European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:2023:T050621.20230505 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 05 Mai 2023 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 0506/21 | ||||||||
Anmeldenummer: | 10172121.5 | ||||||||
IPC-Klasse: | B29C 51/02 B29C 51/14 B32B 37/15 B32B 38/14 B32B 38/12 B32B 27/08 B29K 27/06 B29L 9/00 |
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Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | D | ||||||||
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Bezeichnung der Anmeldung: | Verfahren zum Herstellen von thermoplastisch geformten Anordnungen und Folienanordnung | ||||||||
Name des Anmelders: | PACCOR Packaging GmbH | ||||||||
Name des Einsprechenden: | RPC Bebo-Plastik GmbH | ||||||||
Kammer: | 3.2.05 | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: |
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Schlagwörter: | Entscheidung im schriftlichen Verfahren Unzulässige Erweiterung (ja) |
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Orientierungssatz: |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
I. Die Einsprechende legte Beschwerde ein gegen die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung, dass das europäische Patent Nr. EP 2 444 236 (das Patent) mit den im Einspruchsverfahren vorgenommenen Änderungen gemäß Hilfsantrag 3, eingereicht in der mündlichen Verhandlung am 27. Januar 2021, den Erfordernissen des Übereinkommens genügt.
II. Der Einspruch war gegen das Streitpatent in vollem Umfang eingelegt worden und auf die Einspruchsgründe nach Artikel 100 a) EPÜ i.V.m. Artikel 54 EPÜ (fehlende Neuheit) und Artikel 56 EPÜ (mangelnde erfinderische Tätigkeit), Artikel 100 b) EPÜ und Artikel 100 c) EPÜ gestützt worden.
III. Am 8. August 2022 wurden die Beteiligten zu einer auf den 27. Juli 2023 anberaumten mündlichen Verhandlung geladen.
IV. Anträge
Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents. Einen Antrag auf Anberaumung einer mündliche Verhandlung hat sie nicht gestellt.
Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) teilte mit Schreiben vom 26. Oktober 2022 mit, dass sie sich an dem Beschwerdeverfahren nicht beteilige und an der mündlichen Verhandlung am 27. Juli 2023 nicht teilnehmen werde. Es wurden keine Anträge seitens der Beschwerdegegnerin gestellt.
V. In einer Mitteilung vom 17. März 2023 informierte die Geschäftsstelle der Beschwerdekammer die Beteiligten, dass der für den 27. Juli 2023 anberaumte Termin zur mündliche Verhandlung aufgehoben sei.
VI. Der Wortlaut der unabhängigen Ansprüche der aufrechterhaltenen Fassung gemäß Hilfsantrag 3 ist wie folgt (Merkmalsgliederung in eckigen Klammern):
"1. [M1.1] Verfahren zum Herstellen von thermoplastisch geformten Anordnungen aus Kunststofffolien, [M1.2] wobei eine aus wenigstens zwei Schichten (1,2) bestehende Folienanordnung (4) vorgesehen ist, [M1.3] wobei die Folienanordnung (4) durch Zusammenführen einer fertigen Folie (1) mit einer weiteren Folie (2), durch Extrusionsbeschichtung, Extrusionskaschierung, Coextrusion oder dergleichen gebildet wird [M1.4] und daß zwischen den beiden Schichten und/oder auf einer der beiden Schichten wenigstens partiell eine Bedruckung (3) vorgesehen ist, [M1.5] und daß die Folienschichten (1,2) bei einer anschließenden thermoplastischen Verformung miteinander verbunden werden, [M1.6] wobei abgetrennte Reste des Tiefziehmaterials sehr leicht wieder voneinander getrennt und getrennt einer Wiederverwertung zugeführt werden können, [M1.7] wobei wenigstens partiell zwischen den Schichten eine Siegelschicht, insbesondere ein Siegellack, vorgesehen ist, [M1.8] die eine nachträgliche Trennung der Schichten durch eine nochmalige Erwärmung ermöglicht und so eine getrennte Wiederverwertung der durch die thermoplastische Verformung gebildeten Verpackung ermöglicht, dadurch gekennzeichnet, [M1.9] dass wenigstens eine Außenschicht eine Mikroprägung aufweist."
"9. [M9.1] Folienanordnung (3) zum Herstellen von thermoplastisch geformten Anordnungen (6), [M9.2] wobei eine aus wenigstens zwei Schichten (1, 2) bestehende Folienanordnung (3) vorgesehen ist, [M9.3] wobei die Folienanordnung (4) durch Zusammenführen einer fertigen Folie (1) mit einer weiteren Folie (2), durch Extrusionsbeschichtung, Extrusionskaschierung, Coextrusion oder dergleichen gebildet ist [M9.4] und daß zwischen den beiden Schichten und/oder auf einer der beiden Schichten wenigstens partiell eine Bedruckung (3) vorgesehen ist, [M9.5] und daß die Folienschichten (1,2) bei einer anschließenden thermoplastischen Verformung miteinander verbunden werden können, [M9.6] wobei abgetrennte Reste des Tiefziehmaterials sehr leicht wieder voneinander getrennt und getrennt einer Wiederverwertung zugeführt werden können, [M9.7] wobei zwischen den Folienschichten (1, 2) eine Siegelschicht, insbesondere ein Siegellack vorgesehen ist, [M9.8] die eine nachträgliche Trennung der Schichten durch eine nochmalige Erwärmung ermöglicht und so eine getrennte Wiederverwertung der durch die thermoplastische Verformung gebildeten Verpackung ermöglicht, dadurch gekennzeichnet, [M1.9] dass wenigstens eine Außenschicht eine Mikroprägung aufweist."
VII. Der für die vorliegende Entscheidung relevante Vortrag der Beschwerdeführerin lässt sich folgendermaßen zusammenfassen:
Anspruch 1 der aufrechterhaltenen Fassung gemäß Hilfsantrag 3 - unzulässige Erweiterung
Anspruch 1 der aufrechterhaltenen Fassung gemäß Hilfsantrag 3 sei unzulässig erweitert (Artikel 123 (2) EPÜ). In der ursprünglich eingereichten Anmeldung sei keine Mikroprägung im Zusammenhang mit einem Verfahren genannt. Es sei auch kein Schritt offenbart, in dem die Mikroprägung in die Außenschicht eingebracht werde. Der Verfahrensanspruch 1 umfasse ein Verfahren zum Herstellen von thermoplastisch geformten Anordnungen aus Kunststofffolien. Es sei im geänderten Anspruch nicht definiert, wann und wo im Verfahren das neue Merkmal auftrete oder eingefügt werden müsse. Der unabhängige Produktanspruch beträfe die Folienanordnung vor dem Umformen und nicht die tiefgezogene Verpackung. In diesem Zusammenhang sei das Merkmal der eine Mikroprägung aufweisenden Außenschicht offenbart, nicht jedoch für den Verfahrensanspruch 1. Insofern gehe sein Gegenstand über die ursprüngliche Anmeldung hinaus.
Entscheidungsgründe
1. Entscheidung im schriftlichen Verfahren
Weder die Beschwerdeführerin noch die Beschwerdegegnerin haben einen Antrag auf mündliche Verhandlung gestellt (vgl. Punkt IV. oben). Die Beschwerdesache ist auf der Grundlage der zu überprüfenden angefochtenen Entscheidung und des vorliegenden schriftlichen Vorbringens der Beteiligten unter Wahrung deren Rechte gemäß Artikel 113 und 116 EPÜ entscheidungsreif. Daher konnte im vorliegenden Fall die mündliche Verhandlung abberaumt werden und die Entscheidung im schriftlichen Verfahren ohne mündliche Verhandlung gemäß Artikel 12 (8) VOBK 2020 ergehen.
2. Anspruch 1 der aufrechterhaltenen Fassung gemäß Hilfsantrag 3 - unzulässige Erweiterung
2.1 Im Verfahrensanspruch 1 der aufrechterhaltenen Fassung gemäß Hilfsantrag 3 wurde im Vergleich zur erteilten Fassung das Merkmal "dass wenigstens eine Außenschicht eine Mikroprägung aufweist" aufgenommen.
2.2 Eine Basis für diese Änderungen sieht die Einspruchsabteilung im Absatz [0049] der veröffentlichten Patentanmeldung (bzw. auf Seite 8, vorletzter Absatz der ursprünglich eingereichten Fassung der Anmeldung) und im ursprünglich eingereichten Anspruch 14 (siehe angefochtene Entscheidung, Gründe, Punkt 11.1).
2.3 Die Kammer stellt fest, dass der ursprünglich eingereichte Anspruch 14 ein abhängiger Anspruch ist, der sich auf den ursprünglich eingereichten Produktanspruch 9 bezieht. Daher kann der ursprünglich eingereiche Anspruch 14 für sich genommen keine Grundlage bilden für die Änderung des Verfahrensanspruchs. Der Begriff Mikroprägung findet sich außerdem in der ursprünglich eingereichten Beschreibung auf Seite 8, vorletzter Absatz und auf Seite 12, dritter Absatz. Diese lauten:
"Eine weitere sehr vorteilhafte Ausgestaltung der Erfindung liegt auch vor, wenn wenigstens eine Außenschicht eine Mikroprägung, eine Mikroschäumung, eine glänzende oder matte Ausrüstung, eine perlmuttartige Ausrüstung, eine Metallisierung oder dergleichen aufweist."
"Es sind auch andere Gestaltungen mit eingefärbten oder mit definierter Opazität versehenen Deckschichten denkbar. Perlmutteffekte, Mikroprägungen, Schäumungen oder dergleichen lassen sich so einfach realisieren."
Beide Absätze beschäftigen sich mit einem Produkt, nämlich der Folienanordnung. In der ursprünglich eingereichten Anmeldung findet sich keine Offenbarung einer eine Mikroprägung aufweisenden Außenschicht im Zusammenhang mit einem Verfahren zum Herstellen von thermoplastisch geformten Anordnungen aus Kunststofffolien. Wie die Beschwerdeführerin richtig dargelegt hat, betrifft auch der ursprüngliche Produktanspruch 14, der unter anderem die Mikrostruktur der Außenschicht offenbart, nicht die thermoplastisch geformte Anordnung, sondern die Folienanordnung vor der thermoplastischen Verformung. Dies ist im Verfahrensanspruch 1 jedoch nicht definiert. Es bleibt offen, wie und wann diese Mikroprägungen an der Außenschicht im Verfahren nach Anspruch 1 aufgebracht werden. Für die vorgenommene Änderung von Anspruch 1 findet sich in dieser Allgemeinheit keine Offenbarung in der ursprünglich eingereichten Anmeldung.
2.4 Daraus schließt die Kammer, dass die von der Beschwerdegegnerin im Einspruchsverfahren vorgenommene Änderung ursprünglich nur in einer funktionalen und strukturellen Verbindung mit der Folienanordnung, aber nicht in Verbindung mit dem Verfahren zum Herstellen von thermoplastisch geformten Anordnungen aus Kunststofffolien offenbart ist.
2.5 Nach dem in der Entscheidung G 2/10 entwickelten und als "Goldstandard" bezeichneten Offenbarungskonzept ist bei der Beurteilung der Zulässigkeit von Änderungen entscheidend, was der Fachmann dem Gesamtinhalt der Anmeldung in ihrer ursprünglich eingereichten Fassung unter Heranziehung des allgemeinen Fachwissens unmittelbar und eindeutig entnehmen kann.
2.6 Im von der Patentinhaberin im Einspruchsverfahren zitierten Absatz [0049] der veröffentlichten Patentanmeldung (bzw. auf Seite 8, vorletzter Absatz der ursprünglich eingereichten Anmeldung) gibt es nach Auffassung der Kammer keine Anhaltspunkte für ein Verfahren. Insbesondere ist keine unmittelbare und eindeutige Offenbarung erkennbar, dass das Verfahren nach Anspruch 1 um das Merkmal einer wenigstens eine Mikroprägung aufweisenden Außenschicht ergänzt werden kann. Auch der ursprünglich eingereichte Anspruch 14 lässt keine Rückschlüsse auf ein Verfahren zu.
2.7 Schlussfolgerung bezüglich unzulässiger Erweiterung
Hinsichtlich des Anspruchs 1 der aufrechterhaltenen Fassung gemäß Hilfsantrag 3 liegt ein Verstoß gegen die Bestimmungen des Artikels 123 (2) EPÜ vor.
3. Schlussfolgerung
Anspruch 1 des Patents in der aufrechterhaltenen Fassung gemäß Hilfsantrag 3 genügt nicht den Erfordernissen des EPÜ. Es liegen keine weiteren Anträge seitens der Beschwerdegegnerin vor, weshalb das Patent zu widerrufen ist.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Das Patent wird widerrufen.