 zu einem Ausführungsbeispiel und Figuren 12 bis 16 zu einem anderen Ausführungsbeispiel [gehören], das komplementär zum ersten Ausführungsbeispiel zu sein scheint, da der Abstandhalter 68 nach Merkmal (1.7b) nicht mit einem Vorsprung 60 [...] kombinierbar zu sein scheint", "überrascht" worden sei; dieser Einwand sei von der Kammer in das Verfahren neu eingeführt worden und stelle daher einen außergewöhnlichen Umstand im Sinne von Artikel 13 (2) VOBK dar, aufgrund dessen die Beschwerdegegnerin die Hilfsanträge 5 bis 9 zu diesem späten Zeitpunkt im Beschwerdeverfahren habe einreichen dürfen.

3.5 Wie in der mündlichen Verhandlung erläutert, stimmt die Kammer der Beschwerdegegnerin nicht zu. Wie aus dem ersten Satz der Ziffer 4.3 der Mitteilung ("Die Kammer stimmt der Einsprechenden vorläufig zu, dass ...") deutlich wird, hat die Kammer keinen neuen Einwand geführt, sondern lediglich dem entsprechenden Einwand der Beschwerdeführerin zugestimmt, den diese auf Seite 7, zweiter bis fünfter Absatz, ihres Schriftsatzes vom 22. Februar 2024 ausgeführt hat. Es ist zwar richtig, dass die Beschwerdeführerin den Umstand, dass sich die beiden Ausführungsbeispiele gegenseitig ausschließen, nicht wie die Kammer mit der Bezeichnung (zueinander) "komplementär" beschrieben hat. Was hiermit aber gemeint ist, hat die Kammer in Ziffer 4.3 unzweideutig ausgeführt ("der Abstandhalter ... nicht mit einem Vorsprung kombinierbar") und stimmt mit dem entsprechenden Einwand der Beschwerdeführerin inhaltlich überein.

3.6 Da also im Ergebnis keine außergewöhnlichen Umstände für die Einreichung der Hilfsanträge 5 bis 9 erst nach Mitteilung der Kammer ersichtlich sind, berücksichtigt die Kammer in Ausübung ihres Ermessens gemäß Artikel 13 (2) VOBK diese Hilfsanträge nicht im Beschwerdeverfahren.

3.7 Die Kammer merkt im Übrigen an, dass der Gegenstand des jeweiligen Anspruchs 1 der Hilfsanträge 5 bis 7 und 9 die Option "b)" nicht mehr in Verbindung mit Merkmal (1.6) enthält. Folglich ist der Gegenstand dieser Ansprüche in dieser Hinsicht breiter als der erteilte Gegenstand, der die Option "b)" nur in Verbindung mit Merkmal (1.6) enthielt. Wenn jedoch - wie vorliegend - die Einsprechende die alleinige Beschwerdeführerin ist gegen eine Zwischenentscheidung über die Aufrechterhaltung des Patents in geändertem Umfang, so ist die Patentinhaberin primär darauf beschränkt, das Patent in der Fassung zu verteidigen, die die Einspruchsabteilung ihrer Zwischenentscheidung zugrunde gelegt hat ("Verschlechterungsverbot", vgl. G 9/92 und G 4/93, ABl. EPA 1994, 875, Orientierungssatz II); andernfalls läge ein Verstoß gegen das Verbot der sogenannten reformatio in peius vor, wie von der Beschwerdeführerin bereits schriftsätzlich gerügt und in der mündlichen Verhandlung auch mit den Parteien diskutiert.

3.8 Die Kammer merkt schließlich an, dass der nicht gegen das Verbot der reformatio in peius verstoßende Hilfsantrag 8, selbst wenn er im Verfahren berücksichtigt worden wäre, prima facie nicht gewährbar zu sein scheint, da Anspruch 1 dieses Hilfsantrags weiterhin die oben in den Ziffern 2.2.5 und 2.2.7 beschriebenen Merkmale nicht enthält und damit eine unzulässige Zwischenverallgemeinerung darstellt. Auch dieser Umstand wurde in der mündlichen Verhandlung mit den Parteien diskutiert.

4. Hilfsanträge 1 bis 4 - unzulässige Erweiterung, Artikel 123 (2) EPÜ

4.1 Beide oder zumindest einer der im Zusammenhang mit dem Hauptantrag beschriebenen Einwände gemäß Artikel 123 (2) EPÜ (Abschnitt 2.) gelten/gilt auch für die Hilfsanträge 1 bis 4.

4.2 Folglich geht der Gegenstand des jeweiligen Anspruchs 1 der Hilfsanträge 1 bis 4 aus denselben Gründen wie im Zusammenhang mit dem Hauptantrag diskutiert über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinaus, Artikel 123 (2) EPÜ.

5. Rüge nach Regel 106 EPÜ

5.1 Die Beschwerdegegnerin erhob am Ende der mündlichen Verhandlung eine (schriftlich eingereichte) Rüge nach Regel 106 EPÜ, da aufgrund der Nichtzulassung der Hilfsanträge 5 bis 9 ein schwerwiegender Verstoß gegen Artikel 113 EPÜ vorliege (Artikel 112a (2) c) EPÜ) sowie das Beschwerdeverfahren mit einem sonstigen, in der Ausführungsordnung genannten schwerwiegenden Verfahrensmangel behaftet sei (Artikel 112a (2) d) EPÜ).

5.2 Die Beschwerdegegnerin argumentierte, dass das Recht der Beschwerdegegnerin auf rechtliches Gehör nach Artikel 113 (1) EPÜ nicht gewahrt worden sei, da die Kammer in Ziffer 4.3 ihrer Mitteilung nach Artikel 15 (1) VOBK einen bislang nicht im Verfahren befindlichen Einwand eingeführt habe. Die Nichtzulassung der Hilfsanträge 5 bis 9 verhindere die Diskussion der relevanten Punkte, so dass nicht ausgeschlossen werden könne, dass die Beschwerdeentscheidung auf einem Verstoß gegen das rechtliche Gehör oder anderer Verfahrensvorschriften beruhe.

5.3 Die Befugnis einer Kammer, in Anwendung von Artikel 114 (2) EPÜ und der entsprechenden Bestimmungen der Verfahrensordnung im Rahmen ihrer Ermessensausübung Anträge von Parteien nicht in das Verfahren zuzulassen, unterliegt als solche nicht der Überprüfung der Großen Beschwerdekammer, da in einer solchen Nichtzulassung eines Antrags grundsätzlich keine Verletzung des rechtlichen Gehörs zu sehen ist. Eine Ausnahme hiervon gilt nur dann, wenn eine Kammer bei Ausübung ihres Ermessens willkürlich oder in offensichtlich rechtswidriger Weise gehandelt hat (vgl. R 24/22, Gründe 13 bis 15).

5.4 Die Kammer hat im Rahmen der Frage, ob die Hilfsanträge 5 bis 9 gemäß Artikel 13 (2) VOBK im Verfahren unberücksichtigt bleiben, in der mündlichen Verhandlung ausgeführt, welche Gesichtspunkte für die Ermessensentscheidung der Kammer von Belang sind, und hat die Parteien hierzu angehört. Im Anschluss hat sie ihre Ermessensentscheidung unter Heranziehung der hierfür einschlägigen Kriterien getroffen, siehe hierzu oben Ziffer 3. Dass in der Konsequenz der negativen Entscheidung der Kammer die Hilfsanträge 5 bis 9 nicht inhaltlich diskutiert wurden, liegt in der Natur der Sache und stellt für sich keine Gehörsverletzung dar.

5.5 Soweit die Beschwerdeführerin einen schwerwiegenden Verfahrensmangel im Sinne von Artikel 112 (2) d) EPÜ gerügt hat, muss dieser ausweislich des Wortlauts dieser Vorschrift ausdrücklich in der Ausführungsordnung genannt sein (siehe Rechtsprechung, V.B.3.4.2 und V.B.4.4), also entweder die Nichtanberaumung einer beantragten mündlichen Verhandlung (Regel 104 a) EPÜ) oder eine unterbliebene Entscheidung über den Antrag eines Beteiligten, Regel 104 b) EPÜ. Die Beschwerdeführerin hat hierzu nichts vorgetragen, und die beiden genannten Fälle liegen auch offensichtlich nicht vor.

5.6 Folglich weist die Kammer die mit der Rüge gemäß Regel 106 EPÜ erhobenen Einwände zurück.

6. Zusammenfassung

Da Anspruch 1 des Hauptantrags und der Hilfsanträge 1 bis 4 nicht die Erfordernisse des Artikels 123 (2) EPÜ erfüllt und die Hilfsanträge 5 bis 9 gemäß Artikel 13 (2) VOBK unberücksichtigt bleiben, muss die angefochtene Entscheidung der Einspruchsabteilung aufgehoben und das Patent widerrufen werden (Artikel 101 (3) b) und Artikel 111 (1) EPÜ).

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Das Patent wird widerrufen.

Quick Navigation