T 0765/20 () of 30.11.2022

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2022:T076520.20221130
Datum der Entscheidung: 30 November 2022
Aktenzeichen: T 0765/20
Anmeldenummer: 14761559.5
IPC-Klasse: B65B 69/00
B65B 39/00
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: VORRICHTUNG ZUM UMFÜLLEN VON PROZESSMATERIAL ZWISCHEN EINEM ERSTEN UND EINEM ZWEITEN BEHÄLTNIS UND VERFAHREN DAZU
Name des Anmelders: Rubitec AG
Name des Einsprechenden: Hecht Technologie GmbH
Kammer: 3.2.07
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 54
European Patent Convention Art 56
European Patent Convention Art 83
European Patent Convention Art 84
European Patent Convention Art 100(a)
European Patent Convention Art 100(b)
European Patent Convention Art 100(c)
European Patent Convention Art 104(1)
European Patent Convention Art 106
European Patent Convention Art 112(1)(a)
European Patent Convention Art 123(2)
Rules of procedure of the Boards of Appeal 2020 Art 012(1)(a)
Rules of procedure of the Boards of Appeal 2020 Art 012(2)
Rules of procedure of the Boards of Appeal 2020 Art 012(4)
Rules of procedure of the Boards of Appeal 2020 Art 012(6) (2020) Sent 2
Rules of procedure of the Boards of Appeal 2020 Art 015(1)
Schlagwörter: Patentansprüche - Deutlichkeit (ja)
Ausreichende Offenbarung - (ja)
Änderungen - zulässig (ja)
Spät eingereichte Tatsachen - zugelassen (nein)
Spät eingereichter Einwand - zugelassen (nein)
Neuheit - (ja)
Erfinderische Tätigkeit - (ja)
Kostenverteilung - (nein)
Vorlage an die Große Beschwerdekammer - (nein)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
G 0003/14
T 0515/00
T 0519/07
T 2501/11
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Einsprechende (Beschwerdeführerin) legte form- und fristgerecht Beschwerde gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung ein, mit welcher festgestellt wurde, dass unter Berücksichtung der von der Patentinhaberin im Einspruchsverfahren vorgenommenen Änderungen das europäische Patent Nr. 3 041 749 und die Erfindung, die es zum Gegenstand hat, den Erfordernissen des Übereinkommens genügen.

II. Der Einspruch richtete sich gegen das erteilte Patent im gesamten Umfang und stützte sich auf sämtliche Einspruchsgründe nach Artikel 100 EPÜ.

III. In einer Mitteilung nach Artikel 15 (1) VOBK vom 8. März 2022 teilte die Kammer den Parteien ihre vorläufige Beurteilung der Sach- und Rechtslage mit, wonach voraussichtlich die Beschwerde zurückzuweisen dürfte.

IV. Die Beschwerdeführerin reagierte auf diese Mitteilung mit Schriftsatz vom 13. Oktober 2022.

V. Am 30. November 2022 fand die mündliche Verhandlung vor der Kammer statt. Zu den Einzelheiten des Verlaufs wird auf das Protokoll verwiesen.

VI. Die Beschwerdeführerin beantragte zuletzt:

die Aufhebung der angefochtene Entscheidung und

den vollständigen Widerruf des Patents, sowie

der Patentinhaberin die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen, sowie

die Vorlage von Rechtsfragen an die Große Beschwerdekammer, die Teil des Protokolls über die mündliche Verhandlung ist.

VII. Die Patentinhaberin (Beschwerdegegnerin) beantragte zuletzt

die Zurückweisung der Beschwerde,

d.h. die Aufrechterhaltung des Patents in der von der Einspruchsabteilung als den Erfordernissen des EPÜ genügend erachteten, geänderten Fassung,

und die Zurückweisung des Antrags auf Kostenverteilung

sowie die Zurückweisung des Antrags auf Vorlage an die Große Beschwerdekammer.

VIII. Der unabhängige Anspruch 1 gemäß aufrechterhaltener Fassung lautet:

"Vorrichtung zum Umfüllen von Prozessmaterial zwischen einem ersten Behältnis (A) und einem zweiten Behältnis (B), mit:

a) zumindest einer Spanneinheit (11,21,31), die einen ersten Spanner (111,211,311) und einen zweiten Spanner (112,212,312) aufweist, die voneinander unabhängig betätigbar sind; wobei:

b) die zumindest eine Spanneinheit (11,21,31) dazu bestimmt ist, temporär abgedichtet zu fixieren:

ba) allein einen der betreffenden Spanneinheit (11,21,31) zugewandten Endabschnitt eines schlauchförmigen Linerstücks (8,9), das sich indirekt zwischen den Behältnissen (A,B) erstreckt, um den Übergang zwischen den Behältnissen (A,B) nach aussen abzudichten;

bb) allein einen der betreffenden Spanneinheit (11,21,31) zugewandten Endabschnitt eines von einem vorherigen Umfüllvorgang stammenden schlauchförmigen Linerrests (8',8",9'), der am anderen Ende mit einer ersten Abcrimpung (81',82",91') verschlossen ist; und

bc) den einen Endabschnitt des Linerstücks (8,9) zugleich mit dem einen Endabschnitt des von einem vorherigen Umfüllvorgang stammenden Linerrests (8',8",9'); und

c) beide Spanner (111,112;211,212;311,312) der jeweiligen Spanneinheit (11.21.31) dazu bestimmt sind, temporär gemeinsam den zugewandten Endabschnitt des Linerstücks (8,9) oder gemeinsam den zugewandten Endabschnitt des von einem vorherigen Umfüllvorgang stammenden Linerrests (8',8",9') abgedichtet zu fixieren;

d) beide Spanner (111,112;211,212;311,312) der jeweiligen Spanneinheit (11.21.31) zirkulär und in Relation zur Längserstreckung des Linerstücks (8,9) zueinander konzentrisch angeordnet sind;

e) die Funktion zumindest eines der beiden Spanner (111,112;211,212;311,312) der jeweiligen Spanneinheit (11,21,31) auf Eigenelastizität oder einer Ansteuerung von aussen basiert,

dadurch gekennzeichnet, dass

f) der erste Spanner (111,211,311) der jeweiligen Spanneinheit (11,21,31) als mit Mediendruck zu beaufschlagende, aktivierbare Blähdichtung ausgebildet ist oder eigenelastische Klemmbacken aufweist; und

g) der zweite Spanner (112,212,312) der jeweiligen Spanneinheit (11,21,31) als eine in geschlossenem Zustand verengte und im offenen Zustand

aufgeweitete Klammer beschaffen ist, die einen manuell betätigbaren Verschluss hat."

IX. Der unabhängige Anspruch 11 gemäß aufrechterhaltener Fassung lautet:

"Verfahren zum Umfüllen von Prozessmaterial zwischen einem ersten Behältnis (A) und einem zweiten Behältnis (B) mit:

a) zumindest einer Spanneinheit (11,21,31), die einen ersten Spanner (111,211,311) und einen zweiten Spanner (112,212,312) aufweist, die voneinander unabhängig betätigbar sind; wobei:

b) die zumindest eine Spanneinheit (11,21,31) dazu bestimmt ist, temporär abgedichtet zu fixieren:

ba) allein einen der betreffenden Spanneinheit (11,21,31) zugewandten Endabschnitt eines schlauchförmigen Linerstücks (8,9), das sich indirekt zwischen den Behältnissen (A,B) erstreckt, um den Übergang zwischen den Behältnissen (A,B) nach aussen abzudichten;

bb) allein einen der betreffenden Spanneinheit (11,21,31) zugewandten Endabschnitt eines von einem vorherigen Umfüllvorgang stammenden schlauchförmigen Linerrests (8',8",9'), der am anderen Ende mit einer ersten Abcrimpung (81',82",91') verschlossen ist; und

bc) den einen Endabschnitt des Linerstücks (8,9) zugleich mit dem einen Endabschnitt des von einem vorherigen Umfüllvorgang stammenden Linerrests (8',8",9'); wobei

c) beide Spanner (111,112;211,212;311,312) der jeweiligen Spanneinheit (11,21,31) dazu bestimmt sind, temporär gemeinsam den zugewandten Endabschnitt des Linerstücks (8,9) oder gemeinsam den zugewandten Endabschnitt des von einem vorherigen Umfüllvorgang stammenden Linerrests (8',8",9') abgedichtet zu fixieren,

dadurch gekennzeichnet, dass

d) das Verfahren die Schrittfolge umfasst:

da) abgedichtetes Fixieren des offenen Endes des Linerstücks (8,9), welches der zugeordneten Spanneinheit (11,21,31) zugewandt ist, in deren zweitem Spanner (112,212,312), welcher mit dem ersten Spanner der jeweiligen Spanneinheit zirkulär und in Relation zur Längserstreckung des Linerstücks zueinander konzentrisch angeordnet ist;

db) Ausschleusen des Linerrests (8',8",9');

dc) in schleifenförmigem Verlauf, eingefalztes Hineindrücken und abgedichtetes Fixieren eines Endabschnitts, welcher vom im zweiten Spanner (112,212,312) gehaltenen offenen Ende des Linerstücks (8,9) rückversetzt ist, in den ersten Spanner (111,211,311);

dd) Umfüllung des Prozessmaterials zwischen den beiden Behältnissen (A,B); und

de) Anbringen von Abcrimpungen (81,82;91,92) am Linerstück (8,9) und Abteilen eines neuen Linerrests (8',9'), der fixiert in der zumindest einen Spanneinheit (11,21,31) für den nächsten Umfüllvorgang verbleibt."

X. In dieser Entscheidung sind die folgenden, im Zusammenhang mit der geltend gemachten offenkundigen Vorbenutzung E1 genannten Dokumente erwähnt:

E1.1: prozesstechnik online, "Big Bags staubarm an- und abdocken"; Fundstelle:[http://

prozesstechnik.industrie.de/chemie/anlagen-

chemie/big-bagsstaubarm-an-und-abdocken/]

E1.2: prozesstechnik online, "Big Bags staubarm an-

und abdocken" Fundstelle:[http://

prozesstechnik.industrie.de/chemie/big-bags

staubarm-an-undabdocken-2/ ]

E1.3: prozesstechnik online, "Teilautomatisierung

sorgt für einige Vorteile" 14.11.2016

E1.4: Rubitec AG, "Screenshots Internetseite

www.rubitec.ch/home vom 4. Juli 2014"

E1.5: Rubitec AG, "Containment System to fill and

empty BigBags or drums with plastic liner.

(Patent pending)"

E1.6: Rubitec AG, "Containment System to fill and

empty BigBags or drums with plastic liner.

(Patent pending)"

E1.6a: Email von Herrn Günther Hecht vom

6. März 2014 an den verfahrensführenden

Patentanwalt Christoph Kilian

E1.6b: Screenshot der Email gemäß E1.6a mit

geöffneten Anhang,

E1.6c: Werbevideo: "Smartdock 600 Instruktionen

_befüllen.wmv".

sowie die folgenden Dokumente:

P0: CH 708 545 A1; Veröffentlichung der

Prioritätsanmeldung zum Streitpatent;

E2: WO 2001 134 102 A1;

E3: US 4 344 468;

E6: JP 2012 207 698 A;

E7: EP 1 958 900 A2;

E8: DE 10 2013 006 224 A1;

E8': DE 20 2012 003 611 U1;

Zeichnung, vorgelegt in der mündlichen Verhandlung.

XI. Das entscheidungserhebliche Vorbringen der Parteien wird im Detail in den Entscheidungsgründen diskutiert.

Entscheidungsgründe

1. Klarheit (Artikel 84 EPÜ)

1.1 Die Beschwerdeführerin wendete sich in Punkt V. ihrer Beschwerdebegründung gegen die begründeten Feststellungen der Einspruchsabteilung aus Punkt 13.3, dass der Begriff "der jeweiligen Spanneinheit" bereits in den erteilten Ansprüchen vorhanden war und daher vor dem Hintergrund der Entscheidung der Großen Beschwerdekammer G 3/14 hinsichtlich der Erfordernisse des Artikel 84 EPÜ nicht geprüft werden kann.

1.2 In der Mitteilung nach Artikel 15 (1) VOBK 2020 hatte die Kammer in Punkt 10. ihre vorläufige Überzeugung zu diesem Einwand dargelegt. Die Beschwerdeführerin hatte sich in ihrem Schriftsatz vom 13. Oktober 2022 nicht zu dieser vorläufigen Überzeugung eingelassen. In der mündlichen Verhandlung vor der Kammer verwiesen die Parteien auf ihr wechselseitiges schriftliches Vorbringen. Nach erneuter Beratung hält die Kammer an ihrer vorläufigen Überzeugung fest und bestätigt diese wie folgt als endgültig.

1.3 Die Beschwerdeführerin trug vor, dass ihr Einwand aus Artikel 84 EPÜ gegen Anspruch 1 gemäß aufrechterhaltener Fassung nicht den Begriff "der jeweiligen Spanneinheit", sondern die auf der Beschreibung beruhenden Änderung der in dem Anspruch 3 der erteilten Fassung verwendeten unbestimmten begleitenden Artikel betraf, d.h. dass das Merkmal

" a) ein erster Spanner (111, 211, 311) der jeweiligen Spanneinheit (11, 21, 31) als mit Mediendruck zu beaufschlagende, aktivierbare Blähdichtung ausgebildet ist oder Klemmbacken aufweist; und

b) ein zweiter Spanner (112), 212, 312) der jeweiligen Spanneinheit (11, 21, 31) als eine in geschlossenem Zustand verengte und im offenen Zustand aufgeweitete Klammer beschaffen ist, die einen manuell betätigbaren Verschluss hat"

(Unterstreichungen durch die Kammer),

durch Verwendung der bestimmten Artikel als Begleiter des Begriffs "erster Spanner" und "zweiter Spanner" geändert wurde in:

" a) der erste Spanner (111, 211, 311) der jeweiligen Spanneinheit (11, 21, 31) [...]; und

b) der zweite Spanner (112), 212, 312) der jeweiligen Spanneinheit (11, 21, 31) [...]"

(Unterstreichungen und Auslassungen durch die Kammer).

1.4 Unabhängig davon, dass die Frage der Bestimmtheit der begleitenden Artikel in den oben aufgeführten Merkmalen inhaltlich mit der in der angefochtenen Entscheidung getroffenen Feststellung des Begriffs "der jeweiligen Spanneinheit" verbunden zu sein scheint, kann das Argument der Beschwerdeführerin, dass die Änderung zu einer Unklarheit des Anspruchs führe, "weil der Fachmann nicht erkennt, wie er aktivierbare Blähdichtungen, eigenelastische Klemmbacken und manuelle Klammern strukturell ausgestalten muss, damit sie für Funktionen 'bestimmt sind'" (vgl. Beschwerdebegründung Seite 55, Absatz 4)

nicht überzeugen.

1.5 Der auf dieses Argument gestützte Einwand erstreckt sich nicht auf die Änderung der Bestimmtheit der begleitenden Artikel als vielmehr auf die Klarheit der Begrifflichkeiten der "aktivierbare Blähdichtungen, eigenelastische Klemmbacken und manuelle Klammern".

1.6 Ein solcher Einwand ist jedoch ein neuer Vortrag im Sinne des Artikels 12 (6) Satz 2 VOBK 2020, ohne dass von der Beschwerdeführerin rechtfertigende Gründe für das verspätetes Vorbringen dieses Einwands vorgetragen wurden oder solche für die Kammer erkennbar wären.

1.7 Zudem ist dieser Einwand de facto eine Erörterung der Deutlichkeit von Anspruchsformulierungen, die bereits identisch im ursprünglichen Wortlaut des Anspruchs 3 der erteilten Fassung enthalten waren, so dass insoweit eine Überprüfung der Erfordernisse des Artikels 84 EPÜ nicht mehr stattfindet (vgl. G3/14, Leitsatz und Punkt 85).

1.8 Das von der Beschwerdeführerin zusätzlich vorgetragene Argument, dass Ausführungsformen des Patents offenbarten, dass jeweilige Konstruktionen mehrere der anspruchsgemäßen Spanneineinheiten ausweisen können, und das Argument, dass die unbestimmten begleitenden Artikel in Anspruch 3 der erteilten Fassung zum Ausdruck bringen, dass die dort genannten erster und zweiter Spanner nicht zwingend den ersten oder zweiten Spanner in Anspruch 1 der erteilten Fassung entsprechen müssten (vgl. Beschwerdebegründung, Seite 55, Absätze 1 und 2), betreffen nicht den Wortlaut des Anspruchs 1 gemäß aufrechterhaltener Fassung sondern ausschließlich Offenbarungsstellen aus der erteilten Fassung. Sie sind bereits deshalb nicht geeignet, eine fehlende Deutlichkeit des Anspruchs 1 gemäß aufrechterhaltener Fassung in sich darzulegen.

1.9 Es bleibt damit offen, worin genau die mögliche Unklarheit in Anspruch 1 gemäß aufrechterhaltener Fassung bestünde oder weshalb die erfolgten Änderungen der Bestimmtheit der begleitenden Artikel dazu führten, dass die Fachperson den Schutzbereich des Gegenstandes von Anspruch 1 nicht genau erkennen würde oder dieser nicht deutlich und knapp gefasst wäre.

1.10 Im Ergebnis überzeugen die Argumente der Beschwerdeführerin die Kammer nicht von einer Unrichtigkeit der begründeten Feststellungen der Einspruchsabteilung zu den Erfordernissen des Artikels 84 EPÜ.

2. Offenbarung der Erfindung (Artikel 100 b) und 83 EPÜ)

2.1 Die Beschwerdeführerin wendete sich in Punkt II. der Beschwerdebegründung gegen die begründeten Feststellungen der Einspruchsabteilung in Punkt 10.1 der Entscheidungsgründe zum Einspruchsgrund nach Artikel 100 b) EPÜ bzw. zu den Erfordernissen des Artikel 83 EPÜ.

2.2 Die Beschwerdeführerin bestritt in ihrem Vorbringen zu keinem Zeitpunkt, dass der Beschreibung zumindest ein Beispiel zur Ausführung der in Anspruch 11 umfassten Erfindung zu entnehmen ist. Sie stützte ihren Einwand vielmehr wesentlich auf das Argument, dass die in der Beschreibung offenbarten Beispiele von Spannern die extreme Breite des Anspruchs 11 gemäß aufrechterhaltener Fassung, der dem Anspruch 13 der erteilten Fassung entspricht, nicht rechtfertigten (vgl. Beschwerdebegründung, Seite 5, Absatz 3).

2.3 Nach Auffassung der Beschwerdeführerin ergebe der Anspruch 11 gemäß aufrechterhaltener Fassung keine technische Lehre, die Aufschluss darüber gebe, wie der erste bzw. der zweite Spanner zur Übernahme ihrer jeweiligen Funktion aufgebaut seien, so dass unter den anspruchgemäßen Wortlaut alle nur erdenklichen Arten von Spannern fielen.

2.4 Damit umfasse der Anspruch auch eine solche Ausgestaltung, in der die in der Beschreibung gezeigten konkreten Ausführungen des ersten Spanners als eine in einem Kragen sitzende, radial wirkende Blähdichtung und des zweiten Spanners als Klammer ausgetauscht seien. Ein solche Ausführung sei jedoch nicht ausführbar.

2.5 Die Kammer folgt diesem Argument aus den folgenden Gründen nicht.

2.6 Das auch allgemein formulierte Argument der Beschwerdeführerin, dass Anspruch 1 sehr breit formuliert sei und auch Ausführungsformen umfasse, die in der Beschreibung nicht offenbart sind, entspricht an sich lediglich einem Bestreiten der Ausführbarkeit ohne Angaben von konkreten, gegen die Ausführbarkeit sprechende Umstände. Dieses bloßes Bestreiten, demnach die Beschreibung des Streitpatents nicht ausreichend wäre oder einzelnen Ausführungsbeispiele nicht derart ausführlich beschrieben seien, um die Lehre des Streitpatents umzusetzen, ohne substantielle Erörterung des Fachwissens der Fachperson oder Vorbringen von diesen Einwand stützenden Argumenten oder Tatsachen ist jedoch nicht geeignet, eine Unrichtigkeit der begründeten Feststellungen der Einspruchsabteilung in Punkt 10.1 der Entscheidungsgründe darzulegen, dass das Patent die Erfordernisse des Artikel 83 EPÜ erfüllt.

2.7 Auch das Argument der Beschwerdeführerin zur fehlenden Ausführbarkeit der Ausgestaltung der Spanner überzeugt nicht.

2.8 Die Fachperson entnimmt aus dem Wortlaut des Anspruchs 11 dem ersten und dem zweiten Spanner jeweils zugeordnete Funktionsweisen. Diese ergeben sich beispielsweise aus dem Merkmal dc) des Anspruchs 11, nämlich im Verfahrensschritt:

"in schleifenförmigem Verlauf, eingefalztes Hineindrücken und abgedichtetes Fixieren eines Endabschnitts, welcher vom im zweiten Spanner (112,212,312) gehaltenen offenen Ende des Linerstücks (8,9) rückversetzt ist, in den ersten Spanner (111,211,311)".

2.9 Angesichts dieser Konkretisierungen zur Funktionsweise der Spanner in Anspruch 11 erkennt die Fachperson ohne weiteres, dass sie den ersten Spanner und den zweiten Spanner zur Erfüllung der jeweiligen Funktionsweise vor dem Hintergrund ihres Fachwissens auswählen muss, und nicht jede erdenkliche oder bekannte Ausführung eines Spanners als erster Spanner oder zweiter Spanner im Sinne der der Erfindung herangezogen werden kann.

2.10 Der Vortrag der Beschwerdeführerin zu dem Beispiel möglicher Ausführungen des ersten bzw. zweiten Spanners bleibt jedoch ohne weitere Darlegung, weshalb die Fachperson gerade diese Ausführungen zur Erfüllung der jeweiligen Funktionsweisen der beiden Spanner als geeignet betrachtete. Das von der Beschwerdeführerin vorgetragene Beispiel bildet folglich eine rein hypothetische Ausführungsform, die jedoch nicht geeignet ist, eine unzureichende Offenbarung des Patents zu belegen (vgl. T 515/00, Punkt 3 der Entscheidungsgründe oder T 519/07, Punkt 6.4 der Entscheidungsgründe).

2.11 Die Argumente der Beschwerdeführerin überzeugen die Kammer daher nicht von einer Unrichtigkeit der begründeten Feststellungen der Einspruchsabteilung zu den Erfordernissen des Artikels 100 b) EPÜ.

3. Änderungen (Artikel 100 c) EPÜ)

3.1 Die Einspruchsabteilung hatte in Punkt 10.2 der angefochtenen Entscheidung begründete Feststellungen zu Artikel 100 c) EPÜ in Hinblick auf Anspruch 1 gemäß erteilter Fassung getroffen. Die Beschwerdeführerin machte im Einspruchsverfahren den Einwand aus Artikel 100 c) EPÜ gegenüber dem damaligen Hilfsantrag 1, welcher letztendlich der aufrechterhaltenen Fassung entspricht, nicht geltend, so dass der Einwand aus Artikel 100 c) EPÜ gegenüber Anspruch 1 gemäß aufrechterhaltener Fassung zurecht nicht Teil der angefochtenen Entscheidung wurde.

3.2 Wie von der Beschwerdeführerin auf Seite 9, Absatz 2, der Beschwerdebegründung zutreffend vorgetragen, wurde der Einwand aus Artikel 100 c) EPÜ jedoch mit Erhebung des Einspruchs gegenüber Anspruch 13 der erteilten Fassung erhoben. Anspruch 13 der erteilten Fassung ist mit Anspruch 11 gemäß aufrechterhaltener Fassung identisch. Im Ergebnis war der auf Artikel 100 c) EPÜ beruhende Einwand der Beschwerdeführerin zu Anspruch 11 gemäß aufrechterhaltener Fassung daher Teil des Einspruchsverfahrens.

3.3 Wie die Beschwerdeführerin richtigerweise vortrug, enthält die angefochtene Entscheidung keine ausdrücklichen Feststellungen zu Artikel 100 c) EPÜ hinsichtlich des Anspruchs 13 gemäß der erteilten Fassung bzw. des Anspruchs 11 gemäß aufrechterhaltener Fassung (vgl. Beschwerdebegründung, Seite 9, Absatz 2).

3.4 Bei dem erfindungsgemäßen Verfahren handelt es sich ausdrücklich um ein Betriebsverfahren der erfindungsgemäßen Vorrichtung (vgl. ursprüngliche Beschreibung, Seite 8, Zeilen 13 bis 15), so dass die Frage der ursprünglichen Offenbarung der im Erteilungsverfahren erfolgten Änderung durch Hinzufügen eines strukturellen Merkmals in Verfahrensanspruch 13 gemäß erteilter Fassung in einem engen sachlichen Zusammenhang mit der zum gleichen Zeitpunkt erfolgten und inhaltlich korrespondieren Änderung in dem Vorrichtungsanspruch 1 steht. Die Feststellungen in Punkt 10.2 der angefochtenen Entscheidung zu ursprünglichen Offenbarung des Merkmals I, wonach der zweite Spanner

"mit dem ersten Spanner der jeweiligen Spanneinheit zirkulär und in Relation zur Längserstreckung des Linerstücks zueinander konzentrisch angeordnet ist",

gelten daher erkennbar gleichermaßen für Anspruch 1 wie für Anspruch 13 gemäß der erteilten Fassung.

3.5 Die Beschwerdeführerin wendete sich im Ergebnis gegen diese begründete Feststellung der Einspruchsabteilung, dass sich das Merkmal I den ursprünglich eingereichten Unterlagen in Anspruch 2 und auf Seite 4 entnehmen lasse.

3.6 Die Beschwerdegegnerin verwies im Laufe der mündlichen Verhandlung vor der Kammer als zentrale Stütze dieses Merkmals I erneut insbesondere auf den Offenbarungsgehalt der ursprünglichen Unterlagen auf Seite 4, Zeile 25 bis 27.

3.7 Die Kammer stimmt mit der der Beschwerdeführerin insoweit überein, dass das Merkmal in den ursprünglich eingereichten Unterlagen allein in Kombination mit dem weiteren Merkmal II, wonach "die Funktion zumindest einer der beiden Spanner der jeweiligen Spanneinheit auf Eigenelastizität oder einer Ansteuerung von aussen basiert", offenbart ist (siehe ursprünglichen Beschreibung auf Seite 4, Zeilen 25 bis Seite 5, Zeile 17 und Seite 25, Zeilen 16 bis 29, sowie in Anspruch 2).

3.8 In Punkt 10.2 der Entscheidungsgründe hatte die Einspruchsabteilung jedoch festgestellt, dass auf Seite 4 der ursprünglichen Beschreibung die Merkmal I und II des ursprünglichen Anspruchs 2 als vorteilhafte Details angegeben werde, wobei es um eine reine Aufzählung der Merkmale handelt, die nicht zwangsläufig in Verbindung stehen.

3.9 Im Ergebnis bestreitet die Beschwerdeführerin diese Feststellung. Die Fachperson betrachte den von der Einspruchsabteilung herangezogenen Absatz 2 auf Seite 4 der ursprünglichen Unterlagen nicht isoliert sondern unter Berücksichtigung des Kontextes der Beschreibung und des Wortlauts des ursprünglichen Anspruchs 2 (vgl. Beschwerdebegründung, Seite 9, letzter vollständiger Absatz). Die Fachperson verstehe den gesamten Absatz so, dass beide Merkmale I und II notwendigerweise zusammengehören, denn aus der Gesamtoffenbarung in den ursprünglichen Unterlagen ergebe sich für die Fachperson kein Hinweis, weshalb sie die Merkmale getrennt betrachten solle.

3.10 Die Beschwerdeführerin trug jedoch nicht dazu vor, weshalb die Fachperson in der technischen Lehre dieser Offenbarung eine derart funktionelle oder strukturelle Verbindung oder einen derart engen Zusammenhang zwischen dem Merkmal I und dem Merkmal II erkennte, dass sie diese nur in Kombination, d.h. nicht - der gegenteiligen, begründeten Feststellung der Einspruchsabteilung folgend - als voneinander unabhängige Merkmale betrachtete. Eine solche funktionelle oder strukturelle Verbindung ist für die Kammer jedoch nicht offenkundig erkennbar.

3.11 Damit überzeugen die Argumente der Beschwerdeführerin die Kammer nicht von einer Unrichtigkeit der begründeten Feststellungen der Einspruchsabteilung zu den Erfordernissen des Artikels 100 c) EPÜ.

4. Zulassung neuen Tatsachenvorbringens ins Verfahren

4.1 Dokument E1.2a

4.1.1 Die Beschwerdeführerin legte erstmalig mit Beschwerdebegründung das Dokument E1.2a vor, ohne rechtfertigende Gründe dafür anzugeben, weshalb sie dieses Dokument nicht bereits im Einspruchsverfahren vorgelegt hat. Das Dokument E1.2a ist nach eigener Aussage der Beschwerdeführerin analog zu den Webseiten E1.1 und E1.2 zu bewerten (vgl. Beschwerdebegründung Seite 16, letzter Absatz).

4.1.2 Die Beschwerdegegnerin wendet sich gegen eine Zulassung des Dokuments E1.2a ins Verfahren (vgl. Beschwerdeerwiderung, Seite 2, Absatz 2 bis Absatz 6).

4.1.3 Die Beschwerdeführerin begehrt eine Zulassung, weil das Dokument E1.2a zusätzliche Informationen liefere und prima facie relevant sei (vgl. Schriftsatz vom 13. Oktober 2022, Seite 5, Absatz 4).

4.1.4 Aus Sicht der Kammer kommt es auf eine mögliche prima facie Relevanz jedoch nicht an.

4.1.5 Gemäß Artikel 12 (6) Satz 2 VOBK 2020 lässt die Kammer Tatsachen oder Beweismittel, die in dem Verfahren, das zu der angefochtenen Entscheidung geführt hat, vorzubringen gewesen wären nicht zu, es sei denn, die Umstände der Beschwerdesache rechtfertigen eine Zulassung.

4.1.6 In Punkt 7.1.3 der Mitteilung nach Artikel 15 (1) VOBK 2020 hatte die Kammer darauf hingewiesen, dass keine Umstände erkennbar wären, die eine Zulassung des Dokuments E1.2a in das Beschwerdeverfahren rechtfertigten. Die Beschwerdeführerin hat auch in Reaktion auf die Mitteilung weder dazu vorgetragen, weshalb Dokument E1.2a nicht bereits im Einspruchsverfahren vorgelegt wurde, noch welche Umstände die späte Vorlage des Dokumentes im Beschwerdeverfahren rechtfertigen.

4.1.7 Das Dokument E1.2a wird daher gemäß Artikel 12 (6) Satz 2 VOBK 2020 nicht ins Verfahren zuzulassen.

4.2 Werbevideo E1.6c

4.2.1 Die Beschwerdeführerin beantragt weiter, dass erstmalig mit der Beschwerde vorgelegte Werbevideo 1.6c in das Verfahren zuzulassen. Der mit dem Werbevideo E1.6c dargelegte Tatsachenvortrag sei prima facie relevant und die Kenntnis dieser Tatsachen ginge auf einen nicht vorhersehbaren Kontakt zurück, so dass das späte Vorlegen durch die Beschwerdeführerin nicht zu verschulden sei (vgl. Beschwerdebegründung, Seiten 23 und 24, übergreifender Absatz).

4.2.2 Gemäß Artikel 12 (4) i.V.m. (2) VOBK 2020 steht es im Ermessen der Kammer, Tatsachen, die nicht der angefochtenen Entscheidung zugrunde liegen, sowie die auf diesen Tatsachen beruhende Einwände nicht in das Verfahren zuzulassen.

4.2.3 Die Beschwerdegegnerin wendete zurecht ein, dass es sich bei dem Werbevideo E1.6c um ein Beweismittel handelt, bei dem nicht deutlich ist, wann oder wie es der Öffentlichkeit zugänglich war (Beschwerdeerwiderung, Seite 2, letzter Teilabsatz, bis Seite 3, erster Absatz). Der Screenshot auf Seite 23 der Beschwerdebegründung kann nicht darlegen, ob und inwiefern die auf dem Screenshot aufgelisteten Dokumente vor dem Anmeldetag einem Mitglied der Öffentlichkeit auch zugänglich gemacht waren. Dies gilt auch, weil die Beschwerdeführerin es versäumt, die Identität der Quelle anzugeben oder unter welchen Umständen die Quelle wann an diese Datei gelangte.

4.2.4 Der Vortrag der Beschwerdeführerin, dass das Werbevideo die Funktionsweise des ab dem 2. September 2013 angebotenen und Prioritätsjahr vertriebenen Produktes SMARTDOCK bleibt damit eine unbelegte Behauptung. Es ist vielmehr nicht auszuschließen, dass das Werbevideo eine alternative oder erst zu einem anderen Zeitpunkt vertriebene Variante darstellt.

4.2.5 Angesichts dieser Zweifel kann die Beschwerdeführerin im Ergebnis weder schlüssig darlegen, dass das Werbevideo 1.6c dem Stand der Technik gemäß Artikel 54 (2) (oder auch Artikel 54 (3)) zuzurechnen wäre, noch das es aus anderen Gründen im vorliegenden Fall prima facie relevant wäre.

4.2.6 Die Kammer ist vor diesem Hintergrund der Überzeugung, dass das Dokument E1.6c nicht offensichtlich erkennbar zur Klärung des Sachverhalts der offenkundigen Vorbenutzung beiträgt, sondern eine Zulassung neue, komplexe Fragestellung aufwerfen wird.

4.2.7 Die Kammer übt daher das ihr zustehende Ermessen nach Artikel 12 (4) VOBK 2020 dahingehend aus, das Werbevideo E1.6c und die darauf beruhenden Einwände im Verfahren zu berücksichtigen.

5. Zulassung neuer Argumentationslinien

5.1 In der Beschwerdebegründung trug die Beschwerdeführerin erstmalig vor, dass der Gegenstand von Anspruch 11 gemäß aufrechterhaltener Fassung nicht neu gegenüber einer neuen Lesart ("zweite Lesart") der technischen Lehre des Dokuments E2 sei, nämlich indem das Klemmelement 22 aus Dokument E2 als ersten Spanner im Sinne des Anspruchs 11 interpretiert werde (vgl. Beschwerdebegründung, Seite 37, Absatz 1, bis Seite 39, Absatz 1), und dass der Gegenstand von Anspruch 11 gemäß aufrechterhaltener Fassung nicht neu gegenüber dem Dokument E6 sei (vgl. Beschwerdebegründung, Seite 42, Absatz 2 bis Seite 46, Absatz 1).

5.2 Dass der auf der zweiten Lesart des Dokuments E2 beruhenden Neuheitseinwand erstmalig im Beschwerdeverfahren vorgelegt wurde, blieb unbestritten.

5.3 Auch der auf Dokument E6 beruhende Neuheitseinwand gegenüber dem Gegenstand von Anspruch 11 wurde erstmalig im Beschwerdeverfahren vorgetragen. Es trifft zwar zu, dass die Beschwerdeführerin in ihrer Eingabe vom 16. August 2019 einen auf Dokument E6 basierenden Neuheitseinwand gegenüber dem Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 vorgebracht hat. Sie hat jedoch zu keinem Zeitpunkt im Einspruchsverfahren einen substantiierten Einwand gegenüber dem Gegenstand des unabhängigen, erteilten Anspruchs 13 vorgetragen. Daran ändert auch nicht, dass die Beschwerdeführerin gegebenenfalls in der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung erklärt haben mag, dass sie auf keinen im schriftlichen Verfahren vor der Einspruchsabteilung vorgetragenen Angriff verzichte und die bislang in den Verfahren vorgebrachten Angriffe gegen den erteilten Anspruch 1 gleichermaßen für den unveränderten Verfahrensanspruch gelten (vgl. Schriftsatz vom 14. Februar 2020, Seite 3, Absatz 6. Diese Erklärung kann einen substantiierten Neuheitseinwand gegenüber dem Gegenstand des erteilten Anspruchs 13 bzw. des jetzigen Anspruchs 11 nicht ersetzen, zumal die erteilten Ansprüche 1 und 13 sich in einzelnen Aspekte unterscheiden.

5.4 Bei beiden Argumentationslinien handelt es sich folglich um Einwände, die erstmalig im Beschwerdeverfahren vorgetragen und deshalb nicht Gegenstand der angefochtenen Entscheidung waren.

5.4.1 Die Beschwerdeführerin verwies darauf, dass die Einspruchsabteilung erstmalig in der mündlichen Verhandlung bei der Erörterung der erfinderischen Tätigkeit die Auffassung vertreten habe, dass in der Lehre des Dokuments E3 der Verfahrensschritt dc) nicht gezeigt ist (vgl. Schriftsatz vom 13. Oktober 2022, Seite 12, Absatz 4, mit Verweis auf den Schriftsatz vom 14. Februar 2020, Seite 3, Absatz 3).

5.4.2 Diese Rechtfertigung der Beschwerdeführerin ist aus Sicht der Kammer nicht überzeugend.

5.4.3 Sowohl das Dokument E2 als auch das Dokument E6 lagen bereits dem Einspruchsverfahren zugrunde und waren den Beteiligten auch geläufig. So hat die Beschwerdeführerin einen Neuheitseinwand auf Grundlage einer anderen Lesart ("erste Lesart") des Dokuments E2 erhoben (siehe hierzu folgend Punkt 6.2 dieser Entscheidung). Auf Grundlage des Dokuments E6 hatte sie einen Einwand mangelnder Neuheit gegenüber den erteilten Anspruch 1 erhoben. Die Inhalte der Dokumente waren den Beteiligten folglich geläufig. Ebenso lag Anspruch 11 gemäß aufrechterhaltener Fassung, der Anspruch 13 gemäß erteilter Fassung entspricht, dem Einspruchsverfahren von Anfang an zugrunde. Die auf den Dokumenten E2 und E6 beruhenden Einwände mangelnder Neuheit des Anspruchs 11 wären daher objektiv schon im Einspruchsverfahren vorzubringen gewesen.

5.4.4 Durch das erstmalige Vorbringen dieser neuen Argumentationslinien im Beschwerdeverfahren hat die Beschwerdeführerin vielmehr im Ergebnis verhindert, dass die Einspruchsabteilung über diesen eine Entscheidung treffen und die Patentinhaberin im Einspruchsverfahren dazu Stellung nehmen konnte. Dies widerspricht dem vorangingen Ziel des Beschwerdeverfahrens, die angefochtene Entscheidung gerichtlich zu überprüfen (vgl. Artikel 12 (2) VOBK 2020).

5.4.5 Die Kammer vermag daher aus dem Vortrag der Beschwerdeführerin keine Umstände zu erkennen, die eine Zulassung der auf den Dokumenten E2 in der zweiten Lesart und dem Dokument E6 basierenden Einwände der mangelnden Neuheit des Gegenstands von Anspruch 11 gemäß aufrechterhaltener Fassung rechtfertigten, so dass diese gemäß Artikel 12 (6) Satz 2 VOBK 2020 nicht ins Verfahren zuzulassen sind.

6. Neuheit (Artikel 100 a) und 54 EPÜ)

6.1 Offenkundige Vorbenutzung E1

6.1.1 Die Beschwerdeführerin wendete sich gegen die begründete Feststellung der Einspruchsabteilung in Punkt 13.4 der angefochtenen Entscheidung, wonach die von der Beschwerdeführerin geltend gemachte Vorbenutzung E1 nicht neuheitsschädlich gegenüber dem Gegenstand der Erfindung gemäß der aufrechterhaltener Fassung ist.

6.1.2 Als Beleg für eine offenkundige Vorbenutzung legt die Beschwerdeführerin die Dokumente E1.1 bis E1.6 vor und gab an, dass sich aus diesen Dokumenten ergebe, dass die in der Prioritätsanmeldung P0 offenbarte technische Lehre, bzw. das in dem Dokument E1.5 dargestellte System SMARTDOCK, vor dem Anmeldetag der Öffentlichkeit zugänglich waren.

6.1.3 Die Kammer kann sich dieser Auffassung nicht anschließen.

6.1.4 Die Kammer ist nicht davon überzeugt, dass selbst, wenn man annimmt, dass die von der Beschwerdeführerin angeführte Bezugnahme auf eine Patentanmeldung in den Dokumenten E1.1 bis E1.6 das Prioritätsdokument P0 beträfe, dieser Bezug zwingend darauf schließen lässt, dass das SMARTDOCK System sämtliche Merkmale der Ansprüche 1 und 11 gemäß der aufrechterhaltenen Fassung enthält. Bei dem Prioritätsdokument P0 handelt es sich nämlich nicht um eine in sich geschlossene Produktspezifikation sondern um eine Patentanmeldung. Als solche offenbart sie eine Erfindung mit ihren unterschiedlichen Aspekten und beschreibt kein konkretes Produkt oder System.

6.1.5 Der Gegenstand der in der Prioritätsanmeldung P0 dargestellten Erfindung ist im weitesten Sinne in den unabhängigen Ansprüchen 1 und 7 der Prioritätsanmeldung P0 wiedergegeben. Damit unterscheidet er sich wesentlich von den Gegenständen der Ansprüchen 1 und 11 gemäß der aufrechterhaltenen Fassung, die zumindest weitere Merkmale umfassen. Ein Verweis auf die Prioritätsanmeldung P0 legt folglich nicht zwingend dar, dass in dem System SMARTDOCK tatsächlich die Merkmalskombinationen des Anspruchs 1 oder des Anspruchs 11 gemäß der aufrechterhaltenen Fassung erfüllt wären. Vielmehr kann sich die jeweilige Bezugnahme in den Dokumente E1.1 bis E1.6 auf die unterschiedlichsten Aspekte der in Prioritätsanmeldung P0 offenbarten Erfindung beziehen.

6.1.6 Sämtliche sich auf die Prioritätsanmeldung P0 beziehenden Argumentationslinien der Beschwerdeführerin sind folglich ungeeignet, eine offenkundige Vorbenutzung des von ihr dargestellten Gegenstands darzulegen.

6.1.7 Weiter trug die Beschwerdeführerin vor, dass sich die Funktion des Systems SMARTDOCK aus dem Dokument E1.5 ergebe (vgl. Beschwerdebegründung, Seite 16, Absatz 3).

6.1.8 Es erscheint unstreitig, dass das Dokument E1.5 selbst erst nach Anmeldetag des Patents der Öffentlichkeit zugänglich war, wie es die Einspruchsabteilung in Punkt 13.4.1 der Einspruchsgründe festgestellt hat. Das Dokument E1.5 ist kein Stand der Technik im Sinne des Artikels 54 EPÜ.

6.1.9 Die Beschwerdeführerin trug ergänzend vor, dass die Dokumente E1.5 und E1.6 völlig wesensgleich seien und bei objektiver Betrachtung offensichtlich das identische Produkt betreffen, so dass Dokument E1.5 eine Beschreibung der Funktionalität des in Dokument E1.6 beworbenen Produkts enthalte (vgl. Beschwerdebegründung Seite 16, Absatz 2).

6.1.10 Die Kammer ist aber nicht davon überzeugt, dass sich durch das Dokument E1.6, auch vor dem Hintergrund der Erklärungen aus dem Dokumenten E1.2 oder E1.3, ergäbe, dass das in Dokument E1.6 beworbene Produkt, unabhängig davon, ob es die in Dokument E1.5 beschriebene Funktionalität aufweist, vor Anmeldetag des Patents tatsächlich der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde.

6.1.11 Bei dem Dokument E1.6 handelt es sich lediglich um einen Werbeprospekt für ein System, dass eine SMARTDOCK Funktionalität enthält.

6.1.12 Die Kammer teilt die Auffassung der Beschwerdegegnerin, dass mit der Veröffentlichung einer Werbebroschüre zunächst nur der Inhalt der Werbebroschüre öffentlich ist und nicht notwendigerweise zeitnah eine Veröffentlichung einer Vorrichtung, auf welche sich die Werbebroschüre bezieht (vgl. Beschwerdeerwiderung, Seite 3, Absatz 3). In einer Bewerbung oder auch in einem nicht weiter beschriebenen und daher allgemeinen Angebot des SMARTDOCK Systems ist jedenfalls keine Vertriebshandlung zu sehen, die hinreichend darlegt, dass ein Dritter, bspw. ein potentieller Kunde, sich mit der Funktionsweise des Produkts hätte vertraut machen können, was aber notwendige Vorraussetzung für eine offenkundige Vorbenutzung ist. Tatsachen oder Beweismittel zu einem erfolgten Verkauf des beworbenen System an einen Dritten vor Anmeldetag des Streitpatents hat die Beschwerdeführerin zu keinem Zeitpunkt vorgetragen.

6.1.13 Auch aus den übrigen Unterlagen ergeben sich keine hinreichenden Angaben darüber, ob vor dem Anmeldetag des Patents die Funktionalitäten des in dem Dokument E1.6 erwähnten SMARTDOCK Systems der Öffentlichkeit tatsächlich bekannt waren.

6.1.14 Die von der Beschwerdeführerin aufgeführten Webseiten E1.1 und E1.2 wurden, von den Beteiligten unbestritten, nach dem Anmeldetag des Patents veröffentlicht und verweisen lediglich auf eine Anmeldung des Systems SMARTDOCK zum Patent sowie darauf, dass das System SMARTDOCK "Nutzer innerhalb kürzester Zeit überzeugt habe" (vgl. E1.2, Satz 2 des Artikels). Die Webseiten machen aber, ebenso wie auch das Dokument E1.4, keine Angaben zu einem Zeitraum eines möglichen Verkaufs oder einer öffentlichen Zugänglichkeit des Produkts.

6.1.15 Allein der Webseite E1.3 ist die Aussage zu entnehmen, dass "Anfang 2014 [...] Rubitec das Smartdock-System auf den Markt gebracht" habe. Mit dieser Aussage ist nach Verständnis der Kammer aber nicht dargelegt, dass Anfang 2014 notwendigerweise auch schon der Vertrieb eines Produktes oder eine Veröffentlichung der konkreten Funktionsweise bzw. Ausgestaltung eines Produkts stattgefunden hat. Auch die unstreitig durch die Beschwerdegegnerin zu diesem Zeitpunkt erfolgte öffentliche Verbreitung der Werbebroschüre E1.6 könnte eine Handlung darstellen, die die obige Aussage begründete.

6.1.16 Sowohl das Dokument E1.6 als auch die Dokumente E1.1 bis E1.3 sind daher nicht geeignet, um überzeugend darzulegen, dass die Funktionalitäten bzw. die Ausgestaltung des SMARTDOCK Systems der Öffentlichkeit tatsächlich vor Anmeldetag des Patents öffentlich bekannt geworden wären.

6.1.17 Die Beschwerdeführerin hat somit insbesondere auch die Umstände der von ihr behaupteten offenkundigen Vorbenutzung nicht derart überzeugend darlegen können, dass Anlass bestünde, der Beschwerdegegnerin im Sinne einer Beweislastumkehr die Beweislast dafür aufzuerlegen, dass die Funktionalitäten bzw. Ausgestaltung des SMARTDOCK Systems der Öffentlichkeit nicht bekannt geworden waren.

6.1.18 Die Kammer ist folglich durch den Vortrag der Beschwerdeführerin nicht von einer Unrichtigkeit der begründeten Feststellungen der Einspruchsabteilung zur Neuheit der Gegenstände von Anspruch 1 und Anspruch 11 gemäß aufrechterhaltener Fassung gegenüber der geltend gemachten offenkundigen Vorbenutzung überzeugt.

6.2 Dokument E2

6.2.1 Die Beschwerdeführerin wendete sich gegen die begründete Feststellung der Einspruchsabteilung aus Punkt 13.4.4.2 der Entscheidungsgründe, insoweit dort festgestellt wurde, dass der Gegenstand von Anspruch 11 gemäß aufrechterhaltener Fassung neu gegenüber der technischen Lehre des Dokuments E2 ist, weil der technischen Lehre des Dokuments E2 nicht der Verfahrensschritt dc) zu entnehmen ist ("erste Lesart").

6.2.2 Die Kammer ist nicht von dem Argument der Beschwerdeführerin überzeugt, dass aus der technischen Lehre des Dokuments E2 deutlich werde, dass der Liner 4 zwangsläufig einen schleifenförmigen Verlauf innerhalb der Nut 11 zeige, wie die Figuren 12 und 13 eindeutig zeigten, und dass der Liner 4 aufgrund des in der Nut erzeugten Unterdrucks durch die in der Außenumgebung vorhandene Luft in die Nut 11 hineingedrückt werde (vgl. Beschwerdebegründung, Seite 35, Absätze 3 und 4). Zumindest seinen die Merkmale implizit offenbart, da sie eine technisch notwendige Folge darstellten.

6.2.3 In den von der Beschwerdeführerin in der Beschwerdebegründung auf Seite 36 zu dem Merkmal dc) herangezogenen Textpassagen aus Dokument E2 auf Seite 13, Zeilen 31 ff. und Seite 11, Zeile 11 bis 14 wird hinsichtlich einer Halterung des Liners 4 an der Nut 11, in der die Beschwerdeführerin den ersten Spanner des Anspruchswortlautes von Anspruch 11 gemäß Hautantrag realisiert sieht, lediglich ein Ansaugen ("aspirating") beschrieben. Ein Ansaugen führt nicht notwendigerweise dazu, dass der Liner 4 auch in die Nut 11 hineingedrückt wird. Diese Behauptung der Beschwerdeführerin bleibt eine reine Vermutung.

6.2.4 Die Kammer schließt sich daher der Feststellung der Einspruchsabteilung an, dass das Ansaugen des Liners in die Nut durch Unterdruck weder einen schleifenförmigen Verlauf noch ein aktives eingefalztes Hineindrücken darstellt.

6.2.5 Der Beschwerdeführerin gelingt es folglich nicht, überzeugend darzulegen, dass die begründeten Feststellungen der Einspruchsabteilung zur Neuheit des Gegenstands von Anspruch 11 gemäß aufrechterhaltener Fassung gegenüber dem Dokument E2 fehlerhaft wären.

6.3 Dokument E3

6.3.1 Die Beschwerdeführerin wendete sich gegen die begründete Feststellung der Einspruchsabteilung aus Punkt 13.4.4.2 der Entscheidungsgründe, insoweit dort festgestellt wurde, dass der Gegenstand von Anspruch 11 gemäß aufrechterhaltener Fassung neu gegenüber der technischen Lehre des Dokuments E3 ist, weil der technischen Lehre des Dokuments E3 nicht der Verfahrensschritt dc) zu entnehmen ist.

6.3.2 Das von der Beschwerdeführerin auf Seite 41 in den Absätzen 2 und 3 ihrer Beschwerdebegründung vorgetragene Argument und der darauf aufbauende Vortrag in der mündlichen Verhandlung entspricht inhaltlich der Argumentation zur angeblich mangelnden Neuheit gegenüber dem Dokument E2.

6.3.3 Die Kammer vermag sich diesem Argument angesichts ihre in Punkt 6.2 dieser Mitteilung dargelegten derzeitigen Überzeugung nicht anzuschließen und ist folglich ebenfalls nicht von der Unrichtigkeit der Feststellungen der Einspruchsabteilung zur Neuheit des Gegenstands von Anspruch 11 gemäß aufrechterhaltener Fassung gegenüber dem Dokument E3 überzeugt.

6.4 Dokument E1.6

6.4.1 Die Beschwerdeführerin wendete sich weiter gegen die begründete Feststellung der Einspruchsabteilung aus Punkt 13.4.4.2 der angefochtenen Entscheidung, zur Neuheit gegenüber dem Dokument E1.6 als eigenständiges Dokument des Stands der Technik.

6.4.2 Die Beschwerdeführerin stützte ihre Argumentation wesentlich auf die untere Abbildung auf Seite 3 des Dokuments E1.6, aus der der Fachperson erkenne, dass sich unterhalb des Pressrings und auf der selben Ebene der Klammer ein Ringspalt befinde, der die Röhre stirnseitig umläuft (vgl. Beschwerdebegründung, Seite 30, letzter Absatz).

6.4.3 Die Kammer vermag sich dieser Argumentation nicht anzuschließen. Bei der von der Beschwerdeführerin angeführten Abbildung handelt es sich, auch wenn diese mit einem CAD-Programm erstellt sein mag, grundsätzlich um eine schematische graphische Darstellung, ohne dass irgendeine Bezeichnung oder eine Beschreibung einzelner Details dem Dokument E1.6 zu entnehmen wären. Bereits deshalb schließt sich die Kammer der Feststellung der Einspruchsabteilung an, dass dem Dokument E1.6 eine genaue Funktionsweise des Systems, wie bspw. das Halten der Liner bzw. der Linerreste, nicht unmittelbar und eindeutig zu entnehmen ist.

6.4.4 Die Kammer ist folglich durch den Vortrag der Beschwerdeführerin nicht von einer Unrichtigkeit der Feststellungen der Einspruchsabteilung zur Neuheit des Gegenstands von Anspruch 11 gemäß aufrechterhaltener Fassung gegenüber dem Dokument E1.6 überzeugt.

7. Erfinderische Tätigkeit (Artikel 100 a) und 56 EPÜ)

7.1 Ausgehend von der technischen Lehre des Dokuments E3

Anspruch 1 gemäß aufrechterhaltener Fassung

7.1.1 Die Beschwerdeführerin wendete sich gegen die begründeten Feststellung der Einspruchsabteilung aus Punkt 13.5.1 der Entscheidungsgründe, dass für die Fachperson eine Kombination der technischen Lehren der Dokumente E3 und E8 (bzw. E8') nicht naheliegend ist.

7.1.2 Der Kammer erscheint die Feststellung der Einspruchsabteilung zutreffend, dass die innenliegenden (pneumatischen) Leitungen zur Erzeugung eines Unterdrucks aus Dokument E3 nicht ohne weiteres für die Dichteinrichtung 8 aus Dokument E8 (bzw. E8') verwendet werden können. Die Einspruchsabteilung hat aus Sicht der Kammer dazu richtigerweise festgestellt, dass in Dokument E3 die pneumatischen Leitungen, die im übrigen auch den Verteiler 50 umfassen, innenliegend sind, so dass sie nicht ohne weiteres für die Blähdichtung gemäß E8 (bzw. E8') verwendet werden können.

7.1.3 Die Beschwerdeführerin legte dazu in der mündlichen Verhandlung eine Zeichnung vor (vgl. Niederschrift zur mündlichen Verhandlung, Seite 4, Absatz 1), anhand der sie darzulegen suchte, dass eine Kombination der Lehren von Dokument E3 und Dokument E8 (bzw. E8') keine Schwierigkeit darstelle.

7.1.4 Diese Darlegung, die auf einer von der Beschwerdeführerin selbst erstellten Zeichnung beruht, ist jedoch nicht überzeugend. In einer der Zeichnung entsprechenden Ausführung erkennt die Fachperson, wie die Beschwerdegegnerin zurecht einwendete, unmittelbar weitere Probleme, die sie bei Umsetzung zu lösen hätte, etwa hinsichtlich des innenliegenden Gegenrings oder hinsichtlich Staubablagerungen. Die in der Zeichnung dargestellte Lösung ist daher zunächst hypothetisch bzw. nicht ohne Überwindung weiterer technischer Hürden ausführbar. Die Zeichnung legt entsprecht nicht da, dass die in E3 gezeigten pneumatischen Leitungen ohne weiteres in Zusammenhang mit einer in Dokument E8 (bzw. E8') gezeigten Blähdichtung verwendet werden können, sondern eher das Gegenteil.

7.1.5 Der Beschwerdeführerin gelingt es daher nicht, überzeugend darzulegen, dass die Feststellungen der Einspruchsabteilung zur erfinderischen Tätigkeit des Gegenstands von Anspruch 1 gemäß aufrechterhaltener Fassung gegenüber der technischen Lehre des Dokuments E3 in Kombination mit dem Dokument E8 (bzw. E8') fehlerhaft wären.

Anspruch 11 gemäß aufrechterhaltener Fassung

7.1.6 Die Beschwerdeführerin wendete sich weiter gegen die begründeten Feststellungen aus Punkt 13.5.2.1 der Entscheidungsgründe, dass die Fachperson ausgehend von der technischen Lehre von Dokument E3 nicht in naheliegender Weise zu dem Gegenstand des Anspruchs 11 gemäß aufrechterhaltener Fassung gelangt.

7.1.7 Dabei rügte sie insbesondere die Feststellung der Einspruchsabteilung, dass in Dokument E3 ein Hereindrücken des Liners in die Spalte (bzw. Nut) weder offenbart noch nahegelegt ist.

7.1.8 Die Kammer ist jedoch nicht von dem nicht durch überprüfbare Tatsachen belegten Vortrag der Beschwerdeführerin überzeugt, dass es mehr oder weniger ein Reflex des Anwenders der Vorrichtung aus dem Dokument E3 sei, den Sitz des Liners in der Unterdrucknut 49 manuell zu prüfen und bei Bedarf durch zusätzliches Hineindrücken sicherzustellen (vgl. Beschwerdebegründung, Seiten 50 und 51, übergreifender Absatz). Vielmehr folgt die Kammer dem Argument der Beschwerdegegnerin, dass der Anwender angesichts des in Dokuments E3 behandelten Fachgebiets einer Verpackung von giftigen oder gefährlichen Stoffen von einem Hineindrücken Abstand nimmt.

7.1.9 Soweit die Beschwerdeführerin sich im übrigen gegen die begründeten Feststellung der Einspruchsabteilung aus Punkt aus Punkt 13.5.2.2 der Entscheidungsgründe wendete, dass die Fachperson ausgehend von der technischen Lehre von Dokument E3 in Zusammenschau mit der technischen Lehre des Dokuments E8' nicht in naheliegender Weise zu dem Gegenstand des Anspruchs 11 gemäß aufrechterhaltener Fassung gelangt, legte sie ihrer Argumentation die Annahme zugrunde, dass es der Fachperson naheliegend sei, die Unterdrucknut 49 in Dokument E3 durch die Vorrichtung in Dokument E8' zu ersetzen (vgl. Beschwerdebegründung, Seite 51, Absatz 3). Wie bereits in Punkt 7.1.2 dieser Mitteilung dargelegt, teilt die Kammer diese Annahme nicht, so dass auch diese Argumentation der Beschwerdeführerin nicht überzeugen kann.

7.1.10 Der Beschwerdeführerin gelingt es daher nicht, überzeugend darzulegen, dass die begründeten Feststellungen der Einspruchsabteilung zur erfinderischen Tätigkeit des Gegenstands von Anspruch 11 gemäß aufrechterhaltener Fassung gegenüber der technischen Lehre des Dokuments E3 alleine und in Zusammenschau mit Dokument E8 (bzw. E8') fehlerhaft wären.

7.2 Ausgehend von der technischen Lehre des Dokuments E7 in Zusammenschau mit Dokument E8'

7.2.1 Die Beschwerdeführerin wendete sich gegen die begründeten Feststellungen in Punkt 13.5.2.3 zur erfinderischen Tätigkeit gegenüber einer Kombination der technischen Lehre des Dokuments E7 in Zusammenschau mit dem Dokument E8'.

7.3 In der Mitteilung nach Artikel 15 (1) VOBK 2020 hatte die Kammer in Punkt 12.2 ihre vorläufige Überzeugung zu diesem Einwand dargelegt. Die Beschwerdeführerin hatte sich in ihrem Schriftsatz vom 13. Oktober 2022 nicht zu dieser vorläufigen Überzeugung eingelassen. In der mündlichen Verhandlung vor der Kammer verwiesen die Parteien auf ihr wechselseitiges schriftliches Vorbringen (vgl. Niederschrift der mündlichen Verhandlung vor der Kammer, Seite 4, vorletzter Absatz). Nach erneuter Beratung hält die Kammer an ihrer vorläufigen Überzeugung fest und bestätigt diese wie folgt als endgültig.

7.3.1 Die Einspruchsabteilung hatte festgestellt, dass es keinen Hinweis dafür gibt, ausschließlich den oberen O-Ring in der Vorrichtung gemäß Dokument E7 durch die Dichteinrichtung des Dokuments E8 (bzw. E8') zu ersetzen.

7.3.2 Es ist für die Kammer nicht nachvollziehbar, weshalb die Fachperson, wie von der Beschwerdeführerin ohne nähere Ausführungen auf Seite 54, Absatz 1, der Beschwerdebegründung vorgetragen, "ohne Weiteres erkennt, dass - um das Containment nicht zu brechen - der untere der in Figur 2 gezeigten O-Ringe 3 verbleiben muss". Diese Aussage stellt eine pauschale Behauptung dar, die nicht geeignet ist, die Unrichtigkeit der gegenteiligen Feststellung der Einspruchsabteilung in überzeugender Weise darzulegen.

7.3.3 Das Vorbringen der Beschwerdeführerin kann die Kammer daher nicht von einer Unrichtigkeit der Feststellungen der Einspruchsabteilung zur erfinderischen Tätigkeit des Gegenstands von Anspruch 11 gemäß aufrechterhaltener Fassung gegenüber der technischen Lehre des Dokuments E7 in Zusammenschau mit E8 (bzw. E8') überzeugen.

8. Kostenverteilung (Artikel 104 (1) EPÜ)

8.1 Der Antrag der Beschwerdeführerin, der Patentinhaberin die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen, ist unbegründet.

8.2 Angesichts des Umstandes, dass die Beschwerdeführerin mit der von ihr eingelegten Beschwerde nicht durchdringt, sind grundsätzlich keine Gründe vorhanden, die es als billig erscheinen ließen, eine vom Grundsatz der Selbstkostentragung für jede Partei nach Artikel 104 (1) erster Halbsatz EPÜ abweichende nach Artikel 104 (1) zweiter Halbsatz EPÜ Anordnung zur Kostenverteilung im Beschwerdeverfahren zu treffen.

8.3 Es besteht auch keine Grundlage für eine Rückerstattung von Kosten aus dem Einspruchsverfahren. Die Beschwerdeführerin hatte vor der Einspruchsabteilung keinen Antrag auf Verteilung der Kosten geltend gemacht, sondern erstmals im Beschwerdeverfahren. Sofern die Beschwerdeführerin auch eine (Teil-) Erstattung ihrer Kosten im Verfahren vor der Einspruchsabteilung begehren sollte, hätte dieser Antrag bereits vor Erlass der angefochtenen Entscheidung gestellt werden können und sollen. Dadurch hätte die Einspruchsabteilung eine nunmehr im Beschwerdeverfahren nach Artikel 106 EPÜ i.V.m. Regel 97 EPÜ überprüfbare Entscheidung treffen können. Dies hat die Beschwerdeführerin indes durch ihre späte Antragstellung versäumt.

8.4 Der Antrag auf Verteilung der Kosten ist daher zurückzuweisen.

9. Vorlage an die Große Beschwerdekammer (Artikel 112 (1) a) EPÜ)

9.1 Die Beschwerdeführerin begehrte mit ihrem im Verlauf der mündlichen Verhandlung gestellten Antrag, dass die Kammer die Große Beschwerdekammer mit den folgenden Rechtsfragen befasse:

"1. Führt, soweit die Einsprechende Dokumente wie Werbebroschüren, Screenshots von Internetseiten, Betriebsanleitungen und Zeitschriften, die Aussagen der Patentinhaberin expressis verbis enthalten, dass sie die in den Dokumenten gezeigte Vorrichtung im Prioritätsjahr auf den Markt gebracht hat oder im Prioritätsjahr Anwender auf die Vorrichtung umgeschwenkt sind, vorgelegt hat und der Prioritätsanspruch nicht valide ist, der Beibringungsgrundsatz (T 2501/11) in Verfahren vor den Beschwerdekammern dazu, dass die Patentinhaberin sich erklären muss und im Falle eines Unterbleibens einer solchen Erklärung die Ausführungen der Einsprechenden als wahr hinzunehmen sind?

2. Wird die Frage zu 1. mit Nein beantwortet, welcher Beweismaßstab gilt für den Einwand der offenkundigen Vorbenutzung vor dem Hintergrund, dass die offenkundige Vorbenutzung in der Sphäre der Patentinhaberin liegt, und ab wann ist eine Beweislastumkehr angezeigt?"

9.2 Nach Artikel 112 (1) a) EPÜ kann eine Beschwerdekammer im Laufe eines Verfahrens auf Antrag einer am Beschwerdeverfahren Beteiligten eine Frage an die Große Beschwerdekammer verweisen, wenn sie eine Entscheidung für erforderlich hält, um die einheitliche Anwendung des Rechts zu gewährleisten, oder wenn sich eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung stellt.

9.3 Die vorgelegten Fragen sind zur Gewährleistung einer einheitlichen Rechtsprechung weder erforderlich noch von grundsätzlicher Bedeutung.

9.4 Entsprechend dem vorrangigen Ziel der Beschwerde, die angefochtene Entscheidung gerichtlich zu überprüfen (Artikel 12 (2) VOBK 2020), liegt dem Beschwerdeverfahren unter anderem die angefochtene Entscheidung zugrunde (Artikel 12 (1) a) VOBK 2020). Es obliegt folglich grundsätzlich zunächst der Beschwerdeführerin, eine Unrichtigkeit in den in der angefochtenen Entscheidung getroffenen Feststellungen darzulegen, soweit erforderlich durch geeignete Tatsachen oder Beweismittel. Ausgehend von dieser grundsätzlichen Darlegungs- und Beweispflicht der Beschwerdeführerin ist über eine sich zu einzelnen Fragen möglicherweise ergebende Verschiebung der Beweislast im jeweiligen Einzelfall zu entscheiden.

9.5 Im vorliegenden Fall lagen damit angesichts der begründeten Feststellungen in der angefochtenen Entscheidung die Darlegungs- und Beweislast für die Umstände der offenkundigen Vorbenutzung zunächst bei der Beschwerdeführerin. Ein Anlass für eine Verschiebung der Beweislast zugunsten der Beschwerdeführerin auf die Beschwerdegegnerin hat sich nicht ergeben (vgl. Punkt 6.1.17 dieser Entscheidung). Es bedurfte daher im vorliegenden Verfahren keines Bestreitens des Vorbringens der Beschwerdeführerin durch die Beschwerdegegnerin. Entscheidungserheblich war vielmehr, ob das Vorbringen der Beschwerdeführerin die Kammer überzeugte.

9.6 Diesen Erwägungen steht die Entscheidung T 2501/11 nicht entgegen. Sie betraf vielmehr einen anders gelagerten und daher nicht einschlägigen Sachverhalt, in dem das Vorbringen einer darlegungs- und beweispflichtigen Partei zulässigerweise bestritten wurde, so dass es eben dieser darlegungs- und beweispflichtigen Partei oblag, in substantiierter Weise auf das Bestreiten zu reagieren.

9.7 Der Antrag auf Vorlage an die Große Beschwerdekammer ist entsprechend zurückzuweisen.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

2. Der Antrag auf Vorlage an die Große Beschwerdekammer wird zurückgewiesen.

3. Der Antrag auf eine andere Kostenverteilung wird zurückgewiesen.

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