T 1472/21 () of 8.5.2024

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2024:T147221.20240508
Datum der Entscheidung: 08 Mai 2024
Aktenzeichen: T 1472/21
Anmeldenummer: 16020066.3
IPC-Klasse: E03D 9/08
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: DUSCH-WC MIT ABSPERRBARER WASSERZULEITUNG
Name des Anmelders: Geberit International AG
Name des Einsprechenden: Presano AG
Kammer: 3.2.03
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 108
European Patent Convention R 99(2)
European Patent Convention Art 123(2)
Rules of procedure of the Boards of Appeal 2020 Art 013(2)
European Patent Convention Art 83
European Patent Convention Art 52(1)
European Patent Convention Art 54
European Patent Convention Art 56
European Patent Convention Art 84
Schlagwörter: Zulässigkeit der Beschwerde - (ja)
Hauptantrag - unzulässig erweitert (ja)
Hilfsantrag 1_neu - Änderung nach Zustellung der Mitteilung (ja) - Verstoß gegen das Verschlechterungsverbot (nein) - außergewöhnliche Umstände (ja) - zugelassen (ja)
Hilfsantrag 1_neu - Ausführbarkeit (ja) - Neuheit (ja) - erfinderische Tätigkeit (ja)
Hilfsantrag 1_neu - Beschreibung ausreichend angepasst (ja)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
G 0009/92
G 0001/99
T 0882/17
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Einsprechende (Beschwerdeführerin) legte Beschwerde gegen die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung ein, wonach das Streitpatent in der Fassung des damaligen Hilfsantrags 1 die Erfordernisse des EPÜ erfüllt.

II. Am Ende der mündlichen Verhandlung vor der Kammer lauteten die Anträge der Beteiligten wie folgt.

Die Beschwerdeführerin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents.

Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte die Zurückweisung der Beschwerde und die Aufrechterhaltung des Patents in der von der Einspruchsabteilung für gewährbar erachteten Fassung (Hauptantrag). Hilfsweise beantragte die Beschwerdegegnerin die Aufrechterhaltung des Patents in geänderter Fassung gemäß Hilfsanträgen 1_neu oder 2_neu, eingereicht mit dem Schreiben vom 30. April 2024, sowie weiter hilfsweise gemäß Hilfsanträgen 1 bis 4, eingereicht mit der Beschwerdebegründung.

III. In der vorliegenden Entscheidung wird auf folgende Dokumente Bezug genommen:

D1: WO 2017/011922 A1 (26. Januar 2017)

D2: DE 10 2011 011 624 A1

D6: US 5,937,455

D1 gehört zum Stand der Technik gemäß Artikel 54 (3) EPÜ.

IV. Die in der vorliegenden Entscheidung behandelten Ansprüche haben den folgenden Wortlaut.

Anspruch 1 in der von der Einspruchsabteilung für gewährbar erachteten Fassung (vorliegender Hauptantrag) lautet (mit hinzugefügter Merkmalsgliederung in eckigen Klammern):

"[A] Dusch-WC mit einer Duscheinrichtung, einer Wasserzuleitung (6) der Duscheinrichtung und einem Ventil (4) in der Wasserzuleitung (6) zum Steuern des Wasserzulaufs zu der Duscheinrichtung,

gekennzeichnet durch

[B] eine Einrichtung (11, 12) zum Erfassen eines unkontrollierten Wasserzulaufs durch die Wasserzuleitung (6), nämlich einen auf einen einen Sollwert überschreitenden Wasserstand ansprechenden Sensor (11) oder einen dadurch ausgelösten Schalter, und

[C] ein weiteres Ventil (5) in der Wasserzuleitung (6) zum Absperren der Wasserzuleitung (6) bei einem infolge einer Störung des zuvor genannten Ventils (4) zum Steuern des Wasserzulaufs unkontrollierten Wasserzulauf durch die Wasserzuleitung (6),

[D] wobei das Dusch-WC dazu ausgelegt ist, dass das weitere Ventil (5) abhängig von der Erfassung eines solchen unkontrollierten Wasserzulaufs angesteuert wird und die Wasserzuleitung (6) schließt,

[E] wobei der Sensor (11) oder Schalter so ausgelegt ist, dass er zeitunabhängig durch ein Überschreiten eines Sollwerts in einem Boiler oder Frischwassertank (8) des Dusch-WCs ausgelöst wird."

Anspruch 1 des Hilfsantrags 1_neu unterscheidet sich von Anspruch 1 des Hauptantrags durch die folgenden, durch Streichung oder Unterstreichung hervorgehobenen Änderungen:

"[E'] wobei der Sensor (11) oder Schalter so ausgelegt ist, dass er [deleted: zeitunabhängig ]durch ein Überschreiten eines Sollwerts durch einen Wasserstand in einem Boiler oder Frischwassertank (8) des Dusch-WCs ausgelöst wird,

dadurch gekennzeichnet, dass [F] der Sensor (11) oder Schalter ein Feuchtigkeitssensor ist, der durch den Wasserstand aktiviert werden kann und daraufhin eine Steuerschaltung zu einem Stellbefehl an das weitere Ventil (5) veranlasst, oder ein Schwimmschalter ist, der ab einer bestimmten Wasserstandshöhe einen Kontakt schließt oder öffnet und damit die Steuerschaltung zu einem Stellbefehl an das weitere Ventil (5) veranlasst oder direkt das weitere Ventil (5) zum Absperren veranlasst."

V. Das Vorbringen der Beschwerdeführerin kann wie folgt zusammengefasst werden.

Zulässigkeit der Beschwerde

Die Beschwerde sei ausreichend begründet und daher zulässig.

Hauptantrag

Die Änderung durch Hinzufügen von "zeitunabhängig" in Anspruch 1 (Merkmal E) verstoße gegen die Erfordernisse von Artikel 123 (2) EPÜ.

Hilfsantrag 1_neu

Hilfsantrag 1_neu verstoße gegen das Verschlechterungsverbot, da die Alternative eines Feuchtigkeitssensors nicht unbedingt "zeitunabhängig" ausgelöst werde und den beanspruchten Gegenstand daher gegenüber dem von der Einspruchsabteilung für gewährbar erachteten Antrag verbreitere, während es mit der von der Beschwerdeführerin nicht beanstandeten Alternative eines Schwimmschalters eine Möglichkeit gebe, den Mangel des Hauptantrags auszuräumen, ohne gegen das Verschlechterungsverbot zu verstoßen. Der Hilfsantrag 1_neu sei daher prima facie nicht gewährbar und deshalb selbst bei einer Rechtfertigung für die Verspätung nicht zuzulassen.

Der Gegenstand des Hilfsantrags 1_neu sei nicht ohne Weiteres ausführbar, da das Patent nicht offenbare, wie und wo die in Anspruch 1 genannte "Steuerschaltung" aufgebaut sei und was unter einem "Stellbefehl" zu verstehen sei. Zudem gebe es keine Offenbarung, wie der Fachmann dies zeitunabhängig ausführen könne.

Der Gegenstand von Anspruch 1 des Hilfsantrags 1_neu sei nicht neu gegenüber D1, welche ebenfalls einen "Feuchtigkeitssensor, der durch den Wasserstand aktiviert werden kann" im Sinne des Patents offenbare.

Der Gegenstand von Anspruch 1 des Hilfsantrags 1_neu beruhe nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit, weil der Fachmann ausgehend von D2 durch eine naheliegende Automatisierung des bisher von einem Benutzer ausgeführten Tätigkeit zum Gegenstand von Anspruch 1 gelangt wäre.

Die Beschreibung enthalte in den Absätzen [0024], [0026], [0028] und [0029] das Wort "Wassersensor" und sei daher nicht ausreichend an die Ansprüche des Hilfsantrags 1_neu angepasst, die einen "Feuchtigkeitssensor" verlangten.

VI. Die Beschwerdegegnerin trug im Wesentlichen Folgendes vor.

Zulässigkeit der Beschwerde

Die Beschwerdebegründung wiederhole lediglich das im Einspruch getätigte Vorbringen, setze sich jedoch nicht mit den in der angefochtenen Entscheidung gegebenen Begründungen auseinander. Damit fehle ein substantiierter Vortrag, weshalb die Entscheidung aufzuheben sei.

Hauptantrag

Die Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung enthalte den Begriff "zeitunabhängig" zwar nicht wörtlich, offenbare aber, dass die erfindungsgemäße Überwachung unabhängig von der - zeitlich nicht begrenzten - Abwesenheitszeit des Benutzers und damit "zeitunabhängig" sein müsse. Die Änderung in Anspruch 1 stehe daher im Einklang mit Artikel 123 (2) EPÜ.

Hilfsantrag 1_neu

Hilfsantrag 1_neu sei eine Reaktion auf den erstmals in der Mitteilung der Kammer nach Artikel 15 (1) VOBK erhobenen Einwand wegen einer reformatio in peius gegen die Hilfsanträge 1 bis 4. Die in Anspruch 1 enthaltene Einschränkung auf einen Schwimmschalters folge der impliziten Anregung der Kammer. Die andere Alternative, ein Feuchtigkeitssensor, werde auf den für die Erfindung relevanten Zeitskalen ebenfalls "zeitunabhängig" ausgelöst. Anspruch 1 behebe daher den Mangel des Hauptantrags, ohne gegen das Verschlechterungsverbot zu verstoßen, und sei als zeitgerechte Reaktion zuzulassen.

Wie die in Anspruch 1 erwähnte "Steuerschaltung" und ein "Stellbefehl" zum Schließen eines Ventils realisiert werden könnten, sei fachbekannt und könne von einem Fachmann auch ohne detailliertere Offenbarung ausgeführt werden, insbesondere für ein "normally closed"-Ventil (Patent, Absatz [0024]). Das Patent erfülle daher die Erfordernisse von Artikel 83 EPÜ.

Der Gegenstand von Anspruch 1 sei neu gegenüber D1, welche keinen Sensortyp nenne und daher weder einen Schwimmschalter noch einen "Feuchtigkeitssensor" offenbare.

Der Gegenstand von Anspruch 1 beruhe ausgehend von D2 auf einer erfinderischen Tätigkeit, weil die von der Beschwerdeführerin vorgetragene Automatisierung nicht naheliegend sei.

Eine Beschreibungsanpassung der Absätze [0024], [0026], [0028] und [0029] sei nicht erforderlich, da der im detaillierten Ausführungsbeispiel genannte "Wassersensor" auch ein "Feuchtigkeitssensor" sei und daher nicht im Widerspruch zum Gegenstand der Ansprüche stehe.

Entscheidungsgründe

1. Zulässigkeit der Beschwerde

Die Beschwerdegegnerin verwies in ihrer Beschwerdeerwiderung mehrfach darauf, dass das Vorbringen der Beschwerdeführerin in der Beschwerdebegründung sich in einer Wiederholung des im Einspruch getätigten Vorbringens erschöpfe und sich insbesondere nicht mit der in der angefochtenen Entscheidung gegebenen Begründung auseinandersetze.

Eine substantiierte Begründung, aus welchen Gründen die angefochtene Entscheidung aufzuheben sei, ist eine Grundvoraussetzung für die Zulässigkeit der Beschwerde gemäß Artikel 108 und Regel 99 (2) EPÜ (vgl. auch Rechtsprechung der Beschwerdekammern, 10. Auflage, 2022, V.A.2.6.3 f)). Für die Zulässigkeit der Beschwerde eines Einsprechenden genügt es jedoch bereits, wenn für zumindest einen der tragenden Einspruchsgründe dargelegt wird, warum die Entscheidung aufzuheben sei, unabhängig davon, ob die Begründung überzeugend ist.

Dies ist nach Ansicht der Kammer im vorliegenden Fall gegeben, vgl. die direkte Bezugnahme auf die Begründung der angefochtenen Entscheidung auf Seite 3, zweiter und dritter Absatz, und auf Seite 4 und 9 sowie auf die in der Entscheidung geäußerte Auffassung der Einspruchsabteilung z.B. unter Punkt 5.1.3 auf Seite 6 und unter Punkt 5.1.4.1 auf Seite 8. Zudem nimmt die Beschwerdebegründung mit der Frage, ob die Einschränkung "zeitunabhängig" technisch sei (Seite 7) und mit der Einreichung von D6 zum Beleg des Fachwissens (Seite 10) auch indirekt Bezug auf den Inhalt der angefochtenen Entscheidung.

Daher erfüllt die Beschwerde die oben genannten Zulässigkeitsvoraussetzungen.

2. Hauptantrag - Artikel 123 (2) EPÜ

2.1 Streitig war, ob die Änderung in Anspruch 1 des vorliegenden Hauptantrags gegenüber dem erteilten Anspruch 1 durch Aufnahme des Begriffs "zeitunabhängig" in Merkmal E den Erfordernissen von Artikel 123 (2) EPÜ genügt.

2.2 Es bestand Einigkeit darüber, dass der Begriff "zeitunabhängig" in der ursprünglich eingereichten Anmeldung nicht wörtlich offenbart ist.

2.3 Die Beschwerdegegnerin trug vor, diese Änderung stütze sich auf die Passagen der ursprünglich eingereichten Beschreibung, wonach mit der Erfindung die Folgen einer Funktionsstörung des Absperrventils, die unter anderem bei längerer Abwesenheit des Benutzers zu beträchtlichen ökonomischen oder baulichen Schäden führen könnten, verhindert werden sollen (Seite 1, Zeile 30, bis Seite 2, Zeile 3; Seite 2, Zeilen 14 bis 17; Seite 3, Zeilen 2 bis 4). Dies beinhalte die positive technische Lehre, dass die erfindungsgemäße Überwachung unabhängig von der - nicht festgelegten - Abwesenheitszeit des Benutzers, und damit "zeitunabhängig" sein müsse.

2.4 Für die Kammer stellt dies jedoch keine ausreichende Grundlage für die in Merkmal E von Anspruch 1 aufgenommene Änderung dar. Denn selbst wenn sich der Offenbarungsgehalt der genannten Stellen mit dem Begriff "zeitunabhängig" ausdrücken ließe, beträfe diese Qualifizierung die gesamte erfindungsgemäße Sicherheitsmaßnahme einschließlich der Steuerung des Ventils. Die Änderung "zeitunabhängig" in Merkmal E bezieht sich jedoch nur auf die Auslöseeigenschaften des Sensors oder Schalters, für die es im Streitpatent keine unmittelbare und eindeutige Offenbarung bezüglich der Zeitabhängigkeit gibt. Die Änderung in Anspruch 1 enthält daher zumindest insofern eine Verallgemeinerung, als nach der ursprünglichen Offenbarung auch die Überwachung des Sensors oder Schalters und die Ansteuerung des Ventils "zeitunabhängig" sein müssten.

2.5 Die Beschwerdegegnerin argumentierte, dass Anspruch 1 implizit die gesamte Kette der zeitunabhängigen Sicherheitsmaßnahme enthalte, da gemäß Merkmal D das Dusch-WC - beziehungsweise eine darin implizit enthaltene Steuerung - dazu ausgelegt sei, dass auf die Erfassung eines unkontrollierten Wasserzulaufs durch den Sensor oder Schalter hin das weitere Ventil "angesteuert wird und die Wasserzuleitung schließt". Anspruchsgemäß folge auf das zeitunabhängige Auslösen des Sensors oder Schalters daher immer, und somit ebenfalls zeitunabhängig, die entsprechende Ansteuerung des Ventils. Somit erstrecke sich die "Zeitunabhängigkeit" auf die gesamte Sicherheitsmaßnahme.

2.6 Die Kammer ist anderer Ansicht. Trotz einer grundsätzlichen Auslegung, das Ventil auf das Auslösen von Sensor oder Schalter hin zu schließen, muss die Steuerung dies nicht unbedingt "zeitunabhängig" tun. So ist beispielsweise auch die Steuerung in D1 grundsätzlich so eingerichtet und erfüllt daher das Merkmal D, beendet die Überwachung aber, wenn das Auslösen nicht "innerhalb eines vorbestimmten Zeitintervalls" eintritt (Seite 6, letzte beiden Absätze). Merkmal D in Verbindung mit der Zeitunabhängigkeit des Auslösens des Sensors oder Schalters bedeuten also nicht implizit, dass die Steuerung und das zusätzliche Sicherheitsventil auch bei längerer Abwesenheit des Benutzers bzw. "zeitunabhängig" auf eine Fehlfunktion des Absperrventils reagieren.

2.7 Folglich beruht die Änderung in Merkmal E von Anspruch 1 zumindest auf einer unzulässigen Verallgemeinerung des Inhalts der ursprünglich eingereichten Anmeldung und verstößt daher gegen die Erfordernisse von Artikel 123 (2) EPÜ. Daher ist der Hauptantrag nicht gewährbar.

3. Hilfsantrag 1_neu

3.1 Zulassung

3.1.1 Hilfsantrag 1_neu wurde nach Zustellung der Mitteilung gemäß Artikel 15 (1) VOBK eingereicht und stellt eine Änderung des Beschwerdevorbringens der Beschwerdegegnerin dar, deren Zulassung gemäß Artikel 13 (2) VOBK im Ermessen der Kammer steht.

3.1.2 Die Kammer wertet den Hilfsantrag 1_neu wie von der Beschwerdegegnerin vorgetragen als Reaktion auf den in der Mitteilung der Kammer gemäß Artikel 15 (1) VOBK von Amts wegen erhobenen Einwand wegen eines Verstoßes gegen das Verschlechterungsverbot (vgl. G 9/92, Leitsatz II sowie, zur Erhebung von Amts wegen, T 882/17, Nr. 3.20 der Gründe) durch das Fehlen von "zeitunabhängig" in den Hilfsanträgen 1 bis 4 sowie auf ihre vorläufige Einschätzung, dass im Hinblick auf eine mögliche Ausnahme vom Grundsatz des Verschlechterungsverbots gemäß G 1/99 (Leitsatz) mit einer Einschränkung des Sensors oder Schalters auf einen "Schwimmschalter" (Seite 3, Zeilen 11 bis 14) eine Möglichkeit bestehe, das beanstandete Merkmal "zeitunabhängig" durch ein ursprünglich offenbartes Merkmal zu ersetzen, welches den Schutzumfang des Anspruchs gegenüber dem von der Einspruchsabteilung für gewährbar erachteten Antrag einschränkt (siehe erster Spiegelstrich im Leitsatz der G 1/99). Da bei der Prüfung einer mögliche Ausnahme vom Grundsatz des Verschlechterungsverbots die in G 1/99 vorgegebene Reihenfolge von Möglichkeiten zu beachten sei, könne eine einfache Streichung des Merkmals (siehe dritter Spiegelstrich im Leitsatz der G 1/99) zur Beseitigung des Mangels nicht gestattet werden.

3.1.3 In Anspruch 1 von Hilfsantrag 1_neu ist "zeitunabhängig" in Merkmal E durch die Einschränkung ersetzt, dass der Schalters oder Sensor "ein Feuchtigkeitssensor ist, der durch den Wasserstand aktiviert werden kann, [...] oder ein Schwimmschalter [...], der ab einer bestimmten Wasserstandshöhe einen Kontakt schließt oder öffnet", wobei "daraufhin" bzw. "damit" die Schließung des weiteren Ventils veranlasst wird. Der Hilfsantrag 1_neu enthält folglich zwei alternative Einschränkungen des Sensors oder Schalters.

3.1.4 Die Beschwerdeführerin hatte nichts gegen die Zulassung der Alternative des Schwimmschalters einzuwenden, vertrat aber die Auffassung, dass ein "Feuchtigkeitssensor" nicht notwendigerweise dazu ausgelegt sei, "zeitunabhängig" ausgelöst zu werden. Die Alternative eines Feuchtigkeitssensors beinhalte daher eine Erweiterung des Anspruchsgegenstands gegenüber dem Hauptantrag und sei somit wegen Verstoßes gegen das Verschlechterungsverbots, auch im Hinblick auf G 1/99 wegen der Möglichkeit der Einschränkung auf einen Schwimmschalter, prima facie nicht gewährbar. Der Hilfsantrag 1_neu sei daher nicht zuzulassen.

3.1.5 Wie oben dargelegt betrifft der Zusatz "zeitunabhängig" in Merkmal E des Hauptantrags eine Einschränkung der Auslöseeigenschaften des Sensor oder Schalters, nicht der Gesamtschaltung. Bei einem Schwimmschalter besteht das "Ausgelöst werden" im Öffnen oder Schließen des Kontakts, und es war unstreitig, dass dies inhärent "zeitunabhängig" stattfindet.

Bei dem beanspruchten "Feuchtigkeitssensor" ist weder das Wirkprinzip noch die Auswertung des "Ausgelöstwerdens" festgelegt - es ist deshalb nicht festgelegt, welche zeitliche Auslösecharakteristik ein solcher Sensor aufweist. Insofern ist denkbar, dass der Sensor nicht instantan reagiert oder die Zeitcharakteristik seines Ausgelöstwerdens von der Auswerteschaltung bestimmt wird.

Wie von der Beschwerdegegnerin vorgetragen, liegt eine derartige mögliche Zeitabhängigkeit bei technisch sinnvoller Auslegung aus Sicht des Fachmanns jedoch in einer Größenordnung, durch die trotzdem Schäden durch einen plötzlichen unkontrollierten Wasserzulauf zuverlässig verhindert werden, und die daher für die vorliegenden Erfindung unwesentlich ist. Folglich ist die Auslösecharakteristik des beanspruchten Feuchtigkeitssensors als "zeitunabhängig" im Sinn des vorliegenden Streitpatents zu verstehen.

Auch die Alternative des Feuchtigkeitssensors schränkt daher den Gegenstand von Anspruch 1 des Hilfsantrags 1_neu so weit ein, dass er trotz der Streichung von "zeitunabhängig" in Merkmal E gegenüber dem Hauptantrag nicht erweitert ist.

Folglich verstoßen beide Alternativen in Anspruch 1 von Hilfsantrag 1_neu nicht gegen das Verbot einer reformatio in peius. Somit steht der Zulassung von Hilfsantrag 1_neu keine mangelnde prima facie Gewährbarkeit entgegen.

3.1.6 Aus diesen Gründen kam die Kammer zu dem Schluss, dass außergewöhnliche Umstände vorliegen, die die Zulassung von Hilfsantrag 1_neu rechtfertigen. Sie entschied daher, den Hilfsantrag 1_neu gemäß Artikel 13 (2) VOBK zuzulassen.

3.2 Ausführbarkeit

Die Beschwerdeführerin trug vor, das Streitpatent offenbare nicht, wie und wo die in Anspruch 1 genannte "Steuerschaltung" aufgebaut sei und was unter einem "Stellbefehl" zu verstehen sei. Zudem gebe es keine Offenbarung, wie der Fachmann dies zeitunabhängig ausführen könne.

Dieser Einwand ist nicht überzeugend. Die in Anspruch 1 von Hilfsantrag 1_neu spezifizierte "Steuerschaltung" ist im Patent mit dem Referenzzeichen 12 (Figur 1) offenbart. Sie kann vorzugsweise als von der für die übrigen Betriebsabläufe des Dusch-WCs vorgesehenen Gesamtsteuerung (16) unabhängige Steuerung realisiert werden (Anspruch 7; Absätze [0019] und [0020]). Wie von der Beschwerdegegnerin vorgetragen, ist die übliche und daher fachbekannte Gesamtsteuerung eines Dusch-WCs ebenfalls dazu ausgelegt, eine Füllstandskontrolle des Wassertanks durchzuführen und etwa (wie in Figur 1 des Streitpatents) auf das Auslösen eines Füllstandsensors 15 hin ein Regelventil 4 zu steuern. Auch unabhängig von diesem Beispiel stellt nach der Überzeugung der Kammer eine entsprechende Steuerschaltung mit Stellbefehlen für das Ventil für den Fachmann keine Schwierigkeit für die Ausführbarkeit dar. Gemäß Absatz [0024] kann als weiteres Ventil 5 zudem ein "normally-closed"-Ventil zum Einsatz kommen, bei dem der "Stellbefehl" zum Schließen des Ventils schlicht aus einer Unterbrechung der Spannungsversorgung besteht.

Ob und in welchem Sinne die Steuerung "zeitunabhängig" arbeitet, ist in Anspruch 1 von Hilfsantrag 1_neu nicht gefordert und für die Ausführbarkeit daher ohne Belang.

Somit offenbart das Patent die Erfindung von Anspruch 1 so deutlich und vollständig, dass ein Fachmann sie ausführen kann.

3.3 Neuheit, D1

Die Beschwerdeführerin argumentierte, D1 offenbare die Detektion der Zunahme des Wasserniveaus in einem Wassertank durch einen weiteren Sensor (Seite 6, dritter Absatz). D1 offenbare folglich im Sinne des Patents (vgl. Absatz [0024]) einen Wasser- bzw. "Feuchtigkeitssensor, der durch den Wasserstand aktiviert werden kann".

Ein Sensor, "welcher für das Messen des Wasserniveaus im Wassertank" vorgesehen ist (Seite 6, zweiter Absatz in D1), ist jedoch nicht unbedingt ein "Feuchtigkeitssensor". Es könnte sich, wie von der Beschwerdegegnerin vorgetragen, beispielsweise auch um einen optischen Sensor handeln, der nicht auf die Umgebungsfeuchtigkeit anspricht, oder um einen Ultraschall-Füllstandssensor, wie in der Mitteilung der Kammer erwähnt. D1 offenbart somit einen allgemeineren Sensor, der zwar auch einen Feuchtigkeitssensor umfasst, diesen aber nicht unmittelbar und eindeutig offenbart.

Folglich ist der Gegenstand von Anspruch 1 neu gegenüber Dokument D1, das zum Stand der Technik gemäß Artikel 54 (3) EPÜ zählt.

3.4 Erfinderische Tätigkeit

Die Beschwerdeführerin trug einen Einwand wegen mangelnder erfinderischer Tätigkeit gegen Anspruch 1 des Hilfsantrags 1_neu ausgehend von D2 in Verbindung mit dem allgemeinen Fachwissen vor. Weitere Einwände zur erfinderischen Tätigkeit wurden gegen Hilfsantrag 1_neu nicht geltend gemacht.

3.4.1 D2 offenbart einen Tank für die Duschvorrichtung eines Dusch-WCs, der Sensoren für einen Minimal- und Maximalfüllstand aufweist, anhand derer das Magnetventil der Wasserzuführung elektronisch gesteuert wird (Figur 1; Zusammenfassung).

Für den Fall eines Defekts, bei dem die Wasserzufuhr nicht vollständig abgestellt werden kann, verfügt der Tank außerdem über eine Überlaufleitung (33, 35) zum kontrollierten Abführen des überschüssigen Wassers, der "an einer Stelle mündet, die vom Benutzer einfach einsehbar ist, so dass er einen etwaigen Wasserüberlauf sofort erkennen kann" (Absatz [0014]).

D2 offenbart zudem ein manuelles Eckventil oder Absperrventil in der Zuleitung (Absätze [0013] und [0015]), die es dem Benutzer oder einem Monteur erlauben, die Duschvorrichtung von der Wasserversorgung zu trennen.

3.4.2 Die Beteiligten waren sich einig, dass D2 keinen Sensor oder Schalter zum Erfassung des Überlaufs, keine Steuerung und kein mittels eines Steuerbefehls betätigbares weiteres Ventil offenbart, und sich der Gegenstand von Anspruch 1 des Hilfsantrags 1_neu daher durch die Merkmale B, D, E und F von dem Dusch-WC in D2 unterscheidet.

3.4.3 Nach Ansicht der Beschwerdeführerin lösten die Unterscheidungsmerkmale die Aufgabe der Automatisierung der aus D2 bekannten Maßnahme gegen einen unkontrollierten Wasserzulauf. Die Automatisierung eines bekannten, bislang von einem Benutzer manuell durchgeführten Vorgangs beruhe jedoch gemäß ständiger Rechtsprechung der Beschwerdekammern nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit. Die Beschwerdeführerin trug insbesondere vor, es sei naheliegend gewesen, die Überwachung des Überlaufs und das Schließen des weiteren Ventils wie folgt zu automatisieren:

Anstelle des menschlichen Auges hätte der Fachmann einen technischen Sensor zur Erfassung des einen Sollwert überschreitenden Wasserstands eingesetzt. Gemäß der Lehre in D2 hätte er den Überlauf an einer für den Sensor "einfach einsehbaren" Stelle münden lassen. Zur Erfassung des durch den Überlauf tretenden Wassers wäre ein Feuchtigkeitssensor eine naheliegende Lösung gewesen. Die darauffolgende kognitive Reaktion des Benutzers und das manuelle Schließen des Absperrventils hätte der Fachmann auf naheliegende Weise durch eine Steuerschaltung und ein durch diese ansteuerbares Absperrventil realisiert.

3.4.4 Diese Argumentation ist für die Kammer jedoch nicht überzeugend, da die vorgetragene Automatisierung mehrere, nicht zwingend aufeinander folgende Schritte umfasst, die der Fachmann miteinander hätte kombinieren müssen, um zum Gegenstand von Anspruch 1 zu gelangen.

Zunächst offenbart D2 hinsichtlich des Auftretens eines unkontrollierten Wasserzulaufs mit der visuellen Erfassung und dem nachfolgenden Abstellen der Wasserzufuhr zwei Schritte, die in D2 nicht ausdrücklich als zusammengehörig offenbart sind. So wird zwar betont, dass der Benutzer einen Wasserüberlauf sofort erkennen können soll. Ob er aber "daraufhin" selbst das Eck- oder Absperrventil schließt oder andere Maßnahmen veranlasst, wie z.B. einen Monteur zu verständigen, das austretende Wasser aufzufangen oder den Hausanschluss abzusperren, lässt D2 offen. So besteht auch die vorgetragene Automatisierung aus zwei Schritten, nämlich der Automatisierung der Detektion eines Wasserüberlaufs und dem daraufhin folgenden automatischen Schließen des weiteren Ventils als Gegenmaßnahme, die gemäß D2 aber nicht unmittelbar miteinander verknüpft sind. So wäre es denkbar, dass der Fachmann anhand der Lehre in D2 zunächst nur auf den Gedanken gekommen wäre, die Erfassung zu automatisieren und deren Ergebnis dem Benutzer zum Beispiel optisch, akustisch oder per Telekommunikation zu mitzuteilen. Der weitere Gedanke, auch das Schließen des Ventils zu automatisieren, und beide Automatisierungsschritte miteinander zu verknüpfen, ergibt sich nicht aus D2.

Weiter wäre die direkte technische Analogie zur visuellen Erfassung eines Wasserüberlaufs durch den Benutzer die automatische Erfassung des Wasserüberlaufs durch eine optische Bilderfassung. Gemäß dem Vortrag der Beschwerdeführerin hätte der Fachmann stattdessen jedoch einen einfachen Feuchtigkeitssensor verwendet. Nach Ansicht der Kammer erfordert dies gegenüber einer einfachen Automatisierung des bekannten Vorgangs der D2 einen weiteren gedanklichen Schritt durch den Fachmann.

Den Überlauf dann noch an einer anderen Stelle münden zu lassen, die statt für einen Benutzer für den Sensor "einfach einsehbar" ist, stellt eine weitere Modifikation dar, die weder zwingend ist, da ein Sensor sich prinzipiell überall anbringen lässt, noch so einfach ist, wie es auf den ersten Blick erscheinen mag. Denn D2 betont, dass das überschüssige Wasser nicht "unkontrolliert" überlaufen, sondern kontrolliert "abgeführt" werden soll (Absatz [0014]). Um bei einer Mündung des Überlaufs an einer anderen Stelle als im Raum eine Detektion zu ermöglichen und ein unkontrolliertes Überlaufen zu verhindern, müsste also ein Auffangbehältnis geschaffen werden, ohne dass damit das Abführen vollständig gelöst wäre. Als Alternative für das Abführen des überschüssigen Wassers schlägt D2 vor, die Überlaufleitung in den Spülkasten des WCs und damit letztlich über dessen Überlauf in die WC-Schüssel münden zu lassen. Ein dort angebrachter Sensor würde jedoch nicht (nur) das Überschreiten eines Sollwerts des Wasserstands im Tank der Duschvorrichtung erfassen, sondern beispielsweise auch einen Spülvorgang oder eine Abflussstörung des WCs. Der Gedanke, den Überlauf an einer anderen Stelle münden zu lassen erfordert somit noch weitere Schritte und wäre im Hinblick auf die Lehre der D2 nicht naheliegend gewesen.

Insgesamt war es daher - auch wegen der Mehrzahl nicht zwingend aufeinander folgender einzelner Veränderungen - für den Fachmann nicht naheliegend, die visuelle Überwachung eines möglichen Wasserüberlaufs und die mögliche Gegenmaßnahme gemäß D2 allein aufgrund des allgemeinen Fachwissens in der von der Beschwerdeführerin vorgetragenen Weise zu automatisieren. Daher beruht der Gegenstand von Anspruch 1 des Hilfsantrags 1_neu auf einer erfinderischen Tätigkeit.

4. Beschreibungsanpassung

Mit der in Absatz [0012] der in der mündlichen Verhandlung eingereichten Beschreibung vorgenommenen Anpassung erklärte sich die Beschwerdeführerin einverstanden.

Sie trug jedoch vor, dass auch das Wort "Wassersensor" in den Absätzen [0024], [0026], [0028] und [0029] durch den nun anspruchsgemäßen "Feuchtigkeitssensor, der durch den Wasserstand aktiviert wird" ersetzt werden müsse.

Nach Ansicht der Kammer entsteht durch das Wort "Wassersensor" jedoch kein Widerspruch zum Anspruchsgegenstand, da ein "Feuchtigkeitssensor" den Wassergehalt in der Umgebung detektiert und daher auch ein "Wassersensor" ist. Eine Anpassung des allgemeineren Begriffs "Wassersensor" in dem detaillierten Ausführungsbeispiel ist auch nicht erforderlich, da der Sensor im angepassten Absatz [0012] in Übereinstimmung mit dem Gegenstand von Anspruch 1 des Hilfsantrags 1_neu bereits auf einen Schwimmschalter oder Feuchtigkeitssensor eingeschränkt ist.

Die in der mündlichen Verhandlung eingereichte Beschreibung genügt daher den Erfordernissen des EPÜ.

5. Schlussfolgerung

Das Patent und die Erfindung, die es zum Gegenstand hat, genügen in der Fassung der Ansprüche gemäß Hilfsantrag 1_neu und der in der mündlichen Verhandlung eingereichten angepassten Beschreibung den Erfordernissen des EPÜ.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Angelegenheit wird an die Einspruchsabteilung mit der Anordnung zurückverwiesen, ein Patent in geändertem Umfang mit folgender Fassung aufrechtzuerhalten:

- Ansprüche 1 bis 7 gemäß Hilfsantrag 1_neu, eingereicht mit Schreiben vom 30. April 2024

- Beschreibung Seiten 2 und 4 der Patentschrift und Seite 3 wie eingereicht in der mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer

- Figur 1 der Patentschrift

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