T 1695/21 () of 7.11.2023

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2023:T169521.20231107
Datum der Entscheidung: 07 November 2023
Aktenzeichen: T 1695/21
Anmeldenummer: 13731331.8
IPC-Klasse: B42D 15/00
G02B 5/18
G03H 1/02
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Dekorelement sowie Sicherheitsdokument mit einem Dekorelement
Name des Anmelders: OVD Kinegram AG
Name des Einsprechenden: Giesecke+Devrient Currency Technology GmbH
Kammer: 3.2.05
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 54
European Patent Convention Art 56
European Patent Convention Art 84
Rules of procedure of the Boards of Appeal 2020 Art 012(3)
Rules of procedure of the Boards of Appeal 2020 Art 012(5)
Rules of procedure of the Boards of Appeal 2020 Art 013(2)
Schlagwörter: Neuheit - Hauptantrag (ja)
Erfinderische Tätigkeit - Hauptantrag (ja)
Beschwerdebegründung - Einwand nach Artikel 84 EPÜ substantiiert (ja)
Erfordernisse des Artikels 84 EPÜ erfüllt - Hauptantrag (nein) - Hilfsantrag 1 (ja)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
T 0995/18
T 1968/18
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerde der Einsprechenden richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, in der festgestellt wurde, dass unter Berücksichtigung der von der Patentinhaberin im Einspruchsverfahren vorgenommenen Änderungen gemäß dem der Einspruchsabteilung vorliegenden Hilfsantrag 4 das europäische Patent Nr. 2 864 130 und die Erfindung, die es zum Gegenstand hat, den Erfordernissen des EPÜ genügen.

II. Die mündliche Verhandlung vor der Kammer fand am 7. November 2023 statt.

III. Schlussanträge

Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents.

Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte die Zurückweisung der Beschwerde (Hauptantrag). Hilfsweise beantragte sie die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents in geänderter Fassung auf der Grundlage des Hilfsantrags 1, eingereicht in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer, oder weiter hilfsweise auf der Grundlage der Ansprüche gemäß einem der Hilfsanträge 2 bis 7, eingereicht als Hilfsanträge 1 bis 6 mit der Beschwerdeerwiderung.

IV. Diese Entscheidung nimmt auf die folgenden Druckschriften Bezug:

E1: |H. Lochbihler: "True-colour images by subwavelength gratings", PhotonicInternational, 01/2010, Seiten 43 bis 45.|

E2: |H. Lochbihler: "Colored images generated by metallic sub-wavelength gratings", OpticsExpress, Vol. 17, Nr. 14, 2009, Seiten 12189 bis 12196.|

E3: |DE 10 2009 012 300 A1 |

E4: |DE 10 2009 056 933 A1 |

E5: |WO 2011/068002 A1 |

E5a:|EP 2 508 922 A1 |

E6: |EP 2 077 459 A1 |

E8:|Ladung zur mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung hinsichtlich des Einspruchs gegen das europäische Patent Nr. 3 422 056 vom 19. Oktober 2021.|

E9:|M. Höfer: "Zusammenfassung SdT zu EP2864130B1",5. Oktober 2021. |

V. Anspruchsfassungen

a) Hauptantrag

Anspruch 1 des der Einspruchsabteilung vorliegenden Hilfsantrags 4 (nunmehr Hauptantrag) lautet wie folgt (die von der Kammer verwendete Merkmalsgliederung ist in eckigen Klammern eingefügt):

"[1.0] Dekorelement (2), wobei das Dekorelement (2) eine Mikrostruktur (4) aufweist, welche im Auflicht und/oder im Durchlicht einen optischen Effekt generiert, wobei [1.1] die Mikrostruktur (4) in einem ersten Bereich (31, 32) eine Grundfläche (40) und mehrere Grundelemente (41) aufweist, die jeweils eine gegenüber der Grundfläche (40) erhöhte oder versenkte Elementfläche (411) und eine zwischen der Elementfläche (411) und der Grundfläche (40) angeordnete Flanke (410) aufweisen, wobei [1.1a] die Grundfläche (40) der Mikrostruktur eine durch Koordinatenachsen x und y aufgespannte Grundebene definiert, wobei die Elementflächen (411) der Grundelemente (41) jeweils im Wesentlichen parallel zu der Grundebene verlaufen und wobei [1.2] in zumindest einer oder mehreren ersten Zonen (333, 25 351) des ersten Bereichs (31, 32) die Elementflächen (411) der Grundelemente (41) und die Grundfläche (40) in einer senkrecht zu der Grundebene in Richtung einer Koordinatenachse z verlaufenden Richtung beabstandet sind mit einem ersten Abstand (61), der so gewählt ist, dass, insbesondere durch Interferenz des an der Grundfläche und den Elementflächen reflektierten Lichts, im Auflicht und/oder, insbesondere durch Interferenz des durch die Elementflächen und die Grundflächen transmittierten Lichts, im Durchlicht eine erste Farbe in den ein oder mehreren ersten Zonen (333, 351) generiert wird, wobei [1.3a] die Mikrostruktur so ausgestaltet ist, dass sie die erste Farbe in der ersten Beugungsordnung generiert, wobei [1.4] die mittlere Flächenbelegung der Grundebene mit den Grundelementen (41) im ersten Bereich zwischen 30 % und 70 %, bevorzugt zwischen 40 % und 60 %, und weiter bevorzugt in etwa 50 % beträgt, dadurch gekennzeichnet, dass [1.5] in dem ersten Bereich (31, 32) die Grundelemente (41) periodisch aufeinander abfolgen, [1.7a] wobei die Grundelemente (41) derart ausgeformt und im ersten Bereich (31, 32) angeordnet sind, dass durch die Grundelemente (41) das einfallende Licht derart durch Beugung aus der direkten Reflexion oder direkten Transmission bzw. der nullten Beugungsordnung abgelenkt wird, dass bei einer Betrachtung in der direkten Reflexion oder direkten Transmission bzw. in der nullten Beugungsordnung eine zur ersten Farbe komplementäre zweite Farbe generiert wird."

Anspruch 5 des Hauptantrags lautet wie folgt:

"Sicherheitsdokument (1) mit einem Dekorelement (2) nach einem der vorhergehenden Ansprüche."

Anspruch 6 des Hauptantrags lautet wie folgt:

"Verfahren zur Herstellung eines Dekorelements (2), wobei bei dem Verfahren in das Dekorelement (2) eine Mikrostruktur (4) eingebracht wird, welche im Auflicht oder im Durchlicht einen optischen Effekt generiert, und welche in einem ersten Bereich (31, 32) eine Grundfläche (40) und mehrere Grundelemente (41) aufweist, die jeweils eine gegenüber der Grundfläche (40) erhöhte oder versenkte Elementfläche (411) und eine zwischen der Elementfläche und der Grundfläche angeordnete Flanke (410) aufweisen, wobei die Grundfläche eine Grundebene definiert, und die Elementflächen (411) der Grundelemente (41) jeweils im Wesentlichen parallel zu der Grundebene verlaufen, und wobei in einer oder mehreren ersten Zonen des ersten Bereichs die Elementflächen (411) der Grundelemente (41) und die Grundfläche (40) in einer senkrecht zur Grundebene verlaufende Richtung beabstandet werden mit einem ersten Abstand (61), der so gewählt wird, dass, insbesondere durch Interferenz des an der Grundfläche (40) und den Elementflächen (411) reflektierten Lichts, im Auflicht und/oder, insbesondere durch Interferenz des durch die Elementflächen (411) und der Grundfläche (40) transmittierten Lichts, im Durchlicht eine erste Farbe in den ein oder mehreren ersten Zonen generiert wird, wobei die Mikrostruktur so ausgestaltet ist, dass sie die erste Farbe in der ersten Beugungsordnung generiert und wobei die mittlere Flächenbelegung der Grundebene mit den Grundelementen (41) im ersten Bereich zwischen 30 % und 70 %, bevorzugt zwischen 40 % und 60 %, und weiter bevorzugt in etwa 50 % beträgt und wobei in dem ersten Bereich (31, 32) die Grundelemente (41) periodisch aufeinander abfolgen, wobei die Grundelemente (41) derart ausgeformt und im ersten Bereich (31, 32) angeordnet sind, dass durch die Grundelemente (41) das einfallende Licht derart durch Beugung aus der direkten Reflexion oder direkten Transmission bzw. der nullten Beugungsordnung abgelenkt wird, dass bei einer Betrachtung in der direkten Reflexion oder direkten Transmission bzw. in der nullten Beugungsordnung eine zur ersten Farbe komplementäre zweite Farbe generiert wird."

b) Hilfsantrag 1

Die Ansprüche des Hilfsantrags 1 sind identisch zu denjenigen des Hauptantrags. Die Beschreibung des Hilfsantrags 1 unterscheidet sich von derjenigen des Hauptantrags durch die Streichung der Absätze [0040], [0055], [0089] und die Einfügung eines neuen Absatzes [0010a], welcher lautet:

"Die Generierung der ersten Farbe im Streulicht stellt eine nicht erfindungsgemäße Lösung dar".

VI. Die Beteiligten haben im Wesentlichen Folgendes vorgetragen:

a) Hauptantrag der Beschwerdegegnerin: Einwand nach Artikel 54 EPÜ

i) Beschwerdeführerin

Der Gegenstand der Ansprüche 1, 5 und 6 des Hauptantrags sei nicht neu gegenüber den Druckschriften E1, E2, E3, E4 und E5. Das Merkmal 1.7a sei implizit in der Druckschrift E5 offenbart. Die Merkmale 1.3a und 1.7a nutzten Beugung, um Farben zu generieren. Die Beugung von Licht unterliege der Energieerhaltung. Energie, die bei einer Wellenlänge in eine bestimmte Richtung gebeugt werde, stehe bei dieser Wellenlänge für andere Beugungsordnungen nicht mehr zur Verfügung. Strahlungsenergie, die der Wellenlänge der ersten Farbe entspreche und die in die erste Beugungsordnung gebeugt werde, könne daher in anderen Beugungsordnungen nicht mehr vorhanden sein. Die Reliefstruktur RS1 in der Druckschrift E5 generiere eine erste Farbe in der ersten Beugungsordnung. Damit sei die Strahlung für diese Farbe nicht mehr in der nullten Beugungsordnung vorhanden. Es ergebe sich zwangsläufig die Komplementärfarbe. Laut Absatz [0064] des Patents ergebe sich bei der im Patent vorgesehenen Struktur aufgrund der Energieerhaltung automatisch das Merkmal 1.7a. Dass weitere Maßnahmen hierfür erforderlich wären, gehe aus dem Patent nicht hervor. Da die Druckschrift E5 alle strukturellen Merkmale des Anspruchs 1 des Hauptantrags offenbare, ergebe sich somit implizit durch die Gesetze der Physik auch das Merkmal 1.7a. In einem Parallelverfahren habe sich die Einspruchsabteilung mit dem Merkmal 1.7a befasst, wie in Dokument E8 zu sehen sei. Die Druckschrift E9 schildere eine von der Beschwerdeführerin vorgenommene Realisierung eines Musters gemäß den Vorgaben der Druckschrift E5 (siehe insbesondere Absätze [0053] und [0055] der Druckschrift E5a). Sie weise experimentell beispielhaft nach, dass die Struktur gemäß der Druckschrift E5 in der nullten Beugungsordnung und der ersten Beugungsordnung zueinander komplementäre Farben generiere. In dem Dokument E9 betrage die Relieftiefe 0,12 mym und liege somit in dem in Absatz [0055] der Druckschrift E5 offenbarten Bereich. Die genauen Abmessungen mögen zwar die konkrete Farbe beeinflussen, aber nicht die beobachtete Komplementarität der Farben an sich. Die Frage, ob man erst durch eine mehrfache Auswahl aus Wertebereichen zu der in dem Dokument E9 untersuchten Struktur komme, stelle sich nicht. Die zu wählenden Parameter stellten jeweils separate Effekte ein. Für die beobachtete Farbe komme es nur auf die Relieftiefe an. Diese sei in dem Dokument E9 und der Druckschrift E5 identisch. Die Wahl des UV-Lacks beeinflusse den Brechungsindex und damit die effektive Höhe der Reliefstufen. Dies könne das konkret beobachtete Farbenpaar beeinflussen, aber nicht das Prinzip der Komplementarität an sich. Wenn der Brechungsindex des UV-Lacks relevant wäre, müsste er in der Druckschrift E5 und im Streitpatent genannt sein.

Aufgrund der gleichen Überlegungen sei das Merkmal 1.7a auch in den Druckschriften E1, E2, E3 und E4 offenbart. Auch der Titel der Druckschrift E1 offenbare das Merkmal 1.7a. Die gleiche Argumentation gelte auch für den Gegenstand der Ansprüche 5 und 6 des Hauptantrags.

ii) Beschwerdegegnerin

Der Gegenstand der Ansprüche 1, 5 und 6 sei neu gegenüber den Druckschriften E1, E2, E3, E4 und E5. Das Merkmal 1.7a folge nicht automatisch aus den übrigen Merkmalen des Anspruchs 1 des Hauptantrags. Es sei als funktionelles Merkmal bei der Neuheitsprüfung zu berücksichtigen. Es gebe wesentliche strukturelle Unterschiede zwischen dem beanspruchten Gegenstand und dem in der Druckschrift E5 Offenbarten. Das Merkmal 1.7a sei weder explizit noch implizit in der Druckschrift E5 offenbart. Um zu der in dem Dokument E9 untersuchten Struktur zu gelangen, bedürfe es einer mehrfachen Auswahl von Parameterwerten aus den in der Druckschrift E5 offenbarten recht breiten Wertebereichen. Die dabei zu wählenden Parameter spielten zusammen. Sie stellten nicht individuell separate Effekte ein. Das Merkmal 1.7a sei auch nicht in den Druckschriften E1, E2, E3 und E4 offenbart. Die gleiche Argumentation gelte für den Gegenstand der Ansprüche 5 und 6 des Hauptantrags.

b) Hauptantrag der Beschwerdegegnerin: Einwand nach Artikel 56 EPÜ

i) Beschwerdeführerin

Der Gegenstand der Ansprüche 1, 5 und 6 des Hauptantrags beruhe angesichts der Druckschrift E5 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit. Die objektive technische Aufgabe hinsichtlich des Merkmals 1.7a könne nicht in einer höheren Fälschungssicherheit gesehen werden. Der Effekt der Komplementärfarben müsse nicht zwangsläufig über den gesamten beanspruchten Bereich prägnant erscheinen. Er könne auch schwach sein. Dann wäre die Fälschungssicherheit nicht erhöht. Absatz [0026] des Patents knüpfe die Fälschungssicherheit an eine bestimmte Wahl der Reliefform. Diese sei in Anspruch 1 des Hauptantrags nicht spezifiziert. Die objektive technische Aufgabe sei es vielmehr, konkrete Werte für die Realisierung der in der Druckschrift E5 offenbarten Vorrichtung festzulegen. Dabei ergebe sich das Merkmal 1.7a implizit und automatisch. Dies gelte aus den gleichen Gründen, wenn man von einer der Druckschriften E1, E2, E3, E4 oder E6 als nächstliegendem Stand der Technik ausgehe. Aus analogen Gründen beruhe der Gegenstand der Ansprüche 5 und 6 des Hauptantrags angesichts der Druckschriften E1, E2, E3, E4, E5 und E6 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.

ii) Beschwerdegegnerin

Der Gegenstand der Ansprüche 1, 5 und 6 des Hauptantrags beruhe angesichts der Druckschriften E1 bis E6 auf einer erfinderischen Tätigkeit. Diese Druckschriften offenbarten nicht das Merkmal 1.7a. Die diesbezüglich gelöste objektive technische Aufgabe sei die Erhöhung der Fälschungssicherheit, wie in Absatz [0026] des Patents angegeben. Dies werde durch einen besonders einprägsamen Farbwechsel der beiden komplementären Farben erreicht. Keine der zitierten Druckschriften gebe einen Hinweis auf die erfindungsgemäße Lösung.

c) Hauptantrag der Beschwerdegegnerin: Einwand nach Artikel 84 EPÜ

i) Beschwerdeführerin

Die Beschreibung sei nicht hinreichend an die gegenüber den erteilten Ansprüchen geänderten Ansprüche des Hauptantrags angepasst worden. Unter anderem Absatz [0040], Zeilen 46, 49, 54, 55, 56 und 57, Absatz [0055], Satz 1, Zeilen 27 und 31 sowie Absatz [0089], Zeile 48 bezögen sich auf Ausgestaltungen, bei denen die erste Farbe im Streulicht generiert werde. Diese Alternative der erteilten unabhängigen Ansprüche sei von den Ansprüchen 1 und 6 des Hauptantrags nicht mehr umfasst. Es liege eine Inkonsistenz von Ansprüchen und Beschreibung vor. Dieser Einwand sei in der Beschwerdebegründung auch ausreichend substantiiert worden. Dort sei explizit auf die Punkte 9.5.6 und 9.5.7 der Niederschrift über die mündliche Verhandlung vor der Einspruchsabteilung verwiesen worden, in denen die betreffenden Absätze des Patents genannt seien.

ii) Beschwerdegegnerin

Die Ausführungen der Beschwerdeführerin zu dem Einwand nach Artikel 84 EPÜ in der Beschwerdebegründung beschränkten sich auf allgemeine Ausführungen. Es seien in der Beschwerdebegründung keine konkreten Passagen der Beschreibung angegeben worden, durch die dieser Einwand begründet sein könnte. Dieser Einwand sollte daher aufgrund fehlender Substantiierung nicht in das Beschwerdeverfahren zugelassen werden. Er sei auch unbegründet. In der Beschreibung werde explizit auf die Ansprüche verwiesen. Die von der Beschwerdeführerin zitierten Passagen der Beschreibung könnten nicht so interpretiert werden, dass der Schutzbereich ein anderer sei. Die Passagen seien somit nicht geeignet, Inkonsistenzen hervorzurufen.

d) Hilfsantrag 1 der Beschwerdegegnerin: Zulassung ins Verfahren und Einwand nach Artikel 84 EPÜ

i) Beschwerdeführerin

Der in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer eingereichte Hilfsantrag 1 sei verspätet vorgelegt worden. Der Einwand nach Artikel 84 EPÜ in Bezug auf die nicht angepasste Beschreibung sei bereits in der Beschwerdebegründung erhoben worden. Der Hilfsantrag 1 sei nach Artikel 13 (2) VOBK (siehe ABl. EPA 2024, A15) nicht in das Verfahren zuzulassen. Die Situation sei ähnlich wie bei der Entscheidung T 995/18. Auch dort sei ein Einwand bereits am Anfang des Verfahrens erhoben worden und habe sich die Meinung der Kammer in der mündlichen Verhandlung geändert. Auch seien Absatz [0014], Zeile 22; Absatz [0051], letzte Zeile auf Seite 6; Absatz [0056], Zeile 40; Absatz [0060], Zeile 26; Absatz [0064], Zeile 8; Absatz [0066], Zeile 27; Absatz [0075], Zeile 42; Absatz [0077], Zeile 57 auf Seite 10 und Absatz [0124], Zeilen 54 und 56 der Beschreibung gemäß Hilfsantrag 1 der Beschwerdegegnerin inkonsistent mit den Ansprüchen, so dass die Erfordernisse des Artikels 84 EPÜ nicht erfüllt seien.

ii) Beschwerdegegnerin

Die Einreichung des Hilfsantrags 1 sei nach Artikel 13 (2) VOBK zuzulassen. Die Ausführungen der Beschwerdeführerin zu Artikel 84 EPÜ seien in der Beschwerdebegründung sehr allgemein gewesen und hätten eine frühere Erwiderung der Beschwerdegegnerin nicht möglich gemacht. Es müsse daher der Beschwerdegegnerin Gelegenheit gegeben werden zu reagieren. Im Beschwerde­verfahren sei es nicht erforderlich, eine angepasste Beschreibung vorzulegen, bevor eine Entscheidung über die Ansprüche getroffen werde.

Entscheidungsgründe

1. Hauptantrag der Beschwerdegegnerin: Einwand der mangelnden Neuheit (Artikel 54 EPÜ)

1.1 Neuheit gegenüber der Druckschrift E5

Die Beschwerdeführerin trägt vor, dass die Druckschrift E5 das Merkmal 1.7a implizit offenbare. Die Beschwerdegegnerin tritt dieser Ansicht entgegen.

Die Druckschrift E5a in englischer Sprache ist die Veröffentlichung einer europäischen Patentanmeldung, die auf die internationale Patentanmeldung zurückgeht, auf welcher die Druckschrift E5 (in japanischer Sprache) beruht. Die Kammer bezieht sich im Folgenden auf die englischsprachige Veröffentlichung E5a.

Die Beschwerdeführerin hat nach Ansicht der Kammer zunächst nicht überzeugend dargelegt, dass sich das Merkmal 1.7a zwangsläufig als Folge der übrigen strukturellen Merkmale des Anspruchs 1 des Hauptantrags ergeben würde. Dies folgt auch nicht aus Absatz [0064] des Patents. Selbst unter der Annahme, dass weder der Anspruch 1 noch das Patent als Ganzes im Einzelnen angeben würden, wie der in Merkmal 1.7a definierte Effekt erreicht wird und welche konkreten Strukturabmessungen hierfür zu wählen sind, würde dies nicht bedeuten, dass jedes Dekorelement, das die Merkmale 1.0 bis 1.5 des Anspruchs 1 des Hauptantrags aufweist, zwangsläufig das Merkmal 1.7a aufweisen würde.

Bei dem Dokument E8, einer vorläufigen Meinung der Einspruchsabteilung in dem Einspruchsverfahren hinsichtlich des Patents EP 3 422 056 B1 basierend auf einer Teilanmeldung in Bezug auf das vorliegende Patent, handelt es sich nicht um Stand der Technik im Hinblick auf das Streitpatent. Dieses Dokument ist auch nicht dazu geeignet, das allgemeine Fachwissen zum relevanten Prioritätszeitpunkt nachzuweisen. Die Kammer ist auch nicht der Auffassung, dass sie an die im Dokument E8 erläuterte vorläufige Meinung der Einspruchsabteilung gebunden ist.

Zwar ist es sachlich zutreffend, dass ein Lichtanteil, der in ein erstes Beugungsmaximum abgelenkt wird, für die direkte Reflektion (also das Beugungsmaximum nullter Ordnung) nicht zur Verfügung steht. Hieraus folgt aber nicht zwangsläufig, dass das direkt reflektierte Licht eine zu der Farbe eines im ersten Beugungsmaximum austretenden Lichts komplementäre Farbe aufweist. Die diesbezüglichen Überlegungen der Beschwerdeführerin beruhen implizit auf zwei Annahmen, die weder im Allgemeinen noch zwangsläufig in der Druckschrift E5 im Besonderen erfüllt sind.

Zunächst setzen die Überlegungen der Beschwerdeführerin implizit voraus, dass durch die Beugung im Wesentlichen nur selektiv Licht einer bestimmten Wellenlänge aus dem Spektrum des direkt reflektierten Lichts entfernt wird.

Im Gegensatz zu dieser Annahme können Beugungsmaxima im Prinzip jedoch für Licht aller Farben auftreten. Der Betrachtungswinkel, unter dem das gebeugte Licht einer bestimmten Farbe sichtbar ist, hängt dabei von der Wellenlänge dieses Lichts ab. Dies entspricht auch den Ausführungen in Absatz [0038] der Druckschrift E5a, siehe insbesondere die darin angegebene Formel für den Winkel beta, unter dem ein Beugungsmaximum m-ter Ordnung für Licht der Wellenlänge lambda auftritt. In den Figuren 3 und 4 der Druckschrift E5a sind die Beugungswinkel für verschiedene Wellenlängen (und somit verschiedenen Farben) mit betar, betag und betab gezeigt. Somit betrifft die Beugung im Allgemeinen nicht selektiv nur Licht einer bestimmten Farbe. Ähnliches ist auf Seite 11 des Dokuments E9 in der Abbildung rechts unten zu sehen, in der die Beugungsmaxima für die Farben rot, gelb und grün aufeinander folgen (weitere Anmerkungen zu dem Dokument E9 siehe unten).

Darüber hinaus beruhen die Überlegungen der Beschwerdeführerin implizit darauf, dass Lichtanteile einer bestimmten Farbe, für die ein Beugungsmaximum erster Ordnung auftritt, im Wesentlichen vollständig im Spektrum des direkt reflektierten Lichts fehlen.

Auch dies trifft nicht zwangsläufig zu. Die Beschwerdeführerin hat auch nicht überzeugend dargelegt, dass dies in der Druckschrift E5a der Fall wäre. Vielmehr wird das Licht einer bestimmten Wellenlänge im Allgemeinen nicht vollständig zu einem Beugungsmaximum erster (oder höherer) Ordnung hin gebeugt. Vielmehr unterliegt die Beugung einer bestimmten Beugungseffizienz, wie dies auch explizit in den Absätzen [0044] bis [0047] der Druckschrift E5a beschrieben ist. Es ist dabei auch mit dem Prinzip der Energieerhaltung verträglich, dass Licht einer Farbe, für das ein Beugungsmaximum der ersten Ordnung auftritt, nicht vollständig zu diesem ersten Beugungsmaximum hin gebeugt wird, sondern beispielsweise zu einem Teil direkt reflektiert wird. Wenn aber beispielsweise größere Lichtanteile dieser Farbe auch im Spektrum des direkt reflektierten Lichts vorhanden sind, ist die Farbe des direkt reflektierten Lichts nicht zwangsläufig komplementär zu der Farbe des gebeugten Lichts.

Nur ergänzend verweist die Kammer auf die Alltagserfahrung, dass eine mit weißem Licht angestrahlte CD (mit einem Spurabstand von üblicherweise ca. 1,6 mym) zwar farbige Beugungsmuster erzeugt, aber in der direkten Reflektion im Wesentlichen weiß erscheint.

Auch die Berücksichtigung des Dokuments E9 führt zu keinem anderen Ergebnis. Der Fachmann versteht den Anspruch 1 derart, dass die nullte und die erste Beugungsordnung bei dem gleichen einfallenden Licht und somit insbesondere bei dem gleichen Lichteinfallswinkel auftreten. In dem Dokument E9 ist der Einfallswinkel des Lichts nicht explizit angegeben. Jedoch scheint es in den auf Seite 10 der Druckschrift E9 wiedergegebenen Photographien so, dass der Einfallswinkel bei der Beobachtung des "Spiegelreflexes" und der ersten Beugungsordnung unterschiedlich ist. Dass unter einem ersten Einfallswinkel ein erstes Beugungsmaximum für Licht einer ersten Farbe bei einem ersten Austrittswinkel und bei einem anderen, zweiten Einfallswinkel ein Licht einer zur ersten Farbe komplementären zweiten Farbe bei einem zweiten Austrittswinkel beobachtbar ist, entspricht für sich genommen jedoch nicht den Bedingungen, wie sie in Anspruch 1 im Hinblick auf die beobachteten Farben der nullten bzw. ersten Beugungsordnung definiert sind.

Darüber hinaus ist die in dem Dokument E9 beschriebene Struktur nicht unmittelbar und eindeutig in der Druckschrift E5a offenbart.

Ausgangspunkt für die in dem Dokument E9 untersuchte Struktur ist offenbar die in Figur 2 der Druckschrift E5a dargestellte Struktur, die nachfolgend wiedergegeben ist.

FORMEL/TABELLE/GRAPHIK

Die Beschwerdeführerin führt aus, dass die Prägelackschicht in dem Dokument E9 aus einem foto-härtbaren UV-Lack gebildet sei, wie dies in den Absätzen [0023] bis [0025] der Druckschrift E5a offenbart sei.

Allerdings gibt diese Stelle der Druckschrift E5a keinen Brechungsindex für die Schicht 112 an. Auch in dem Dokument E9 ist kein Brechungsindex genannt. Es ist daher nicht ersichtlich, dass der im Dokument E9 verwendete UV-Lack einen Brechungsindex aufweist, der in der Druckschrift E5a offenbart ist. Wie in Absatz [0097] der Druckschrift E5a beschrieben ist, beeinflusst der Brechungsindex der Schichten 111 und 112 jedoch maßgeblich die Phasendifferenz der interferierenden Lichtstrahlen und somit das sich ergebende Beugungsmuster. Für ihre Behauptung, die Wahl des UV-Lacks habe keine Relevanz für das Auftreten zueinander komplementärer Farben, wie in Merkmal 1.7a definiert, hat die Beschwerdeführerin keinen Nachweis erbracht.

Die in dem Dokument E9 untersuchten Strukturen weisen eine gemessene Tiefe von 120 nm auf (nominell 150 nm, siehe Seite 7 des Dokuments E9). Die Beschwerdeführerin verweist diesbezüglich auf Absatz [0055] der Druckschrift E5a und argumentiert, dass die im Dokument E9 gemessene Tiefe in dem in der Druckschrift E5a angegebenen Bereich sei. Dort sind relative Höhen der Reflektionsflächen von 0,10 mym bis 0,5 mym, typischerweise 0,15 mym bis 0,4 mym angegeben. Ein Wert von 120 nm ist in diesem Zusammenhang nicht explizit genannt.

Die Breite der Strukturelemente ist auf Seite 5 des Dokuments E9 mit 0,5 mym angegeben. Absatz [0053] der Druckschrift E5a offenbart demgegenüber eine Länge und Breite der Reflexionsfläche 22 im Bereich von beispielsweise 2 bis 50 µm, 5 bis 50 µm oder 0,3 bis 10 µm. Ein Wert von 0,5 µm ist in diesem Zusammenhang in der Druckschrift E5a nicht explizit genannt.

Die (Mitte-zu-Mitte-)Abstände der Strukturen betragen in dem Dokument E9 ferner 1,5 mym. In Absatz [0053] der Druckschrift E5a ist angegeben, dass die Reflektionsflächen 22 in durchschnittlichen Intervallen im Bereich von beispielsweise 2 bis 50 mym, 5 bis 50 mym oder 0,3 mym bis 10 mym angeordnet sind. Ein Wert von 1,5 µm ist in diesem Zusammenhang in der Druckschrift E5a nicht explizit genannt.

Eine Struktur mit einer Strukturelementbreite von 0,5 µm, einem (Mitte-zu-Mitte-)Abstand von 1,5 µm und einer Strukturtiefe von 120 nm, wie sie der in dem Dokument E9 beschriebenen Struktur zugrunde liegt, ist daher nicht unmittelbar und eindeutig in der Druckschrift E5a offenbart.

Die Beschwerdeführerin hat auch nicht überzeugend aufgezeigt, dass es für den in dem Merkmal 1.7a definierten Effekt nur auf die Relieftiefe ankäme. Aber selbst wenn man annimmt, dass die in der ersten Beugungsordnung beobachtete Farbe lediglich von der Relieftiefe abhängt, hat die Beschwerdeführerin nicht nachgewiesen, dass dies auch für die in der nullten Beugungsordnung beobachtete Farbe gelten würde. Auch wenn dies der Fall sein sollte, hat sie nicht überzeugend dargelegt, dass ein bei einer in der Druckschrift E5a nicht explizit genannten Relieftiefe von 120 nm auftretender Effekt auch bei den in der Druckschrift E5a offenbarten Strukturen auftritt. Der Vortrag der Beschwerdeführerin erlaubt es nicht auszuschließen, dass eine Struktur, die sich in Abstand, Breite oder Tiefe von einer in der Druckschrift E5a offenbarten Struktur unterscheidet, deutlich andere optische Eigenschaften aufweist. Da die in dem Dokument E9 untersuchte Struktur nicht in der Druckschrift E5a offenbart ist, ergibt sich nicht zwangsläufig, dass ein in dem Dokument E9 beobachteter Effekt auch bei den in der Druckschrift E5a offenbarten Strukturen auftritt. Dies gilt nicht nur für die konkret beobachteten Farben, sondern auch für die Komplementarität der in der nullten bzw. ersten Beugungsordnung beobachteten Farben.

Zusammenfassend hat die Beschwerdeführerin nicht nachgewiesen, dass bei den in der Druckschrift E5a offenbarten Strukturen der in Merkmal 1.7a definierte Effekt - und sei er auch nur wenig prägnant - auftreten würde. Der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hauptantrags ist aus diesem Grund neu gegenüber der Druckschrift E5.

1.2 Neuheit gegenüber den Druckschriften E1 bis E4

Die Beschwerdeführerin ist der Ansicht, der Gegenstand des Anspruchs 1 sei jeweils nicht neu gegenüber den Druckschriften E1, E2, E3 und E4. Bezüglich des Merkmals 1.7a verweist sie auf ihre oben dargelegten Überlegungen hinsichtlich des Grundsatzes der Energieerhaltung.

Wie oben erläutert, überzeugt diese Auffassung die Kammer nicht. Die Beschwerdeführerin hat nicht nachgewiesen, dass die Druckschriften E1, E2, E3 und E4 das Merkmal 1.7a offenbaren. Auch der Titel der Druckschrift E1 offenbart das Merkmal 1.7a nicht. Der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hauptantrags ist daher neu gegenüber diesen Druckschriften.

1.3 Zusammenfassung zur Neuheit

Das Merkmal 1.7a ist weder explizit noch implizit in den Druckschriften E1, E2, E3, E4 und E5 offenbart. Der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hauptantrags ist daher neu (Artikel 54 EPÜ). Dies gilt aus mutatis mutandis den gleichen Gründen auch für den unabhängigen Verfahrensanspruch 6 des Hauptantrags. Der von der Beschwerdeführerin angegriffene abhängige Anspruch 5 des Hauptantrags umfasst durch seinen Rückbezug auf Anspruch 1 sämtliche Merkmale des Anspruchs 1. Sein Gegenstand ist daher aus den gleichen Gründen neu.

2. Hauptantrag der Beschwerdegegnerin: Einwand der mangelnden erfinderischen Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ)

2.1 Angesichts der Druckschrift E5

Der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hauptantrags unterscheidet sich von der Druckschrift E5a zumindest durch das Merkmal 1.7a (siehe oben).

Die Kammer teilt die Auffassung der Beschwerdegegnerin, dass der Wechsel zwischen der ersten Farbe und der dazu komplementären zweiten Farbe (siehe Merkmal 1.7a) eine einprägsame Wirkung erzielt. Die diesbezüglich gelöste objektive technische Aufgabe ist in der Erhöhung der Fälschungssicherheit zu sehen. Diese objektive technische Aufgabe wird auch dann durch den Gegenstand des Anspruchs 1 des Hauptantrags gelöst, wenn das erreichte Maß an Fälschungssicherheit von der Prägnanz des in dem Merkmal 1.7a definierten Effektes abhängen und sich somit von Ausführungsform zu Ausführungsform unterscheiden mag. Dass die Fälschungssicherheit durch weitere Maßnahmen gesteigert werden kann, wie sie beispielsweise in Absatz [0026] des Patents genannt sind, bedeutet nicht, dass die oben genannte Formulierung der objektiven technischen Aufgabe unzutreffend wäre.

Die Beschwerdeführerin hat weder überzeugend nachgewiesen, dass die von der Beschwerdegegnerin vorgeschlagene Aufgabenstellung keine Stützung im Patent findet, noch, dass der Fachmann ausgehend von der Druckschrift E5a bei der Lösung dieser objektiven technischen Aufgabe in naheliegender Weise zum Gegenstand des Anspruchs 1 des Hauptantrags gelangt wäre.

Aber selbst wenn man der Beschwerdeführerin folgte und die objektive technische Aufgabe darin sähe, konkrete Werte für die Realisierung der in der Druckschrift E5 offenbarten Vorrichtung festzulegen, würde der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hauptantrags auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhen. Die Beschwerdeführerin hat nicht überzeugend dargelegt, dass der Fachmann bei der Realisierung der in der Druckschrift E5 offenbarten Vorrichtung implizit und zwangsläufig zu einer Ausgestaltung gelangt wäre, die unter den Anspruch 1 des Hauptantrags fällt, wie von ihr behauptet.

2.2 Angesichts der Druckschrift E1, E2, E3, E4 oder E6

Die Beschwerdeführerin verweist bezüglich der Druckschriften E1, E2, E3, E4 und E6 als nächstliegendem Stand der Technik auf ihr Vorbringen zu der Druckschrift E5. Dieser Vortrag überzeugt die Kammer aus den oben angegebenen Gründen nicht. Ausgehend von den Druckschriften E1, E2, E3, E4 und E6 beruht der Gegenstand des Anspruchs des Hauptantrags daher zumindest aus den gleichen Gründen auf einer erfinderischen Tätigkeit wie in Bezug auf die Druckschrift E5 ausgeführt.

2.3 Zusammenfassung zur erfinderischen Tätigkeit

Der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hauptantrags beruht somit auf einer erfinderischen Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ). Dies gilt aus den gleichen Gründen auch für den Anspruch 5 des Hauptantrags, der alle Merkmale des Anspruchs 1 enthält. Aus mutatis mutandis den gleichen Gründen wie Anspruch 1 beruht auch der Gegenstand des Verfahrensanspruchs 6 des Hauptantrags auf einer erfinderischen Tätigkeit.

3. Hauptantrag der Beschwerdegegnerin: Einwand nach Artikel 84 EPÜ

3.1 Die Beschwerdegegnerin beantragt, den Einwand nach Artikel 84 EPÜ nicht in das Verfahren zuzulassen, da er nicht substantiiert sei (Artikel 12 (3) und (5) VOBK) Es seien in der Beschwerdebegründung keine konkreten Passagen der Beschreibung angegeben worden, durch die dieser Einwand begründet sein könnte.

Gemäß Artikel 12 (3) VOBK müssen die Beschwerdebegründung und die Erwiderung das vollständige Beschwerdevorbringen eines Beteiligten enthalten. Dementsprechend müssen sie deutlich und knapp angeben, aus welchen Gründen beantragt wird, die angefochtene Entscheidung aufzuheben, abzuändern oder zu bestätigen; sie sollen ausdrücklich alle geltend gemachten Anträge, Tatsachen, Einwände, Argumente und Beweismittel im Einzelnen anführen.

Auf Seite 8, letzter Absatz der Beschwerdebegründung verweist die Beschwerdeführerin auf die Punkte 9.5.6 und 9.5.7 der Niederschrift über die mündliche Verhandlung vor der Einspruchsabteilung. Dort sind die Absätze der Beschreibung konkret angegeben, auf welche sich die Beschwerdeführerin im Einspruchsverfahren hinsichtlich des Einwands nach Artikel 84 EPÜ bezogen hat. Diese sind in identischer Weise in der angefochtenen Entscheidung wiedergegeben (siehe Punkt 7.4. der Entscheidungsgründe). Aufgrund dieses Verweises und der Erläuterung, worin die vermeintliche Inkonsistenz der Beschreibung besteht (siehe Seite 9, erster Absatz der Beschwerdebegründung), ist der Beschwerdebegründung daher zu entnehmen, welche Passagen der Beschreibung die Beschwerdeführerin als problematisch im Hinblick auf Artikel 84 EPÜ ansieht. Damit ist der Gegenstand des Einwands zumindest im Wesentlichen erkennbar.

Die Ausführungen der Beschwerdegegnerin lassen daher nicht erkennen, dass ein Verstoß gegen Artikel 12 (3) VOBK vorliegen würde. Die Kammer sieht den von der Beschwerdeführerin erhobenen Einwand nach Artikel 84 EPÜ als ausreichend substantiiert an. Der Einwand ist daher im Beschwerdeverfahren zu berücksichtigen.

3.2 Absatz [0040] der Beschreibung gemäß Hauptantrag offenbart, dass das von der Mikrostruktur generierte Streulicht eine Farbe zeigt, die zu der in der nullten Beugungsordnung generierten Farbe komplementär ist (siehe insbesondere Seite 5, Zeilen 49 und 50 der Beschreibung). Absatz [0055] versteht der Fachmann ferner so, dass gemäß einem bevorzugten Ausführungsbeispiel der erfindungsgemäße Farbeffekt in dem ersten Bereich durch Streuung an asymmetrischen Grundelementen erzielt wird. Absatz [0089] entnimmt der Fachmann, dass eine vorteilhafte Ausgestaltung der Erfindung durch eine Erweiterung des Streuwinkelbereichs erreicht werden kann. Die Beschreibung erweckt somit den Eindruck, dass Ausgestaltungen, bei denen die erste Farbe im Streulicht generiert wird, erfindungsgemäß seien. Die Absätze [0009] und [0010] der Beschreibung gemäß Hauptantrag versteht der Fachmann so, dass die in Absatz [0008] genannte Aufgabe durch die Gegenstände der Ansprüche 1 und 6 gelöst wird. Es geht hieraus aber nicht deutlich hervor, dass Ausgestaltungen, bei denen die erste Farbe im Streulicht generiert wird, nicht erfindungsgemäß sind. Dies bewirkt eine Inkonsistenz mit der in den Ansprüchen 1 und 6 des Hauptantrags definierten Erfindung (siehe insbesondere Merkmal 1.7a) und verstößt daher gegen Artikel 84 EPÜ.

4. Hilfsantrag 1 der Beschwerdegegnerin

4.1 Zulassung ins Verfahren

Die Beschwerdeführerin beantragt, den in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer eingereichten Hilfsantrag 1 der Beschwerdegegnerin nach Artikel 13 (2) VOBK nicht in das Verfahren zuzulassen.

Der Hilfsantrag 1 unterscheidet sich vom Hauptantrag nur durch die Streichung der Absätze [0040], [0055] und [0089] der Beschreibung und die Einführung des Absatzes [0010a].

Die Kammer stimmt zwar mit der Beschwerdeführerin überein, dass der Einwand nach Artikel 84 EPÜ in der Beschwerdebegründung erhoben wurde. Die wesentlichen Argumente sowie eine Präzisierung des Einwands wurden von der Beschwerdeführerin jedoch erst in der mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer vorgebracht, so dass die Einreichung der angepassten Beschreibung mit dem Hilfsantrag 1 als angemessene Reaktion anzusehen ist.

Außerdem ist eine angepasste Beschreibung im Beschwerdeverfahren üblicherweise erst einzureichen, nachdem die Kammer zur Auffassung gelangt ist, dass eine gewährbare Fassung der Ansprüche vorliegt (siehe beispielsweise auch Entscheidung T 1968/18, Punkt 7 der Entscheidungsgründe).

Schließlich hat die Kammer unter Heranziehung der Kriterien nach Artikel 13 (1) VOBK auch berücksichtigt, dass die Änderung gemäß Hilfsantrag 1 prima facie gewährbar ist und keinen Anlass zu neuen Einwänden gibt.

Die von der Beschwerdeführerin zitierte Entscheidung T 995/18 ist nicht einschlägig, da sie sich nicht mit der Zulassung einer an gewährbare Ansprüche angepassten Beschreibung ins Verfahren befasst.

Die Kammer übte daher ihr Ermessen nach Artikel 13 (2) VOBK aus und ließ den Hilfsantrag 1 ins Verfahren zu.

4.2 Einwand nach Artikel 84 EPÜ

Aus den folgenden Gründen sieht die Kammer keine Inkonsistenz zwischen der in den Ansprüchen 1 und 6 definierten Erfindung und den von der Beschwerdeführerin zitierten Passagen der Beschreibung.

Absatz [0014], Zeile 22 nennt streuende Mikrostrukturen lediglich allgemein als Beispiele für diffraktive Mikrostrukturen. Die Passagen in Absatz [0051], letzte Zeile auf Seite 6; Absatz [0056], Zeile 40; Absatz [0060], Zeile 26; Absatz [0064], Zeile 8; Absatz [0066], Zeile 27; Absatz [0075], Zeile 42; Absatz [0077], Zeile 57 auf Seite 10 und Absatz [0124], Zeilen 54 und 56 beziehen sich zwar auf Ausgestaltungen, bei denen Streuung auftritt. Durch den vorangestellten Absatz [0010a] ist jedoch explizit kenntlich gemacht, dass die Generierung der ersten Farbe im Streulicht eine nicht erfindungsgemäße Lösung darstellt. Der Fachmann liest die von der Beschwerdeführerin angegebenen Passagen im Lichte dieser expliziten Definition. Es liegt daher keine Inkonsistenz zwischen der Definition der Erfindung in den Ansprüchen 1 und 6 und der Beschreibung vor.

Der Hilfsantrag 1 erfüllt die Erfordernisse des Artikels 84 EPÜ.

5. Schlussfolgerungen

Da der Hauptantrag der Beschwerdegegnerin nicht die Erfordernisse des Artikels 84 EPÜ erfüllt, war die angefochtene Entscheidung aufzuheben. Unter Berücksichtigung der gemäß Hilfsantrag 1 der Beschwerdegegnerin vorgenommenen Änderungen genügen das europäische Patent und die Erfindung, die es zum Gegenstand hat, den Erfordernissen des EPÜ. Das Patent war daher in geänderter Fassung auf der Grundlage des Hilfsantrags 1 der Beschwerdegegnerin aufrechtzuerhalten.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Angelegenheit wird an die Einspruchsabteilung mit der Anordnung zurückverwiesen, das Patent in geändertem Umfang mit folgender Fassung aufrechtzuerhalten:

Ansprüche:

Nr. 1 bis 6, eingereicht als Hilfsantrag 4 in der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung am 27. April 2021;

Beschreibung:

Absätze 1-9, 11, 12, 14-18, 20, 21, 23-25, 28-39, 41-54, 56-88, 90-99, 101-202 der Patentschrift;

Absätze 10, 100, eingereicht in der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung am 27. April 2021,

Absatz 10a, eingereicht in der mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer am 7. November 2023;

Zeichnungen:

Figuren 1a bis 17 der Patentschrift.

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