T 0868/20 (Wasserreiche Bleicherde/Clariant) of 21.3.2023

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2023:T086820.20230321
Datum der Entscheidung: 21 März 2023
Aktenzeichen: T 0868/20
Anmeldenummer: 15706222.5
IPC-Klasse: B01J 20/12
B01J 20/22
B01J 20/30
C11B 3/10
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: TROCKEN MODIFIZIERTE, SÄUREAKTIVIERTE BLEICHERDE, VERFAHREN ZU DEREN HERSTELLUNG UND VERWENDUNG DIESER
Name des Anmelders: Clariant International Ltd
Name des Einsprechenden: Minerals Technologies Inc.
Kammer: 3.3.06
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
Rules of procedure of the Boards of Appeal 2020 Art 012(4)
Rules of procedure of the Boards of Appeal 2020 Art 012(6)
European Patent Convention Art 56
Schlagwörter: Spät eingereichter Antrag - Umstände der Beschwerdesache rechtfertigen Zulassung (ja)
Spät eingereichte Beweismittel - im erstinstanzlichen Verfahren zugelassen (nein)
Spät eingereichte Beweismittel - Umstände der Beschwerdesache rechtfertigen Zulassung (nein)
Erfinderische Tätigkeit - (ja)
Erfinderische Tätigkeit - nach Änderung
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
T 0507/16
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerden der Patentinhaberin und der Einsprechenden richten sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, das europäische Patent Nr. 3 110 543 in geänderter Form auf Basis des zweiten Hilfsantrags aufrecht zu erhalten.

Die Abteilung war unter anderem der Ansicht, der Gegenstand des erteilten Anspruchs 8 sowie von Anspruch 8 des ersten Hilfsantrags sei nicht neu gegenüber D3 (US 6762144 Bl). Der Gegenstand der Ansprüche des zweiten Hilfsantrags sei dagegen neu und erfinderisch gegenüber D4 (EP 2 099 561).

Die experimentellen Daten sowie die Dokumente

D5 (US 6 365 536), D6 (EP 0 398 636), D7 (Press Release: European Award for S&B's environmental practice at its Milos Operations), D8 (A. Shtiza et al., "Reducing the environmental footprint in the industrial mineral sector: Gase studies and industry innovation initiatives", 6**(th) Int. Conf. on Sustainable Development in the Minerals Industry, S. 527-531, 2013), D9 (EP 1 893 329), D10 (U. Sohling et al., "Natural mixture of silica and smectite as a new clayey material for industrial applications", Clay Minerals, Vol. 44, S. 525-537) und D11 (K. Emmerich et al., "Mineralogical and physicochemical characterization of a natural bleaching earth containing sepiolite suitable for fast filtration and bioseparation", Clay Minerals, Vol. 45, S. 477-488), die die Einsprechende mit Schriftsatz vom 27. September 2019 eingereicht hatte, ließ die Abteilung als verspätet und prima-facie nicht relevant nicht ins Verfahren zu.

II. Mit ihrer Beschwerdebegründung beantragte die Einsprechende, die erstinstanzlich nicht zugelassenen experimentellen Daten sowie D5-D11 zum Verfahren zuzulassen. In der Sache brachte die Einsprechende unter anderem vor, die erstinstanzlich aufrecht erhaltenen Ansprüche 1 und 7 seien nicht neu gegenüber D5. Ferner sei Anspruch 7 auch nicht neu gegenüber D3. Die erfinderische Tätigkeit wurde ausgehend von D4 diskutiert. Ferner sei die Erfindung nicht ausführbar.

III. Mit ihrer Beschwerdebegründung reichte die Patentinhaberin vier Hilfsanträge sowie einen Auszug aus Ullmanns Enzyklopädie (D12) ein, und beantragte, die erstinstanzlich nicht zugelassenen Daten und Dokumente nicht zuzulassen, weil diese nicht relevant seien und die Einspruchsabteilung ihr diesbezügliches Ermessen korrekt ausgeübt habe. Ferner sei der Gegenstand des erteilten Anspruchs 8 sowie von Anspruch 8 des erstinstanzlichen Hilfsantrags bedingt durch das andere Herstellverfahren neu gegenüber D3.

IV. Mit ihrer Beschwerdeerwiderung reichte die Patentinhaberin unter anderem einen Auszug aus Römpps Chemielexikon als Anlage A ein und brachte vor, die erteilten Ansprüche seien neu und erfinderisch.

V. Mit ihrer Beschwerdeerwiderung reichte die Einsprechende weitere experimentelle Daten ein und beantragte, den ersten und zweiten Hilfsantrag nicht zum Verfahren zuzulassen, weil sie bereits erstinstanzlich hätten eingereicht werden können. Außerdem brachte sie unter anderem gegen Hilfsantrag 2 Einwände unter Artikel 83, 54 und 56 EPÜ vor.

VI. Bei der mündlichen Verhandlung vom 21. März 2023 waren die abschließenden Anträge der Parteien wie folgt:

Die Patentinhaberin beantragte die Aufrechterhaltung des Patents im erteilten Umfang, hilfsweise in geänderter Form basierend auf einem der mit der Beschwerdebegründung eingereichten oder erneut eingereichten Hilfsanträge 1-4, wobei Hilfsantrag 3 der durch die Einspruchsabteilung aufrecht erhaltenen Fassung entspricht, weiters die Nichtberücksichtigung der erstinstanzlich nicht zugelassenen Dokumente und Daten.

Die Einsprechende beantragte den vollständigen Widerruf des Patents sowie die Zulassung der erstinstanzlich nicht zugelassenen experimentellen Daten und der Dokumente D5-D11.

VII. Die erteilten Ansprüche 1, 7 und 8 haben den folgenden Wortlaut:

"1.Verfahren zur Herstellung einer Bleicherde umfassend die Schritte

- Trocknung eines wasserreichen Rohtons auf einen

reduzierten Wassergehalt,

- Vermischen des Rohtons mit reduziertem Wassergehalt

mit 1-5 Gew.-% (bezogen auf Gewicht des Rohtons)

einer festen organischen und/oder konzentrierten

anorganischen Säure,

- Vermahlen des Gemischs aus Rohton mit reduziertem

Wassergehalt und fester organischer und/oder

konzentrierter anorganischer Säure,

dadurch gekennzeichnet, dass die Bleicherde einen Wassergehalt von 20 bis 40 Gew.-% aufweist.

7. Verfahren gemäß einem der Ansprüche 1 bis 6, dadurch gekennzeichnet, dass der wasserreiche Rohton eine Smektit-Kieselgel-Mischphase enthält."

8. Bleicherde erhältlich durch das Verfahren gemäß einem der Ansprüche 1 bis 7."

In der erstinstanzlich für gewährbar gehaltenen Fassung des damaligen zweiten Hilfsantrags wurde das Merkmal des erteilten Anspruchs 7 in Anspruch 1 aufgenommen.

Der erste Hilfsantrag basiert auf den erteilten Ansprüchen, wobei in Anspruch 8 der Ausdruck "erhältlich" durch "erhalten" ersetzt ist.

Der zweite Hilfsantrag basiert ebenfalls auf den erteilten Ansprüchen, wobei in Anspruch 8 alle Rückbezüge bis auf den auf Anspruch 7 gestrichen sind.

Entscheidungsgründe

1. Hauptantrag - erteilte Fassung

Der Gegenstand von Produktanspruch 8 ist nicht neu.

1.1 Der Anspruch ist ein "Product-by-Process", der seinen Gegenstand lediglich durch das Herstellungsverfahren definiert, nämlich in diesem Fall in seiner breitesten Form durch das Verfahren gemäß Anspruch 1. Nach gefestigter Rechtssprechung können bei der Neuheitsprüfung eines solchen Anspruchs nur Verfahrensschritte berücksichtigt werden, die im Produkt selbst erkennbar sind.

1.2 Für die Kammer bewirken die in Anspruch 1 genannten Verfahrensschritte unzweideutig, dass die Bleicherde nach Anspruch 8 einen Wassergehalt von 20-40% aufweist und mit Säure behandelt bzw. aktiviert wurde. Sonstige Einschränkungen sieht die Kammer dagegen nicht.

1.3 Was die Säuremenge in der Bleicherde angeht, so ist diese bereits im Verfahrensanspruch nicht genau definiert, denn es ist nicht klar, ob sich die Angabe "1-5 Gew.-% (bezogen auf das Gewicht des Rohtons)" auf den "wasserreichen" oder auf den Rohton "mit reduziertem Wassergehalt" bezieht, die beide im Anspruch vorerwähnt werden. Die Patentinhaberin hat demgegenüber vorgebracht, der Fachmann würde die Angabe auf den wasserfreien Rohton beziehen, aber dies geht aus dem Anspruch nicht hervor und letztendlich wird der Mangel an Klarheit durch diese zusätzliche Möglichkeit nur vergrößert. Dazu kommt noch, dass der Wassergehalt der konzentrierten Mineralsäure nicht bekannt ist und außerdem nicht notwendigerweise davon ausgegangen werden kann, dass die zugesetzte Säure komplett auf der aktivierten Bleicherde verbleibt, siehe zum Beispiel D3, Spalte 7, Zeile 34-38. Auch ein nachgeschalteter Waschschritt ist zwar laut Beschreibung nicht vorgesehen, aber von Anspruch 1 nicht ausgeschlossen. Anspruch 8 ist somit nicht auf eine Bleicherde mit einem definierten Säuregehalt beschränkt.

1.4 Die Patentinhaberin ist weiter der Ansicht, dass die im Vergleich zu D3 geänderte Reihenfolge der Verfahrensschritte in Anspruch 1 (D3: Säurebehandlung des feuchten Tons, gefolgt von einer Trocknung; Anspruch 1: Trocknung des feuchten Tons, gefolgt von einer Säurebehandlung) notwendigerweise ein Produkt mit anderen Eigenschaften hervorbringe, aber für diese Behauptung sind keine überzeugenden Belege vorgebracht worden, obwohl die Beweislast in dieser Frage bei der Patentinhaberin liegt.

Dokument D12, auf das die Patentinhaberin verwiesen hat, lehrt lediglich, dass sich die Schichtpakete von säurebehandelten Tonen zum Teil voneinander lösen, aber dies kann nicht als Nachweis dafür gelten, dass die o.g. Änderung im Verfahrensablauf im Produkt erkennbar ist.

Auch dem Streitpatent kann nicht entnommen werden, dass eine Bleicherde, die zunächst getrocknet und dann mit Säure beaufschlagt wird, sich von einer Bleicherde, die zunächst mit Säure beaufschlagt und dann getrocknet wird, unterscheidet. Im Übrigen beruht das Argument, im Verfahren nach Anspruch 1 sei gegenüber D3 die Reihenfolge der Verfahrensschritte "Säurebehandlung" und "Trocknung" vertauscht, was sich auf die Produkteigenschaften auswirken müsse, auf einer zu engen Auslegung von Anspruch 1, denn dieser umfasst auch Verfahren, bei denen die im Anspruch genannte Trocknung lediglich eine Vortrocknung ist und die Haupttrocknung, wie in D3, nach der Säurebehandlung stattfindet. Auch derartig hergestellte Bleicherden sind von Anspruch 8 umfasst und es ist nicht plausibel, geschweige denn nachgewiesen, dass sie sich von der aus D3 bekannten Bleicherde mit 20 % Wassergehalt unterscheiden.

1.5 Vor diesem Hintergrund kommt die Kammer zu dem Schluss, dass der Gegenstand von Anspruch 8 nicht neu ist, denn D3 (Spalte 7, Zeile 15) offenbart eine gemahlene Bleicherde mit einem Wassergehalt von bis zu 20 Gew.-%, die einer Säurebehandlung mit Mineralsäuren unterzogen wurde (Spalte 7, Zeile 23-28). Der Hauptantrag ist somit nicht gewährbar (Artikel 54(2) EPÜ).

2. Hilfsantrag 1

Die Änderung der Formulierung in Anspruch ändert nichts an seinem Gegenstand, so dass dieser aus den gleichen Gründen nicht gewährbar ist wie der Hauptantrag.

Die Frage der Zulassung des Antrags kann unter diesen Umständen offen bleiben.

3. Hilfsantrag 2

3.1 Zulassung

Der Antrag wurde erstmalig mit der Beschwerdebegründung eingereicht, so dass seine Zulassung im Ermessen der Kammer liegt (Artikel 12(4) VOBK 2020). Die Kammer hat ihr Ermessen dahingehend ausgeübt, den Antrag ins Verfahren zuzulassen.

3.1.1 In diesem Zusammenhang ist festzustellen, dass die Einspruchsabteilung in der mündlichen Verhandlung zu dem Schluss kam, dass der Gegenstand von Anspruch 8 wie erteilt nicht neu sei, obwohl sie in ihrer vorläufigen Meinung noch ausgeführt hatte, der Gegenstand der erteilten Ansprüche 1 und 8 sei neu. Eine solche Änderung der Meinung ist an sich nicht zu beanstanden, aber sie erklärt, warum die Patentinhaberin vor der Verhandlung keine für diese Situation angepassten Hilfsanträge vorbereiten konnte. Stattdessen wurden die bereits mit der Einspruchserwiderung eingereichten Hilfsanträge weiter verfolgt, wobei der damalige zweite Hilfsantrag (und jetzige dritte Hilfsantrag) für gewährbar gehalten wurde.

3.1.2 Mit der Einreichung des zweiten Hilfsantrags verfolgt die Patentinhaberin nun das legitime Ziel, das erteilte Patent weniger stark einzuschränken als in der für gewährbar gehaltenen Fassung, indem lediglich der Produkt- aber nicht der Verfahrensanspruch auf Rohtone mit einer Smektit-Kieselgel-Mischphase eingeschränkt wird. Mit dem neuen Antrag wird somit kein "fresh case" präsentiert, denn er ist ausschließlich auf Gegenstände gerichtet, die bereits Gegenstand des erstinstanzlichen Verfahrens waren, nämlich den erteilten Anspruch 1 und die Ansprüche 7-9 der erstinstanzlich aufrecht erhaltenen Fassung. Ferner sind die Änderungen weder komplex noch werfen sie Probleme unter Artikel 84 oder 123(2) oder (3) EPÜ auf, was ebenfalls für seine Zulassung spricht.

3.1.3 Es ist zwar korrekt, dass die Zulassung des Antrags dazu führen würde, dass erstmals im Beschwerdeverfahren die erfinderische Tätigkeit des erteilten Anspruchs 1 geprüft werden müsste, aber der dadurch bedingte Mehraufwand ist gering, so dass die Kammer nach Würdigung der Gesamtsituation ihr Ermessen dahingehend ausübt, den zweiten Hilfsantrag ins Verfahren zuzulassen.

3.2 Zulassung D5

Die Kammer hat ihr Ermessen dahingehend ausgeübt, dieses Dokument nicht zum Verfahren zuzulassen.

3.2.1 D5 wurde von der Einspruchsabteilung als verspätet und prima-facie-nicht relevant nicht zum Verfahren zugelassen. Nach Artikel 12(6) VOBK 2020 lässt die Kammer ein solches Dokument nicht zu, es sei denn, die Entscheidung über die Nichtzulassung war ermessensfehlerhaft oder Umstände der Beschwerdesache rechtfertigen eine Zulassung.

3.2.2 Im vorliegenden Fall ist ein solcher Ermessensfehler weder ersichtlich, noch wurde er von der Einsprechenden überhaupt geltend gemacht. Auch besondere Umstände sind nicht ersichtlich. Die Einsprechende hat lediglich vorgetragen, dass D5 insbesondere im Kontext des zweiten Hilfsantrags relevant sei, weil D5 eine Smektit-Kieselgel-Mischphase offenbare, aber das bedeutet nicht, dass die Einspruchsabteilung ihr Ermessen fehlerhaft, d.h. auf Basis der falschen Prinzipien oder willkürlich ausgeübt hat, sondern lediglich, dass die Einsprechende bei der Relevanzprüfung zu einem anderen Ergebnis gelangt, als die Einspruchsabteilung.

3.2.3 Dazu kommt noch, dass das Dokument ursprünglich im Zusammenhang mit einem Einwand unter Artikel 83 EPÜ verspätet ins Verfahren eingeführt wurde. Eine etwaige Relevanz des Dokuments für Artikel 54 und 56 EPÜ wird jedoch in der entsprechenden Eingabe nicht erwähnt. Erstmalig in der mündlichen Verhandlung (siehe den drittletzten Absatz von Seite 1 der Mitschrift) wurde das Dokument gegen die Neuheit der erteilten Ansprüche 8-10 zitiert, aber auch hier wurde eine besondere Relevanz wegen der Offenbarung einer Smektit-Kieselgel-Mischphase nicht erwähnt. Die Nichtberücksichtigung dieses Aspekts durch die Einspruchsabteilung kann somit keinen Ermessensfehler darstellen, denn ausweislich der Akte wurde dieser Aspekt erstinstanzlich überhaupt nicht vorgetragen.

3.2.4 Darüber hinaus sieht die Kammer keine Prima-Facie-Relevanz für D5, weil als Rohton Palygorskit verwendet wird (Anspruch 1). Smektit kann zwar zusätzlich vorhanden sein, aber dies ist optional (Anspruch 4). Darüber hinaus können Tone laut D5 eine Reihe weiterer optionalen Substanzen enthalten, unter anderem Kieselgel (amorphous silica, Spalte 4, Zeile 19), wobei der Wassergehalt der so erhaltenen Bleicherden bei zwischen 5 und 25 % liegt. Somit gibt es auch bei breiter Auslegung des Merkmals "Smektit-Kieselgel-Mischphase" (siehe hierzu Punkt 3.3.2) in D5 keine unmittelbare und eindeutige Offenbarung der Bleicherde nach Anspruch 8, d.h. einer Bleicherde, die Smektit und Kieslegel enthält und zwischen 20 und 40 Gew.-% Wasser aufweist.

3.2.5 Unter diesen Umständen übt die Kammer ihr Ermessen dahingehend aus, D5 nicht zum Verfahren zuzulassen.

3.3 Neuheit (Artikel 54(2) EPÜ)

Der Gegenstand der Ansprüche 1 und 8 ist neu gegenüber D3.

3.3.1 Anspruch 1

Der Gegenstand dieses Anspruchs ist neu gegenüber D3, weil der Schritt des Vermischens eines (vor)getrockneten Rohtons mit reduziertem Wassergehalt mit Säure in diesem Dokument nicht offenbart wird.

Vielmehr offenbart D3, dass der Rohton erst gealtert, dann mit Säure versetzt und schließlich getrocknet wird (Figur 6). Die Einsprechende hat hierzu vorgetragen, der Alterungsschritt enthalte notwendigerweise auch eine Trocknung, aber für diese Behauptung hat sie keinerlei Beweise vorgelegt.

Fakt ist, dass D3 explizit zwischen dem Alterungschritt und dem Trocknungsschritt unterscheidet. Auch sonst enthält D3 keinerlei Hinweise darauf, dass die Alterung mit einer Trocknung einhergehen würde. Vielmehr wird als Ziel der Alterung die Senkung des pH-Wertes genannt (Spalte 5, oben). Weiterhin geht aus den Angaben, die D3 zum Wassergehalt des Tons vor und nach dem Altern macht, nicht hervor, dass der Alterungsschritt den Wassergehalt des Tons reduzieren würde (Spalte 4, Zeile 58-60, Spalte 5, Zeile 1-5; Spalte 6, 63-65), insbesondere dann, wenn man sie den entsprechenden Angaben in Absatz 0020 des Streitpatents gegenüberstellt.

Darüber hinaus kann festgestellt werden, dass eine Lagerung eines Materials unter freiem Himmel (D3, Spalte 5, Zeile 1-3) nicht notwendigerweise zur Trocknung des Materials führen muss. Zumindest theoretisch kann ein gelagertes Material abhängig von der Witterung sogar Feuchtigkeit aufnehmen. Weiter kann eine Lagerung auch unter einer Abdeckung oder unter Beregnung stattfinden. In jedem Fall trägt die Einsprechende die Beweislast für ihren Neuheitseinwand, so dass sie hätte zeigen müssen, dass der in D3 offenbarte Alterungsschritt zwingend mit einer Trocknung einhergeht. Dies hat sie jedoch nicht getan.

Somit ist nicht nachgewiesen, dass D3 für den Gegenstand von Anspruch 8 neuheitsschädlich ist.

3.3.2 Anspruch 8

Der Gegenstand von Anspruch 8 wird in D3 nicht offenbart, denn dieses Dokument offenbart keine Smektit-Kieselgel-Mischphase.

Zur Auslegung dieses Merkmals stellt die Kammer fest, dass unter einer Phase nach herkömmlichen Verständnis ein Bereich eines Stoffs oder eines Materials verstanden wird, innerhalb dessen sich die chemischen oder physikalischen Eigenschaften nicht sprunghaft ändern, wie in einem Reinstoff oder einer homogenen Mischung oder einer Lösung. Die von der Patentinhaberin eingereichte Anlage A widerspricht dieser Deutung nicht. In diesem Sinn können Smektit und Kieselgel somit keine Mischphase ausbilden, denn innerhalb dieser "Phase" gäbe es eben solche sprunghaften Änderungen, z.B. der chemischen Zusammensetzung.

Die Einsprechende hat vorgebracht, aufgrund dieser Widersprüche sei der Begriff unklar und letztlich ohne Bedeutung.

Dieser Ansatz geht jedoch zu weit, denn während der Begriff "Phase" aus den oben genannten Gründen zumindest interpretationsbedürftig ist, haben die Begriffe "Smektit" und "Kieselgel" klar definierte Bedeutungen und können somit nicht einfach ignoriert werden. Aus diesem Grund interpretiert die Kammer den Begriff Smektit-Kieselgel-Phase im Sinne eines räumlichen Bereichs, der ein Gemisch umfassend zumindest Smektit- und Kieselgelbestandteile aufweist.

Selbst in dieser breiten Auslegung offenbart D3 jedoch keine "Smektit-Kieselgel-Mischphase", denn es fehlt eine Offenbarung von Kieselgel. Die Einsprechende hat auf die Passage in Spalte 4, Zeile 50, verwiesen, die offenbart, dass die Rohtone Quarz enthalten können, aber Quarz und Kieselgel sind unterschiedliche Stoffe.

Somit ist der Gegenstand von Anspruch 8 neu gegenüber D3.

3.4 Erfinderische Tätigkeit

3.4.1 Die Erfindung betrifft Bleicherden zum Bleichen von Pflanzenölen.

3.4.2 D3 ist ebenfalls auf solche Bleicherden gerichtet und es ist unbestritten, dass das Dokument als Ausgangspunkt zur Prüfung der erfinderischen Tätigkeit dienen kann.

3.4.3 Wie oben dargelegt, offenbart D3 keine Säurebehandlung eines vorgetrockneten Tons (Anspruch 1) bzw. keine Bleicherde mit einer Smektit-Kieselgel-Mischphase (Anspruch 8).

Die Einsprechende hat auch mit Hinweis auf die von ihr vorgelegten experimentellen Daten vorgebracht, diese Unterschiede bewirkten keinen technischen Effekt, aber daraus folgt nicht unmittelbar, dass der Gegenstand der Ansprüche nicht erfinderisch ist, sondern lediglich, dass ausgehend von D3 die Aufgabe als die Bereitstellung eines weiteren Verfahrens zur Herstellung von Bleicherde bzw. die Bereitstellung einer weiteren Bleicherde formuliert werden kann.

Die Beschwerdeführerin hat jedoch nicht begründen können, warum es zur Lösung dieser Aufgabe naheliegend ist, bei der Herstellung der Bleicherde den Rohton vor der Säurebehandlung einem Trocknungsschritt zu unterziehen bzw. einen Rohton einzusetzen, der eine Smektit-Kieselgel-Mischphase enthält. Bezüglich Anspruch 8 kann weiter festgestellt werden, dass die Erfindung nach D3 auf der Verwendung besonderer Tone, nämlich saurer und weniger saurer Tontypen beruht (D3: Spalte 3, Zeile 7-18; Spalte 4, Zeile 33-60; Spalte 5, Zeile 19-40). Somit ist es für den Fachmann nicht naheliegend, diese Tone zu modifizieren oder auszutauschen, denn er hätte keinen Grund zu der Annahme gehabt, dass sich solche Tone für das Verfahren nach D3 ebenfalls eignen würden.

Somit hat die Beschwerdeführerin nicht zeigen können, dass der Gegenstand der Ansprüche 1 und 8 nicht erfinderisch ist. Dieser Schluss gilt gleichermaßen für die Ansprüche 9 und 10.

3.4.4 Im schriftlichen Verfahren hat die Einsprechende auch Einwände ausgehend von D4 diskutiert. D4 kommt unbestritten ebenfalls als Ausgangspunkt zur Prüfung der erfinderischen Tätigkeit in Frage. Das Dokument offenbart jedoch keine Bleicherden mit einem Wassergehalt von 20-40 Gew.%. Geht man weiter zugunsten der Einsprechenden davon aus, dass das Merkmal keinen technischen Effekt bewirkt, kann die Aufgabe auch hier formuliert werden als die Bereitstellung eines weiteren Verfahrens zur Herstellung von Bleicherde bzw. die Bereitstellung einer weiteren Bleicherde.

Die Einsprechende hat jedoch nicht überzeugend begründen können, warum es zur Lösung dieser Aufgabe naheliegend war, den Wassergehalt der Bleicherde zu erhöhen. So hat sie in der Beschwerdebegründung vorgetragen, der bevorzugte Bereich von weniger als 10 % müsse angesichts des Wassergehaltes des Ausführungsbeispiels von 14,6 % als fehlerhaft angesehen werden. Dies ist jedoch nur eine Spekulation, aber selbst wenn das Ausführungsbeispiel den "wahren" bevorzugten Wassergehalt angeben würde, so läge auch dieser deutlich unter 20 %, und es ist nicht erkennbar, warum der Fachmann von dieser Lehre abweichen sollte.

Die Einsprechende hat weiter vorgetragen, der Fachmann würde aus den Versuchsergebnisse in Tabelle 8 von D4 erkennen, dass höhere Wassergehalte zu kürzeren Filtrierzeiten führten, was den beanspruchten Gegenstand von Anspruch 8 nahelegen würde. Dies ist jedoch nicht überzeugend, denn Tabelle 8 zeigt keine Versuchsreihe vergleichbarer Bleicherden mit unterschiedlichen Wassergehalten, sondern vergleicht völlig unterschiedliche Bleicherdetypen, die sich z.B. auch in der Partikelgröße unterscheiden. Somit würde der Fachmann der Tabelle 8 eine Korrelation von verbesserten Filtriereigenschaften mit steigendem Wassergehalt nicht entnehmen.

Die Einsprechende diskutiert weiter die Beispiele 3 und 4 des Streitpatents, aber diese Argumente scheinen für das Naheliegen eines Wassergehaltes von mehr als 20 % irrelevant zu sein.

Somit hat die Beschwerdeführerin nicht zeigen können, dass der Gegenstand der Ansprüche 1 und 8 nicht erfinderisch ist. Dieser Schluss gilt gleichermaßen für die Ansprüche 9 und 10.

3.4.5 Da die obige Argumentation zur erfinderischen Tätigkeit nicht auf einem technischen Effekt beruht, kann die Frage der Zulassung der erstinstanzlich nicht zugelassenen experimentellen Daten der Einsprechenden offen bleiben. Auch die im Beschwerdeverfahren neu eingereichten Daten müssen unter diesen Umständen nicht weiter diskutiert werden.

3.5 Ausführbarkeit (Artikel 83 EPÜ)

Die Einsprechende hat nicht überzeugend begründen können, dass der Fachmann die Erfindung nicht ausführen kann.

3.5.1 Den erstinstanzlich erhobenen Einwand bezüglich des Ausdrucks "konzentrierte anorganische Säure" hat die Einsprechende fallengelassen (Eingabe vom 15. Dezember 2020, Seite 5, zweiter Absatz).

3.5.2 Was den Ausdruck "wasserreicher Rohton" angeht, so ist dieser möglicherweise unklar, aber es ist nicht überzeugend begründet worden, dass dem Fachmann "wasserreiche Rohtone" im weitesten Sinne nicht zur Verfügung standen, um die Erfindung auszuführen. Auch das Fehlen einer Messmethode zur Ermittlung des Wassergehaltes ist höchstens ein Klarheitsproblem, aber stellt kein Ausführungshindernis dar, denn es ist nicht vorgetragen worden, dass dem Fachmann Methoden zur Bestimmung des Wassergehalts von Tonen nicht zur Verfügung gestanden hätten. Ferner gibt Absatz 0021 des Streitpatents einen konkreten Bereich für den Wassergehalt von "wasserreichen" Rohtonen an, und die Absätze 0025, 0029 und 0030 des Streitpatents verweisen auf konkrete Rohtone, die im Rahmen der Erfindung bevorzugt verwendet werden können.

3.5.3 Auch die Einwände, die die Einsprechende im Zusammenhang mit dem Merkmal "Smektit-Kieselgel-Mischphase" erhoben hat sind nicht überzeugend.

Zunächst einmal würde der Fachmann den Begriff wie unter Punkt 3.3.2 erwähnt auslegen und es ist nicht überzeugend vorgetragen worden, dass dem Fachmann solche Tone nicht zur Verfügung standen.

Darüber hinaus verweist das Streitpatent in den Absätzen 0021-0030 auf Rohtone mit einer Smektit-Kieselgel-Mischphase, die im Rahmen der Erfindung eingesetzt werden können. In diesen Passagen werden auch die Dokumente D4 und D9-D11 genannt.

Die Einsprechende hat vorgebracht, in D4 (und in D9) werde der Begriff "Smektit-Kieselgel-Mischphase" nicht verwendet, aber dies ist irrelevant für die Ausführbarkeit: Absatz 0025 des Streitpatents lehrt explizit, dass das Streitpatent die Tone aus D4 und D9 als Tone mit einer solchen Mischphase ansieht. Die Tatsache, dass in diesen Dokumenten dieser Begriff nicht verwendet wird, ändert nichts daran, dass die Tone gemäß Streitpatent im Rahmen der Erfindung bevorzugt eingesetzt werden können.

In diesem Zusammenhang hat die Einsprechende auf Entscheidung T 507/16 verwiesen, mit der D4 widerrufen wurde. Abgesehen davon, dass kein Grund ersichtlich ist, warum dieser Vortrag erst so spät im Verfahren erfolgt, ist er auch in der Sache nicht überzeugend, denn die Einsprechende hat selbst festgestellt, dass diese Entscheidung darauf beruhe, dass D4 nicht offenbare, wie die in D4 beanspruchte amorphe Struktur erhalten werden könne. Da eine solche Struktur nicht beansprucht wird, ist die Relevanz dieser Entscheidung für die Ausführbarkeit der hier beanspruchten Erfindung nicht ersichtlich.

3.5.4 Über die Zulassung von D9, D10 und D11 muss nicht entschieden werden, denn diese Dokumente scheinen die Ausführbarkeit der Erfindung eher zu stützten. Wie oben bereits zu D4 ausgeführt, ist es irrelevant, ob in den Dokumenten der Begriff Smektit-Kieselgel-Mischphase verwendet wird. Entscheidend ist vielmehr, dass laut Streitpatent die dort beschriebenen Tone eine solche Phase aufweisen und sich zur Ausführung der Erfindung eignen.

3.6 D6 und D7

Diese Dokumente sind lediglich für den Aspekt "sonnengetrocknet" relevant, siehe die Beschwerdebegründung der Einsprechenden, Seite 2, drittletzter Absatz. Da der zweite Hilfsantrag dieses Merkmal nicht enthält, muss über die Zulassung dieser Dokumente nicht entschieden werden.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Sache wird an die Vorinstanz mit der Maßgabe

zurückverwiesen, das Patent in folgender Fassung

aufrechtzuerhalten:

- Ansprüche 1-10 des mit der Beschwerdebegründung

eingereichten Hilfsantrages 2

- sowie einer noch anzupassenden Beschreibung.

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