T 0830/20 () of 10.2.2022

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2022:T083020.20220210
Datum der Entscheidung: 10 Februar 2022
Aktenzeichen: T 0830/20
Anmeldenummer: 13709825.7
IPC-Klasse: B65G 47/08
B65G 47/84
B65B 35/40
B65G 57/24
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: VERFAHREN UND VORRICHTUNG ZUR HORIZONTALEN ÜBERGABE VON ARTIKELLAGEN ZWISCHEN BENACHBARTEN MODULEN
Name des Anmelders: Krones AG
Name des Einsprechenden: meurer Verpackungssysteme GmbH
Kammer: 3.2.07
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 100(b)
European Patent Convention Art 111(1)
European Patent Convention Art 113
European Patent Convention Art 114(1)
European Patent Convention Art 116
Rules of procedure of the Boards of Appeal 2020 Art 012(8)
Schlagwörter: Entscheidung im schriftlichen Verfahren ohne mündliche Verhandlung - (ja)
Einspruchsgründe - neuer Einspruchsgrund durch die Einspruchsabteilung eingeführt
Einspruchsgründe - Ermessen der Einspruchsabteilung nicht unangemessen ausgeübt
Einspruchsgründe - mangelhafte Offenbarung (nein)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
T 0433/93
T 1340/15
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Patentinhaberin legte form - und fristgerecht Beschwerde gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung ein, mit welcher das Europäische Patent Nr. 2 825 488 widerrufen wurde.

II. Der Einspruch richtete sich gegen das Patent im gesamten Umfang und stützte sich auf die Einspruchsgründe aus Artikel 100 a) und 100 c) EPÜ.

III. Mit Schriftsatz datiert auf den 5. November 2019 wurde von der Einsprechenden zudem erstmals der Einspruchsgrund aus Artikel 100 b) EPÜ vorgebracht.

IV. In der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung am 14. Januar 2020 ließ die Einspruchsabteilung den Einspruchsgrund nach Artikel 100 b) EPÜ ins Verfahren zu und widerrief das Patent.

V. Gegen diese Feststellung wandte sich die Patentinhaberin mit ihrer Beschwerde.

VI. Die Einsprechende nahm ihren Einspruch am 19. März 2021 zurück.

VII. Die Patentinhaberin beantragte,

die angefochtene Entscheidung aufzuheben und

das Patent in erteilter Fassung aufrechtzuerhalten,

und hilfsweise,

bei Aufhebung der angefochtenen Entscheidung, die Aufrechterhaltung des Patents gemäß einem der mit der Beschwerdebegründung vorgelegten Hilfsanträge 1 bis 3.

VIII. Der unabhängige Anspruch 1 des Patents in erteilter Fassung lautet:

"Transfereinheit (34) zur horizontalen Verschiebung einer Artikelgruppe oder Artikellage (10) zwischen wenigstens zwei benachbarten Modulen (12, 14, 30) unter weitgehender Beibehaltung der Relativpositionen einer die Artikelgruppe oder -lage (10) bildenden Mehrzahl von Artikeln (16) relativ zueinander, umfassend eine mit der Transfereinheit (34) verbundene horizontale Auflagefläche (24) für die Artikellage (10), wenigstens einen in Förder- oder Überschubrichtung (20) rückseitig an den Artikeln (16) angreifenden ersten Balken (46) oder Schubbalken (46) zum horizontalen Verschieben der Artikellage (10) auf ein benachbartes Modul (14, 30) in eine Ruhelage sowie wenigstens einen frontseitig an der Artikellage (10) angreifenden zweiten Balken (40) oder Anlagebalken (40), der in seiner Bewegung in Überschubrichtung (20) zumindest temporär mit dem Schubbalken (46) oder ersten Balken (46) gekoppelt ist und der Artikelgruppe oder -lage (10) zumindest kurz vor oder bei Erreichen der Ruhelage mit geringem Abstand zu den vordersten Artikeln (16) vorauseilt oder an diesen anliegt, wobei ein erster horizontaler Bewegungsabschnitt des ersten Balkens (46) oder Schubbalkens (46) zur Herstellung der horizontalen Schubbewegung in Höhe der auf der Auflagefläche (24) bewegten Artikellage (10) länger ist als ein zweiter horizontaler Bewegungsabschnitt des zweiten Balkens (40) oder Anlagebalkens (40) zur Herstellung der horizontalen Anlagebewegung für die Artikellage (10)."

IX. Der unabhängige Anspruch 9 des Patents in erteilter Fassung lautet:

"Verfahren zur horizontalen Verschiebung einer Artikelgruppe oder Artikellage (10) in eine oder aus einer Transfereinheit (34) gemäß einem der Ansprüche 1 bis 8 unter weitgehender Beibehaltung der Relativpositionen einer die Artikelgruppe oder -lage (10) bildenden Mehrzahl von Artikeln (16) relativ zueinander mittels wenigstens eines an den, in Bezug auf die Förder- bzw. Vorschubbewegung (20) rückseits der Artikelgruppe oder Artikellage (10) befindlichen Artikeln (16) angreifenden ersten Balkens (46) oder Schubbalkens in eine zweite Ruhelage, wobei ein zumindest temporär den in Förderrichtung (20) frontseitig befindlichen Artikeln (16) zugeordneter zweiter Balken (40) oder Anlagebalken der Artikelgruppe oder -lage (10) zumindest kurz vor oder bei Erreichen der Ruhelage mit geringem Abstand zu den vordersten Artikeln (16) vorauseilt oder an diesen anliegt, wobei der erste Balken (46) und der zweite Balken (40) in ihren Bewegungen jeweils unabhängig voneinander gesteuert werden."

X. Angesichts der getroffenen Entscheidung ist eine Widergabe der Hilfsanträge nicht erforderlich.

XI. Das entscheidungserhebliche Vorbringen der Patentinhaberin wird im Detail in den Entscheidungsgründen diskutiert.

Entscheidungsgründe

1. Entscheidung im schriftlichen Verfahren

1.1 Die vorliegende Entscheidung ergeht im schriftlichen Verfahren ohne mündliche Verhandlung gemäß Artikel 12 (8) VOBK 2020 unter Wahrung der Verfahrensrechte der Patentinhaberin nach Artikel 113 und 116 EPÜ.

1.2 Der Grundsatz des rechtlichen Gehörs nach Artikel 113 (1) EPÜ ist uneingeschränkt beachtet, da die Patentinhaberin umfangreich zur Sache vorgetragen und die Kammer diesen Vortrag ihrer Entscheidung zugrunde gelegt hat. Die ehemalige Einsprechende nahm ihren Einspruch zurück und schied damit als Verfahrensbeteiligte aus; sie hatte sich nicht inhaltlich zur Beschwerdesache geäußert.

1.3 Da die Kammer der Beschwerde stattgibt, entfaltet der Antrag auf mündliche Verhandlung keine prozessuale Wirkung (Artikel 116 (1) EPÜ).

1.4 Die Beschwerdesache ist vielmehr auf der Grundlage der zu überprüfenden angefochtenen Entscheidung und des schriftsätzlichen Vorbringens der Patentinhaberin unter Wahrung deren Rechts gemäß Artikel 113 und 116 EPÜ entscheidungsreif (Artikel 15 (3) VOBK 2020).

2. Neuer Einspruchsgrund nach Artikel 100 b) EPÜ

2.1 Die Patentinhaberin rügte auf Seite 2, Absatz 3, bis Seite 4, Absatz 2, die Ermessensentscheidung der Einspruchsabteilung, den Einspruchsgrund nach Artikel 100 b) EPÜ in das Einspruchsverfahren zuzulassen.

2.2 Dazu trug die Patentinhaberin vor, dass die Einspruchsabteilung in Punkt II.2.1.3 der angefochtenen Entscheidung ihr Ermessen bei der Zulassung ins Verfahren des Einspruchsgrunds nach Artikel 100 b) EPÜ fehlerhaft ausgeübt habe, weil die Einspruchsabteilung die Patentinhaberin erstmals in der mündlichen Verhandlung mit dem neuen Einspruchsgrund konfrontiert habe. Dem entgegen formuliere aber die Entscheidung T 433/93 die Erfordernisse, dass eine Einspruchsabteilung, die beabsichtige, einen neuen Einspruchsgrund einzuführen, dies zur Vermeidung von Missverständnissen in aller Regel schriftlich und zu einem möglichst frühen Zeitpunkt tun solle.

2.3 Angesichts des vorliegenden Sachverhalts des vorliegenden Falls kann die Kammer diesem Argument nicht folgen.

2.4 Der Einspruchsgrund nach Artikel 100 b) EPÜ wurde nicht von der Einspruchsabteilung, sondern erstmals von der Einsprechenden mit Schriftsatz datiert auf den 5. November 2019 im Verfahren vorgebracht, also etwa zwei Monate vor der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung. Dazu legte die Einsprechende Argumente vor, weshalb dieser Einspruchsgrund in Betracht gezogen werden sollte (vgl. Schriftsatz der Einsprechenden, datiert auf den 5. November 2019, Seite 4, Absätze 1 bis 3).

2.5 Die Patentinhaberin hatte auf dieses Vorbringen der Einsprechenden nicht reagiert, so dass die Einspruchsabteilung aus Sicht der Kammer gehalten war, in der mündlichen Verhandlung die Frage der Zulassung des Einspruchsgrunds zur Diskussion zu stellen und dazu zu entscheiden.

2.6 Der Patentinhaberin wurde ausweislich der Niederschrift der mündlichen Verhandlung auf Seite 1, Absätze 2 bis 4, auch hinreichend Gelegenheit gegeben, sich zu den möglichen Erwägungsgründen dieser der Einspruchsabteilung aus Artikel 114 (1) EPÜ zustehenden Ermessensentscheidung über die Zulassung eines neuen Einspruchsgrundes zu äußern. Die Einspruchsabteilung teilte den Beteiligten anschließend ihre Entscheidung über die Zulassung ausdrücklich mit und hielt diese in der Niederschrift fest, so dass sie aktenkundig wurde (vgl. Niederschrift der mündlichen Verhandlung , Seite 1, letzter vollständiger Absatz).

2.7 Die Patentinhaberin hatte ausreichend Gelegenheit, sich auf den neuen Einspruchsgrund vorzubereiten und sich dazu gegenüber der Einspruchsabteilung ausführlich zu äußern.

2.8 Die Kammer kann sich ebenfalls nicht dem Argument der Patentinhaberin anschließen, dass die Einspruchsabteilung das ihr zustehende Ermessen fehlerhaft ausgeübt habe (vgl. Beschwerdebegründung, Seite 3, Absätze 1 bis 3).

2.9 Entgegen der Auffassung der Patentinhaberin kann in dem Umstand, dass die Einspruchsabteilung im Rahmen zweier von der Einsprechenden geltend gemachten offenkundigen Vorbenutzungen Zeugen geladen hat, kein Indiz dafür gesehen werden, dass ein - im übrigen von dem Vortrag einer offenkundigen Vorbenutzung sachlich unabhängiger - neuer Einspruchsgrund nicht prima facie relevant wäre. Die Ladung der Zeugen war vielmehr bereits deshalb geboten, weil die Einspruchsabteilung vor der mündlichen Verhandlung weder eine Entscheidung zu Zulassung noch zum Erfolg des neuen Einspruchsgrunds getroffen hat oder treffen konnte, anderseits aber dazu aufgefordert war, das Verfahren mit der mündlichen Verfahren zum Abschluss zu führen (vgl. Richtlinien für die Prüfung im EPA, November 2019, Punkt E.III.8.11.1).

2.10 Soweit die Patentinhaberin weiter vorträgt, dass der Einspruchsgrund nicht ausreichend substantiiert gewesen sei (vgl. Beschwerdebegründung, Seite 3, Absatz 3), betrifft dieser Einwand aus Sicht der Kammer im Ergebnis die Frage, ob die Einspruchsabteilung fehlerhaft zu der Feststellung gelangte, dass der Einspruchsgrund prima facie relevant sei.

2.11 Die Einspruchsabteilung begründete in Punkt 2.1.3 der angefochtenen Entscheidung die Feststellung, dass der Einspruchsgrund nach Artikel 100 b) EPÜ als prima facie relevant anzusehen ist, damit, dass der Gegenstand der in den Ansprüchen 1 und 9 definiert ist, nicht durch die Beschreibung gestützt zu sein scheint und es auch nicht unmittelbar aus der Beschreibung entnehmbar zu sein scheint, wie dieser Gegenstand ausgeführt werden könne.

2.12 Die Patentinhaberin tritt dieser Feststellung entgegen, weil nach ihrer Auffassung die Begründung der Einspruchsabteilung die Erfordernisse des Artikels 84 EPÜ und nicht die des Artikels 100 b) EPÜ betreffe.

2.13 Die Überprüfung der Ermessensentscheidung der Einspruchsabteilung durch die Kammer ist jedoch im Wesentlichen darauf beschränkt sicherzustellen, dass die Einspruchsabteilung ihr Ermessen nicht in unangemessener Weise ausgeübt hat (vgl. Rechtsprechung der Beschwerdekammer (RdB), 9. Auflage 2019, Kapitel V.A.3.5.5, insbesondere mit Bezug auf die T 1340/15). Der Umstand, dass die Beschreibung des Patents nicht hinreichend darlegt, wie der Gegenstand der Ansprüche 1 und 9 des Patents auszuführen wäre, ist für sich genommen, ohne jedoch auf die Begründetheit des Einspruchsgrunds einzugehen, kein unangemessener Grund, den Einspruchsgrund nach Artikel 100 b) EPÜ ins Verfahren zuzulassen.

2.14 Es ergeben sich aus Sicht der Kammer auch keine weiteren Anhaltspunkte dafür, dass die Einspruchsabteilung ihr Ermessen nach falschen Grundsätzen, ohne Berücksichtigung richtiger Grundsätze oder in unangemessener Weise ausgeübt hätte, so dass aus keine Grundlage dafür erkennbar ist, die Ermessensentscheidung der Einspruchsabteilung aufzuheben und den Einspruchsgrund nach Artikel 100 b) EPÜ außer Acht zu lassen.

3. Offenbarung der Erfindung (Einspruchsgrund nach Artikel 100 b) und 83 EPÜ)

3.1 Die Einspruchsabteilung stellte hinsichtlich der Offenbarung der Erfindung fest, dass keines der in der Beschreibung offenbarten Ausführungsbeispiele zeige, wie die in den Ansprüchen 1 und 9 angegebene Erfindung auszuführen sei, weil nicht klar sei, wie die Artikellage mittels dem (Schub-)Balken in eine Ruhelage auf ein benachbartes Modul verschoben werden könne und dabei gleichzeitig der (Anlage-)Balken zumindest kurz oder bei Erreichen der Ruhelage mit geringem Abstand zu den vordersten Artikeln vorauseile oder an diesen anliege. Dies begründet sie insbesondere mit Bezug auf die Ausführungsform der Figuren 5 bis 7 des Patents damit, dass der Schubbalken nicht Teil der Transfereinheit sondern dem ersten Modul zugeordnet sei (vgl. Punkt 2.2.1 der Entscheidungsgründe)

3.2 Die Kammer teilt jedoch die Auffassung der Patentinhaberin, dass der Anspruch 1 der erteilten Fassung keine spezielle Zuordnung des Anlagebalkens zu einem der Module oder der Transfereinheit fordert, sondern dass der Anlagenbalken im Anspruchswortlaut vielmehr durch seine Funktion und auch durch sein Zusammenwirken mit dem Schubbalken definiert ist (vgl. Beschwerdebegründung, Seiten 9 und 10, übergreifender Absatz). Dies gilt gleichermaßen auch für Anspruch 9 der erteilten Fassung.

3.3 Eine mögliche Ausführungsform der Erfindung gemäß diesem Verständnis der Ansprüche 1 und 9 ist - auch von der Einspruchsabteilung unwidersprochen - in der Beschreibung der ursprünglich eingereichten Unterlagen mit Bezug auf die Figuren 2 und 3 beschrieben.

3.4 Die Kammer kann daher nicht erkennen, dass die Anspruchsmerkmale, wonach die Artikellage mittels dem (Schub-)Balken in eine Ruhelage auf ein benachbartes Modul verschoben werden könne und dabei gleichzeitig der (Anlage-)Balken zumindest kurz oder bei Erreichen der Ruhelage mit geringem Abstand zu den vordersten Artikeln vorauseilt oder an diesen anliegt, der Ausführbarkeit der Erfindung entgegenstünden, sondern erachtet die Erfindung im Streitpatent als so deutlich und vollständig offenbart, dass ein Fachmann sie ausführen kann.

3.5 Somit steht Artikel 100 b) EPÜ der Aufrechterhaltung des Patents in der erteilten Fassung nicht entgegen und die angefochtene Entscheidung, die sich allein auf diesen Einspruchsgrund stützt, ist aufzuheben.

4. Einspruchsgründe nach Artikel 100 a) und Artikel 100 c) EPÜ

4.1 Da die Einspruchsabteilung zu der Entscheidung gekommen war, dass Patent wegen Artikel 100 b) EPÜ zu widerrufen, hatte sie keinen rechtlich zwingenden Anlass, auch über die weiteren von der Einsprechenden mit dem Einspruch vorgebrachten Einspruchsgründe nach Artikel 100 a) und 100 c) EPÜ zu entscheiden. Die angefochtenen Entscheidung enthält hierzu daher zu Recht keine Feststellungen.

4.2 Die Patentinhaberin begehrt mit ihrem Antrag eine Aufrechterhaltung des Patents in erteilter Fassung und damit eine abschließende Entscheidung zum Einspruch durch die Beschwerdekammer.

4.3 Um dieser Situation Rechnung zu tragen und angesichts des Ausscheidens der einzigen Einsprechenden aus dem Verfahren, beabsichtigt die Kammer, im Rahmen der Zuständigkeit der Einspruchsabteilung gemäß Artikel 111 (1) EPÜ selbst tätig zu werden.

4.4 Gemäß der ständigen Rechtsprechung der Beschwerdekammern (siehe RdB, supra, V.A.3.4.1) kann eine Kammer nach Rücknahme des Einspruchs betreffend der Beschwerde der Patentinhaberin im Rahmen ihrer Amtsermittlung tätig werden. Die Amtsermittlung ist dabei jedoch allein auf den Vortrag des Einsprechenden zu beschränken, sowie auf die Frage, ob sich aus diesem Vortrag bereits prima facie ein Widerrufsgrund ergibt.

4.5 Die Einspruchsgründe nach Artikel 100 a) und Artikel 100 c) EPÜ wurden mit Erhebung des Einspruchs substantiiert vorgetragen und im Verlaufe des Einspruchsverfahrens diskutiert.

4.6 Mit ihrer Ladung zur mündlichen Verhandlung, datiert auf den 30. April 2019, gelangte die Einspruchsabteilung zu der vorläufigen Auffassung, dass sämtliche im Rahmen des Einspruchsgrunds nach Artikel 100 a) EPÜ vorgebrachten Einwände voraussichtlich nicht erfolgreich seien oder die Erhebung eines von der nunmehr nicht mehr am Verfahren beteiligten Einsprechenden angebotenen Zeugenbeweises erforderlich machten. Vor diesem Hintergrund bewertet die Beschwerdekammer den Einspruchsgrund nach Artikel 100 a) EPÜ für nicht prima facie relevant und verfolgt ihn daher im Rahmen ihrer Amtsermittlung auch nicht weiter.

4.7 Mit ihrer Ladung zur mündlichen Verhandlung, datiert auf den 30. April 2019, war die Einspruchsabteilung vorläufig zu der Auffassung gelangt, dass zumindest der Einspruchsgrund nach Artikel 100 c) EPÜ begründet erscheint, weil die Merkmale "in eine Ruhelage" und "der Artikelgruppe oder -lage zumindest kurz vor dem Erreichen der Ruhelage mit geringem Abstand zu den vordersten Artikeln vorauseilt oder an diesen anliegt" nicht so, sondern nur in Zusammenhang mit anderen Merkmalen aus den ursprünglichen Unterlagen hervorgeht (vgl. Ladung der Einspruchsabteilung vom 30. April 2019, Ziffer 4.3).

4.8 Die Patentinhaberin begegnete dieser vorläufigen Auffassung der Einspruchsabteilung in Punkt II.1.1 ihres Schriftsatzes vom 31. Oktober 2019 argumentativ. Der Kammer erscheint es zumindest schlüssig, dass es, wie die Patentinhaberin vortrug, unerheblich sei, ob die Ruhelage als "zweite Ruhelage" zu bezeichnen sei, da im Anspruch klar formuliert sei, dass es sich um die Ruhelage auf dem benachbarten Modul handele. Bereits deswegen handele es sich bei dem genannten Merkmal nicht um eine unzulässige Zwischenverallgemeinerung.

4.9 Auch das Argument der Patentinhaberin aus dem gleichen Schriftsatz, dass das Merkmal "der Artikelgruppe oder -lage zumindest kurz vor dem Erreichen der Ruhelage mit geringem Abstand zu den vordersten Artikeln vorauseilt oder an diesen anliegt" nicht in einem engen funktionalen Zusammenhang mit dem Merkmal "wobei der erste Balken 46 und der zweite Balken 40 in ihren Bewegungen jeweils unabhängig voneinander gesteuert werden", erscheint zumindest schlüssig.

4.10 Vor diesem Hintergrund gelangt die Kammer zu der Überzeugung, dass auch der Einspruchsgrund nach Artikel 100 c) EPÜ nicht prima facie relevant und daher von der Beschwerdekammer im Rahmen ihrer Amtsermittlung nicht weiterzuverfolgen ist.

5. Es sind daher keine Einspruchsgründe nach Artikel 100 EPÜ erkennbar, die der Aufrechterhaltung des Patents in erteilter Fassung entgegenstehen.

6. Es erübrigt sich somit eine Prüfung der Hilfsanträge.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Das Patent wird in unveränderter Form aufrechterhalten.

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