European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:2023:T153721.20230619 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 19 Juni 2023 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 1537/21 | ||||||||
Anmeldenummer: | 15717861.7 | ||||||||
IPC-Klasse: | B65D 85/804 | ||||||||
Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | D | ||||||||
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Bezeichnung der Anmeldung: | PORTIONSKAPSEL UND VERFAHREN ZUR HERSTELLUNG EINES GETRÄNKS MIT EINER PORTIONSKAPSEL | ||||||||
Name des Anmelders: | K-fee System GmbH | ||||||||
Name des Einsprechenden: | Delica AG | ||||||||
Kammer: | 3.2.07 | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: |
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Schlagwörter: | Hauptantrag - Änderungen - zulässig (ja) Spät eingereichte Beweismittel - zugelassen (ja) Spät eingereichter Hilfsantrag 1 - zugelassen (ja) Neuheit - Hauptantrag (nein) Neuheit - Hilfsantrag 1 (ja) Spät vorgebrachte Einwände mangelnder erfinderischer Tätigkeit - zugelassen (nein) |
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Orientierungssatz: |
- |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
I. Die Einsprechende legte form- und fristgerecht Beschwerde gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung ein, mit der das europäische Patent Nr. 3 131 833 in geänderter Fassung aufrechterhalten wurde.
II. Der Einspruch richtete sich gegen das Patent im gesamten Umfang und stützte sich auf die Einspruchsgründe nach Artikel 100 a) und c) EPÜ (mangelnde Neuheit, erfinderische Tätigkeit und unzulässige Änderungen).
III. Die Einspruchsabteilung war der Auffassung,
- dass der Gegenstand von Anspruch 14 gemäß Hauptantrag die Erfordernisse von Artikel 123 (2) EPÜ erfülle,
- dass der Gegenstand von Anspruch 1 gemäß Hauptantrag neu gegenüber der Offenbarung von D4 (EP 1 344 724 A1) sei und
- dass die jeweiligen Gegenstände der Ansprüche 1, 14 und 15 gemäß Hauptantrag neu gegenüber der Offenbarung von D5 (WO 2013/189923 A1) seien.
IV. Mit Mitteilung gemäß Artikel 15 (1) VOBK 2020 teilte die Beschwerdekammer den Parteien ihre vorläufige Beurteilung der Sach- und Rechtslage mit.
V. Die Einsprechende nahm mit Schriftsatz vom 9. Mai 2023 zur Mitteilung der Kammer inhaltlich Stellung und reichte die folgenden Dokumente ein:
D7: Ines Wünsch, "Lexikon Wirkerei und Strickerei",
Deutscher Fachverlag GmbH, Frankfurt am Main, 2008, Seiten 280 bis 281,
D8: Alfons Hofer, "Stoffe 2, Gewebe, Bindung,
Maschenstoffe", Deutscher Fachverlag GmbH, Frankfurt am Main, 2004, Seiten 114 bis 115 und 438 bis 439,
D9: Jürgen Falbe und Manfred Regitz, "Römpp-Chemie-
Lexikon", 9., erweiterte und neubearbeitete Auflage, 1992, Seite 4955,
D10: Wikipedia Artikel zu Vliesstoff, 14 Seiten,
URL: https://de.wikipedia.org/w/index.php?
title=Vliesstoff&oldid=128504850.
VI. Am 19. Juni 2023 fand die mündliche Verhandlung vor der Kammer statt. Wegen der Einzelheiten des Verlaufs der mündlichen Verhandlung wird auf das Protokoll verwiesen.
Die Entscheidung wurde am Schluss der Verhandlung verkündet.
VII. Die Einsprechende (Beschwerdeführerin) beantragte
die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents.
VIII. Die Patentinhaberin (Beschwerdegegnerin) beantragte
die Zurückweisung der Beschwerde, d.h. die Aufrechterhaltung des Patents in der von der Einspruchsabteilung für gewährbar erachteten, geänderten Fassung als Hauptantrag,
hilfsweise, bei Aufhebung der angefochtenen Entscheidung, die Aufrechterhaltung des Patents in geänderter Fassung auf Basis eines der Anspruchssätze gemäß Hilfsantrag 1, eingereicht während der mündlichen Verhandlung vor der Kammer, und gemäß Hilfsantrag 2, eingereicht mit der Beschwerdeerwiderung als damaliger Hilfsantrag 1.
IX. Anspruch 1 gemäß Hauptantrag und gemäß Hilfsantrag 1 lautet:
"Portionskapsel (1) zur Herstellung eines Getränks aufweisend einen Kapselkörper (2) mit einem Kapselboden (3) und einer Einfüllseite (4), wobei zwischen dem Kapselboden (3) und der Einfüllseite (4) ein Hohlraum (100) zur Aufnahme eines pulverförmigen oder flüssigen Getränkesubstrats (101) ausgebildet ist und wobei zwischen dem Getränkesubstrat (101) und dem Kapselboden (3) ein Filterelement (7) angeordnet ist, das als Filtersieb Verwendung findet, wobei das Filterelement (7) aus einem nicht gewebtem Material vorgesehen ist, welches im Bereich des Kapselbodens (3) angeordnet und an den Kapselboden gesiegelt ist, wobei das Filterelement aus zwei Lagen (7.1, 7.2) und davon mindestens eine Lage aus Vlies vorgesehen ist, dadurch gekennzeichnet, dass die beiden Lagen (7.1, 7.2) durch eine Siegelung miteinander verbunden sind und die Siegelung lokal als Kreisring vorgesehen ist."
X. Die Merkmalsgliederung von Anspruch 1 gemäß Hauptantrag und gemäß Hilfsantrag 1 ist gemäß Punkt II.2a der angefochtenen Entscheidung wie folgt:
1.1) Portionskapsel (1) zur Herstellung eines Getränks aufweisend
1.2) einen Kapselkörper (2) mit einem Kapselboden (3) und einer Einfüllseite (4),
1.3) wobei zwischen dem Kapselboden (3) und der Einfüllseite (4) ein Hohlraum (100) zur Aufnahme eines pulverförmigen oder flüssigen Getränkesubstrats (101) ausgebildet ist und
1.4) wobei zwischen dem Getränkesubstrat (101) und dem Kapselboden (3) ein Filterelement (7) angeordnet ist, 1.4a) das als Filtersieb Verwendung findet,
1.5) wobei das Filterelement (7) aus einem nicht gewebtem Material vorgesehen ist, welches im Bereich des Kapselbodens (3) angeordnet
1.5a) und an den Kapselboden gesiegelt ist,
1.6) wobei das Filterelement aus zwei Lagen (7.1, 7.2) 1.6a) und davon mindestens eine Lage aus Vlies vorgesehen ist,
1.7) dadurch gekennzeichnet, dass die beiden Lagen (7.1, 7.2) durch eine Siegelung miteinander verbunden sind und
1.8) die Siegelung lokal als Kreisring vorgesehen ist.
XI. Anspruch 14 gemäß Hauptantrag lautet:
"Verfahren zur Herstellung einer Portionskapsel, dadurch gekennzeichnet, dass das Filterelement (7), das aus zwei Lagen (7.1, 7.2) besteht in die Portionskapsel eingeführt und mit dem Kapselboden (3) verbunden wird, wobei die Verbindung der unteren, den Kapselboden (3) berührende Lage, mit dem Kapselboden (3) im Wesentlichen gleichzeitig mit dem Verbund von beiden Filterlagen (7.1, 7.2) erfolgt."
XII. Das entscheidungserhebliche Vorbringen der Parteien wird im Detail in den Entscheidungsgründen diskutiert.
Entscheidungsgründe
1. Hauptantrag (aufrechterhaltene Fassung des Patents)
1.1 Änderungen (Artikel 123 (2) EPÜ)
1.1.1 Die Einsprechende wandte sich gegen die Feststellung unter Punkt II.3.2 der Gründe der angefochtenen Entscheidung, dass der Gegenstand von Anspruch 14 die Erfordernisse von Artikel 123 (2) EPÜ erfülle.
1.1.2 Die Einsprechende brachte vor, dass entgegen der diesbezüglichen negativen Feststellung der Einspruchsabteilung die ursprünglich eingereichten Anmeldungsunterlagen auf Seite 9, Zeilen 20 bis 24, tatsächlich unmittelbar und eindeutig ein gleichzeitiges Verbinden der unteren Filterschicht mit dem Boden und der beiden Filterschichten untereinander lediglich mittels Schweißen, vorzugsweise Ultraschallschweißen, offenbarten. Da Anspruch 14 nicht das Merkmal "Schweißen" enthalte, liege eine unzulässige Zwischenverallgemeinerung vor (siehe Beschwerdebegründung, Punkt 4).
1.1.3 Diese Auffassung der Einsprechenden überzeugt die Kammer jedoch nicht von der Unrichtigkeit der begründeten Feststellungen der angefochtenen Entscheidung, dass durch die Verwendung des Wortes "vorzugsweise" den ursprünglich eingereichten Anmeldungsunterlagen zumindest auf Seite 9, Zeilen 20 bis 24, unmittelbar und eindeutig das Schweißen als optionales Merkmal zu entnehmen ist, und die ursprüngliche Offenbarung das Weglassen dieses Merkmals im Anspruch 14 stützt.
Daher genügt der Gegenstand von Anspruchs 14 den Erfordernissen von Artikel 123 (2) EPÜ.
1.2 Neuheit gegenüber D4 (Artikel 54 EPÜ)
Die Kammer wies in der Mitteilung nach Artikel 15 (1) VOBK 2020 unter Punkt 8.2 auf die folgende Sach- und Rechtslage zur Neuheit des Gegenstands von Anspruch 1 gegenüber der Offenbarung von D4 hin, die von den Parteien weder in Frage gestellt noch kommentiert wurde. Die Kammer sieht keinen Grund, von ihrer diesbezüglichen vorläufigen Meinung abzurücken und bestätigt diese wie folgt.
1.2.1 Die Einsprechende rügte die Feststellung unter Punkt II.3.4.1 der Gründe der angefochtenen Entscheidung, dass das Merkmal 1.5a von Anspruch 1, nämlich "wobei das Filterelement ... an den Kapselboden gesiegelt ist", nicht aus D4 bekannt sei, und daher der Gegenstand von Anspruch 1 neu gegenüber der Offenbarung von D4 sei.
1.2.2 Dazu argumentierte die Einsprechende, dass zwar Absatz [0014] von D4 ausführe, dass die Kapsel eine Seitenwand mit einer Stufe ("sloped step 26") aufweise. Wie jedoch den Figuren 1, 4, 18 und 19 von D4 zu entnehmen sei, befände sich diese Stufe im Bereich des Kapselbodens.
Im Streitpatent werde offen gelassen, welcher Bereich des Kapselkörpers als Boden verstanden werde. Wenigstens Figur 3 zeige eine Kapsel, welche im Bereich des Bodens eine Stufe und eine weitere Vertiefung aufweise, wobei das Filterelement, wie nach D4, auf die Stufe gesiegelt sei (Beschwerdebegründung, Punkt 5.1).
1.2.3 Die Kammer ist von der Argumentation der Einsprechenden nicht überzeugt. Vielmehr folgt sie der Patentinhaberin und der angefochtenen Entscheidung, dass D4 unmittelbar und eindeutig offenbart, dass die konische Seitenwand 16, und nicht die Bodenwand 18, die Stufe 26 aufweist (D4, Absatz [0014]). Das Filterelement nach D4 ist daher nicht an die Bodenwand 18 gesiegelt.
Da die Portionskapsel nach D4 nicht das Merkmal von Anspruch 1 zeigt, dass das Filterelement an den Kapselboden gesiegelt ist, ist der Gegenstand von Anspruch 1 neu gegenüber der Offenbarung von D4.
1.3 Zulassung ins Verfahren der Dokumente D7 bis D10
1.3.1 Die Einsprechende reichte die Dokumente D7 bis D10 erstmals nach Zustellung der Ladung zur mündlichen Verhandlung vor der Kammer ein. Zur Rechtfertigung dieses verspäteten Vorbringens argumentierte die Einsprechende, dass diese Dokumente als Beleg für das allgemeine Fachwissen dienten, dass dem Begriff Vlies entgegen der vorläufigen Meinung der Kammer keine eindeutige technische Bedeutung zugeordnet werden könne.
1.3.2 Die Patentinhaberin bemängelte das verspätete Vorbringen und beantragte dieses im Verfahren nicht zu berücksichtigen.
1.3.3 Nach Artikel 13 (2) VOBK 2020 bleiben Änderungen des Beschwerdevorbringens eines Beteiligten nach Zustellung der Ladung zur mündlichen Verhandlung grundsätzlich unberücksichtigt, es sei denn, der betreffende Beteiligte hat stichhaltige Gründe dafür aufgezeigt, dass außergewöhnliche Umstände vorliegen.
1.3.4 Die Kammer erkennt an, dass die vorgelegten Dokumente rein formal als Änderung des Beschwerdevorbringens der Einsprechenden im Sinne von Artikel 13 (2) VOBK 2020 angesehen werden können. Jedoch stellen diese Dokumente allgemeines Fachwissen dar und dienen lediglich zur Verdeutlichung der bereits im Einspruchsverfahren (siehe angefochtene Entscheidung, unter Punkt II.3.4.2, Seite 7, zweiter und fünfter Absatz) und mit der Beschwerdebegründung vorgebrachten Argumentationslinie der Einsprechenden, dass sich die Begriffe Vlies und Filz nicht eindeutig voneinander unterscheiden ließen und keine scharfe Abgrenzung zwischen Vlies und Filz existiere (siehe Beschwerdebegründung, Seite 8, dritter Absatz). Die in D7 bis D10 dargestellten Tatsachen wurden von der Patentinhaberin als solche auch nicht bestritten. Insbesondere wurde nicht geltend gemacht, dass der Wortgebrauch in D7 bis D10 nicht dem üblichen Fachgebrauch entspreche. Umgekehrt war es auch der Kern des Vorbringens der Patentinhaberin, dass der im Anspruch verwendete Begriff "Vlies" mit dem Verständnis des Fachmanns auszulegen sei.
1.3.5 Auch ohne diesen Vortrag der Patentinhaberin wäre die Kammer grundsätzlich verpflichtet, die Patentansprüche mit den Augen des Fachmanns zu lesen. Der Schutzumfang eines Patents (Artikel 69 EPÜ) und dessen Gegenstand (Artikel 84 EPÜ) und damit seine effektive Rechtswirkung wird durch die Patentansprüche bestimmt. Die Auslegung der Patentansprüche ist daher eine Rechtsfrage, und die Kammer ist nicht an das Vorbringen der Parteien gebunden, sondern hat die Patentansprüche nach ihrem eigenen Verständnis und ihrer eigenen Überzeugung auszulegen. Sollte die Kammer es für erforderlich halten, ihre eigene Sachkunde zu ergänzen, so wäre sie frei, ja sogar verpflichtet, die einschlägige Fachliteratur von Amts wegen heranzuziehen (Artikel 114 (1) EPÜ), um die Ansprüche fachgerecht auszulegen. Dabei hätte sie vielleicht nicht die gleiche, aber jedenfalls vergleichbare Fachliteratur wie die Dokumente D7 bis D10 heranziehen müssen. Ein solches Vorgehen der Kammer wäre auch mit der gebotenen Unparteilichkeit gegenüber den Parteien im Einklang.
Die Kammer lässt daher die Dokumente D7 bis D10 in das Verfahren zu.
1.4 Neuheit gegenüber D5 - Anspruch 1 (Artikel 54 EPÜ)
1.4.1 Die Einsprechende bestritt die Feststellung unter Punkt II.3.4.2 der Gründe der angefochtenen Entscheidung, dass das Merkmal 1.6a von Anspruch 1, wonach das Filterelement aus zwei Lagen "und davon mindestens eine Lage aus Vlies vorgesehen ist", aus D5 in der Ausführungsform mit Filz nicht bekannt sei.
1.4.2 Die Einspruchsabteilung war der Auffassung, dass nach D5 zwar Filterelemente aus nicht gewebtem Fasermaterial offenbart seien, diese jedoch entweder aus Vlies oder aus einem Fasermaterial mit Filzstruktur und einer Trägerstruktur bestehend beschrieben seien. Auch im Streitpatent werde Filz als Alternative und nicht als Unterart zu Vlies dargestellt. Selbst wenn Absatz [0014] des Streitpatents eine sehr allgemeine Definition des Begriffs Vlies enthalte, verdeutliche die Beschreibung des Streitpatents, dass Filz nicht unter diese Definition falle.
1.4.3 Laut der Einsprechenden sei die Schlussfolgerung der Einspruchsabteilung falsch, wonach ein Filz oder ein Filterelement mit einer Filzstruktur nicht eine Lage aus Vlies darstellen könne. Dass die Begriffe Vlies und Filz sich nicht eindeutig voneinander unterscheiden ließen, werde bereits aus dem Streitpatent selbst klar. Der Hinweis auf die (nur teilweise) unterschiedlichen Flächengewichte von Vlies und Filz im Streitpatent (Streitpatent, Absätze [0016] und [0024]) könne keinen Ausschluss von Filz aus der Definition von Vlies begründen. Unter einem Vlies im Sinne des Streitpatents (Streitpatent, Absatz [0014]) müsse eindeutig auch ein Filz oder eine Filzstruktur oder gar ein Trägermaterial mit einer Filzstruktur verstanden werden, sofern dieses Material eine ungeordnete, nicht gewebte Struktur aus Kunststofffasern oder Naturfasern aufweise. Dieses Verständnis werde auch durch D7 bis D10 belegt.
1.4.4 Die Patentinhaberin brachte vor, dass die Begriffe Vlies und Filz für den Fachmann eindeutig seien und auch eindeutig unterschiedliche Gegenstände bezeichneten. Ein Filz sei typischerweise genadelt und/oder anderweitig verdichtet. Der Wortgebrauch des Streitpatents und von D5 zeige, dass Unterschiedliches gemeint sei. Ein Filz könne zwar aus einem Vlies hergestellt werden, gelte dann aber nicht mehr als Vlies. Ein Filz werde durch einen weiteren Bearbeitungsschritt hergestellt. D5 zeige unmittelbar und eindeutig, wie von der Einspruchsabteilung festgestellt, dass es einen deutlichen Unterschied zwischen einem Vlies und einem Filz gebe. Somit beschreibe D5 nicht die Merkmale 1.6 und 1.6a von Anspruch 1.
Zudem zeige D5 auch nicht die Merkmale 1.7 und 1.8 von Anspruch 1, dass die beiden Lagen durch eine Siegelung miteinander verbunden seien und die Siegelung lokal als Kreisring vorgesehen sei (siehe Beschwerdeerwiderung, Punkt 2.1.2).
1.4.5 Die Kammer folgt der Einsprechenden zwar insofern, dass sich die Begriffe Vlies und Filz nicht eindeutig voneinander abgrenzen lassen. Wie von der Einsprechenden überzeugend dargelegt und von Patentinhaberin selbst zugestanden, kann ein Filz aus einem Vlies durch einen weiteren unspezifizierten Bearbeitungsschritt hergestellt werden. Eine Überlappung der Definition eines Vlies und einen Filzes ist somit möglich.
Allerdings ist die Kammer nicht überzeugt, dass, selbst wenn der Fachmann in der Ausführungsform nach D5 mit Filz diesen als ein Vlies verstünde, entsprechend dem Vortrag der Patentinhaberin, die Merkmale 1.6, 1.6a, 1.7 und 1.8 unmittelbar und eindeutig in Kombination miteinander in D5 offenbart sind.
1.4.6 Die Einsprechende machte geltend, dass nach D5 ein Vlies, d.h. Merkmal 1.6a, und Merkmal 1.6 offenbart seien (D5, Anspruch 11; Seite 5, Zeilen 11 bis 13; Seite 20, Zeile 36 bis Seite 21, Zeile 2; Figur 8c), wobei D5 auch die Merkmale 1.7 und 1.8 von Anspruch 1 zeige (D5, Seite 5, Zeilen 10 bis 13; Seite 21, Zeile 2; Seite 13, Zeilen 3 bis 4)(Beschwerdebegründung, Punkt 5.2).
Während der mündlichen Verhandlung vor der Kammer argumentierte die Einsprechende zudem, dass die Offenbarung der Merkmale 1.6 bis 1.8 von Anspruch 1 lediglich auf drei Offenbarungsstellen von D5 gestützt werde. D5 weise wiederholt darauf hin, dass die Offenbarungen für die verschiedenen Gegenstände nach D5 gegenseitig gölten. Die verschiedenen Ausführungsformen nach D5 seien kombinierbar, da D5 diese Lehre durch Querverweise enthalte (siehe z.B. D5, Seite 3, Zeilen 12 bis 13; Seite 6, Zeilen 22 bis 23; Seite 7, Zeilen 6 bis 7; Seite 10, Zeilen 18 bis 19; Seite 11, Zeilen 21 bis 22; Seite 14, Zeilen 18 bis 19 und 21 bis 24).
1.4.7 Nach ständiger Rechtsprechung ist es jedoch unzulässig, verschiedene Bestandteile unterschiedlicher Ausführungsformen, die in ein und demselben Dokument beschrieben sind, miteinander zu verbinden, sofern nicht im Dokument selbst eine solche Verbindung nahegelegt wird. Ebenso wenig dürfen bei der Beurteilung der Neuheit verschiedene Passagen eines Dokuments kombiniert werden, sofern das Dokument nicht ausdrücklich eine entsprechende Lehre enthält (siehe Rechtsprechung der Beschwerdekammern [RdB], 10. Auflage 2022, I.C.4.2).
1.4.8 Entsprechend der Argumentation der Patentinhaberin, sieht die Kammer in den von der Einsprechenden genannten Offenbarungsstellen der allgemeinen Beschreibung, der Figurenbeschreibung und Anspruch 11 von D5 keine klare, ausdrückliche und unmissverständliche Lehre der spezifischen Kombination der strittigen Merkmale 1.6 bis 1.8 von Anspruch 1. Ebenso wenig ist eine Verbindung dieser Merkmale in D5 nahegelegt. Ein pauschaler Vorschlag, verschiedene Gegenstände zu kombinieren, wie in von der Patentinhaberin zitierten Passagen von D5 offenbart ("Die zu diesem Gegenstand der vorliegenden Erfindung gemachten Ausführungen gelten für die anderen Gegenstände der vorliegenden Erfindung gleichermaßen und umgekehrt.", siehe z. B. Seite 12, Zeilen 11 bis 12), ergibt jedoch keine bestimmte Ausführungsform, die unmittelbar und eindeutig die Merkmale 1.6 bis 1.8 in Kombination enthält, sondern lediglich eine hohe Anzahl von hypothetischen Kombinationen. Der Fachmann müsste eine Auswahl von Merkmalen aus den verschiedenen Ausführungsformen bzw. Gegenständen von D5 treffen, um zu dem beanspruchten Gegenstand zu gelangen, ohne dafür jedoch eine eindeutige Lehre aus D5 zu erhalten.
1.4.9 Daher ist die Kammer nicht von der Unrichtigkeit der Feststellung der angefochtenen Entscheidung überzeugt, dass der Gegenstand von Anspruch 1 neu gegenüber der Offenbarung von D5 ist.
1.5 Neuheit gegenüber D5 - Anspruch 14 (Artikel 54 EPÜ)
1.5.1 Die Einsprechende wandte sich gegen die Feststellung unter Punkt II.3.4.3 der Gründe der angefochtenen Entscheidung, dass das Merkmal 14.4 von Anspruch 14 (Merkmalsgliederung gemäß Punkt II.2b der angefochtenen Entscheidung), dass "die Verbindung der unteren, den Kapselboden (3) berührende Lage, mit dem Kapselboden (3) im Wesentlichen gleichzeitig mit dem Verbund von beiden Filterlagen (7.1,7.2) erfolgt", nicht aus D5 bekannt sei.
1.5.2 Die Einspruchsabteilung war der Auffassung, dass D5 nicht zeige, dass die Siegelung der Lagen untereinander und die Siegelung an dem Kapselboden im Wesentlichen gleichzeitig stattfinde.
1.5.3 Die Patentinhaberin argumentierte, dass D5 das strittige Merkmal 14.4 des gleichzeitigen Verbindens der beiden Filterlagen und des Filters mit dem Kapselboden nicht beschreibe. Ein Verbund des Filterelements mit dem Kapselboden sei durchaus möglich, ohne die Lagen des Filterelementes miteinander zu verbinden. Eine nicht gleichzeitige Verbindung sei technisch möglich.
1.5.4 Die Kammer folgt entgegen der angefochtenen Entscheidung hingegen der Einsprechenden, dass D5 nach dem auf Seite 12, Zeilen 7 bis 35, beschriebenen Gegenstand unmittelbar und eindeutig ein gleichzeitiges Verbinden der unteren, den Kapselboden berührende Lage, mit dem Kapselboden mit dem Verbund der Filterlagen offenbart (siehe Schriftsatz der Einsprechenden vom 9. Mai 2023, Seite 9).
Wie von der Einsprechenden überzeugend vorgetragen, wird in dieser Ausführungsform nach D5 das mehrlagige Filterelement mit dem Kapselboden durch Siegeln verbunden (D5, Seite 12, Zeilen 14 bis 16). Das Verbinden der Lagen miteinander erfolgt beim Siegeln (D5, Seite 12, Zeilen 20 bis 21) der unteren Lage an den Kapselboden (D5, Seite 12, Zeilen 14 bis 16). Damit findet zwangsläufig das Siegeln der beiden Lagen untereinander und das Siegeln an dem Kapselboden im Wesentlichen gleichzeitig statt.
Somit offenbart Dokument D5 offenbart auch das einzige strittige Merkmal 14.4 von Anspruch 14. Daher ist der Gegenstand von Anspruch 14 nicht neu gegenüber der Offenbarung von D5.
1.6 Neuheit gegenüber D5 - Anspruch 15 (Artikel 54 EPÜ)
Die Einsprechende machte geltend, dass die Offenbarung von D5 den Gegenstand von Anspruch 15 neuheitsschädlich vorwegnehme (Beschwerdebegründung, Punkt 5.2e).
Die Argumentation der Einsprechenden überzeugt die Kammer nicht von der Unrichtigkeit der diesbezüglich negative Feststellung unter Punkt II.3.4.4 der Gründe der angefochtenen Entscheidung.
Denn das Verfahren nach Anspruch 15 zur Herstellung eines Getränks umfasst eine Portionskapsel nach Anspruch 1 und ist aus den oben unter Punkt 1.4 zum Anspruch 1 angegebenen Gründen mutatis mutandis neu gegenüber der Offenbarung von D5.
2. Hilfsantrag 1
2.1 Zulassung des Hilfsantrags 1 in das Verfahren
Der in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer eingereichte Hilfsantrag 1 beruht auf dem Hauptantrag, der der angefochtenen Entscheidung zugrunde lag, und unterscheidet sich unstreitig vom Hauptantrag lediglich durch die Streichung des Anspruchs 14.
Die Zulassung von Hilfsanträgen, die nach Zustellung der Ladung zur mündlichen Verhandlung eingereicht werden, unterliegt grundsätzlich den Voraussetzungen des Artikels 13 (1) und (2) VOBK 2020, da neue Hilfsanträge regelmäßig zumindest formal als Änderung des Beschwerdevorbringens im Sinne der Artikel 12(4), 13(1) und 13(2) VOBK 2020 gelten.
Diese Streichung des Anspruchs 14 wird im vorliegenden Fall jedoch nicht als Änderung des Beschwerdevorbringens angesehen, da sich daraus keine geänderte Sachlage in Bezug auf die verbleibenden Ansprüche ergibt, wie dies der Fall sein könnte, wenn die Streichung eine völlige Neugewichtung und damit eine Änderung des Verfahrensgegenstands mit sich brächte. Abgesehen von der Frage der Zulassung selbst ist dieser Antrag von der Kammer nicht weiter zu prüfen, da sein Gegenstand bereits von der Kammer geprüft und beschieden worden ist. Insbesondere ist keine neue Diskussion hinsichtlich Neuheit des Gegenstands von Anspruch 1 zu führen.
Vorliegend bereinigt der Verzicht auf den Gegenstand von Anspruch 14 das Verfahren nur um einen Streitpunkt, ohne den Gegenstand von Anspruch 1 in ein neues Licht zu rücken und ohne dass dies sonstige Auswirkungen auf das jeweilige Beschwerdevorbringen der Parteien hätte.
Da die Kammer vorliegend keine Änderung des Vorbringens erkennt, sind die Voraussetzungen von Artikel 13 (2) VOBK 2020 nicht gegeben. Die Kammer sieht daher keinen Grund, den Hilfsantrag 1 nicht in das Verfahren zuzulassen.
2.2 Neuheit (Artikel 54 EPÜ)
Der jeweilige Gegenstand von Anspruch 1 und Anspruch 15 gemäß Hilfsantrag 1 ist aus den oben unter den Punkten 1.2, 1.4 und 1.6 angegebenen Gründen neu gegenüber der jeweiligen Offenbarung von D4 und D5.
2.3 Zulassung von Einwänden mangelnder erfinderischer Tätigkeit in das Verfahren
2.3.1 Die Einsprechende beantragte während der mündlichen Verhandlung vor der Kammer zur Frage der erfinderischen Tätigkeit vorzutragen, vorausgesetzt, dass die Kammer der Vlies/Filz-Argumentation der Einsprechenden gefolgt sei und die Neuheit aufgrund anderer Argumente anerkannt habe, und zwar die angebliche Nicht-Kombinierbarkeit von verschiedenen Passagen bzw. Ausführungsbeispielen von D5. Letzteres wäre für die Einsprechende eine unerwartete Wendung, auf die sie sich zum Zeitpunkt der Einreichung der Beschwerdebegründung nicht hätte vorbereiten können.
2.3.2 Die Kammer sieht jedoch keinen Grund, Einwände mangelnder erfinderischer Tätigkeit in diesem späten Stadium des Verfahrens nach Artikel 13 (2) VOBK 2020 zu berücksichtigen.
Die Einsprechende hat sich nach eigener Aussage bewusst dafür entschieden, keinen Einwand mangelnder erfinderischer Tätigkeit zu erheben, da sie einen solchen Vortrag als nachteilig für ihren Neuheitseinwand ansah. Sie hat diesen Einwand daher weder in ihrer Beschwerdebegründung noch in ihrem Schriftsatz vom 9. Mai 2023, der weniger als zwei Wochen vor der mündlichen Verhandlung vor der Kammer eingereicht wurde, erhoben.
In ihren schriftlichen Eingaben machte die Einsprechende also niemals Einwände mangelnder erfinderischer Tätigkeit geltend. Vielmehr hat sie sich aufgrund eigenverantwortlicher Verfahrensführung dafür entschieden, bis zur mündlichen Verhandlung vor der Kammer zu warten, um die Zulassung eines solchen Einwands auf der Basis der Erwiderung der Patentinhaberin auf den Einwand mangelnder Neuheit gegenüber D5 zu beantragen.
Das Abwarten der Argumente der Beschwerdegegnerin, um neue Angriffslinien vorzubringen, entspricht allerdings nicht dem Vorgehen, das von einer Beschwerdeführerin erwartet wird, insbesondere nicht in einem so späten Stadium des Verfahrens, im Hinblick auf die Erfordernisse von Artikel 12 (3) VOBK 2020, wonach die Beschwerdebegründung das vollständige Beschwerdevorbringen der Beschwerdeführerin enthalten muss.
Darüber hinaus ist die Kammer davon überzeugt, dass die Einsprechende vorliegend auch hinsichtlich der Argumentationslinie der Patentinhaberin zur Neuheit des Gegenstands von Anspruch 1, die auf der Kombination verschiedener Ausführungsformen von D5 beruht, Einwände zur erfinderischen Tätigkeit bereits mit ihrer Beschwerdebegründung hätte erheben können und müssen, zumal eine solche Argumentationslinie ausweislich der Niederschrift über die mündliche Verhandlung vor der Einspruchsabteilung bereits im Einspruchsverfahren erörtert worden war (siehe Niederschrift auf Seite 2, letzter Absatz).
Infolgedessen ist die Kammer nicht überzeugt, dass außergewöhnliche Umstände für die Zulassung eines verspätet vorgebrachten Einwandes mangelnder erfinderischer Tätigkeit vorliegen (Artikel 13 (2) VOBK 2020).
3. Die Kammer stellt fest, dass die Aufrechterhaltung des Patents auf der Grundlage des Hilfsantrags 1 eine weitere Anpassung der Beschreibung erfordert, deren Erörterung in der mündlichen Verhandlung angesichts der vorgenommenen Änderungen weder den Parteien noch der Kammer zugemutet werden kann. Die Kammer hält daher eine Zurückverweisung an die Einspruchsabteilung gemäß Artikel 11 VOBK 2020 für sachdienlich. Die Beteiligten haben der beabsichtigten Zurückverweisung zugestimmt.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
4. Die Angelegenheit wird an die Einspruchsabteilung mit der Anordnung zurückverwiesen, ein Patent mit folgenden Ansprüchen und einer noch anzupassenden Beschreibung aufrechtzuerhalten:
Ansprüche:
Nr.: 1 bis 13, 15 eingereicht 23. November 2020.