T 0177/21 () of 9.11.2023

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2023:T017721.20231109
Datum der Entscheidung: 09 November 2023
Aktenzeichen: T 0177/21
Anmeldenummer: 13170584.0
IPC-Klasse: B22F 1/00
B22F 3/22
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Bindersystem für Pulverspritzgussmasse
Name des Anmelders: Robert Bosch GmbH
Name des Einsprechenden: Pajaro Limited
Kammer: 3.2.03
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 54
Rules of procedure of the Boards of Appeal 2020 Art 012(4)
Schlagwörter: Neuheit - (nein)
Änderung des Vorbringens - Beweismittel
Änderung des Vorbringens - Grundlage für Änderung angegeben (ja)
Änderung des Vorbringens - Änderung zugelassen (ja)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
G 0001/92
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Das europäische Patent EP 2 684 628 B1 ("das Patent") betrifft ein Bindersystem für eine Pulverspritzgussmasse, beispielsweise eine Metall- und/oder Keramikpulverspritzgussmasse.

II. Gegen das erteilte Patent hatte die Einsprechende Einspruch eingelegt. Als Einspruchsgründe wurden mangelnde Neuheit und mangelnde erfinderische Tätigkeit (Artikel 100 a) EPÜ) geltend gemacht.

III. Die Einspruchsabteilung hat entschieden,

- dass der Gegenstand von Anspruch 1 in der erteilten Fassung nicht neu ist,

- dass der Gegenstand von Anspruch 1 gemäß eines der mit Schriftsatz vom 16. Juli 2020 eingereichten Hilfsanträge 1 bis 4 jeweils ebenfalls nicht neu ist,

- dass das Patent in eingeschränkter Fassung gemäß dem mit Schriftsatz vom 16. Juli 2020 eingereichten Hilfsantrag 5 den Erfordernissen des EPÜ genügt.

IV. Gegen diese Entscheidung legten sowohl die Patentinhaberin als auch die Einsprechende Beschwerde ein. Nachdem beide Verfahrensbeteiligten ursprünglich jeweils Beschwerdeführerinnen waren, werden sie einfachheitshalber weiter als Patentinhaberin und Einsprechende adressiert.

V. Stand der Technik

Die folgenden, bereits im Einspruchsverfahren eingereichten Beweismittel sind für das Beschwerdeverfahren relevant:

D5 |Dissertation von Dr. Baumann zum Thema "Pulverspritzgießen von Metall-Keramik-Verbunden", Technischen Universität Bergakademie Freiberg, 2010|

D5a|Bestätigung des Tages der Akzession von D5 in der Technischen Informationsbibliothek Hannover |

D6 |US 2011/0294935 A1 |

D7 |DE 10 2008 054 615 A1 |

D12|Eidesstattliche Erklärung von Dr. Hinrich Hildebrandt, 23. Juli 2020 |

Folgendes, von der Einsprechenden in ihrer Beschwerdebegründung genannte Beweismittel ist ebenfalls für das Beschwerdeverfahren relevant:

D17: 3. Eidesstattliche Erklärung von

Dr. Hinrich Hildebrandt, 20. April 2021

VI. In der als Anlage zur Ladung zur mündlichen Verhandlung beigefügten Mitteilung gemäß Artikel 15(1) VOBK 2020 teilte die Kammer den Beteiligten ihre vorläufige Einschätzung des der Beschwerde zugrundeliegenden Sachverhalts mit, wonach der Gegenstand von Anspruch 1 jedes vorliegenden Antrags nicht neu gegenüber D5 sei.

VII. Eine mündliche Verhandlung fand am 9. November 2023 statt.

VIII. Anträge

Am Ende der mündlichen Verhandlung wurden folgende Anträge aufrechterhalten.

Die Patentinhaberin beantragte als Hauptantrag, das Patent in geändertem Umfang auf Grundlage der Ansprüche aufrechtzuerhalten, die als Hilfsantrag 5 der angefochtenen Entscheidung zugrunde lagen und als Hilfsantrag 5 mit der Beschwerdebegründung erneut eingereicht wurden. Hilfsweise beantragte sie als Hilfsantrag 1, das Patent in geändertem Umfang auf Grundlage der Ansprüche aufrechtzuerhalten, die als Hilfsantrag 7 mit der Beschwerdebegründung eingereicht wurden.

Die aufrechterhaltenen Anträge der Patentinhaberin entsprechen, wie in der Verhandlung klargestellt, implizit einer Rücknahme der Beschwerde.

Die Patentinhaberin beantragte zudem, das von der Einsprechenden im Beschwerdeverfahren erstmalig vorgelegte Beweismittel D17 nicht im Verfahren zuzulassen.

Die Einsprechende beantragte, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent zu widerrufen.

IX. Wortlaut der Ansprüche

a) Anspruch 1 gemäß Hauptantrag lautet:

"Bindersystem für eine Pulverspritzgussmasse, insbesondere eine Metall- und/oder Keramikpulverspritzgussmasse, umfassend

- mindestens ein Polymer und

- mindestens einen Hydroxybenzoesäurefettalkoholester

und

- mindestens eine Fettsäure,

wobei der Fettsäuregewichtsanteil des Bindersystems geringer ist als der Hydroxybenzoesäure-fettalkoholestergewichtsanteil des Bindersystems."

b) Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 lautet:

"Pulverspritzgussmasse, umfassend ein Bindersystem, umfassend

- mindestens ein Polymer und

- mindestens einen Hydroxybenzoesäurefettalkoholester

und

- mindestens eine Fettsäure,

und umfassend mindestens ein Metallpulver und/oder mindestens ein Keramikpulver, insbesondere mindestens ein Metallpulver,

wobei das Bindersystem, bezogen auf das Gesamtgewicht der Pulverspritzgussmasse,

- >= 0,1 Gew.-% bis <= 5 Gew.-% an Polymeren,

- >= 0,1 Gew.-% bis <= 10 Gew.-% an

Hydroxybenzoesäurefettalkoholestern

und

- >= 0,1 Gew.-% bis <= 5 Gew.-% an Fettsäuren

umfasst."

X. Das für diese Entscheidung wesentliche schriftsätzliche und mündliche Vorbringen der Patentinhaberin lässt sich wie folgt zusammenfassen:

a) Zulassung von D17

D17 sei verspätet eingereicht worden. Die Einsprechende hätte ihren Einwand basierend auf D5 bereits im Rahmen des Einspruchsverfahrens komplett vorbringen müssen.

b) Hauptantrag - Neuheit

Für den Fachmann sei bei der Lektüre von D5 nicht eindeutig und unmittelbar erkennbar gewesen, dass es sich bei Loxiol 2472 um einen Hydroxybenzoesäurefettalkoholester handle.

D5 gebe keine Informationen zu den Inhaltsstoffen von Loxiol 2472. Dessen Zusammensetzung sei nicht schriftsätzlich belegt worden und gehöre nicht zum allgemeinen Fachwissen. D6 und D7 seien Patentanmeldung, die nicht als Beleg für das Fachwissen dienen könnten. Die Zusammensetzung eines Handelsprodukts sei nicht schon lediglich aufgrund einer theoretisch möglichen Analysierbarkeit als allgemeines Fachwissen einzuordnen. Die Inhaltsstoffe von Loxiol 2472 seien von einem Fachmann nicht wie von G 1/92 gefordert ohne unzumutbaren Aufwand analysierbar gewesen. Auch könne sich die Zusammensetzung von Loxiol 2472 im Laufe der Zeit geändert haben. Es sei zudem nicht belegt worden, dass Loxiol 2472 frei am Markt erhältlich gewesen sei.

Im Übrigen verweise D5 zwar im Zusammenhang mit der auf Seite 58 wiedergegebenen Tabelle 7 auf die Anlagen A1 und A2. Allerdings erschließe es sich nicht unmittelbar und vor allem zweifelsfrei, dass in den Spritzgussmassen der Anlagen A1 und A2 zwingend die in Tabelle 7 genannten Inhaltsstoffe eingesetzt worden seien. Zweifel würden insbesondere dadurch gestreut werden, dass die Bezeichnungen der Inhaltsstoffe nicht identisch seien, dass unterschiedliche Dichten der Inhaltsstoffe angegebenen und hinsichtlich des Füllstoffs auch unterschiedliche Hersteller genannt würden.

Eine Aussage zum Fettsäuregewichtsanteil des Bindersystems im Vergleich zum Hydroxybenzoesäurefettalkohlestergewichtsanteil sei somit nicht möglich, da die Tabelle 7 und die Anhänge A1 und A2 nicht zusammen gelesen werden dürften.

Anspruch 1 des Hauptantrags sei daher neu.

c) Hilfsantrag 1 - Neuheit

Da nicht zweifelsfrei erkennbar sei, dass die in der Tabelle 7 auf Seite 58 genannten Bindermittelbestandteile in den Experimenten gemäß den Anlagen A1 und A2 eingesetzt worden seien, offenbare D5 auch nicht direkt und zweifelsfrei eine Pulverspritzgussmasse gemäß Anspruch 1.

XI. Das entsprechende Vorbringen der Einsprechenden lässt sich folgendermaßen zusammenfassen:

a) Zulassung von D17

Im Rahmen des Einspruchsverfahrens habe keine Veranlassung bestanden, den Esteranteil von Loxiol 2742 in Ergänzung zu den Angaben in D12 zu belegen. Schließlich sei die Einspruchsabteilung in der Anlage der Ladung zur mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung der Auffassung der Einsprechenden gefolgt, dass der Gegenstand von Anspruch 1 des damaligen Hilfsantrags 5 nicht neu sei. Die Einreichung von D17 stelle eine Reaktion auf die Argumente der Patentinhaberin und die darauf beruhende Änderung der Auffassung der Einspruchsabteilung während der mündlichen Verhandlung dar.

b) Hauptantrag - Neuheit

D5 gebe zwar keine Informationen zu den Inhaltsstoffanteilen von Loxiol 2472. Allerdings würden D6 und D7 belegen, dass es sich bei Loxiol 2472 um einen Hydroxybenzoesäurefettalkoholester handele.

Die Zusammensetzung von Loxiol 2472 habe sich wie in D17 bestätigt im Laufe der Zeit nicht wesentlich geändert. Wie schon von D6 und D7 belegt, sei Loxiol 2472 frei am Markt erhältlich gewesen. Die Inhaltsstoffe von Loxiol 2472 konnten von einem Fachmann wie von G1/92 gefordert ohne unzumutbaren Aufwand analysiert werden.

Es bestünden auf Grund des expliziten Hinweises in D5 keine Zweifel, dass die in Tabelle 7 genannten Inhaltsstoffe zur Herstellung der Spritzgussmassen gemäß den Anlagen A1 und A2 von D5 dienten, zumal in D5 auch keine weiteren alternativen Inhaltsstoffe in Bezug auf die laut A1 und A2 einzusetzenden Bestandteile beschrieben würden. Zwar benenne D5 die Inhaltsstoffe mit synonymen Bezeichnungen. Allerdings seien diese synonymen Bezeichnungen dem Fachmann bekannt und generierten keine Zweifel in Bezug auf die eingesetzten Inhaltsstoffe. Zugegebenermaßen gebe D5 die Dichten der Inhaltsstoffe in Tabelle 7 einerseits und in den Anlagen A1 und A2 andererseits nicht übereinstimmend und damit nicht fehlerfrei wieder. Diese Fehler seien aber vernachlässigbar und ließen keine Zweifel daran aufkommen, dass die in Tabelle 7 genannten Inhaltsstoffe für die Spritzgussmassen gemäß den Anlagen A1 und A2 eingesetzt werden.

Das Gleiche gelte in Bezug auf die Angabe "AZO" für den Füllstoff der Anlage A2. Selbst wenn diese Angabe so ausgelegt werden sollte, dass ein Füllstoff von einem anderen Hersteller (AZO) als in Tabelle 7 (Clariant) angegeben eingesetzt worden sei, so sei dies in Bezug auf die Offenbarung in D5 und den beanspruchten Gegenstand unerheblich. Zum einen beinhalte der Anspruch 1 des Hauptantrags keine Einschränkung hinsichtlich des Füllstoffs und zum anderen ändere der Füllstoff nichts in Bezug auf die Lehre von D5 hinsichtlich der wesentlichen Bestandteile des Bindersystems, also hinsichtlich der Fettsäuren und Hydroxybenzoesäurefettalkoholester. Die Aussagen in der Tabelle und in den Anlagen A1 und A2 der D5 seien somit als eine zusammenhängende Offenbarung zu lesen.

c) Hilfsantrag 1 - Neuheit

Wie für den Hauptantrag dargelegt bestünden keine Zweifel, dass die in Tabelle 7 genannten Inhaltsstoffe für die Spritzgussmassen gemäß den Anlagen A1 und A2 von D5 eingesetzt werden.

Entscheidungsgründe

1. Zulassung von D17

D17 wurde erstmals mit der Beschwerdebegründung eingereicht.

Die Berücksichtigung dieses Dokuments liegt im Ermessen der Kammer (Artikel 114 (2) EPÜ und Artikel 12 (4) VOBK 2020).

Ein zwingender Anlass, D17 bereits im Einspruchsverfahren einzureichen, bestand für die Einsprechende nicht, denn die Einspruchsabteilung stimmte in ihrer vorläufigen Meinung der Auffassung der Einsprechenden zu, wonach der Gegenstand von Anspruch 1 nicht neu in Hinblick auf D5 sei, siehe Punkt 3 der Vorläufigen Stellungnahme der Einspruchsabteilung im Anhang zur Ladung zur mündlichen Verhandlung.

Damit bestand für die Einsprechende im Rahmen des Einspruchsverfahrens keine Veranlassung, einen Beleg dafür einzureichen, dass die Zusammensetzung von Loxiol 2472 im Laufe der Zeit unverändert blieb.

Die Einreichung von D17 stellt folglich eine angemessene Reaktion auf die angefochtene Entscheidung der Einspruchsabteilung dar, denn D17 belegt, dass sich die Zusammensetzung von Loxiol 2472 im Laufe der Zeit im Wesentlichen nicht maßgeblich verändert hat.

D17 ergänzt zudem lediglich das Vorbringen der Einsprechenden in Bezug auf die Offenbarung von D5 und untermauert das erstinstanzliche Vorbringen der Einsprechenden, wonach der Gegenstand von Anspruch 1 nicht neu gegenüber der Offenbarung in D5 sei.

In Ausübung ihres Ermessens gemäß Artikel 12(4) VOBK 2020 lässt die Kammer D17 daher in das Verfahren zu.

2. Hauptantrag - Neuheit

2.1 D5 offenbart auf Seite 58 in Tabelle 7 Komponenten und ihre Handelsbezeichnung, die als Feedstockbinderbestandteile (Spritzgussbinder-bestandteile) eingesetzt werden können.

FORMEL/TABELLE/GRAPHIK

D5 offenbart in Tabelle 7 in Bezug auf Loxiol 2472 und Edenor C2285GW zwar nicht, welche Inhaltsstoffe im Detail in welchen Gewichtsanteil in den Handelsprodukten enthalten sind. Jedoch offenbart D5 in Tabelle 7 immerhin, dass es sich um Carbonsäureester und Fettsäuren handelt.

Aus Sicht der Kammer besteht kein Zweifel, dass das Handelsprodukt Loxiol 2472 einen Hydroxybenzoesäurefettalkoholester enthält. Dies wird auch in den Patentanmeldungen D6 und D7 bestätigt, wobei D7 von der Patentinhaberin des Streitpatents selbst stammt, und einer der Erfinder in D6 auch als Erfinder des Streitpatents genannt wird. D6, Absatz [0006] und D7, Absatz [0004] belegen, dass es sich bei Loxiol 2472 um ein Gemisch verschiedener Fettalkoholester der p-Hydroxybenzoesäure der Firma Cognis handelt.

Auch das Streitpatent stützt diese Auffassung der Kammer, da in Absatz [0032] in Bezug auf die einsetzbaren Hydroxybenzoesäureester auf die in D7 beschriebenen Hydroxybenzoesäurefettalkoholester verwiesen wird.

2.2 Die Patentinhaberin argumentiert, dass ein Fachmann bei der Lektüre von D5 nicht zwingend erkenne, dass es sich bei Loxiol 2472 um einen Hydroxybenzoesäurefettalkoholester handelt.

Die Patentinhaberin begründet ihre Ansicht damit, dass

D5 keine Informationen zu der Zusammensetzung von Loxiol 2472 gebe, die zudem auch nicht dem allgemeinen Fachwissen zuzurechnen sei,

die Zusammensetzung von Loxiol 2472 nicht schriftsätzlich belegt worden sei,

D6 und D7 Patentanmeldungen seien, die nicht als Beleg für das Fachwissen dienen können,

die Zusammensetzung eines Stoffs nicht lediglich aufgrund der theoretisch möglichen Analysierbarkeit des Stoffs als allgemeines Fachwissen einzuordnen sei,

die Inhaltsstoffe von Loxiol 2472 von einem Fachmann nicht wie von G 1/92 gefordert ohne unzumutbaren Aufwand analysierbar gewesen seien,

sich die Zusammensetzung von Loxiol 2472 im Laufe der Zeit geändert haben könne,

nicht belegt worden sei, dass Loxiol 2472 frei am Markt erhältlich gewesen sei.

Diese Argumente überzeugen nicht.

2.2.1 Entgegen der Auffassung der Patentinhaberin ist nicht maßgeblich, ob es zum Zeitpunkt der Veröffentlichung von D5 zum allgemeinen Fachwissen gehörte, dass es sich bei Loxiol 2472 um einen Hydroxybenzoesäurefettalkoholester handelt. Entscheidend ist vielmehr, ob ein Fachmann beim Lesen der Offenbarung von D5 die Möglichkeit hatte, in Erfahrung zu bringen, was als Handelsprodukt Loxiol 2472 gemäß D5 verwendet wurde.

2.2.2 Auch wenn kein separates Schriftstück mit einer Analyse der Zusammensetzung von Loxiol 2472 eingereicht wurde, so belegen die Patentdokumente D6 und D7 nichtsdestotrotz, dass es sich bei Loxiol 2472 um einen Hydroxybenzoesäurefettalkoholester handelt. Die Offenbarung von Loxiol 2472 stellt somit eine implizite Offenbarung eines Hydroxybenzoesäurefettalkoholesters dar.

2.2.3 Zwar handelt es sich bei D6 und D7 um Patentanmeldungen, die im Allgemeinen nicht zum Beleg des allgemeinen Fachwissens dienen. Allerdings stellt die Zusammensetzung eines bestimmten Handelsprodukts kein Wissen zu bestimmten technischen Sachverhalten und Zusammenhängen dar, die allgemein dem Fachwissen zugerechnet werden. Vielmehr handelt es sich um eine punktuelle und spezielle Information, die sehr wohl auch durch eine Patentanmeldung glaubhaft gemacht werden kann.

2.2.4 Im Übrigen gilt gemäß G 1/92, Nr. 1.4 der Entscheidungsgründe, ohnehin Folgendes:

"Wenn der Fachmann ohne unzumutbaren Aufwand die Zusammensetzung oder innere Struktur des Erzeugnisses erschließen und dieses reproduzieren kann, gehören sowohl das Erzeugnis als auch seine Zusammensetzung oder innere Struktur zum Stand der Technik."

Die Charakterisierung von Estern kann ohne unzumutbaren Aufwand anhand von üblichen Analysemethoden erfolgen, beispielsweise Verseifung und Gaschromatographie.

Unabhängig von der Glaubhaftmachung durch D6 und D7 gehört die Zusammensetzung des Handelsprodukts Loxiol 2742 daher aufgrund seiner Analysierbarkeit zum Stand der Technik. Gleiches gilt für die Zusammensetzung der gemäß D5 unter Verwendung von Loxiol 2742 hergestellten Bindersysteme bzw. Spritzgussmassen (Feedstocks) der Anlagen A1 und A2.

2.2.5 Das Argument der Patentinhaberin, wonach die Analyse unzumutbar sei, da es sich bei Loxiol 2742 um ein dem Fachmann völlig unbekanntes Mehrkomponentengemisch unterschiedlicher Verbindungen mit teilweise chemisch ähnlichen Eigenschaften handeln könne, ist weder durch entsprechende Belege gestützt noch in der Sache überzeugend.

D5 offenbart bereits in Tabelle 7, welche chemische Klasse von Verbindungen in Loxiol 2742 enthalten ist ("Carbonsäureester"). Die Identifizierung und Analyse der in D5 genannten Carbonsäureester, beispielsweise mittels Verseifung und Gaschromatographie, gehört zu den gängigen Analysemethoden, die von entsprechenden Analyselaboren routinemäßig durchgeführt werden. Selbst die Beauftragung eines Analyselabors, das mit dem Einsatz hochmoderner High-End-Analysemethoden wirbt, stellt keinen unzumutbaren Aufwand dar, sondern spiegelt vielmehr die gängige Praxis wider, wenn ein Unternehmen oder eine Institution kein eigenes entsprechend ausgestattetes Analyselabor besitzt.

2.2.6 Die eidesstattliche Versicherung D17 belegt, dass sich die Zusammensetzung des Handelsprodukts Loxiol 2472 über den Zeitraum von 2006 bis 2011 nicht geändert hat. Es gibt daher keinen durch Belege substantiierten Grund, der Zweifel daran aufkommen lassen könnte, dass es sich bei dem in D5 genannten Loxiol 2472 um einen Hydroxybenzoesäurefettalkoholester im Sinne von Anspruch 1 handelt.

2.2.7 Die Patentinhaberin hat im Beschwerdeverfahren bestritten, dass Loxiol 2472 frei am Markt erhältlich gewesen sei.

Im Einspruchsverfahren hatte die Patentinhaberin die öffentliche Zugänglichkeit des Handelsprodukts Loxiol 2472 hingegen anerkannt, siehe den die Seiten 4 und 5 überbrückenden Absatz ihres Schreibens vom 16. Juli 2020:

"Im vorliegenden Fall erstreckt sich die zeitliche Betrachtung des Produkts Loxiol 2472 über insgesamt zwölf Jahre, beginnend im Jahr 2000, zu dem die Firma Cognis Loxiol 2472 in Verkehr gebracht hat bis zum Prioritätszeitpunkt des sich im Einspruchsverfahren befindlichen Patent [...] von mehr als einem Jahrzehnt, innerhalb dessen sich die Handelsware Loxiol 2472 auf dem Markt befunden hat, ..." (Hervorhebung durch die Kammer).

Ungeachtet der Frage, warum die öffentliche Zugänglichmachung des Handelsprodukts erstmalig im Beschwerdeverfahren und nicht schon im Einspruchsverfahren bezweifelt wurde, überzeugt diese Argumentation der Patentinhaberin auch in der Sache nicht.

Einerseits ist nicht erkennbar, aufgrund welcher Belege die Patentinhaberin ihre Meinung geändert hat. Andererseits verweist die Patentinhaberin selbst in ihren Patentanmeldungen D6 und D7 auf das Handelsprodukt Loxiol 2472, so dass auch daraus ableitbar ist, dass dieses Handelsprodukt am Markt erhältlich war.

Weiterhin widerspricht die Offenlegung der Hauptinhaltsstoffe von Loxiol 2472 in D6 und D7 der Behauptung der Patentinhaberin, wonach das Handelsprodukt Loxiol 2742 eine geheime Zusammensetzung gehabt haben soll.

2.3 Gemäß dem der Tabelle 7 auf Seite 58 der D5 voranstehenden Absatz werden die in Tabelle 7 beschriebenen Feedstockbinderbestandteile zur Herstellung der in den Anlagen A1 und A2 beschriebenen Feedstocks (Spritzgussmassen) eingesetzt:

"Unter Nutzung des von der Firma Imeta GmbH zur Verfügung gestellten Spritzgussbindersystems wurden die im Anhang A1 und A2 spezifizierten ZrO2- und Stahlpulver-Feedstocks hergestellt. Dazu wurden die in Tabelle 7 spezifizierten Binderbestandteile nach der im Anhang bezeichneten Rezeptur, zusammen mit den keramischen bzw. metallischen Pulvern, bei ca. 160 °C in einem 2l Kneter der Firma Linden vorgemischt."

D5 lässt also als solches keine Zweifel, welche Offenbarung durch die Tabellen in den Anlagen A1 und A2 in Kombination mit der Tabelle 7 auf Seite 58 vermittelt werden soll und dementsprechend welche Feedstockbinderbestandteile in den experimentellen Arbeiten der D5 eingesetzt wurden.

2.4 D5 offenbart in den Anlagen A1 und A2 auf den Seiten 142 und 143 ZrO2- und Stahlpulver-Feedstocks mit einem Bindersystem.

Der ZrO2-Feedstock Z1 gemäß Anlage A1 umfasst folgende Feedstockbestandteile:

FORMEL/TABELLE/GRAPHIK

Der Stahl-17-4PH-Feedstock M1 gemäß A2 umfasst folgende Feedstockbestandteile:

FORMEL/TABELLE/GRAPHIK

2.5 In Bezug auf den in den Feedstocks M1 und Z1 von D5 enthaltenen Fettsäure- und Hydroxybenzoesäure-fettalkoholestergewichtsanteil ist folgendes festzustellen.

Edenor C2285 weist gemäß D12 folgende Zusammensetzung auf:

a) 2% C18 Fettsäure,

b) 7% C20 Fettsäure,

c) 88% C22 Fettsäure und

d) 2% > C22 Fettsäure.

Der Gehalt an Fettsäuren in Edenor C2285 liegt daher bei 99 Gew.-%.

Zu Loxiol 2472 stellt D12 fest: "Loxiol 2472 war ein Ester aus 100% Hydroxybenzoesäure mit einer Mischung von Fettalkoholen". Aus dieser Aussage geht hervor, dass Loxiol 2472 im Wesentlichen aus Hydroxybenzoesäureestern besteht.

Diese Aussage in D12 wird durch D17 weiter untermauert, wonach Loxiol 2472 einen Estergehalt von mindestens 93 Gew.-% hat (siehe Tabelle in D17).

Gemäß Anlage A1 von D5 beträgt im Feedstock Z1 der Gewichtsanteil von

Loxiol 2472 (Hydroxybenzoesäureester) 5.96 Gew.-% und von Edenor C2285 (Fettsäuren) 0.89 Gew.-%.

Gemäß Anlage A2 beträgt im Feedstock M1 der Gewichtsanteil von Loxiol 2472 4.14 Gew.-%

und von Edenor C2285 0.55 Gew.-%.

Daraus ist unmittelbar ableitbar und auch von der Patentinhaberin im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor der Kammer nicht bestritten, dass der Fettsäuregewichtsanteil in dem Bindemittelsystem von D5 deutlich geringer ist als der Hydroxybenzoesäure-fettalkoholestergewichtsanteil.

Die beiden Anlagen A1 und A2 von D5 offenbaren daher ein Bindersystem für eine Pulverspritzgussmasse gemäß Anspruch 1 des Hauptantrags.

2.6 Die Patentinhaberin argumentiert, dass D5 nicht die Verwendung eines Hydroxybenzoesäurefettalkoholesters in einem Spritzgussbindersystem offenbare.

Dieses Argument überzeugt nicht, da D5 in den Anlagen A1 und A2 sowie in Tabelle 7 wie bereits oben dargelegt ein entsprechendes Bindersystem beschreibt, das einen Hydroxybenzoesäureester enthält.

2.7 Weiterhin argumentiert die Patentinhaberin in Anlehnung an die Begründung der angefochtenen Entscheidung (siehe die beiden ersten vollständigen Absätze auf Seite 9), dass die unterschiedlichen angegebenen Dichten und Bezeichnungen der Binderbestandteile in Tabelle 7 auf Seite 58 einerseits und in den Anlagen A1 und A2 andererseits Zweifel streuen, dass es sich dabei zwingend um die gleichen Komponenten handeln muss.

Die Kammer folgt dieser Ansicht nicht.

2.7.1 Zwar wird in Tabelle 7 Loxiol 2472 als "Weichmacher" bezeichnet, während in den Feedstocks M1 und Z1 der Anlagen A1 und A2 ein "Plastifikator" eingesetzt wird.

Allerdings ist ein Plastifikator für den fachkundigen Leser nichts anders als die eingedeutschte englische Bezeichnung für einen "plasticizer" (Weichmacher).

Auch die in Tabelle 7 für Edenor C2285GW angegebene Funktion als "Netzmittel" steht nicht im Widerspruch zu der Angabe "Benetzungsmittel" in den Feedstocks M1 und Z1 der Anlagen A1 und A2, denn ein Netzmittel ist für den fachkundigen Leser nichts anderes als ein Benetzungsmittel.

Die unterschiedlichen Begrifflichkeiten streuen daher entgegen der Auffassung der Patentinhaberin keine Zweifel, dass die in Tabelle 7 genannten Feedstockbinderbestandteile zur Herstellung der Feedstocks gemäß den Anlagen A1 und A2 von D5 eingesetzt werden.

2.7.2 Die Einspruchsabteilung hat zwar zu Recht festgestellt, dass zwischen den in Tabelle 7 und den Anlagen A1 und A2 angegebenen Dichten eine Inkonsistenz besteht. Gemäß Tabelle 7 haben Loxiol 2472 und Edenor C2285GW eine Dichte von 0.9 g/cm**(3) bzw. 0.82 g/cm**(3), während gemäß den Angaben in den Anlagen A1 und A2 der Plastifikator und das Benetzungsmittel jeweils eine Dichte von 1.00 g/cm**(3) und 0.9 g/cm**(3)aufweisen.

Diese Unstimmigkeit in den Angaben zur Dichte stellt jedoch in Anbetracht der ansonsten eindeutigen Offenbarung von D5 einen vernachlässigbaren Fehler dar, der insbesondere in Anbetracht der eindeutigen Angaben in dem der Tabelle 7 voranstehenden Absatz keine Zweifel daran aufkommen lassen kann, dass die in Tabelle 7 aufgelisteten Feedstockbinderbestandteile in den Anlagen A1 und A2 eingesetzt werden sollen. Auch die übrige Offenbarung von D5 lässt keinen anderen Schluss zu, da in D5 keine weiteren Weichmacher oder Benetzungsmittel genannt werden, die im experimentellen Teil in den Anlagen A1 und A2 von D5 adressiert sein könnten.

2.7.3 Weiterhin stellt die Patentinhaberin in Bezug auf den Füllstoff (= Platzhalterpolymer) korrekt fest, dass in Tabelle 7 als Lieferant die Firma Clariant angegeben wird, während in der Tabelle der Anlage A2 folgendes angegeben wird: "Füllstoff (AZO)".

Folgt man dem Argument der Patentinhaberin, dass die Bezeichnung "AZO" einen anderen Lieferanten für den Füllstoff benennt, liefert die Angabe "Füllstoff (AZO)" nichtsdestotrotz keine Veranlassung dazu, dass hinsichtlich der weiteren Feedstockbinderbestandteile der Anlagen A1 und A2 andere Wirkstoffe eingesetzt werden als die in Tabelle 7 genannten Produkte.

Des Weiteren hat ein Füllstoff wie ein Polyethylenwachs keine weitere Funktion. Daher ist es in den Augen des Fachmanns im Kontext einer Spritzgussmasse auch unerheblich, von welchem Lieferanten der Füllstoff gegebenenfalls bezogen wird. Zudem spielt die genaue Zusammensetzung des Füllstoffs weder in Hinblick auf die Offenbarung von D5 noch in Bezug auf Anspruch 1 gemäß Hauptantrag eine Rolle, denn weder nach D5 noch gemäß Anspruch 1 ist ein Füllstoff erforderlich.

Die Angabe "Füllstoff (AZO)" in Anlage A2 von D5 streut daher entgegen der Auffassung der Patentinhaberin keine Zweifel, dass die in Tabelle 7 genannten Feedstockbinderbestandteile jeweils zur Herstellung eines Feedstocks gemäß den Anlagen A1 und A2 von D5 eingesetzt werden.

Selbst wenn man die Offenbarung von D5 in Bezug auf Anlage A2 aufgrund der Angabe eines anderen Lieferanten des Füllstoffs des Argumentes wegen unberücksichtigt lässt, so bleibt die restliche Offenbarung zu dem Feedstock der Anlage A1 davon unberührt, denn dieser enthält keinen Füllstoff.

2.8 Zusammenfassend kommt die Kammer daher zu dem Schluss, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag nicht neu gegenüber der Offenbarung in D5 ist.

3. Hilfsantrag 1 - Neuheit

D5 offenbart in den Anlagen A1 und A2 Feedstocks, die ein Keramikpulver (Anlage A1, Feedstock Z1) oder ein Metallpulver (Anlage A2, Feedstock M1) enthalten.

Der Feedstock Z1 von D5 enthält neben dem Keramikpulver

2.98 Gew.-% Backbone

(Orgasol 3502 D, Polyamid 12-6 Copolymer),

5.96 Gew.-% Plastifikator

(Hydroxybenzoesäurefettalkoholester, Loxiol 2742)

und

0.89 Gew.-% Benetzungsmittel

(Fettsäure, Edenor C2285GW).

Unter Berücksichtigung des in D12 offenbarten Gewichtsanteils der Fettsäuren (99 Gew.-%), des Hydroxybenzoesäurefettalkoholesters (93 Gew.-%) und des Polymers (100 Gew.-%) in diesen Bestandteilen, fallen die Gewichtsanteile an Fettsäuren, Hydroxybenzoesäurefettalkoholester und Polymer im Bindemittelsystem des Feedstocks Z1 von D5 unstreitig in die in Anspruch 1 definierten Bereiche.

Das Gleiche gilt für Feedstock M1 gemäß Anlage A2 von D5.

Wie bereits oben in Bezug auf den Hauptantrag dargelegt, lässt die Offenbarung in D5 auch keine Zweifel daran aufkommen, dass die in Tabelle 7 auf Seite 58 aufgelisteten Feedstockbinderbestandteile in den Feedstocks Z1 und M1 der Anlagen A1 und A2 eingesetzt werden.

Mithin gilt in Bezug auf den Hilfsantrag 1 die gleiche Argumentation wie für den Hauptantrag.

Der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 1 ist daher nicht neu gegenüber der Offenbarung in D5.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Das Patent wird widerrufen.

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