T 0694/20 (Omega-3-Fettsäuren / FRESENIUS) of 5.5.2023

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2023:T069420.20230505
Datum der Entscheidung: 05 Mai 2023
Aktenzeichen: T 0694/20
Anmeldenummer: 11746585.6
IPC-Klasse: A61K 31/202
A61K 31/513
A61P 43/00
A61N 5/10
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: DIE PARENTERALE APPLIKATION VON FISCHÖL/DHA +EPA VOR BZW. MIT BEGINN DER CHEMOTHERAPIE
Name des Anmelders: Fresenius Kabi Deutschland GmbH
Name des Einsprechenden: B. Braun Melsungen AG
Kammer: 3.3.04
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 100(a)
European Patent Convention Art 100(b)
European Patent Convention Art 56
Rules of procedure of the Boards of Appeal 2020 Art 012(4)
Rules of procedure of the Boards of Appeal 2020 Art 012(6)
Rules of procedure of the Boards of Appeal 2020 Art 013(2)
Schlagwörter: Spät eingereichter Einwand - zugelassen (nein)
Spät eingereichte Argumentationslinie - zugelassen (nein)
Auslegung des beanspruchten Gegenstands
Ausführbarkeit (ja)
Erfinderische Tätigkeit (ja)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
T 1473/19
T 0367/20
Anführungen in anderen Entscheidungen:
T 0439/22

Sachverhalt und Anträge

I. Das europäische Patent Nr. 2 611 439 (nachfolgend "Patent") wurde mit 12 Ansprüchen erteilt. Ihm lag die europäische Patentanmeldung Nr. 11746585.6 zugrunde (nachfolgend "Anmeldung").

Anspruch 1 in der erteilten Fassung lautet wie folgt:

"Eine Zusammensetzung umfassend eine Kombination der Omega-3-Fettsäuren Eicosapentaensäure (EPA) und Docosahexaensäure (DHA) zur Verwendung in der Verbesserung der Wirksamkeit einer Chemotherapie oder einer Strahlentherapie und / oder in der Vorbeugung oder Reduktion von durch die Chemotherapie oder die Strahlentherapie hervorgerufenen Nebenwirkungen in einem an Krebs erkrankten Patienten, wobei die Zusammensetzung dem Patienten erst 48 bis 24 Stunden vor Beginn eines Zyklus der Chemotherapie oder der Strahlentherapie parenteral zu verabreichen ist, wobei die Zusammensetzung 1,0 g/ 100 mL bis 7,0 g/100 mL EPA und 1,0 g/ 100 mL bis 7,0 g/100 mL DHA enthält."

II. Gegen die Erteilung des Patents wurde ein Einspruch eingelegt. Als Einspruchsgründe wurden fehlende erfinderische Tätigkeit unter Artikel 100 a) EPÜ sowie unzureichende Offenbarung unter Artikel 100 b) EPÜ angeführt.

III. Im Verlauf des Einspruchsverfahrens wurden u.a. die folgenden Beweismittel genannt:

D1: Driscoll, D.F., Pharmaceutical Research 23(9), September 2006, 1959-1969

D3: Sangeetha Sagar P. et al., Cancer Letters 63, 1992, 189-198

D4: Cnop M. et al., Biochemical Pharmacology 63, 2002, 1281-1285

D5: Siddiqui R.A. et al., Biochemica et Biophysica Acta 1541, 2001, 188-200

D6: Listenberger L.L. et al., PNAS 100(6), März 2003, 3077-3082

D7: Cnop M. et al., Diabetes 50, August 2001, 1771-1777

D8: US 2003/0068385 A1

D9: WO 98/09621 A1

D10: Versuchsbericht der Patentinhaberin, eingereicht mit Schreiben vom 4. April 2019

D12: Versuchsbericht der Patentinhaberin, eingereicht mit Schreiben vom 20. November 2019

D14: Carpentier Y.A. et al., Am J Clin Nutr 91, 2010, 875-882

IV. Die Beschwerde der Einsprechenden (nachfolgend "Beschwerdeführerin") richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, den Einspruch zurückzuweisen.

V. In der angefochtenen Entscheidung führte die Einspruchsabteilung aus, dass die Zusammensetzung laut Anspruch 1 als jede Zusammensetzung, die EPA und DHA in irgendeiner Form enthalte, zu interpretieren sei. Darüber hinaus sei der beanspruchte Verabreichungszeitraum so zu verstehen, dass die Patienten die Zusammensetzung nicht früher als 48 bis 24 Stunden vor der Krebstherapie erhalten. Im Übrigen sei der beanspruchte Gegenstand ausführbar und beruhe auf einer erfinderischen Tätigkeit ausgehend von Dokument D8 als nächstliegendem Stand der Technik.

VI. In einer Mitteilung gemäß Artikel 15 (1) VOBK teilte die Kammer den Parteien u.a. ihre vorläufige Einschätzung zur Auslegung des Anspruchs 1 mit.

VII. Die mündliche Verhandlung fand am 5. Mai 2023 in Anwesenheit aller Parteien statt und wurde als Videokonferenz abgehalten. Am Ende der Verhandlung wurde die Entscheidung verkündet.

VIII. Die für die vorliegende Entscheidung relevanten Argumente der Beschwerdeführerin lassen sich wie folgt zusammenfassen:

a) Zulassung des Einwands der Beschwerdeführerin unter Artikel l00 (b) EPÜ betreffend die Plausibilität der beanspruchten Vorbeugung von Nebenwirkungen, die durch die Chemotherapie oder die Strahlentherapie verursacht werden (siehe Seite 17, Absatz 1 der Beschwerdebegründung)

Dieser Einwand sei bereits Teil des Einspruchsverfahrens gewesen, wenngleich in einer anderen Darstellung. So werde auf Seite 11, Absatz 2 der Einspruchsschrift die mangelnde Ausführbarkeit aller beanspruchten medizinischen Indikationen thematisiert. Darüber hinaus werde in diesem Absatz die mangelnde Ausführbarkeit der beanspruchten Vorbeugung von durch die Chemotherapie oder die Strahlentherapie hervorgerufenen Nebenwirkungen speziell und gesondert im Zusammenhang mit Anspruch 2 des Patents in der erteilten Fassung erörtert.

Abgesehen davon stelle dieser Einwand eine unmittelbare Reaktion auf die angefochtene Entscheidung dar. In Punkt 11.6.4 dieser Entscheidung habe die Einspruchsabteilung nämlich die Vorbeugung von durch die Chemotherapie oder die Strahlentherapie hervorgerufenen Nebenwirkungen bei der Formulierung der objektiven technischen Aufgabe unberücksichtigt gelassen. Dies zeige, dass die Einspruchsabteilung die Vorbeugung dieser Nebenwirkungen (nachfolgend "beanspruchte Vorbeugung") als eine von der Reduktion dieser Nebenwirkungen losgelöste Aufgabe angesehen habe. Aus diesem Grunde sei es geboten gewesen, den Einwand unter Artikel 100 (b) EPÜ betreffend die Plausibilität der beanspruchten Vorbeugung auch im Rahmen des Beschwerdeverfahrens gesondert darzustellen.

b) Zulassung der auf Dokument D14 basierenden Argumentationslinie der Beschwerdeführerin im Rahmen der Erörterung der erfinderischen Tätigkeit des Anspruchs 1 des Hauptantrags

Dieser Vortrag sei nicht verspätet. Auf Seite 23, Absatz 2 der Beschwerdebegründung sei bereits ausgeführt worden, dass der beanspruchte Verabreichungszeitraum eine rein willkürliche Auswahl aus einer Fülle möglicher Lösungen sei und dementsprechend nicht erfinderisch sein könne. Aufgrund dieses übergelagerten Grunds sei es nicht erforderlich gewesen, in der Beschwerdebegründung explizit auf Dokument D14 zu verweisen.

c) Auslegung des Anspruchs 1 - technische Bedeutung des Merkmals "Kombination der Omega-3-Fettsäuren Eicosapentaensäure (EPA) und Docosahexaensäure (DHA)"

Die Einspruchsabteilung habe zu Unrecht dieses Merkmal im Lichte der Beschreibung des Patents ausgelegt. Nach dem von den Beschwerdekammern entwickelten Grundsatz sei eine derartige Auslegung nur bei unklaren oder mehrdeutigen Begriffen gerechtfertigt. Im vorliegenden Fall jedoch sei der auf dem technischen Gebiet des Patents tätigen Fachperson, einem/r pharmakologischen Chemiker/in oder Pharmakologen/in, hinlänglich bekannt, dass die in Anspruch 1 genannten Omega-3-Fettsäuren Eicosapentaensäure und Docosahexaensäure mehrfach ungesättigte Fettsäuren seien, d.h. organische Substanzen mit der funktionellen Gruppe COOH. Hingegen würden die Salze und Ester dieser Säuren als Eicosapentaenoate und Docosahexaenoate bezeichnet. Folglich sei für die Fachperson zweifelsfrei klar, dass mit den anspruchsgemäßen Begriffen "Eicosapentaensäure (EPA)" und "Docosahexaensäure (DHA)" ausschließlich die freien Säuren gemeint seien.

d) Auslegung des Anspruchs 1 - technische Bedeutung des Merkmals "wobei die Zusammensetzung dem Patienten erst 48 bis 24 Stunden vor Beginn eines Zyklus der Chemotherapie oder der Strahlentherapie parenteral zu verabreichen ist"

Für die verständige Fachperson sei der Wortlaut "wobei die Zusammensetzung dem Patienten erst 48 bis 24 Stunden vor Beginn eines Zyklus der Chemotherapie oder der Strahlentherapie parenteral zu verabreichen ist" in dieser grammatikalischen Konstruktion nicht eindeutig. Zum einen könne dieser Wortlaut bedeuten, dass die Verabreichung der anspruchsgemäßen Zusammensetzung nur in dem genannten Zeitfenster zu erfolgen habe, d.h. nicht früher als 48 bis 24 Stunden vor Beginn eines Zyklus der Chemotherapie oder der Strahlentherapie. Zum anderen könne der gewählte Wortlaut aber auch dahingehend interpretiert werden, dass Anspruch 1 eine zusätzliche Verabreichung dieser Zusammensetzung früher als 48 Stunden bis 24 Stunden vor Beginn eines Zyklus der Chemotherapie oder der Strahlentherapie nicht verbiete. Angesichts dieser Mehrdeutigkeit sei eine Auslegung des Anspruchs 1 im Lichte der Beschreibung und der Zeichnungen des Patents vorzunehmen. Aus Absatz [0083] und Abbildung 3 des Patents sei ersichtlich, dass eine parenterale Gabe von EPA und DHA 48 bis 24 Stunden vor Beginn eines Zyklus der Chemotherapie oder der Strahlentherapie zu erfolgen habe aber gerne auch zusätzlich vorher schon erfolgen könne. Dementsprechend sei Anspruch 1 so auszulegen, dass er eine weitere parenterale Verabreichung der anspruchsgemäßen Zusammensetzung vor dem Beginn des beanspruchten Verabreichungszeitraums nicht ausschließe.

e) Ausführbarkeit der beanspruchten Erfindung

Entgegen der Einschätzung der Einspruchsabteilung erfülle das Patent vorliegend aus zwei Gründen nicht das Erfordernis der Ausführbarkeit.

Zum Ersten plausibilisiere das Patent die beanspruchten therapeutischen Wirkungen nicht. Die In-vivo-Beispiele 5 und 8 des Patents enthielten lediglich pauschale Aussagen, dass die vermeintlichen Indikationen durch eine Zusammensetzung namens Omegaven® erreicht würden. Demgegenüber seien in den Beispielen 6 und 7 des Patents keine Kombinationen aus EPA und DHA getestet worden. Auch seien die in all diesen Beispielen beschriebenen Experimente unzureichend spezifiziert. Schließlich seien die in den Abbildungen 4A und 4B des Patents dargestellten Versuchsergebnisse insgesamt sehr fragwürdig in Anbetracht der Tatsache, dass

i) die in diesen Abbildungen dargestellten Fehlerbalken eine starke Streuung der gemessenen Daten belegten;

ii) die Überlebensraten der unbehandelten Krebszellen in den Abbildungen 4A und 4B des Patents bzw. in der Abbildung 1 des Dokuments D12 fundamental unterschiedlich seien, obwohl diese identisch sein müssten,

iii) die Versuchsergebnisse der Abbildung 4A zeigten, dass die Überlebensrate von unbehandelten, mit 2 Gy bestrahlten Krebszellen niedriger sei als die Überlebensrate von mit 20 µM DHA vorbehandelten und ebenfalls mit 2 Gy bestrahlten Krebszellen.

Zum Zweiten ergebe sich eine mangelnde Ausführbarkeit der beanspruchten Erfindung aus der Tatsache, dass EPA und DHA in Form ihrer freien Säuren nach parenteraler Gabe giftig gegenüber gesunden Körperzellen seien, wie beispielsweise die Dokumente D1 und D3 bis D7 belegten. Folglich würden eine parenterale Gabe dieser Säuren nicht die durch die Chemo- oder Strahlentherapie hervorgerufenen Nebenwirkungen reduzieren bzw. vorbeugen, sondern diese vielmehr verstärken. Vor diesem Hintergrund benötige die Fachperson eine Anleitung, die es ihm/ihr erlaube, eine anspruchsgemäße Zusammensetzung enthaltend EPA und DHA in Form ihrer freien Säuren zu identifizieren, die nach parenteraler Verabreichung die Wirksamkeit einer Chemo- oder Strahlentherapie verbessere und darüber hinaus die durch diese Therapie hervorgerufenen Nebenwirkungen reduziere bzw. diesen vorbeuge. Gleichwohl stelle weder das Patent noch der Stand der Technik eine solche Anleitung zur Verfügung, so dass die Fachperson ein aufwendiges Forschungsprogramm auflegen müsste, um den beanspruchten Gegenstand über den gesamten Bereich ausführen zu können. Dies stelle einen unzumutbaren Aufwand dar.

f) Erfinderische Tätigkeit

Der beanspruchte Verabreichungszeitraum bilde den einzigen Unterschied zum nächstliegenden Stand der Technik, Dokument D8. Diesem Unterscheidungsmerkmal lasse sich kein technischer Effekt zuordnen. Dementsprechend sei die objektive technische Aufgabe als die Bereitstellung einer alternativen Therapie zur Verbesserung der Wirkung von Strahlen- und Chemotherapien bei gleichzeitiger Minderung der Nebenwirkungen zu sehen. Die gemäß Anspruch 1 vorgeschlagene Lösung dieser Aufgabe sei durch Dokument D8 selbst nahegelegt.

Insbesondere offenbare dieses Dokument bereits das Konzept der Vorbehandlung zwecks Minderung der durch die Chemotherapie oder die Strahlentherapie hervorgerufenen Nebenwirkungen (siehe Zusammenfassung, Absätze [0052] bis [0054] und Ansprüche 5 und 8). Darüber hinaus schließe der in diesem Dokument offenbarte Vorbehandlungszeitraum den beanspruchten Verabreichungszeitraum bereits mit ein. Folglich handele es sich bei Letzterem um eine willkürliche Auswahl, wie auch das Patent selbst in Absatz [0083] und die ursprünglich eingereichten Anmeldeunterlagen auf Seite 16, Absatz 2 bestätigten.

Im Übrigen habe die Einspruchsabteilung in ihrer Entscheidung zu Unrecht die Plausibilität des im Patent für Omegaven® vermeintlich gezeigten Effekts über die gesamte Breite des Anspruchs 1 bejaht. Zum einen gebe Tabelle I auf Seite 12 des Dokuments D8 an, dass der Anteil an EPA in der Zusammensetzung mindestens 5,7 g pro 100 ml betragen müsse, so dass ernsthafte Zweifel bestünden, dass die beanspruchten technischen Effekte auch mit einer anspruchsgemäßen Menge von 1 g EPA pro 100 ml Zusammensetzung erreicht würden. Zum anderen sei bekannt, dass die von Anspruch 1 umfasste Menge an EPA und DHA von insgesamt 14 g pro 100 ml Zusammensetzung toxisch sei und die Gabe einer zu großen Menge an EPA und DHA zu einer schädlichen Übersättigung führe.

V. Die für die vorliegende Entscheidung relevanten Argumente der Beschwerdegegnerin lassen sich wie folgt zusammenfassen:

a) Zulassung des Einwands der Beschwerdeführerin unter Artikel l00 (b) EPÜ betreffend die Plausibilität der beanspruchten Vorbeugung von Nebenwirkungen, die durch die Chemotherapie oder die Strahlentherapie verursacht werden

Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin sei dieser Einwand nicht Gegenstand des Einspruchsverfahrens gewesen, sondern erstmalig in der Beschwerdebegründung erhoben worden. Dementsprechend sei dieser Einwand als verspätetes Vorbringen nicht in das Verfahren zuzulassen.

b) Zulassung der auf Dokument D14 basierenden Argumentationslinie im Rahmen der Erörterung der erfinderischen Tätigkeit des Anspruchs 1 des Hauptantrags

Dieser Tatsachenvortrag sei als verspätet nicht in das Verfahren zuzulassen. Er sei erstmals in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer geführt worden. Gleichwohl sei Dokument D14 bereits in der angefochtenen Entscheidung erwähnt worden, so dass die Beschwerdeführerin diesen Punkt bereits in der Beschwerdebegründung hätte adressieren können und müssen.

c) Auslegung des Anspruchs 1 - technische Bedeutung des Merkmals "Kombination der Omega-3-Fettsäuren Eicosapentaensäure (EPA) und Docosahexaensäure (DHA)"

Der Begriff "Omega-3-Fettsäuren" habe keine klar umgrenzte technische Bedeutung auf dem technischen Gebiet der vorliegenden Erfindung. Dies ergebe sich zum einen aus der Beschreibung des Patents selbst, zum anderen aus dem Stand der Technik, beispielsweise den Dokumenten D8 und D9. Folglich sei die von der Einspruchsabteilung vertretene Auslegung des Merkmals "Kombination der Omega-3-Fettsäuren Eicosapentaensäure (EPA) und Docosahexaensäure (DHA)" nicht zu beanstanden.

d) Auslegung des Anspruchs 1 - technische Bedeutung des Merkmals "wobei die Zusammensetzung dem Patienten erst 48 bis 24 Stunden vor Beginn eines Zyklus der Chemotherapie oder der Strahlentherapie zu verabreichen ist"

Die Einschätzung der Einspruchsabteilung, wonach dieses Merkmal so zu verstehen sei, dass die Patienten nicht früher als 48 bis 24 Stunden vor Beginn eines Zyklus der Chemotherapie oder der Strahlentherapie eine Zusammensetzung gemäß Anspruch 1 erhalten, sei zutreffend.

e) Ausführbarkeit der beanspruchten Erfindung

Ausweislich der Beispiele 5 bis 8 des Patents seien die beanspruchten technischen Wirkungen ausreichend belegt und zudem durch die experimentellen Daten der Dokumente D10 und D12 bestätigt. Hingegen habe die beweispflichtige Beschwerdeführerin keine Fakten oder Daten vorgelegt, welche eine Eignung der anspruchsgemäßen Zusammensetzungen für die beanspruchten medizinischen Verwendungen ernsthaft in Zweifel zögen. Auch der auf die Dokumente D1 und D3 bis D7 gestützte Einwand der Beschwerdeführerin ginge in die Leere, da keines dieser Dokumente die behauptete Toxizität von EPA und DHA in Form ihrer freien Säuren gegenüber gesunden Körperzellen belege.

f) Erfinderische Tätigkeit

Der beanspruchte Gegenstand unterscheide sich von Dokument D8 u.a. dadurch, dass die anspruchsgemäße Zusammensetzung erst 48 bis 24 Stunden vor Beginn eines Zyklus der Chemotherapie oder der Strahlentherapie zu verabreichen sei. Dieser Unterschied bedinge eine deutlich höhere Flexibilität der anspruchsgemäßen Therapie. Entsprechend sei die objektive technische Aufgabe als die Bereitstellung einer verbesserten Therapie zur anspruchsgemäßen Verwendung zu formulieren.

Selbst wenn die objektive technische Aufgabe lediglich in der Bereitstellung einer alternativen Therapie zur anspruchsgemäßen Verwendung bestünde, werde gleichwohl die vorgeschlagene Lösung dieser Aufgabe gemäß Anspruch 1 nicht durch Dokument D8 nahegelegt. Dokument D8 gebe die Anweisung, mindestens eine Woche, vorzugsweise 2 Wochen, vor Beginn der eigentlichen Behandlung mit der Verabreichung der fischölhaltigen Zusammensetzungen zu beginnen (siehe Absatz [0099]). Dem lasse sich kein Hinweis darauf entnehmen, dass auch ein Vorlauf von 48 bis 24 Stunden als ausreichend betrachtet werden könne.

Im Übrigen offenbare Absatz [0083] des Patents den beanspruchten Verabreichungszeitraum als ganz besonders bevorzugt, so dass die von der Beschwerdeführerin behauptete willkürliche Auswahl nicht zuträfe.

VI. Die für die vorliegende Entscheidung relevanten Anträge der Beschwerdeführerin und der Beschwerdegegnerin sind wie folgt.

Die Beschwerdeführerin beantragte, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent vollumfänglich zu widerrufen.

Die Beschwerdegegnerin beantragte als Hauptantrag, die Beschwerde zurückzuweisen und das Patent in der erteilten Fassung aufrechtzuerhalten.

Zusätzlich beantragte sie, den Einwand der Beschwerdeführerin unter Artikel l00 (b) EPÜ betreffend die Plausibilität der beanspruchten Vorbeugung von Nebenwirkungen, die durch die Chemotherapie oder die Strahlentherapie verursacht werden aufgrund verspäteten Vorbringens nicht in das Beschwerdeverfahren zuzulassen.

Weiterhin beantragte sie, die auf Dokument D14 basierende Argumentationslinie der Beschwerdeführerin im Rahmen der Erörterung der erfinderischen Tätigkeit des Anspruchs 1 des Hauptantrags nicht in das Beschwerdeverfahren zuzulassen.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

Verfahrensrechtliche Fragen

2. Zulassung des Einwands der Beschwerdeführerin unter Artikel 100 b) EPÜ betreffend die Plausibilität der beanspruchten Vorbeugung von Nebenwirkungen, die durch die Chemotherapie oder die Strahlentherapie hervorgerufen werden

2.1 Die Kammer stimmt der Beschwerdegegnerin zu, dass dieser Einwand erstmalig in der Beschwerdebegründung erhoben worden ist. Die Gründe sind wie folgt.

2.1.1 Die von der Beschwerdeführerin in diesem Zusammenhang angeführte Passage auf Seite 11, Absatz 2 der Einspruchsschrift besagt:

"This lack of plausibility is by no means overcome with any of the dependent claims 2 - 6. These are merely concerned with an enumeration of specific side

effects to be prevented/reduced (claim 2), cancers to be treated (claim 3) and chemotherapies (claims 4 and 5) or radiotherapies (claim 6) the efficacy of which

is to be improved. In the absence of any solid experimental data, as detailed above, these proliferations amount to nothing more than desiderata."

2.1.2 Unstreitig erwähnt dieser Absatz die Vorbeugung und die Reduktion der Nebenwirkungen gemäß Anspruch 2 als separate medizinische Indikationen.

2.1.3 Argumentativ hingegen wird in diesem Absatz nicht zwischen diesen beiden Indikationen unterschieden, sondern lediglich auf einen zuvor in der Einspruchsschrift erhobenen Einwand mangelnder Plausibilität verwiesen ("This lack of plausibility [..]"). Wie von der Beschwerdeführerin selbst vorgetragen, betrifft Letzterer sämtliche von Anspruch 1 umfassten medizinischen Indikationen (siehe Einspruchsschrift, Seite 9, zweiter Absatz bis Seite 11, erster Absatz).

2.1.4 Damit handelt es sich bei der auf Seite 11, Absatz 2 der Einspruchsschrift vorgetragenen Argumentationslinie um einen pauschalen Angriff unter Artikel 100 b) EPÜ betreffend die Plausibilität sämtlicher medizinischer Indikationen des Anspruchs 1 des Patents in der erteilten Fassung.

2.1.5 Demgegenüber sind die in der Beschwerdebegründung vorgetragene Argumente inhaltlich auf die von Anspruch 1 umfasste medizinische Indikation der Vorbeugung von durch die Chemotherapie oder die Strahlentherapie hervorgerufenen Nebenwirkungen zugeschnitten. So verweist die Beschwerdeführerin auf Seite 17, Absatz 1 ihrer Beschwerdebegründung auf die im Duden und im Patent aufgeführten Definitionen des Begriffs "Vorbeugung" und argumentiert auf dieser Basis, dass das Patent die beanspruchte Vorbeugung von durch die Chemotherapie oder Strahlentherapie hervorgerufenen Nebenwirkungen nicht plausibel mache.

2.1.6 Eine solche Argumentationslinie findet sich auf Seite 11, Absatz 2 der Einspruchsschrift indes nicht.

2.1.7 Daraus folgt, dass der von der Beschwerdeführerin erhobene Einwand unter Artikel 100 b) EPÜ nicht lediglich eine andere Darstellung oder Weiterentwicklung des bisherigen, im Einspruchsverfahren vorgetragenen Angriffs unter Artikel 100 b) EPÜ ist, sondern ein gegenüber diesem Angriff zusätzliches und damit geändertes Vorbringen im Sinne des Artikels 12 (4), erster Satz, VOBK 2020.

2.2 Die Zulassung eines solchen Vorbringens liegt im Ermessen der Kammer (Artikel 12 (4), zweiter Satz, VOBK 2020). Nach Artikel 12 (6), zweiter Satz, VOBK 2020 lässt die Kammer Einwände, die in dem Verfahren, das zu der angefochtenen Entscheidung geführt hat, vorzubringen gewesen wären, nicht zu, es sei denn, die Umstände der Beschwerdesache rechtfertigen eine Zulassung.

2.3 Im vorliegenden Fall sind derartige Umstände nicht erkennbar. Der in der Beschwerdebegründung erhobene Einwand unter Artikel 100 (b) EPÜ betreffend die Plausibilität der beanspruchten Vorbeugung richtet sich gegen Anspruch 1 des Patents in der erteilten Fassung und hätte daher bereits im Einspruchsverfahren vorgebracht werden können und müssen. Entsprechend stellt dieser Einwand entgegen der Behauptung der Beschwerdeführerin keine unmittelbare Reaktion auf Punkt 11.6.4 der angefochtenen Entscheidung dar. Die Kammer hat daher in Ausübung ihres Ermessens gemäß Artikel 12 (4), zweiter Satz, VOBK 2020 entschieden, diesen Einwand nicht in das Beschwerdeverfahren zuzulassen (Artikel 12 (6), zweiter Satz, VOBK 2020).

3. Zulassung der auf Dokument D14 basierenden Argumentationslinie der Beschwerdeführerin im Rahmen der Erörterung der erfinderischen Tätigkeit des Anspruchs 1 des Hauptantrags

3.1 In der mündlichen Verhandlung trug die Beschwerdeführerin unter Bezugnahme auf spezifische Textpassagen des Dokuments D14 vor, dass die Auswahl des beanspruchten Verabreichungszeitraums auf dem allgemeinen Fachwissen im Bereich der Pharmakokinetik parenteral verabreichter Fettsäuren beruhe.

3.2 Ein derartiger Vortrag findet sich auf der von der Beschwerdeführerin in diesem Zusammenhang zitierten Textpassage auf Seite 23, Absatz 2 der Beschwerdebegründung nicht. Wie die Beschwerdegegnerin zutreffend ausgeführt hat, beinhaltet diese Passage lediglich die pauschale Aussage, dass der beanspruchte Verabreichungszeitraum eine rein willkürliche Auswahl aus einer Fülle möglicher Lösungen sei.

3.3 Folglich stellt die auf Dokument D14 basierende Argumentationslinie der Beschwerdeführerin eine neue, erstmals in der mündlichen Verhandlung vorgetragene Angriffslinie der Beschwerdeführerin und damit eine Änderung ihres Beschwerdevorbringens im Sinne des Artikels 13 (2) VOBK 2020 dar.

3.4 Für die Zulassung dieser Änderung hat die Beschwerdeführerin indes keine außergewöhnlichen Umstände im Sinne des Artikels 13 (2) VOBK 2020 geltend gemacht.

3.5 Die Kammer hat daher in Ausübung ihres Ermessens gemäß Artikel 13 (2) VOBK 2020 entschieden, die auf Dokument D14 basierende Argumentationslinie der Beschwerdeführerin nicht in das Beschwerdeverfahren zuzulassen.

Hauptantrag (Patent in der erteilten Fassung)

4. Auslegung des Anspruchs 1

4.1 Nach ständiger Rechtsprechung liest die Fachperson

einen Patentanspruch mit der Bereitschaft, diesen auf

technisch sinnvolle Weise zu verstehen. Ebenso unumstritten ist in der Rechtsprechung, dass den in einem Patentanspruch verwendeten Begriffen ihre normale Bedeutung im betreffenden Fachgebiet zu geben ist. In der Rechtsprechung ist es hingegen streitig, ob und inwieweit bei der Auslegung eines Patentanspruchs auf die Beschreibung zurückzugreifen ist. Nach einer ersten Meinung in der Rechtsprechung kommt dies nur dann in Betracht, wenn der Wortlaut des betreffenden Patentanspruchs mehrdeutig ist. Nach einer zweiten Meinung in der Rechtsprechung ist dagegen Artikel 69 EPÜ auf die Auslegung der Ansprüche anwendbar, so dass die Auslegung stets im Lichte der Beschreibung zu erfolgen hat (siehe z.B. T 367/20, Punkte 1.3.3 bis 1.3.6 der Entscheidungsgründe; T 1473/19, Punkte 3.1 bis 3.15 der Entscheidungsgründe).

4.2 Im vorliegenden Fall braucht die Kammer zu dieser Frage nicht Stellung zu beziehen. Die Kammer ist nämlich zu dem Ergebnis gekommen, dass einige Merkmale des Anspruchs 1 des Hauptantrags für die Fachperson mehrdeutig sind und aus diesem Grunde ein Zurückgreifen auf die Beschreibung in jedem Fall zulässig und geboten ist. Andere Merkmale des Anspruchs 1, bezüglich derer die Frage nach der korrekten Auslegung ebenfalls aufgeworfen worden ist, sind einer eindeutigen Interpretation zugänglich, die wiederum durch die Beschreibung bestätigt wird, so dass die Frage, ob die Beschreibung zu konsultieren ist, unbeantwortet bleiben kann.

Ersteres trifft für folgende Merkmale des Anspruchs 1 zu:

a) "Eicosapentaensäure (EPA) und Docosahexaensäure (DHA)"

Letzteres trifft hingegen für folgende Merkmale des Anspruchs 1 zu:

b) "wobei die Zusammensetzung dem Patienten erst 48 bis 24 Stunden vor Beginn eines Zyklus der Chemotherapie oder der Strahlentherapie zu verabreichen ist"

Zu a) - Technische Bedeutung des Merkmals "Eicosapentaensäure (EPA) und Docosahexaensäure (DHA)"

4.3 Die Beschwerdegegnerin hat die Auffassung vertreten, dass die Begriffe "Eicosapentaensäure (EPA)" und "Docosahexaensäure (DHA)" keine klar umgrenzte technische Bedeutung auf dem technischen Gebiet der vorliegenden Erfindung haben.

4.4 Zur Stützung ihrer Aussage hat die Beschwerdegegnerin auf die vorveröffentlichten Patentdruckschriften D8 und D9 verwiesen. Diese Dokumente liegen unstreitig auf dem gleichen Fachgebiet wie das Patent.

4.4.1 Dokument D8 beschreibt die Verwendung von Fettsäuren zur Minimierung von Nebenwirkungen von Chemotherapien und Strahlentherapien sowie zur Verbesserung der Wirksamkeit dieser Therapien (vgl. Absätze [0004], [0010]). Laut Anspruch 1 dieses Dokuments sind die Fettsäuren aus konzentriertem Fischöl gewonnen und enthalten Omega-3-Fettsäuren in einer Menge von mindestens 50% bezogen auf das Gesamtvolumen, wobei EPA mindestens 30% dieser Omega-3-Fettsäuren und DHA mindestens 10% dieser Omega-3-Fettsäuren ausmachen.

4.4.2 Dokument D9 ist ebenfalls auf die Verwendung von Fettsäuren zur Behandlung und Vorbeugung von durch die Chemotherapie hervorgerufenen Nebenwirkungen gerichtet (siehe Anspruch 1). Laut Anspruch 2 schließen diese Fettsäuren EPA und DHA mit ein.

4.5 Somit werden in Anspruch 1 des Dokuments D8, in Anspruch 2 des Dokuments D9 und in Anspruch 1 des Patents gleichermaßen die Begriffe "EPA" und "DHA" verwendet.

4.6 Aus den Beschreibungen der Dokumente D8 und D9 geht allerdings hervor, dass die in Anspruch 1 bzw. Anspruch 2 verwendeten Begriffe EPA und DHA nicht notwendigerweise als EPA und DHA in Form ihrer freien Säuren zu verstehen sind.

4.6.1 So erwähnt Dokument D8 in Absatz [0049], dass die Erfindung eine physikalische Mischung eines konzentrierten Fischöls reich an Omega-3-Fettsäuren sein kann. Dass Omega-3-Fettsäuren in Fischöl nicht als Säuren sondern als Triglyceride vorliegen, ist allgemein bekannt und von keiner der Verfahrensbeteiligten bestritten worden (siehe Punkt 11.4.2 der angefochtenen Entscheidung).

4.6.2 Dokument D9 offenbart auf dem die Seiten 5 und 6 übergreifenden Absatz, dass die erfindungsgemäßen Fettsäuren u.a. als freie Fettsäuren, Ester (z.B. Triglyceride) und Salze verabreicht werden können. Diese Aussage steht im Einklang mit den erfindungsgemäßen Beispielen 8, C und D. So lehrt Beispiel 8, dass es sich bei den erfindungsgemäßen Fettsäuren nicht nur um die freien Säuren an sich, sondern auch um die Triglyceride oder andere Ester handeln kann. Beispiele C und D beschreiben die medizinische Behandlung von Krebspatienten mit einem Lithiumsalz der Gammalinolensäure bzw. mit einem Triglycerid der Eicosapentaensäure.

4.7 Die Beschwerdeführerin trug vor, dass die Dokumente D8 und D9 die Begriffe "EPA" und "DHA" in einem bestimmten Kontext offenbarten. So verwende Dokument D8 die Begriffe EPA und DHA im Zusammenhang mit fischölhaltigen Zubereitungen. Dokument D9, wiederum, gebe an, dass die Bezeichnungen "EPA" und "DHA" die freien Fettsäuren, Triglyceride und andere Ester mit einschließen. Anspruch 1 des Patents hingegen nenne ausschließlich die Begriffe "EPA" und "DHA". Wie sich jeglicher chemischen Enzyklopädie entnehmen ließe, seien EPA und DHA eindeutige chemische Bezeichnungen für organische Verbindungen mit der funktionellen Gruppe COOH, gekennzeichnet durch folgende Strukturformeln:

FORMEL/TABELLE/GRAPHIK

4.8 Diese Argumentation überzeugt die Kammer nicht. Es steht außer Frage, dass diese Strukturformeln EPA und DHA in Form ihrer freien Säuren abbilden, und dass dies allgemeines Fachwissen ist. Gleichwohl umfasst Anspruch 1 diese Strukturformeln nicht und definiert auch sonst die Begriffe "Eicosapentaensäure (EPA)" und "Docosahexaensäure (DHA)" nicht näher.

4.9 Zusammenfassend ist demnach festzuhalten, dass die in Anspruch 1 verwendeten Begriffe "Eicosapentaensäure (EPA)" und "Docosahexaensäue (DHA)" auf dem Fachgebiet der beanspruchten Erfindung mehrdeutig sind.

4.10 Entsprechend ist die Beschreibung des Patents zur Auslegung dieser Begriffe heranziehen. Relevant sind prima facie in diesem Zusammenhang die Absätze [0033] und [0034], welche den Begriffen "Eicosapentaensäure (EPA)" bzw. "Docosahexaensäure (DHA)" die Bedeutung der freien Säuren zuordnen. Beim weiteren Lesen der Beschreibung würde die Fachperson allerdings feststellen, dass die vorgenannten Begriffe auch in Zusammenhang mit Triglyceriden verwendet werden. So lehrt Absatz [0131], dass die Emulsion Omegaven®, welche laut Absatz [0095] die am meisten bevorzugte Ausführungsform des beanspruchten Gegenstands ist, ein hochaufgereinigtes Fischöl ist, das u.a. "Eicosapentaensäure (EPA)" und "Docosahexaensäure (DHA)" enthält.

4.11 Wie oben unter Punkt 4.6.1 ausgeführt, ist der Fachperson bekannt, dass Fischöl EPA und DHA nicht als freie Säuren sondern in Form von Triglyceriden enthält. Dementsprechend würde sie aus den obigen Passagen der Beschreibung ableiten, dass die Begriffe "Eicosapentaensäure (EPA)" und "Docosahexaensäure (DHA)" in Anspruch 1 nicht ausschließlich als auf die freien Säuren von EPA und DHA gerichtet zu verstehen sind, sondern auch EPA bzw. DHA in Form von Derivaten - wie beispielsweise Triglycerid-Ester - umfassen.

4.12 Zudem würde sie feststellen, dass diese Auslegung im Einklang mit den Lehren der Dokumente D8 und D9 steht.

4.13 Infolgedessen würde die Fachperson das anspruchsgemäße Merkmal "Eicosapentaensäure (EPA) und Docosahexaensäure (DHA)" als nicht auf die freien Säuren beschränkt verstehen.

Zu b) - Technische Bedeutung des anspruchsgemäßen Merkmals "wobei die Zusammensetzung dem Patienten erst 48 bis 24 Stunden vor Beginn eines Zyklus der Chemotherapie oder der Strahlentherapie parenteral zu verabreichen ist"

4.14 Für die Kammer bestehen keine Zweifel, dass das Adverb "erst" im Kontext dieses strittigen Merkmals eindeutig im Sinne von "nicht früher als" zu verstehen ist, und Anspruch 1 somit eine weitere parenterale Gabe der anspruchsgemäßen Zusammensetzung vor dem genannten Zeitraum von 48 bis 24 Stunden vor Beginn eines Zyklus der Chemotherapie oder der Strahlentherapie ausschließt. Dementsprechend bedarf es auch keiner Auslegung dieses Merkmals im Lichte der Beschreibung und der Zeichnungen des Patents.

4.15 Selbst wenn die Beschreibung zu diesem Zwecke herangezogen würde, würde diese die von der Kammer vorgenommene Auslegung des Adverbs "erst" bestätigen. So wird in Absatz [0083] des Patents der Verabreichungszeitraum von 48 bis 24 Stunden vor Beginn eines Zyklus der Chemotherapie oder der Strahlentherapie als ganz besonders bevorzugt gegenüber längeren Verabreichungszeiträumen von 96 bis 24 Stunden bzw. von 72 bis 24 Stunden vor dem Beginn eines solchen Zyklus offenbart. Daraus ergibt sich eindeutig, dass der genannte Verabreichungszeitraum von 48 bis 24 Stunden vor Beginn eines Zyklus der Chemotherapie oder der Strahlentherapie eine frühere Verabreichung der Zusammensetzung ausschließt.

5. Ausführbarkeit der beanspruchten Erfindung (Artikel 100(b) EPÜ)

5.1 Nach der ständigen Rechtsprechung der Beschwerdekammern setzt ein erfolgreicher Einwand unzureichender Offenbarung ernsthafte und durch nachprüfbare Tatsachen

erhärtete Zweifel voraus. Die Beweislast für die Feststellung einer unzureichenden Offenbarung in Inter-partes-Verfahren liegt zunächst bei der Einsprechenden, die nachweisen muss, dass nach Abwägen der Wahrscheinlichkeit ein fachkundiger Leser des Patents anhand seines allgemeinen Fachwissens nicht in der Lage wäre, die Erfindung auszuführen. Hat die Einsprechende ihrer Beweislast genügt, so trägt die Patentinhaberin, die die so überzeugend belegten Tatsachen durch Gegenargumente zu entkräften versucht, für diese die Beweislast (siehe Rechtsprechung der Beschwerdekammern, 10. Auflage, 2022, II.C.9).

5.2 Vorliegend sind die von der Beschwerdeführerin vorgelegten Fakten und Argumente nicht geeignet, begründete Zweifel an der Ausführbarkeit der beanspruchten Erfindung wecken zu können. Die Gründe sind wie folgt.

Einwand der mangelnden Plausibilität der beanspruchten therapeutischen Wirkungen

5.3 Anspruch 1 ist als zweckgebundener Erzeugnisanspruch gemäß Artikel 54 (5) EPÜ formuliert. Nach der ständigen Rechtsprechung der Beschwerdekammern wird die Erzielung der beanspruchten therapeutischen Wirkung als funktionelles technisches Merkmal eines solchen Anspruchs angesehen. Um dem Erfordernis der ausreichenden Offenbarung gerecht zu werden, muss die therapeutische Wirksamkeit der Zusammensetzung für die beanspruchte therapeutische Indikation plausibel gemacht werden.

5.4 Der Beschwerdeführerin zufolge wird das Patent diesem Erfordernis nicht gerecht. Sie argumentierte, dass die in den Beispielen 5 und 8 des Patents vorgetragenen Ergebnisse (siehe Absätze [0139] und [0143]) sowie Absätze [0161] und [0163]) lediglich pauschale, nicht qualifizierte Aussagen seien. Diese gäben nur ein Zufallsbild und könnten somit nicht als Nachweis für einen naturwissenschaftlich relevanten, technischen Effekt dienen. Zudem seien die in den Beispielen 5 bis 8 des Patents beschriebenen Experimente mangels Angabe der Stichprobenzahlen unzureichend spezifiziert.

5.5 Die Kammer stellt indes fest, dass die Beispiele 5 und 8 des Patents (i.e. Beispiele 5 und 8 der Anmeldung) ausführlich und detailliert über In-vivo-Studien berichten, welche den Einfluss einer anspruchsgemäßen, intravenös verabreichten Fischöl-Emulsion enthaltend EPA und DHA in Form von Triglyceridestern (Omegaven®) auf die Wirksamkeit und die Nebenwirkungen einer Chemotherapie (Beispiel 5) bzw. einer Strahlentherapie (Beispiel 8) in einem Mausmodell des humanen kolorektalen Karzinoms untersuchen. Laut den Absätzen [0139], [0143], [0161] und [0163] des Patents zeigt sich, dass die mit Omegaven® anspruchsgemäß behandelten Tiere ein geringeres mittleres Tumorvolumen sowie weniger ausgeprägte, chemo- bzw. strahlentherapieinduzierte Nebenwirkungen aufweisen als eine mit einer intravenösen Sojaöl-Emulsion (Lipovenös®) behandelte Kontrollgruppe.

5.6 Darüber hinaus beschreibt das Patent bzw. die Anmeldung in den Beispielen 6 und 7 Zellkulturversuche, in denen verschiedene Karzinomzelllinien zunächst zwei Tage in einem Medium enthaltend 0 µM, 20 µM, 50 µM oder 100 µM DHA bzw. EPA kultiviert werden und sodann mit einer einzelnen Strahlendosis von 0 Gy (Kontrolle), 2 Gy, 4 Gy und 6 Gy bestrahlt werden. Anschließend wird die überlebende Zellfraktion in Bezug auf die unbehandelten Kontrollen bestimmt. Die Abbildungen 4A und 4B zeigen, dass alle in Beispiel 6 untersuchten EPA- und DHA-Konzentrationen mit Ausnahme von 20 µM DHA die krebszellentötende Wirkung der jeweilig eingesetzten Strahlendosis verstärken.

5.7 Die Kammer pflichtet der Beschwerdeführerin dahingehend bei, dass die Versuchsergebnisse der Beispiele 5 und 8 nicht durch experimentelle Daten gestützt sind und dass die Stichprobengrößen nicht angegeben werden. Gleichwohl genügen diese Fakten ohne weitere Begründung nicht, um Zweifel hinsichtlich der Eignung der anspruchsgemäßen Zusammensetzungen für die beanspruchten medizinischen Indikationen aufkommen zu lassen.

5.8 Auch die weiteren Kritikpunkte der Beschwerdeführerin an dem Offenbarungsgehalt der Beispiele 6 und 7 und den Abbildungen 4A und 4B des Patents bzw. der Anmeldung (siehe oben unter Punkt VIII.e)) überzeugen nicht. Die Gründe sind wie folgt.

5.8.1 Die Beschwerdeführerin trug u.a. vor, dass unklar sei, in welcher Form EPA und DHA in diesen Beispielen getestet worden seien. Gleichzeitig verwies sie in der mündlichen Verhandlung auf die Abbildungen 4A und 4B als Beleg für eine zytotoxische Wirkung von EPA und DHA in Form ihrer freien Säuren. Insofern ist dieses Argument nicht schlüssig.

5.8.2 Richtig hingegen ist die Aussage der Beschwerdeführerin, dass EPA und DHA in den Beispielen 6 und 7 einzeln getestet worden sind. Gleichwohl sieht die Kammer in Ermangelung eines substantiierten Vortrags seitens der Beschwerdeführerin keinen Grund, die Übertragbarkeit der in den Abbildungen 4A und 4B gezeigten Daten auf Kombinationen aus EPA und DHA in Frage zu stellen.

5.8.3 Hinsichtlich der in den Abbildungen 4A und 4B des Patents dargestellten Versuchsergebnisse (siehe oben unter Punkt VIII.e)i) und iii)), stellt die Kammer weder die Signifikanz der abgebildeten Fehlerbalken noch die von der Beschwerdeführerin festgestellte geringere Zytotoxizität von mit 20 µM DHA vorbehandelten und mit 2 Gy bestrahlten Krebszellen im Vergleich zu unbehandelten, ebenfalls mit 2 Gy bestrahlten Krebszellen in Abrede. Dies ändert jedoch nichts an der Tatsache, dass bei einer Gesamtbetrachtung dieser Abbildungen ein deutlicher Trend zu einer EPA- bzw. DHA-induzierten Verbesserung der zytotoxischen Wirkung der Strahlentherapie zu verzeichnen ist.

5.8.4 Bezüglich der unterschiedlichen Überlebensraten der unbehandelten Zellen in den Abbildungen 4A und 4B des Patents bzw. in der Abbildung 1 des Dokuments D12 (siehe oben unter Punkt VIII.e)ii)) hat die Beschwerdegegnerin in der mündlichen Verhandlung überzeugend dargelegt, dass diese Unterschiede der Tatsache geschuldet sind, dass die jeweils getesteten Zellen zwar der gleichen Zelllinie angehören, nicht aber exakt identisch sind.

5.9 Aus den vorstehenden Gründen kommt die Kammer daher zu dem Ergebnis, dass der Einwand der mangelnden Plausibilität der beanspruchten therapeutischen Wirkungen nicht begründet ist.

Einwand der mangelnden Ausführbarkeit beruhend auf dem Argument, dass EPA und DHA in Form ihrer freien Säuren giftig für gesunde Körperzellen seien

5.10 Unter Verweis auf die Dokumente D1 und D3 bis D5 trug die Beschwerdeführerin vor, dass die parenterale Gabe von EPA und DHA in Form ihrer freien Säuren für gesunde Körperzellen giftig sei.

5.11 Gleichwohl sind diese Dokumente nicht geeignet, diese Behauptung zu stützen. Die Gründe sind wie folgt.

Dokument D1

5.11.1 Zur Stütze ihrer Argumentation verwies die Beschwerdeführerin auf den die linke und die rechte Spalte der Seite 1961 übergreifende Absatz.

5.11.2 Dieser befasst sich allgemein mit Grenzwerten für freie Fettsäuren im Zusammenhang mit injizierbaren Fettemulsionen (siehe Überschrift) und nennt als Beispiel hierfür Fettemulsionen auf der Basis von Sojabohnenöl.

5.11.3 Darüber hinaus steht in diesem Absatz, dass sich der Pharmakopöe-Grenzwert für freie Fettsäuren von <= 0,07 mEq/g weitgehend auf Veränderungen in der Stabilität der in den Fettemulsionen befindlichen Triglyceride bezieht, aber auch auf einigen Bedenken hinsichtlich einer systemischen Toxizität beruht. So sei es bei Hunden nach einer parenteralen Verabreichung von aus hydrolysiertem Lecithin stammenden freien Fettsäuren zu Anomalien von Blut und Leber gekommen sei. Des Weiteren habe eine intravenöse Infusion von freien Fettsäuren in Kaninchen zu Lungenödemen und Atemschäden geführt (siehe Seite 1961, Spalte 1, vorletzte Zeile bis Spalte 2, Zeile 3).

5.11.4 Allerdings offenbart dieser Absatz weder EPA noch DHA, sondern spricht lediglich von "freien Fettsäuren" ("free fatty acids"). Unter diesem Begriff verbirgt sich eine Vielzahl von strukturell unterschiedlichen Fettsäuren. Beispielsweise enthält das in Dokument D1 erwähnte Sojabohnenöl an mengenmäßig wichtigsten langkettigen Fettsäuren Linolsäure (Omega-6 Fettsäure), Ölsäure (einfach ungesättigte Fettsäure), Palmitinsäure (gesättigte Fettsäure), Linolensäure (Omega-3 Fettsäure) und Stearinsäure (gesättigte Fettsäure).

5.11.5 Vor diesem Hintergrund lässt sich aus dem auf Seite 1961, die Spalten 1 und 2 übergreifenden Absatz des Dokuments D1 nicht ableiten, dass die darin beschriebene systemische Toxizität auch auf EPA und DHA zutrifft. Folglich ist dieser Absatz nicht geeignet, die von der Beschwerdeführerin behauptete Giftwirkung von EPA und DHA in Form ihrer freien Säuren zu belegen.

Dokumente D3 bis D5

5.11.6 Diese Dokumente sind ebenfalls nicht einschlägig. Dokumente D3 und D5 (siehe Überschriften) befassen sich mit der zytotoxischen Wirkung von Fettsäuren gegenüber Krebszellen. Dokument D4 (siehe Zusammenfassung) betrifft die Zytotoxizität anderer Fettsäuren (Ölsäure, Palmitinsäure).

5.12 In der mündlichen Verhandlung hat die Beschwerdeführerin zusätzlich auf die Dokumente D6 und D7 als Stütze für die angebliche Giftwirkung von EPA und DHA in Form ihrer freien Säuren verwiesen, ohne jedoch konkrete Fundstellen anzugeben. Dementsprechend ist dieser Vortrag mangels Substantiierung unberücksichtigt zu lassen.

5.13 Zusammenfassend ist demnach festzustellen, dass mangels Beleg für die angebliche Zytotoxizität von EPA und DHA in Form ihrer freien Säuren gegenüber gesunden Körperzellen der diesbezügliche Vortrag der Beschwerdeführerin keine ernsthaften Zweifel an der Ausführbarkeit der beanspruchten Erfindung begründen kann.

5.14 Dementsprechend kommt die Kammer zu dem Ergebnis, dass der Einspruchsgrund nach Artikel 100 b) EPÜ der Aufrechterhaltung des Patents in der erteilten Fassung nicht entgegensteht.

6. Erfinderische Tätigkeit (Artikel 100 a) EPÜ in Verbindung mit Artikel 56 EPÜ)

Nächstliegender Stand der Technik

6.1 Im Beschwerdeverfahren hat die Beschwerdeführerin ihre Argumentation auf Dokument D8 als nächstliegenden Stand der Technik aufgebaut. Die Kammer sieht keine Veranlassung hiervon abzuweichen.

6.2 Dokument D8 betrifft die Verwendung von

fischölhaltigen Nahrungsergänzungsmitteln, um die Nebenwirkungen von Chemotherapien und Strahlentherapien zu minimieren und die Wirkung dieser Therapien zu verbessern (siehe Absätze [0004], [0049]). Gemäß Anspruch 1 dieses Dokuments umfasst das Fischöl EPA in einer Mindestmenge von 30% des Gesamtvolumens und DHA in einer Mindestmenge von 10% des Gesamtvolumens. Die Gabe des fischölhaltigen Nahrungsergänzungsmittels beginnt vorzugsweise 14 bis 5 Tage vor der Krebstherapie und kann während der Therapie fortgesetzt werden (siehe Anspruch 8 des Dokuments D8). Das Nahrungsergänzungsmittel kann enteral oder parenteral verabreicht werden (siehe Anspruch 12 des Dokuments D8).

Unterschied(e) gegenüber Dokument D8

6.3 Es ist unstreitig, dass sich der Gegenstand des Anspruchs 1 von Dokument D8 mindestens dadurch unterscheidet, dass die anspruchsgemäße Zusammensetzung erst 48 bis 24 Stunden vor Beginn eines Zyklus der Chemotherapie oder der Strahlentherapie zu verabreichen ist.

Objektive technische Aufgabe und Lösung

6.4 Zugunsten der Beschwerdeführerin geht die Kammer davon aus, dass ausgehend von Dokument D8 die objektive technische Aufgabe in der Bereitstellung einer alternativen Therapie zur Verbesserung der Wirkung von Strahlen- und Chemotherapien bei gleichzeitiger Minderung der Nebenwirkungen zu sehen ist.

6.5 Als Lösung für diese Aufgabe wird eine Therapie gemäß Anspruch 1 vorgeschlagen.

6.6 Die Kammer hat keinen Grund zu bezweifeln, dass diese Aufgabe über die gesamte Breite des Anspruchs 1 gelöst ist. Das in diesem Zusammenhang schriftlich vorgetragene Argument der Beschwerdeführerin, wonach der im Patent für Omegaven® vermeintlich gezeigte Effekt im Hinblick auf Tabelle I des Dokuments D8 und des allgemeinen Fachwissens nicht über die gesamte Breite des Anspruchs 1 plausibel sei (siehe oben unter Punkt VIII.f), letzter Absatz), überzeugt nicht. Wie die Überschrift der Tabelle I des Dokuments D8 bereits deutlich macht, betrifft diese Tabelle ausschließlich enterale Zubereitungen. Zudem liegt seitens der Beschwerdeführerin kein Beleg für die behauptete Toxizität und Übersättigung nach parenteraler Gabe großer Mengen an EPA und DHA vor.

Naheliegen der vorgeschlagenen Lösung

6.7 Nach Überzeugung der Kammer legt Dokument D8 die gemäß Anspruch 1 vorgeschlagene Lösung nicht nahe.

6.8 Das Konzept der Vorbehandlung eines an Krebs erkrankten Patienten mit EPA- und DHA-haltigen Zusammensetzungen zur Minimierung von Nebenwirkungen bei Chemo- und Strahlentherapien und zur Verbesserung der Wirksamkeit dieser Therapien ist bereits aus Dokument D8 bekannt (siehe oben unter Punkt 6.2). Laut Anspruch 8 dieses Dokuments beginnt die Gabe solcher Mittel vorzugsweise 14 bis 5 Tage vor der Krebstherapie und kann während der Therapie fortgesetzt werden kann. Überdies gibt Dokument D8 in den Absätzen [0099] und [0164] (siehe Zeilen 1 bis 6 mit identischem Inhalt) die Anleitung, mit der Verabreichung des Nahrungsergänzungsmittels mindestens 1 Woche, vorzugsweise 2 Wochen, vor Beginn der eigentlichen Behandlung zu beginnen und diese Verabreichung während der gesamten Behandlungsdauer fortzusetzen. Ausweislich der ersten zwei Zeilen der Absätze [0099] und [0164] gilt diese Anleitung allgemein für alle in Dokument D8 als erfindungsgemäß beschriebenen Nahrungsergänzungsmittel. Hierzu gehören sowohl enteral als auch parenteral zu verabreichende Zusammensetzungen (siehe Anspruch 12 des Dokuments D8, der auf Anspruch 8 rückbezogen ist).

6.9 In Anbetracht dieser Lehre stimmt die Kammer mit der Beschwerdeführerin dahingehend überein, dass die in Dokument D8 vorgeschlagenen Verabreichungszeiträume den anspruchsgemäßen Verabreichungszeitraum umfassen.

6.10 Die daraus gezogene Schlussfolgerung der Beschwerdeführerin, Letzterer sei eine willkürliche Auswahl aus dem in Dokument D8 offenbarten Verabreichungszeitraum, teilt die Kammer indessen nicht. Aus den obig unter Punkt 6.8 genannten Anleitung des Dokuments D8 würde die Fachperson entnehmen, dass mit der parenteralen Gabe des EPA- und DHA-haltigen Nahrungsergänzungsmittels mindestens 5 Tage vor Beginn der eigentlichen Krebstherapie begonnen werden muss ("Vorbehandlung"), um die Nebenwirkungen von Chemotherapien und Strahlentherapien zu mindern und die Wirkung dieser Therapien zu verbessern. Anders ausgedrückt, Dokument D8 lehrt, dass es einer Vorbehandlungsdauer von mindestens 5 Tagen bedarf, damit diese therapeutischen Wirkungen eintreten können.

6.11 Ausgehend von dieser Lehre würde die Fachperson erwarten, dass eine Verkürzung der Vorbehandlungsdauer auf maximal 48 Stunden vor Beginn der eigentlichen Krebstherapie zu einem Verlust dieser therapeutischen Wirkungen führt. Entsprechend würde sie eine derartige Verkürzung nicht zur Lösung der ihr gestellten Aufgabe in Betracht ziehen, und somit nicht auf naheliegende Weise zu dem beanspruchten Gegenstand gelangen.

6.12 Der Vollständigkeit halber weist die Kammer darauf hin, dass die von der Beschwerdeführerin zitierte Textpassage in Absatz [0083] des Patents bzw. auf Seite 16, Absatz 2 der Anmeldung keine Stütze für die von der Beschwerdeführerin behauptete willkürliche Auswahl bilden kann, da sie nicht zum Stand der Technik im Sinne des Artikels 54 (2) EPÜ gehört.

Schlussfolgerung zur erfinderischen Tätigkeit des Hauptantrags

6.13 In Anbetracht der obigen Ausführungen gelangt die Kammer zu dem Ergebnis, dass der Einspruchsgrund nach Artikel 100 a) EPÜ in Verbindung mit Artikel 56 EPÜ der Aufrechterhaltung des Patents in der erteilten Fassung nicht entgegensteht.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

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