T 1864/21 () of 22.4.2024

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2024:T186421.20240422
Datum der Entscheidung: 22 April 2024
Aktenzeichen: T 1864/21
Anmeldenummer: 12196210.4
IPC-Klasse: E06B 3/54
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
Download und weitere Informationen:
Text der Entscheidung in DE (PDF, 418 KB)
Alle Dokumente zum Beschwerdeverfahren finden Sie im Register
Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Fensterflügelprofil mit Federelement für die Montage von Klotzbrücken
Name des Anmelders: SCHÜCO International KG
Name des Einsprechenden: profine GmbH
Kammer: 3.2.07
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 100(a)
European Patent Convention Art 54
European Patent Convention Art 100(c)
European Patent Convention Art 123(2)
Rules of procedure of the Boards of Appeal 2020 Art 012(2)
Rules of procedure of the Boards of Appeal 2020 Art 012(4)
Schlagwörter: Unzulässige Erweiterung - (nein)
Neuheit - (ja)
Spät vorgebrachter Einspruchsgrund - zugelassen (nein)
Spät vorgebrachte Einwände - zugelassen (nein)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
G 0001/95
G 0002/10
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Einsprechende legte form- und fristgerecht Beschwerde gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung ein, mit der der Einspruch gegen das europäische Patent Nr. 2 604 783 zurückgewiesen wurde.

II. Der Einspruch richtete sich gegen das Patent im gesamten Umfang und stützte sich auf sämtliche Einspruchsgründe nach Artikel 100 EPÜ (mangelnde Neuheit, erfinderische Tätigkeit und Ausführbarkeit sowie unzulässige Erweiterung).

III. Mit Mitteilung gemäß Artikel 15 (1) VOBK teilte die Beschwerdekammer den Beteiligten ihre vorläufige Beurteilung der Sach- und Rechtslage mit, derzufolge die Beschwerde zurückzuweisen wäre.

IV. Am 22. April 2024 fand die mündliche Verhandlung vor der Kammer statt. Wegen der Einzelheiten des Verlaufs der mündlichen Verhandlung wird auf das Protokoll verwiesen. Der Tenor der Entscheidung wurde am Schluss der Verhandlung verkündet.

V. Die vorliegende Entscheidung nimmt auf folgende Dokumente Bezug:

E1: DE 10 2005 021 934 A1,

E2: DE 10 2006 038 950 A1,

E3: DE 201 02 696 U1,

E4: DE 32 47 691 A1.

VI. Anspruch 1 des Patents in der erteilten Fassung lautet:

"Fensterflügelprofil (4) mit einem Falzbereich mit mindestens zwei unterschiedlichen Höhenniveaus, wobei das Fensterflügelprofil (4) mindestens eine oder mehrere Klotzbrücken (20), mindestens ein oder mehrere Trageklötze (21) und mindestens ein Federelement (18) aufweist, dadurch gekennzeichnet, dass das mindestens eine Federelement (18) sich auf dem Höhenniveau (I, II, III), das für die Aufnahme der mindestens einen oder mehreren Klotzbrücken (20) vorgesehen ist, befindet und an das in Bezug auf die vertikale Richtung dazu höher gelegene Höhenniveau (I, II, III) angrenzt, wobei die wenigstens eine oder mehreren Klotzbrücken (20) durch das wenigstens eine oder mehrere der Federelemente (18) auf dem Fensterflügelprofil (4) vorzugsweise kraft- und formschlüssig in der vorgesehenen Position festgelegt ist/sind."

VII. Die Merkmalsgliederung von Anspruch 1 des Patents in der erteilten Fassung ist entsprechend Punkt I.15 der angefochtenen Entscheidung wie folgt:

[Merkmal M1] Fensterflügelprofil (4) mit einem Falzbereich mit mindestens zwei unterschiedlichen Höhenniveaus,

[Merkmal M2] wobei das Fensterflügelprofil (4) mindestens eine oder mehrere Klotzbrücken (20), mindestens ein oder mehrere Trageklötze (21) und [Merkmal M3] mindestens ein Federelement (18) aufweist, dadurch gekennzeichnet, dass

[Merkmal M4] das mindestens eine Federelement (18) sich auf dem Höhenniveau (I, II, III), das für die Aufnahme der mindestens einen oder mehreren Klotzbrücken (20) vorgesehen ist, befindet und

[Merkmal M5] [das Federelement] an das in Bezug auf die vertikale Richtung dazu höher gelegene Höhenniveau (I, II, III) angrenzt,

[Merkmal M6] wobei die wenigstens eine oder mehreren Klotzbrücken (20) durch das wenigstens eine oder mehrere der Federelemente (18) auf dem Fensterflügelprofil (4) vorzugsweise kraft- und formschlüssig in der vorgesehenen Position festgelegt ist/sind.

VIII. Das entscheidungserhebliche Vorbringen der Beteiligten wird im Detail in den Entscheidungsgründen diskutiert.

IX. Die Einsprechende (Beschwerdeführerin) beantragte

die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents.

X. Die Patentinhaberin (Beschwerdegegnerin) beantragte

die Zurückweisung der Beschwerde, d.h. die Aufrechterhaltung des Patents in der erteilten Fassung (Hauptantrag),

hilfsweise die Aufrechterhaltung des Patents in geänderter Fassung auf Basis eines der Anspruchssätze gemäß Hilfsanträgen 1 bis 7, eingereicht im Einspruchsverfahren mit Schriftsatz vom 30. Juni 2021.

Die von der Beschwerdegegnerin gestellten Hilfsanträge sind für die Entscheidung irrelevant.

Entscheidungsgründe

1. Änderungen (Artikel 100 c) und 123 (2) EPÜ)

1.1 Die Beschwerdeführerin wandte sich gegen die begründeten Feststellungen unter Punkt II.2 der angefochtenen Entscheidung, dass die Merkmale M2, M4 und M5 von Anspruch 1 in den ursprünglich eingereichten Anmeldungsunterlagen offenbart seien.

1.1.1 Laut der Beschwerdeführerin seien die Merkmale M2 und M3 unzulässig erweitert, da ursprünglich das Fensterflügelprofil zur Aufnahme anderer Bauteile (mindestens einer Klotzbrücke, mindestens eines Trageklotzes und eines Federelements) geeignet sein sollte. Bei den Klotzbrücken und Tragklötzen handle es sich um eigenständige Gebilde. Aus den ursprünglichen Anmeldungsunterlagen, beispielsweise aus Figur 3, Absätze [0022] und [0025] der A1-Schrift des Streitpatents, gehe hervor, dass das Fensterflügelprofil weder Klotzbrücken, noch Tragklötze aufweise. Auch in der gesamten Beschreibung und den Ansprüchen finde sich keine Offenbarung darauf, dass das Fensterflügelprofil eine Klotzbrücke oder einen Trageklotz aufweise.

Das Merkmal M2 von Anspruch 1 bedeute, dass die Klotzbrücken und Trageklötze Teil des beanspruchten Fensterflügelprofils seien. Durch den Begriff "aufweist" im Merkmal M3 seien die Klotzbrücken und Trageklötze ausschließlich als integrierter Bestandteil zu sehen. Denn bei der Verwendung des Begriffs "aufweisen" verfüge ein Gegenstand selbst über ein bestimmtes integriertes Merkmal. Diese Auslegung des Begriffs "aufweisen" werde auch durch die Beschreibung gestützt (vgl. Anhang 1 zum Schriftsatz vom 21. Juli 2022). Der Gegenstand von Anspruch 1 beziehe sich auf ein Fensterflügelprofil und nicht auf einen Fensterflügel. In den ursprünglichen Anmeldungsunterlagen finde sich weder eine wortwörtliche Offenbarung für das Merkmal M2, noch eine Definition, die die Interpretation der Einspruchsabteilung stütze, dass das Fensterflügelprofil eine Klotzbrücke oder einen Trageklotz umfasse.

Die eine oder mehreren Klotzbrücken, Tragklötzen und Verglasung gehörten somit nicht zum Fensterflügelprofil, sondern zum Fensterflügel. Im Sinne der Ursprungsunterlagen weise das Fensterflügelprofil keine Klotzbrücken und/oder Trageklötze auf.

1.1.2 Zudem stelle sich die Frage, weshalb bei der Änderung die Verglasung nicht in den Anspruch 1 übernommen worden sei. Während ursprünglich das Fensterflügelprofil zur Aufnahme von Klotzbrücken, Tragklötzen und Verglasung diente, weise nun das Fensterflügelprofil nur noch Klotzbrü­cken und Tragklötzen auf, nicht jedoch eine Verglasung. Ohne eine solche Verglasung mache der Einsatz von Klotzbrücken und Tragklötzen jedoch keinen Sinn. Im Wegfall der Verglasung könne ein Verstoß gegen Artikel 123 (2) EPÜ zu sehen sein.

1.1.3 Bei den Merkmalen M4 und M5 sei das Merkmal "Haltedichtung" durch "Federelement" ersetzt worden, da in einem Teil der Ausführungsbeispiele die Haltedichtung ausschließlich aus einem Federelement bestehe. Ausführungsbeispiele, bei denen dies nicht der Fall sei, sollten jedoch weiterhin unter den Schutz des Patentes fallen. In der Allgemeinheit der gewählten Formulierung stelle dies ein Aliud dar.

Nach Absatz [0037] der A1-Schrift des Streitpatents könne die Haltedichtung ausschließlich aus dem Federelement bestehen. Die Haltedichtung umfasse daher mindestens das Federelement.

Nach dem ursprünglichen Anspruch 10 müsse sich eine Haltedichtung auf dem Höhenniveau befinden, das für die Aufnahme der mindestens einen oder mehreren Klotzbrü­cken vorgesehen sei. Im erteilten Anspruch 1 sei es nun das Federelement. Müsse ursprünglich die Haltedichtung an das höher gelegene Höhenniveau angrenzen, so sei es nun das Federelement. Dies ergebe eine Veränderung des Schutzbereiches und stelle ein Aliud dar.

1.2 Nach gefestigter Rechtsprechung ist bei der Prüfung der Frage, ob der Gegenstand des Patents entgegen Artikel 100 c) EPÜ über den Inhalt der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgeht, auf den sogenannten "Goldstandard" abzustellen. Demnach dürfen Änderungen nur im Rahmen dessen erfolgen, was die Fachperson der Gesamtheit der Unterlagen in ihrer ursprünglich eingereichten Fassung unter Heranziehung des allgemeinen Fachwissens, objektiv und bezogen auf den Anmeldetag, unmittelbar und eindeutig entnehmen kann. Zu prüfen ist, ob die Änderung dazu führt, dass die Fachperson neue technische Informationen erhält (siehe G 2/10; Rechtsprechung der Beschwerdekammern [RdB], 10. Auflage 2022, II.E.1.3.1).

1.3 Die Kammer ist von der Argumentation der Beschwerdeführerin nicht überzeugt, dass die von der Beschwerdeführerin beanstandeten Änderungen im erteilten Anspruch 1 zu einer unzulässigen Erweiterung des beanspruchten Gegenstands führen.

1.3.1 Entsprechend der angefochtenen Entscheidung ist festzustellen, dass das unstreitig ursprünglich offenbarte Merkmal M6 (siehe kennzeichnenden Teil des ursprünglichen Anspruchs 1) bereits eindeutig definiert, dass die Klotzbrücke durch das Federelement auf dem Fensterflügelprofil, d. h. als separates Teil des Fensterflügelprofils, festgelegt ist. Aus Sicht der Kammer kann die Fachperson der Gesamtheit der Anmeldungsunterlagen in ihrer ursprünglich eingereichten Fassung unmittelbar und eindeutig entnehmen, dass das beanspruchte Fensterflügelprofil eine Klotzbrücke, Trageklötze und mindestens ein Federelement aufweisen kann (siehe beispielweise ursprünglicher Anspruch 1, Figur 4). Dieses technische Verständnis ist im Übrigen auch durch den ursprünglichen Anspruch 1 gestützt, wonach das Fensterflügelprofil zur Aufnahme von Klotzbrücken und Trageklötzen geeignet ist. Dass zum Fensterflügelprofil weder eine Klotzbrücke noch ein Tragklotz gehörten, sondern zu einem Fensterflügel, geht aus den ursprünglichen Anmeldungsunterlagen hingegen nicht hervor.

Die Kammer folgt der Auslegung der Beschwerdeführerin nicht, dass durch die Verwendung des Begriffs "aufweisen" das Fensterflügelprofil über die Klotzbrücke und Trageklotz als integrierte Bestandteile verfüge. Diese Auslegung wird auch nicht durch die von der Beschwerdeführerin angegebenen Stellen in der Beschreibung (vgl. Anhang 1 zum Schriftsatz vom 21. Juli 2022) gestützt.

1.3.2 Inwiefern durch einen Wegfall einer Verglasung im Anspruch 1 eine unzulässige Erweiterung vorläge, ist nicht überzeugend dargelegt. Der Vortrag der Beschwerdeführerin, dass ohne eine Verglasung der Einsatz von Klotzbrücken und Tragklötzen keinen Sinn ergebe und unlogisch sei, zeigt keinen Verstoß gegen ein Erfordernis nach Artikel 123 (2) EPÜ auf, der eine unzulässige Erweiterung zu begründen vermag.

1.3.3 Ferner folgt die Kammer der angefochtenen Entscheidung (siehe Punkt II.2.2.2), dass Absatz [0037], letzter Satz, und Absatz [0043], zweiter Satz, sowie die entsprechenden Ausführungsformen der Figuren 5c und 5d der A1-Schrift des Streitpatents eindeutig die alternative Variante als Basis für die Merkmale M4 und M5 offenbaren, bei der das Federelement eine unabhängige Struktur ist, die nicht Teil einer Haltedichtung ist. Das Federelement ist eindeutig als Alternative zur Haltedichtung beschrieben.

Dass ein Aluid und eine Veränderung des Schutzbereiches vorliege sowie bestimmte Ausführungsformen des Streitpatents nicht unter den beanspruchten Gegenstand fielen, ist für die Feststellung der ursprünglichen Offenbarung des beanspruchten Gegenstands vorliegend ohne Belang und begründet keinen Verstoß gegen die Erfordernisse von Artikel 123 (2) EPÜ.

1.4 Der Einspruchsgrund unzulässiger Änderungen nach Artikel 100 c) EPÜ steht daher der Aufrechterhaltung des Patents in erteilter Fassung nicht entgegen.

2. Zulassung in das Verfahren des Einspruchsgrunds mangelnder Ausführbarkeit nach Artikel 100 b) EPÜ

2.1 Der Einspruchsgrund mangelnder Ausführbarkeit nach Artikel 100 b) EPÜ lag der angefochtenen Entscheidung nicht zugrunde. Allerdings wurde dieser Einspruchsgrund mit der Einspruchsschrift vom 24. Juli 2019, Seite 10, letzter Absatz, erhoben.

2.2 Im Hinblick auf das vorrangige Ziel des Beschwerdeverfahrens, die angefochtene Entscheidung gerichtlich zu überprüfen (Artikel 12 (2) VOBK), ist gemäß Artikel 12 (2) VOBK das Beschwerdevorbringen der Beteiligten auf die Tatsachen, Einwände, Beweismittel und Anträge zu richten, die der angefochtenen Entscheidung zugrunde liegen.

Gemäß Artikel 12 (4), erster Satz, VOBK ist ein Teil des Beschwerdevorbringens eines Beteiligten, der nicht die in Artikel 12 (2) VOBK genannten Erfordernisse erfüllt und für den der Beteiligte nicht gezeigt hat, dass dieser Teil in dem Verfahren, das zu der angefochtenen Entscheidung geführt hat, in zulässiger Weise vorgebracht und aufrechterhalten wurde, als Änderung des Vorbringens des Beteiligten zu betrachten.

2.3 Aus Sicht der Kammer hat die Beschwerdeführerin nicht gezeigt, dass der Einspruchsgrund mangelnder Ausführbarkeit, der mit der Beschwerdebegründung erhoben wurde, aber der angefochtenen Entscheidung nicht zugrunde lag, im Einspruchsverfahren, das zu der angefochtenen Entscheidung geführt hat, aufrechterhalten wurde.

Dieser Einspruchsgrund ist zwar im Einspruchsschriftsatz geltend gemacht worden (siehe Punkt I oben). Allerdings hat die Beschwerdeführerin in ihren weiteren inhaltlichen Schriftsätzen vom 3. August 2020, in Erwiderung auf die vorläufige Meinung der Einspruchsabteilung vom 14. Februar 2020, und vom 1. Juli 2021 im Einspruchsverfahren diesen Einspruchsgrund nicht weiterverfolgt. Ausweislich des Protokolls zur mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung, Punkte 5 und 40, und von der Beschwerdeführerin unbestritten, wurde dieser Einspruchsgrund während der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung nicht zur Entscheidung gestellt und somit nicht aufrechterhalten.

Das Vorbringen des Einspruchsgrunds von Artikel 100 b) EPÜ mit der Beschwerdebegründung ist somit als Änderung des Vorbringens der Einsprechenden im Sinne von Artikel 12 (4), erster Satz, VOBK zu betrachten.

Die Kammer sieht keinen Grund, diese Änderung des Beschwerdevorbringens und damit den Einspruchsgrund von Artikel 100 b) EPÜ in Ausübung ihres Ermessens gemäß Artikel 12 (4) VOBK in das Beschwerdeverfahren zuzulassen.

2.4 Die Beschwerdeführerin machte während der mündlichen Verhandlung vor der Kammer geltend, dass der Einspruchsgrund nach Artikel 100 b) EPÜ in Reaktion auf die angefochtene Entscheidung in die Beschwerdebegründung aufgenommen worden sei. Die Einspruchsabteilung habe mit der Entscheidungsbegründung eine neue Definition eingeführt, die zur mangelnden Ausführbarkeit führe.

2.5 Soweit die Beschwerdeführerin eine Zulassung dieses Einspruchsgrunds erstmals im Beschwerdeverfahren begehrte, weist die Kammer darauf hin, dass im Beschwerdeverfahren neue Einspruchsgründe nur mit Einverständnis der Patentinhaberin geprüft werden dürfen (siehe G 1/95; RdB, a.a.O., V.A.3.2.3 h)).

Da ein solches Einverständnis nicht vorlag, wie von der Beschwerdegegnerin während der mündlichen Verhandlung vor der Kammer ausdrücklich bestätigt, darf die Kammer in keiner Weise auf diesen Einspruchsgrund eingehen.

3. Neuheit (Artikel 100 a) und 54 EPÜ)

3.1 Höhenniveau

3.1.1 Laut der Beschwerdeführerin sei es fraglich, was unter dem Höhenniveau gemäß Merkmal M4 von Anspruch 1 zu verstehen sei. Nach der angefochtenen Entscheidung seien Höhenniveaus als verschiedene Ebenen des Falzbereichs anzusehen, während die Beschwerdeführerin in den Höhenbereichen vertikal angeordnete Bereiche sehe. Das Höhenniveau nach Merkmal M4 sei als vertikale Erstreckung der Klotzbrücke zu verstehen, also dass die Höhenniveaus als dreidimensionale Räume anzusehen seien, die sich auch in vertikale Richtung erstreckten.

Diese Auslegung sei durch Figuren 5e und 5h des Streitpatents gestützt, die ein Federelement 18 zeigten, das unter den Schutz des Streitpatents fallen solle. In Figur 5e erstrecke sich das Federelement 18 als Teil der Haltedichtung 16 über zwei Hö­henniveaus. Nach Figur 5h überlappe das Federelement 18 in vertikaler Richtung nur einen Teilbereich des Höhenniveaus. Im Falle horizontaler Ebenen würde das Federelement linienförmig genau auf der Höhe der horizontalen Ebenen andrücken; im Falle vertikaler Bereiche wäre die Übertragung der Federkraft flächig.

3.1.2 Die Interpretation der Beschwerdeführerin ist jedoch nicht vom klaren und eindeutigen Wortlaut des Anspruchs 1 oder die Beschreibung des Streitpatents gestützt. Vielmehr bezieht sich die Beschwerdeführerin in ihrer Argumentation auf schematischen Zeichnungen des Streitpatents, die als solche keine ausreichende Grundlage für ihre Auslegung bilden.

Die Kammer folgt daher Punkt II.3.1.3 der Entscheidungsgründe, dass entsprechend dem Wortlaut von Anspruch 1 die Höhenniveaus im Falzbereich liegen (siehe z. B. Merkmal M1) und als verschiedene Ebenen des Falzbereiches zu betrachten sind, wie im Übrigen in den Absätzen [0025] und [0026] des Streitpatents beschrieben und somit auch durch die Beschreibung des Streitpatents gestützt.

3.2 Neuheit gegenüber E1

3.2.1 Die Beschwerdeführerin bemängelte die Feststellung unter Punkt II.3.1 der Gründe der angefochtenen Entscheidung, dass E1 die Merkmale M4, M5 und M6 von Anspruch 1 nicht zeige.

Merkmal M4 erfordere, dass sich das Federelement auf dem Höhenniveau befinde, das für die Aufnahme der mindestens einen oder mehreren Klotzbrücken vorgesehen sei. Daher sei es ohne Belang, ob sich die Dichtung, wie bei E1, oberhalb der Entwässerungsrinne oder, wie bei den Ausführungsbeispielen des Streitpatentes, im Übergangsbereich zwischen den beiden anderen Bereichen I und II befinde. Aufgrund der in den Figuren gezeigten Ausführungsbeispiele des Streitpatents sei davon auszugehen (siehe insbesondere Figur 5h), dass "auf dem Höhenniveau" nach Merkmal M4 bezogen auf die Figuren im Sinne von horizontal daneben zu interpretieren sei. Damit das Federelement die Klotzbrücke gegen horizontales Verschieben sichere, müsse sie neben der Klotzbrücke auf deren horizontalen Höhenniveau angeordnet sein.

Das Streitpatent definiere Merkmal M5 nicht genau, so dass sich die Frage stelle, was zum Federelement gehöre und ob Merkmal M5 derart zu verstehen sei, dass das Federelement bis genau zum nächsten Höhenniveau angrenzen müsse oder ob das Federelement auch etwas ober- oder unterhalb der Grenze ende (siehe insbesondere Figur 5d des Streitpatents). Auch bezüglich des Angrenzens an das nächste höhere Niveau sei nicht von der horizontalen Positionierung, sondern der vertikalen Position auszugehen. Die Dichtung 11 von E1 übe vergleichbar mit Figur 5e des Streitpatents Kräfte auf die Klotzbrücke aus und wirke dabei als Federelement. Oberhalb des Bereichs, in dem die Dichtung Kräfte auf die Klotzbrücke ausübe, übernehme sie diese Funktion nicht mehr, so dass das Federelement an das hö­here Niveau angrenze.

Da die Beschreibung von E1 zu Merkmal M6 explizit nichts aussage, sei Figur 1 von E1 zu betrachten. Ein Spalt zwischen dem Federelement und der Klotzbrücke sei nicht zu erkennen. Es werde jedoch deutlich, dass wenn ein Spalt zwischen Federelement 11, d. h. dessen als nach unten gerichtete Zunge skizziertem Teil, und der Klotzbrücke 16 vorhanden wäre, es logisch und naheliegend wäre, dass das Element 11 nicht bis zur Klotzbrücke hinunterreiche. Die Erstreckung des Elements 11 nach unten bis zur Klotzbrücke mache im Rahmen der Zeichengenauigkeit nur Sinn, wenn das Element 11 mit der Klotzbrücke in Kontakt sei und somit diese in der vorgesehenen Position gegen horizontales Verschieben sichere. Aus Figur 1 von E1 ergäben sich die Merkmale M4 bis M6 von Anspruch 1.

3.2.2 Die Kammer ist von der Argumentation nicht überzeugt und folgt auf Basis der oben unter Punkt 3.1.2 angegebenen Gründen den Punkten II.3.1.2 bis II.3.1.4 der Entscheidungsgründe.

In Figur 1 von E1 befindet sich das untere Ende der Dichtung 11 nicht auf dem Höhenniveau zur Aufnahme der Klotzbrücke 16, sondern endet oberhalb der Entwässerungsrinne. Außerdem grenzt die Dichtung 11 nicht an das höhere Niveau an, sondern befindet sich auf der gegenüberliegenden rechten Seite des Falzbereiches. Somit offenbart E1 weder Merkmal M4 noch Merkmal M5.

Im Gegensatz zu der Auffassung der Beschwerdeführerin kann ein Kontakt zwischen dem unteren Ende der Dichtung 11 und der Klotzbrücke 16 der schematischen Figur 1 nicht unmittelbar und eindeutig entnommen werden. Eine Festlegung der Klotzbrücke durch das Federelement, wie gemäß Merkmal M6 gefordert, wird somit weder in Figur 1 noch unstreitig in der Beschreibung von E1 unmittelbar und eindeutig offenbart. Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin ist Merkmal M6 auch kein optionales Merkmal, sondern schränkt den Gegenstand von Anspruch 1 dahingehend ein, dass die Klotzbrücke durch das Federelement festgelegt ist.

Im Übrigen überzeugt die Argumentation der Beschwerdeführerin nicht, da diese allein auf der Offenbarung der Figur 1 von E1 beruht. Wie schon erwähnt, ist Figur 1 von E1 jedoch eine schematische Zeichnung, die gemäß gefestigter Rechtsprechung nicht dazu verwendet werden kann, ein Verhältnis zwischen zwei Größenordnungen herzuleiten (siehe RdB, a.a.O., I.C.4.6).

3.3 Neuheit gegenüber E2 oder E3

3.3.1 Die Beschwerdeführerin argumentierte, dass gemäß Absatz [0012] des Streitpatentes der Begriff Federelement nicht einschränkend sei, im Sinne der physikalischen Federbauformen, sondern allgemein zu verstehen und auch Werkstofffedern umfasse. In diesem Sinne offenbarten E2 und E3 in den unter Punkt II.3.2.1 der angefochtenen Entscheidung markierten Profilteilen der Figur 1 von E2 sowie der Figur 4 von E3 Federelemente.

Nach Figur 1 von E2 übe der Profilrahmen 21 von links und rechts Druck auf die Klotzbrücke 52 aus. An den Kontaktstellen um die beiden Hinterschneidungen 24 übe der Profilrahmen 21 die gleiche Kraft auf die Klotzbrücke 52 aus, wie die Klotzbrücke 52 auf den Profilrahmen 21. Nach E2 sei das von der Einspruchsabteilung markierte Profilteil aus einem elastischen Werkstoff hergestellt. Die Wasserablaufrinne mit ihrer Rundung begünstige das Federn des mit dem Pfeil markierten Profilelements. Dass die Klotzbrücke auch federe sei unschädlich, da nach Anspruch 1 das Fensterflügelprofil auch mehrere Federelemente aufweisen könne. Somit sei das von der Einspruchsabteilung markierte Profilteil aus E2 als Bestandteil des Profilrahmens als Federelement anzusehen, welches sich auf dem Höhenniveau befinde, das für die Aufnahme der Klotzbrücke vorgesehen sei.

Wie bei E2 gelte auch bei E3, dass das Fensterflügelprofil mit dem amtsseitig durch einen Pfeil markierten Bauteil federnd auf die Klotzbrücke drücke, wie eigentlich auch auf der anderen Seite der Klotzbrücke. Es liege eine Feder im Sinne des Absatzes [0012] des Streitpatentes vor.

3.3.2 Die Kammer ist von der Argumentation nicht überzeugt und folgt den begründeten Feststellungen der Einspruchsabteilung unter Punkt II.3.2 der angefochtenen Entscheidung.

Sowohl E2 (Absatz [0036], letzter Satz) als auch E3 (Seite 4, letzter Absatz) offenbaren, dass sich die Klotzbrücken elastisch verformen und so in das Profil einrasten. Der Offenbarung von E2 oder E3 ist ein Hinweis auf einen elastischen Werkstoff und eine damit einhergehende Elastizität der von der Einspruchsabteilung markierten Profilteile nicht unmittelbar und eindeutig zu entnehmen. Die markierten Profilteile sind daher als im Wesentlichen starr und nicht als Federelemente anzusehen, selbst wenn, wie von der Beschwerdeführerin behauptet, die aus E2 und E3 bekannten Profile aus PVC seien, was sowieso den gesamten Offenbarungen nicht eindeutig und unmittelbar zu entnehmen ist.

Weder E2 noch E3 offenbaren somit ein Federelement, wie im erteilten Anspruch 1 definiert.

3.4 Neuheit gegenüber E4

3.4.1 Die Beschwerdeführerin brachte hinsichtlich Merkmal M2 vor, dass die Fachperson wisse, dass es zum Ausgleich von Toleranzen Trageklötzen zwischen der Verglasung und den Klotzbrücken bedürfe. Diese Trageklötze seien in E4 zwar nicht explizit beschrieben. Die Fachperson wisse jedoch, dass Trageklötze zum Verklotzen gehörten und impliziere diese in E4.

Hinsichtlich Merkmal M4 verwies die Beschwerdeführerin auf ihre obige Argumentation unter Punkt 3.1.1, wonach strittig sei, ob die Hö­henniveaus Ebenen darstellten und so die Federelemente nur linienförmig vorhanden sein dürften. So wie beispielsweise beim Streitpatent die Federelemente 18 in den Figuren 5c und 5d nicht auf dem Höhenniveau II andrückten, sondern in dem Höhenbereich, der für die Aufnahme der mindestens einen Klotzbrücke 12 vorgesehen sei (siehe Figuren 1 und 3 bis 6 von E4), so befänden sich bei E4 die Klemmvorsprünge 26 / Federelemente ebenfalls in dem Höhenbereich, der für die die Aufnahme der mindestens einen Klotzbrücke vorgesehen sei.

3.4.2 Die Kammer ist entsprechend den oben unter Punkt 3.1.2 angegeben Gründen und entsprechend Punkt II.3.3 der Entscheidungsgründe von der Argumentation der Beschwerdeführerin nicht überzeugt.

Sowohl Figur 1 als auch die Beschreibung auf Seite 6, zweiter Absatz, von E4 beschreiben eine direkte Abstützung der Verglasung auf der Klotzbrücke. Ein Trageklotz nach Merkmal M2 ist somit nicht unmittelbar und eindeutig in E4 offenbart.

Dokument E4 offenbart eine Klotzbrücke 12 mit integrierten Klemmvorsprüngen 26, die als Federelemente betrachtet werden können. Diese Klemmvorsprünge 26 erstrecken sich entlang der Seiten der Klotzbrücke 12. E4 offenbart jedoch nicht unmittelbar und eindeutig Merkmal M4, dass sich diese Klemmvorsprünge als Federelemente auf dem Höhenniveau für die Aufnahme der Klotzbrücke befinden.

3.5 Der Einspruchsgrund mangelnder Neuheit nach Artikel 100 a) EPÜ steht daher der Aufrechterhaltung des Patents in erteilter Fassung nicht entgegen.

4. Zulassung in das Verfahren von Einwänden mangelnder erfinderischer Tätigkeit ausgehend von E4 als nächstliegender Stand der Technik

4.1 Die Beschwerdeführerin brachte vor, dass der Gegenstand von Anspruch 1 ausgehend von E4 als nächstliegender Stand der Technik in Kombination mit einer der Lehren von E1, E2 und E3 nicht erfinderisch sei.

Sowohl in der Einspruchsschrift vom 24. Juli 2019 (siehe Seite 9, zweiter Absatz) als auch in der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung sei vorgetragen worden, dass Anspruch 1 nicht erfinderisch gegenüber der Kombination von E4 mit E1 (nicht umgekehrt) sei. Die angefochtene Entscheidung und das Protokoll über die mündliche Verhandlung vor der Einspruchsabteilung, die einen Einwand mangelnder erfinderischer Tätigkeit ausgehend von E1 als nächstliegender Stand der Technik in Kombination mit der Lehre von E4 aufzeigten, spiegelten den Vortrag der Beschwerdeführerin im Einspruchsverfahren insofern fehlerhaft wider. Weder der angefochtenen Entscheidung noch dem Protokoll sei zu entnehmen, dass die mit der Einspruchsschrift erhobenen Einwände mangelnder erfinderischer Tätigkeit ausgehend von E4 als nächstliegender Stand der Technik nicht aufrechterhalten wurden.

4.2 Die Kammer teilt die Auffassung der Beschwerdegegnerin, dass die erfinderische Tätigkeit in der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung ausschließlich ausgehend von E1 als nächstliegender Stand der Technik in Kombination mit E4 in Frage gestellt und diskutiert wurde (siehe Entscheidungsgründe, Punkt 4; Protokoll, Punkte 32, 33, 35, 36, 39, 40). Dies bestätigte die Beschwerdegegnerin auch während der mündlichen Verhandlung vor der Kammer.

4.3 Aus Sicht der Kammer hat die Beschwerdeführerin nicht überzeugend dargelegt, dass die Einwände mangelnder erfinderischer Tätigkeit ausgehend von E4, die mit der Beschwerdebegründung erhoben wurde, aber der angefochtenen Entscheidung nicht zugrunde lagen, im Einspruchsverfahren, das zu der angefochtenen Entscheidung geführt hat, aufrechterhalten wurde.

Diese Einwände wurden zwar in der Einspruchsschrift geltend gemacht. Allerdings hat die Beschwerdeführerin in ihren weiteren inhaltlichen Schriftsätzen vom 3. August 2020, in Erwiderung auf die vorläufige Meinung der Einspruchsabteilung vom 14. Februar 2020, und vom 1. Juli 2021 im Einspruchsverfahren diese Einwände nicht weiterverfolgt. Ausweislich des Protokolls zur mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung (siehe Punkte 32, 33, 35, 36, 39 und 40), und wie von der Beschwerdegegnerin bestätigt, wurden diese Einwände während der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung auch nicht zur Entscheidung gestellt und somit nicht aufrechterhalten.

Das Vorbringen der Einwände mangelnder erfinderischer Tätigkeit ausgehend von E4 als nächstliegender Stand der Technik mit der Beschwerdebegründung ist somit als Änderung des Vorbringens der Einsprechenden im Sinne von Artikel 12 (4), erster Satz, VOBK zu betrachten.

Die Kammer sieht keinen Grund, diese Änderung des Beschwerdevorbringens in Ausübung ihres Ermessens gemäß Artikel 12 (4) VOBK in das Beschwerdeverfahren zuzulassen.

5. Schlussfolgerung

Die Einsprechende hat keine weiteren als die oben unter den Punkten 1 bis 4 angegebenen, aber letztlich nicht zulässigen oder durchgreifenden Einwände gegen die Patentfähigkeit des Gegenstands von Anspruch 1 des Patents in erteilter Fassung erhoben. Sie machte auch keine weiteren Einwände gegen das Patent in erteilter Fassung geltend.

Im Ergebnis zeigt keiner der seitens der Beschwerdeführerin in zulässiger Weise erhobenen Einwände überzeugend die Unrichtigkeit der angefochtenen Entscheidung zur Aufrechterhaltung des Patents in erteilter Fassung.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Quick Navigation