T 0419/21 () of 26.2.2024

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2024:T041921.20240226
Datum der Entscheidung: 26 Februar 2024
Aktenzeichen: T 0419/21
Anmeldenummer: 17400043.0
IPC-Klasse: H02J 3/14
H02J 3/32
H02J 3/38
H02J 9/06
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Automatisiertes Batteriespeicher-System und Kraftwerk, zur Erzeugung von Strom, Stabilisierung der Netze, Erbringung von Regelenergie
Name des Anmelders: Bioenergon Green Energy Ltd
Name des Einsprechenden: -
Kammer: 3.5.02
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 114
European Patent Convention Art 86(1)
European Patent Convention R 103
Schlagwörter: Bedingte Rücknahme der Beschwerde - innerprozessuale Bedingung/ eindeutige Bedingung - (nein)
Rückzahlung der Beschwerdegebühr - (nein)
Nichtzahlung der Jahresgebühr - Erledigung des Verfahrens (ja)
Orientierungssatz:

Die Erklärung der Beschwerderücknahme unter einer Bedingung ist grundsätzlich unwirksam, wenn dadurch zunächst offenbleibt, ob das Beschwerdeverfahren fortgesetzt werden kann (Entscheidungsgründe 2.1).

Dies gilt insbesondere, wenn es sich nicht um eine rein innerprozessuale (Entscheidungsgründe 2.3) oder nicht eindeutige Bedingung (Entscheidungsgründe 2.2) handelt.

Angeführte Entscheidungen:
J 0011/94
J 0016/94
J 0027/94
T 0006/92
T 0304/99
T 0502/02
T 0854/02
T 1402/13
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die am 22. Februar 2021 eingelegte Beschwerde der Patentanmelderin richtet sich gegen die Entscheidung der Prüfungsabteilung, mit der die europäische Patentanmeldung Nr. 17 400 043.0 zurückgewiesen worden ist.

II. Die Prüfungsabteilung war zu der Auffassung gelangt, dass sämtliche vor ihr anhängigen Anträge gegen Artikel 123 (2) EPÜ verstoßen, da keine ursprüngliche Offenbarung für die beanspruchten zwei Filter des Netzbereiches vorliege.

In einer Mitteilung vom 5. September 2022 hat die Prüfungsabteilung die Beschwerdeführerin darauf hingewiesen, dass die am 31. Juli 2022 fällige 6. Jahresgebühr nicht gezahlt wurde. Zugleich wurde sie auf die Möglichkeit hingewiesen, diese Gebühr zuzüglich einer Zuschlagsgebühr bis zum letzten Tag des sechsten Kalendermonats nach Fälligkeit nachzuzahlen (31. Januar 2023).

III. Mit Schriftsatz vom 31. Januar 2023 erklärte die Beschwerdeführerin die Rücknahme der Beschwerde mit folgender Bedingung:

"...namens und in Vertretung der Beschwerdeführenden Anmelderin wird die vorliegende Beschwerde T0419/21- 3.5.02 zurückgenommen, sofern nicht

- die Jahresgebühr für das sechste (6.) Jahr (= EPA-Gebühren-Code 036) sowie

- die Zuschlagsgebühr zur Jahresgebühr für das sechste (6.) Jahr (= EPA-Gebühren-Code 096) wirksam entrichtet sind."

IV. Durch Mitteilung vom 3. März 2023 hat die Kammer darauf hingewiesen, dass die Beschwerderücknahme unwirksam sein dürfte, da sie von einer Bedingung abhänge, die nicht rein innerprozessualer Art ist.

V. In einer Feststellung eines Rechtsverlusts nach Regel 112 (1) EPÜ vom 12. Juni 2023 hat die Prüfungsabteilung die Beschwerdeführerin darauf hingewiesen, dass die europäische Patentanmeldung gemäß Artikel 86 (1) EPÜ als zurückgenommen gilt, weil die Jahresgebühr für das sechste Jahr und die Zuschlagsgebühr nicht rechtzeitig bzw. nicht in voller Höhe rechtzeitig entrichtet wurden.

VI. In ihrem Schriftsatz vom 22. August 2023 hat die Beschwerdeführerin daraufhin beantragt,

"...dass das Europäische Patentamt (EPA) eine Entscheidung dergestalt erlässt, dass die vom 12. Juni 2023 datierende amtliche Feststellung, die oben bezeichnete europäische Patentanmeldung 17 400 043.0 - 1202 gelte gemäß Art. 86 (1) S.3 EPÜ als zurückgenommen, nicht zutrifft;...".

In der mündlichen Verhandlung vor der Kammer nahm die Beschwerdeführerin diesen Antrag auf Entscheidung nach Regel 112 (2) EPÜ zurück.

VII. Die Beschwerdeführerin hat in ihrem Schreiben vom 22. August 2023 zudem argumentiert, dass die Beschwerderücknahme wirksam erklärt worden und folglich die Beschwerdegebühr zurückzuerstatten sei. Die Tatsache, dass die Anmeldung durch Nichtzahlung der 6. Jahresgebühr als zurückgenommen gelte und die Beendigung des Beschwerdeverfahren hieraus folge, sei eine zulässige innerprozessuale Bedingung.

VIII. In einer der Ladung zur mündlichen Verhandlung beigefügten Mitteilung nach Artikel 15 (1) VOBK hat die Kammer mitgeteilt, dass sie die bedingte Rücknahme der Beschwerde weiterhin als unwirksam betrachte, da bereits fraglich sei, ob die Rücknahme einer Beschwerde überhaupt unter einer Bedingung erklärt werden kann und dass die Bedingung nicht rein innerprozessualer Art sei. Zudem sei die Bedingung "wirksam entrichtet" auch nicht eindeutig.

IX. In der mündlichen Verhandlung vor der Kammer stellte die Beschwerdeführerin ihre Anträge abschließend wie folgt:

1. festzustellen, dass die Beschwerde in dem Beschwerdeverfahren T 419/21 durch die im Schriftsatz vom 31. Januar 2023 erklärte Beschwerderücknahme zurückgenommen wurde;

2. die Rückzahlung der Beschwerdegebühr in der in Regel 103 EPÜ definierten Höhe.

X. Die weiteren für die Entscheidung relevanten Argumente der Beschwerdeführerin werden nachfolgend gemeinsam mit den Gründen für die Entscheidung erörtert.

Entscheidungsgründe

1. Zulässigkeit der Beschwerde

Die Beschwerde gegen die Zurückweisung der Anmeldung ist zulässig. Die Beschwerde wurde gemäß Artikel 108 und Regel 99 EPÜ frist- und formgerecht eingelegt und ausreichend substantiiert.

2. Beschwerderücknahme

Die Beschwerdeführerin hat die Rücknahme der Beschwerde am 31. Januar 2023 und damit zu einem Zeitpunkt erklärt, zu dem das Beschwerdeverfahren und die Anmeldung noch anhängig waren, weil die 6. Jahresgebühr einschließlich der Zuschlagsgebühr bis zum Ablauf des 31. Januar 2023 nach Regel 51 (2) Satz 1 EPÜ noch hätten entrichtet werden können. Gemäß Regel 51 (2) Satz 2 EPÜ in der geltenden Fassung tritt die in Artikel 86 (1) EPÜ festgelegte Rechtsfolge nämlich erst mit Ablauf dieser Nachfrist ein.

Die Beschwerdeführerin hat das Beschwerdeverfahren indes nicht rechtswirksam durch die Erklärung der Beschwerderücknahme beendet, da diese unter einer unzulässigen Bedingung erfolgte und nicht eindeutig war.

2.1 Bedingungsfeindlichkeit der Beschwerderücknahme

2.1.1 Die Beschwerdeführerin argumentierte unter Bezugnahme auf die Veröffentlichung der Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts (10. Auflage, V.A.7.3.6), dass Verfahrenserklärungen mit der Maßgabe abgegeben werden könnten, dass bestimmte Bedingungen erfüllt sind, solange ein Verfahren bereits (J 16/94, T 854/02) oder noch anhängig ist (T 1402/13) und diese Bedingungen keine Tatsachen außerhalb des Verfahrens betreffen (T 502/02).

Die Rücknahme einer Beschwerde sei nicht grundsätzlich bedingungsfeindlich. Zwar sei ein Schutzbedürfnis für Dritte prinzipiell anzuerkennen, im einseitigen Verfahren sei dies jedoch weniger stark ausgeprägt, als im zweiseitigen Verfahren, da hier noch kein erteiltes Schutzrecht vorliege, sondern lediglich eine Patentanmeldung.

Darüber hinaus sei im vorliegenden Fall die bedingte Rücknahme der Beschwerde bewusst am letzten Tag der sechsmonatigen Nachfrist gemäß Regel 51 EPÜ am 31. Januar 2023 um 23:59 Uhr erklärt worden. Da die Erklärung frühestens am 1. Februar 2023 im Register des EPA ersichtlich gewesen sein könne, sei faktisch ausgeschlossen worden, dass überhaupt eine Rechtsunsicherheit und damit ein Schutzbedürfnis für Dritte habe entstehen können. Aufgrund der Verpflichtung des Verfahrensbevollmächtigten, Schäden von seinem Mandanten (dem Anmelder) abzuwenden, sei es erforderlich gewesen, die Erklärung unter der formulierten Bedingung abzugeben. Insoweit sei zu berücksichtigen, dass die Weisungssituation zwischen Vertreter und Anmelder oftmals nicht eindeutig sei. Auch wenn keine eindeutige Zahlungsanweisung an den Verfahrensbevollmächtigten erfolge, sei es möglich, dass Gebühren vom Anmelder selbst oder von Dritten gezahlt würden, ohne dass dies zur Kenntnis des Verfahrensbevollmächtigten gelange.

Dies gelte besonders vor dem Hintergrund, dass Gebührenzahlungen auch durch beliebige Dritte bewirkt werden könnten, sodass zum Zeitpunkt der Abgabe der Erklärung nicht auszuschließen gewesen sei, dass ein Dritter die sechste Jahresgebühr und die entsprechende Zuschlagsgebühr eingezahlt habe.

2.1.2 Die Argumente der Beschwerdeführerin überzeugen die Kammer nicht.

- Es erscheint bereits fraglich, ob eine prozessbeendigende Verfahrenshandlung, wie die Rücknahme einer Beschwerde, überhaupt unter einer Bedingung gestellt werden kann, wenn dadurch zunächst offenbleibt, ob das Beschwerdeverfahren fortgesetzt werden kann. Generell ist nämlich anerkannt, dass Verfahrenserklärungen, von denen abhängt, ob ein Verfahren einzuleiten oder fortzusetzen ist, im Interesse der Rechtssicherheit nicht an Bedingungen geknüpft sein dürfen, wenn dadurch offenbliebe, ob das Europäische Patentamt aufgrund dieser Erklärung das Verfahren fortsetzen kann (J 27/94, Entscheidungsgründe 8; T 854/02, Entscheidungsgründe 2.1). Dies gilt insbesondere, wenn Dritte über die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde nach Artikel 106 (1) S. 2 EPÜ im Unklaren bleiben würden (J 16/94, Entscheidungsgründe 4, 7.1).

- Sinn und Zweck einer Beschwerderücknahme ist es zudem, das Beschwerdeverfahren unmittelbar und ohne weiteren Prüfungsaufwand der Kammer zu beenden. Im Gegenzug wird der Beschwerdeführerin die entrichtete Beschwerdegebühr nach Regel 103 EPÜ ganz oder teilweise erstattet. Dem würde es zuwiderlaufen, wenn die Kammer aufgrund der bedingten Erklärung erst prüfen müsste, ob für die für eine bedingte Rücknahmeerklärung maßgeblichen tatsächlichen oder rechtlichen Umstände eingetreten sind.

- Es wäre auch nicht gerechtfertigt, eine etwaige unzureichende Abstimmung zwischen Anmelder und Mandanten und die daraus resultierende Unklarheit über erfolgte Gebührenzahlungen durch eine bedingte Erklärung auf das Beschwerdeverfahren zu übertragen und die unterbliebenen Abstimmungs- und Prüfungspflichten auf die Beschwerdekammer zu verlagern, um der Beschwerdeführerin zu ermöglichen, die Beschwerdegebühr erstattet zu bekommen. Dadurch würde die Kammer mit Prüfungspflichten belastet, die in den originären Verantwortungsbereich des Anmelders fallen und es würde ohne rechtfertigenden Grund eine unklare Rechtssituation zu Lasten Dritter geschaffen.

- Auch im Falle der von der Beschwerdeführerin angeführten Gebührenzahlung durch Dritte besteht insoweit kein schutzwürdiges Interesse des Anmelders, da die Zahlung von Gebühren originär in den Verantwortungsbereich des Anmelders fällt. Unterlässt es der Anmelder, selbst oder durch seine Vertreter entsprechende Zahlungen (rechtzeitig) zu veranlassen, so kann er entweder auf Zahlungen durch Dritte vertrauen oder seine Beschwerde (unbedingt und eindeutig) zurücknehmen, um die Beschwerdegebühr erstattet zu bekommen. Ein schutzwürdiges Interesse, dem Anmelder beide Wege offen zu halten, ist indes nicht erkennbar.

- Die von der Beschwerdeführerin zitierte Entscheidung T 6/92 steht dieser Würdigung nicht entgegen, da die Beschwerdeführerin ihre Rücknahme in dem dortigen Verfahren zwar zunächst unter einer Bedingung angekündigt hatte, die maßgebliche Rücknahmeerklärung dann aber ohne jegliche Bedingung abgab (vgl. T 6/92, Entscheidungsgründe 3 und Protokoll vom 26.10.1993).

- Auch die weitere von der Beschwerdeführerin genannte Entscheidung T 304/99, die auf die Entscheidung T 6/92 hinsichtlich der Zulässigkeit einer bedingten Rücknahme Bezug nimmt, steht der rechtlichen Würdigung der Kammer nicht entgegen. In dieser Entscheidung war die Rücknahme der Beschwerde der Einsprechenden nämlich nicht an eine Bedingung geknüpft. Die Einsprechende hat ihre Beschwerde in dem dortigen Verfahren vielmehr bedingungslos zurückgenommen, nachdem die Patentinhaberin die Aufrechterhaltung des Patents nur noch in einer Fassung beantragt hatte, gegen die sich die Beschwerde der Einsprechenden nicht gerichtet hatte.

- Die von der Beschwerdeführerin ebenfalls genannte Entscheidung T 1402/13 stützt die Argumente der Beschwerdeführerin ebenfalls nicht. Entgegen den Argumenten der Beschwerdeführerin war in T 1402/13 nicht festgestellt worden, dass eine bedingte Rücknahme einer Beschwerde wirksam ist, sondern dass, um die Beschwerdegebühr gemäß Regel 103 (2) EPÜ zu 75% zurückerstattet zu bekommen, die Beschwerdeführerin noch während die Beschwerde anhängig ist, eine Erklärung abzugeben hat, aus der sich zweifelsfrei ergibt, dass die Beschwerde zurückgenommen wird (vgl. T 1402/13, Leitsatz Ziffer 3). Eine Feststellung zur Frage, ob die bedingte Rücknahme einer Beschwerde wirksam war, enthält die Entscheidung demgegenüber nicht, weil sich das dortige Beschwerdeverfahren bereits vor Abgabe dieser Erklärung infolge der Nichtzahlung einer Jahresgebühr erledigt hatte.

- In der ebenfalls zitierten Entscheidung J 16/94 war die juristische Beschwerdekammer zu dem Schluss gelangt, dass die Einlegung einer Beschwerde als Hilfsantrag, also unter der Bedingung, dass etwaigen höherrangigen materiellen Anträgen nicht stattgegeben wird, unzulässig sei. Die Kammer vermag nicht zu erkennen, wie die Entscheidung J 16/94 das Argument der Beschwerdeführerin stützen sollte, dass Verfahrenserklärungen unter einer Bedingung abgegeben werden könnten, solange ein Verfahren bereits anhängig ist. Vielmehr betont die Entscheidung J 16/94, ebenso wie die vorliegend befasste Kammer, dass es für die Rechtssicherheit und die Öffentlichkeit bedeutsam ist, zweifelsfrei zu bestimmen, ob eine Entscheidung des Europäischen Patentamts mit der Beschwerde angegriffen wird (J 16/94, Entscheidungsgründe 4. und 7.1) und wann ein solches Beschwerdeverfahren endet. Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin besteht ein solches Interesse auch im einseitigen Anmelderbeschwerdeverfahren, damit Dritte einschätzen können, ob der mit der Anmeldung beanspruchte Gegenstand noch zu einem Schutzrecht erstarken kann oder nicht.

- In der Entscheidung T 854/02 hatte die Kammer eine bedingte Beschwerdeeinlegung zu prüfen und hat in diesem Zusammenhang geäußert, dass prozessuale Erklärungen einer Partei nicht unter einer Bedingung abgegeben werden können (T 854/02, Entscheidungsgründe 2.1). Die Entscheidung steht daher ebenfalls nicht im Widerspruch zur Würdigung der Kammer.

Zusammenfassend ist daher festzustellen, dass die unter Hinweis auf das Rechtsprechungsbuch der Beschwerdekammern (10. Auflage, 2022 unter V.A.7.3.6) von der Beschwerdeführerin zitierte Rechtsprechung der Ansicht der Kammer nicht entgegensteht, wonach eine bedingte Beschwerderücknahme rechtlich nicht wirksam ist, wenn dadurch zunächst offenbleibt, ob das Beschwerdeverfahren fortgesetzt werden kann.

2.2 Eindeutigkeit der Erklärung

2.2.1 Ungeachtet der grundsätzlichen Problematik einer bedingten Beschwerderücknahme ist die Rücknahmeerklärung der Beschwerdeführerin vorliegend auch deshalb nicht wirksam, weil sie unklar ist. Die Abgabe einer verfahrensbeendenden Erklärung unter einer Bedingung, die nicht eindeutig ist kann keine Rechtswirkungen entfalten (vgl. J 11/94, Gründe 2.2).

2.2.2 Die Beschwerdeführerin ist allerdings der Ansicht, dass die von ihr abgegebene Erklärung so zu verstehen sei, dass, "wirksam entrichtet" bedeute "vollständig und unwiderruflich entrichtet" und, dass der maßgebliche Zeitpunkt, bis zu dem die Gebühren entrichtet worden sein sollten, der Moment sei, in dem die Erklärung abgegeben worden sei, nämlich der 31. Januar 2023 um 23.59 Uhr.

Auf den Zeitpunkt komme es im vorliegenden Fall zudem nicht an, da nach der Erklärung der Beschwerdeführerin um 23:59 Uhr am letzten Tag der Nachfrist zur Zahlung der 6. Jahresgebühr und der entsprechenden Zuschlagsgebühr praktisch keine Möglichkeit mehr bestanden habe, die Gebühren noch rechtzeitig einzuzahlen. Somit habe auch keine Rechtsunsicherheit für Dritte entstehen können, da es keinen Zeitraum gegeben habe, in welchem durch die bedingte Rücknahmeerklärung Dritte im Unklaren darüber hätten sein können, ob Gebühren zu einem späteren Zeitpunkt noch gezahlt würden und das Verfahren dadurch noch anhängig sei.

2.2.3 Auch hiervon ist die Kammer nicht überzeugt.

Die Beschwerdeführerin hat ihre Rücknahmeerklärung an die wirksame Entrichtung der 6. Jahresgebühr und der Zuschlagsgebühr geknüpft. Die Formulierung "wirksam entrichtet sind" ist jedoch unklar, denn es ist nicht eindeutig erkennbar, ob die Rücknahmeerklärung unter der Bedingung stehen soll, dass die Gebühren nicht bereits vor Eingang des Schriftsatzes vom 31. Januar 2023 gezahlt worden sind oder ob auch eine Zahlung nach Eingang dieses Schriftsatzes, aber vor Ablauf der in Regel 51 (2) EPÜ geregelten Frist, der Rücknahme entgegenstehen soll.

Zudem ist auch nicht eindeutig erkennbar, ob allein auf die tatsächliche fristgerechte Einzahlung abgestellt werden soll, oder auf eine verfahrensabschließende Feststellung der (Un-)Wirksamkeit in einem Verfahren nach Regel 112 (2) EPÜ, nach Artikel 122 EPÜ oder Artikel 7 (3) und (4) der Gebührenordnung. Insbesondere im Falle eines erfolgreichen Wiedereinsetzungsantrags könnte schließlich auch die Zahlung zu einem späteren Zeitpunkt noch zu einer wirksamen Entrichtung der Gebühr führen.

Der vorliegende Wortlaut der bedingten Rücknahmeerklärung ("wirksam entrichtet ist") lässt demzufolge nicht eindeutig erkennen, ob der Bedingungseintritt von dem Zeitpunkt der tatsächlichen Einzahlung innerhalb der Nachfrist oder von der Feststellung der Wirksamkeit der Einzahlung in einem der genannten Verfahren abhängen sollte.

2.2.4 Vor diesem Hintergrund ist die Erklärung der Beschwerdeführerin weder hinsichtlich des Inhalts noch hinsichtlich des Zeitpunkts der Bedingung, von der die Beschwerderücknahme abhängen soll, eindeutig.

2.3 Keine rein innerprozessuale Bedingung

2.3.1 Die Erklärung der Beschwerderücknahme war zudem nicht wirksam, weil sie unter einer Bedingung erfolgt ist, die nicht rein innerprozessualer Art ist. Die Erklärung der Beschwerderücknahme unter einer Bedingung, die es erforderlich macht, Fragen zu prüfen, die nicht Bestandteil des eigentlichen Beschwerdeverfahrens sind, ist nicht wirksam (T 502/02, Entscheidungsgründe 1).

Die Beschwerdeführerin vertrat die Auffassung, dass die Frage, ob die Jahresgebühr und gegebenenfalls die Zuschlagsgebühr wirksam entrichtet worden ist, eine innerprozessuale Bedingung sei. Die Frage der Nichtzahlung der Jahresgebühr sei sowohl unter inhaltlichen als auch unter formalen Gesichtspunkten eng mit dem Beschwerdeverfahren verknüpft, da die Beendigung des Beschwerdeverfahrens eine unmittelbare, innerprozessuale Folge der Nichtzahlung der sechsten Jahresgebühr sei. Die Frage, ob die Anmeldung noch anhängig ist, sei zudem mit jener, ob ein Patent erteilt werden könne, verknüpft. Die von der Beschwerdeführerin formulierte Bedingung repräsentiere lediglich die banale Frage, ob die 6. Jahresgebühr vollständig gezahlt worden sei. Der Eingang der Zahlung sei für das EPA sehr einfach zu überprüfen gewesen.

2.3.2 Die Kammer ist von den Argumenten der Beschwerdeführerin nicht überzeugt.

Insoweit ist insbesondere zu berücksichtigen, dass die rechtzeitige Zahlung der Jahresgebühr und der Zuschlagsgebühr nach Auffassung der Kammer vorrangig in den Herrschafts- und Verantwortungsbereich der Beschwerdeführerin fällt. Selbst wenn, wie von der Beschwerdeführerin vorgetragen, anstelle des Anmelders Dritte Gebühren vor dem EPA entrichten, ändert das zudem nichts daran, dass es sich um einen Umstand handelt, der außerhalb der Beschwerdeverfahrens liegt.

2.3.3 Die Prüfung, ob die Jahresgebühren rechtzeitig gezahlt wurden und die Feststellung, ob ein Rechtsverlust eingetreten ist (Regel 51 und 112 (1) EPÜ, Artikel 86 (1) EPÜ), fällt nicht in den originären Zuständigkeitsbereich einer Beschwerdekammer, vor der eine Beschwerde gegen die Zurückweisung einer Anmeldung anhängig ist, und ist deshalb nicht rein innerprozessualer Art.

Darüber hinaus ist die Kammer auch aufgrund der gesetzlichen Rahmenbedingungen, in Gestalt der dem Anmelder zustehenden Antragsrechte im Falle einer Verlustmitteilung nach Regel 112 (1) EPÜ, nicht überzeugt, dass die Frage, ob die Jahresgebühr wirksam entrichtet worden ist, eine Prüfung rein innerprozessualer Art beinhaltet.

Ein Anmelder hat nämlich, wie bereits erwähnt, gemäß Regel 112 (2) EPÜ die Möglichkeit, innerhalb von zwei Monaten nach einer Mitteilung über einen Rechtsverlust nach Regel 112 (1) EPÜ, eine Entscheidung zu beantragen, um feststellen zu lassen, dass der mitgeteilte Rechtsverlust nicht zutrifft. Einen entsprechenden Antrag hatte die Beschwerdeführerin im vorliegenden Fall zunächst in ihrem Schriftsatz vom 22. August 2023 gestellt.

Die originäre Zuständigkeit für die Entscheidung über diesen Antrag nach Regel 112 (2) EPÜ hätte jedoch nicht bei der Kammer, sondern bei der Prüfungsabteilung gelegen. Ein Verfahren, das originär von der Prüfungsabteilung durchzuführen ist, ist nach Auffassung der Kammer jedoch kein innerprozessualer Umstand des Beschwerdeverfahrens.

Zu berücksichtigen ist zudem, dass ein Anmelder nach Erhalt einer Rechtsverlustmitteilung unter Regel 112 (1) EPÜ auch die Möglichkeit hat, eine Wiedereinsetzung gemäß Artikel 122 EPÜ oder einen Antrag gemäß Artikel 7 (3) und (4) Gebührenordnung zu stellen. Die Entscheidung über einen solchen Antrag würde ebenfalls nicht in die originäre Zuständigkeit der Kammer fallen, die mit einer Beschwerde gegen die Zurückweisung einer Anmeldung befasst ist.

Aufgrund der rechtlichen Optionen, die einem Anmelder nach Erhalt der Verlustmitteilung zustehen, wäre es der Beschwerdekammer daher nicht möglich, bereits zum Zeitpunkt der Abgabe der Erklärung der bedingten Beschwerderücknahme zu entscheiden, ob die Bedingung (Gebühr "wirksam entrichtet") eingetreten ist. Dies gilt für das Anmelderbeschwerdeverfahren ebenso wie für das Einspruchsbeschwerdeverfahren, weshalb eine unterschiedliche Behandlung - entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin - nicht gerechtfertigt ist. Vielmehr ist es, wie bereits dargelegt, in einseitigen und zweiseitigen Beschwerdeverfahren der Sinn und Zweck einer Beschwerderücknahme, das Verfahren unmittelbar und eindeutig, ohne weiteren Prüfungsaufwand der Kammer zu beenden. Dem würde es zuwiderlaufen, wenn die Beschwerderücknahme von rechtlichen oder tatsächlichen Umständen außerhalb des Beschwerdeverfahrens abhängen würde, die nicht in den originären Zuständigkeits- oder Verantwortungsbereich der Kammer in dem anhängigen Beschwerdeverfahren fallen und über die erst noch eine Entscheidung durch ein anderes Organ des Europäischen Patentamtes getroffen werden muss.

2.4 Ergebnis

Die Erklärung der Beschwerderücknahme am 31. Januar 2023 war somit nicht eindeutig und wurde in unzulässiger Weise von einer Bedingung abhängig gemacht. Deshalb lag keine wirksame Beschwerderücknahme vor und es war festzustellen, dass das Beschwerdeverfahren durch diese Erklärung nicht wirksam beendet wurde.

3. Rückzahlung der Beschwerdegebühr

3.1 Die Rückzahlung der Beschwerdegebühr gemäß einer der in Regel 103 (1) bis (4) EPÜ vorgesehenen Möglichkeiten setzt eine rechtswirksame Rücknahme der Beschwerde voraus. Diese Voraussetzung ist, wie dargelegt, mangels rechtswirksamer Beschwerderücknahme nicht gegeben.

3.2 Eine entsprechende Anwendung der Regel 103 EPÜ für den Fall, dass sich das Beschwerdeverfahren infolge der Nichtzahlung von Jahresgebühren erledigt, ist angesichts des eindeutigen Wortlauts und unterschiedlicher Sachlagen ebenfalls nicht geboten (näher siehe T 1402/13, Entscheidungsgründe 5.2 bis 5.6).

3.3 Die Beschwerdeführerin hat auf die Rechtsprechung der Beschwerdekammern unter V.A.7.4 in Zusammenhang mit der Rückzahlung der Beschwerdegebühr gemäß Regel 103 EPÜ verwiesen. Die dort zitierte Rechtsprechung betrifft indes nicht die Frage der Wirksamkeit der Beschwerderücknahme, sondern die Frage, wie ein Beschwerdeverfahren, in welchem eine Patentanmeldung als zurückgenommen gilt, und in welchem auch über die Frage eines Verfahrensfehlers in der ersten Instanz zu entscheiden gewesen wäre, abzuschließen ist. Vorliegend wurde jedoch kein Verfahrensfehler im erstinstanzlichen Verfahren gerügt. Der entsprechende Vortrag der Beschwerdeführerin geht daher ins Leere und vermag eine Rückzahlung der Beschwerdegebühr nicht zu rechtfertigen.

3.4 Der Antrag der Beschwerdeführerin auf Rückzahlung der Beschwerdegebühr war daher zurückzuweisen.

4. Erledigung des Beschwerdeverfahrens

Auf die Feststellung eines Rechtsverlusts durch die Prüfungsabteilung nach Regel 112 (1) EPÜ vom 12. Juni 2023 hatte die Beschwerdeführerin mit ihrem Schreiben vom 22. August 2023 zunächst einen Antrag auf Entscheidung nach Regel 112 (2) EPÜ gestellt, den sie jedoch während der mündlichen Verhandlung vor der Kammer zurückgenommen hat. Zudem hat die Beschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung erklärt, sie habe keinen Antrag auf Wiedereinsetzung gemäß Artikel 122 EPÜ gestellt. Auch aus der Akte ergibt sich, dass keine weiteren Anträge gestellt worden sind. Nach Aktenlage gilt die europäische Patentanmeldung daher entsprechend der Mitteilung vom 12. Juni 2023 gemäß Artikel 86 (1) EPÜ als zurückgenommen.

Wenn die europäische Patentanmeldung als zurückgenommen gilt, stellt die Kammer fest, dass sich auch das Beschwerdeverfahren erledigt hat (siehe auch Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts, 10. Auflage, 2022, V.A.7.4), weil mangels Anmeldung keine Möglichkeit mehr besteht, ein Patent zu erteilen.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Es wird festgestellt, dass das Beschwerdeverfahren nicht durch die am 31. Januar 2023 erklärte Beschwerderücknahme beendet wurde.

2. Der Antrag auf Rückzahlung der Beschwerdegebühr wird zurückgewiesen.

3. Das Beschwerdeverfahren hat sich erledigt.

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