European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:2023:T072721.20230303 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 03 März 2023 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 0727/21 | ||||||||
Anmeldenummer: | 14002527.1 | ||||||||
IPC-Klasse: | B05B 5/16 B05B 12/08 B05B 13/04 |
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Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | D | ||||||||
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Bezeichnung der Anmeldung: | Beschichtungsmittel-Versorgungseinrichtung und zugehöriges Betriebsverfahren | ||||||||
Name des Anmelders: | Dürr Systems AG | ||||||||
Name des Einsprechenden: | Exel Industries Sames Kremlin SAS / Sames Kremlin GmbH |
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Kammer: | 3.2.07 | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: |
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Schlagwörter: | Änderungen - zulässig (nein) Rückzahlung der Beschwerdegebühr - nach Rücknahme einer Beschwerde Rückzahlung der Beschwerdegebühr - anteilig (ja) |
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Orientierungssatz: |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
I. Die Einsprechende 1 legte form- und fristgerecht Beschwerde gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung ein, mit der das europäische Patent Nr. 2 810 719 in geänderter Fassung aufrechterhalten wurde.
Soweit auch die Patentinhaberin zunächst Beschwerde eingelegt hatte, nahm sie diese vor Verkündung dieser Entscheidung zurück und hatte fortan die Parteistellung als Beschwerdegegnerin zur Beschwerde der Einsprechenden 1 inne.
II. Die gemeinsam Einsprechenden 2 (Beitretenden, im Folgenden "Einsprechende 2" genannt) erklärten im anhängigen Beschwerdeverfahren ihren Beitritt.
III. Die Einsprüche richteten sich gegen das Patent im gesamten Umfang und stützten sich auf sämtliche Einspruchsgründe nach Artikel 100 EPÜ (mangelnde Neuheit und erfinderische Tätigkeit, Ausführbarkeit sowie unzulässige Änderungen).
IV. Die Einspruchsabteilung war der Auffassung, dass der Aufrechterhaltung des Patents in erteilter Fassung gemäß Hauptantrag zwar der Einspruchsgrund unzulässiger Änderungen nach Artikel 100 c) EPÜ entgegenstehe, das Patent jedoch in geänderter Fassung gemäß Hilfsantrag 1 aufrechtzuerhalten sei.
V. Mit Mitteilung gemäß Artikel 15 (1) VOBK 2020 vom 5. August 2022 teilte die Beschwerdekammer den Parteien ihre vorläufige Beurteilung der Sach- und Rechtslage mit, derzufolge die Beschwerde der Patentinhaberin voraussichtlich zurückzuweisen und die Beschwerde der Einsprechenden 1 erfolgreich sein dürften, d.h. das Patent zu widerrufen wäre.
VI. Die Patentinhaberin nahm mit Schriftsatz vom 9. November 2022 zur Mitteilung der Kammer inhaltlich Stellung, während die Einsprechende 2 mit Schriftsatz vom 22. Dezember 2022 auf diesen Schriftsatz der Patentinhaberin inhaltlich erwiderte. Die Einsprechende 1 reichte ihre letzte inhaltliche schriftsätzliche Eingabe am 1. August 2022 ein.
VII. Am 3. März 2023 fand die mündliche Verhandlung vor der Kammer statt. Wegen der Einzelheiten des Verlaufs der mündlichen Verhandlung wird auf das Protokoll verwiesen.
Der Tenor der Entscheidung wurde am Schluss der Verhandlung verkündet.
VIII. Die Einsprechende 1 (Beschwerdeführerin) beantragte
die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents.
Die Einsprechende 2 (weitere Verfahrensbeteiligte) beantragte
den Widerruf des Patents.
Die Patentinhaberin (Beschwerdegegnerin) beantragte
die Zurückweisung der Beschwerde der Einsprechenden 1 sowie die Zurückweisung des Einspruchs der Einsprechenden 2, d.h. die Aufrechterhaltung des Patents in der geänderten Fassung gemäß Hilfsantrag 1, die nach der angefochtenen Entscheidung als mit den Erfordernissen des EPÜ vereinbar erachtet wurde,
oder hilfsweise,
die Aufrechterhaltung des Patents in geänderter Fassung auf Basis eines der Anspruchssätze gemäß Hilfsanträgen 1A und 2 bis 8A sowie 1' bis 8'
in der Reihenfolge der Hilfsanträge 1A, 2, 2A, 3, 3A, 3B, 4, 4A, 4B, 5, 5A, 6, 6A, 7, 7A, 8, 8A, 1', 2', 3', 4', 5', 6', 7' und 8'.
IX. Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 lautet:
"Beschichtungsmittel-Versorgungseinrichtung für eine Lackieranlage, mit
a) einem Zerstäuber (22),
b) einem Lackierroboter (21) zum Führen des Zerstäubers (22),
c) einem Beschichtungsmittel-Dosierer (1), wobei der Beschichtungsmittel-Dosierer (1)
c1) ein zu applizierendes Beschichtungsmittel zu dem Zerstäuber (22) dosiert,
c2) ein Kolbendosierer ist, der einen Zylinder (2) und einen in dem Zylinder (2) verschieblichen Dosierkolben (3) aufweist, und
c3) zumindest zeitweise auf einem Hochspannungspotential liegt,
c4) in dem von dem Lackierroboter (21) geführten Zerstäuber (22) angeordnet ist und sich mit dem Lackierroboter (21) bewegt,
d) einer Ringleitung (38), und
e) einer Andock-Schnittstelle (13),
dadurch gekennzeichnet,
f) dass die Beschichtungsmittel-Versorgungseinrichtung einen Beschichtungsmittel-Speicherbehälter (6) aufweist zur vorübergehenden Aufnahme des Beschichtungsmittels und zur Versorgung des Beschichtungsmittel-Dosierers (1) mit dem Beschichtungsmittel, wobei der Beschichtungsmittel-Speicherbehälter (6)
f1) stromaufwärts vor dem Beschichtungsmittel-Dosierer (1) angeordnet und ausgangsseitig mit dem Beschichtungsmittel-Dosierer (1) verbunden ist,
f2) ortsfest angeordnet ist und
f3) auf einem erdnahen Potential liegt, und
f4) aus der Ringleitung (38) befüllt wird, und
g) dass der Beschichtungsmittel-Dosierer (1) über die Andock-Schnittstelle (13) trennbar mit dem Beschichtungsmittel-Speicherbehälter (6)verbunden werden kann."
X. Im Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 2 sind gegenüber Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 die folgenden Merkmale am Ende des Anspruchs hinzugefügt:
"h) dass der Beschichtungsmittel-Speicherbehälter (6) ein einstellbares Speichervolumen (10) aufweist, und
i) dass das Speichervolumen (10) des Beschichtungsmittel-Speicherbehälters (6) durch einen Kolben (8) einstellbar ist, und
j) dass der Kolben (8) des Beschichtungsmittel-Speicherbehälters (6) elektromotorisch, druckluftbetätigt oder hydraulisch angetrieben ist."
XI. Im Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 3 sind gegenüber Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 die folgenden Merkmale am Ende des Anspruchs hinzugefügt:
"h) dass der Beschichtungsmittel-Speicherbehälter (6) ein einstellbares Speichervolumen (10) aufweist, und
i) dass das Speichervolumen (10) des Beschichtungsmittel-Speicherbehälters (6) durch einen Kolben (8) einstellbar ist, und
j) dass der Kolben (8) des Beschichtungsmittel-Speicherbehälters (6) elektromotorisch angetrieben ist."
XII. Im Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 4 wird gegenüber Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 3 in Merkmal f2) zusätzlich definiert, dass der Beschichtungsmittel-Speicherbehälter "außerhalb des Lackierroboters (21)" angeordnet ist, und sind die folgenden Merkmale am Ende des Merkmals g) hinzugefügt:
"indem der Lackierroboter (21) den Zerstäuber (22) so bewegt, dass die Andock-Schnittstelle (13) an dem Beschichtungsmittel-Speicherbehälter (6) andockt, woraufhin der Beschichtungsmittel-Dosierer (1) aus dem Beschichtungsmittel-Speicherbehälter (6) befüllt werden kann".
XIII. Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 5 betrifft ein Betriebsverfahren für eine Beschichtungsmittel-Versorgungseinrichtung nach Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1,
"wobei das Betriebsverfahren folgende Schritte aufweist:
A) Dosierung eines Beschichtungsmittels durch einen Beschichtungsmittel-Dosierer (1) zu einem Zerstäuber (22),
B) Versorgung des Beschichtungsmittel-Dosierers (1) mit dem Beschichtungsmittel über einen Beschichtungsmittel-Speicherbehälter (6), der stromaufwärts vor dem Beschichtungsmittel-Dosierer (1) angeordnet und ausgangsseitig mit dem Beschichtungsmittel-Dosierer (1) verbunden ist,
C) Befüllung des Beschichtungsmittel-Speicherbehälters über eine Beschichtungsmittel-Zuleitung in Form einer Ringleitung (38) mit dem Beschichtungsmittel, wobei der Beschichtungsmittel-Speicherbehälter fest mit der Beschichtungsmittel-Zuleitung verbunden ist,
D) Elektrische Erdung des Zerstäubers (22) nach einem Applikationsvorgang,
E) Andocken des geerdeten Zerstäubers (22) mit dem Beschichtungsmittel-Dosierer an dem Beschichtungsmittel-Speicherbehälter mittels eines Lackierroboters, wobei der Lackierroboter den Zerstäuber (22) hochbeweglich führt,
F) Umfüllen des Beschichtungsmittels aus dem Beschichtungsmittel-Speicherbehälter in den Beschichtungsmittel-Dosierer, wenn der Beschichtungsmittel-Dosierer an den Beschichtungsmittel-Speicherbehälter angedockt ist,
G) Abdocken des Zerstäubers (22) mit dem Beschichtungsmittel-Dosierer von dem Beschichtungsmittel-Speicherbehälter nach dem Umfüllen,
H) Applikation des Beschichtungsmittels."
XIV. Im Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 6 sind gegenüber Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 5 die folgenden Merkmale am Ende des Anspruchs hinzugefügt:
"sowie mit folgenden Schritten bei einem Farbwechsel von einem alten Beschichtungsmittel zu einem neuen Beschichtungsmittel:
I) Befüllung des Beschichtungsmittel-Speicherbehälters (6) mit dem neuen Beschichtungsmittel aus einer Beschichtungsmittel-Zuleitung (11) während der Dosierung des alten Beschichtungsmittels durch den Beschichtungsmittel-Dosierer (1),
J) Beenden der Dosierung des alten Beschichtungsmittels durch den Beschichtungsmittel-Dosierer (1),
K) Befüllung des Beschichtungsmittel-Dosierers (1) mit dem neuen Beschichtungsmittel aus dem Beschichtungsmittel-Speicherbehälter (6),
L) Beginn der Dosierung des neuen Beschichtungsmittels durch den Beschichtungsmittel-Dosierer (1)."
XV. Im Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 7 sind gegenüber Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 6 die folgenden Merkmale am Ende des Merkmals K) hinzugefügt:
"wobei die Befüllung des Beschichtungsmittel-Speicherbehälters (6) mit einem kleineren Beschichtungsmittelstrom erfolgt als die Befüllung des Beschichtungsmittel-Dosierers (1), und".
XVI. Im Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 8 sind gegenüber Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 7 die folgenden Merkmale hinzugefügt:
"K) Entleerung des verbliebenen alten Beschichtungsmittels aus dem Beschichtungsmittel-Dosierer (1) nach dem Beenden der Dosierung des alten Beschichtungsmittels und vor der Befüllung des Beschichtungsmittel-Dosierers (1) mit dem neuen Beschichtungsmittel,
L) Spülen des Beschichtungsmittel-Dosierers (1) mit einem Spülmittel nach der Entleerung des alten Beschichtungsmittels aus dem Beschichtungsmittel-Dosierer (1) und vor der Befüllung des Beschichtungsmittel-Dosierers (1) mit dem neuen Beschichtungsmittel, ...
N) Rückführung des in dem Beschichtungsmittel-Speicherbehälter (6) nach der Befüllung des Beschichtungsmittel-Dosierers (1) verbliebenen restlichen neuen Beschichtungsmittels in die Beschichtungsmittel-Zuleitung (11),
O) Spülen des Beschichtungsmittel-Speicherbehälters (6) mit einer Spülflüssigkeit nach der Rückführung des darin verbliebenen neuen Beschichtungsmittels in die Beschichtungsmittel-Zuleitung (11), ...".
XVII. Im Anspruch 1 gemäß Hilfsanträgen 1A bis 8A sind gegenüber Anspruch 1 gemäß Hilfsanträgen 1 bis 8 am Ende von Merkmal c2) die folgenden Merkmale hinzugefügt:
"wobei der Dosierkolben (3) durch eine Schubstange elektromotorisch angetrieben ist,".
XVIII. Anspruch 1 gemäß Hilfsanträgen 3B und 4B entspricht jeweils Anspruch 1 gemäß Hilfsanträgen 3A und 4A.
XIX. Anspruch 1 gemäß Hilfsanträgen 1' bis 8' entspricht jeweils Anspruch 1 gemäß Hilfsanträgen 1 bis 8.
XX. Das entscheidungserhebliche Vorbringen der Beteiligten, das sich auf die Frage der Offenbarung der Merkmale d) und f4) von Anspruch 1 bezog, wird im Detail in den Entscheidungsgründen diskutiert.
Entscheidungsgründe
1. Verfahrensrechtliche Aspekte und Gegenstand des Beschwerdeverfahrens
1.1 Nach Rücknahme der Beschwerde der Patentinhaberin war nur noch die Beschwerde der Einsprechenden 1 anhängig. Die Einsprechende 2 war als Beitretende am Beschwerdeverfahren gemäß Artikel 107, Satz 2, EPÜ beteiligt.
1.2 Da die Patentinhaberin ihre Beschwerde vor Verkündung dieser Entscheidung zurückgenommen hat, ist gemäß Regel 103 (4) a) EPÜ die von ihr entrichtete Beschwerdegebühr in Höhe von 25 % zurückzuzahlen.
1.3 Angesichts dessen, dass die Einsprechende 1 nach Rücknahme der Beschwerde der Patentinhaberin alleinige Beschwerdeführerin war, beschränkte sich der Gegenstand des Beschwerdeverfahrens wegen des Verschlechterungsverbots (reformatio in peius) auf die Überprüfung der angefochtenen Entscheidung betreffend den Hilfsantrag 1, dessen geänderte Fassung von der Einspruchsabteilung als den Erfordernissen des EPÜ genügend erachtet wurde (Artikel 12 (2) VOBK 2020), sowie auf die von der Patentinhaberin gegenüber der aufrechterhaltenen Fassung nachrangig gestellten Hilfsanträge.
2. Hilfsantrag 1 (aufrechterhaltene Fassung des Patents) -
Änderungen - Offenbarung der Merkmale d) und f4) von Anspruch 1 (Artikel 123 (2) bzw. 76 (1) EPÜ)
2.1 Der Gegenstand von Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 entspricht unstreitig dem Gegenstand von Anspruch 1 des Patents in erteilter Fassung.
Daher galt das jeweilige Vorbringen der Beteiligten bezüglich der Frage der Offenbarung der Merkmale d) und f4) von Anspruch 1 in erteilter Fassung ebenso für den Hilfsantrag 1, wie von den Beteiligten während der mündlichen Verhandlung vor der Kammer übereinstimmend erklärt (siehe Protokoll der mündlichen Verhandlung vor der Kammer, Seite 4/7, vierter Absatz).
2.2 Die Einsprechende 1 machte geltend, dass entgegen der Feststellung unter Punkt II.3.2.2.2 i.V.m. Punkt II.4.1 der Gründe der angefochtenen Entscheidung, die Merkmale d) und f4) von Anspruch 1, die ein Befüllen des Beschichtungsmittel-Speicherbehälters aus einer Ringleitung angeben, nicht ursprungsoffenbart seien.
2.3 Die Einspruchsabteilung begründete diese Feststellung unter Punkt II.3.2.2.2 der angefochtenen Entscheidung damit, dass die Absätze [0048] und [0081] der A-Publikation des Streitpatents ausdrücklich zur Vermeidung von Wiederholungen auf die vorherige Beschreibung verwiesen, so dass eine Kombination der Merkmale zwischen den verschiedenen Ausführungsbeispielen nahegelegt werde.
Weiterhin werde im allgemeinen Teil der Beschreibung in Absatz [0011] der A-Publikation des Streitpatents die Befüllung des Beschichtungsmittel-Speicherbehälters aus der Ringleitung beschrieben.
Die Patentinhaberin argumentierte entsprechend der angefochtenen Entscheidung und trug vor, dass auch Absatz [0041] der A-Publikation des Streitpatents die streitigen Merkmale offenbare, denn die Kombination müsse lediglich innerhalb des Dokuments nahegelegt werden.
2.4 Die Einsprechende 1 bemängelte auch die Feststellung unter Punkt II.3.2.2.3 i.V.m. Punkt II.4.1 der Gründe der angefochtenen Entscheidung, dass keine unzulässige Zwischenverallgemeinerung vorliege, und argumentierte, dass das Merkmal einer Befüllung des Speicherbehälters aus der Ringleitung in den Absätzen [0041] bis [0043] zur Figur 1 der A-Publikation des Streitpatents untrennbar mit den anderen in diesen Absätzen beschriebenen Merkmalen verknüpft sei.
2.5 Bezüglich der Zwischenverallgemeinerung stellte die Einspruchsabteilung unter Punkt II.3.2.2.3 der Gründe der angefochtenen Entscheidung fest, dass die Erfordernisse von Artikel 123 (2) EPÜ erfüllt seien, da die Ringleitung nicht nur im Zusammenhang mit dem speziellen Ausführungsbeispiel von Figur 1 in den Absätzen [0041] bis [0043] der A-Publikation des Streitpatents offenbart sei, sondern auch in Absatz [0011] des allgemeinen Teils der Beschreibung der A-Publikation des Streitpatents. Dort sei die Ringleitung nicht zusammen mit den von der Einsprechenden 1 angegebenen Merkmalen offenbart, so dass keine unerlaubte Zwischenverallgemeinerung vorliege.
2.6 Diese Feststellungen der angefochtenen Entscheidung halten jedoch einer gerichtlichen Überprüfung nach Artikel 106 (1) EPÜ und Artikel 12 (2) VOBK 2020 nicht stand.
2.6.1 Denn, wie die Einsprechenden zurecht rügten, das Naheliegen der Kombination von Merkmalen genügt nicht, um das Erfordernis einer unmittelbaren und eindeutigen Offenbarung zu erfüllen (siehe Rechtsprechung der Beschwerdekammern [RdB], 10. Auflage 2022, II.E.1.3.4).
Nach ständiger Rechtsprechung zur Kombination von Merkmalen aus verschiedenen Ausführungsformen darf der Inhalt einer Anmeldung nicht als Reservoir gesehen werden, aus dem Merkmale aus verschiedenen Ausführungsformen kombiniert werden können, um eine bestimmte Ausführungsform zu kombinieren. Ohne einen Hinweis auf die bestimmte Kombination ergibt sich die entsprechende Auswahl von Merkmalen für die Fachperson nicht klar und eindeutig aus dem Inhalt der Anmeldung in der eingereichten Fassung (siehe RdB, a.a.O., II.E.1.6.1).
In den Absätzen [0048] und [0081] der A-Publikation des Streitpatents ist zwar angegeben, dass die jeweilige Ausführungsform weitgehend mit den vorstehend beschriebenen Ausführungsformen übereinstimmt. Allerdings enthält dieser allgemeine Verweis in den Absätzen [0048] und [0081] auf die vorangehende Beschreibung entgegen der Meinung der Patentinhaberin keinen Hinweis, diese Ausführungsform mit einem bestimmten Merkmal der vorangehenden Beschreibung zu kombinieren, und nicht den geringsten Hinweis auf die konkrete Kombination der Merkmale von Anspruch 1.
Daher leitete die Fachperson nicht unmittelbar und eindeutig aus der (früheren) Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung ab, dass das spezifische Merkmal der Ausführungsform nach Figur 1 (Absätze [0041] bis [0043]), wonach der Beschichtungsmittel-Speicherbehälter durch eine Ringleitung befüllt wird, auch für die Ausführungsform nach Figur 10 gälte.
2.6.2 Entgegen der angefochtenen Entscheidung ist ferner festzustellen, dass auch Absatz [0011] des allgemeinen Teils der Beschreibung keine Basis für eine zulässige Aufnahme der streitigen Merkmale in den Anspruch 1 bietet.
Nach der ständigen Rechtsprechung ist es in der Regel nicht zulässig, bei der Änderung eines Anspruchs isolierte Merkmale aus einer Reihe von Merkmalen herauszugreifen, die ursprünglich nur in Kombination miteinander offenbart waren (siehe RdB, a.a.O, II.E.1.9.1).
Die Kammer folgt den Einsprechenden, dass Absatz [0011], letzter Satz, der A-Publikation des Streitpatents lediglich eine Ringleitung im Zusammenhang mit einer Sonder-Farbversorgung und kleinerem Leitungsquerschnitt offenbart, wobei sich keine Offenbarung findet, diese Merkmale isoliert voneinander vorzusehen. Daher liegt eine unzulässige Zwischenverallgemeinerung vor.
2.7 Die Patentinhaberin verwies zur Ursprungsoffenbarung der Merkmale d) und f4) von Anspruch 1 auf folgende Offenbarungsstellen in der Beschreibung:
- Kombination des Ausführungsbeispiels gemäß Figur 10 (Absatz [0081] der A-Publikation des Streitpatents) mit Absatz [0041] der Beschreibung,
- Kombination des Ausführungsbeispiels gemäß Figur 10 (Absatz [0081] der A-Publikation des Streitpatents) mit Absatz [0011] der Stammanmeldung
und argumentierte wie folgt.
2.7.1 Zum einen nenne Absatz [0041] zwei äquivalente Alternativen für die Befüllung des Beschichtungsmittel-Speicherbehälters, nämlich die Befüllung aus einem Farbwechsler und die Befüllung aus einer Ringleitung. Damit gehöre die in Absatz [0041] offenbarte Befüllung des Beschichtungsmittel-Speicherbehälters aus einer Ringleitung auch zum Offenbarungsgehalt der Beschreibung zu Figur 10. Die Ausführungsbeispiele gemäß Figuren 1 und 10 seien im Wesentlichen ähnliche Ausführungsarten. Beide Ausführungsbeispiele ermöglichten nämlich die in Absatz [0011] der A-Publikation des Streitpatents angegebene allgemeine technische Lehre. Die Begriffe "Beschichtungsmittel-Zuleitung 11" nach Figur 10 und "Ringleitung" in Absatz [0041] seien äquivalente Begriffe. Dies erlaube die Übertragung des Begriffs "Ringleitung" aus Absatz [0041] auf das Ausführungsbeispiel gemäß Figur 10.
Es sei kein positiver Hinweis auf die Kombination erforderlich, sondern ausreichend, wenn für die Fachperson kein negativer Anlass bestehe, die Kombination zu unterlassen. Im vorliegenden Fall sei jedoch kein Grund ersichtlich, warum die Fachperson annehmen sollte, dass die in Figur 10 gezeigte "Beschichtungsmittel-Zuleitung 11" keine Ringleitung sein könne, wie sie in Absatz [0041] der Beschreibung offenbart sei.
Die allgemeine technische Lehre des Streitpatents sehe gemäß dem ursprünglichen Absatz [0011] des Streitpatents vor, dass der Beschichtungsmittel-Speicherbehälter während des Lackierens mit relativ kleinem Volumenströmen aus einer Farb-Ringleitung befüllt werden könne und zwar direkt oder über einen Farbwechsler. Die Ausführungsbeispiele gemäß Figuren 1 und 10 seien beide repräsentativ für diese allgemeine technische Lehre. Bei beiden Ausführungsbeispielen werde nämlich der Beschichtungsmittel-Dosierer nicht direkt aus Ringleitung/Farbwechsler befüllt, sondern indirekt über den Beschichtungsmittel-Speicherbehälter. Erst dies ermögliche es, den Beschichtungsmittel-Dosierer in Lackierpausen schnell aus dem Beschichtungsmittel-Speicherbehälter zu befüllen, während der Beschichtungsmittel-Speicherbehälter während des Lackierens langsam nachgefüllt werde. Dies sei die allgemeine technische Lehre des Streitpatents.
Die Kombination der in Absatz [0041] der ursprünglichen Beschreibung offenbarten Merkmale d) und f4) mit dem Ausführungsbeispiel gemäß Figur 10 gehöre also zum ursprünglichen Offenbarungsgehalt des Streitpatents.
2.7.2 Zum anderen sei eine Zwischenverallgemeinerung nicht grundsätzlich unzulässig, sondern nur wenn die aufgenommenen Merkmale mit den nicht aufgenommenen Merkmalen untrennbar verbunden seien.
Eine Sonder-Farbversorgung zusätzlich zu einer Ringleitung sei jedoch nicht zwingend erforderlich. Die Sonder-Farbversorgung sei also nicht untrennbar verbunden mit der Ringleitung gemäß den Merkmalen d) und f4). Auch offenbare Absatz [0011] für die Fachperson die Ringleitung und die Sonder-Farbversorgung nicht in Kombination miteinander, sondern als Alternativen. Weitere Merkmale in Absatz [0011] seien lediglich optionale Merkmale. Der begrenzte Leitungsquerschnitt sei ein Merkmal der allgemeinen technischen Lehre nach Absatz [0011], das die Fachperson in anderen Ausführungsbeispielen übernehme. Es sei deshalb nicht erforderlich, die Sonder-Farbversorgung oder den kleineren Leitungsquerschnitt mit in Anspruch 1 aufzunehmen.
2.7.3 Vielmehr müsse nach dem Goldstandard gemäß G 2/10 geprüft werden, ob die Änderung zulässig sei und ob die Änderung dazu führe, dass die Fachperson neue technische Informationen erhalte, wobei auf die Sicht der Fachperson abzustellen sei.
In Absatz [0011] der ursprünglichen Beschreibung werde die allgemeine technische Lehre des Streitpatents erläutert, die als solche übergreifend für alle Ausführungsbeispiele gelte. Die Fachperson werde deshalb bei allen Ausführungsbeispielen davon ausgehen, dass der Beschichtungsmittel-Speicherbehälter aus einer Ringleitung befüllt werde und zwar direkt oder indirekt über einen Farbwechsler. Denn nur dann stelle sich überhaupt das der Erfindung zugrunde liegende Problem und nur dann biete die Erfindung den in Absatz [0011] erwähnten Vorteil der Reduzierung der Farbwechselzeiten.
Die Übertragung der Merkmale d) und f4) auf das Ausführungsbeispiel gemäß Figur 10 vermittle der Fachperson also im Sinne des Goldstandards keine neue technische Information. Die Prüfung gemäß dem Goldstandard bestätige somit die Ursprungsoffenbarung der Merkmale d) und f4).
2.7.4 Ein enger Zusammenhang zwischen den beanspruchten Merkmalen d) und f4) und den weiteren Merkmalen der Absätze [0011] bzw. [0041] sei allein gesehen bei der Betrachtung der Zwischenverallgemeinerung unschädlich, sofern die Fachperson zweifelsfrei erkennen könne, dass sich diese Merkmale auf den allgemeineren Kontext beziehen.
In Absatz [0011] werde jedoch die allgemeine technische Lehre erläutert, die eben gerade darauf beruhe, dass das Beschichtungsmittel aus einer Ringleitung bereitgestellt werde. Die Speisung aus einer Ringleitung beziehe sich also auf den allgemeineren technischen Kontext, so dass die Zwischenverallgemeinerung zulässig sei.
2.8 Diese Argumentation der Patentinhaberin überzeugt indes nicht.
2.8.1 Der Maßstab für die Beurteilung der Einhaltung der Erfordernisse von Artikeln 76 (1) bzw. 123 (2) EPÜ ist nach dem Goldstandard definiert, auf den bei der Prüfung der Frage, ob der Gegenstand des Patents über den Inhalt der (früheren) Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgeht, abzustellen ist. Demnach dürfen Änderungen nur im Rahmen dessen erfolgen, was die Fachperson der Gesamtheit der Unterlagen in ihrer ursprünglich eingereichten Fassung unter Heranziehung des allgemeinen Fachwissens, objektiv und bezogen auf den Anmeldetag, unmittelbar und eindeutig entnehmen kann (siehe G 2/10; RdB, a.a.O, II.E.1.3.1).
2.8.2 Wie von der Einsprechenden 1 überzeugend dargelegt, kann die Fachperson jedoch aus den Absätzen [0041] bis [0043], die sich auf das Ausführungsbeispiel nach Figur 1 beziehen, nicht zweifelsfrei erkennen, dass das streitige Merkmal der Befüllung des Speicherbehälters aus der Ringleitung nicht nur im Zusammenhang mit den anderen in diesen Absätzen genannten Merkmalen der Ausführungsform nach Figur 1 verbunden ist, so dass die isolierte Aufnahme des streitigen Merkmals in den Anspruch 1 ohne die übrigen Merkmale dieser Ausführungsform nach den Absätzen [0041] bis [0043] und Figur 1 eine unzulässige Zwischenverallgemeinerung darstellt.
2.8.3 Entgegen der Meinung der Patentinhaberin ist festzustellen, dass Absatz [0011] die von der Patentinhaberin behauptete allgemeine technische Lehre, das Beschichtungsmittel aus einer Ringleitung bereitzustellen, nicht unmittelbar und eindeutig zu entnehmen ist. Da Absatz [0011] keine allgemeine Lehre einer Befüllung des Beschichtungsmittel-Speicherbehälters aus einer Ringleitung vermittelt, kann auch keine allgemeine Lehre auf andere Ausführungsbeispiele, insbesondere auf das Ausführungsbeispiel nach Figur 10, übertragen werden.
Darüber hinaus bieten die Absätze [0011] bzw. [0041] auch aus den oben unter den Punkten 2.6.2 und 2.8.2 angegebenen Gründen keine Basis für die zulässige Aufnahme der streitigen Merkmale in den Anspruch 1.
2.8.4 Der Gegenstand von Anspruch 1 geht daher entgegen den Erfordernissen von Artikeln 76 (1) und 123 (2) EPÜ über den Inhalt der (früheren) Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinaus.
3. Weitere Hilfsanträge
Der jeweilige Gegenstand von Anspruch 1 der Hilfsanträge 1A, 2, 2A, 3, 3A, 3B, 4, 4A, 4B, 5, 5A, 6, 6A, 7, 7A, 8, 8A, 1', 2', 3', 4', 5', 6', 7' und 8' umfasst unstreitig die Merkmale d) und f4) von Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1.
Daher erfüllt der jeweilige Gegenstand von Anspruch 1 dieser Hilfsanträge aus den oben unter Punkt 2 zum Hilfsantrag 1 angegebenen Gründen nicht die Erfordernisse von Artikeln 76 (1) bzw. 123 (2) EPÜ.
4. Schlussfolgerung
Die Einsprechende 1 hat somit die Unrichtigkeit der angefochtenen Entscheidung, dass die Merkmale d) und f4) von Anspruch 1 keine unzulässige Änderung darstellen, in überzeugender Weise dargelegt. Mithin, und in Abwesenheit eines in der Sache gewährbaren Antrags der Patentinhaberin, ist die Beschwerde der Einsprechenden 1 erfolgreich.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die von der Patentinhaberin gezahlte Beschwerdegebühr wird in Höhe von 25 % zurückgezahlt.
2. Die angefochtenen Entscheidung wird aufgehoben.
3. Das Patent wird widerrufen.