European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:2024:T157021.20240604 | ||||||||
---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|
Datum der Entscheidung: | 04 Juni 2024 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 1570/21 | ||||||||
Anmeldenummer: | 14193267.3 | ||||||||
IPC-Klasse: | H02H 3/10 H01H 33/70 H01H 33/02 |
||||||||
Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | D | ||||||||
Download und weitere Informationen: |
|
||||||||
Bezeichnung der Anmeldung: | Elektrische Schutzanordnung für eine Elektroinstallation sowie dazugehöriges Verfahren | ||||||||
Name des Anmelders: | Siemens Aktiengesellschaft | ||||||||
Name des Einsprechenden: | ABB Schweiz AG | ||||||||
Kammer: | 3.5.02 | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: |
|
||||||||
Schlagwörter: | Einspruch zulässig - nein Einspruch ausreichend substantiiert - nein |
||||||||
Orientierungssatz: |
- |
||||||||
Angeführte Entscheidungen: |
|
||||||||
Anführungen in anderen Entscheidungen: |
|
Sachverhalt und Anträge
I. Die Beschwerde der Einsprechenden (Beschwerdeführerin) richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, mit welcher der Einspruch gegen das europäische Patent Nr. 2 899 823 als unzulässig verworfen wurde.
II. Die Einspruchsabteilung entschied, dass der Einspruch innerhalb der Einspruchsfrist nicht ausreichend substantiiert worden sei, da die Einspruchsschrift keine Ausführungen zur Frage der öffentlichen Zugänglichkeit der Dokumente D1 (eVD4 Installations- und Betriebsanleitung) und D2 (Handbuch zum Feldleit- und Schutzgerät REF542 (SCU)) enthalten habe.
III. Die Beschwerdeführerin ist der Ansicht, dass ihr Einspruch zulässig sei, weil er die Erfordernisse der Regel 76 (2) c) EPÜ erfülle. Da die Dokumente D1 und D2 als Stand der Technik aufgelistet worden seien, genüge die Zitierung des Copyrightvermerks ("© Copyright 2011 ABB, All rights reserved") bei der Benennung von D1 und der Zusatz "gültig ab V2C 02, Stand Juli 1999" bei der Benennung von D2 ohne weitere Erläuterungen, um die öffentliche Zugänglichkeit dieser beiden Dokumente in der Einspruchsschrift zu substantiieren. Der Copyrightvermerk sei dem Druckdatum gleichzusetzen. Er repräsentiere das Jahr, in dem das Dokument erstellt worden sei. Es handele sich zudem um Dokumente, die ihrer Natur nach keine firmeninternen Dokumente darstellen.
Die Beschwerdeführerin ist ferner der Ansicht, dass Darlegungen zur öffentlichen Zugänglichkeit der Dokumente D1 und D2 die sachliche Begründetheit des Einspruchs und nicht dessen Zulässigkeit betreffen. Beweisfragen seien erst im Rahmen der Begründetheit zu erörtern und entsprechende Beweismittel könnten auch nach Ablauf der Einspruchsfrist nachgereicht werden.
IV. Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) hält die bloße Auflistung der Dokumente als Stand der Technik mit den angegebenen Zusätzen für unzureichend, denn weder ein Copyrightvermerk, noch ein Versionsdatum ließen für sich genommen den Rückschluss zu, dass die Dokumente an den betreffenden Daten der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurden. Es müssten aber schon mit der Einspruchsschrift alle für die erhobenen Einspruchsgründe relevanten Tatsachen mitgeteilt werden, damit ein Patentinhaber prüfen könne, ob und wie eine Verteidigung gegen den Einspruch erfolgversprechend sei.
V. In einer Mitteilung gemäß Artikel 15 (1) VOBK hat die Kammer darauf hingewiesen, dass der Einspruch nach vorläufiger Würdigung unzulässig sei, weil er die Erfordernisse der Regel 76 (2) c) EPÜ nicht erfülle.
VI. In der mündlichen Verhandlung vor der Kammer stellten die Beteiligten abschließend folgende Anträge:
Die Beschwerdeführerin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Zurückverweisung der Angelegenheit an die Einspruchsabteilung zur weiteren Entscheidung, hilfsweise die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des europäischen Patents.
Die Patentinhaberin beantragte, die Zurückweisung der Beschwerde und hilfsweise, jedoch nur für den Fall, dass der Einspruch als zulässig erachtet werden sollte,
- die Zurückweisung des Einspruchs,
- weiter hilfsweise die Zurückverweisung der Angelegenheit an die Einspruchsabteilung zur weiteren Entscheidung,
- weiter hilfsweise die Aufrechterhaltung des Patents in beschränkter Fassung gemäß einem der mit der Beschwerdeerwiderung eingereichten Hilfsanträge 1 bis 5;
- Kostenverteilung im Hinblick auf die durch verspätetes Vorbringen anfallenden Kosten.
Entscheidungsgründe
1. Unzulässigkeit des Einspruchs
Die Entscheidung der Einspruchsabteilung, den Einspruch gemäß Regel 77 EPÜ als unzulässig zu verwerfen, ist zu Recht erfolgt.
Der Einspruch der Beschwerdeführerin war unzulässig, da er, wie bereits in der Mitteilung nach Artikel 15 (1) VOBK ausgeführt, nicht den Erfordernissen der Regel 76 (2) c) EPÜ entspricht.
Die schriftlichen Ausführungen der Beschwerdeführerin im Beschwerdeverfahren und ihr ergänzender Vortrag in der mündlichen Verhandlung geben keine Veranlassung zu einer abweichenden Würdigung.
1.1 Erfordernisse der Regeln 77 (1) und 76 (2) c) EPÜ
1.1.1 Nach Regel 77 (1) EPÜ verwirft die Einspruchsabteilung den Einspruch als unzulässig, wenn sie feststellt, dass der Einspruch den Erfordernissen der Regel 76 (2) c) EPÜ nicht entspricht, sofern die Mängel nicht bis zum Ablauf der Einspruchsfrist beseitigt worden sind.
Eine unzureichende Substantiierung kann nicht durch späteren Vortrag nach Ablauf der Einspruchsfrist geheilt werden (T 522/94, Gründe 3), da aus Regel 77 (1) EPÜ hervorgeht, dass eine Mängelbeseitigung nur bis zum Ablauf der Einspruchsfrist möglich ist. Maßgeblich für die Prüfung des Substantiierungsgebots der Regel 76 (2) c) EPÜ ist daher allein der Inhalt der Einspruchsschrift.
1.1.2 Gemäß Regel 76 (2) c) EPÜ muss die Einspruchsschrift eine Erklärung über Folgendes enthalten:
i) in welchem Umfang gegen das europäische Patent Einspruch eingelegt und
ii) auf welche Einspruchsgründe der Einspruch gestützt wird, sowie
iii) die Angabe der zur Begründung vorgebrachten Tatsachen und Beweismittel.
1.1.3 Die vorstehend wiedergegebenen Erfordernisse der Regel 76 (2) c) EPÜ sollen für Rechtssicherheit sorgen und den Patentinhaber in die Lage versetzen, die Erfolgsaussicht des Einspruchs zu beurteilen und das Patent angemessen zu verteidigen (vgl. G 9/91, Gründe 6; T 522/94, Gründe 26; T 222/85, Gründe 4). In der Notwendigkeit, Tatsachen und Beweismittel zur Begründung vorzutragen (iii)), kommt dabei das Substantiierungserfordernis zum Ausdruck.
1.2 Darlegungen in der vorliegenden Einspruchsschrift
Im vorliegenden Fall enthielt die Einspruchsschrift den Antrag, das Patent in vollem Umfang aufgrund von Artikel 100 a) EPÜ in Verbindung mit Artikel 54 und 56 EPÜ zu widerrufen.
Die Voraussetzungen gemäß Punkt (i) und Punkt (ii) sind somit unstreitig innerhalb der Einspruchsfrist erfüllt worden.
Die zur Begründung des Einspruchs notwendigen Tatsachen und Beweismittel (obiger Punkt (iii)) wurden indes innerhalb der Einspruchsfrist nicht in ausreichendem Maße dargelegt.
1.2.1 Auf Seite 2 der Einspruchsschrift ist unterhalb des Wortlauts "Als Stand der Technik Dokumente werden angeführt" Folgendes aufgelistet:
Dokument D1: Medium voltage products, eVD4, Installations- und Betriebsanleitungen, Copyright 2011, 1VCD600936-Rev, de-Instruction Manual -2011.02 (eVD4) (gs)
Dokument D2: Feldleit- und Schutzgerät REF 542 (SCU), Calor EMAG Mittelspannungs GmbH gültig ab V2C 02, Stand Juli 1999
Dokument D3: WO 2008/112901 A2
1.2.2 Der Einspruch wird in der Einspruchsschrift auf fehlende Neuheit im Lichte von D1 und auf fehlende erfinderische Tätigkeit ausgehend von D2 in Kombination mit D3 gestützt. Dementsprechend enthält die Einspruchsschrift keinen ausschließlich auf dem Dokument D3 beruhenden Tatsachenvortrag im Hinblick auf einen der geltend gemachten Einspruchsgründe nach Artikel 100 a) EPÜ in Verbindung mit Artikel 54 und 56 EPÜ. Dies wurde von der Beschwerdeführerin im Beschwerdeverfahren auch nicht geltend gemacht.
Aus der Art und dem Inhalt der Dokumente D1 und D2 ist ersichtlich, dass es sich bei diesen Dokumenten um Stand der Technik durch schriftliche Offenbarung handeln soll. Diese schriftlichen Dokumente müssten zum Stand der Technik gehören, um für die geltend gemachten Einspruchsgründe nach Artikel 100 a) EPÜ in Verbindung mit Artikel 54 und 56 EPÜ relevant zu sein.
Die Einspruchsschrift enthält jedoch weder Erläuterungen zu den in der Dokumentenliste aufgeführten Daten (Copyright 2011, Stand Juli 1999) noch Angaben zu den Umständen einer etwaigen öffentlichen Zugänglichkeit der Dokumente D1 und D2 oder der Vermarktung der darin beschriebenen Produkte.
Die Einsprechende hat in der Einspruchsschrift auch nicht dargelegt, dass den Dokumenten D1 und D2 anderweitige Hinweise auf eine Veröffentlichung zu entnehmen wären, welche die Patentinhaberin und die Einspruchsabteilung in die Lage versetzt hätten, ohne das Anstellen eigener Ermittlungen zu verstehen, aus welchen Gründen und wann von einer öffentlichen Zugänglichkeit der D1 und D2 auszugehen sein könnte.
Erst mit dem am 14. Februar 2020, knapp ein Jahr nach Ablauf der Einspruchsfrist eingegangenen Schreiben, machte die Beschwerdeführerin zusätzliche Angaben zur Frage der öffentlichen Zugänglichkeit der Dokumente D1 und D2, die jedoch, wie oben dargelegt, für die Prüfung von Regel 76 (2) c) EPÜ nicht zu berücksichtigen sind (vgl. Regel 77 (1) letzter Halbsatz EPÜ).
1.3 Art und Umfang der erforderlichen Substantiierung im Hinblick auf die Zugehörigkeit eines Dokuments zum Stand der Technik
Die mit der Einspruchsschrift erfolgten Angaben genügen im Hinblick auf die Art der Dokumente D1 und D2 und die Art der zitierten Datumsvermerke nicht, um darzulegen, dass diese der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurden.
1.3.1 Bei dem Dokument D1 handelt es sich um eine Installations- und Betriebsanleitung eines Mittelspannungs-Leistungsschalters mit der Bezeichnung "eVD4" der Firma ABB. Das Dokument D1 trägt auf der letzten Seite den Vermerk "© Copyright 2011 ABB, All rights reserved".
Das Dokument D2 ist ein Handbuch betreffend ein Feldleit- und Schutzgerät REF542 (SCU) der Firma ABB Calor Emag Mittelspannung GmbH. Das Dokument D2 trägt auf der ersten Seite den Vermerk "Gültig ab V2C.02, Stand Juli 1999". Auf Seite 3 dieses Dokuments ist weiterhin der folgende Vermerk enthalten: "© 1999 ABB Calor Emag Mittelspannung GmbH", der in der Einspruchsschrift allerdings nicht zitiert wurde.
1.3.2 In der Einspruchsschrift finden sich weder Darlegungen dazu, welche Bedeutung diesen Daten zukommt noch dazu, dass die entsprechenden Dokumente oder die darin beschriebenen Produkte öffentlich zugänglich gewesen wären. Die Angaben ergeben sich auch nicht implizit.
Die von Regel 76 (2) c) EPÜ geforderte "Angabe der zur Begründung vorgebrachten Tatsachen und Beweismittel" muss der Patentinhaberin und der Einspruchsabteilung ermöglichen, ohne eigene Ermittlungen nachzuvollziehen, warum die Tatsachen und Beweismittel" (vorliegend die Dokumente D1 und D2) nach der Auffassung der Einsprechenden geeignet sein sollen, den oder die Einspruchsgründe zu stützen (vgl. T 2/89, Gründe 3; T 222/85, Gründe 4; T 1194/07 Gründe 3). Hiervon umfasst ist nicht nur die inhaltliche Eignung der Dokumente, sondern als grundlegende Voraussetzung für die Stützung der Einspruchsgründe unter Artikel 100 a) in Verbindung mit Artikel 54 oder Artikel 56 EPÜ auch die Zugehörigkeit der betreffenden Dokumente, vorliegend D1 und D2, zum Stand der Technik (Artikel 54 (2), (3), 56 EPÜ).
1.3.3 Nach Artikel 54 (2) EPÜ bildet den Stand der Technik alles, was vor dem Anmeldetag der europäischen Patentanmeldung der Öffentlichkeit durch schriftliche oder mündliche Beschreibung, durch Benutzung oder in sonstiger Weise zugänglich gemacht worden ist.
a) Patentdokumenten kommt in diesem Kontext gewissermaßen eine Sonderstellung in dem Sinne zu, dass ihr Veröffentlichungszeitpunkt aufgrund der entsprechenden behördlich vorgeschriebenen Formalangaben in diesen Dokumenten in der Regel ohne weiteres erkennbar ist. In Fällen, in denen die Einspruchsgründe unter Artikel 100 a) in Verbindung mit Artikel 54 und/oder Artikel 56 EPÜ auf einem oder mehreren Patentdokumenten beruhen, sind somit im Regelfall keine weiteren Ausführungen zur Frage der Umstände der öffentlichen Zugänglichkeit dieser Dokumente erforderlich, denn für alle Beteiligten ist unmittelbar, d.h. insbesondere ohne das Anstellen jeglicher Ermittlungen, und zweifelsfrei nachprüfbar, ob ein Patentdokument Stand der Technik unter Artikel 54 (2) EPÜ bildet (vgl. T 522/94, Gründe 9).
b) Bei Installationsanleitungen, Bedienungsanleitungen und Handbüchern stellt sich die Situation anders dar. In solchen Dokumenten vorhandene Daten kennzeichnen üblicherweise den Redaktionsschluss oder das Druckdatum, nicht jedoch das Veröffentlichungsdatum (T 109/11, Gründe 21). Die bloße Angabe von Daten ohne weitere Spezifizierung, ob es sich hierbei überhaupt um Veröffentlichungsdaten handelt und ohne Erläuterung, auf welcher Grundlage die Datierungen vorgenommen worden sind, stellt insofern keinen ausreichenden Tatsachenvortrag dar (vgl. T 109/11, Gründe 18 bis 21). Wie die Beschwerdekammer in T 511/02 zutreffend festgestellt hat, werden derartige Dokumente zudem in der Regel nicht isoliert veröffentlicht, sondern sie werden durch Vertrieb zusammen mit dem zu montierenden oder zu betreibenden Erzeugnis der Öffentlichkeit zugänglich gemacht (vgl. T 511/02, Gründe 4). Entsprechende Erwägungen liegen auch der angefochtenen Entscheidung zugrunde (siehe Punkt 24.1 der Gründe).
1.3.4 Sofern sich die betreffenden Angaben zur Veröffentlichung bzw. öffentlichen Zugänglichkeit nicht sofort ersichtlich aus dem Dokument selbst ergeben, was, wie oben dargelegt, in der Regel bei Patentdokumenten der Fall ist, erfordert Regel 76 (2) c) EPÜ somit Angaben, die es ermöglichen nachzuvollziehen, unter welchen Umständen das Dokument öffentlich zugänglich gemacht wurde (T 109/11, Gründe 13-19, Singer/Stauder/Luginbühl, EPÜ, 9. Auflage, Artikel 99 Rd. 121). Art und Umfang dieser Angaben ist abhängig von den Umständen des jeweiligen Einzelfalls.
Im vorliegenden Fall genügte die Auflistung von Dokumenten unter der Überschrift "Stand der Technik" entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin nicht, um nachzuvollziehen, aus welchen Umständen die öffentliche Zugänglichkeit der Dokumente D1 und D2 folgt. Es mag sich zwar aus dem Wortlaut "Stand der Technik Dokumente" ergeben, dass die Einsprechende die betreffenden Dokumente als zum Stand der Technik gehörend angesehen hat. Das wäre jedoch eine bloße Rechtsansicht und enthält keine tatsächlichen Angaben, die es erlauben, nachzuvollziehen auf welcher tatsächlichen Grundlage diese Würdigung erfolgt ist.
Zudem lassen weder der in der Einspruchsschrift für D1 angegebene Copyright-Vermerk der D1 (Copyright 2011, 1VCD600936-Rev, de-Instruction Manual -2011.02 (eVD4) (gs)) noch der Gültigkeitsvermerk der D2 (gültig ab V2C 02, Stand Juli 1999) Rückschlüsse auf die Veröffentlichung der Dokumente zu und zwar weder isoliert betrachtet noch im Zusammenhang mit den weiteren in der Einspruchsschrift wiedergegebenen Angaben und Ziffern.
Anders als die eindeutige Angabe des Veröffentlichungsdatums in Patentdokumenten ist der Copyright-Vermerk nicht identisch mit einem Druck- oder Veröffentlichungsdatum und kann ohne die Darlegung weiterer Umstände auch nicht mit diesen gleichgesetzt werden. Ein Druckdatum deutet darauf hin, dass ein Dokument in einem maschinellen Verfahren auf Papier ausgedruckt wird, was oftmals zum Zwecke der Vervielfältigung und späteren Veröffentlichung erfolgt. Ein Veröffentlichungsdatum gibt Auskunft über den Zeitpunkt, an dem ein Dokument der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird. Demgegenüber weist ein Copyrightvermerk für sich betrachtet in der Regel lediglich darauf hin, dass das Dokument zu einem bestimmten Zeitpunkt von dessen Urheber verfasst und fertiggestellt wurde. Er lässt bei isolierter Betrachtung jedoch keine Rückschlüsse dahingehend zu, ob, wann und wie das betreffende Dokument vervielfältigt oder der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde. Dies gilt selbst dann, wenn es sich um ein Dokument handelt, das nicht für rein firmeninterne Zwecke erstellt wurde, denn es bleibt offen, ob, wann und mit welchem finalen Inhalt das erstellte Dokument letztlich an die Öffentlichkeit weitergereicht wird.
Die Dokumente D1 und D2 tragen zudem auch keine ISBN-Nummer oder einen ähnlichen Hinweis, welcher in Kombination mit dem Copyright-Vermerk gegebenenfalls Anlass zu der Vermutung geben könnte, die Dokumente seien der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden (siehe hierzu T 1950/16, Gründe 3.1).
Auch die weiteren Angaben (1VCD600936-Rev, de-Instruction Manual -2011.02 (eVD4) (gs)) geben keine weiteren Hinweise auf ein bestimmtes Veröffentlichungsdatum. Dies gilt vorliegend insbesondere deshalb, weil es sich um einen sicherheitsrelevanten Schalter der Elektrotechnik handelt. Bei derartigen Gegenständen werden in Bedienungsanleitungen oftmals noch nach Fertigstellung der ursprünglichen Fassung, Änderungen vorgenommen, um diese an den aktuellen Gegenstand, dessen Bedienung erläutert wird oder an veränderte Rahmenbedingungen anzupassen, bevor es zu einem Druck, einer Vervielfältigung oder einer Veröffentlichung der Bedienungsanleitung kommt. Insoweit hat die Beschwerdegegnerin zutreffend darauf hingewiesen, dass die in der Einspruchsschrift im Zusammenhang mit Dokument D1 angegebene Nummer "2011.02" (1VCD600936-, de-Instruction Manual -2011.02 (eVD4) (gs)) darauf hindeutet, dass es sich um eine Versionsnummer handelt und somit unterschiedliche Versionen der Betriebsanleitung existieren.
Entsprechendes gilt auch für das Handbuch D2. Der Vermerk "gültig ab V2C 02, Stand Juli 1999" lässt erkennen, dass es sich lediglich um die Version des Handbuchs mit Stand Juli 1999 handelt. Welche Bedeutung der Vermerk "gültig ab V2C 02" hat, bleibt unklar. Der Umstand, dass es im Juli 1999 die vorliegende Version des Handbuchs gab, deutet daraufhin, dass weitere Versionen existieren oder zukünftig verfasst werden können und lässt nicht erkennen, ob und wann die vorliegende Version der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden ist.
1.3.5 Vor diesem Hintergrund können die in der Einspruchsschrift im Zusammenhang mit den Dokumenten D1 und D2 ohne weitere Angaben zitierten Daten weder als Druck- noch als Veröffentlichungsdaten eingeordnet werden. In der Einspruchsschrift fehlt daher substantiierter Vortrag zu dem Zeitpunkt an dem D1 und D2 der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurden.
1.4 Gegenargumente der Beschwerdeführerin
1.4.1 In der Beschwerdebegründung hat die Beschwerdeführerin weiterhin dargelegt, die Jahresangabe des Copyright-Vermerkes des Dokuments D1 liege drei Jahre vor dem Prioritätsdatum des angefochtenen Patents. Ferner liege die Jahresangabe des Copyright-Vermerkes des Dokuments D2 15 Jahre vor dem Prioritätsdatum des angefochtenen Patents. Aus diesen Zeitspannen scheint die Beschwerdeführerin auf eine hohe Wahrscheinlichkeit der Veröffentlichung dieser Dokumente schließen zu wollen, wie sie beispielsweise in T 2105/12 im Hinblick auf die mit Copyright-Datum versehene Bedienungsanleitung eines kommerziell erhältlichen Diabetes Management Systems festgestellt wurde (vgl. Gründe 2.2).
Der vorliegende Fall unterscheidet sich jedoch von dem T 2105/12 zugrundeliegenden Sachverhalt, weil die Einspruchsschrift keine Angaben zu einem kommerziellen Vertrieb der in D1 oder D2 genannten Produkte enthält. Demgegenüber hatte die Einsprechende in T 2105/12 bereits in der Einspruchsschrift darauf hingewiesen, dass die Anleitung ein System beschreibe, das bereits vor dem maßgeblichen Prioritätszeitpunkt auf dem Markt erhältlich gewesen sei. Im vorliegenden Verfahren dagegen gibt es in der Einspruchsschrift keinen Hinweis darauf, dass die Dokumente D1 und D2 überhaupt im Zusammenhang mit der Vermarktung von Produkten veröffentlicht wurden, noch gibt es Hinweise darauf, in welcher Version eine Veröffentlichung der Dokumente erfolgt sein könnte. Auch konnte weder von der Patentinhaberin noch von der Einspruchsabteilung erwartet werden, dass sie eine entsprechende Tatsachendarlegung im Zuge der bloßen Nennung der Datumsangaben der Dokumente D1 und D2 in der Beschwerdeschrift quasi "mitlesen" bzw. durch die Datumsangaben als impliziert hätten erkennen müssen. Eine implizite Angabe käme nur in Betracht, wenn der Rückschluss von den angegebenen Datumsvermerken (Copyrightvermerk, Versionsvermerk) auf den Zeitpunkt der öffentlichen Zugänglichkeit die einzig vernünftige Möglichkeit wäre. Dies ist jedoch, wie oben dargelegt, nicht der Fall, weil sowohl der Copyrightvermerk als auch das Versionsdatum isoliert betrachtet lediglich Auskunft über den Zeitpunkt der Abfassung bzw. Fertigstellung eines schriftlichen Dokuments geben, nicht aber über dessen Veröffentlichung. Zwar kann es Umstände geben, die eine weitergehende Schlussfolgerung auf den Veröffentlichungszeitpunkt erlauben, solche wurden aber in der Einspruchsschrift nicht vorgetragen.
1.4.2 Im Übrigen hat die Beschwerdeführerin zwar zutreffend darauf hingewiesen, dass die nach Regel 76 (2) c) EPÜ vorzunehmende Substantiierungsprüfung von der späteren Prüfung der sachlichen Begründetheit zu unterscheiden ist. Dieser Anforderung entspricht die von der Einspruchsabteilung und der Kammer vorgenommene Prüfung indes.
Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin betrifft die Feststellung, ob die öffentliche Zugänglichkeit eines Dokuments hinreichend dargelegt wurde, nämlich nicht allein die Prüfung der sachlichen Begründetheit des Einspruchs. Die hinreichend substantiierte Darlegung aller Tatsachen, die notwendig sind, um den auf den jeweiligen Einspruchsgrund gestützten Widerruf des Patents zu erreichen, ist nach Regel 76 (2) c) EPÜ vielmehr Bestandteil der Zulässigkeitsprüfung des Einspruchs (ebenso T 511/02, Gründe 6). Dabei ist die Frage, ob eine Tatsache überhaupt vorgetragen wurde, zu unterscheiden von der der Begründetheitsprüfung zuzuordnenden Frage, ob die entsprechenden Tatsachen und Argumente überzeugend sind (vgl. Rechtsprechung der Beschwerdekammern, 10. Auflage, IV.C.2.2.8 d)).
Ausgehend von Regel 76 (2) c) EPÜ müssen zur Substantiierung des Einspruchsgrunds nach Artikel 100 a), 54, 56 EPÜ Tatsachen vorgetragen werden, die - ihre Richtigkeit unterstellt - erkennen lassen, warum die Dokumente, auf die der Angriff gegen die Neuheit oder erfinderische Tätigkeit gestützt wird, zum Stand der Technik gehören. Der bloße Hinweis auf das Datum, an dem ein Dokument erstellt oder fertiggestellt wurde, genügt aber - wie oben dargelegt - selbst bei unterstellter Richtigkeit nicht ohne weiteres, um zu zeigen, dass das Dokument an dem genannten Datum tatsächlich veröffentlicht wurde.
1.4.3 Die Beschwerdeführerin ist zudem der Ansicht, die vorgenommene Prüfung sei eine Beweiswürdigung und gehöre daher nicht in die Zulässigkeitsprüfung.
Der Beschwerdeführerin ist zwar grundsätzlich darin zuzustimmen, dass der Wahrheitsgehalt einer Behauptung bzw. dessen Überzeugungskraft für die Frage der Zulässigkeit des Einspruchs nicht relevant ist. Hiervon zu unterscheiden ist jedoch die Notwendigkeit, die maßgeblichen Tatsachen überhaupt vorzutragen, um den Einspruch hinreichend zu substantiieren. Nichts anderes ergibt sich aus den auf Seite 3 ff der Beschwerdebegründung zitierten Entscheidungen der Beschwerdekammern und aus den zitierten Auszügen aus "Rechtsprechung der Beschwerdekammern".
Eine hinreichende Substantiierung erfordert, wie bereits dargelegt, einen Sachvortrag mit nachvollziehbaren Angaben zu den Umständen, die für die Prüfung des geltend gemachten Einspruchsgrundes relevant sind (T 222/85 Gründe 4; T 2/89, Gründe 3; T 1194/07 Gründe 3). Dieses Erfordernis umfasst jedoch - entgegen der Ansicht der Einsprechenden - keine Beweiswürdigung, weil die Richtigkeit der Tatsachen für die Substantiierungsprüfung unterstellt wird. Erst im Rahmen der Begründetheit wird dann die Richtigkeit der vorgetragenen Tatsachen geprüft und hierzu gegebenenfalls Beweis erhoben. Die Beweiswürdigung betrifft dann die Frage, ob sich der Wahrheitsgehalt der behaupteten Tatsachen nach Beweisaufnahme zur Überzeugung des berufenen Spruchkörpers feststellen lässt.
1.4.4 Die Beschwerdeführerin ist zudem der Ansicht, dass der von der Einspruchsabteilung und von der Kammer für Art und Umfang der notwendigen Darlegungen angelegte Maßstab zu hoch sei, da es sich lediglich um eine Prüfung im Rahmen der Zulässigkeit handele.
Dies trifft jedoch nicht zu, denn Sinn und Zweck der in Regel 76 (2) c) EPÜ geforderten Angaben ist es, dem Patentinhaber Gelegenheit zu geben, das Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen des geltend gemachten Einspruchsgrundes zu prüfen und sich auf dieser Grundlage angemessen zu verteidigen (vgl. G 9/91, Gründe 6). Dies erfordert - wie die Beschwerdeführerin zutreffend ausgeführt hat - ein vernünftiges Maß an Verständniswillen und kann unter Umständen auch eine gewisse Interpretation des gegnerischen Vortrags beinhalten. Das geht aber nicht soweit, dass Lücken im Tatsachenvortrag, wie sie im vorliegenden Fall zu verzeichnen sind, durch Spekulationen zu ergänzen wären. Für eine hinreichende Substantiierung reicht es daher - entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin - nicht aus, dass die vorgetragenen Tatsachen lediglich einen groben Überblick darüber geben, worum es in dem Einspruch geht. Es ist vielmehr in der Rechtsprechung der Kammern anerkannt, dass das Erfordernis der Regel 76 (2) c) EPÜ nur dann erfüllt ist, wenn die relevanten Tatsachen und Beweismittel in einem Umfang angegeben werden, der es erlaubt, dass die angeführten Einspruchsgründe und ihre Stichhaltigkeit von der Einspruchsabteilung und vom Patentinhaber ohne weitere Ermittlungen überprüft und verstanden werden können (T 222/85, Gründe 4; T 2/89, Gründe 3; T 1194/07, Gründe 3).
Der somit maßgebliche Prüfungsmaßstab begründet keine unzumutbare oder unfaire Beschränkung des Rechts auf tatsächliche und rechtliche Überprüfung eines Hoheitsakts, sondern dient dem gerechten Interessenausgleich der am Einspruchsverfahren beteiligten Parteien.
1.4.5 Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin gilt eine hinreichende Substantiierung auch nicht dadurch als zugestanden, dass rudimentäre Darlegungen in der Einspruchsschrift von der Patentinhaberin oder der Einspruchsabteilung aufgegriffen und gewürdigt werden. Dies ändert nämlich nichts daran, dass der Vortrag in der Einspruchsschrift den Anforderungen der Regel 76 (2) c) EPÜ nicht genügt. Auch der von der Beschwerdeführerin angeführte Amtsermittlungsgrundsatz führt insoweit zu keiner anderen Beurteilung, denn es ist allein die Aufgabe der Einsprechenden dafür zu sorgen, dass ihre Einspruchsschrift die Zulässigkeitserfordernisse der Regel 76 EPÜ erfüllt.
1.5 Im vorliegenden Fall genügte deshalb die bloße Angabe der in D1 und D2 genannten Daten, bei denen es sich nicht sofort erkennbar um Druck- oder Veröffentlichungsdaten oder handelt, ohne jedwede weitere hierauf bezogene Tatsacheninformation nicht, um den Substantiierungserfordernissen der Regel 76 (2) c) EPÜ zu genügen.
2. Schlussfolgerung
Es ist daher festzustellen, dass die Einspruchsabteilung den Einspruch zutreffend als unzulässig verworfen hat. Dem Antrag auf Aufhebung der angefochtenen angefochtenen Entscheidung war daher nicht stattzugeben.
Der Antrag der Beschwerdeführerin auf Zurückverweisung der Angelegenheit an die Einspruchsverhandlung zur weiteren Prüfung ist in Ermangelung eines zulässigen Einspruchs gegenstandslos. Gleiches gilt für die weiteren Anträge der Beschwerdegegnerin, die lediglich hilfsweise für den Fall, dass der Einspruch zulässig sein sollte, gestellt worden sind.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.