T 0841/21 () of 30.11.2023

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2023:T084121.20231130
Datum der Entscheidung: 30 November 2023
Aktenzeichen: T 0841/21
Anmeldenummer: 17825857.0
IPC-Klasse: F16B 13/00
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: VERFAHREN ZUR BEFESTIGUNG VON ANBAUTEILEN AN BETON ODER MAUERWERK
Name des Anmelders: Ludwig Hettich Holding GmbH & Co. KG
Name des Einsprechenden: -
Kammer: 3.2.08
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 56
European Patent Convention Art 84
Schlagwörter: Erfinderische Tätigkeit - (nein)
Patentansprüche - Klarheit
Patentansprüche - Hilfsantrag (ja)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
T 0641/00
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Anmelderin legte Beschwerde gegen die Entscheidung der Prüfungsabteilung ein, die Patentanmeldung EP 17 825 857.0 zurückzuweisen.

II. Die Prüfungsabteilung kam zu dem Ergebnis, dass der Gegenstand von Anspruch 1 des Hauptantrags sowie der Hilfsanträge 1-5 und 8 nicht klar sei (Artikel 84 EPÜ). Der Gegenstand des Anspruchs 7 des Hauptantrags und der entsprechenden unabhängigen Ansprüche der Hilfsanträge 1-8 sei nicht erfinderisch (Artikel 56 EPÜ).

III. Die Beschwerdeführerin (Anmelderin) beantragte Aufhebung der Entscheidung und die Erteilung eines Patents

- auf Grundlage des Hauptantrags oder

- auf Grundlage eines der Hilfsanträge 1-7 (alle eingereicht am 16. Oktober 2020 in elektronischer Form), oder

- auf Grundlage des Hilfsantrags 8 (eingereicht während der mündlichen Verhandlung am 16. Dezember 2020).

IV. Die unabhängigen Ansprüche haben folgenden Wortlaut. Die Merkmalsgliederung wurde hinzugefügt.

a) Hauptantrag, Anspruch 7:

"1(7)

Computerprogrammprodukt, umfassend eine Mehrzahl von Instruktionen, die bei Ausführung auf einem Computersystem folgende Schritte ausführen:

2(7)

Ausgeben eines Graphical User Interface (GUI) über eine Anzeigeeinrichtung, wobei das GUI Eingabefelder (20-26) hat, die es einen [sic] Nutzer gestatten, Information bezüglich einer geplanten Befestigung eines Anbauteils auf einem Befestigungsgrund aus Beton oder Mauerwerk mit einer Gruppe von Ankern einzugeben,

3(7)

wobei diese Information zumindest einen Bemessungswert der Querbelastung VSd und einen Bemessungswert der Zugbelastung NSd zumindest eines Ankers (14) in der Ankergruppe repräsentiert, oder diese Bemessungswerte VSd und NSd aus dieser Information ableitbar sind,

D(7)

wobei sich die Werte VSd und NSd auf den Fall der Montage des Ankers (14) senkrecht zur Oberfläche des Befestigungsgrundes (12) beziehen,

4(7)

wobei das GUI ferner dazu eingerichtet ist, anzuzeigen, ob die geplante Befestigung vorgegebenen Bemessungsvorschriften entspricht,

wobei das Computerprogramm dazu eingerichtet ist, zumindest in Fällen, in denen

B(7)

- für das Verhältnis VSd / NSd des Bemessungswerts der Querbelastung VSd und des Bemessungswerts der Zugbelastung NSd eines Ankers (14) in der Ankergruppe gilt: VSd / NSd >= 0,3 , vorzugsweise VSd / NSd >= 0,6 und besonders vorzugsweise VSd / NSd >= 1,0 , und

C(7)

- in denen die charakteristischen Widerstände bei Querbeanspruchung VRk bzw. bei Zugbeanspruchung NRk dieses Ankers (14), jeweils bezogen auf den Fall der Montage senkrecht zur Oberfläche des Verankerungsgrunds (12), die folgende Beziehung erfüllen: VRk / NRk <= 1,1,

5(7)

eine Berechnung der Bemessung dieses Ankers der Ankergruppe für eine Montage mit einem Winkel alphaAnker zur Senkrechten zur Oberfläche des Befestigungsgrundes (12) durchzuführen, für den gilt:

F(7)

alphaAnker = k * ? * arctan (VSd / NSd ) für NSd > 0,

und

alphaAnker = k *67,5° für NSd = 0,

mit: 0,6 < k < 1,34,

G(7)

unter der Maßgabe, dass alphaAnker <= 75°,

wobei alphaAnker der Neigungswinkel des Ankers (14) gegenüber der Senkrechten zur Oberfläche des Befestigungsgrundes (12) ist,

H(7)

wobei der Neigungswinkel alphaAnker in der Ebene zu messen ist, in der die der Bemessung zugrundeliegende Querlast VSd liegt, und innerhalb dieser Ebene die Orientierung des Winkels alphaAnker so zu wählen ist, dass der Winkel zwischen einer Längsachse des Ankers (14) und einer resultierenden Last geringer wird, als bei einer Montage senkrecht zur Oberfläche des Befestigungsgrundes (12),

4(7)

und das Ergebnis der Bemessung auszugeben."

b) Hilfsantrag 8, Anspruch 1:

A(1)

Verfahren zum Bemessen und Durchführen einer Befestigung von Anbauteilen (10) auf einem Befestigungsgrund (12), der durch Beton oder Mauerwerk gebildet wird, mit einer Gruppe von Ankern (14), mit den folgenden Schritten:

Bestimmen eines Bemessungswerts der Querbelastung VSd und eines Bemessungswerts der Zugbelastung NSd,

für mindestens einen Anker (14) in der Ankergruppe,

B(1)

wobei für den Fall, dass das Verhältnis VSd / NSd des Bemessungswerts der Querbelastung VSd und des Bemessungswerts der Zugbelastung NSd mindestens dieses Ankers (14) in der Ankergruppe gilt:

VSd / NSd >= 0,3, vorzugsweise VSd / NSd >= 0,6 und besonders vorzugsweise VSd / NSd >= 1,0 ,

C(1)

und dass für diesen Anker die charakteristischen Widerstände bei Querbeanspruchung VRk bzw. bei Zugbeanspruchung NRk die folgende Beziehung erfüllen: VRk / NRk <= 1,1 ,

D(1)

wobei sich sämtliche Werte für VSd, NSd, VRk und NRk auf den Fall der Montage des Ankers (14) senkrecht zur Oberfläche des Verankerungsgrundes (12) beziehen,

E(1)

für diesen Anker geprüft wird, ob der Bemessungswert der Lasteinwirkung den Bemessungswert der Widerstände dieses Ankers gegenüber mindestens einem Versagensmechanismus übersteigt,

F(1)

für den Fall, dass dieser Anker (14) mit einem Winkel alphaAnker zur Senkrechten zur Oberfläche des Befestigungsgrundes (12) derart geneigt eingesetzt sind, dass gilt:

alphaAnker = k * 3/4 * arctan (VSd / NSd ) für NSd > 0,

und

alphaAnker = k *67,5° für NSd = 0,

mit: 0,6 < k < 1,34, vorzugsweise 0,8 < k < 1,34 ,

G(1)

unter der Maßgabe, dass alphaAnker <= 75°

H(1)

wobei der Neigungswinkel alphaAnker in der Ebene zu messen ist, in der die der Bemessung zugrundeliegende Querlast VSd liegt und innerhalb dieser Ebene die Orientierung des Winkels so zu wählen ist, dass der Winkel zwischen einer Längsachse des Ankers und einer resultierenden Last geringer wird, als bei einer Montage senkrecht zur Oberfläche des Befestigungsgrundes,

I(1)

und falls dies nicht der Fall ist, der mindestens eine Anker (14) der Ankergruppe unter dem Winkel alphaAnker eingesetzt wird.

V. Die Beschwerdeführerin (Anmelderin) argumentierte im Wesentlichen wie folgt:

Erfinderische Tätigkeit - Hauptantrag

Der Gegenstand von Anspruch 7 des Hauptantrags sei erfinderisch. Das Computerprogramm liefere einen technischen Beitrag, indem es zu verbesserten Konstruktionen führe. Dies sei aus dem Stand der Technik nicht bekannt (Artikel 56 EPÜ).

Klarheit - Hilfsantrag 8

Der Gegenstand von Anspruch 1 des Hilfsantrags 8 sei klar (Artikel 84 EPÜ).

Entscheidungsgründe

1. Erfinderische Tätigkeit - Hauptantrag

1.1 Anspruch 7 definiert ein Computerprogrammprodukt mit Instruktionen, die folgende Schritte ausführen:

- Ausgabe eines Graphical User Interface mit Eingabefeldern für die Parameter NSd und VSd

- Berechnung der Bemessung eines Ankers für die eingegebenen Werte und für Winkel alphaAnker, die in einen vorgegebenen Bereich fallen

- Ausgabe der Bemessung, also die Angabe, inwiefern der Anker unter einem bestimmten Winkel geeignet ist, die angenommenen Lasten zu tragen (Figur 6).

1.2 Die Programmschritte des Anspruchs 7 beziehen sich also nur auf die Eingabe einer Information, eine Berechnung anhand dieser Information und die Präsentation des Ergebnisses.

Das beanspruchte Verfahren endet mit dieser Präsentation.

Es ist keineswegs impliziert (also zwingend), dass der Nutzer die angegebenen Werte übernimmt und die Anker tatsächlich entsprechend einsetzt. Im Gegenteil ist das Programm als ein reines Planungstool konzipiert, in das der Planer angenommene Werte eingibt und eine Ausgabe erhält, die ihn bei der Planung der Bauausführung unterstützt. Dabei ist keine kontinuierliche Interaktion zwischen dem Nutzer und dem Programm vorgesehen, die den Nutzer Schritt für Schritt durch das Programm führt (vgl.: T 336/14, T 1802/13 and T 1185/13). Die in dem Programmprodukt enthaltenen Instruktionen könnten (mit Ausnahme der Dateneingabe über das GUI) vielmehr auch rein mental ausgeführt werden. Zumindest ist dieses Szenario durch den Anspruch umfasst.

1.3 Lediglich das GUI mit den Eingabefeldern kann als technischer Gegenstand betrachtet werden. Dieser Gegenstand ist jedoch notorisch.

1.4 Der Anspruch besteht somit einerseits aus nichttechnischen Merkmalen und andererseits aus technischen Merkmalen, die aber nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhen. Da nach der auf die Entscheidung T 641/00 "COMVIC" zurückgehenden Rechtsprechung der Beschwerdekammern lediglich diejenigen Umstände, die zum technischen Charakter der Erfindung beitragen, im Hinblick auf die erfinderische Tätigkeit berücksichtigt werden können, führt dies im vorliegenden Fall zu der Feststellung, dass der Anspruch insgesamt nicht gewährbar ist (Artikel 56 EPÜ).

1.5 Die Hilfsanträge 1-7 enthalten den gleichen Anspruchswortlaut in folgenden Ansprüchen:

Anspruch 6 von Hilfsanträgen 1, 2 und 5,

Anspruch 5 von Hilfsantrag 3,

Anspruch 7 von Hilfsantrag 4,

Anspruch 1 von Hilfsanträgen 6 und 7.

1.6 Daher sind der Hauptantrag und die Hilfsanträge 1-7 zurückzuweisen.

2. Klarheit - Hilfsantrag 8

2.1 Die Prüfungsabteilung hat entschieden, dass Anspruch 1 des Hilfsantrags 8 unklar sei. Sie argumentierte, der Wert des Verhältnisses VSd/NSd sei wesentlich, um zu entscheiden ob in einer konkreten Situation ein Verfahren gemäß Anspruch 1 vorliege oder nicht. Daher sei auch die konkrete Weise, wie die Bemessungswerte VSd und NSd ermittelt würden, entscheidend. Die Ermittlung der Bemessungswerte sei aber unbekannt. Dies führe zu einem Mangel an Klarheit.

2.2 Zwar ist das Verhältnis VSd/NSd wesentlich für das beanspruchte Verfahren und dessen Ergebnis. Für ein gegebenes Verhältnis VSd/NSd ergibt die Anspruchsdefinition jedoch ein eindeutiges Ergebnis (bzw. Ergebnisbereich) für den Winkel alphaAnker, und damit für die Befestigung der Anbauteile.

Es ist dabei nicht relevant, auf welche Weise das Verhältnis VSd/NSd erhalten wurde. Das Verhältnis VSd/NSd dient in der Anspruchsdefinition als eine Variable, abhängig von welcher (zusammen mit der Variablen k) der Winkel alphaAnker eindeutig ermittelt wird. Die Anforderung der Klarheit nach Artikel 84 EPÜ schließt nicht aus, dass der Gegenstand eines Anspruchs von einer Variablen abhängt.

2.3 Es ist zwar richtig, dass sich an dem fertigen Gegenstand, also den befestigten Anbauteilen auf dem Befestigungsgrund, ohne Kenntnis des Verhältnisses VSd/NSd nicht feststellen lässt, ob die Anspruchsdefinition erfüllt wurde. Der Anspruch bezieht sich jedoch nicht auf den fertigen Gegenstand, sondern auf das Verfahren, mit dem zunächst der Winkel alphaAnker bestimmt wird, unter dem anschließend die Anbauteile befestigt werden.

2.4 Die Prüfungsabteilung merkte auch an, dass die Bemessungswerte VSd und NSd nicht eindeutig und kausal mit den Anspruchsmerkmalen verknüpft seien. Tatsächlich bilden jedoch die Bemessungswerte VSd und NSd den Ausgangspunkt einer eindeutigen Berechnungsvorschrift für den Winkel alphaAnker. Das Argument der Prüfungsabteilung trifft daher nicht zu.

2.5 Aus diesen Gründen erfüllt Anspruch 1 des Hilfsantrags 8 die Anforderungen zur Klarheit (Artikel 84 EPÜ).

3. Die Entscheidung der Prüfungsabteilung befasst sich im Hinblick auf die unabhängigen Ansprüche 1 und 3 des Hilfsantrags 8 nicht mit den Anforderungen nach den Artikeln 123(2), 54(2) und 56 EPÜ.

Die Angelegenheit wird daher an die Prüfungsabteilung zurückverwiesen mit der Maßgabe, auf Grundlage von Hilfsantrag 8 die Prüfung fortzusetzen.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

Die Angelegenheit wird an die Prüfungsabteilung zur weiteren Entscheidung zurückverwiesen.

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