T 0528/20 () of 18.4.2023

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2023:T052820.20230418
Datum der Entscheidung: 18 April 2023
Aktenzeichen: T 0528/20
Anmeldenummer: 09737368.2
IPC-Klasse: B41J 3/407
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Beschichtungseinrichtung und zugehöriges Beschichtungs­verfahren
Name des Anmelders: Dürr Systems AG
Name des Einsprechenden: Eisenmann SE
SAMES KREMLIN
Kammer: 3.2.05
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 56
Schlagwörter: Erfinderische Tätigkeit (nein: Hauptantrag; ja: Hilfsantrag IVa)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
T 1841/11
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Sowohl die Patentinhaberin als auch die Einsprechende 2 haben eine Beschwerde gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung über die Fassung, in der das europäische Patent Nr. 2 337 688 (nachfolgend als

"das Patent" bezeichnet) aufrechterhalten werden kann, eingelegt.

II. Die Einspruchsabteilung war der Auffassung, dass der Gegenstand des Hauptantrags (Patent wie erteilt) den Erfordernissen von Artikel 123 (2) EPÜ nicht genüge und der Gegenstand der Hilfsanträge Ia und IIa nicht erfinderisch sei, dass aber der Gegenstand von Hilfsantrag IIIa den Erfordernissen des EPÜ genüge.

III. Von den von der Einspruchsabteilung berücksichtigten Dokumenten sind die folgenden entscheidungswesentlich:

D2 FR 2 862 563 A1 D4 EP 1 065 055 A1

E1 JP 2000-238254 A E3 EP 1 884 365 A1

E4 JP 6-121944 A E5 US 2008/0252671 A1

E11 JP 9-164706 A E18 US 6,592,203 B1

E19 US 2006/0103691 A1

Zusammen mit ihrer Beschwerdebegründung hat die beschwer­deführende Einsprechende 2 unter anderem erstmals die Druckschriften E27 (US 2007/0175175 A1) und E28 (WO 2007/002660 A1) eingereicht.

IV. Die mündliche Verhandlung vor der Beschwerdekammer fand am 18. April 2023 statt. Die verfahrensbeteiligte Ein­sprechende 1 war, wie mit dem am 12. April 2023 eingegangenen Schreiben angekündigt, nicht vertreten.

V. Am Ende der mündlichen Verhandlung nahm die Patent­inhaberin ihre Beschwerde sowie ihren Hauptantrag (Zurückweisung des Einspruchs) und die Hilfsanträge Ia und IIa zurück. Somit wurde der Hilfsantrag IIIa zum neuen Hauptantrag und der Hilfsantrag IVa zum ersten Hilfsantrag.

VI. Die Beschwerdeführerin (Einsprechende 2) beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents.

VII. Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte die Zurückweisung der Beschwerde (Hauptantrag) oder hilfsweise die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents gemäß einem der Hilfsanträge IVa bis IXa, eingereicht mit Schreiben vom 28. April 2020.

VIII. Die am Verfahren beteiligte Einsprechende 1 hat keine Anträge gestellt.

IX. Die unabhängigen Ansprüche 1 und 19 des Patents in der Fassung gemäß Hilfsantrag IIIa, von dem die Einspruchsabteilung der Auffassung war, dass sie den Erfordernissen des EPÜ entspreche (Hauptantrag), lauten wie folgt (für Anspruch 1 wurde die von der Kammer verwendete Merkmalskennzeichnung in eckigen Klammern eingefügt):

"1. [1] Beschichtungseinrichtung zur Beschichtung von Kraftfahrzeugkarosseriebauteilen [2] mit einem mehr­achsigen Roboter (3, 4), [3] an dessen mehrachsiger Roboterhand ein Applikationsgerät montiert ist, welches das Beschichtungsmittel appliziert, [3a] wobei der Roboter (3, 4) mehrere schwenkbare Roboterarme auf­weist, dadurch gekennzeichnet, dass [4] das Appli­kations­­gerät ein Druckkopf (8, 9) ist, [5] der das Beschichtungsmittel aus mehreren Beschichtungsmittel­düsen (12; 14.1-14.4; 16.1-16.6; 20; 29; 36; 44; 45) ausstößt, [6] die Beschichtungsmitteldüsen des Druck­kopfes (8, 9) gemeinsam mit einer Beschichtungs­mittel­zuleitung (31) verbunden sind, [7] über die das zu applizierende Beschichtungsmittel zugeführt wird,

und dass [8] der Druckkopf (8, 9) eine Flächenbe­schich­tungs­leistung von mindestens 1 m²/min aufweist,

wobei [9] das Beschichtungsmittel flüssiger Lack ist und Pigmente, Metallic-Flakes oder andere feste Lackbestandteile enthält,

wobei [10] die Beschichtungsmitteldüsen (12; 14.1-14.4; 16.1-16.6; 20; 29; 36; 44; 45) des Druckkopfs (8, 9) hinreichend groß sind, um den Lack mit den darin befindlichen festen Lackbestandteilen zu applizieren,

wobei [11] die gemeinsame Beschichtungsmittelzuleitung (31) von einem Farbwechsler gespeist wird, und

die Beschichtungseinrichtung durch zumindest eines der folgenden Merkmale gekennzeichnet ist, dass:

[12] - der Druckkopf (8, 9, 43) um eine Drehachse drehbar gelagert ist und sich während der Beschichtung dreht, und

[13] - der Druckkopf (8, 9, 43) verschieden große Beschichtungsmitteldüsen aufweist."

"19. Beschichtungsverfahren zur Beschichtung von Kraftfahrzeugkarosseriebauteilen, wobei das Beschichtungsmittel mit einem Druckkopf (8, 9) appliziert wird, der an der mehrachsigen Roboterhand eines mehrachsigen Roboters (3, 4) montiert ist und das Beschichtungsmittel aus mehreren Beschichtungs­mittel­düsen ausstößt, wobei der Roboter (3, 4) mehrere schwenk­bare Roboterarme aufweist, wobei die Beschich­tungsmitteldüsen des Druckkopfes (8, 9) gemeinsam mit einer Beschichtungsmittelzuleitung (31) verbunden sind, über die das zu applizierende Beschichtungsmittel zugeführt wird,

und wobei das Beschichtungsmittel von dem Druckkopf

(8, 9) mit einer Flächenbeschichtungsleistung von mindestens 1 m²/min appliziert wird,

wobei das Beschichtungsmittel flüssiger Lack ist und Pigmente, Metallic-Flakes oder andere feste Lackbestandteile enthält,

wobei die Beschichtungsmitteldüsen (12; 14.1-14.4; 16.1-16.6; 20; 29; 36; 44; 45) des Druckkopfs (8, 9) hinreichend groß sind, um den Lack mit den darin befindlichen festen Lackbestandteilen zu applizieren,

wobei die gemeinsame Beschichtungsmittelzuleitung (31) von einem Farbwechsler gespeist wird, und

das Beschichtungs­ver­fah­ren durch zumindest eines der folgenden Merkmale gekennzeichnet ist, dass:

- der Druckkopf (8, 9, 43) um eine Drehachse drehbar gelagert ist und sich während der Beschichtung dreht, und

- der Druckkopf (8, 9, 43) verschieden große Beschich­tungsmitteldüsen aufweist."

Die Ansprüche 1 und 19 des Hilfsantrags IVa unterscheiden sich von den Ansprüchen 1 und 19 des Hauptantrags im Wesentlichen dadurch, dass die Worte "und die Beschichtungs­einrichtung [bzw. das Beschichtungs­ver­fah­ren] durch zumindest eines der folgenden Merkmale gekennzeichnet ist, dass" durch das Wort "wobei" ersetzt wurden (Merkmale 12' bzw. 13').

X. Der für die Entscheidung relevante Vortrag der Parteien lässt sich wie folgt zusammenfassen:

a) Hauptantrag: erfinderische Tätigkeit, ausgehend von der Druckschrift E3

i) Beschwerdeführerin (Einsprechende 2)

Die Merkmale 12 und 13 seien Alternativen. Der Gegen­stand von Anspruch 1 sei nicht erfinderisch, wenn auch nur eines dieser Merkmale aus der Druck­schrift E3 bekannt sei oder vom Stand der Technik nahegelegt werde. Da das Patent kein technisches Problem offen­bare, das durch eines dieser Merkmale gelöst werde, könnten sie keine erfinderische Tätigkeit begründen. Aber selbst wenn die Merkmale 12 und 13 ein technisches Problem lösen sollten, stünden sie in keinem struk­tu­rellen oder funktionalen Zusammenhang mit den anderen Merkmalen von Anspruch 1.

Merkmal 12

Das Merkmal 12 gehe nicht über das Merkmal 3 hinaus.

Im Produktanspruch 1 sei das Merkmal 12 so zu verste­hen, dass der Druckkopf um eine Drehachse drehbar gelagert und geeignet sei, sich während der Beschich­tung zu drehen. Die von der Beschwerdegegnerin geltend gemachte Wirkung habe keine Entsprechung im Wortlaut des Merkmals. Absatz [0034] der Druckschrift E3 offen­bare, dass der Applikator­kopf in einem festen Abstand von der Ober­fläche S bewegt werden müsse. Unter diesen Umständen bedürfe es der ver­schie­denen Gelenk­achsen des Roboterarms, um die Ausrichtung und den Abstand des Kopfs gegenüber der zu beschich­tenden Fläche beizubehalten. Somit werde das Merkmal 12 umgesetzt. Merkmal 12 erwähne eine Drehachse, ohne zu erklären, um welche Achse es sich handle. Es könne sich also um eine der Gelenkachsen der Arme oder des Handgelenks des Roboters handeln. Die Veranlassung des Fachmanns, den Druckkopf während der Beschichtung zu drehen, ergebe sich aus der Tatsache, dass der Druckkopf so geführt werde, dass sein Abstand von der zu beschich­tenden Oberfläche S konstant bleibe, damit eine ein­heitliche Druckqualität erzielt werden könne. Selbst wenn man der Auffassung wäre, dass die Druckschrift E3 dies nicht offenbare, sei das Merkmal aus den Druckschriften D2, D4, E1, E4 und E5 sowie E27 und E28 bekannt.

Merkmal 13

Das Merkmal 13 verlange nur, dass Düsen unter­schied­licher Größe vorhanden seien. Dies habe aber keine technische Wirkung. Die objektive technische Aufgabe könne somit darin gesehen werden, eine andere Vertei­lung der Düsen zu finden. Allenfalls sei es mög­lich, unterschiedliche Durchsätze zu erreichen. Jeden­falls werde die Qualität der Beschichtung nicht zwangs­läufig verbes­sert. Es seien Anordnungen vorstell­bar, in denen die Qualität der Beschichtung sogar schlechter werde. Die bloße Tatsache, Düsen unterschied­licher Größe ein­zu­bauen, sei das Ergebnis einer will­kür­lichen Wahl des Fach­manns, die er insbesondere anhand der Dokumente E11, E18 und E19 durchaus in Betracht gezogen hätte. Dass diese Dokumente die Anwen­dung auf Papier­druck­maschinen betreffen, spiele keine Rolle, da Anspruch 1 jede Beschichtungs­vor­richtung abdecke, die ein Beschichtungsprodukt ver­spritze. Auch Tinte sei eine Farbe. Hätte der Fachmann angestrebt, unterschiedliche Durchsätze zu erreichen, hätte er als erstes unter­schied­liche Düsengrößen vorgesehen.

Auf eine Frage hin, ob die Möglichkeit der einzelnen Ansteuerung von Düsen, die in der Druck­schrift E3 offen­bart sei, es nicht bereits erlaube, die Menge des aufgebrachten Beschichtungsmittels lokal zu variieren, erklärte die Beschwerdeführerin, dass eine Düse ein Austrittsloch und einen elektromagnetischen Aktuator umfasse, der die Düse öffne oder schließe. Die Steue­rung der Düse sei unabhängig von ihrer Größe. Letztere lasse sich nicht steuern, sondern sei gegeben.

ii) Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin)

Um eine geschlossene Lack­schutz­schicht erzeugen zu können, werde der Druck­kopf in parallel zueinander verlaufenden Bahnen über ein Kfz-Karosserie­bauteil geführt. Diese Bahnen seien scharf voneinander abge­grenzt und dürften weder voneinander beabstandet sein, noch sich überlappen, weil das mensch­li­che Auge derartige Fehl­stel­len wahrnehme. Im Stand der Technik fahre der Roboter deshalb genau und entsprechend lang­sam die Bau­teile ab, was allerdings einer Flächen­beschich­tungs­leistung nach Merkmal 8 entgegen­stünde. Der Ein­wand, dass die geltend gemachten Wirkungen nicht im Patent offenbart seien, sei nicht stichhaltig, da gemäß der gefestigten Rechtsprechung nachträglich geltend gemachte Vorteile berücksichtigt werden können.

Die Merkmale 12 und 13 würden beide funktional mit dem Grundprinzip der Lackierung von Kfz-Karosseriebauteilen mittels paralleler Lackierbahnen zusammenhängen.

Merkmal 12

Das Merkmal 12 sei so auszulegen, dass der Druckkopf

als solcher um eine eigenständige Drehachse drehbar sei. Eine Hand­achse des Roboters selbst sei damit nicht gemeint, ebenso wenig wie eine Schwenkbewegung durch den Roboter­arm. Die Behauptung, dass sich der Druckkopf notwendigerweise während der Beschichtung drehe, sei unzutreffend. Die Druckschrift E3 offenbare weder mehrere schwenkbare Roboterarme, noch eine mehr­achsige Roboterhand, noch eine Drehung des Druckkopfs während der Beschichtung. Es sei durchaus üblich, Karosserien während einer Beschichtung relativ zum Roboter zu bewegen, oder einen Roboter während einer Beschichtung auf einer Schiene entlang der Karosserie zu bewegen. Somit sei es weder zwingend noch im Lichte der Druck­schrift E3 nahe­lie­gend, den Druckkopf während der Beschichtung zu drehen. Ein drehbar gelagerter Druck­kopf impliziere nicht, dass der Druckkopf während des Beschichtens gedreht werde. Es sei durchaus üblich, mit einem festen Anstellwinkel zu beschichten und nur für eine Neupositionierung den Anstell­winkel zu ändern. Es sei auch nicht richtig, dass auch ein nicht drehbar gelagerter Druckkopf drehbar gelagert wäre, wenn eine Roboter­basis oder ein schwenkbarer Roboterarm drehbar wäre. Die Figuren 2a und 2b der Druck­schrift E3 würden keine Drehung der Druckköpfe offenbaren. Durch Merkmal 12 werde eine Neupositio­nie­rung wie in der Fig. 2b der Druckschrift E3 überflüssig. Ausgehend von der Druck­schrift E3 liege es nicht nahe, den Druckkopf an einer mehr­achsigen Roboterhand drehbar lagernd zu montieren, um so den Druckkopf kontinuier­lich während des Beschichtens entlang einer gekrümmten Oberfläche verfahren zu lassen. Hierfür offenbare die Druckschrift E3 eigenständige Lösungen, nämlich die Verwendung eines "flexibles Substrats", das es ermögliche, die Düsenan­ord­nung zu verbie­gen, um sie relativ zu einer gekrümm­ten Oberfläche korrekt auszurichten. Auch die Fig. 2b der Druckschrift E3 lehre von einer mehrachsigen Roboterhand eines mehr­achsi­gen Roboters weg, da die zwei Druckköpfe die gekrümmte Oberfläche bereits korrekt abbilden würden. Die vom Merkmal 12 gelöste Aufgabe bestehe darin, das Lackieren von nicht recht­eckigen Flächen zu ermögli­chen. Das Drehen des Appli­kators während der Beschichtung erlaube es, die Breite der Lackbahn zu steuern: je mehr der Applikator ange­winkelt werde, umso breiter werde die Lackbahn. Dies werde vom Stand der Technik nicht nahegelegt.

Merkmal 13

Erfin­dungs­­gemäß umfasse der Druckkopf unter­schied­lich

große Düsen, sodass die nebeneinander verlau­fen­den Lackbahnen mit trapezförmigen Querschnit­ten herge­stellt würden und weder Lackfehlstellen noch sichtbare Überlappungen entstünden (vgl. Fig. 29 und die Absätze [0129] bis [0131] des Patents). Dies entspreche dem Merkmal 13. Der Einwand, dass nicht jede Anordnung verschieden großer Düsen notwendigerweise diese Wirkung habe, sei nicht relevant. Dass es vom Anspruch erfasste hypothetische Ausführungsformen gebe, die die Aufgabe nicht lösen, sei unwesentlich. Entscheidend sei, dass es eine erfindungsgemäße Ausführungsform gebe, die das Problem löse. Fig. 29 zeige eine solche Ausführungs­form. Deshalb sei es nicht nötig, die genaue Konfigu­ration der Düsen im Anspruch anzugeben, sofern der Anspruch sich vom Stand der Technik abgrenze. Die Variation der Menge des Beschich­tungs­mittels in Fig. 29 werde über eine Variation der Düsen­größe erzielt. Da das Beschichtungsmittel über eine gemeinsame Zuleitung zugeführt werde, lägen an den Düsen die gleichen Drücke vor. Die Menge des austretenden Mittels könne also nur über die Düsengröße variiert werden. Die Aufgabe, die Menge des aufgetragenen Beschichtungs­mittels lokal zu variieren, werde bereits durch die Druckschrift E3 gelöst, denn dort könnten die Düsen einzeln oder grup­pen­weise gesteuert werden. Somit seien verschieden große Düsen überflüssig. Die Druckschrift E3 stelle auf Flexi­bili­tät ab, wohingegen die Erfindung in sehr unflexibler Art und Weise stets aus allen Düsen permanent mit dem gleichen Durchsatz beschichte.

b) Hilfsantrag IVa: erfinderische Tätigkeit

i) Beschwerdeführerin (Einsprechende 2)

Während der mündlichen Verhandlung vor der Kammer erklärte die Beschwerdeführerin, dass sie nicht der Auffassung sei, dass der Gegenstand von Anspruch 1 einer erfinderischen Tätigkeit ermangle.

ii) Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin)

Der Gegenstand der unabhängigen Ansprüche des Hilfs­antrags IV sei erfinderisch. Der in der Mitteilung der Kammer zum Ausdruck gebrachten vorläufigen Meinung sei zuzustimmen.

Entscheidungsgründe

1. Auslegung des Merkmals 3 : "mehrachsige Roboterhand"

Der Begriff "mehrachsige Roboterhand" wird im Patent nicht definiert und ist daher gemäß seinem allgemeinen Wortsinn auszulegen. Unter einer "Roboterhand" wird zumeist das Endstück eines Roboterarms verstanden. Der Begriff "mehrachsig" bedeutet, dass der damit bezeich­nete Gegenstand mehrere Achsen aufweist. Der Begriff "Achse" ist mehrdeutig, bezeichnet im vorliegenden Kontext aber Achsen im Sinne von Dreh- oder Kippachsen. So verstanden, bezeichnet eine "mehrachsige Roboter­hand" das Endstück eines Roboterarms, das in der Lage ist, mehrere voneinander unabhängige Bewegungen um Achsen durchzuführen.

2. Hauptantrag: erfinderische Tätigkeit, ausgehend von der Druckschrift E3

In den Punkten 4.3 und 4.5 der angefochtenen Entschei­dung wurde festgestellt, dass der Gegenstand von Anspruch 1 des der Einspruchsabteilung vorliegenden Hilfs­antrags IIa zwar neu, aber nicht erfinderisch sei gegenüber der Offenbarung der Druckschrift E3. Diese Feststellung der Einspruchs­abteilung ist mit der Rück­nahme der Beschwerde der Patentinhaberin rechtskräftig geworden.

Anspruch 1 des nunmehrigen Hauptantrags unterscheidet sich von Anspruch 1 des besagten Hilfsantrags IIa dadurch, dass der Druckkopf um eine Drehachse drehbar gelagert ist und sich während der Beschichtung dreht (Merkmal 12) und/oder verschieden große Beschich­tungsmitteldüsen aufweist (Merkmal 13).

Die Beschwerdegegnerin hat eine synergistische Wirkung zwischen den Merkmalen 12 bzw. 13 und den anderen Unter­scheidungsmerkmalen 3, 3a, 8 und 11 geltend gemacht. Allerdings hat sie nicht glaubwürdig darge­legt, dass die Kombination der Unterscheidungsmerkmale zu einem Ergebnis führt, das über die Summe der einzelnen Beiträge hinausgeht (vgl. die Ausführungen zur "funktionalen Wechselwirkung" in "Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts", 10. Auflage, 2022, I.D.9.3.2). Daher untersucht die Kammer die Unterscheidungsmerkmale getrennt auf das Vorliegen einer erfinderischen Tätigkeit.

Es ist unbestritten, dass die Druckschrift E3 einen geeigneten Ausgangspunkt für die Prüfung der erfinde­rischen Tätigkeit darstellt.

Da Anspruch 1 die Merkmale 12 und 13 in einer und/oder-Kombination enthält (siehe dort die entsprechende Formulierung "... die Beschichtungseinrichtung durch zumindest eines der folgenden Merkmale gekennzeichnet ist ..."), sind sie getrennt zu untersuchen. Falls nur eines der Merkmale nicht erfinderisch sein sollte, gilt dies auch für den den Gegenstand von Anspruch 1 in seiner Gesamtheit.

2.1 Merkmal 12

Merkmal 12 verlangt, dass der Druckkopf um eine Dreh­achse drehbar gelagert ist und sich während der Beschich­tung dreht.

a) Auslegung

Das Merkmal 12 ist sehr allgemein formuliert. Die Not­wendigkeit einer Drehung des Druckkopfs als solchem um eine Achse des Druckkopfs lässt sich aus seinem Wort­laut nicht ableiten.

Die Tat­sache, dass die Drehung "während der Beschich­tung" statt­findet ist im Zusammenhang mit dem Produkt­anspruch 1 nur insofern relevant, als der Druckkopf geeignet sein muss, sich während der Beschichtung zu drehen, was bereits durch den ersten Teil des Merkmals 12 gewähr­leistet ist. Das Merkmal 12 geht somit über das Merkmal 3 nur insofern hinaus, als die Bewegung um die Achse des Roboters bzw. der Roboter­hand eine Dreh­bewegung sein muss.

b) Naheliegen angesichts der Offenbarung der Druckschrift E3

Die Beschwerdeführerin hat geltend gemacht, dass die Druckschrift E3 in Absatz [0034] lehre, dass der Auf­tragskopf in einer im Wesentlichen festen Entfernung von der Oberfläche S in einer Ebene parallel zur Oberfläche bewegt werden könne.

FORMEL/TABELLE/GRAPHIK

Bei der Beschichtung von konvexen Bauteilen, wie es Automobil­teile (erwähnt in Absatz [0001] der Druck­schrift E3) in der Regel sind, bedeute dies, dass der Druckkopf notwendigerweise eine Rotation um eine Dreh­achse des Roboterarms ausführe, wenn die Beschich­tung, wie in Absatz [0034] der Druckschrift E3 ausge­führt, unter einem rechten Winkel zur Oberfläche des Bauteils erfolgen soll.

Die Beschwerdegegnerin hat dem entgegengehalten, dass es sich dabei nicht um eine Rotation des Druckkopfes als solchem um eine Achse des Druckkopfes handle. Die Kammer teilt diese Auffassung. Allerdings ist festzu­stellen, dass das sehr allgemein formulierte Merkmal 12 dies auch nicht verlangt (siehe dazu Punkt 2.1 a)).

Es ist rechtskräftig, dass das Merkmal 3 keine erfinderische Tätigkeit begründen kann.

Da die Lehre der Druckschrift E3 den Fachmann dazu anleitet, den Druckkopf derart zu bewegen, dass er notwendigerweise eine Drehbewegung um eine Achse des Roboters bzw. des Roboterarms ausführt, kann auch das Merkmal 12, wie es von der Kammer ausgelegt wird, keine erfinderische Tätigkeit begründen.

2.2 Merkmal 13

Merkmal 13 verlangt, dass der Druckkopf verschieden große Beschichtungsmitteldüsen aufweist.

2.2.1 Offenbarung in der Druckschrift E3

Es ist unbestritten, dass die Druckschrift E3 das Merkmal 13 nicht offenbart.

2.2.2 Objektive technische Aufgabe

Das Patent offenbart keine besondere technische Wirkung des Merkmals 13. Absatz [0036] stellt das Merkmal als eine Möglichkeit dar, ohne einen damit verbundenen Vorteil zu nennen. Die Einspruchsabteilung hat sich in diesem Zusammenhang auf die Fig. 29 des Patents und die dazugehörigen Absätze [0130] und [0131] bezogen.

FORMEL/TABELLE/GRAPHIK

Dort ist offenbart, dass die äußeren Beschichtungs­mittel­düsen 75 weniger Beschichtungsmittel abgeben als die inneren, was zu einer trapezförmigen Schichtdicken­verteilung in einer Bahn und im Gesamtergebnis zu konstanten Schichtdicken führt. Die Einspruchsabteilung hat daraus abgeleitet, dass das Merkmal 13 die Aufgabe löst, die Lackschichtqualität von Fahrzeug­karosserieteilen in der Lackieranlage der Druckschrift E3 zu verbessern.

Für die Kammer ist nicht nachvollziehbar, wie die bloße Tatsache, dass der Druckkopf verschieden große Düsen aufweist, per se zu einer Verbesserung der Lackschicht­qualität führt. Darüber hinaus offenbaren weder die Fig. 29 des Patents noch die genann­ten Beschrei­bungs­teile explizit, dass verschieden große Düsen zum Einsatz kommen. Das Argument, dass dies notwendiger­weise der Fall sei, da an allen Düsen der Fig. 29 zwangs­läufig derselbe Druck anliege, manche dieser Düsen aber weniger Beschichtungsmittel abgeben, hat die Kammer nicht überzeugt, da auch bei Vorliegen einer gemein­samen Zuleitung im Sinne von Merkmal 6 der Druckabfall in den individu­el­len Zuleitungen zu den verschiedenen Düsen unter­schied­lich sein kann.

Dem Argument, dass die objektive technische Aufgabe nicht unbedingt dem Unterscheidungsmerkmal entsprechen müsse, bzw. dass die Aufgabe auf der Grundlage einer vom Anspruch umfassten spezifischen Ausführungsform (wie vorliegend jener der Fig. 29) formuliert werden könne, kann sich die Kammer nicht anschließen. Bei der Definition der objektiven technischen Aufgabe kann eine Wirkung nicht berücksichtigt werden, wenn nicht glaub­haft ist, dass das versprochene Ergebnis von allen möglichen Ausführungsformen erreicht wird (siehe dazu T 1841/11, Gründe 7.6, und die "Recht­spre­chung der Beschwerde­kammern des Europäischen Patentamts", 10. Auflage, 2022, I.D.4.1). Das bedeutet zum einen, dass alle für das Erreichen der geltend gemachten Wir­kung erforder­lichen Merkmale in den Anspruch aufge­nom­men werden müssen, und zum anderen, dass nur eine objektive technische Aufgabe in Betracht gezogen werden kann, die von den tatsächlich in den Anspruch aufge­nommenen Unter­schei­dungs­merkmalen gelöst wird.

Da die Verbesserung der Lackschichtqualität gemäß der Fig. 29 des Patents Merkmale voraussetzt, die nicht in den Anspruch 1 aufgenommen wurden (nämlich eine spezi­fische Anordnung der Düsen), kann diese Aufgabe vor­liegend nicht berücksichtigt werden.

Die Kammer ist zur Auffassung gelangt, dass der Fach­mann die Wirkung des Einsatzes von verschieden großen Beschichtungsmitteldüsen darin gesehen hätte, dass es möglich wird, die Menge des aufgetragenen Beschich­tungsmittels lokal zu variieren.

2.2.3 Naheliegen

Es stellt sich die Frage, ob der Fachmann, der von

der Druckschrift E3 ausging und sich die Aufgabe stellte, eine Möglichkeit zu finden, die Menge des aufgetragenen Beschichtungsmittel lokal zu variieren, ohne erfinderisches Zutun zum Merkmal 13 gelangt wäre.

Nach Auffassung der Kammer wurde dies nicht überzeugend dargelegt. Die Beschwerdeführerin hat behauptet, dass der Fachmann unterschiedlich große Düsen vorgesehen hätte, hat aber keinen Stand der Technik angeführt, der diese Behauptung belegen könnte. Die Druckschrift E3 selbst offenbart die Möglichkeit, die Menge des aufgetragenen Beschichtungsmittels lokal zu variieren, da die Zahl der aktivierten Düsen variiert werden kann. Es ist daher nicht offenkundig, dass der Fachmann ernsthaft in Betracht gezogen hätte, zusätzlich auch noch verschieden große Düsen vorzusehen.

Die Beschwerdeführerin hat die Kammer daher nicht überzeugt, dass das Merkmal 13 als solches für den Fachmann, der von der Druckschrift E3 ausging, nahelag.

2.3 Ergebnis zur erfinderischen Tätigkeit

Da die Alternative gemäß Merkmal 12 von der Druck­schrift E3 nahegelegt wird (siehe Punkt 2.1 b) oben), fehlt es dem Gegenstand von Anspruch 1 an der erfinderischen Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ).

Somit kann dem Hauptantrag nicht stattgegeben werden.

3. Hilfsantrag IVa: erfinderische Tätigkeit

Die unabhängigen Ansprüche des Hilfsantrags IVa unter­scheiden sich von jenen des Hauptantrags dadurch, dass die Merkmale 12 und 13 nicht durch die Konjunktion "und/oder" sondern durch die Konjunktion "und" verbun­den sind. Um den Gegenstand dieser Ansprüche nahezu­legen, müssen beide Merkmale nahegelegt sein. Aus dem zum Hauptantrag Gesagten geht hervor, dass die Kammer das Merkmal 13 als erfinderisch ansieht. Der Gegenstand der unabhängigen Ansprüche des Hilfsantrags IVa sind somit erfinderisch im Hinblick auf die Druckschrift E3.

Die Beschwerdeführerin erklärte während der mündlichen Verhandlung vor der Kammer, dass sie nicht der Auffas­sung sei, dass der Gegenstand der unabhängigen Ansprü­che des Hilfsantrags IVa einer erfinderischen Tätigkeit ermangle. Auch für die Kammer ist nicht ersichtlich, dass der im Verfahren befindliche Stand der Technik die erfinderische Tätigkeit des Gegen­stands von Hilfsantrag IVa in Frage stellen würde. Somit steht einer Aufrechterhaltung des Patents auf der Grundlage dieses Hilfsantrags nichts im Wege.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Angelegenheit wird an die Einspruchsabteilung zurückverwiesen mit der Anordnung, das Patent mit folgenden Unterlagen und einer anzupassenden Beschreibung aufrechtzuerhalten:

Patentansprüche 1 bis 22 gemäß Hilfsantrag IVa, eingereicht mit Schreiben vom 28. April 2020.

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