T 1007/21 () of 10.7.2023

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2023:T100721.20230710
Datum der Entscheidung: 10 Juli 2023
Aktenzeichen: T 1007/21
Anmeldenummer: 16160420.2
IPC-Klasse: A63C 7/10
A63C 9/08
A63C 9/084
A63C 9/00
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: TOURENBINDUNG MIT ZWEI STEIGHILFEN DIE AN DER GLEICHE ACHSE AUF DEM FERSENHALTER ANGELENKT SIND
Name des Anmelders: MARKER Deutschland GmbH
Name des Einsprechenden: G3 Genuine Guide Gear Inc.
Kammer: 3.2.04
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 123(2)
European Patent Convention Art 84
European Patent Convention Art 83
European Patent Convention Art 54
European Patent Convention Art 56
Rules of procedure of the Boards of Appeal 2020 Art 013(2)
Rules of procedure of the Boards of Appeal 2020 Art 012(6)
Schlagwörter: Änderungen - zulässig (ja)
Patentansprüche - Klarheit nach Änderung (ja)
Patentansprüche - Klarheit im Einspruchsbeschwerdeverfahren
Ausreichende Offenbarung - (ja)
Neuheit - (ja)
Erfinderische Tätigkeit - (ja)
Erfinderische Tätigkeit - nicht naheliegende Änderung
Änderung nach Ladung - außergewöhnliche Umstände (nein)
Änderung nach Ladung - berücksichtigt (nein)
Spät eingereichte Beweismittel - zugelassen (nein)
Spät eingereichte Beweismittel - wären bereits im erstinstanzlichen Verfahren vorzubringen gewesen (ja)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
G 0003/14
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerde der Einsprechenden richtet sich gegen die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung, das europäische Patent Nr. 3 075 422 in geänderter Form aufrecht zu erhalten. Das Patent wurde als Teilanmeldung einer früheren Anmeldung eingereicht (als EP 2 695 647 A1 veröffentlicht).

II. Die Einspruchsabteilung hatte unter anderem entschieden, dass Anspruch 1 des während der mündlichen Verhandlung eingereichten Hilfsantrags 1 zulässige Änderungen enthalte und klar sei, und dass der Gegenstand dieses Anspruchs neu sei und auf erfinderischer Tätigkeit beruhe. Dabei hat sie unter anderem die folgenden Entgegenhaltungen berücksichtigt:

D1 WO2009/105866 A1

E1 Verweis auf ein YouTube-Video zur Skibindung

"RADICAL FT / ST 3D Video" von DYNAFIT,

von der Kammer unter folgender URL gefunden:

https://www.youtube.com/watch?v=3WvGTjy6Uyg

Die folgenden weiteren, mit der Beschwerdebegründung eingereichten Beweismittel werden in der vorliegenden Entscheidung behandelt:

D4 DE 20 2012 002 705 U1

D5 EP 2 638 937 A1

E6 Fotodokumentation über die Ferseneinheit einer

Skibindung DYNAFIT Radical

E7 Auszug aus der Enzyklopädie "30 YEARS DYNAFIT

TECH BINDINGS"

E8 erste archivierte Internetseite von DYNAFIT,

E8a zweite archivierte Internetseite von DYNAFIT

E9 archivierte Internetseite des Online-Shops

"Snow Inn"

E10 Auszug aus Blog-Eintrag "ISPO DYNAFIT PR SHOTS

- NEW GEAR" von Lou Dawson

E11 Auszug aus Blog-Eintrag "Dynafit Radical ST

Binding - First look" von Gear Reviews

E12 Auszug aus Blog-Eintrag "DYNAFIT 2011/12 - THE

NEW SKI TOURING BINDINGS" von Lou Dawson

E13 Online-Nachrichtenartikel von Neue Züricher

Zeitung "Dem nächsten Winter in die Karten

geschaut"

III. Die Einsprechende als Beschwerdeführerin beantragt die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents.

IV. Die Patentinhaberin als Beschwerdegegnerin beantragt die Zurückweisung der Beschwerde und somit die Aufrechterhaltung des Patents auf der Basis des von der Einspruchsabteilung für gewährbar erachteten damaligen Hilfsantrags 1 (Hauptantrag im Beschwerdeverfahren). Darüber hinaus beantragt sie, dass die mit der Beschwerdebegründung eingerechten Dokumente D4, D5, E6-E8, E8a sowie E9-E13 nicht in das Verfahren zugelassen werden.

V. In einer Mitteilung gemäß Artikel 15(1) VOBK als Anlage zur Ladung zur mündlichen Verhandlung teilte die Kammer den Parteien ihre vorläufige Auffassung mit. Die mündliche Verhandlung fand am 10. Juli 2023 in Anwesenheit aller Parteien statt.

VI. Der unabhängige Anspruch 1 des für diese Entscheidung relevanten Hauptantrags (aufrecht erhaltene Fassung)hat den folgenden Wortlaut:

"Ski mit einer kombinierten Abfahrts- und Tourenbindung mit einem Zehenhalter und einem Fersenhalter, wobei

(a) der Fersenhalter (1) eine Basis (2), einen Fersenautomaten (3) und ein Pedal (4) aufweist,

(b) der Fersenhalter (1) eine erste und eine zusätzliche zweite Steighilfe (8, 9) aufweist,

(c) die erste Steighilfe (8) den Schuh eines Sportlers in einem ersten Steigwinkel stützt und die zweite Steighilfe (9) den Schuh in einem zweiten Steigwinkel stützt, wobei der zweite Steigwinkel größer ist als der erste Steigwinkel,

(d) und die beiden Steighilfen (8, 9) in einem gemeinsamen Gelenk (22) schwenkbar mit dem Fersenautomaten (3) verbunden sind,

(e) wobei der Schuh in einem Abfahrtsmodus fest im Fersenhalter (1) gehalten und die Ferse des Schuhs in einem Tourenmodus vom Fersenhalter (1) frei gegeben ist und der Fersenhalter eine Skibremse (5) aufweist,

(f) wobei das Pedal (4) von einer ersten Position, in der die Skibremse (5) nach unten vom Ski (16) absteht und eine Bremswirkung entfaltet, in eine zweite Position, in der die Skibremse (5) ohne Bremswirkung neben dem Ski (16) liegt, bewegbar ist, und

(g) wobei der Fersenhalter (1) eine Verriegelung für die Skibremse (5) aufweist, mittels der die Skibremse (5) in der zweiten Position verriegelbar ist und die Verriegelung die Skibremse (5) im Tourenmodus in der verriegelten Position hält,

dadurch gekennzeichnet, dass

(h) die Verriegelung ein Verriegelungselement (13) aufweist, das mit dem Pedal verbunden ist, und ein Gegenverriegelungselement (14), das in der Basis beweglich gelagert ist, und

(i) wobei das Gegenverriegelungselement (14) mittels eines Federelements (15) in Richtung des Verriegelungs-elements (13) vorgespannt ist."

VII. Die Einsprechende als Beschwerdeführerin hat zu den entscheidungserheblichen Punkten im Wesentlichen Folgendes vorgetragen:

Anspruch 1 des Hauptantrags enthalte unzulässige Änderungen, sei unklar und definiere die Erfindung nicht so deutlich und vollständig, dass eine Fachperson sie ausführen könne. Die Vorbenutzung E6 (Dokumente E6-E8, E8a, E9-E13) sowie die weiteren Beweismittel D4 und D5 seien zum Verfahren zuzulassen. Der Gegenstand von Anspruch 1 des Hauptantrags sei nicht neu gegenüber E1 und beruhe ausgehend von D1 nicht auf erfinderischer Tätigkeit.

VIII. Die Patentinhaberin als Beschwerdegegnerin hat zu den entscheidungserheblichen Punkten im Wesentlichen Folgendes vorgetragen:

Anspruch 1 des Hauptantrags enthalte zulässige Änderungen, sei klar und definiere die Erfindung so deutlich und vollständig, dass eine Fachperson sie ausführen könne. Die Vorbenutzung E6 (Dokumente E6-E8, E8a, E9-E13) und die weiteren Beweismittel D4 und D5 seien nicht in das Verfahren zuzulassen. Der Gegenstand von Anspruch 1 des Hauptantrags sei neu gegenüber E1 und beruhe ausgehend von D1 auf erfinderischer Tätigkeit.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Anwendungsgebiet der Erfindung

Die Erfindung betrifft einen Ski mit einer kombinierten Abfahrts- und Tourenbindung, also mit Abfahrtsmodus und Tourenmodus der Bindung. Im Abfahrtsmodus der Bindung wird der Skischuh mittels eines Zehenhalters und eines Fersenhalters 1 am Ski fixiert, während er im Tourenmodus vom Fersenhalter freigegeben wird. Dadurch kann der Skischuh beim Nach-vorne-Schieben des Skis während des Aufstiegs um eine zur Querrichtung des Skis parallele Achse des Zehenhalters rotieren. Der Fersenhalter 1 enthält einen Fersenautomaten 3, der während der Abfahrt auf bekannte Weise über mindestens ein Federelement die Verbindung zur Ferse des Skischuhs herstellt und im Falle eines Sturzes bei Überschreiten der Vorspannung des Federelements den Skischuh freigibt. Die Tourenbindung besitzt auch eine Skibremse 5 und eine mehrstufige Steighilfe 8,9. Die Steighilfe befindet sich am Fersenhalter und erlaubt einen angenehmeren Aufstieg in steilerem Gelände, da die Ferse beim Tourengehen nicht in einen Bereich unterhalb der Horizontalen abgesenkt werden muss. Die Skibremse 5 muss im Abfahrtsmodus immer dann ausklappen, wenn die Bindung infolge eines Sturzes auslöst. Damit sie ansonsten in ihrer inaktiven Position parallel zum Ski angeordnet ist, wird sie im Abfahrtsmodus über den Skischuh durch das Pedal des Fersenhalters verriegelt.

Damit die Skibremse auch im Tourenmodus - wenn also der Skischuh das Pedal nicht herunterdrücken kann - nicht ausklappt, ist ein zusätzlicher Verriegelungs-mechanismus vorgesehen. Dabei erfolgt die Verriegelung der Skibremse mittels eines mit dem Pedal 4 verbundenen Verriegelungselements 13 und eines mit der Basis 2 des Fersenhalters 3 verbundenen Gegenverriegelungselements 14, das durch ein Federelement 15 in Richtung des Verriegelungselements 13 vorgespannt ist, siehe die Figur 1 der Patentschrift. Durch diese Vorspannung sorgt der zusätzliche Verriegelungsmechanismus dafür, dass die Skibremse 5 auch ohne den Skischuh - wenn also das Pedal 4 lastfrei ist - am Ausklappen gehindert wird, siehe Absätze 0007 und 0008 der Patentschrift.

3. Änderungen

Die Einsprechende als Beschwerdeführerin bestreitet den von der Patentinhaberin unterstützten Befund der angefochtenen Entscheidung, siehe deren Absatz 1.2, zur Zulässigkeit von Änderungen im unabhängigen Anspruch 1.

3.1 Anspruch 1 basiert unbestritten auf einer Kombination der ursprünglich eingereichten Ansprüche 1, 8, 9 und 11. Darüber hinaus enthält der Anspruch die zusätzlichen Merkmale:

- Merkmal (e) "wobei der Schuh in einem Abfahrtsmodus fest im Fersenhalter gehalten und die Ferse des Schuhs in einem Tourenmodus vom Fersenhalter frei gegeben ist [und der Fersenhalter eine Skibremse aufweist]";

- in Merkmal (g) das hinzugefügte Merkmal: "und die Verriegelung die Skibremse im Tourenmodus in der verriegelten Position hält";

und das Merkmal (i): "wobei das Gegenverriegelungselement mittels eines Federelements in Richtung des Verriegelungselements vorgespannt ist." Gegen diese zusätzlichen Merkmale erhebt die Beschwerdeführerin den Einwand einer unzulässigen Änderung gegenüber der ursprünglich eingereichten Anmeldung.

3.2 Im Zusammenhang mit dem Merkmal (i) verweist die Beschwerdeführerin auf Absatz 0011 der Anmeldung, wo eine Vorspannung des Gegenverriegelungselements mittels eines Federelements nur für ein am Pedal angeordnetes Verriegelungselement und nur bei Vorliegen eines Verriegelungseingriffs des Gegenverriegelungselements in das Verriegelungselement offenbart werde. Die Kammer kann in der Nicht-Aufnahme dieser beiden Merkmale in den geänderten Anspruch aus den folgenden Gründen keine unzulässige Änderung erkennen:

3.2.1 Bezüglich der Anordnung des Verriegelungselements "am Pedal" laut Absatz 0011 der Patentanmeldung argumentiert die Beschwerdeführerin, dass dadurch eine räumliche Nähe zwischen Verriegelungselement und Pedal zum Ausdruck komme, die nicht im geänderten Anspruch enthalten sei. Die Kammer sieht das anders. Zwar kann die Präposition "am" durchaus im Sinne einer unmittelbaren Nähe zwischen Verriegelungselement und Pedal verstanden werden. Jedoch geht nach Auffassung der Kammer aus dem Zusammenhang der Absätze 0010 und 0011 hervor, dass der Ausdruck "am Pedal" nicht wortwörtlich gelesen werden muss. Die beiden Absätze gehören zum allgemeinen Teil der Beschreibung, und Absatz 0011 - wo der Ausdruck überhaupt das einzige Mal in der Anmeldung erscheint - folgt direkt auf Absatz 0010. Dort werden das Verriegelungselement und dessen Verbindung mit dem Pedal zum ersten Mal eingeführt. In diesem Zusammenhang gelesen bezieht sich "am Pedal" auf die unmittelbar vorher beschriebene Verbindung des Verriegelungselements mit dem Pedal, ohne auf eine bestimmte Art der Verbindung oder Nähe der verbundenen Elemente hinzudeuten. Wie von der Beschwerdegegnerin vorgetragen ist stattdessen der Ausdruck "am Pedal" bloß in dem Sinne zu verstehen, dass Pedal und Verriegelungselement (mittelbar) aneinander befestigt sind. Nichts anderes lehrt die Patentanmeldung, denn aus dem Bestandteil "Verriegelung" der Begriffe Verriegelungselement und Gegenverriegelungselement im ursprünglich eingereichten Anspruch 11 geht nach Auffassung der Kammer hervor, dass das Zusammenwirken dieser beiden Elemente entscheidend für eine Verriegelung der Skibremse gemäß dem ursprünglich eingereichten Anspruch 9 ist. Die Verriegelung wird bewirkt, indem das Verriegelungselement laut Anspruch 11 mit dem Pedal verbunden ist. Das ist unabhängig davon, mit welchem Abstand zueinander die beiden Bauteile angeordnet sind, oder ob sie ggf. nur mittelbar unter Zwischenschaltung weiterer Bauteile der Skibindung miteinander verbunden sind. Die Kammer ist daher zu der Auffassung gelangt, dass die Ausdrücke "mit dem Pedal verbunden" und "am Pedal" im Kontext der dem Streitpatent zugrunde liegenden Patentanmeldung dieselbe Bedeutung haben, so dass die in Absatz 0011 genannte Anordnung "am Pedal" nicht in Anspruch 1 genannt werden muss.

3.2.2 Ein Verriegelungseingriff ist wegen der Formulierung "bevorzugt" in Absatz 0011 der Anmeldung rein optional ("sodass bevorzugt ein Ende des Gegenverriegelungs-elements bei gespanntem Federelement in einem Verriegelungseingriff mit dem Verriegelungselement ist"), so dass die Nicht-Aufnahme dieses fakultativen Merkmals in Anspruch 1 nicht zu einer unzulässigen Änderung gegenüber Absatz 0011 der Anmeldung führen kann.

3.3 Im Hinblick auf die Merkmale (e) und (g) verwies die Beschwerdeführerin während der mündlichen Verhandlung auf ihr schriftliches Vorbringen. Die Kammer hat zu diesen Merkmalen bereits in ihrer Mitteilung, siehe den Abschnitt 3, die Auffassung vertreten, dass Anspruch 1 zulässige Änderungen enthält. Die Kammer hat dazu die folgende vorläufige Meinung geäußert:

"3. Die Kammer fragt sich vor dem Hintergrund der von den Parteien auf die Beschreibung gestützten Diskussion, ob Anspruch 1 des Hauptantrags auch auf einer Kombination der ursprünglich eingereichten Ansprüche 1 und 8-12 beruht. Dabei scheint für einen Fachmann auf dem Gebiet der Skibindungen die "nicht bremsende Position" in Anspruch 10 der Anmeldung gleichbedeutend zu sein mit der verriegelten Position im Merkmal (g). In diesem Fall wäre einzig das auf den Abfahrts- und den Tourenmodus gerichtete Merkmal M3 bzw. (e) aus der Beschreibung (Seite 2, Zeilen 19-23) in den Anspruch aufgenommen worden. Aus Sicht der Kammer führt wohl der Bewegungsablauf beim Tourengehen mit einer - wegen der Freigabe der Ferse im Tourenmodus implizit rahmenlosen - Bindung dazu, dass sich die Ferse des Schuhs dabei aus dem Fersenhalter heraus bewegen kann. Dieses Merkmal wäre dann für einen Fachmann auf dem Gebiet der Skibindungen implizit in der Freigabe der Ferse in diesem Modus enthalten, und seine Aufnahme in den Anspruch wäre nicht nötig. Mithin scheinen die Änderungen in Anspruch 1 des Hauptantrags nicht zu einem Gegenstand zu führen, der über den Inhalt der ursprünglich eingereichten Anmeldung hinausgeht."

3.3.1 In ihrer Erwiderung vom 26. Mai 2023 hat die Beschwerdeführerin zum Merkmal (e) ergänzend vorgebracht, dass auf eine unzulässige Weise offenbleibe, in welchem Umfang die Freigabe der Schuhferse vom Fersenhalter zu verstehen ist. Die Kammer sieht das anders, da die Freigabe der Ferse des Schuhs im Zusammenhang mit dem für den Aufstieg genutzten Tourenmodus einer Tourenbindung absolut zu verstehen ist. Folglich impliziert diese Freigabe, dass sich die Schuhferse nach erfolgter Freigabe beim Bergauf-Gehen aus dem Fersenhalter herausbewegen kann.

3.3.2 In ihrer Erwiderung vom 26. Mai 2023 hat die Beschwerdeführerin zum Merkmal (g) ergänzend vorgebracht, dass eine Gleichsetzung der Begriffe "verriegelte Position" und "zweite Position" im Anspruch 1 nicht zulässig sei. Die Kammer stimmt der Beschwerdeführerin darin zu, dass sich die "zweite Position" im Merkmal (f) ("wobei das Pedal von einer ersten Position, in der die Skibremse nach unten vom Ski absteht und eine Bremswirkung entfaltet, in eine zweite Position, in der die Skibremse ohne Bremswirkung neben dem Ski liegt, bewegbar ist") auf das Pedal bezieht, während sie im Merkmal (g) auf die Skibremse bezogen ist. Jedoch muss das Pedal mit der Skibremse gekoppelt sein, da die Skibremse laut dem Merkmal (f) in der ersten Position des Pedals eine erste, nach unten vom Ski abstehende Position einnimmt, während sie in der zweiten Position des Pedals eine zweite, ohne Bremswirkung neben dem Ski liegende Position einnimmt. Wenn dann die Skibremse laut dem ersten Teil des Merkmals (g) in der zweiten Position verriegelbar ist, bedingt ihre Kopplung mit dem Pedal, dass die Skibremse in ihrer nicht bremsenden, neben dem Ski liegenden Position verriegelt wird. Folglich ist die im zweiten Teil des Merkmals (g) beanspruchte "verriegelte Position" der Skibremse gleichbedeutend mit der im ursprünglich eingereichten Anspruch 10 genannten "nicht bremsenden Position".

3.4 Aus diesen Gründen geht der Gegenstand von Anspruch 1 nicht über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinaus, Artikel 123(2) EPÜ.

3.5 Mit ihrem Schreiben vom 26. Mai 2023 argumentiert die Beschwerdeführerin unter Verweis auf die ursprünglichen Patentansprüche der Stammanmeldung, dass diese nicht auf einen Ski mit Fersenhalter gerichtet seien, der eine die Skibremse in verriegelter Position haltende Verriegelung aufweist, so dass die Ansprüche für Diskussionen zur Offenbarung in dieser Sache nicht weiterhelfen. Folglich seien die Änderungen des Streitpatents auf eine Grundlage in der ursprünglichen Beschreibung der Stammanmeldung hin zu überprüfen. Aus Sicht der Kammer handelt es sich dabei um einen verspätet geltend gemachten Einwand. Denn weder in der angefochtenen Entscheidung, siehe deren Absatz 1.2, noch in der Beschwerdebegründung, siehe deren Absatz 1.2, wurden unzulässige Änderungen gegenüber der Stammanmeldung gerügt. Daher handelt es sich um eine Änderung des Beschwerdevorbringens eines Beteiligten nach Zustellung der Ladung zur mündlichen Verhandlung. Solche Änderungen bleiben grundsätzlich unberücksichtigt, es sei denn, der betreffende Beteiligte hat stichhaltige Gründe dafür aufgezeigt, dass außergewöhnliche Umstände vorliegen. Das Vorliegen außergewöhnlicher Umstände wurde von der Beschwerde-führerin nicht behauptet, weder schriftlich noch in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer, so dass die Kammer entschied, diesen Einwand nicht zuzulassen, Artikel 13(2) VOBK 2020.

4. Klarheit, ausreichende Offenbarung

Die Beschwerdeführerin bestreitet die Klarheit und ausreichende Offenbarung von Anspruch 1.

4.1 Anspruch 1 enthält wegen der Begriffe "in der verriegelten Position" bzw. "in Richtung des Verriegelungselements" in den Merkmalen (g) und (i) Änderungen gegenüber den erteilten Ansprüchen 10 und 12, so dass der Anspruch nach der Entscheidung G 3/14 der Großen Beschwerdekammer auf die Erfordernisse des Artikels 84 EPÜ geprüft werden kann.

Aus den folgenden Gründen teilt die Kammer jedoch keinen der erhobenen Einwände:

4.1.1 Im Hinblick auf die Klarheit des Begriffs "in Richtung des Verriegelungselements" im Merkmal (i) stimmt die Kammer der Beschwerdeführerin darin zu, dass das Verriegelungselement zusammen mit dem Pedal von der ersten in die zweite Position auf- und abbewegt werden kann. Das ergibt sich aus der Zusammenschau der Merkmale (f) und (h) und der implizit senkrechten Bewegungsrichtung des fußbetätigten Pedals einer Skibindung. Jedoch betrifft das Merkmal (i) nach Auffassung der Kammer bei einer am Verständnis orientierten Leseweise nicht die erste, obere, sondern nur die zweite, untere Position des Pedals. Aus dem Wortbestandteil "Verriegelung" in den Merkmalen Verriegelungselement und Gegenverriegelungselement folgt nämlich, dass das Zusammenwirken dieser beiden Elemente die Verriegelung der Skibremse in der unteren, zweiten Position laut Merkmal (g) bewirkt. Es wurde nicht vorgetragen, dass in dieser unteren Position die Vorspannung des Gegenverriegelungselements in Richtung des Verriegelungselements unklar sei.

4.1.2 In der Beschwerdebegründung bestritt die Beschwerde-führerin auch die Klarheit der Merkmale (h) und (i), da sie in keinem funktionalen Zusammenhang mit dem restlichen Anspruch stünden. Die Kammer sieht das anders, da die Verriegelung durch das Verriegelungs- und das Gegenverriegelungselement bewirkt wird, so dass sich deren Bezug zur Verriegelung und deren Funktion im Kontext der beanspruchten Skibindung bei einer am Verständnis orientierten Leseweise bereits aus ihren Bezeichnungen ergibt.

4.1.3 In der Beschwerdebegründung bestritt die Beschwerde-führerin auch die Klarheit des Begriffs "verriegelte Position" im Merkmal (g), da dieser Begriff im restlichen Anspruch keine weitere Erwähnung finde. Die Kammer sieht das anders, da die Skibremse in ihrer verriegelten Position ohne Bremswirkung neben dem Ski liegt, wenn sich das Pedal in dessen zweiter Position befindet, siehe Absatz 3.3.2 der Entscheidung für Details.

4.1.4 Aus diesen Gründen ist Anspruch 1 klar, Artikel 84 EPÜ.

4.2 Die fehlende ausreichende Offenbarung wurde mit der vermeintlich mangelnden Klarheit begründet, siehe den vorletzten Absatz auf Seite 6 der Beschwerdebegründung. Weitere Argumente gegen die ausreichende Offenbarung hat die Beschwerdeführerin nicht vorgebracht. Da die Kammer im vorangehenden Absatz zum Ergebnis gelangt ist, dass Anspruch 1 klar ist, greift aus logischen Gründen der Einwand gegen die ausreichende Offenbarung der Erfindung nicht durch. Die ausreichende Offenbarung der Erfindung ist daher anzuerkennen, Artikel 83 EPÜ.

5. Zulassung der mit der Beschwerdebegründung vorgelegten Beweismittel D4, D5, E6-E8, E8a sowie E9-E13

5.1 Die Dokumente D4 und D5 sowie die zum Beleg einer Vorbenutzung durch Verkauf einer Skibindung vom Typ "Dynafit Radical" angeführten Dokumente E6-E8, E8a, E9-E13 wurden erst mit der Beschwerdebegründung der Einsprechenden eingereicht.

5.2 Gemäß Artikel 12(6) VOBK 2020 lässt die Kammer insbesondere Beweismittel nicht zu, die in dem Verfahren, das zu der angefochtenen Entscheidung geführt hat, vorzubringen gewesen wären, es sei denn, die Umstände der Beschwerdesache rechtfertigen eine Zulassung.

5.3 Die Beschwerdeführerin begründet die Vorlage dieser Dokumente damit, dass Anspruch 1 des jetzigen Hauptantrags während der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung geändert worden sei, so dass die Beschwerdebegründung die erste Möglichkeit zur Vorlage darstelle. Die Kammer ist von diesem Argument nicht überzeugt, da Anspruch 1 des aufrecht erhaltenen Hilfsantrags 1 identisch mit Anspruch 1 des am 2. Dezember 2020 rechtzeitig innerhalb der Frist nach Regel 116 EPÜ eingereichten Hilfsantrags 3 ist. Vor der mündlichen Verhandlung wäre also Zeit zur Reaktion auf diesen Hilfsantrag gewesen. In diesem Zusammenhang überzeugt auch der Verweis auf die Corona-Pandemie oder die verzögerte Beschaffung der in E6 dargestellten Skibindung aufgrund eines Personalwechsels bei der Einsprechenden die Kammer nicht, denn eine Vertagung der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung wurde von der Einsprechenden nicht beantragt. Das weitere Argument der Beschwerdeführerin, wonach wegen der für sie positiven vorläufigen Meinung der Einspruchsabteilung keine Veranlassung zur Einreichung weiterer Beweismittel bestanden habe, überzeugt die Kammer ebenfalls nicht. Die als Anlage zur Ladung zur mündlichen Verhandlung übermittelte vorläufige Meinung der Einspruchsabteilung erging nämlich bereits am 8. April 2020 und betraf folglich nur die erteilte Anspruchsfassung, so dass sich daraus keine Einschätzung zum erst danach, siehe oben, eingereichten Hilfsantrag 3 ableiten ließ.

Aus diesen Gründen kann die Kammer anhand der Begründung der Beschwerdeführerin keine die Zulassung rechtfertigenden Umstände erkennen.

5.4 Die Kammer fügt hinzu, dass die Skibindung Radical FT /ST der Firma Dynafit bereits mit dem Video E1 als Stand der Technik im Einspruchsverfahren vorgebracht wurde. Daher ist für die Kammer nicht ersichtlich, warum die Beschwerdeführerin die mit ihrer Beschwerdebegründung eingereichten Dokumente zu einem so späten Zeitpunkt in das Verfahren einbringt. Sie betreffen nämlich ebenfalls die Skibindung Radical ST von Dynafit, die schon bei Einlegung des Einspruchs bekannt war. Zudem hatte die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) bereits mit ihrem Schreiben vom 2. Dezember 2020 bei Einreichung des jetzigen Antrags bestritten, dass das Merkmal (i), also die Vorspannung einer Feder innerhalb der Skibindung, im Video E1 offenbart werde. Spätestens dann wäre es angezeigt gewesen, weitere Belege bezüglich der im Video gezeigten Skibindung ausfindig zu machen. Daher ist die Kammer zur Auffassung gelangt, dass diese Beweismittel bereits in dem Verfahren, das zu der angefochtenen Entscheidung geführt hat, vorzubringen gewesen wären.

5.5 Somit entschied die Kammer, dass die Dokumente D4 und D5 sowie die zum Beleg einer Vorbenutzung durch Verkauf einer Skibindung vom Typ "Dynafit Radical" angeführten Dokumente E6-E8, E8a, E9-E13 nicht zum Beschwerdeverfahren zugelassen werden, Artikel 12(6) VOBK 2020.

6. Neuheit

Die Einsprechende als Beschwerdeführerin bestreitet den Befund der Entscheidung, wonach der Ski mit einer kombinierten Abfahrts- und Tourenbindung nach Anspruch 1 neu gegenüber dem durch E1 dokumentierten Video sei, weil dort die Merkmale (h) und (i) nicht offenbart werden.

6.1 Das Video der Dynafit Radical ST/FT Tourenbindung offenbart unbestritten einen Ski mit einer kombinierten Abfahrts- und Tourenbindung. Es handelt sich um eine rahmenlose Skibindung, bei welcher der Zehenhalter und der Fersenhalter getrennt voneinander am Ski montiert sind. Der Fersenhalter umfasst einen Fersenautomaten, der gegenüber einer Basis um 90° verdrehbar ist, um vom Abfahrtsmodus in den Tourenmodus zu wechseln, siehe die Sequenz zwischen den Zeitpunkten 0:12 und 0:14. Die Basis des Fersenhalters bildet eine schwarze, am Ski montierte Platte, auf welcher der mit dem weißen Schriftzug "ST" versehene Fersenautomat und ein schwarzes Pedal montiert sind, siehe den Zeitpunkt 0:02 des Videos. Auf der Oberseite des Fersenautomaten befinden sich eine erste und eine zweite graue Steighilfe, die um ein gemeinsames Gelenk schwenkbar sind, siehe die Videosequenz zwischen den Zeitpunkten 0:34 und 0:50. In der Basis ist zusätzlich eine Skibremse angeordnet, die mit dem Pedal verbunden ist. Das Pedal lässt die Skibremse in einer ersten Position nach unten vom Ski abstehen und sorgt in einer zweiten Position dafür, dass die Skibremse ohne Bremswirkung neben dem Ski liegt, siehe den Wechsel von der zweiten in die erste Position zwischen den Zeitpunkten 1:08 und 1:11.

Zwischen den Parteien ist alleine strittig, ob in diesem Video auch die Merkmale (h) ("die Verriegelung ein Verriegelungselement aufweist, das mit dem Pedal verbunden ist, und ein Gegenverriegelungselement, das in der Basis beweglich gelagert ist") und (i) ("wobei das Gegenverriegelungselement mittels eins Federelements in Richtung des Verriegelungselements vorgespannt ist") von Anspruch 1 offenbart werden.

6.2 Im Hinblick auf das Merkmal (h) ist am drehbaren Fersenautomaten ein Vorsprung angeordnet, gegen den der halbkreisförmige Pedalhalter von einem im Pedal angeordneten Federelement gedrückt wird, siehe die Sequenz zwischen den Zeitpunkten 1:08 und 1:11. Der Vorsprung befindet sich im Tourenmodus oberhalb des halbkreisförmigen Pedalhalters und hält diesen unten, wodurch das mit dem Pedalhalter verbundene Pedal in seiner unteren Position bleibt und die Skibremse ohne Bremswirkung neben dem Ski hält, siehe den Zeitpunkt 1:08 des Videos. Die Verriegelung des Pedals wird durch das Zusammenwirken von Vorsprung und Pedalhalter bewirkt, so dass der Vorsprung aus Sicht der Kammer ein Gegenverriegelungselement bildet, und der halbkreis-förmige Pedalhalter als Verriegelungselement angesehen werden kann. Infolge der drehbaren Anordnung des Fersenautomaten in der Basis ist der am Fersenautomaten fest angeordnete Vorsprung zudem in der Basis beweglich gelagert. Daher offenbart E1 auch das Merkmal (h).

6.3 Im Hinblick auf das Merkmal (i) führt die Verdrehung des Fersenautomaten um seine Längsachse - siehe die Sequenz zwischen den Zeitpunkten 0:10 und 0:15 - beim Verriegeln der Skibremse dazu, dass der Vorsprung am Fersenautomaten eine Drehbewegung um die Längsachse des Fersenautomaten macht. Dabei nähert sich der anfangs neben dem halbkreisförmigen Pedalhalter liegende Vorsprung dem Pedalhalter, bis er bei verriegelter Skibremse in der Mitte des Pedalhalters steht, siehe den Zeitpunkt 0:17 des Videos. Bezüglich der Bewegung des Vorsprungs stimmt die Kammer der Beschwerdeführerin darin zu, dass sich der Vorsprung - das anspruchsgemäße Verriegelungselement - während der Drehung des Fersenautomaten in Richtung des halbkreisförmigen Pedalhalters - das anspruchsgemäße Gegenverriegelungs-element - bewegt. Die Kammer muss darum nun prüfen, ob aus dem Video eindeutig und unmittelbar hervorgeht, dass während dieser Drehung eine Vorspannung des Vorsprungs durch ein Federelement in Richtung des Pedalhalters vorliegt.

6.4 Die Beschwerdeführerin bejaht das Vorliegen einer Vorspannung mit dem Argument, dass ein weiteres Federelement im Fersenautomaten integriert sei, dessen Vorspannung sich mit Hilfe einer am Fersenautomaten rückseitig erreichbaren Einstellschraube justieren lasse. Die durch das Federelement bewirkte Vorspannung des Fersenautomaten und Vorsprungs in Richtung des halbkreisförmigen Teils des Pedalhalters sei sogar in der Sequenz von 0:13 bis 0:14 des Videos erkennbar, wo der Fersenautomat samt Vorsprung unter Einwirkung der Federkraft beim Wechsel vom Abfahrtsmodus in den Tourenmodus kurz vor dem Erreichen der gewünschten Ausrichtung in diese einschnappe. Das Einschnappen manifestiere sich durch eine Rückstoßbewegung des Fersenautomaten und der führenden Hand.

Die Kammer stimmt der Beschwerdeführerin darin zu, dass die Einstellschraube wohl zur Einstellung der Auslösekraft dient, was neben dem bereits genannten Federelement im Pedal noch das Vorhandensein mindestens eines weiteren Federelements im Fersenautomaten impliziert. Mangels Innenansicht des Fersenautomaten kann dem Video jedoch nicht unmittelbar und eindeutig entnommen werden, wo das weitere Federelement angeordnet ist, und welche Wirkung es auf den Vorsprung am Fersenautomaten hat. Die Kammer kann auch kein Einschnappen des Fersenautomaten in eine gewünschte Position in der Sequenz zwischen 0:13 und 0:14 erkennen. Es mag sein, dass bei einer Bild-für-Bild-Analyse dieser Sequenz ein Ruckeln des Fersenautomaten zu erkennen ist. Als Ursache dafür kommt jedoch auch die Reibung des drehbaren Teils des Fersenautomaten gegenüber seiner feststehenden Drehachse in Betracht. Daher geht nach Auffassung der Kammer nicht unmittelbar und eindeutig aus dem Video hervor, dass der Fersenautomat durch das darin enthaltene weitere Federelement im Sinne des Merkmals (i) mit seinem Vorsprung in Richtung des halbkreisförmigen Pedalhalters vorgespannt wird.

6.5 Das weitere Argument der Beschwerdeführerin, wonach es notwendig sei, den Fersenhalter mit einem Mechanismus zu versehen, der den Fersenautomaten einerseits im Abfahrtsmodus, andererseits aber im Tourenmodus in Position hält, führt zu keiner anderen Sichtweise. Ein solcher Mechanismus ist auch aus Sicht der Kammer bei der Dynafit Radical ST/FT verwirklicht, da die Skibindung unbestritten in einem Abfahrts- und Tourenmodus funktioniert. Wie dieser Mechanismus jedoch ausgestaltet ist, kann dem Video nicht unmittelbar und eindeutig entnommen werden.

6.6 Aus diesen Gründen ist der Gegenstand von Anspruch 1 neu gegenüber der Offenbarung des durch E1 dokumentierten Videos der Dynafit Radical ST/FT Tourenbindung, Artikel 54 EPÜ.

7. Erfinderische Tätigkeit

Die angefochtene Entscheidung bejahte die erfinderische Tätigkeit des Hauptantrags ausgehend vom Dokument D1, siehe Absatz 2.5.2.1 der Entscheidung. Die Einsprechende als Beschwerdeführerin bestreitet diesen von der Patentinhaberin als Beschwerdegegnerin unterstützten Befund der Entscheidung.

7.1 Das Dokument D1 offenbart einen Ski mit einer kombinierten Abfahrts- und Tourenbindung, deren Fersenhalter einen Fersenautomaten 20 und zwei Steighilfen 22, 24 besitzt. Die erste Steighilfe 22 ist um das erste Gelenk 77a an der Basis schwenkbar, während die zweite Steighilfe 24 um ein zweites Gelenk am Fersenautomaten schwenkbar ist, siehe die Figuren 7 und 8 des Dokuments. Der Fersenautomat kann durch Umlegen eines Hebels 21 von einem Abfahrtsmodus (Figuren 5 und 20) in Längsrichtung des Skis rückwärts in einen Tourenmodus verschoben werden (Figuren 6, 10c und 21). Der Fersenhalter besitzt außerdem ein Pedal 61 und eine damit verbundene Skibremse 62. Die Skibremse kann mit einem Verriegelungselement 65 und einem durch Federn 64bc vorspannbaren Gegenverriegelungselement 64 verriegelt werden, siehe die Figuren 22-25.

7.2 Der Gegenstand von Anspruch 1 des Hauptantrags unterscheidet sich von der Offenbarung der D1 darin, dass die beiden Steighilfen in einem gemeinsamen Gelenk schwenkbar sind. Diesem Merkmal liegt unbestritten die objektive technische Aufgabe zugrunde, einen Ski mit einer kombinierten Abfahrts- und Tourenbindung bereitzustellen, der im Tourenmodus ein einfacheres Umlegen der Steighilfen von einer passiven in eine aktive Stellung ermöglicht.

7.3 Die Beschwerdeführerin verneinte in der mündlichen Verhandlung die erfinderische Tätigkeit mit dem Argument, dass die Fachperson angeregt durch E1, wo ein gemeinsames Gelenk für die beiden Steighilfen gezeigt wird (Sequenz zwischen 0:36 und 0:49), erkennen würde, dass bei Übertragung dieses Konzeptes auf die Bindung nach D1 die zweite Steighilfe 26 auch am Gelenk 77a der ersten Steighilfe 22 angeordnet werden könne, worauf beide Steighilfen in einem gemeinsamen Gelenk schwenkbar mit dem Fersenautomaten verbunden wären.

Die Kammer sieht das anders, nicht zuletzt, weil eine solche Anordnung aus den folgenden Gründen nicht mit der Form und der Bewegung der beiden Steighilfen vereinbar ist.

7.3.1 Die erste Steighilfe 22 wird nämlich um das Gelenk 77a von einer Ruhestellung hinter dem Fersenautomaten (analog zu Figur 5A der D1) in eine Nutzstellung vor dem Fersenautomaten (analog zu Figur 7A) umgeklappt. Währenddessen befindet sich die zweite Steighilfe 24 noch in ihrer Ruhestellung auf der Oberseite des Fersenautomaten, so dass die erste Steighilfe derart geformt sein muss, dass sie dabei nicht mit der zweiten Steighilfe kollidiert. Wenn anschließend die zweite Steighilfe in ihre Nutzstellung vor dem Fersenautomaten geklappt wird, kommt sie auf der Oberfläche 31 der in ihrer Nutzstellung befindlichen ersten Steighilfe zur Anlage (analog zu Figur 8A). Das ist nur möglich, da die beiden Steighilfen 22 und 24 unterschiedlich Drehachsen haben, die zudem in unterschiedlichen Höhen über der Skioberfläche liegen. Auf diese Weise haben die für eine Kollision der beiden Steighilfen relevanten Oberflächen Drehkreise mit unterschiedlichen Mittelpunkten. Diese Drehkreise schneiden sich in der Nutzstellung beider Steighilfen (in Fahrtrichtung des Skis) vor dem Fersenautomaten. Dadurch wird einerseits eine Kollision beim Umklappen der ersten Steighilfe vermieden, und andererseits ein Ablegen der zweiten Steighilfe auf der umgeklappten ersten Steighilfe ermöglicht.

7.3.2 Wären nun die beiden Steighilfen 22 und 26 - wie von der Beschwerdeführerin vorgebracht - um dasselbe Gelenk 77a klappbar, hätten sie konzentrische Drehkreise. Das hätte zur Folge, dass die zweite Steighilfe 24 nicht mehr auf der umgeklappten ersten Steighilfe 22 in deren Nutzstellung abgelegt werden könnte. Denn das vorherige kollisionsfreie Umklappen der ersten Steighilfe 22 um die noch in ihrer Ruhestellung befindlichen zweiten Steighilfe 24 bedingt, dass sich die beiden Steighilfen an keinem Punkt ihres gemeinsamen Drehkreises berühren. Nach Auffassung der Kammer müsste bei einer Anordnung der beiden Steighilfen 22 und 24 am selben Gelenk 77a zumindest der Bereich der Bindung vor dem Fersenhalter umgestaltet werden, um dort - statt auf der umgeklappten ersten Steighilfe - die Ablage der umgeklappten zweiten Steighilfe 24 zu ermöglichen. Wie das zu geschehen habe, hat die Beschwerdeführerin während der Verhandlung vor der Kammer nicht erläutert. Daher ist die Kammer nicht davon überzeugt, dass die von D1 ausgehende Fachperson auf naheliegende Weise die beiden Steighilfen 22, 24 am selben Gelenk 77a anordnen würde. Aus diesen Gründen kann dahingestellt bleiben, ob es im fachmännischen Können liegt, das Konzept eines gemeinsamen Gelenks aus der spezifischen Anordnung der E1 heraus zu abstrahieren.

7.4 In der Beschwerdebegründung hat die Beschwerdeführerin zur Kombination von D1 und E1 anders argumentiert. Die Kammer hat bereits in ihrer Mitteilung, Abschnitt 6.3, die folgende vorläufige Auffassung vertreten, dass diese Kombination den Gegenstand von Anspruch 1 nicht nahelegt:

"6.3 ... Auch scheint der Fachmann in D1 überhaupt nicht auf eine Anordnung der Steighilfe 22 an der Basis des Fersenhalters verzichten zu können. Deren untere Fläche 83 wird nämlich benötigt, um den Fersenautomaten wieder in Richtung Skispitze vom Tourenmodus in den Abfahrtsmodus zu verschieben, indem der Hebel 21 um seinen Drehpunkt 84 zurückgeschwenkt wird, siehe die Figur 10c und Seite 13, Zeilen 7-12 der D1."

7.4.1 In Erwiderung darauf verweist die Beschwerdeführerin auf Seite 5, Zeilen 25 und 26 der D1, wonach die Verschiebung des Fersenautomaten auch ohne einen Hebel mittels eines auszulösenden Fangelements ("catch") erfolgen könne. Die Kammer sieht das anders, da die von der Beschwerdeführerin genannte Passage im Zusammenhang mit dem vorangehenden Satz in den Zeilen 22-25 zu lesen ist. Demnach ist weiterhin ein Hebel nötig, um den Fersenautomaten unter gleichzeitiger Vorspannung einer Feder zu bewegen. Das ausgelöste Fangelement bewegt dann den Fersenautomaten durch Federkraft - also ohne Verwendung eines zweiten Hebels - lediglich in Gegen-richtung in seine Ausgangsposition zurück. Der Verweis auf Seite 5 überzeugt die Kammer daher nicht, dass die Fachperson auf den Hebel 21 verzichten würde.

7.4.2 Jedoch kommt es nicht darauf an, ob angesichts der Aussage auf Seite 5, Zeilen 25 und 26 der D1 tatsächlich kein Hebel (oder wie vorangehend ausgeführt nur noch ein Hebel) benötigt wird. Denn die von der Beschwerdeführerin als Ausgangspunkt für ihren Angriff auf die erfinderische Tätigkeit gewählte Ausführungsform mit zwei Steighilfen 22, 24 und einer Skibremse 62 nach Figur 20ff der D1 enthält keinen solchen Mechanismus mit Feder und Fangelement für den Fersenautomaten. Stattdessen wird der Fersenautomat analog zu der in den Figuren 5-8 gezeigten Ausführungsform ohne Skibremse mittels eines ersten Hebels 21 und der als zweiten Hebel fungierenden ersten Steighilfe 22 bewegt (siehe die Schilderung des Bewegungsablaufs bei der Ausführungsform ohne Skibremse auf Seite 10, Zeilen 14, 15 und 23-25 sowie im Brückenabsatz zwischen den Seiten 12 und 13, die analog für die Ausführungsform nach Figur 20ff gilt). Daher müsste die von der Ausführungsform nach Figur 20ff ausgehende Fachperson zuerst die Skibindung im Lichte der Passage auf Seite 5 der D1 umgestalten, bevor sie die im Kombinationsdokument E1 gezeigte alternative Anordnung der beiden Steighilfen implementieren könnte. Dieses Vorgehen steht nach fester Auffassung der Kammer im Widerspruch zum Aufgabe-Lösungs-Ansatz. Nach ständiger Rechtsprechung ist nämlich bei der Beurteilung der Frage, ob der beanspruchte Gegenstand eine naheliegende Lösung für eine objektive technische Aufgabe darstellt, danach zu fragen, ob der Fachmann in der Erwartung, die Aufgabe zu lösen, die Lehre der nächstliegenden Entgegenhaltung (im vorliegenden Fall die Ausführungsform nach Figur 20ff der D1) angesichts anderer Lehren des Stands der Technik (im vorliegenden Fall die Anordnung der beiden Steighilfen auf der Oberseite des Fersenautomaten laut E1) so abgewandelt hätte, dass er zu der beanspruchten Erfindung gelangt wäre, siehe RdBK, 10. Auflage 2022, I.D.5.

7.4.3 Die Beschwerdeführerin hat nicht vorgetragen, dass die auf Seite 5, Zeilen 24 und 25 der D1 genannte Skibindung selbst ein erfolgversprechender Ausgangspunkt im Sinne des Aufgabe-Lösungs-Ansatzes sei (Seite 5, Zeile 21: "Embodiments of this invention may be adapted ..."). Das ist auch nach Auffassung der Kammer nicht der Fall, da diese Skibindung weder eine Skibremse noch zwei Steighilfen besitzt, und da zudem offen bleibt, wie und wo der zum Spannen der Feder nötige Hebel anzuordnen ist.

7.5 Aus diesen Gründen wird die von der in D1 offenbarten kombinierten Abfahrts- und Tourenbindung ausgehende Fachperson nicht auf naheliegende Weise die beiden Steighilfen in einem gemeinsamen Gelenk schwenkbar mit dem Fersenautomaten verbinden. Mithin wird der Gegenstand von Anspruch 1 nicht nahegelegt, so dass er gegenüber dem angezogenen Stand der Technik auf erfinderischer Tätigkeit beruht, Artikel 56 EPÜ.

8. Die Kammer bestätigt aus den obengenannten Gründen die Befunde der angegriffenen Entscheidung zu den Änderungen, zur Klarheit, ausreichenden Offenbarung der Erfindung, Neuheit und erfinderischen Tätigkeit. Die Beschwerde bleibt somit ohne Erfolg.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

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