European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:2024:T070620.20240110 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 10 Januar 2024 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 0706/20 | ||||||||
Anmeldenummer: | 12806056.3 | ||||||||
IPC-Klasse: | E06B 3/673 E06B 3/663 |
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Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | D | ||||||||
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Bezeichnung der Anmeldung: | ABSTANDSHALTER FÜR ISOLIERVERGLASUNGEN | ||||||||
Name des Anmelders: | SAINT-GOBAIN GLASS FRANCE | ||||||||
Name des Einsprechenden: | Technoform Glass Insulation Holding GmbH ENSINGER GmbH Camvac Limited Thermoseal Group Limited ROLLTECH A/S HELIMA GmbH |
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Kammer: | 3.2.08 | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: |
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Schlagwörter: | Änderungen - zulässig (nein) Auslegung des Anspruchs - technisch sinnvoll |
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Orientierungssatz: |
- |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
I. Die Einspruchsabteilung hat entschieden, das Patent in geändertem Umfang, auf Grundlage des damaligen Hilfsantrags 4 (jetzt Hilfsantrag 31a) aufrechtzuerhalten.
Sie kam zu dem Ergebnis, dass der damalige Hilfsantrag 4 die Anforderungen bezüglich erfinderischer Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ) erfüllt. Im Hinblick auf Artikel 123 (2) EPÜ war die Einspruchsabteilung unter anderem zu dem Schluss gekommen, dass der Ausdruck "zusätzlich" in Merkmal M7 nicht dazu führt, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 über die ursprünglich eingereichte Anmeldung hinausgeht.
II. Die Patentinhaberin (Beschwerdeführerin P) sowie die Einsprechenden 1, 4 und 5 (Beschwerdeführerinnen 1, 4 und 5) legten Beschwerde gegen diese Zwischenentscheidung ein.
III. Die Beschwerdeführerin P (Patentinhaberin) beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents in der erteilten Fassung (Hauptantrag).
Weiter beantragte sie die Aufrechterhaltung des Patents auf der Grundlage eines der folgenden Hilfsanträge:
- Hilfsanträge 1 bis 31, eingereicht mit der Beschwerdebegründung vom 29. April 2020,
- Hilfsanträge 32 - 45, eingereicht mit der Beschwerdeerwiderung vom 26. Oktober 2020,
- Hilfsanträge der "a-Variante" 0, 1a - 23a, 31a (aufrechterhaltene Fassung), 32a bis 35a, 41a und 43a bis 45a, eingereicht mit der Beschwerdeerwiderung vom 26. Oktober 2020 (Hilfsantrag 44a) und mit Schriftsatz vom 11. März 2021 (alle anderen Hilfsanträge gemäß der a-Variante)
- Hilfsanträge der "b-Variante" 0b und 1b bis 45b, eingereicht mit Schriftsatz vom 20. Dezember 2023.
IV. Die Beschwerdeführerinnen 1, 4 und 5 (Einsprechende 1, Einsprechende 4 und Einsprechende 5) beantragten die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des europäischen Patents Nr. 2 802 726.
V. Am 10. Januar 2024 fand eine mündliche Verhandlung vor der Kammer statt.
VI. Wie mit den Schreiben vom 14. September 2023 bzw. 19. Oktober 2023 angekündigt, sind die Einsprechenden 3 und 6 (Camvac Ltd. und HELIMA GmbH) nicht zur mündlichen Verhandlung erschienen. Beide Parteien hatten im Beschwerdeverfahren kein Vorbringen eingereicht.
VII. Anspruch 1 des Hauptantrags hat folgenden Wortlaut:
Die Änderungen im Vergleich zu Anspruch 1 wie ursprünglich eingereicht sind unterstrichen.
M1
"Abstandshalter für Mehrfachscheiben-Isolierverglasung mindestens umfassend einen Verbund (7) aus:
M2
a. einem glasfaserverstärkten, polymeren Grundkörper (1) umfassend zwei parallel verlaufende Scheibenkontaktflächen (1a, 1b), eine Verklebungsfläche (1c) und eine Verglasungsinnenraumfläche (1d), wobei die Scheibenkontaktflächen (1a, 1b) und die Verklebungsfläche (1c) direkt oder über Verbindungsflächen (1e) miteinander verbunden sind,
M3
b. einer Isolationsfolie (2) auf der Verklebungsfläche (1c) oder der Verklebungsfläche (1c) und den Verbindungsflächen (1e),
M4
wobei die Isolationsfolie (2) mindestens eine polymere Folie (2a) umfasst und
M5
wobei die Isolationsfolie (2) mehrschichtig mit metallischen Schichten (2c) und/oder keramischen Schichten (2d) aufgebaut ist,
dadurch gekennzeichnet dass
M6
die mindestens eine polymere Folie (2a) eine Dicke von 10 mym bis 100 mym hat, und
M7
dass die Isolationsfolie (2) zusätzlich
mindestens eine polymere Schicht (2b) in einer Dicke von 5 mym bis 80 mym,
M8
mindestens zwei metallische Schichten (2c) mit einer Dicke jeder Schicht von 10 nm bis 1500 nm und/oder mindestens zwei keramische Schichten (2d) mit einer Dicke jeder Schicht von 10 nm bis 1500 nm umfasst, wobei
M6c (M9)
die mindestens zwei metallischen Schichten (2c) und/oder die mindestens zwei keramischen Schichten (2d) alternierend mit der mindestens einen polymeren Schicht (2b) angeordnet sind."
VIII. Die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) argumentierte im Wesentlichen wie folgt:
Änderungen - Artikel 123 (2) EPÜ
Der Begriff "zusätzlich" beziehe sich nur auf die zusätzliche polymere Schicht (2b) (Merkmal M7), während das Merkmal M8 die bereits im Oberbegriff des Anspruchs genannten Mehrschichtigkeit der Isolationsfolie konkretisiere. Selbst wenn sich das Wort "zusätzlich" auch auf das Merkmal M8 beziehen sollte, bedeute dies lediglich eine zusätzliche Eigenschaft der bereits als mehrschichtig definierten Isolationsfolie, nicht jedoch das Vorhandensein zusätzlicher metallischer oder keramischer Schichten.
Der Anspruch dürfe nicht mit dem Willen, ihn misszuverstehen interpretiert werden, sondern so, dass er im Gesamtzusammenhang Sinn ergebe.
Als Basis für den Gegenstand des Anspruchs 1 im Zusammenhang mit dem Begriff "zusätzlich" könnten folgende Textstellen herangezogen werden:
- Figur 3 mit Seite 9, Zeilen 1-7;
- Seite 3, Zeilen 32-34;
- Seite 4, Zeilen 12-16;
- Seite 5, Zeilen 28-29;
- Die Kombination der ursprünglich eingereichten Ansprüche 1 und 3;
IX. Die Beschwerdegegnerin (Einsprechende) argumentierte im Wesentlichen wie folgt:
Änderungen - Artikel 123 (2) EPÜ
Der im Erteilungsverfahren in Anspruch 1 hinzugefügte Begriff "zusätzlich" habe zur Folge, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 über die Anmeldung wie ursprünglich eingereicht hinausgehe.
Entscheidungsgründe
1. Nach Regel 115 (2) EPÜ wurde das Verfahren ohne die trotz ordnungsgemäßer Ladung zur mündlichen Verhandlung nicht erschienen Einsprechenden 3 und 6 (Camvac Ltd. und HELIMA GmbH) fortgesetzt.
2. Hauptantrag, Änderungen - Artikel 100 c) / 123 (2) EPÜ
2.1 Anspruch 1 des Hauptantrags legt fest, dass der Abstandhalter eine Isolationsfolie (2) umfasst,
"M4
wobei die Isolationsfolie (2) mindestens eine polymere Folie (2a) umfasst und
M5
wobei die Isolationsfolie (2) mehrschichtig mit metallischen Schichten (2c) und/oder keramischen Schichten (2d) aufgebaut ist,
dadurch gekennzeichnet dass
M6
die mindestens eine polymere Folie (2a) eine Dicke von 10 mym bis 100 mym hat, und
M7
dass die Isolationsfolie (2) zusätzlich
mindestens eine polymere Schicht (2b) in einer Dicke von 5 mym bis 80 mym,
M8
mindestens zwei metallische Schichten (2c) mit einer Dicke jeder Schicht von 10 nm bis 1500 nm und/oder mindestens zwei keramisch e Schichten (2d) mit einer Dicke jeder Schicht von 10 nm bis 1500 nm umfasst."
Der Oberbegriff des Anspruchs definiert somit eine Isolationsfolie, die mehrschichtig mit metallischen und/oder keramischen Schichten aufgebaut ist. Gemäß den Merkmalen M7 und M8 umfasst die Isolationsfolie "zusätzlich"
- eine polymere Schicht und
- mindestens zwei metallische Schichten und/oder mindestens zwei keramische Schichten.
Dies ergibt sich aus dem Satzbau, da sich das Adverb "zusätzlich" auf das Verb "umfasst" bezieht. Alles, was zusätzlich umfasst ist, wird zwischen "zusätzlich" und "umfasst" aufgezählt.
Die in Anspruch 1 enthaltene Isolationsfolie umfasst daher
- eine polymere Folie
- metallische und/oder keramische Schichten
- ein weitere polymere Schicht
- mindestens zwei weitere metallische und/oder mindestens zwei weitere keramische Schichten mit jeweils einer Schichtdicke von 10 nm bis 1500 nm.
2.2 Die Beschwerdeführerin P ist der Auffassung, dass eine solche Auslegung des Anspruchs nicht dessen korrekten Sinn erfasse. Der Oberbegriff des Anspruchs definiere die Isolationsfolie im breiteren Sinne, nämlich mit einer polymere Folie (2a) und mit einem mehrschichtigen Aufbau mit metallischen und/oder keramischen Schichten. Der kennzeichnende Teil spezifiziere diese Folie dann genauer. Der Begriff "zusätzlich" beziehe sich nur auf die zusätzliche polymere Schicht (2b) (Merkmal M7), während das Merkmal M8 die Mehrschichtigkeit der Isolationsfolie konkretisiere. Selbst wenn sich das Wort "zusätzlich" auch auf das Merkmal M8 beziehen sollte, bedeute dies lediglich eine zusätzliche Eigenschaft der bereits als mehrschichtig definierten Isolationsfolie, nicht jedoch das Vorhandensein zusätzlicher metallischer oder keramischer Schichten. Diese Auslegung des Anspruchs stehe auch im Einklang mit der Anmeldung wie ursprünglich eingereicht. Zusätzlich seien die Bezugszeichen der Schichten im Oberbegriff die gleichen wie im kennzeichnenden Teil. Dies weise darauf hin, dass jeweils identische Schichten gemeint seien.
2.3 Die Bedeutung der Formulierungen im Anspruch ist jedoch eindeutig, und es besteht kein Grund, Anspruch 1 entgegen seiner eigentlichen Bedeutung auszulegen. Es ist auch nicht sinnvoll, dem Wort "zusätzlich" zuerst die Bedeutung eines zusätzlichen Gegenstands zuzuordnen (Merkmal 7) und im gleichen Satz die Bedeutung einer zusätzlichen Eigenschaft oder einer zusätzlichen Bedingung zu geben (Merkmal 8). Falls der von der Beschwerdeführerin P gewünschte Sinn beabsichtigt gewesen wäre, wäre zum Beispiel ein Rückbezug auf die bereits erwähnten metallischen/keramischen Schichten möglich gewesen. Hierauf wurde aber verzichtet. Die Verwendung der gleichen Bezugszeichen schränkt den Anspruchswortlaut nicht ein (s. Regel 43 (7) Satz 2 EPÜ) und kann einen Rückbezug nicht ersetzen.
Im Übrigen ist auch eine Isolationsfolie mit insgesamt vier metallischen/keramischen Schichten ursprünglich offenbart. Dies ergibt sich aus der Kombination der ursprünglich eingereichten Ansprüche 1 und 10. Die bloße Anzahl der sich ergebenden metallischen/keramischen Schichten liefert daher kein Anlass, an der von den Einsprechenden vorgeschlagenen Auslegung des Anspruchs zu zweifeln sondern zeigt im Gegenteil, dass eine solche Auslegung - anders als von der Patentinhaberin vorgetragen - nicht sinnlos ist.
Die Beschwerdeführerin P erwähnte T 99/13, wonach die Beurteilung nach Artikel 123 (2) EPÜ aus der Sicht des Fachmanns auf einer technischen und sinnvollen Grundlage erfolgen solle, ohne dass dabei eine künstlich konstruierte Auslegung des Anspruchs vorgenommen werde. Die im vorliegenden Fall getroffene Auslegung ist jedoch nicht "künstlich", sondern folgt der Bedeutung des Anspruchswortlauts und ist technisch sinnvoll. Dass der so bestimmte Gegenstand nicht mit der Beschreibung übereinstimmt, ist als solches kein Grund, eine technisch sinnvolle Auslegung des Anspruchs zu verwerfen.
2.4 Die Isolationsfolie des Anspruchs 1 umfasst somit metallische und/oder keramische Schichten (Plural) und zusätzlich mindestens zwei metallische Schichten und/oder zwei keramische Schichten mit jeweils einer Dicke von 10 nm bis 1500 nm. Daher weist die Isolationsfolie des Anspruchs mindestens 4 metallische und/oder keramische Schichten auf, wovon mindestens zwei die angegebene Dicke aufweisen.
Die in Figur 3 gezeigte Isolationsfolie weist dagegen genau 3 metallische Schichten auf (Seite 9, Zeilen 1-7).
Seite 3, Zeilen 32-34 beschreibt eine Isolationsfolie mit nur einer metallischen oder keramischen Schicht mit einer Dicke von 10 nm bis 1500 nm.
Seite 4, Zeilen 12-16 beschreibt eine Isolationsfolie mit mindestens zwei metallischen Schichten und/oder keramischen Schichten. Dies umfasst zwar Isolationsfolien mit vier metallischen und/oder keramischen Schichten, jedoch fehlt die von Merkmal M8 verlangte Angabe der Dicke für zwei dieser Schichten.
Seite 5, Zeilen 28-29 beschreibt, dass die polymere Folie vier metallische oder keramische Schichten aufweisen kann. Dies sagt nichts über metallische oder keramische Schichten aus, die zusätzlich zu der polymeren Folie vorhanden sein könnten. Auch fehlt die Angabe der Dicke der Schichten.
Die Kombination der ursprünglich eingereichten Ansprüche 1 und 3 umfasst eine Isolationsfolie mit einer (einzigen) metallischen oder keramischen Schicht mit einer Dicke von 10 nm bis 1500 nm, und mindestens zwei metallische und/oder keramische Schichten ohne Dickenangabe.
2.5 Insgesamt ist aus den ursprünglich eingereichten Anmeldungsunterlagen der Gegenstand des Anspruchs 1 nicht unmittelbar und eindeutig zu entnehmen.
Daher geht der Gegenstand des Anspruchs 1 über die ursprünglich eingereichte Anmeldung hinaus und verletzt Artikel 123 (2) EPÜ, sodass der Einspruchsgrund unter Artikel 100 c) EPÜ der Aufrechterhaltung des Patents entgegensteht (Artikel 101 (2) EPÜ).
3. Der oben begründete Einwand trifft unstreitig auch für alle Hilfsanträge zu, sodass das Patent zu widerrufen ist (Artikel 101 (3) (b) EPÜ).
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Das Patent wird widerrufen.