T 1493/20 () of 2.6.2023

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2023:T149320.20230602
Datum der Entscheidung: 02 Juni 2023
Aktenzeichen: T 1493/20
Anmeldenummer: 14815266.3
IPC-Klasse: F03D 13/00
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: C
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: VERFAHREN ZUM OPTISCHEN ERFASSEN EINER WINDKRAFTANLAGE ZU PRÜFZWECKEN MIT HILFE EINES LUFTFAHRZEUGS
Name des Anmelders: Rolawind GmbH
Name des Einsprechenden: Weiss, Arat & Partner mbB
Cyberhawk Innovations Ltd
Kammer: 3.2.04
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 56
European Patent Convention Art 24(3)
Rules of procedure of the Boards of Appeal 2020 Art 013(1)
Schlagwörter: Erfinderische Tätigkeit - Fachmann
Erfinderische Tätigkeit - naheliegende Lösung
Änderung des Beschwerdevorbringens - Änderung gibt Anlass zu neuen Einwänden (ja)
Antrag auf Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit - unzulässig
Orientierungssatz:

Siehe Gründe 2

Angeführte Entscheidungen:
G 0001/05
G 0001/21
T 1966/17
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerde der Patentinhaberin richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, das Streitpatent zu widerrufen.

In dieser hatte die Einspruchsabteilung festgestellt, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag (erteilte Fassung) und Hilfsantrag 1 nicht erfinderisch sei.

II. In einer Mitteilung nach Artikel 15(1) VOBK hat sich die Kammer vorläufig der Auffassung der Einspruchsabteilung hinsichtlich mangelnder erfinderischer Tätigkeit angeschlossen.

III. Am 2. Juni 2023 fand in Anwesenheit der Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) und der Beschwerdegegnerin 1 (Einsprechenden 1) eine mündliche Verhandlung vor der Kammer statt.

Die Beschwerdegegnerin 2 (Einsprechende 2) ist trotz ordnungsgemäßer Ladung nicht zur mündlichen Verhandlung erscheinen. Gemäß Regel 115(2) EPÜ und Artikel 15(3) VOBK wurde die mündliche Verhandlung ohne sie durchgeführt.

IV. Die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) beantragt, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das europäische Patent in der erteilten Fassung aufrechtzuerhalten, hilfsweise im Umfang der Hilfsanträge 1 bis 3, von denen Hilfsantrag 1 bereits im Einspruchsverfahren vorlag und beschieden wurde, Hilfsantrag 2 mit Beschwerdebegründung vom 22. September 2020 und Hilfsantrag 3 mit Schreiben vom 29. September 2022 eingereicht wurde.

Während der mündlichen Verhandlung erklärte die Beschwerdeführerin die Ablehnung der gesamten Kammer wegen Besorgnis der Befangenheit aufgrund mangelnder technischer Kenntnisse auf dem Gebiet von Windkraftanlagen.

Die Beschwerdegegnerin 1 (Einsprechende 1) beantragt die Zurückweisung der Beschwerde sowie die Nichtzulassung der Hilfsanträge 2 und 3 zum Beschwerdeverfahren.

Die Beschwerdegegnerin 2 (Einsprechende 2) hat sich im Beschwerdeverfahren weder zur Sache geäußert, noch hat sie Anträge gestellt.

V. Anspruch 1 des Hauptantrags hat folgenden Wortlaut (Buchstaben in Klammern durch die Kammer hinzugefügt, um die Merkmale zu kennzeichnen):

[A] "Verfahren zum optischen Erfassen einer Windkraftanlage (1) zu Prüfzwecken

[B] mit Hilfe eines Luftfahrzeuges, insbesondere eines bemannten oder unbemannten Drehflüglers (9),

[C] an dem zumindest eine Kamera installiert ist,

[D] wobei die Windkraftanlage mehrere Rotorblätter (2) umfasst, deren Oberfläche im Rahmen des Verfahrens abgetastet wird,

[E] wobei das Abtasten optisch erfolgt, umfassend die folgenden Verfahrensschritte:

[F] Ausrichten eines ersten Rotorblattes (21) in einer vertikalen Stellung,

[G] anschließend Abfliegen und Abtasten einer ersten Seite (5) des ersten Rotorblattes (21) in vertikaler Richtung,

[H] abschließend Abfliegen und Abtasten einer zweiten Seite (6) des ersten Rotorblattes (21) in vertikaler Richtung,

[I] anschließend Ausrichten eines zweiten Rotorblattes (22) in einer vertikalen Stellung,

[J] anschließend Abfliegen und Abtasten einer ersten Seite (5) des zweiten Rotorblattes (22) in vertikaler Richtung,

[K] anschließend Abfliegen und Abtasten einer zweiten Seite (6) des zweiten Rotorblattes (22) in vertikaler Richtung."

Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 enthält gegenüber Anspruch 1 des Hauptantrags die folgenden zusätzlichen Merkmale (Hervorhebung durch die Kammer):

"... anschließend Abfliegen und Abtasten einer zweiten Seite (6) des zweiten Rotorblattes (22) in vertikaler Richtung,

die zu erfassenden Bereiche (5,6) auf der Rotoroberfläche zumindest zweimal abgetastet werden, wobei die Kamera bzw. Kameras und/oder das Luftfahrzeug (8) bei jeder der beiden Abtastungen in unterschiedlichen Positionen gegenüber dem Rotorblatt angeordnet sind."

Anspruch 1 des Hilfsantrags 2 enthält gegenüber Anspruchs 1 des Hauptantrags die folgenden Verfahrensschritte (Hervorhebung durch die Kammer):

"... Ausrichten eines ersten Rotorblattes (21) in einer vertikalen Stellung,

anschließend Abfliegen und Abtasten einer ersten Seite (5) des ersten Rotorblattes (21) in einer Flugbahn in vertikaler Richtung,

abschließend Abfliegen und Abtasten einer zweiten Seite (6) des ersten Rotorblattes (21) in einer Flugbahn in vertikaler Richtung,

anschließend Ausrichten eines zweiten Rotorblattes (22) in einer vertikalen Stellung,

anschließend Abfliegen und Abtasten einer ersten Seite (5) des zweiten Rotorblattes (22) in einer Flugbahn in vertikaler Richtung,

anschließend Abfliegen und Abtasten einer zweiten Seite (6) des zweiten Rotorblattes (22) in einer Flugbahn in vertikaler Richtung, und während des Abtastens das Abfliegen der Seite der Rotorblätter zunächst in einer vertikalen Richtung und anschließend in der entgegengesetzten vertikalen Richtung erfolgt."

Anspruch 1 des Hilfsantrags 3 enthält gegenüber Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 die folgenden zusätzlichen Merkmale (Hervorhebung durch die Kammer):

"... anschließend Abfliegen und Abtasten einer zweiten Seite (6) des zweiten Rotorblattes (22) in vertikaler Richtung,

das Abflieqen der Rotorblätter (2) lediglich durch eine kollektive Blattverstellung aller Rotorblätter (2) des Drehflüglers (9) gesteuert wird,

wobei die Blattverstellung durch Verdrehen des Rotorblattes (9) um die Rotorblattachse (B) durchgeführt wird,

eine Rotorblattachse (B) des abzutastende Rotorblatt (2) während der Abtastung vertikal nach oben weisend ausgerichtet ist und

die zu erfassenden Bereiche (5, 6) auf der Rotoroberfläche zumindest zweimal abgetastet werden, wobei die Kamera bzw. Kameras und/oder [deleted: das Luftfahrzeug] der Drehflügler (9) bei jeder der beiden Abtastungen in unterschiedlichen Positionen gegenüber dem Rotorblatt (2) angeordnet sind."

In der vorliegenden Entscheidung wird auf folgende Dokumente Bezug genommen:

A1: US 2013/0235897 A1

A2: WO 2010/051278 A1

A6: H. Zell et al.:"Inspektion von Windkraftanlagen Neue Möglichkeit der berührungslosen Überprüfung von Rotorblättern", DEWI MAGAZIN NO. 40, Februar 2012, ISSN 0946-1787, Seiten 14 - 20.

VI. Das Vorbringen der Beschwerdeführerin lässt sich wie folgt zusammenfassen:

Ausgehend von A1 führe kein Weg in naheliegender Weise zu den beanspruchten Verfahren, da A1 ein völlig anderes Verfahren zum Gegenstand habe. Bei diesem würden lediglich einzelne Bereiche eines Rotorblatts untersucht, und es fehlten ihm alle wesentlichen beanspruchten Verfahrensschritte.

Das Vorbringen der Beschwerdegegnerin 1 lässt sich wie folgt zusammenfassen:

A1 nenne zwar nicht explizit die beanspruchte Abfolge der Überprüfung von Rotorblättern und deren Seiten. Diese sei für den Fachmann jedoch die einzig sinnvolle von wenigen Alternativen, insbesondere vor dem Hintergrund der speziellen Vorbereitung und Konditionierung der Rotorblätter vor ihrer eigentlichen Überprüfung nach A1.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Ablehnung der Kammer - Zulässigkeit des Antrags

2.1 Nach ständiger Rechtssprechung entscheidet zunächst die abgelehnte Kammer in ihrer ursprünglichen Besetzung über die Zulässigkeit eines Antrags auf ihre Ablehnung, RSdBK, 10. Auflage, III.J.3.1. (so auch in G 1/21 vom 28. Mai 2021, Entscheidungsgrund 10).

2.2 In der mündlichen Verhandlung beantragte die Beschwerdeführerin nach anfänglicher Diskussion der Offenbarung von A1 in Bezug auf Anspruch 1 die Ablehnung der Kammer wegen Befangenheit. Als Grund für die Befangenheit gab sie mangelnde technische Kenntnisse auf dem Gebiet von Windenergieanlagen an. Dieser Antrag wurde nicht weiter substantiiert und war nicht gegen ein bestimmtes Mitglied gerichtet, sondern betraf die ganze Kammer. Bereits im Vorfeld des Ablehnungsantrags hatte die Beschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung mehrfach zum Ausdruck gebracht, dass die Vorstellungen der Kammer zu den streitigen technischen Sachverhalten, insbesondere zum Offenbarungsgehalt von A1, "wirklichkeitsfremd" seien, auf "Fantasie" oder "Science-Fiction-Verhältnissen" beruhten.

2.3 Die Kammer geht davon aus, dass der Antrag auf eine Ablehnung nach Artikel 24(3) EPÜ gerichtet ist. Andere Möglichkeiten der Ablehnung von Kammermitgliedern sind weder im EPÜ noch in der VOBK normiert.

2.4 Artikel 24(3) EPÜ sieht eine Ablehnung aus einem der in Artikel 24(1) EPÜ genannten Gründe oder wegen Besorgnis der Befangenheit vor. Im vorliegenden Fall hat sich die Beschwerdeführerin auf Letzteres berufen. Sie hat nicht weiter erklärt, inwiefern sich eine Befangenheit der Kammermitglieder aus deren angeblich mangelnden technischen Kenntnissen ergeben soll. Ein solcher Kausalzusammenhang ist auch für die Kammer nicht ersichtlich.

2.5 Damit beantragt die Beschwerdeführerin im Ergebnis die Ablehnung der Kammer nicht aus dem Grund der Befangenheit, sondern wegen mangelnder technischer Kenntnisse der einzelnen Mitglieder. Aus der abschließenden Aufzählung der Ablehnungsgründe in Artikel 24(3) EPÜ ergibt sich jedoch, dass ein Ablehnungsantrag nicht auf jeden beliebigen Grund gestützt werden kann, selbst wenn die vorgebrachten Tatsachen, die die Kammermitglieder betreffen, zumindest subjektiv als nachteilig für die Sache eines Beteiligten angesehen werden könnten. Eine Ablehnung wegen mangelnder technischer Kenntnisse ist daher kein zulässiger Ablehnungsgrund nach Artikel 24(3) EPÜ. Es bleibt dabei, dass weder im EPÜ noch in der VOBK die technische Inkompetenz einer Kammer auf einem ihr gemäß Geschäftsverteilungsplan zugeordneten technischen Gebiet als ein Grund für deren Ablehnung vorgesehen ist. Dies dennoch durch die Hintertür einer dadurch angeblich begründeten Besorgnis der Befangenheit zu erreichen zu versuchen, hält die Kammer für nicht statthaft, und den darauf gerichteten Antrag für unzulässig.

2.6 Lediglich ergänzend weist die Kammer darauf hin, dass eine technische Beschwerdekammer auch nicht berechtigt ist, sich selbst Fälle auf einem bestimmten technischen Gebiet, auf dem sie sich für kompetent halten mag, zuzuweisen. Sie ist jedoch grundsätzlich verpflichtet, die ihr gemäß ihrer sachlichen Zuständigkeit vom Präsidium über den Geschäftsverteilungsplan gemäß Artikel 1(2) VOBK zugewiesenen Fälle zu verhandeln (G 1/05, Entscheidungsgrund 8). Die Zuordnung einer sachlichen Zuständigkeit für ein technisches Gebiet beruht auf der Annahme der technischen Kompetenz einer Kammer auf diesem Gebiet. Schließlich hat eine Kammer auch die Möglichkeit, ggf. eine Begutachtung durch Sachverständige (Artikel 117 (e) und Regel 121 EPÜ) von Amts wegen einzuholen, wenn sie der Ansicht ist, dass ihre eigenen Fachkenntnisse für die Beurteilung des Falls nicht ausreichen.

2.7 Daher verwarf die Kammer den Antrag der Beschwerdeführerin auf ihre Ablehnung wegen mangelnder technischer Kenntnisse auf dem Gebiet der Windkraftanlagen und der damit begründeten Besorgnis der Befangenheit als unzulässig.

3. Das Patent und sein technischer Hintergrund

Das Patent befasst sich mit der Inspektion von Rotorblättern einer Windkraftanlage mithilfe eines Luftfahrzeugs, insbesondere einer auf einem unbemannten oder bemannten Drehflügler (Helikopter) installierten Wärmebildkamera. Zu diesem Zweck wird ein konkretes Inspektionsprotokoll festgelegt: Ein Rotorblatt soll in einer vertikalen Stellung abgetastet und abgeflogen werden, und zwar erst dessen eine Seite, dann dessen zweite Seite, und dann das nächste Rotorblatt in gleicher Stellung und gleicher Weise. Gemäß der Hilfsanträge soll jede Seite eines Rotorblatts zweimal abgeflogen und abgetastet werden, teilweise unter jeweils verschiedenen Blickwinkeln. Bei Wärmebildaufnahmen mittels einer Infrarotkamera hätte letzteres den Vorteil, dass dadurch echte Fehler entdeckt und von bloßen thermischen Störeinflüssen unterschieden werden könnten, Absatz [0014] des Patents.

4. Hauptantrag - erfinderische Tätigkeit

4.1 Offenbarung der A1

4.1.1 A1 betrifft ein Verfahren zur zerstörungsfreien Überprüfung der strukturellen Integrität von insbesondere großen Windturbinen-Rotorblättern mit mehr als 50 m Länge, Absätze [0002] - [0004]. Das Verfahren umfasst im wesentlichen drei Schritte, Absätze [0022]-[0024], Anspruch 1: Zuerst wird der innere Hohlraum des Blattes mit konditioniertem Fluid gefüllt; dann werden an der Blattoberfläche berührungslos Messwerte eines Messparameters gesammelt, um eine Messkarte ("measuring map") zu erstellen; anschließend werden diese Messwerte mit Referenzwerten verglichen, um Anomalien festzustellen, die auf Beschädigungen hindeuten.

4.1.2 Das im inneren Blatthohlraum eingebrachte Fluid ist z.B. Luft, die den Innenraum entweder erwärmt oder kühlt oder bedrückt oder in Unterdruck versetzt, Absätze, [0025] - [0031].

Im Fall einer Einbringung von erwärmter oder gekühlter Luft wird im Rotorblatt eine Temperaturänderung hervorgerufen, die an der Außenoberfläche des Rotorblatts durch einen Infrarot Sensor 50 oder eine thermische Kamera (Absatz [0039]) gemessen wird. Im Fall einer Druckänderung wird die dadurch veränderte geometrische Form des Rotorblatts durch Fotogrammetrie erfasst. Beides sind Verfahren zur optischen Erfassung durch eine Kamera im Sinne des Anspruchs 1.

4.1.3 Die erfassten Messwerte werden in einer Messkarte für das überprüfte Rotorblatt zusammengefasst, die dann mit den für ein unbeschädigtes Rotorblatt zu erwartenden Werten verglichen wird, Absatz [0023]. Diese Vergleichswerte werden gemäß einer Ausführungsform vor den eigentlichen Überprüfungen in einer Referenzkarte zusammengefasst (Absatz [0033]), die Messparameter eines unbeschädigten Rotorblatts enthält und für alle Rotorblätter desselben Modells einsetzbar ist.

4.1.4 Die Sensoren oder Kameras zur kontaktlosen Messung der Parameter Temperatur bzw. Dimension sind auf einem Luftfahrzeug, insbesondere einer Drohne oder Mikro-Drohne angeordnet, die sich in geringem Abstand, typischerweise in etwa der lokalen Sehnenlänge des aerodynamischen Rotorblattprofils, entlang des Rotorblatts bewegt, Absätze [0046], [0047].

Als zuständigen Fachmann erachtet die Kammer vorliegend einen Ingenieur, der über besondere Kenntnisse von Windkraft-Rotorblättern verfügt, insbesondere über deren Aufbau, Fertigung, strukturelle und dynamische Belastungen im Betrieb sowie der Feststellung von aus diesen resultierenden Beschädigungen. Da dieser nicht auf Luftfahrttechnik spezialisiert ist, wird er auch einen Fesselballon, die andere in A1 genannte "airborne platform", als Luftfahrzeug ansehen. Dies kann aber letztendlich dahingestellt bleiben.

4.1.5 A1 offenbart demnach ein Verfahren mit den ersten Merkmalen [A] bis [E] des Anspruchs 1, was auch die Beschwerdeführerin nicht bestreitet. Auch bestreitet sie nicht, dass in A1 Rotorblätter eines nach dem anderen, Absatz [0115], und auf beiden Seiten, Absatz [0118] geprüft werden.

4.2 Die Beschwerdeführerin bestreitet den Befund der Entscheidung, wonach A1 ein vertikales Ausrichten eines Rotorblattes bei der Überprüfung offenbart, Merkmale [F], [I] sowie das Abfliegen und Abtasten eines gesamten Rotorblattes, wie das in den Merkmalen [G], [H], [J], [K] zum Ausdruck kommt.

4.2.1 In Fig. 4a der A1 ist eine vertikale Ausrichtung des Rotorblatts während einer Überprüfung durch eine Drohne oder Mikro-Drohne 53a zu erkennen, die laut dem zugehörigen Absatz [0126] entlang des Rotorblatts bewegt wird, also dieses ebenfalls vertikal abfliegt.

4.2.2 Die Beschwerdeführerin argumentiert, die gezeigte vertikale Stellung sei rein zufällig zustande gekommen, denn in A1 fände sich kein Hinweis darauf, dass es auf eine bestimmte, insbesondere vertikale Stellung des Rotorblatts überhaupt ankäme. Im Gegenteil werde eine vertikale Stellung in den Absätzen [0012] - [0014] nur im Rahmen eines negativ bewerteten Standes der Technik erwähnt. Daraus schließe der Fachmann, dass es sie gerade zu vermeiden gälte. Überdies diene die vertikale Stellung in Anspruch 1 anders als in A1 der Festlegung eines relativen Koordinatensystems und enthalte A1 keinerlei Aussage über die Eliminierung störender Reflexionen.

4.2.3 Nach Ansicht der Kammer muss das Rotorblatt erst wie beansprucht in die senkrechte Stellung der Fig. 4a verfahren worden sein, um diese dann wie gezeigt einzunehmen. Dass das Rotorblatt in einer Stellung mit Luft konditioniert und dann abgetastet wird, in der es rein zufällig zum Stehen gekommen ist, kann vernünftigerweise ausgeschlossen werden.

Zunächst ist es nach fachmännischem Verständnis bei dem Verfahren nach A1 wesentlich, dass das Rotorblatt vor jeder der möglichst häufigen Überprüfungen (Absätze [0008], [0020]) immer in ein- und dieselbe Stellung verfahren wird, um dort in reproduzierbarer Weise, also auch unter jeweils gleicher Einwirkung der Schwerkraft auf die eingeleitete Luft, konditioniert zu werden. Anders ließen sich keine zuverlässigen Schlüsse auf Beschädigungen aus vergleichbaren festgestellten oder simulierten Anomalien ziehen (Absätze [0033], [0034]). Eine vertikale Ausrichtung des Blattes steht auch im Einklang mit der in der Figur 3 gezeigte Einbringung von erwärmter Luft in ein Rotorblatt, das wiederum als vertikal nach unten ausgerichtet gezeigt ist, siehe auch Absätze [0098], [0103]-[0108].

Gegen eine zufällig erreichte vertikale Stellung spricht zudem, dass bei der alternativen, in Fig. 4b dargestellten Abtastung mittels eines Fesselballons 53b das Rotorblatt 10 notwendigerweise vorab senkrecht nach unten gestellt worden sein muss, denn nur in dieser Position kann der Fesselballon über die gezeigte Winde entlang des vertikalen Rotorblatts aufwärts und abwärts gesteuert werden (Absätze [0046], [0126]). Es ist kein Grund ersichtlich, warum dies bei der bis auf die Drohne 53a als Sensorträger übereinstimmenden Darstellung und Beschreibung der Fig. 4a anders gehandhabt werden sollte.

Insbesondere ist nicht ersichtlich, warum der Fachmann die in Absatz [0014] beschriebenen Nachteile einer Inspektion durch Personen auf einer Hebebühne - langwierig, von geringerer Qualität und gefährlich - in irgendeiner Weise auf die dabei vertikal nach unten gerichtete Stellung des Rotorblatts zurückführen oder auch nur mit ihr in Verbindung bringen sollte. Diese Nachteile sind offensichtlich mit der Ausführung der Arbeiten durch Personen verknüpft, die sich auf einer Platform in großer Höhe und sicherem Abstand zum Rotorblatt befinden, und nicht mit der Ausrichtung des Blattes. Vielmehr wird der Fachmann die vertikale Stellung nach unten als eine bekannte Standardposition für eine Inspektion erkennen (und in den Fig. 4a und 4b wiedererkennen), in der auch ein großes Rotorblatt noch vergleichsweise einfach zugänglich ist.

Was das Koordinatensystem und die Reflexionen betrifft, so kann die Kammer im Anspruchswortlaut weder erkennen, dass der Begriff "vertikal" ein Koordinatensystem beinhaltet, noch dass dort die Rede von Reflexionen ist. In A1 werden im übrigen Markierungen auf dem Rotorblatt als Koordinaten für eine exakte Steuerung der Drohne entlang des Blatts und die Zuordnung der dabei aufgenommenen Bilder zu bestimmten Blattbereichen genutzt, Absatz [0128].

4.2.4 Hauptanliegen in A1 ist, Fehlstellen wie Risse oder Ablösungen an den, also allen Rotorblättern einer Windkraftanlage möglichst schnell nach ihrem Entstehen zu entdecken, wobei bei bekannten Verfahren die Schwierigkeit besteht, alle Punkte der Außenoberfläche des jeweiligen Rotorblatts zu erreichen, um dort eine Überprüfung durchzuführen, Absätze [0007], [0008], [0010]. Hingegen ermöglicht es das in A1 vorgestellte Verfahren, jeglichen Schaden auf dem Rotorblatt so früh als möglich aufzufinden, Absatz [0020].

Um diese Vorgabe erfüllen zu können, muss offensichtlich die gesamte Oberfläche eines Rotorblatts überprüft werden, zumindest an genügend über die Außenoberfläche verteilten Punkten, Absatz [0066]. Denn es ist nicht zuverlässig prognostizierbar, wo an einem bestimmten Rotorblatt wann welche Schäden auftreten. Dies ist von zufälligen Fertigungsmängeln (siehe auch Absatz [0034], rechte Spalte) ebenso beeinflusst wie von den am jeweiligen Aufstellungsort auftretenden Belastungszyklen. Entsprechend erwähnt Absatz [0118] der A1 auf Messungen auf jeder der Seiten ("on each one of these faces"). Auch ist immer wieder die Rede von der zu überprüfenden Außenoberfläche des Blatts ("the blade external surface"), die in Absatz [0057] mit Bezug auf die Fig. 2a, 2b definiert ist als Abfolge ("succession") von aerodynamischen Abschnitten 11.

A1 spricht zwar ebenfalls von zu überprüfenden Bereichen ("zones" oder "regions") des Rotorblatts. Im Zusammenhang mit der Kernaufgabe und der Würdigung des Stands der Technik kann dies aber nur so verstanden werden, dass bei den vorgeschlagenen genaueren Messmethoden nicht die gesamte Oberfläche des Rotorblatts auf einmal überprüft werden kann, sondern nur einzelne Bereiche entlang des Rotorblatts bzw. Messpunkte in diesen Bereichen nacheinander. Bei einer Überprüfung mittels einer Drohne 53a, die entlang des Rotorblatts 10 fliegt, wie in Absatz [0126] für Fig. 4a beschrieben, hat diese nur ein beschränktes Gesichtsfeld (Absätze [0129] - [0131]), so dass sie bzw. der auf ihr installierte Sensor 50 jeweils nur einen bestimmten Abschnitt 52 des Rotorblatts 10 abtasten kann. Da aber z.B. bei einer ersten Überprüfung nach Inbetriebnahme niemand wissen kann, dass genau nur in diesem Bereich 52 ein Schaden aufgetreten sein könnte, muss die Drohne beim in Fig. 4a dargestellten Abfliegen einer Seite des Rotorblatts diese mit ihrem Sensor auch Abschnitt für Abschnitt komplett abtasten, um alle Schäden erkennen zu können. Ein solches sukzessives Abfliegen und Abtasten einzelner Bereiche ist von Anspruch 1 umfasst, der auch eine kurzzeitige statische Unterbrechung und anschließende Fortsetzung des Fluges auf einer Flugbahn nicht ausschließt. Dies ergibt sich nicht zuletzt daraus, dass bei einem Ausführungsbeispiel des Patents während des Abfliegens ebenfalls nacheinander eine Vielzahl (separater) Wärmebilder aufgenommen wird. Danach werden diese "Einzelbilder" zusammengesetzt, um ein Gesamtbild des Rotorblatts zu erstellen, siehe Absätze [0022], [0023], Anspruch 6, also analog zu der nach A1 ermittelten Messkarte des Rotorblatts, die sämtliche Messwerte eines Rotorblatts enthält. Daraus folgt, dass auch im Patent die Einzelbilder jeweils einzelnen Bereichen entlang des Rotorblatts zugeordnet sind, die nacheinander abgeflogen und abgetastet wurden. Folgerichtig führt der erteilte Anspruch 4 des Patents den Begriff der zu erfassenden Bereiche auf der Rotoroberfläche in Abgrenzung der abzufliegenden und abzutastenden Seiten des Rotorblatts aus den vorherigen Ansprüchen 1 und 3 und den nachfolgenden Ansprüchen 5 und 7 ein. Ähnlich ist in Absatz [0128] der A1 die Zuordnung jedes vom Sensor aufgenommenen Bildes ("each image") zu einem Oberflächenbereich 52 des Rotorblatts beschrieben.

4.2.5 Gegen die Offenbarung einer Abtastung einer Seite des Rotorblatts in A1 spricht laut der Beschwerdeführerin, dass nach Absatz [0108] bereits nicht das gesamte Rotorblatt aufgeheizt und so zu seiner Überprüfung vorbereitet werden kann. Auch werde in A1 kein Wärmebild des gesamten Rotorblatts erstellt, sondern es werden lokale Wärmeimpulse gemessen, um einen Temperaturgradienten zu bestimmen. Ein Wärmeimpuls sei dabei die Menge an Wärme, die an einer Stelle wirksam ist. Dass nur in einem bestimmten Bereich des Blattes gemessen werde, gehe aus den Absätzen [124], [125], [118] und [136] hervor.

4.2.6 Die Kammer liest in Absatz [0108] im Gegenteil, dass im Blattwurzelbereich 17 eingeleitete Luft 43 durch die innere Blattstruktur 10 das ganze Blatt entlang seiner Spannweite bis zur Nähe der Blattspitze und wieder zurück durchqueren soll ("cross all the blade along its span up to the proximity of the blade end"), Fig. 3.

In Anspruch 1 ist keine Rede von einem Wärmebild, lediglich von einer optischen Abtastung, vermutlich mittels der vorher eingeführten Kamera. Auch gemäß A1 wird mittels Fotogrammetrie ein dreidimensionales Bild der Rotorblattoberfläche erzeugt. In den zitierten Absätzen [0124], [0125] ist ausdrücklich die Rede davon, wie jedes Bild, das vom Sensor aufgenommen wird, dem Teil des Rotorblattes zugeordnet werden kann, zu dem es gehört. Dafür ist entlang der Spannweite auf der Oberfläche des Rotorblatts eine maßstäbliche Skala (19) aufgetragen, die gleichzeitig mit den Messungen mitgelesen oder mitaufgezeichnet wird. Dies alles machte keinen Sinn, wenn nur ein Bild von einem Bereich aufgenommen würde.

Eine solche Lesart wird auch durch die Absätze [0118] und [0136] nicht gestützt. Absatz [0136] steht im Kontext mit der vorher in Absatz [0131] erläuterten Problematik des auf einen Oberflächenbereich 52 eingeschränkten "Gesichtsfelds" der auf einem Luftfahrzeug sitzenden Kamera. Nach Absatz [0118] wird eine Temperaturkarte des Rotorblattes 10 für jede seiner Seiten erstellt, mindestens in Bereichen, die untersucht werden müssen. Daraus folgt lediglich, dass A1 nicht nur das Abtasten des gesamten Seite, sondern zusätzlich hier auch von Teilbereichen offenbart. Dies ist beispielsweise sinnvoll, um, wie in Absatz [0086] dargelegt, eine einmal festgestellte Beschädigung und ihre Entwicklung verstärkt zu überwachen ("reinforced monitoring of the defect and its evolution").

Schließlich werden in der A1 weder "Wärmeimpulse" genannt, noch gehen sie aus dem dort beschriebenen Messverfahren hervor. Nach dem Verständnis der Kammer werden Wärmeimpulse beispielsweise eingesetzt, um Wärmediffusionseigenschaften von Werkstoffen zu untersuchen, das heißt wie schnell sich die Wärme durch sie ausbreitet, wenn sie lokal für kurze Zeit (Impuls) erhitzt werden (Wärme). In der A1 ist nirgendwo von der Einleitung von (zeitlich eng begrenzten) erwärmten Luftimpulsen, oder von einer anschließenden zeitdifferenzierten Messung die Rede. Gemäß A1 soll die Oberflächentemperatur an zahlreichen Punkten gemessen werden (Absatz [0071]), wobei Temperaturen benachbarter Messpunkte miteinander verglichen werden können, um auffällige Temperaturgradienten zu identifizieren, die auf Beschädigungen hindeuten (Absatz [0075]).Dafür wird (erwärmte) Luft in den Hohlraum 18 des Blattes eingeblasen, um darin einen Kreislauf und dadurch eine kontinuierliche Strömung im ganzen Hohlraumvolumen zu erzeugen, Absatz [0107].

4.2.7 Aus den vorstehenden Gründen kommt die Kammer zu dem Schluss, dass A1 den Verfahrensschritt des Abfliegens und Abtastens einer ersten Seite des Rotorblatts in vertikaler Richtung im Sinne des Anspruchs 1 offenbart.

4.3 Unterschiede zu A1

Aus der obigen Lesart der A1 folgt, dass auch die zweite Seite des Rotorblatts überprüft werden muss, um sämtliche Beschädigungen entdecken und eine entsprechende Messkarte des Rotorblatts erstellen zu können. Wie und wann das genau passiert, also ob wie beansprucht anschließend an eine Überprüfung seiner ersten Seite und ebenfalls in vertikaler Richtung, kann aber aus der Fig. 4a und der zugehörigen Beschreibung nicht unmittelbar und eindeutig abgeleitet werden. Somit offenbart A1 nicht die genaue Abfolge, in der die Rotorblätter abgeflogen und abgetastet werden, oder ein "Inspektionsprotokoll", wie es in den Merkmalen [H] bis [K] des Anspruchs 1 definiert ist.

4.4 Objektive technische Aufgabe

Der Fachmann muss also bei der Ausführung des Verfahrens nach A1 diese Offenbarungslücke der A1 schließen und einen geeigneten Weg festlegen, auf dem er, wie in A1 verlangt, die Außenoberfläche sämtlicher Rotorblätter vollständig auf Beschädigungen überprüfen kann. Die objektiv zu lösende Aufgabe kann daher darin gesehen werden, das Verfahren nach A1 in die Praxis umzusetzen.

4.5 Naheliegen der Lösung

4.5.1 Im Hinblick auf die zeitaufwendige Vorkonditionierung eines gesamten Rotorblatts mittels eingeleiteter oder abgepumpter Luft (Absätze [0107] - [0112], [0132], [0133]), liegt es auf der Hand, ein Rotorblatt mit dem Verfahren der A1 komplett zu überprüfen, bevor das nächste Rotorblatt der Windkraftanlage gemäß Absatz [0115] untersucht wird. Denn längere Standzeiten sollen gemäß A1 ja ausdrücklich vermieden werden (Absatz [0020]). Entsprechend wird es in Absatz [0115] als vorteilhafte Vorgehensweise dargestellt, ein Rotorblatt nach dem anderen über einen abnehmbaren Anschlussschlauch an einen Lufterzeuger 41 anzuschließen und danach zu überprüfen, s. auch Fig. 3.

Der folgende Verfahrensschritt [I] des anschließenden Abtastens und Abfliegens der zweiten Seite des Rotorblatts in vertikaler Richtung ergibt sich demnach bereits in naheliegender Weise durch einfache technische Überlegungen unter Berücksichtigung der Zielsetzung der A1.

4.5.2 Hinsichtlich der praktischen Umsetzung mag dem Fachmann bewusst sein, dass ein vertikales Abfliegen der zweiten Rotorblattseite zwischen Rotorblatt und Turm wie in Fig. 4a der A1 gezeigt ein gewisses Risikopotenzial in sich birgt. Da nicht ausgeschlossen werden kann, dass bei starkem Wind oder Böen die Drohne mit Turm oder Rotorblatt kollidiert, wird er so nur bei entsprechend guten Wetterverhältnissen vorgehen, jedoch nicht von vorne herein eine Überprüfung der anderen Seite ausschließen. Solche Faktoren müssen wohl auch bei der Ausführung des Verfahrens nach dem Patent berücksichtigt werden. Jedenfalls geht weder aus dem Anspruchswortlaut hervor, dass das Verfahren bei jeglichen Witterungsverhältnissen durchgeführt werden kann, noch dass ein Flug zwischen Rotorblatt und Turm oder eine vertikale Stellung des Rotorblatts nach unten ausgeschlossen sein soll. Die vertikale Stellung nach oben ist ausdrücklich nur eine bevorzugte Option des abhängigen Anspruchs 2.

4.5.3 Darüber hinaus kann der Fachmann auch die A6 oder A2, die beide die optische Überprüfung von Rotorblättern mittels Luftfahrzeugen betreffen, zu Rate ziehen, um das Verfahren der A1 praktisch umzusetzen, also durch ein geeignetes Inspektionsprotokoll zu ergänzen.

In A6 wird als besonders schnelles Verfahren vorgeschlagen, ein stehendes Blatt auf seinen beiden flachen Seiten mittels eines bewegten Helikopters zu inspizieren, siehe Seite 22, rechte Spalte.

Für Windkraftanlagen mit pitch-verstellbaren Rotorblättern bietet es sich offensichtlich an, nach der Überprüfung der ersten Seite des Rotorblatts dessen zweite Seite für deren Inspektion "nach vorne" in Fig. 4a von A1 zu drehen, um die oben beschriebene Kollisionsgefahr zu vermeiden. Sollte dem Fachmann dies nicht aufgrund seiner Kenntnisse schon bewusst sein, wird es ihm in A2, Absatz [0023], Fig. 4A, 4B ausdrücklich so vorgeschlagen.

4.5.4 Wie bereits oben in Punkt 4.5.1 dargelegt, ist es nach A1 zumindest naheliegend, ein Rotorblatt komplett zu prüfen, bevor das nächste Rotorblatt komplett geprüft wird. Daraus folgt, dass nach Beendigung der Untersuchung eines ersten Rotorblatts das zweite naheliegend in die für die Konditionierung vorgesehene vertikale Stellung verfahren wird und dort auf gleiche Weise wie das erste überprüft wird. Denn zum einen wird in A1 das Prüfverfahren exemplarisch für ein Rotorblatt beschrieben, so dass für die anderen genau die gleichen Angaben und Schlussfolgerungen gelten. Zum anderen wird die für das zweite Rotorblatt erstellte Messkarte mit der gleichen Referenzkarte verglichen wie die Messkarte, die das erste Rotorblatt abbildet, so dass auch hier schon aus Gründen der Vergleichbarkeit gleich verfahren werden sollte.

In diesem Zusammenhang kann die Kammer anders als die Beschwerdeführerin auch keinen weiteren Unterschied des beanspruchten Verfahrens darin erkennen, dass in A1 alle drei gezeigten Rotorblätter nacheinander überprüft werden. Anspruch 1 ist nicht bereits deshalb auf ein "paarweises" Abtasten von nur zwei Rotorblättern beschränkt, weil er keine Angaben zur Untersuchung möglicher weiterer Rotorblätter der Windkraftanlage enthält.

4.5.5 Da somit sämtliche Verfahrensschritte des Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag also entweder aus A1 bekannt oder unter Berücksichtigung von Fachwissen durch A1 selbst und/oder durch A2 und A6 nahegelegt sind, beruht das Verfahren nach Anspruch 1 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit im Sinne von Artikel 56 EPÜ.

5. Hilfsantrag 1 - Erfinderische Tätigkeit

5.1 Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 enthält zusätzliche Verfahrensschritte, die ein zweimaliges Abtasten der zu erfassenden Bereiche auf dem Rotorblatt mit jeweils unterschiedlich zum Rotorblatt ausgerichteter Kamera definieren.

5.2 In Punkt 3 ihrer Mitteilung nach Artikel 15(1) VOBK hat die Kammer dazu wie folgt vorläufig Stellung genommen:

"Wie die Einspruchabteilung festgestellt hat, muss bei einem Fotogrammetrie-Verfahren zur Ermittlung der dreidimensionalen Rotorblattform jeder Bereich 52 aus mehreren Blickwinkeln aufgenommen werden (Seitenübergang 14, 15 der angefochtenen Entscheidung). Dies kann während eines vertikalen Abfliegens mittels einer "Fotogrammetrie-Vorrichtung" erfolgen, siehe Abätze [0136], [0137]. Um mehrere Blickwinkel zu ermöglichen, müssen entweder mehrere Kameras 51 in unterschiedlichen (Winkel-)Positionen zum Rotorblatt angeordnet sein, oder muss eine Kamera 51 für jeden der Bereiche 52 mehrere (Winkel-)Positionen nacheinander einnehmen.

Im Hinblick darauf, dass in den Absätzen [0136], [0137] wiederum alle Kameraträger gleichermaßen erwähnt werden, scheinen weitere theoretische Möglichkeiten einer Drohne nicht in A1 in Betracht gezogen zu werden, wie ein mäanderartiges oder mehrmaliges Abfliegen mit einer einzigen, bezüglich der Drohne feststehenden Kamera, wobei die Drohne selbst dann jeweils unterschiedliche Winkelpositionen gegenüber den Bereichen 52 des Rotorblatts einnimmt. Theoretische Flugbahn-Möglichkeiten dieser Art sind aber in Anspruch 1 des Hilfsantrags auch nicht verlangt, lediglich ein zweimaliges Abtasten.

Obwohl dieses mindestens zweimalige Abtasten also nicht eindeutig und implizit in A1 offenbart zu sein scheint, scheint es wiederum nur eine von den beiden oben in Punkt 4.1 dargelegten Alternativen zu sein, die durch die Auswahl einer bestimmten Fotogrammetrie-Vorrichtung bestimmt ist. Die Kammer kann derzeit nicht erkennen, welche objektive technische Aufgabe durch eine solche Auswahl in nicht naheliegender Weise gelöst werden soll.

Technische Vorteile eines zweimaligen Abtastens scheinen in Absatz [0014] des Patents allein im Rahmen eines zweimaligen vertikalen Abfliegens in einem bestimmten Aufnahmewinkelbereich einer Wärmebildkamera dargelegt zu sein, der z.B. durch leicht längs versetzte vertikale Flugbahnen erzielt werden kann. Anspruch 1 enthält jedoch keine solchen einschränkenden Nebenbedingungen. Sein Verfahren scheint deshalb für optische dreidimensionale Aufnahmen wie in A1 naheliegend."

5.3 In der mündlichen Verhandlung ist die Beschwerdeführerin nicht näher auf die Fotogrammetrie in A1 eingegangen. Ihrer Ansicht nach ist das in A1 offenbarte Verfahren eine Telemetrie. Die Kammer stellt fest, dass Telemetrie auch verschiedentlich in A1 erwähnt wird, unter anderem in den Absätzen [0031], [0137] als Alternative zur Fotogrammetrie. Ihre obigen Argumente gehen jedoch nicht von Telemetrie, sondern von der offenbarten Fotogrammetrie aus.

5.4 Die Beschwerdeführerin sieht im Wesentlichen die gleichen Unterscheidungsmerkmale in Anspruch 1 des Hilfsantrags 1, zu denen sie bereits im Rahmen des Hauptantrags Stellung genommen hat, also sämtliche Verfahrensschritte des Inspektionsprotokolls. Wie die Kammer oben in Punkt 4 dargelegt hat, sind diese entweder aus A1 bekannt oder würden ausgehend von A1 in naheliegender Weise erhalten werden.

5.5 Daher bestätigt die Kammer ihre in der Mitteilung nach Artikel 15(1) VOBK wiedergegebene vorläufige Meinung, wonach das Verfahren des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 1 ebenfalls nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit im Sinne von Artikel 56 EPÜ beruht.

6. Hilfsantrag 2 - erfinderische Tätigkeit

6.1 Anspruch 1 des erstmals mit Beschwerdebegründung eingereichten Hilfsantrags 2 fordert ein Abfliegen der Rotorblattseiten in einer vertikalen und anschließend in der entgegengesetzten vertikalen Richtung, also ebenfalls ein zweimaliges Abfliegen, aber ohne eine Abtastung durch eine Kamera in unterschiedlichen Positionen wie in Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 mit einzubeziehen.

6.2 Trotzdem ist es auch bei der in A1 offenbarten Fotogrammetrie, wenn mit einer Kamera zweimal abgeflogen wird (siehe oben zum Hilfsantrag 1), offensichtlich am schnellsten und effizientesten, nach dem ersten vertikalen Abflug mit der Kamera die zweite Aufnahme unter einem anderen Blickwinkel unmittelbar anschließend bei einem vertikalen "Rückflug" entlang des Rotorblatts in entgegengesetzter Richtung zu fertigen, anstatt zweimal auf- und wieder abzufliegen.

6.3 Auch eine zweimalige Überprüfung einer Rotorblattseite mit einer Infarotkamera ist lediglich eine redundante Messung und damit naheliegend. Die Kammer bestreitet nicht, dass durch eine zweifache Messung die Messergebnisse verifiziert werden können und somit von "höherer Qualität" sind, wie die Beschwerdeführerin vorträgt. Nichtsdestotrotz ist eine zweifache oder redundante Messung für den Fachmann eine übliche Routinemaßnahme, wenn er dies erreichen will.

Wie im Falle der Fotogrammetrie gilt, dass dabei offensichtlich am schnellsten und effizientesten ein zweimaliges Abfliegen und Abtasten in jeweils entgegengesetzter vertikaler Richtung ist.

6.4 Da aus diesen Gründen das Verfahren des Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 2 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht, kann die Frage der Zulassung dieses Hilfsantrags dahingestellt bleiben.

7. Hilfsantrag 3 - Zulassung

7.1 Die Zulassung des nach der Beschwerdebegründung eingereichten Hilfsantrags 3 unterliegt nach Artikel 13(1) VOBK dem Ermessen der Kammer.

7.2 In Punkt 6 ihrer Mitteilung nach Artikel 15(1) VOBK hat die Kammer ihre vorläufige Absicht geäußert, Hilfsantrag 3 aus folgenden Gründen nicht zum Beschwerdeverfahren zuzulassen:

"Da Hilfsantrag 3 Anlass zu einer ganzen Reihen von neuen Einwänden zu geben scheint, scheint seine Zulassung nicht im Interesse der Verfahrensökonomie zu liegen. Zudem scheint die Beschwerdeführerin keinerlei Gründe für das verspätetet Einreichen des Hilfsantrags 3 angegeben zu haben. Dass "die Energie des Windes und deren Nutzung als Energielieferant für die Stromerzeugung weder von der Einspruchabteilung noch der Einsprechenden hinreichend ins Blickfeld gerückt worden" wären, stellt jedenfalls weder einen Grund für die Zulassung des Hilfsantrags 3, noch einen Grund für die Aufrechterhaltung des Patents im allgemeinen dar.

Eine erste Unklarheit scheint in Anspruch 1 dadurch gegeben, dass das Verfahren mittels eines Luftfahrzeugs ausgeführt werden soll, die ersten hinzugefügten Verfahrensschritte sich jedoch auf "eine kollektive Blattverstellung aller Rotorblätter (2) des Drehflüglers (9)" beziehen. Eine kollektive Blattverstellung, meist durch eine Taumelscheibe, bewirkt bei einem Drehflüger ein Auf- oder Absteigen. Bei Windstille kann ein vertikales Abfliegen wie beansprucht allein durch eine solche kollektive Blattverstellung erreicht werden. Dies scheint auch in der angegebenen Passage der Offenlegungsschrift auf Seite 3, letzter Absatz so offenbart zu sein. Allerdings bezeichnet das in Anspruch 1 verwendete Bezugszeichen "2" nicht die Rotorblätter des Drehflüglers, sondern die der Windkraftanlage.

Gemäß der zweiten hinzugefügten Verfahrensschritte soll nun die(se kollektive) Blattverstellung "durch Verdrehen des Rotorblatts (9) um die Rotorblattachse (B) durchgeführt" werden, also durch Verdrehen eines Rotorblatts der Windkraftanlage, wie auf Seite 2, zweiter Absatz im letzten Satz offenbart und im folgenden Merkmal "eine Rotorblattachse (B) des abzutastenden Rotorblatts (2)" bestätigt.

Der beanspruchte Zusammenhang zwischen der Blattverstellung eines Rotorblatts des Drehflüglers und dem Anstellwinkels eines Rotorblatts der Windkraftanlage scheint weder offenbart, noch in der Realität umsetzbar zu sein. Es scheint sich hier vielmehr um eine irrtümliche Verwechslung und Vermischung von Drehflügler- und Windkraftanlagen-Rotorblättern und deren Blattverstellungen zu handeln.

Anspruch 1 scheint somit derart geändert worden zu sein, dass er prima facie gegen Artikel 83, 84, 123(2) EPÜ verstößt und offensichtlich keine Aussicht auf Gewährbarkeit zu haben scheint."

7.3 Da die Beschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung zu diesem Thema nicht weiter Stellung genommen hat, hatte die Kammer keine Veranlassung, von ihrer vorläufigen Meinung abzuweichen. Folglich hat sie Hilfsantrag 3 in Ausübung ihres Ermessen nach Artikel 13(1) VOBK nicht zum Verfahren zugelassen.

8. Ergebnis

Mit ihrer Beschwerde wendet sich die Patentinhaberin letztlich erfolglos gegen die Feststellung der Einspruchsabteilung, wonach das Verfahren gemäß Hauptantrag und Hilfsantrag 1 nicht auf erfinderischer Tätigkeit im Sinne von Artikel 56 EPÜ beruht. Dass dies für das Verfahren nach Hilfsantrag 2 ebenso gilt, und Hilfsantrag 3 gemäß Artikel 13(1) VOBK nicht zum Verfahren zugelassen wurde führt zur Zurückweisung ihrer Beschwerde gegen die entsprechende Entscheidung der Einspruchsabteilung auf Widerruf des Patents.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

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