T 3022/19 () of 10.3.2023

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2023:T302219.20230310
Datum der Entscheidung: 10 März 2023
Aktenzeichen: T 3022/19
Anmeldenummer: 06725134.8
IPC-Klasse: B29C 45/04
B29C 45/16
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
Download und weitere Informationen:
Text der Entscheidung in DE (PDF, 699 KB)
Alle Dokumente zum Beschwerdeverfahren finden Sie im Register
Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Horizontalspritzgiessmaschine mit einer verfahrbaren Dreheinrichtung für Formen von Spritzgiesswerkzeugen
Name des Anmelders: KraussMaffei Technologies GmbH
Name des Einsprechenden: Foboha GmbH
Ferromatik Milacron Maschinenbau GmbH
Kammer: 3.2.05
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 54
European Patent Convention 1973 Art 56
European Patent Convention 1973 Art 87
European Patent Convention Art 88
Rules of procedure of the Boards of Appeal Art 12(1)
Rules of procedure of the Boards of Appeal Art 12(2)
Rules of procedure of the Boards of Appeal Art 12(4)
Rules of procedure of the Boards of Appeal 2020 Art 025(2)
European Patent Convention 1973 Art 100(a)
Schlagwörter: Priorität - Gültigkeit (nein)
Erfinderische Tätigkeit - Hauptantrag (nein)
Zulassung - Hilfsantrag (nein)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
G 0007/93
G 0002/98
T 0971/11
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerde der Patentinhaberin richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung vom 13. September 2019, das europäische Patent Nr. 1 934 033 zu widerrufen.

II. Der Einspruch war gegen das Streitpatent in vollem Umfang eingelegt worden und auf die Einspruchsgründe nach Artikel 100 a) EPÜ i.V.m. Artikel 54 EPÜ (fehlende Neuheit) und i.V.m. Artikel 56 EPÜ (mangelnde erfinderische Tätigkeit) und Artikel 100 c) EPÜ gestützt worden.

III. Es handelt sich um die zweite Beschwerde in dieser Sache. Nachdem das Patent von der Einspruchsabteilung in einer ersten Entscheidung vom 11. Februar 2015 wegen unzulässiger Erweiterung (Einspruchsgrund nach Artikel 100 c) EPÜ) widerrufen worden war, hob diese Kammer (in einer anderen Zusammensetzung) die Entscheidung auf und verwies die Angelegenheit zur weiteren Entscheidung zurück an die erste Instanz (Entscheidung T 734/15 vom 10. August 2017).

IV. In der nun angefochtenen Entscheidung hat die Einspruchsabteilung das Patent wegen fehlender erfinderischer Tätigkeit des Gegenstands des Anspruchs 1 widerrufen (Einspruchsgrund nach Artikel 100 a) EPÜ i.V.m. Artikel 56 EPÜ).

V. Die mündliche Verhandlung vor der Beschwerdekammer fand am 10. März 2023 statt.

VI. Anträge

Die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents in erteilter Fassung. Hilfsweise beantragte sie die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents in geänderter Fassung auf der Grundlage des in der mündlichen Verhandlung vom 5. Juli 2019 eingereichten Hilfsantrags.

Die Beschwerdegegnerinnen I und II (Einsprechende 1 und 2) beantragten die Zurückweisung der Beschwerde.

VII. In der vorliegenden Entscheidung wird auf folgende Dokumente Bezug genommen:

D1: WO 2005/077637 A1;

D2: WO 99/28108 A1;

D4: JP-A-62 60618;

D5: WO 01/10624 A1;

D6: DE 197 33 667 A1.

VIII. Der unabhängige Anspruch 1 des Patents lautet wie folgt (Merkmalsgliederung in eckigen Klammern wie im Einspruchsverfahren):

"[a] Horizontalspritzgießmaschine [b] mit einer feststehenden (2) und einer beweglichen Formaufspannplatte (3), [c] mit zwischen den beiden Formaufspannplatten (2, 3) verlaufenden Säulen (11a, 11 b, 12a, 12b), [d] mit einer zwischen den Formaufspannplatten (2, 3) angeordneten und mit ersten Antriebsmitteln (19, 20) parallel zur Maschinenlängsachse verschiebbaren Grundplatte (18), [e] auf der ein Drehteller (21) um eine vertikale Achse drehbar gelagert ist, [f] sowie mit einem auf dem Drehteller (21) befestigten Formhälftenträger (23) für Formhälften (24a, 25a) von Spritzgießwerkzeugen (24, 25), [g] wobei die Horizontalspritzgießmaschine ein Maschinenbelt [sic] aufweist und [h] wobei ein sich zwischen den oberen Säulen (11a, 11 b) erstreckendes und relativ zu diesen verschiebliches Joch (30) mit einer Ausnehmung vorgesehen ist, [i] dass auf der Oberseite des mittleren Formenträgers (23) ein Drehzapfen vorgesehen ist, [j] der drehbar in der Ausnehmung des Jochs (30) angeordnet ist, [k] und dass zu beiden Seiten des Drehzapfens zwischen dem Joch (30) und einer der beiden Formaufspannplatten (2, 3) weitere Antriebsmittel (32, 33) zum Verschieben des Jochs (30) relativ zu dieser Formaufspannplatte vorgesehen sind. [sic] dadurch gekennzeichnet, dass

[l] auf oder in dem Maschinenbett (1) Linearführungen (16, 17) vorgesehen sind, auf denen die Grundplatte (18) verschiebbar abgestützt ist, [m] wobei die Grundplatte (18) mit den unteren Säulen (12a, 12b) nicht in Verbindung steht, [n] so dass das gesamte Gewicht der Dreheinrichtung (21, 23) von den Säulen (12a, 12b) ferngehalten wird."

IX. Der unabhängige Anspruch 1 des Hilfsantrags wurde um folgendes Merkmal (erteilter Anspruch 2) ergänzt:

"dass es sich um eine Zwei-Platten-Horizontalspritz­gießmaschine handelt und dass zwischen der feststehenden Formaufspannplatte (2) und dem Joch (30) zwei hydraulische Stellantriebe (32, 33) links und rechts von dem Drehzapfen angeordnet sind."

X. Die Beschwerdeführerin hat im Wesentlichen Folgendes vorgetragen:

Gültigkeit der Priorität

Es stelle sich im Zusammenhang mit der Gültigkeit der Priorität für den Anspruch 1 des erteilten Patents nicht die Frage, ob feste Säulen offenbart seien, sondern ob im Prioritätsdokument Horizontalspritzgieß­maschinen offenbart seien, bei denen die Bewegung der Säulen unbeachtlich sei.

Hierzu müsse das Prioritätsdokument als Ganzes betrachtet werden. In der Beschreibung würden sowohl Zwei-Platten-Horizontalspritzgießmaschinen (Dokumente D4 und D5) mit mitbewegten Säulen als auch Drei-Platten-Horizontalspritzgießmaschinen (Dokumente D2 und D6) mit festen Säulen abgehandelt. Der auf Seite 1 des Prioritätsdokuments genannte Vorteil ausgehend von Dokument D5 treffe auf alle Spritzgießmaschinen zu. Dies sei dem Satz auf Seite 1, Zeilen 21 bis 24 des Prioritätsdokuments zu entnehmen, der lautet: "Dies ist insbesondere bei Zwei-Platten-Horizontalspritzgieß­maschinen von Bedeutung, da bei diesen die Säulen mitbewegt werden (...)". Auch die auf Seite 1, zweiter Absatz, bis Seite 2, erster Absatz, des Prioritäts­dokuments aufgeführten Nachteile seien unabhängig davon, ob es sich um eine Zwei- oder Drei-Platten-Horizontalspritzgießmaschine handle. Die auf Seite 3, dritter Absatz des Prioritätsdokuments genannte Aufgabe beschäftige sich ebenfalls mit Horizontalspritzgieß­maschinen im Allgemeinen. Gemäß dieser Aufgabe gehe es darum, eine Horizontalspritzgießmaschine anzugeben, die die Vorteile der gattungsgemäßen Horizontalspritzgieß­maschine beibehalte und bei der auf aufwendige Linearführungen auch bei großen Maschinen verzichtet werden könne. Es werde nicht zwischen einer Zwei- oder Drei-Platten-Horizontalspritzgießmaschine unterschieden. Dem Fachmann sei klar, dass die Bewegung der Säulen bei der Erfindung keine Rolle spiele.

Der Formulierungsversuch im Anspruch 1 des Prioritäts­dokuments orientiere sich an dem gattungsbildenden Stand der Technik, wie er im Dokument D5 offenbart sei. Die gemäß Aufgabe anzugebende Horizontalspritzgieß­maschine sei jedoch nicht auf eine solche gattungs­gemäße Horizontalspritzgießmaschine beschränkt.

Zwei-Platten-Horizontalspritzgießmaschinen seien nur beispielhaft genannt. So erwähne der letzte Absatz auf Seite 3 und der erste Absatz auf Seite 4 des Prioritätsdokuments lediglich allgemein Säulen ohne Beschränkung auf mitbewegte Säulen. Das Ausführungs­beispiel beschreibe an keiner Stelle, ob es sich um feste oder mitbewegte Säulen handle. Auf Seite 4, zweiter Absatz des Prioritätsdokuments werde explizit erwähnt, dass die Erfindung anhand eines Ausführungs­beispiels näher erläutert werden soll. Dieses Ausführungsbeispiel stelle keine Einschränkung dar. Die Offenbarung auf Seite 5 des Prioritäts­dokuments sei eine Weiterentwicklung des Jochs. Dem Fachmann sei bekannt, dass es sowohl Zwei-Platten- als auch Drei-Platten-Horizontalspritzgießmaschinen gebe. Die Erfindung könne identisch auf Drei-Platten-Horizontal­spritzgießmaschinen übertragen werden. Die Beschreibung enthalte das Konzept der Zwei-Platten-Horizontalspritz­gießmaschinen. Selbst wenn nicht mitbewegte Säulen nicht explizit erwähnt würden, so stelle dies ein übergeordnetes Konzept dar. Daher seien unter Berücksichtigung des Goldstandards Horizontal­spritzgieß­maschinen ohne eine Einschränkung auf mitbewegte Säulen unmittelbar und eindeutig im Prioritäts­dokument offenbart.

Neuheit und erfinderische Tätigkeit des Gegenstands des Anspruchs 1 des erteilten Patents gegenüber Dokument D1

Der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 sei neu und erfinderisch.

Wie bereits von der Einspruchsabteilung festgestellt worden sei, offenbare das Dokument D1 nicht das Merkmal k, zumindest nicht, dass der obere Koordinations­mechanismus zweiseitig angeordnet werden könne (siehe angefochtene Entscheidung, Gründe, Punkt 21).

Laut der Einspruchsabteilung sei im Dokument D1, Seite 12, Zeilen 19 bis 22, eine zweiseitige Koordinations­einrichtung offenbart. Für den Fachmann sei es laut der Argumentation der Einspruchsabteilung naheliegend, erstens eine obere Koordinationseinrichtung vorzusehen und zweites diese obere Koordinationseinrichtung zweiseitig anzuordnen (siehe angefochtene Entscheidung, Gründe, Punkt 22). Dies sei nicht zutreffend, da nicht klar sei, was mit "zweiseitig" zu verstehen sei, insbesondere auf welche Bezugsebene sich der Begriff beziehe. Ferner könnte mit einem "zweiseitigen Spindelantrieb" auch eine zweigeteilte Spindel gemeint sei.

Das Dokument D1 zeige in den Figuren 1 und 2 zwei verschiedene Ausführungsbeispiele. Im ersten Ausführungs­beispiel des Dokuments D1, das in der Figur 1 gezeigt sei, sei nicht unmittelbar und eindeutig erkennbar, ob es sich um einen ein- oder zweiseitigen Antrieb handle, da der hintere Antrieb verdeckt werde (siehe Dokument D1, Figur 1, Bezugszeichen 21). Im zweiten Ausführungsbeispiel des Dokuments D1 (siehe Dokument D1, Figur 2, Seite 19, Zeilen 21 bis 23, Seite 11, Zeilen 14 und 15, Seite 20, Zeilen 3 bis 5) seien eine untere und obere Führung offenbart. Allerdings gebe es keine näheren Angaben, wie der obere Antrieb ausgeführt sein solle. Dies könne nicht aus der Figur 1 des Dokuments D1 abgeleitet werden, da dort nur ein unterer Antrieb gezeigt sei. Für den Antrieb im zweiten Ausführungs­beispiel nach Figur 2 des Dokuments D1 gebe es mehrere Möglichkeiten. Es könnten unten und oben jeweils ein einseitiger Antrieb, unten und oben jeweils ein zweiseitiger Antrieb, oder unten ein zweiseitiger Antrieb und oben ein einseitiger Antrieb oder umgekehrt vorliegen. Eine Offenbarung hierzu finde sich nicht.

Die Figuren 5 bis 8 des Dokuments D1 zeigten eine Spritzgießvorrichtung nach einer weiteren Ausführungs­form mit einer anderer Lagerung/Abstützung gegenüber den Holmen als die Spritzgieß­vorrichtung der Figur 2 des Dokuments D1 (siehe Dokument D1, Seite 23, letzter Absatz bis Seite 25 unten). Im Gegensatz zu dem Ausführungs­beispiel nach der Figur 2 des Dokuments D1 erfolge die untere Lagerung der Mittelteile nicht über eine Basis 14, 15. Vielmehr würden im Ausführungs­beispiel nach den Figuren 5 bis 8 die Mittelteile eine untere und obere Traverse 48, 49 aufweisen, die über Lager 51 auf den Holmen 4 der Spritzgießmaschine längsverschiebbar gelagert seien. Die Mittelteile seien zusätzlich durch Linearlager 60 auf dem Maschinenbett der Spritzgieß­vorrichtung zwischen den Holmen abgestützt. Auf Grund dieser konstruktiven Unterschiede sei die Offenbarung der Figuren 5 bis 8 des Dokuments D1 zumindest nicht unmittelbar und eindeutig auf die Spritzgießvorrichtung der Figur 2 anwendbar.

Zulassung des Hilfsantrags

Der Hilfsantrag hätte von der Einspruchsabteilung zugelassen werden müssen, da er prima facie gewährbar sei. Der Einwand, dass der Hilfsantrag prima facie nicht gewährbar sei, beruhe auf zwei falschen Annahmen: Erstens, dass das Dokument D1 ein Dokument unter Artikel 54 (2) EPÜ sei, und zweitens, dass es sich bei der Spritzgießmaschine von Dokument D2 um eine Zwei-Platten-Horizontalspritzgießmaschine handle. In ihrer Begründung ging die Einspruchsabteilung von der Behauptung aus, dass das Dokument D2 bereits eine Zwei-Platten-Horizontalspritzgießmaschine zeige (siehe angefochtene Entscheidung, Gründe, Punkt 23). Figur 1 des Dokuments D2 zeige jedoch eine feststehende Formaufspannplatte 7.1 und eine bewegliche Formauf­spannplatte 7.2. Die Abstützplatte, an welcher die Enden der Holme befestigt seien, sei in der Figur nicht dargestellt. Der Fachmann würde aber erkennen, dass es sich hier um eine Drei-Platten-Horizontalspritzgieß­maschine handle.

XI. Der Vortrag der Beschwerdegegnerinnen I und II lässt sich folgendermaßen zusammenfassen:

Ungültiger Prioritätsanspruch

Die Verallgemeinerung des Gegenstands des erteilten Anspruchs 1 durch das Weglassen des Merkmals "mitbewegt" habe keine unmittelbare und eindeutige Grundlage im Prioritätsdokument. Das Prioritätsrecht sei daher hinsichtlich des Patentanspruchs 1 nicht wirksam in Anspruch genommen worden.

Das Prioritätsdokument definiere die Erfindung explizit mit Verweis auf Anspruch 1 des Prioritätsdokuments, in dem mitbewegte Säulen beansprucht würden (siehe Prioritätsdokument, Seite 1, erster Absatz; Seite 3, vierter Absatz). Hierdurch ergebe sich im Prioritäts­dokument eine unmittelbare und zwingende Kopplung des Erfindungsgegenstandes an Anspruch 1 mit all seinen Merkmalen. Unabhängig davon offenbare das Prioritäts­dokument bezüglich der Erfindung ausschließlich Horizontalspritzgieß­maschinen mit mitbewegten Säulen (siehe Prioritäts­dokument, Figur 1, Seite 4, letzter Absatz). Feste Säulen, also nicht "mitbewegte" Säulen, seien weder explizit noch implizit im Prioritätsdokument genannt.

Der Verweis der Beschwerdeführerin auf die auf Seite 3, dritter Absatz des Prioritätsdokuments genannte Aufgabenstellung beziehe sich nicht allgemein auf Horizontal­spritz­gießmaschinen, da die im Zusammenhang mit der Aufgabenstellung dort erwähnte gattungsgemäße Horizontalspritzgießmaschine mitbewegte Säulen aufweise (siehe Prioritätsdokument, Anspruch 1).

Dem Fachmann seien Horizontalspritzgießmaschinen mit nicht mitbewegten Säulen bekannt, welche auch im Stand der Technik des Prioritätsdokuments gewürdigt würden, was aber nichts an der Tatsache ändere, dass sich die gesamte Offenbarung der Erfindung im Prioritätsdokument ausschließlich auf Maschinen mit mitbewegten Säulen beziehe.

Auch dass sich laut der Beschwerdeführerin die Vor- und Nachteile nur "insbesondere" auf eine Horizontalspritz­gieß­maschine mit mitbewegten Säulen bezögen, ändere nichts an der Festlegung des Erfindungsgegenstandes. Eine Übertragung des für Zwei-Platten-Horizontalspritz­gießmaschinen offenbarten Konzepts auf Drei-Platten-Horizontalspritzgieß­maschinen möge für den Fachmann nahegelegt sein, sei aber dem Prioritätsdokument nicht unmittelbar und eindeutig entnehmbar. Der Fachmann könne die Offenbarung des Prioritätsdokuments nicht ergänzen durch Dinge, die dort nicht offenbart seien.

Mangelnde Neuheit und erfinderische Tätigkeit des Gegenstands des Anspruchs 1 des erteilten Patents gegenüber Dokument D1

Der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 sei weder neu noch erfinderisch gegenüber dem Dokument D1. Entgegen der Auffassung der Einspruchsabteilung (siehe angefochtene Entscheidung, Gründe, Punkt 21) offenbare das Dokument D1 auch das Merkmal, dass die weiteren Antriebsmittel zu beiden Seiten des Drehzapfens angeordnet seien. Figur 1 und Seite 17, Zeilen 3 bis 7 des Dokuments D1 offenbarten gemäß einer ersten Ausführungsform einen in der Nähe der Führungsschienen 11 wirkenden Spindelantrieb. Figur 2 und Seite 19, Zeilen 6 bis 10 des Dokuments D1 offenbarten ein zweites Ausführungsbeispiel, bei dem die Mittelteile unten wie in Figur 1 und oben mittels einer ersten und zweiten Traverse gelagert seien. Die Figuren 1 und 2 des Dokuments D1 seien betreffend den unteren Spindelantrieb deckungsgleich. Für den Fall des zweiten Ausführungs­beispiels werde auf Seite 10, Zeile 29 bis Seite 11, Zeile 8 des Dokuments D1 explizit beschrieben, dass "durch die zweiseitige Führung die Möglichkeit besteht, die Mittelteile sowohl unten als auch oben mit einem Koordinationsmechanismus zu versehen" (siehe Dokument D1, Seite 11, Zeilen 12 bis 15). Da das zweite Ausführungsbeispiel nach Figur 2 des Dokuments D1 auf die in Figur 1 des Dokuments D1 veranschaulichte erste Ausführungsform zurückgreife (siehe Dokument D1, Seite 18, Zeilen 17 bis 19), sei dies eine klare und unmittelbare Offenbarung, den in Figur 1 unten vorgesehenen Koordinationsmechanismus bei der Ausführungsform nach Figur 2 unten und oben vorzusehen.

Weitere Hinweise würden sich im Dokument D1 auf Seite 28, Zeilen 15 bis 18 und in den Figuren 5 bis 8 finden. Im dort offenbarten Ausführungsbeispiel sei der Koordinationsmechanismus links und rechts des Drehzapfens sowie oben und unten angeordnet. Diese Koordinationsmittel seien auch auf die Spritzgieß­vorrichtungen der Figuren 1 oder 2 des Dokuments D1 anwendbar, was explizit im Dokument D1, Seite 28, Zeilen 15 bis 18 offenbart sei.

Daher sei das Merkmal k nicht nur teilweise, sondern zur Gänze im Dokument D1 offenbart.

Sollte der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 aufgrund des Merkmals k neu sein gegenüber dem Dokument D1, so sei er durch den Hinweis auf Seite 28, Zeilen 15 bis 18 dieses Dokuments zumindest nahegelegt.

Zulassung des Hilfsantrags

Der Hilfsantrag sei erst während der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung und somit verspätet eingereicht worden. Dieser Hilfsantrag solle einem Einwand fehlender erfinderischer Tätigkeit begegnen, der von der Einspruchsabteilung bereits in ihrer vorläufigen Meinung mitgeteilt worden war, und auf den die Patentinhaberin entsprechend in ihrer Eingabe vor der mündlichen Verhandlung hätte reagieren können und müssen. Die Ermessensentscheidung der Einspruchs­abteilung, diesen Hilfsantrag nicht zuzulassen, entspreche der üblichen Praxis. In der Beschwerdebegründung finde sich außerdem kein Argument, warum der Antrag prima facie gewährbar sei. Die Tatsache, dass es sich bei der aus dem Dokument D2 bekannten Spritzgießvorrichtung um eine Drei-Plattenspritzgießvorrichtung handle, könne nicht zu einer prima facie Gewährbarkeit beitragen, da es - wie die Beschwerdeführerin selbst bei der Diskussion der Gültigkeit der Priorität argumentierte - nicht wesentlich sei, ob es sich bei der anspruchsgemäßen Vorrichtung um eine Zwei- oder Drei-Platten-Horizontalspritzgießmaschine handle. Daher dürfe der Hilfsantrag auch im Beschwerde­verfahren nicht zugelassen werden.

Entscheidungsgründe

1. Anzuwendendes Recht

1.1 Die dem Streitpatent zugrundeliegende Anmeldung wurde am 17. März 2006 eingereicht. Deshalb sind in diesem Fall gemäß dem Beschluss des Verwaltungsrats vom 28. Juni 2001 über die Übergangsbestimmungen nach Artikel 7 der Akte zur Revision des EPÜ vom 29. November 2000 (ABl. EPA 2007, Sonderausgabe Nr. 4, 219) die Artikel 54 (2), 56, 87, 100 EPÜ 1973 anzuwenden.

1.2 Die Beschwerde ist vor dem Inkrafttreten der revidierten Fassung der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern (VOBK 2020) am 1. Januar 2020 eingereicht worden. Diese ist für am Tag des Inkrafttretens bereits anhängige Beschwerden ebenso anwendbar wie für danach eingelegte Beschwerden (Artikel 25 (1) VOBK 2020).

Gemäß den in Artikel 25 (2) VOBK 2020 geregelten Übergangsbestimmungen ist Artikel 12 Absätze 4 bis 6 der revidierten Fassung nicht anzuwenden auf vor dem Inkrafttreten eingereichte Beschwerdebegründungen und darauf fristgerecht eingereichte Erwiderungen. Stattdessen ist weiterhin Artikel 12 Absatz 4 der vor dem Inkrafttreten geltenden Fassung der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern (VOBK 2007) anzuwenden.

2. Erteiltes Patent - Gültigkeit der Priorität von Anspruch 1

2.1 Gemäß Artikel 87 EPÜ 1973 genießt eine europäische Patentanmeldung die Priorität einer früheren Anmeldung nur dann, wenn sie sich auf "dieselbe Erfindung" bezieht. Das Erfordernis "derselben Erfindung" bedeutet, dass die Priorität einer früheren Anmeldung für einen Anspruch in einer europäischen Patent­anmeldung gemäß Artikel 88 EPÜ nur dann anzuerkennen ist, wenn der Fachmann den Gegenstand des Anspruchs unter Heranziehung des allgemeinen Fachwissens unmittelbar und eindeutig der früheren Anmeldung als Ganzes entnehmen kann ("Goldstandard-Offenbarungstest", siehe Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts, 10. Auflage, Juli 2022, "Rechtsprechung", II.D.3., 3.1.1; Stellungnahme der Großen Beschwerdekammer G 2/98).

2.2 Im Anspruch 1 des erteilten Patents ist das Merkmal "mitbewegt" im Zusammenhang mit den Säulen nicht enthalten. Daher ist die streitige Frage, ob das Prioritätsdokument im Rahmen der Erfindung auch Horizontal­spritzgieß­maschinen offenbart, bei denen die Säulen nicht mitbewegt werden.

2.3 Offenbarung im Prioritätsdokument

Es sind sowohl Horizontalspritzgießmaschinen mit festen als auch solche mit mitbewegten Säulen allgemein bekannt. Dies wird in dem im Prioritätsdokument zitierten Stand der Technik reflektiert. Dokumente D4 und D5 offenbaren Horizontalspritzgieß­maschinen mit mitbewegten Säulen, während Dokumente D2 und D6 solche mit festen Säulen offenbaren.

Es ist auch unstreitig, dass im Prioritätsdokument der Anspruch 1 auf eine Horizontalspritzgieß­maschine mit mitbewegten Säulen bezogen ist.

Das Prioritätsdokument erwähnt auf Seite 1, erster Absatz allgemein Horizontal­spritz­gießmaschinen, die sich jedoch auf Horizontalspritzgießmaschinen gemäß dem Oberbegriff von Anspruch 1 beziehen und somit mitbewegte Säulen beinhalten. Das gleiche Argument gilt für den dritten Absatz auf Seite 3 des Prioritäts­dokuments, wo die Aufgabe der Erfindung definiert wird. Der Erfindung liegt die Aufgabe zugrunde, "eine Horizontalspritzgießmaschine anzugeben, die die Vorteile der gattungsgemäßen Horizontalspritz­gießmaschinen beibehält und bei der auf aufwändige Linearführungen auch bei großen Maschinen verzichtet werden kann." Die gattungsgemäße Horizontal­spritzgießmaschine, also die nach dem Oberbegriff von Anspruch 1 der Prioritätsanmeldung, beinhaltet die mitbewegten Säulen.

Im Prioritätsdokument werden die Vor- und Nachteile der bekannten Lösung gemäß dem Dokument D5 insbesondere für Zwei-Platten-Horizontalspritzgieß­maschinen diskutiert (siehe Prioritätsdokument, Seite 1, Zeilen 20 bis 24; Seite 1, Zeile 28 bis Seite 2, Zeile 6). Dies ändert allerdings nichts an der Tatsache, dass im Zusammenhang mit der im Prioritäts­dokument offenbarten Erfindung lediglich Zwei-Platten-Horizontalspritzgieß­maschinen mit mitbewegten Säulen offenbart sind (siehe Prioritäts­dokument, Figur 1, Seite 4, dritter Absatz bis Seite 5, unten). Aus dem Satz auf Seite 4, zweiter Absatz des Prioritäts­dokuments, dass nachfolgend "die Erfindung anhand eines Ausführungsbeispiels und unter Bezugnahme auf die Figuren 1 bis 3 näher erläutert" wird, kann nicht gefolgert werden, dass auch andere als die Zwei-Platten-Horizontalspritzgieß­maschinen mit mitbewegten Säulen eindeutig offenbart sind. Dieses Ausführungs­beispiel zeigt in den Figuren 1 bis 3 eine Horizontalspritzgieß­maschine mit mitbewegten Säulen, auch wenn die Säulen in der zugehörigen Beschreibung nicht explizit als solche bezeichnet werden. Zusätzlich verweist der allgemeine Teil der Beschreibung explizit auf Anspruch 1 (siehe Prioritätsdokument, Seite 3, vierter Absatz): "Die Lösung dieser Aufgabe erfolgt durch eine Horizontalspritzgießmaschine gemäß Anspruch 1." Somit findet sich auch hier die Beschränkung auf Horizontal­spritzgießmaschinen mit mitbewegten Säulen.

2.4 Wesentlichkeit

In Zusammenhang mit dem Argument der Beschwerde­führerin, dass es für die Erfindung nicht wesentlich sei, ob es sich um feste oder um mitbewegte Säulen handle, weist die Kammer auf die Stellungnahme der Großen Beschwerdekammer G 2/98 hin. Dort wird im Punkt 9 der Entscheidungsgründe festgestellt, dass eine breite Auslegung des Begriffs "derselben Erfindung" in Artikel 87 (1) EPÜ 1973 unzweckmäßig und einer sinnvollen Ausübung von Prioritätsrechten nicht zuträglich ist. Daher ist das Kriterium der "Wesentlichkeit" hier nicht anwendbar, sondern das der unmittelbaren und eindeutigen Offenbarung in der Prioritätsanmeldung (siehe Punkt 2.1 oben, Rechtsprechung, II.D.3.1.2).

2.5 Wissen des Fachmanns

Da die Prioritätsanmeldung im Rahmen der Darstellung der Erfindung nicht explizit Horizontal­spritzgieß­maschinen ohne mitbewegte Säulen offenbart, beruft sich die Beschwerdeführerin auf den Fachmann, der klar erkennen würde, dass die Erfindung auch für feste Säulen anwendbar sei.

Unter Verweis auf die gängige Rechtsprechung betont die Kammer, dass die Zugrundelegung des allgemeinen Fachwissens lediglich zum besseren Verständnis und zur kontextuellen Einordnung der Bedeutung der technischen Offenbarung beitragen kann, nicht aber zur Vervoll­ständigung einer ansonsten unvollständigen technischen Lehre (siehe Rechtsprechung, II.D.3.1.4). Im vorliegenden Fall führt das Streichen des Merkmals "mitbewegte" aus dem Anspruchswortlaut dazu, dass nun auch feste Säulen von der Erfindung mitumfasst sind. Für den Fachmann mag es zwar naheliegend sein, die Erfindung auch auf Drei-Platten-Horizontalspritz­gießmaschinen zu übertragen, allerdings ermangelt es einer unmittelbaren und eindeutigen Offenbarung eines derartigen - wie die Beschwerdeführerin formuliert - übergeordneten Konzepts.

2.6 Da die Offenbarung der Prioritätsanmeldung im Rahmen der Erfindung keine Horizontalspritzgieß­maschinen mit festen Säulen nennt und auch keine diesbezügliche Bezugnahme enthält, sondern sich, ausgehend von der bekannten Horizontalspritzgießmaschine mit mitbewegten Säulen nach dem Dokument D5 und ihren Vorteilen, durchgehend auf eine Ausgestaltung mit mitbewegten Säulen bezieht, ist der Prioritätsanspruch für den Gegenstand des erteilten Anspruchs 1, der im Gegensatz zum Anspruch 1 der Prioritätsanmeldung das Merkmal der mitbewegten Säulen nicht aufweist, ungültig. Der für die Bestimmung des Standes der Technik relevante Zeitrang ist somit der Anmeldetag des Patents, also der 17. März 2006. Dies hat zur Folge, dass das Dokument D1 einen Stand der Technik gemäß Artikel 54 (2) EPÜ 1973 bildet.

3. Neuheit und erfinderische Tätigkeit des Gegenstands des Anspruchs 1 des erteilten Patents gegenüber Dokument D1 (Artikel 100 a) EPÜ 1973 in Verbindung mit Artikel 54 (1) und 56 EPÜ 1973)

3.1 Auslegung des Merkmals k, insbesondere des Begriffes "zu beiden Seiten des Drehzapfens"

Der Begriff "zu beiden Seiten des Drehzapfens" wird von der Kammer dahingehend ausgelegt, dass "zu beiden Seiten" bei einer Blickrichtung längs der Säulen "links" und "rechts" des Drehzapfens bedeutet. Im Dokument D1 würde dies einer Anordnung in x-Richtung entsprechen (siehe Dokument D1, Figur 1).

FORMEL/TABELLE/GRAPHIK

Figur 1 aus Dokument D1

3.2 Das Ausführungsbeispiel nach Figur 2 des Dokuments D1 kommt dem Gegenstand von Anspruch 1 am nächsten und offenbart unbestritten die Merkmale a bis j und l bis n. Die Mittelteile in Figur 2 des Dokuments D1 weisen unten je eine Halterung 10 in Form einer Basis 14, 15 auf, welche entlang von Führungsschienen 11 beweglich angeordnet sind. Die Mittelteile sind zusätzlich oben gelagert mittels einer ersten und einer zweiten oberen Traverse 31, 32 (siehe Dokument D1, Seite 15, Zeilen 23 bis 25; Seite 19, Zeilen 6 bis 10, Figur 2). Diese Traversen sind jedoch nicht mit Antriebsmitteln ausgestattet. Für die Behauptung der Beschwerdegegnerinnen, dass der in Figur 1 unten vorgesehenen Koordinationsmechanismus bei der Ausführungsform nach Figur 2 unten und oben vorzusehen sei, gibt es im Dokument D1 keine eindeutige Offenbarung. Der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 unterscheidet sich von dem Ausführungsbeispiel nach Figur 2 des Dokuments D1 also dadurch, dass zu beiden Seiten des Drehzapfens zwischen dem Joch (30) und einer der beiden Formaufspannplatten (2, 3) weitere Antriebsmittel (32, 33) zum Verschieben des Jochs (30) relativ zu dieser Formaufspannplatte vorgesehen sind (Merkmal k).

FORMEL/TABELLE/GRAPHIK

Figur 2 aus Dokument D1

3.3 Die Beschwerdegegnerinnen haben bezüglich des Merkmals k auch auf das Ausführungsbeispiel nach den Figuren 5 bis 8 des Dokuments D1 verwiesen. Dieses offenbart im Gegensatz zum Ausführungs­beispiel nach Figur 2 des Dokuments D1 eine Spritzgieß­vorrichtung, bei der jedes Mittelteil 6, 7 nicht nur eine obere Traverse 49 aufweist, sondern auch unten anstelle der Basis 14, 15 eine untere Traverse 48, die über Lager 51 auf den Holmen 4 der Spritzgießmaschine längsverschiebbar gelagert ist (siehe Dokument D1, Seite 24, Zeilen 12 bis 13, Figur 5). Die Spritzgieß­vorrichtung nach den Figuren 5 bis 8 des Dokuments D1 weist Koordinations­mittel 65 auf, die die Bewegung der beweglichen Teile koordinieren. Davon sind je zwei mit der feststehenden Formaufspannplatte 42, den oberen beiden Traversen 49 und der beweglichen Formaufspann­platte 43 und je zwei mit der feststehenden Formauf­spann­platte 42, den unteren beiden Traversen 48 und der beweglichen Formaufspannplatte 43 wirkverbunden (siehe Dokument D1, Seite 26, Zeilen 15 bis 20). Jedes der vier Koordinationsmittel 65 weist eine erste, eine zweite und eine dritte Spindel 67, 68, 69 auf, die miteinander in Wirkverbindung stehen (siehe Dokument D1, Seite 26, Zeilen 29 bis 30, Figur 7).

FORMEL/TABELLE/GRAPHIK

Figur 5 aus Dokument D1

FORMEL/TABELLE/GRAPHIK

Figur 7 aus Dokument D1 (Ansicht der Spritzgießvorrichtung von vorne)

Das Merkmal k, nämlich Antriebsmittel zu beiden Seiten des Drehzapfens zwischen dem Joch und einer der beiden Formaufspannplatten, ist daher für sich genommen im Ausführungsbeispiel nach den Figuren 5 bis 8 des Dokuments D1 offenbart.

Auf Seite 28, Zeilen 15 bis 18 des Dokuments D1 wird explizit offenbart, dass diese Koordinationsmittel auch für Spritzgießvorrichtungen 1 verwendet werden könnten, bei denen die Mittelteile eine andere Lagerung/Abstützung gegenüber den Holmen aufweisen: "Die beschriebenen Koordinationsmittel 65 können in geeigneter Weise auch mit Spritzgiessvorrichtungen 1 verwendet werden, bei denen die Mittelteile 6,7 eine andere Lagerung/Abstützung gegenüber den Holmen aufweisen. Der Mittelblock 73 kann zur Führung einer dritten Formhälfte, wie z. B. in Figur 2 gezeigt, verwendet werden."

Dieser Offenbarungsstelle lässt sich unmittelbar und eindeutig nur eine Übertragung der Koordinations­mittel 65 auf die Führung der dritten Formhälfte 19 nach Figur 2 des Dokuments D1 entnehmen, nicht aber auf die der drehbaren ersten und zweiten Mittelteile 6, 7, weshalb der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 nicht neuheitsschädlich vorweggenommen wird.

3.4 Folglich unterscheidet sich der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 von dem Ausführungsbeispiel nach Figur 2 des Dokuments D1 dadurch, dass zu beiden Seiten des Drehzapfens zwischen dem Joch (30) und einer der beiden Formaufspannplatten (2, 3) weitere Antriebsmittel (32, 33) zum Verschieben des Jochs (30) relativ zu dieser Formaufspannplatte vorgesehen sind (Merkmal k).

Zur Frage des Naheliegens dieses Unterscheidungs­merkmals ist festzustellen, dass dem Fachmann auf Seite 28, Zeilen 15 bis 18 des Dokuments D1 ausdrücklich vorgeschlagen wird, den aus dem Ausführungsbeispiel der Figuren 5 bis 8 bekannten Koordinations­mechanismus auch auf Mittelteile anzuwenden, die eine andere Lagerung/Abstützung gegenüber den Holmen aufweisen. Angesichts dieser Lehre musste der Fachmann nicht erfinderisch tätig werden, um die in den Figuren 5 bis 8 dargestellten Koordinationsmittel analog auch auf die Führung der drehbaren ersten und zweiten Mittelteile 6, 7 des Ausführungsbeispiels der Figur 2 des Dokuments D1 anzuwenden und so zum Gegenstand von Anspruch 1 zu gelangen.

3.5 Schlussfolgerung hinsichtlich erfinderischer Tätigkeit des Gegenstands des erteilten Anspruchs 1

Der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 ist nicht erfinderisch ausgehend vom Dokument D1 (Artikel 100 a) i.V.m. Artikel 56 EPÜ 1973).

4. Zulassung des Hilfsantrags

4.1 Anspruch 1 des Hilfsantrags ist eine Kombination der erteilten Ansprüche 1 und 2 und ist in der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung eingereicht worden. Der Hilfsantrag ist von der Einspruchs­abteilung nicht zugelassen worden, da er nach ihrer Auffassung bereits früher hätte eingereicht werden können und sollen, und da er prima facie nicht erfinderisch sei ausgehend vom Dokument D1 in Verbindung mit dem Dokument D2. Das Dokument D2 offenbare nämlich bereits eine Zwei-Platten-Horizontalspritz­gießmaschine (siehe angefochtene Entscheidung, Gründe, Punkte 21 und 23).

4.2 Der Hilfsantrag wurde mit der Beschwerdebegründung nochmals vorgebracht. Die Beschwerdeführerin beantragte in ihrer Beschwerde­begründung, den Hilfsantrag ins Beschwerdeverfahren zuzulassen. Entgegen der Auffassung der Einspruchs­abteilung beruhe der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hilfsantrags auf einer erfinderischen Tätigkeit und sei prima facie gewährbar, denn das Dokument D1 sei kein Stand der Technik nach Artikel 54 (2) EPÜ und bei der Spritzgießmaschine von Dokument D2 handle es sich hier um eine Drei-Platten-Horizontalspritzgieß­maschine.

4.3 Die Beschwerdegegnerinnen beantragten, den Hilfsantrag nicht ins Beschwerdeverfahren zuzulassen.

4.4 Die Bestimmungen von Artikel 12 (4) VOBK 2007, die nach den Übergangsbestimmungen von Artikel 25 (2) VOBK 2020 hier anzuwenden sind, sehen grundsätzlich vor, dass die Kammer das gesamte Vorbringen der Beteiligten nach Artikel 12 (1) VOBK 2007 zu berücksichtigen hat, wenn und soweit es sich auf die Beschwerdesache bezieht und die Erfordernisse des Artikels 12 (2) VOBK 2007 erfüllt. Das Nicht-Zulassen von Anträgen, die bereits im erstinstanzlichen Verfahren hätten vorgebracht werden können oder dort nicht zugelassen worden sind, wird in Artikel 12 (4) VOBK 2007 jedoch ausdrücklich ins Ermessen der Kammer gestellt.

4.5 Nach ständiger Rechtsprechung ist ein mit der Beschwerde­begründung eingereichtes Vorbringen grundsätzlich nicht als unzulässig anzusehen, wenn es eine angemessene und unmittelbare Reaktion auf Entwicklungen in der abschließenden Phase des vorangegangenen Verfahrens bzw. auf Feststellungen in der angefochtenen Entscheidung darstellt, so dass ein Beschwerdeführer, der im Einspruchsverfahren unterlegen ist, die Möglichkeit erhält, etwaige Lücken in seinem Vorbringen zu schließen (vgl. Rechtsprechung, V.A.3.4.2 b)). Greift ein Beschwerdeführer, wie im vorliegenden Fall, die Nichtzulassung des Hilfsantrags an und macht er hierzu weitere Ausführungen, so ist im Sinne der genannten Rechtsprechung zu prüfen, ob dies als angemessene und unmittelbare Reaktion auf die Entwicklungen im erstinstanzlichen Verfahren und auf diesen Aspekt der angefochtenen Entscheidung angesehen werden kann. Dies bedeutet jedoch nicht, dass die Kammer das Ermessen des erstinstanzlichen Organs auf der Grundlage der damals vorliegenden Fallgestaltung erneut ausübt. Vielmehr kann sie mit zusätzlichen Tatsachen und geänderten Umständen konfrontiert sein. Folglich hat die Kammer ihr Ermessen nach Artikel 12 (4) VOBK 2007 unabhängig von der ersten Instanz und unter Berücksichtigung des zusätzlichen Vorbringens auszuüben (vgl. T 971/11, Entscheidungsgründe, Punkt 1.2).

4.6 Im vorliegenden Fall ist zunächst festzustellen, dass die Beschwerdeführerin nicht bestreitet, dass der Hilfsantrag im Einspruchverfahren verspätet vorgelegt wurde und die Einspruchsabteilung daher ein Ermessen hatte, ihn nicht ins Verfahren zuzulassen.

Es ist darüber hinaus nicht ersichtlich, dass die Einspruchsabteilung, die den Hilfsantrags als prima facie nicht gewährbar angesehen hat, ihr Ermessen nicht nach Maßgabe der richtigen Kriterien oder aber in willkürlicher Weise ausgeübt hat (vgl. G 7/93, Punkt 2.6 der Entscheidungsgründe). In dieser Hinsicht ist die Ermessensentscheidung also nicht zu beanstanden. Auch kann der Beschwerdeführerin nicht darin zugestimmt werden, dass das Dokument D1 kein Stand der Technik nach Artikel 54 (2) EPÜ 1973 ist (siehe Punkt 2.6 oben). Selbst wenn das Dokument D2 - ebenso wie das Dokument D1 - eine Drei-Platten-Horizontalspitz­gießmaschine zeigt, hat die Beschwerdeführerin nicht dargelegt, warum die Einschränkung des beanspruchten Gegenstands auf eine Zwei-Platten-Horizontalspritzgieß­maschine zu einer erfinderischen Tätigkeit beitragen könnte. Solche Gründe sind auch für die Kammer nicht erkennbar, zumal die Beschwerdeführerin im Rahmen der Diskussion der Gültigkeit des Prioritätsanspruchs selbst vorgetragen hat, dass es für den Fachmann offensichtlich sei, dass das Konzept der Erfindung sowohl für Zwei-Platten-Horizontalspritzgießmaschinen als auch für Drei-Platten-Horizontalspritzgießmaschinen eingesetzt werden könne. Die Kammer sieht daher keinen Grund, die Ermessensentscheidung der Einspruchs­abteilung aufzuheben.

4.7 Weiterhin ist festzustellen, dass die Einspruchsabteilung sowohl im ersten Ladungsbescheid vom 25. Juni 2014 als auch im zweiten Ladungsbescheid vom 14. Januar 2019 die erfinderische Tätigkeit des Gegenstands des erteilten Anspruchs 1 ausgehend von Dokument D1 in Verbindung mit Dokument D2 vorläufig verneint hat. In der mündlichen Verhandlung kam die Einspruchsabteilung zu der gleichen Schlussfolgerung.

Vor diesem Hintergrund ist für die Kammer nicht ersichtlich, warum die neuerliche Vorlage des Hilfsantrags mit der Beschwerdebegründung als eine angemessene und unmittelbare Reaktion auf Entwicklungen im erstinstanzlichen Verfahren und in der angefochtenen Entscheidung anzusehen sein soll. Dies wurde von der Beschwerdeführerin auch nicht geltend gemacht. Die Kammer kann auch keine geänderten Umstände oder neuen Tatsachen erkennen, die eine Zulassung des Hilfsantrags im Beschwerdeverfahren rechtfertigen könnten.

4.8 Unter diesen Umständen übt die Kammer ihr Ermessen nach Artikel 12 (4) VOBK 2007 dahingehend aus, den Hilfsantrag nicht zum Verfahren zuzulassen.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Quick Navigation