T 1382/21 () of 24.11.2023

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2023:T138221.20231124
Datum der Entscheidung: 24 November 2023
Aktenzeichen: T 1382/21
Anmeldenummer: 10000465.4
IPC-Klasse: B42D 25/373
B42D 25/29
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Durchsichtssicherheitselement
Name des Anmelders: Giesecke+Devrient Currency Technology GmbH
Name des Einsprechenden: Hueck Folien Gesellschaft m.b.H.
Kammer: 3.2.05
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 83
European Patent Convention Art 100(b)
Schlagwörter: Ausreichende Offenbarung (nein)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
T 1905/10
T 2431/11
T 2773/18
T 1983/19
T 0149/21
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerde der Einsprechenden richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, den Einspruch gegen das europäische Patents Nr. 2 219 168 (nachfolgend als "das Patent" bezeichnet) zurückzuweisen.

II. Von den von der Einspruchsabteilung berücksichtigten Dokumenten waren die folgenden für das Beschwerdeverfahren relevant:

D1 WO 01/03945 A1

D2 WO 03/095227 A1

D4 WO 03/095228 A1

D6 Ergebnisse eines von der Einsprechenden

durchgeführten Simulationsexperiments

III. Während der mündlichen Verhandlung vor der Kammer reichte die Beschwerdegegnerin folgendes Dokument zum Nachweis des allgemeinen Fachwissens ein:

D10 Eintrag zum Begriff "selektiv" im "Lexikon der

Optik, M bis Z", Spektrum Akademischer Verlag,

Heidelberg, 2003, S. 287

IV. Die mündliche Verhandlung vor der Beschwerdekammer fand

am 24. November 2023 als Videokonferenz statt.

V. Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des europäischen Patents.

Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte die Zurückweisung der Beschwerde und hilfsweise die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des europäischen Patents in geänderter Fassung gemäß einem der mit der Beschwerdeerwiderung eingereichten Hilfsanträge 1 bis 3.

VI. Der Wortlaut der unabhängigen Ansprüche 1 und 20 des Patents wie erteilt (Hauptantrag) lautet wie folgt (die von der Einspruchsabteilung verwendete Merkmalsgliederung ist in eckigen Klammern eingefügt):

"1. [M1] Durchsichtssicherheitselement (40) für Sicherheitspapiere, Wertdokumente und dergleichen,

[M2] mit einem Dünnschichtelement (42) mit Farbkippeffekt, das genau eine Metallschicht (44) und zumindest eine Dielektrikumsschicht (46) enthält, wobei [M3] die Metallschicht (44) semitransparent ausgebildet ist, dadurch gekennzeichnet, dass [M4] die semitransparente Metallschicht (44) ein im sichtbaren Spektralbereich selektiv absorbierendes optisches Element bildet und [M5] das Durchsichtssicherheitselement (40) im Auflicht metallisch spiegelnd und farbneutral, und [M6] im Durchlicht farbig erscheint."

"20. [V1] Verfahren zum Herstellen eines Durchsichtssicherheitselements (40) nach wenigstens einem der Ansprüche 1 bis 19, bei dem [V2] ein Dünnschichtelement (42) mit Farbkippeffekt erzeugt wird, [V3] indem genau eine semitransparent ausgebildete Metallschicht (44) mit zumindest einer Dielektrikumsschicht (46) kombiniert wird, [V4] wobei die semitransparente Metallschicht (44) ein im sichtbaren Spektralbereich selektiv absorbierendes optisches Element bildet und [V5] das Durchsichtssicherheitselement (40) im Auflicht metallisch spiegelnd und farbneutral, und [V6] im Durchlicht farbig erscheint."

Die unabhängigen Ansprüche 1 und 18 des Hilfsantrags 1 unterscheiden sich von den Ansprüchen 1 und 20 des Hauptantrags durch das zusätzliche Merkmal Z, dem zufolge "das Durchsichtssicherheitselement (40) im Auflicht bei senkrechter Betrachtung eine Farbigkeit

F < 0,05 aufweist, und im Durchlicht bei senkrechter Betrachtung eine Farbigkeit F > 0,10 aufweist, wobei die Farbigkeit F durch den Abstand der Normfarbwertanteile x, y der Farbe zum Weißpunkt im CIE-Normvalenzsystem gegeben ist".

Der Hilfsantrag 2 enthält drei unabhängige, auf ein Durchsichtssicherheitselement gerichtete Ansprüche, nämlich die Ansprüche 1, 2 und 4.

Anspruch 1 des Hilfsantrags 2 unterscheidet sich von Anspruch 1 des Hauptantrags durch das zusätzliche Merkmal, dass "das Dünnschichtelement (42) ein zweischichtiges Dünnschichtelement ist, das neben der Metallschicht genau eine Dielektrikumsschicht enthält".

Anspruch 2 des Hilfsantrags 2 unterscheidet sich von Anspruch 1 des Hauptantrags durch das zusätzliche Merkmal, dass "das Dünnschichtelement (42) ein dreischichtiges Dünnschichtelement ist, das neben der Metallschicht zwei, auf gegenüberliegenden Seiten der Metallschicht angeordnete Dielektrikumsschichten enthält".

Anspruch 4 des Hilfsantrags 2 unterscheidet sich von Anspruch 1 des Hauptantrags durch das zusätzliche Merkmal, dass "das Dünnschichtelement (42) ein dreischichtiges Dünnschichtelement ist, das neben der Metallschicht zwei übereinander auf derselben Seite der Metallschicht angeordnete Dielektrikumsschichten enthält, und die direkt auf der Metallschicht angeordnete erste Dielektrikumsschicht niedrigbrechend mit einem Brechungsindex n < 1,8 ist und die auf der ersten Dielektrikumsschicht angeordnete zweite Dielektrikumsschicht hochbrechend mit einem Brechungsindex n >= 1,8 ist".

Der unabhängige Verfahrensanspruch 18 des Hilfsantrags 2 unterscheidet sich von Anspruch 20 des Hauptantrags dadurch, dass die Worte "ein Dünnschichtelement (42)" ersetzt sind durch die Worte "ein zweischichtiges Dünnschichtelement (42) nach Anspruch 1, ein dreischichtiges Dünnschichtelement nach Anspruch 2 oder ein dreischichtiges Dünnschichtelement nach Anspruch 4".

Die Ansprüche 1, 2, 4 und 16 des Hilfsantrags 3 unterscheiden sich von den Ansprüchen 1, 2, 4 und 18 des Hilfsantrags 2 jeweils durch das zusätzliche Merkmal Z.

VII. Der Vortrag der Parteien zum Einspruchsgrund gemäß Artikel 100 b) EPÜ lässt sich wie folgt zusammenfassen:

a) Beschwerdeführerin (Einsprechende):

Zum Merkmal M4 sei festzustellen, dass das Patent auf Seite 5, Zeile 35, Silber und Wolfram, die gleichförmig absorbieren, als selektiv absorbierende Metalle präsentiere. Den geltend gemachten Unterschied zwischen selektiv und gleichförmig absorbierenden Metallen gebe es nicht. Es sei eine allgemeine Eigenschaft von Metallen, dass sie im Durchlicht bei einer gewissen Dicke eine gewisse Farbigkeit aufweisen.

Eine vollständige Farbneutralität im Auflicht könne grundsätzlich nicht erzielt werden: Das Sicherheitselement erscheine im Auflicht stets farbig. Der Betrachter habe immer einen, wenngleich auch etwas entsättigten, Farbeindruck. Es sei nicht klar, nach welchen objektiven Kriterien sich feststellen lasse, ab wann ein farbig erscheinendes Durchsichtssicherheitselement (nachfolgend als "DSE" bezeichnet) von einem Betrachter als farbneutral wahrgenommen werde. In Ermangelung einer geeigneten Messmethode sei der beanspruchte Gegenstand nicht ausreichend offenbart. Ein Gegenstand sei als "farbneutral" anzusehen, wenn er keine Absorption im sichtbaren Spektralbereich aufweise. In Reflexion müsse das DSE gemäß Merkmal M5 für einen Betrachter also weiß erscheinen. Daran ändere sich auch nichts, dass in Anspruch 1 zusätzlich eine metallisch spiegelnde Reflexion verlangt werde. Auch letztere schließe nicht aus, dass reflektiertes Licht für einen Betrachter weiß erscheine. Bestünde eine Unvereinbarkeit von Farbneutralität und metallischer Reflexion, so hätte dies zur Folge, dass die Kombination einer metallischen Reflexion und einer farbneutralen Erscheinung und somit das Merkmal M5 für sich alleine schon nicht erreicht werden könne. Anspruch 1 werde daher so verstanden, dass das Sicherheitselement im sichtbaren Spektralbereich in Reflexion für einen Betrachter weiß und im Durchlicht farbig erscheine. Dies beziehe sich hier auf die Wahrnehmung eines Benutzers. Aus der Gesamtoffenbarung des Patents ergebe sich jedoch nicht, dass ein derartiges Erscheinungsbild erzielt werde. Die Forderung der farbneutralen Erscheinung des im Auflicht reflektierten Lichtes bedeute, dass das verwendete Metall keine sichtbare selektive Absorption aufweisen dürfe. Das Merkmal M5 stünde somit in Widerspruch zu dem Merkmal M4, das die Verwendung einer im sichtbaren Spektralbereich selektiv absorbierenden Metallschicht verlange.

Wenn man ein rot absorbierendes Metall mit einem Dielektrikum verbinde, das Rot durchlasse, dann sei kein Farbeffekt zu sehen, da das Dielektrikum Blau sperre. Wenn das Dielektrikum Blau durchlasse, dann sei das Erscheinungsbild in Durchsicht blau, aber die rote Wellenlänge fehle dann im Reflexionsbereich. Grundsätzlich fehle in Reflexion immer die vom Metall absorbierte Wellenlänge, sodass keine Farbneutralität zustande komme. Das Dielektrikum könne das Fehlen der Wellenlänge nicht wettmachen.

Dass im Auflicht keine farbneutrale Erscheinung erzielt werde, gehe auch unmittelbar aus den Abbildungen 8a, 8b, 8c sowie aus den Ansprüchen 3 bis 5 des Patents hervor. Gemäß den Absätzen [0013] und [0014] des Patents würden die Bereiche mit schwacher Farbigkeit in Aufsicht (F < 0,1) und die Bereiche starker Farbigkeit in Durchsicht (F > 0,05) überlappen. Nähme man diese Definition ernst, so würde man zum Schluss gelangen, dass auch stark farbige Bereiche als farbneutral zu gelten hätten. Auch aus der Tabelle 1 des Patents gehe unmittelbar hervor, dass die dort für Transmission angegebenen Werte im Bereich der für die "farbneutrale" Reflexion angegebenen Grenzen lägen. Daraus folge, dass gemäß den Ausführungsbeispielen das DSE sowohl im Auflicht als auch in Durchlicht farbig erscheine, wobei der Farbeindruck in Reflexion auch jenem in Durchlicht erzielten Farbeindruck entspreche. Die Einspruchsabteilung scheine anzunehmen, dass das visuelle Erscheinungsbild des Sicherheitselements im Auflicht als "eher" farbneutral und im Durchlicht farbiger wirke. Dafür gebe es jedoch im Patent keine Grundlage.

Im Dokument D6 seien die konkret in der Druckschrift D1 offenbarten Werte verwendet worden. Bei der Umsetzung dieser Werte erhalte man Effekte, wie sie in der Beschreibung des Patents formuliert seien. Es sei aber nie behauptet worden, dass damit tatsächlich die beanspruchte Farbneutralität erreicht würde.

Das von der Beschwerdegegnerin geltend gemachte, ganz spezifische Zusammenspiel zwischen Dielektrikum und Absorber sei im Patent nicht ausreichend beschrieben. Der in Absatz [0046] des Patents beschriebene Mechanismus könne nicht funktionieren. Das Zusammenspiel beruhe somit auf geheimnisvollen, nicht näher offenbarten Parametern. Es stelle sich die Frage, ob - und wenn ja, warum und wie - die Schichtdicke des Dielektrikums eine Rolle spiele bzw. wie sie zu wählen sei.

Es bestehe eine Lücke zwischen der Beschreibung des Patents, in der die tatsächlichen Verhältnisse beschrieben würden, und dem Anspruch. Man habe den Eindruck, dass die Beschwerdegegnerin versuche, ein an sich bekanntes Dünnschichtelement zu beanspruchen, indem sie mit Berufung auf eine schwer nachvollziehbare Theorie verschleiere, dass die Wirkung letztlich bereits mit jedem Element des vorgelegten Standes der Technik erreicht werde.

Für die von der Beschwerdegegnerin vorgeschlagene Vorgehensweise (ausgehend von einem vorgegebenen Dielektrikum, Wahl eines geeigneten Metalls und Bestimmung der angemessenen Dicke) gebe es im Patent keine Stütze, denn dort gehe man immer von einer dünnen Metallschicht aus (siehe Absatz [0058]). Es liege auch nicht auf der Hand, dass sich zu jedem beliebigen Dielektrikum eine geeignete Metallschicht finden lasse.

b) Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin):

Wie aus dem Dokument D10 hervorgehe, bedeute eine "selektive Absorption" eine nicht gleichförmige Absorption. Die meisten Metalle seien wenig selektiv. Auch Silber habe keine vollkommen gleichförmige Absorption. Im vorliegenden Fall gehe es um dünne Schichten, die oft andere Eigenschaften hätten als das Material an sich. Nicht jedes Metall sei als dünne Schicht farbig.

Beim Einwand der Beschwerdeführerin handle es sich nicht um einen Einwand mangelnder Ausführbarkeit nach Artikel 83 oder 100 b) EPÜ, sondern um einen Klarheitseinwand im Sinne von Artikel 84 EPÜ, der im Einspruchsverfahren nicht gegen die erteilten Ansprüche erhoben werden könne.

Ein farbneutrales Erscheinungsbild erfordere kein vollkommen farbloses oder weißes Erscheinungsbild, bei dem exakt der Weißpunkt "W" der CIE-xy-Farbtafel getroffen werde, sondern ein Erscheinungsbild mit einer nur geringen Farbigkeit, also mit schwachen, entsättigten Farben, die vor dem Hintergrund der metallischen Reflexion der semitransparenten Metallschicht visuell kaum auffallen würden (Absätze [0012] und [0013] des Patents). Wie ein solches Erscheinungsbild erzeugt werden könne, werde im Patent auch konkret erläutert, beispielsweise in der Beschreibung der Ausführungsform der Fig. 4, in der explizit angegeben sei, welche Materialien und welche Schichtdicken für die Metallschicht 44 und die Dielektrikumsschicht 46 verwendet werden könnten, um das gewünschte Erscheinungsbild zu erzeugen. Es werde auch dargelegt, wie entsprechende DSEs hergestellt werden könnten (Absätze [0034] bis [0037]). Auch die Figuren 5 und 6 beträfen konkrete, nacharbeitbare Ausführungsformen. Darüber hinaus erläutere die Beschreibung im Zusammenhang mit Fig. 8, wie besonders geringe Farbigkeiten F (definiert als Abstand zum Weißpunkt, siehe Absatz [0011]) in Reflexion erreicht werden könnten. Dem Fachmann werde auch grundsätzlich erläutert, wie die Erfindung nach dem Verständnis der Erfinder funktioniere und worauf bei der Auslegung und Abstimmung der Schichten des DSE zu achten sei. Der Fachmann erhalte aus dem Patent somit ohne Weiteres eine nacharbeitbare Lehre, die den Erfordernissen einer ausreichenden Offenbarung des Patents i.S.d. Artikels 100 b) EPÜ genüge. Bei einem sachgerechten Verständnis des Merkmals M5 ergäben sich keine Bedenken gegen die Ausführbarkeit.

Das farbneutrale Erscheinungsbild im Auflicht werde durch das Zusammenspiel von Dielektrikum und Metallschicht erreicht. Das Dielektrikum absorbiere nicht, sondern weise eine zur Transmission komplementäre Reflexion auf. Falls das Dielektrikum z.B. rot reflektiere und grün transmittiere, lasse es sich mit einem verstärkt rot absorbierenden Metall kombinieren, das die rote Reflexion dämpfe. Insgesamt entstünde so eine eher farbneutrale Reflexion in Verbindung mit einer stark grünen Transmission.

Die Schwierigkeit liege darin, dass die Dielektrika nicht notwendigerweise sehr dünn seien und Mischfarben wie z.B. Magenta aufweisen könnten. Es sei nicht so offensichtlich, wie man dies mit einem Metall dämpfen könne. Dünnfilmelemente mit kräftigen Farbeffekten in Reflexion seien seit langem bekannt (siehe z.B. die Druckschriften D1, D2 und D4). Das Patent habe einen Weg aufgezeigt, die Schichten so aufeinander abzustimmen, dass in Reflexion ein farbneutraler Eindruck entstehe. Die überraschende Erkenntnis der Erfinder habe darin bestanden, dass es auch in so einem Fall genüge, ein selektiv absorbierendes Metall mit dem Dielektrikum zu kombinieren. Dabei sei es erforderlich, die Schichtdicke geeignet zu wählen, wie in Fig. 8 des Patents im Zusammenhang mit Silber ausführlich erläutert sei. Die metallische Spiegelung lasse die Farben nochmals schwächer erscheinen, weil letztere überstrahlt würden.

Ausgehend von einer Dielektrikumsschicht müsse der Fachmann ein geeignetes Metall wählen. Das Patent liefere mehrere Hinweise dazu. Silber sei explizit genannt, und die Tabelle 1 beschreibe 5 gute Kandidaten. Darüber hinaus werde dem Fachmann durch den Verweis auf die Plasmafrequenz ein Kriterium zum Auffinden weiterer Metalle gegeben. Anschließend müsse der Fachmann eine geeignete Schichtdicke eruieren. Er könne dazu eine kleine Testreihe fahren oder numerische Simulationen anstellen. Die Schichtdicke sei so zu wählen, dass die Farbigkeit in der Reflexion relativ klein, in der Transmission aber relativ groß sei, wobei der Anteil des transmittierten Lichts noch ausreichend sein müsse, um einen Durchsichtseffekt zu erzielen. So lasse sich das gewünschte Ergebnis ohne großen Aufwand erreichen. Dieses Ergebnis unterscheide sich klar von herkömmlichen Sicherheitselementen, bei denen in Reflexion starke Farbeindrücke hervorgerufen würden.

Diese Vorgehensweise sei im Patent insbesondere in den Absätzen [0046] und [0018] der Beschreibung dargelegt.

Dass die Erfindung ausführbar sei, lasse sich auch daran erkennen, dass die Beschwerdeführerin in der Lage gewesen sei, die Erfindung nachzuarbeiten, und zwar mit Materialien abseits der Ausführungsbeispiele des Patents, wie man aus der Vorlage der Druckschrift D6 erkennen könne.

Der entscheidende Denkfehler in den Gedankenexperimenten der Beschwerdeführerin liege darin, dass sie von totaler Absorption bei einer bestimmten Farbe ausgehe. Eine dünne Metallschicht blockiere z.B. rotes Licht nicht, sondern absorbiere es lediglich stärker als andere Wellenlängen. Deshalb könne sie verstärkt rotes Licht, das vom Dielektrikum kommt, herausfiltern.

Auf die Bemerkung der Kammer hin, dass der Begriff der Farbneutralität nicht genau definiert sei, verwies die Beschwerdegegnerin auf die Vorgaben für die Farbigkeit, die in den abhängigen Ansprüchen des Patents gemacht würden. Die dort geforderten Werte für die Farbigkeit F dürften allerdings nicht losgelöst von der Forderung nach Farbneutralität betrachtet werden. Hier spiele auch die frequenzabhängige Empfindlichkeit des Auges eine Rolle.

Entscheidungsgründe

1. Hauptantrag (Patent wie erteilt)

1.1 Allgemeine Bemerkungen zum Gegenstand von Anspruch 1

Anspruch 1 ist auf ein Durchsichtssicherheitselement (DSE) gerichtet, das über die Merkmale M1 bis M4 strukturell definiert ist. Die Besonderheit und Schwierigkeit des vorliegenden Falles ergibt sich aus der Formulierung des kennzeichnenden Teils des Anspruchs, der im Laufe des Prüfungsverfahrens hinzugefügt wurde, um das beanspruchte DSE vom Stand der Technik abzugrenzen. Die Merkmale M5 und M6 zielen darauf ab, das DSE über das Erscheinungsbild, das es einem Betrachter in Aufsicht und in Durchsicht darbietet, zu definieren.

1.2 Auslegung der Ansprüche

1.2.1 "Selektiv absorbierend" (Merkmal M4)

Das Merkmal M4 verlangt, dass die semitransparente Metallschicht ein im sichtbaren Spektralbereich "selektiv absorbierendes" optisches Element bildet.

Zur Deutung dieses Begriffs hat die Beschwerdegegnerin das Dokument D10 vorgelegt, das den Begriff "selektiv" wie folgt definiert:

"selektiv, auswählend. Zum Beispiel bedeutet selektive Reflexion oder Absorption der Lichtstrahlung durch einen Stoff, daß Strahlung in Abhängigkeit von ihrer Wellenlänge verschieden stark von dem Stoff reflektiert oder absorbiert wird, oder daß überhaupt nur in einem schmalen Wellenlängenbereich Reflexion oder Absorption stattfindet. ..."

Die Kammer deutet den Begriff "selektiv" in diesem Sinne.

1.2.2 "Metallisch spiegelnd und farbneutral" (Merkmal M5)

Die Begriffe "metallisch spiegelnd" und "farbneutral" werden im Merkmal M5 zur Beschreibung des Erscheinungsbildes des DSE im Auflicht verwendet.

Wie der Fachmann weiß, zeichnen sich Metalle durch ihr hohes Reflexionsvermögen aus. Sie reflektieren fast alle Wellenlängen im sichtbaren Bereich des Spektrums.

Das Patent enthält keine Definition des Begriffs "farbneutral". Dem allgemeinen Wortsinn nach hätte der Fachmann darunter die "Neutralität" gegenüber der Farbe des einfallenden Lichts (im Auflicht) verstanden, d.h. dass die spektrale Zusammensetzung des einfallenden Lichts bei der Reflexion nicht verändert wird.

Streng genommen kann kein bekanntes Metall absolute Farbneutralität gewährleisten. Der Fachmann hätte daher auch nicht erwartet, dass die Farbneutralität im Sinne von Merkmal M5 als eine absolute Farbneutralität zu verstehen ist. Er hätte das Merkmal vielmehr so gedeutet, dass die spektrale Zusammensetzung des einfallenden Lichts bei der Reflexion nur unwesentlich verändert wird. Hierbei ist auch zu berücksichtigen, dass von einem Erscheinungsbild die Rede ist, sodass sich die Frage also im Zusammenhang der Beobachtung durch einen menschlichen Beobachter stellt.

Nicht alle Metalle reflektieren farbneutral im obigen Sinn. So haben z.B. Gold und Kupfer ein relativ niedriges Reflexionsvermögen bei kurzen Wellenlängen. Sie ändern somit die spektrale Zusammensetzung des von ihnen reflektierten Lichts deutlich stärker als z.B. Silber oder Aluminium und erscheinen daher bei Betrachtung unter weißem Licht nicht als weiß.

Der Fachmann hätte daher die Bedingung, der zufolge das DSE im Auflicht "metallisch spiegelnd und farbneutral" erscheinen muss, so verstanden, dass das DSE einfallendes Licht im Wesentlichen vollständig reflektiert und seine Spektralzusammensetzung nicht signifikant verändert. Farbeffekte sind also nicht gänzlich ausgeschlossen, aber notwendigerweise schwach. Die Frage, was genau als schwach zu gelten hat, wird im Patent nicht beantwortet. Die abhängigen Ansprüche 3 und 4 definieren zwar Kriterien im Sinne der Farbigkeit F (d.h. des Abstands zum Weißpunkt), aber in dieser Hinsicht ist festzustellen, dass diese Kriterien bevorzugte Bedingungen beschreiben (siehe Absatz [0014] der Beschreibung des Patents). Es ist also davon auszugehen, dass die im Merkmal M5 definierte Bedingung breiter ist und über die genannten Kriterien hinausgeht.

1.3 Einspruchsgrund gemäß Artikel 100 b) EPÜ

Es ist zu prüfen, ob die Gesamtoffenbarung des Patents es dem Fachmann erlaubt, die beanspruchte Wirkung zu erreichen.

In diesem Zusammenhang kommt dem Absatz [0046] der Beschreibung des Patents eine große Bedeutung zu. Er erläutert, wie die farbige Transmission bei im Wesentlichen farbneutraler Reflexion zustande kommt:

"Ohne dadurch an eine bestimmte Erklärung gebunden sein zu wollen, kommt die farbige Transmission bei im Wesentlichen farbneutraler Reflexion nach gegenwärtigem Verständnis wie folgt zustande: Dielektrische Schichten können Bereiche des sichtbaren Spektrums in der Transmission blockieren, so dass die Reflexion farbig erscheint. Da kein Licht absorbiert wird, beinhaltet die Transmission die Komplementärfarbe der Reflexion. Wird nun eine dielektrische Schicht mit einem selektiv absorbierenden optischen Element kombiniert, das einen Teil des sichtbaren Spektralbereichs absorbiert, so muss die Reflexion nicht mehr farblich komplementär zur Transmission sein. Eine solche Kombination kann vielmehr in Reflexion farbneutral erscheinen, in Transmission dagegen eine Farbe besitzen."

Dieser Erklärungsversuch wirft selbst Fragen auf: Wie kann ein selektiv absorbierendes Element die durch selektive Transmission bedingte Einfärbung des reflektierten Lichts wettmachen, sodass die Reflexion farbneutral erscheint? Absatz [0046] beschränkt sich im Wesentlichen auf die Feststellung, dass dies möglich sei. Eine klare Anleitung, welche Frequenzbereiche der Absorber ausfiltern muss, um ein farbneutrales Erscheinungsbild zu erhalten, bzw. die Feststellung, dass dies im Allgemeinen möglich ist, kann die Kammer nicht erkennen.

Die Einspruchsabteilung hat sich in Punkt 2 der Gründe für die angefochtene Entscheidung mit dem Einwand der mangelnden Offenbarung beschäftigt und ist zum Schluss gelangt, dass dieser Einspruchsgrund der Aufrechterhaltung des erteilten Patents nicht entgegensteht. Sie hat insbesondere festgestellt, dass angesichts der in den Absätzen [0015], [0022], [0028] und [0059] offenbarten Beispiele festzustellen sei, dass die Patentschrift ausreichende Angaben enthalte, anhand derer der Fachmann die beanspruchte Erfindung mithilfe seines allgemeinen Fachwissens ausführen könne.

Die Beschwerdeführerin hat geltend gemacht, dass das Patent den Fachmann nicht in die Lage versetze, alle in den Schutzbereich fallenden Ausführungsformen nachzuarbeiten, und dass deshalb die Erfindung nicht hinreichend offenbart sei.

Der vorliegende Fall zeichnet sich dadurch aus, dass das Patent zwar Ausführungsbeispiele beschreibt, der Schutzbereich aber funktional definiert ist und unzweifelhaft über diese Beispiele hinausgeht, und zudem keine klare technische Lehre im Patent offenbart ist, wie vorzugehen wäre, damit der beanspruchte Effekt abseits der Ausführungsbeispiele erreicht werden kann. Der Erklärungsversuch in Absatz [0046] des Patents stellt hier keine Hilfe dar, da er sich, wie schon dargelegt, im Wesentlichen darauf beschränkt, eine Möglichkeit zu behaupten. Dies ist angesichts der Komplexität des Zusammenspiels zwischen der Metallschicht und dem Dielektrikum problematisch. Es lag für den Fachmann nicht auf der Hand, wie der beanspruchte Effekt anders als mit den beschriebenen Beispielen zu erreichen wäre.

Die Beschwerdegegnerin hat hierzu erklärt, wie der Fachmann ihrer Meinung nach vorgegangen wäre. Diesem Vortrag zufolge wäre der Fachmann von einem beliebigen Dielektrikum ausgegangen und hätte dann ein passendes Metall für die Absorberschicht, insbesondere unter den in der Tabelle 1 genannten Kandidaten, gewählt. Anschließend wäre nur mehr eine geeignete Schichtdicke zu eruieren gewesen. Zu diesem Zwecke hätte der Fachmann eine kleine Testreihe fahren oder numerische Simulationen anstellen können. Auf diese Weise wäre der Fachmann ohne großen Aufwand zu einem DSE im Sinne der Erfindung gelangt.

Dieser Vortrag geht aber klar über die Lehre des Patents hinaus. Die Kammer kann auch in den von der Beschwerdegegnerin geltend gemachten Absätzen [0046] und [0018] keine entsprechende Lehre erkennen. Der bereits mehrmals zitierte Absatz [0046] stellt einen Erklärungsversuch für das Vorhandensein einer farbigen Transmission bei im Wesentlich farbneutraler Reflexion dar. Der darin enthaltene Hinweis auf die Kombination einer dielektrischen Schicht mit einem selektiv absorbierenden optischen Element stellt aber keine konkrete Anweisung zur Umsetzung der Erfindung dar. Der Absatz [0018] ist noch allgemeiner gehalten und kann ebenfalls nicht als Stütze für die von der Beschwerdegegnerin geltend gemachte Vorgehensweise gelten.

Die Diskrepanz zwischen dem beanspruchten Gegenstand in seiner Allgemeinheit und der tatsächlichen Offenbarung des Patents ist daher zu groß, um noch von einer ausreichenden Offenbarung sprechen zu können, die den Fachmann in die Lage versetzt, die Erfindung einschließlich der anspruchsgemäßen Wirkung im gesamten beanspruchten Bereich ohne unzumutbaren Aufwand zu verwirklichen.

Auch das Argument der Beschwerdegegnerin, dass die Erfindung ausführbar sei, weil die Beschwerdeführerin offenkundig in der Lage gewesen sei, die Erfindung nachzuarbeiten, und zwar mit Materialien abseits der Ausführungsbeispiele des Patents (siehe die Druckschrift D6) überzeugt nicht. Zum einen kann man nicht die Beschwerdeführerin mit dem fiktiven, jeder erfinderischen Tätigkeit unfähigen Fachmann gleichsetzen, und zum anderen stellt auch die Druckschrift D6 keinen Nachweis dafür dar, dass die Erfindung im gesamten beanspruchten Bereich ohne unzumutbaren Aufwand verwirklicht werden kann.

Der Einspruchsgrund gemäß Artikel 100 b) EPÜ steht somit der Aufrechterhaltung des Patents wie erteilt entgegen.

2. Hilfsanträge

Wie auch die Beschwerdegegnerin eingeräumt hat, sind die Hilfsanträge nicht geeignet, den Einwand der unzureichenden Offenbarung auszuräumen. Das Patent in geänderter Fassung gemäß jedem dieser Hilfsanträge erfüllt daher nicht die Erfordernisse des Artikels 83 EPÜ.

3. Ergebnis

Da der Einspruchsgrund gemäß Artikel 100 b) EPÜ der Aufrechterhaltung des Patents wie erteilt entgegensteht und das Patent in geänderter Fassung gemäß jedem der Hilfsanträge den Erfordernissen von Artikel 83 EPÜ nicht genügt, ist das Patent nach Artikel 101 (2) Satz 1 EPÜ bzw. Artikel 101 (3) b) EPÜ zu widerrufen.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Das Patent wird widerrufen.

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