T 1659/20 (Textilbehandlung/Henkel) of 15.5.2023

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2023:T165920.20230515
Datum der Entscheidung: 15 Mai 2023
Aktenzeichen: T 1659/20
Anmeldenummer: 11738688.8
IPC-Klasse: D06M 11/70
D06M 13/07
D06M 13/188
D06M 13/192
A61K 8/04
A61L 9/00
A61L 9/01
C11D 1/66
C11D 3/00
C11D 3/50
C11D 3/10
C11D 3/04
C11D 3/20
C11D 3/22
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: VERWENDUNG EINES TEXTILBEHANDLUNGSMITTELS ZUR ENTFERNUNG VON DEODORANT-FLECKEN
Name des Anmelders: Henkel AG & Co. KGaA
Name des Einsprechenden: Unilever PLC / Unilever N.V.
Kammer: 3.3.06
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
Rules of procedure of the Boards of Appeal 2020 Art 012(3)
Rules of procedure of the Boards of Appeal 2020 Art 012(5)
Rules of procedure of the Boards of Appeal 2020 Art 013(2)
European Patent Convention Art 56
Schlagwörter: Ermessen nach Artikel 12(5) VOBK 2020 Vorbringen nicht zuzulassen - Vorbringen zugelassen (ja)
Änderung nach Ladung - berücksichtigt (ja)
Erfinderische Tätigkeit - naheliegende Alternative
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
T 1128/21
T 1220/21

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerde der Einsprechenden richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, den Einspruch gegen das europäische Patent Nr. 2 601 341 zurückzuweisen. Der erteilte Anspruch 1 hat den folgenden Wortlaut:

"1. Verwendung eines Textilbehandlungsmittels mit einem pH-Wert im Bereich von 1,5 bis 4,5, umfassend

a) eine organische Säure,

b) eine anorganische Säure,

c) ein nichtionisches Tensid und

d) eine desodorierende Verbindung

beim Waschen, Reinigen und/oder Konditionieren von textilen Flächengebilden."

II. Die Entscheidung erwähnt unter anderem die

Dokumente D2 (WO 01/90285), D3 (Datenblatt Neodol 91-8), D4 (WO 01/98447), D8 (G89-922 Stain Removal for Washable Fabrics), D9 (Tips for stain removal) und D11 (EP 1319394 A1).

III. Mit der Beschwerdebegründung reichten die Beschwerdeführerinnen fünf neue Dokumente (D12-D15) ein und beantragten, das Streitpatent unter anderem wegen mangelnder erfinderischer Tätigkeit vollständig zu widerrufen (Artikel 56 EPÜ). So sei der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 unter anderem nicht erfinderisch ausgehend von D2.

IV. Mit der Beschwerdeerwiderung reichte die Patentinhaberin und Beschwerdegegnerin zwei Hilfsanträge ein und beantragte, D12-D15 nicht zum Verfahren zuzulassen. Zur erfinderischen Tätigkeit trug sie vor, dass D8 und D9 die besten Ausgangspunkte seien, weil sie sich mit dem gleichen Problem befassten wie das Streitpatent, aber dennoch den Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 nicht nahelegen könnten.

V. Anspruch 1 von Hilfsantrag 1 entspricht Anspruch 1 des Hauptantrags, wobei der Anteil der organischen und der anorganischen Säure jeweils eingeschränkt ist auf zwischen 5 und 30 Gew.-%, bzw. auf zwischen 0,5 und 10 Gew.-%, jeweils bezogen auf das gesamte Behandlungsmittel.

Anspruch 1 von Hilfsantrag 2 entspricht Anspruch 1 des ersten Hilfsantrags, wobei der Anteil des nichtionischen Tensids zwischen 0,5 und 20 Gew.-% und der Anteil der desodorierenden Verbindung auf zwischen 0,01 und 5 Gew.-% eingeschränkt ist, jeweils bezogen auf das gesamte Behandlungsmittel.

VI. Nach dem Erhalt der vorläufigen Meinung der Kammer beantragten die Beschwerdeführerinnen, die Hilfsanträge mangels hinreichender Substantiierung nicht zum Verfahren zuzulassen bzw. zumindest jegliche diesbezüglichen Argumente der Beschwerdegegnerin als verspätet zurückzuweisen. Sie brachten ferner vor, der Gegenstand von Anspruch 1 der Hilfsanträge 1 und 2 sei nicht erfinderisch ausgehend von D2 und unter Berücksichtigung der Lehre von D4.

VII. Daraufhin brachte die Beschwerdegegnerin vor, die Hilfsanträge seien zulässig und beantragte, den Antrag der Beschwerdegegnerinnen auf Nichtzulassung der Hilfsanträge wegen Verspätung nicht zuzulassen. Ferner sei der Gegenstand von Anspruch 1 des ersten und zweiten Hilfsantrags nicht naheliegend, denn weder D2 noch D4 gebe dem Fachmann einen Hinweis auf die in den Anträgen jeweils definierten Gehalte an organischer und anorganischer Säure, bzw. an Tensid und desodorierender Verbindung.

VIII. Am 15. Mai 2023 fand in Abwesenheit der Beschwerdegegnerin die mündliche Verhandlung vor der Kammer statt. Die abschließenden Anträge der Parteien waren wie folgt:

Die Beschwerdeführerinnen (Einsprechenden) beantragten in der Hauptsache, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das europäische Patent zu widerrufen.

Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte in der Hauptsache schriftsätzlich, die Beschwerde zurückzuweisen, hilfsweise die Aufrechterhaltung des Patents in geänderter Form, basierend auf einem der Hilfsanträge 1 oder 2, eingereicht mit der Beschwerdeerwiderung.

Entscheidungsgründe

1. Hauptantrag

In der Mitteilung unter Artikel 15(1) VOBK 2020 hat die Kammer dargelegt, dass und warum der Gegenstand von Anspruch 1 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht. Nachdem die Beschwerdegegnerin hierzu keine Gegenargumente vorgebracht hat, hat die Kammer dieses Ergebnis bestätigt.

1.1 Die Erfindung ist auf die Verwendung eines Textilbehandlungsmittels beim Waschen, Reinigen und/ oder Konditionieren gerichtet (Absatz 0001, Anspruch 1).

1.2 D2 (Titel) ist auf Weichspüler gerichtet. Ein Weichspüler ist ein Textilkonditionierer im Sinne von Anspruch 1, so dass D2 einen geeigneten Ausgangspunkt zur Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit darstellt. Konkret enthält die Weichspülerzusammensetzung 4 aus Beispiel 1 unter anderem eine organische Säure ("fatty acid"), eine anorganische Säure (HCl), ein nichtionisches Tensid (Neodol 91-8, siehe D3) und eine desodorierende Verbindung (Cyclodextrin, siehe im Streitpatent den erteilten Anspruch 5). Der pH-Wert dieser konkreten Zusammensetzung ist jedoch nicht offenbart.

1.3 Die Beschwerdegegnerin hielt D2 nicht für den nächstliegenden Stand der Technik und argumentierte ausschließlich ausgehend von D8 oder D9, und auch die Einspruchsabteilung war der Ansicht, dass D2 nicht den nächstliegenden Stand der Technik darstelle. Beide haben dies damit begründet, dass der nächstliegende Stand der Technik auf eine ähnliche Wirkung gerichtet sein müsse wie das Streitpatent (subjektive Aufgabe), welche darin bestehe, aus dem Kontakt mit Deodorant entstandene Verkrustungen und Verfärbungen zu lösen. (Absatz 0008). Vor dem Hintergrund dieser subjektiven Aufgabe schloss die Einspruchsabteilung, dass die beanspruchte Textilbehandlung entweder im oder vor einem Waschvorgang stattfinden müsse. D2 dagegen offenbare Weichspüler, die ihre Wirkung nur entfalten könnten, wenn sie nach dem Waschvorgang aufgebracht würden, so dass sich Wirkungen der D2 und des Streitpatentes ausschließen würden.

1.4 Die Argumentation bezüglich D2 überzeugt jedoch nicht, denn Anspruch 1 umfasst unterschiedliche Ausführungsformen, nämlich sowohl die Verwendung eines Textilbehandlungsmittels beim Reinigen oder Waschen als auch die Verwendung des Mittels beim Konditionieren von textilen Flächengebilden. Es liegt auf der Hand, dass für diese unterschiedlichen Verwendungen unterschiedliche Dokumente als nächstliegender Stand der Technik in Frage kommen. Während für die Ausführungsformen des Reinigens D8 oder D9 sicherlich einen geeigneten und möglicherweise besseren Ausgangspunkt darstellen als D2, gilt dies nicht für die Ausführungsform der Verwendung beim Konditionieren. Vielmehr kommt hierfür insbesondere ein Dokument wie D2 in Frage, das Textilkonditionierer und ihre Verwendung offenbart. Es folgt, dass D2 als mögliches Dokument für den nächstliegenden Stand der Technik herangezogen werden kann.

1.5 Wie oben bereits erwähnt, stellt sich das Streitpatent die Aufgabe, Verkrustungen und Verfärbungen zu mindern. Die Beschwerdegegnerin hat hierzu behauptet, dass dies durch die Beispiele im Patent belegt sei.

Diese Beispiele und der darin möglicherweise gezeigte Effekt mögen zwar relevant sein für die o.g. Ausführungsformen der Verwendung beim Reinigen, aber sie sind irrelevant für die Ausführungsform der Verwendung beim Konditionieren. Konditionieren und Reinigen sind nach allgemeinem Verständnis unterschiedliche Vorgänge und das Streitpatent enthält keinerlei Daten, aus denen hervorgehen würde, dass das anspruchsgemäße Textilbehandlungsmittel beim Konditionieren irgendwelche Vorteile gegenüber D2 bringen würde. Somit ist für diese Ausführungsform die Aufgabe lediglich das Bereitstellen einer weiteren Verwendung beim Konditionieren von Textilien.

1.6 Zur Lösung dieser Aufgabe schlägt das Streitpatent vor, den pH-Wert des Textilbehandlungsmittels zwischen 1,5 und 5,5 einzustellen.

1.7 Diese Lösung und damit der Gegenstand von Anspruch 1 ist jedoch naheliegend, denn D2 lehrt im Brückenabsatz zwischen Seite 44 und 45, den pH meistbevorzugt auf einen Wert zwischen 2,5 und 3,5 einzustellen. Es ist somit naheliegend für den Fachmann, diese Lehre auch auf Zusammensetzung 4 von Beispiel 1 der D2 anwenden, wodurch er zum Gegenstand von Anspruch 1 gelangt, ohne dabei erfinderisch tätig werden zu müssen. Der Einspruchsgrund gemäß Artikel 100(a), 56 EPÜ steht demzufolge der Aufrechterhaltung des Streitpatents entgegen, weshalb der Hauptantrag nicht gewährbar ist.

2. Zulassung der Hilfsanträge 1 und 2

2.1 Wie die Beschwerdegegnerin aufgezeigt hat, sind die Hilfsanträge bereits im Einspruchsverfahren eingereicht worden, weshalb diese gemäß Artikel 12(4) VOBK 2020 nicht als Änderung anzusehen sind. Eine Nichtzulassung der Hilfsanträge kommt jedoch mangels hinreichender Substantiierung gemäß Artikel 12(3) und (5) VOBK 2020 in Betracht.

Vorliegend kann dahinstehen, ob die ergänzenden Ausführungen der Beschwerdegegnerin zur Substantiierung in ihrem Schriftsatz vom 12. Mai 2023 gemäß Artikel 13(2) VOBK 2020 zu berücksichtigen sind, denn die Kammer hat - ungeachtet dieses ergänzenden Vortrags - in Ausübung ihres Ermessens davon abgesehen, die Hilfsanträge unter Artikel 12(3) und (5) VOBK 2020 vom Verfahren auszuschließen.

Artikel 12 (3) VOBK 2020 besagt, dass die Beschwerdebegründung bzw. die Erwiderung darauf jeweils das vollständige Beschwerdevorbringen eines Beteiligten enthalten muss und dass deutlich und knapp anzugeben ist, aus welchen Gründen beantragt wird, die angefochtene Entscheidung aufzuheben, abzuändern oder zu bestätigen.

Die in Artikel 12(3)(5) VOBK 2020 normierten Voraussetzungen sind von Amts wegen zu prüfen, weshalb der Antrag der Beschwerdegegnerin auf Nichtzulassung des Nichtzulassungsantrags der Beschwerdeführerinnen für die Kammerentscheidung irrelevant ist.

Aus Artikel 12(3) VOBK 2020 folgt, dass eine Patentinhaberin Hilfsanträge, die im Beschwerdeverfahren berücksichtigt werden sollen, substanziieren muss. Sie muss daher insbesondere erläutern, warum die vorgenommenen Änderungen geeignet sind, die erhobenen Einwände auszuräumen (siehe Rechtsprechung der Beschwerdekammern, 10. Auflage, V.A.4.3.5.b)(i)). So hat eine Patentinhaberin, die neue Hilfsanträge vorlegt, um Angriffe unter Artikel 54 oder 56 EPÜ abzuwehren, in der Regel zumindest darzulegen, welche Merkmale der Abgrenzung gegenüber welchen Entgegenhaltungen dienen. In Abhängigkeit von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls, insbesondere auch in Abhängigkeit von der Detailgenauigkeit der Substantiierung des jeweiligen Einspruchsgrundes einerseits und der Komplexität der geänderten Merkmale in den Hilfsanträgen andererseits, können ggf. auch spezifischere Ausführungen des Patentinhabers notwendig sein.

Was die Einwände unter Artikel 54 und 56 EPÜ angeht, hat die Beschwerdegegnerin für die Hilfsanträge diesbezüglich keinerlei Angaben gemacht, so dass vorliegend eine Substanziierung im Sinne des Artikels 12(3) VOBK 2020 fehlt.

Aus dieser mangelnden Substanziierung folgt jedoch nicht unmittelbar, dass die Anträge nicht zuzulassen sind. Vielmehr liegt die Zulassung unter Artikel 12(5) VOBK 2020 im Ermessen der Kammer. Artikel 12(3) wie auch die Artikel 12(4), 13(1) und 13(2) VOBK 2020 haben unter anderem zum Ziel, dass die relevanten Anträge, Beweismittel und Argumente möglichst früh ins Verfahren eingebracht werden, so dass sich die jeweils andere Partei und auch die Kammer frühstmöglich mit dem vollständigen Vorbringen auseinandersetzten kann, um eine effektive und gradlinige Verfahrensführung sicherzustellen. Somit kann die Frage, inwieweit eine fehlende oder unvollständige Substantiierung diesem Ziel zuwiderläuft, im Rahmen der Ermessensausübung gemäß Artikel 12(5) VOBK 2020 berücksichtigt werden.

Hierzu haben die Beschwerdeführerinnen sinngemäß ausgeführt, es sei ein Nachteil für sie, nicht zu wissen, was die Beschwerdegegnerin mit den vorgenommenen Änderungen bezwecke.

Dieses Argument vermag im vorliegenden Fall jedoch nicht zu überzeugen. In ihrer Beschwerdebegründung haben die Beschwerdeführerinnen gegen den Hauptantrag lediglich Einwände unter Artikel 54 (D2 und D11) und 56 EPÜ (ausgehend von D2, dem durch D8 und D9 nachgewiesenen Fachwissen sowie von D15) erhoben.

Anspruch 1 des ersten und zweiten Hilfsantrags weist im Vergleich zum Hauptantrag jeweils wenig komplexe, zusätzliche Einschränkungen auf, die offensichtlich darauf abzielen, eine Abgrenzung zu dem im Verfahren befindlichen Stand der Technik und herbeizuführen. Hierzu hat die Beschwerdegegnerin zwar nicht explizit vorgetragen, aber es ist unmittelbar ersichtlich, dass die von der Beschwerdeführerin als neuheitsschädlich angeführten Passagen in D2 (Zusammensetzung 4 auf Seite 54; gilt auch auch unter Berücksichtigung von D7) und D11 (Anspruch 1, [0034], [0038]) diese Einschränkungen nicht offenbaren. Es ist ebenfalls prima-facie ersichtlich, dass die Einschränkungen den beanspruchten Gegenstand weiter von den Dokumenten D8 und D9 abgrenzen, die die Beschwerdegegnerin als den nächstliegenden Stand der Technik ansieht. So offenbaren zum Beispiel weder D8 noch D9 die Verwendung von anorganischen Säuren und damit auch nicht die Verwendung des nun beanspruchten Gehaltes davon.

Bei dieser Sachlage ist nicht ersichtlich, dass die Beschwerdeführerinnen durch die fehlende Substantiierung einen Nachteil erlitten hätte, zumal die in Artikel 12(3) VOBK 2020 normierte Substanziierungspflicht nicht bedeutet, dass sich die Darlegungs- und Beweislast für fehlende Neuheit oder für das Fehlen erfinderischer Tätigkeit auf die Patentinhaberin verlagern würde. Diese verbleibt vielmehr bei der Einsprechenden.

Vor diesem Hintergrund hält es die Kammer unter den gegebenen Umständen nicht für angebracht, ihr Ermessen dahingehend auszuüben, die Hilfsanträge 1 und 2 vom Verfahren auszuschließen.

2.2 Die Kammer hat ihr Ermessen unter Artikel 13(2) VOBK 2020 dahingehend ausgeübt, auch das neue Vorbringen der Beschwerdeführerinnen in deren Schriftsatz vom 16. März 2022, insbesondere den darin geltend gemachten, auf D2 und D4 beruhenden Einwand und das Vorbringen im Schriftsatz der Beschwerdeführerinnen vom 4. Mai 2023 ins Verfahren zuzulassen.

Die Beschwerdeführerinnen haben die von der Beschwerdegegnerin mit der Beschwerdeerwiderung vom 1. März 2021 eingereichten Hilfsanträge im Beschwerdeverfahren erstmalig zwei Jahre später, mit Schriftsatz vom 16. März 2023 und damit nach der Ladung zur mündlichen Verhandlung angegriffen. Die Zulassung des Vorbringens richtet sich daher nach Artikel 13(2) VOBK.

Vorliegend liegen außergewöhnliche Umstände vor, weil die Beschwerdeführerinnen mit dem neuen Vorbringen auf die Ausführungen der Kammer in der Kammermitteilung vom 24. November 2022 reagiert haben. In dieser Mitteilung hat die Kammer die Hilfsanträge der Beschwerdegegnerin auf prima-facie Basis gewürdigt. Nachdem diese Würdigung erfolgte, obwohl die Beschwerdegegnerin ihre Hilfsanträge bis dahin nicht hinreichend substantiiert hatte, ist es im vorliegenden Fall angemessen, den Beschwerdeführerinnen die Möglichkeit einzuräumen, auf diese Würdigung der Kammer mit einem Einwand zu reagieren, der sich auf die bereits im Verfahren befindlichen Entgegenhaltungen stützt.

Dazu kommt noch, dass die Beschwerdeführerinnen die Hilfsanträge bereits erstinstanzlich angegriffen hatten (Eingabe vom 17. Dezember 2019). Dieses erstinstanzliche Vorbringen ist zwar nicht Teil des Beschwerdeverfahrens (Artikel 12(1) VOBK 2020), aber die Kammer hat bei der Ausübung ihres Ermessens berücksichtigt, dass insbesondere der Angriff ausgehend von D2 mit D4 (siehe unten) mit den zugehörigen Argumenten die Beschwerdegegnerin nicht überraschen konnte.

3. Hilfsantrag 1 - Artikel 56 EPÜ

Der Gegenstand von Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 ist naheliegend für den Fachmann ausgehend von D2 und unter Berücksichtigung der Lehre von D4.

3.1.1 Gegenüber dem Hauptantrag weist dieser Antrag zwei weitere Unterscheidungsmerkmale zu D2 auf, nämlich den Gehalt an organischer und anorganischer Säure. Die Zusammensetzung 4 der D2 enthält nämlich nur 0,28 Gew.-% HCl (anorganische Säure) und als organische Säure ist lediglich 0,75 Gew.-% Fettsäure enthalten.

3.1.2 Ein auf diese Merkmale zurückgehender technischer Effekt wurde von der Beschwerdegegnerin nicht geltend gemacht und ist auch nicht ersichtlich. Somit kann auch hier die Aufgabe formuliert werden als das Bereitstellen einer weiteren Möglichkeit, Textilien zu konditionieren.

3.1.3 Als Lösung dieser Aufgabe schlägt das Streitpatent die Verwendung eines Textilbehandlungsmittels vor, das zwischen 5 und 30 Gew.-% organische und zwischen 0,5 und 10 Gew.-% anorganische Säure enthält. Diese Lösung ist jedoch auch unter Berücksichtigung der Lehre von D4 naheliegend. Dies gilt auch unter Berücksichtung des Vorbringens der Beschwerdegegnerin in ihrem Schriftsatz vom 12. Mai 2023, weshalb sich eine Entscheidung über die Zulassung dieses Vorbringens erübrigt.

3.1.4 D4 offenbart nämlich ebenfalls Textilbehandlungsmittel, die beim Nachbehandeln von gewaschenen Textilien, d.h. beim Konditionieren, verwendet werden. Somit würde der Fachmann das Dokument D4 bei der Lösung der Aufgabe berücksichtigen. Dies hat die Beschwerdegegnerin nicht bestritten, sondern lediglich vorgebracht, auch bei Berücksichtigung von D4 sei der beanspruchte Gegenstand nicht nahegelegt, weil der Fachmann aus diesem Dokument keinen Hinweis erhalte, organische Säure in einer Menge zwischen 5 und 30 Gew.-% und anorganische Säure in einer Menge zwischen 0,5 und 10 Gew.-% einzusetzen.

3.1.5 Dem ist jedoch nicht zuzustimmen, denn D4 offenbart auf Seite 11, Zeile 27 - Seite 12, Zeile 11, dass durch Zugabe einer geeigneten Menge von Säure im Bereich von zwischen 0,5 und 10 Gew.-% unter anderem eine Verbesserung der Weichheit der Wäsche erreichbar ist. Da der Fachmann von einem Weichspüler (D2) ausgeht, würde er insbesondere diese Lehre berücksichtigen. In der o.g. Passage schlägt D4 unter anderem vor, Mischungen von anorganischen und organischen Säuren einzusetzen. Auch dies ist kompatibel mit der Lehre der D2, die ebenfalls vorschlägt, zur pH-Einstellung unter anderem Mischungen verschiedener organischer und anorganischer Säuren einzusetzen (Seite 44 unten). Vor diesem Hintergrund wäre es naheliegend, zum Beispiel eine Mischung aus Zitronensäure, die gemäß D2 und D4 bevorzugt ist, und HCl einzusetzen, das in der Ausgangszusammensetzung 4 ohnehin vorhanden ist. Weder D2 noch D4 offenbaren die genauen Anteile von anorganischer und organischer Säure in einer solchen Mischung, aber in Abwesenheit irgendeines besonderen Effekts scheinen die beanspruchten Bereiche willkürlich ausgewählt zu sein. Eine solche willkürliche Auswahl beruht nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit im Sinne des Artikels 56 EPÜ.

4. Hilfsantrag 2 - Artikel 56 EPÜ

Der Gegenstand von Anspruch 1 des Hilfsantrags 2 beruht ebenfalls nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit. Dies gilt auch unter Berücksichtigung des Vorbringens der Beschwerdegegnerin in ihrem Schriftsatz vom 12. Mai 2023, so dass sich eine Entscheidung über dessen Zulassung wegen Verspätung erübrigt. Dort hatte die Beschwerdegegnerin lediglich vorgetragen, dass der Fachmann aus D4 keinen Hinweis auf die Mengenangaben für das nichtionische Tensid und die desodorierende Verbindung erhalte.

Hierbei übersieht die Beschwerdegegnerin jedoch, dass die beiden zusätzlichen Merkmale in Zusammensetzung 4 von Beispiel 1 der D2 bereits offenbart sind, denn diese enthält 3,5 Gew.-% eines nichtionisches Tensids (Neodol 91-8, siehe D3) und 0,3 Gew.-% einer desodorierenden Verbindung (Cyclodextrin, vgl. im Streitpatent [0013]).

5. Somit beruht auch der Gegenstand von Anspruch 1 des zweiten Hilfsantrags nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.

6. Da die obige Begründung der Kammer nicht auf den spät eingereichten Dokumenten D12-D15 beruht, muss über den Antrag der Beschwerdegegnerin, diese Dokumente nicht zuzulassen, nicht entschieden werden.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Das Patent wird widerrufen.

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