T 2802/19 (Photakatalytische Beschichtungen / STO) of 10.10.2021

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2021:T280219.20211010
Datum der Entscheidung: 10 October 2021
Aktenzeichen: T 2802/19
Anmeldenummer: 17204819.1
IPC-Klasse: B01J 37/02
B01J 23/06
B01J 27/04
B01J 35/00
B01D 53/00
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: PHOTOKATALYTISCHE BESCHICHTUNGEN MIT SULFIDISCHEN HALBLEITERN
Name des Anmelders: STO SE & Co. KGaA
Name des Einsprechenden: -
Kammer: 3.3.06
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 56
Rules of procedure of the Boards of Appeal 2020 Art 011
European Patent Convention R 103(1)(a)
Schlagwörter: Erfinderische Tätigkeit - (nein)
Zurückverweisung - wesentlicher Mangel im Verfahren vor der ersten Instanz (nein)
Rückzahlung der Beschwerdegebühr - (nein)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
T 1742/12
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

Die Beschwerde der Anmelderin richtet sich gegen die Entscheidung der Prüfungsabteilung, die europäische Patentanmeldung Nr. 17 204 819.1 zurückzuweisen. Die Prüfungsabteilung war der Meinung, der Gegenstand aller anhängigen Anträge sei gegenüber D1 (EP 2 722 370 A1) nicht neu (Artikel 54 (1) und (2) EPÜ).

I. Die Beschwerdeführerin beantragte, die Kammer möge:

- die angefochtene Entscheidung aufheben

- feststellen, dass der Gegenstand der Anmeldung

gemäß des bereits erstinstanzlich eingereichten

Hauptantrags, hilfsweise gemäß der erstinstanzlich

eingereichten Hilfsanträge 1 - 5 neu sei

- die Sache zur Prüfung der weiteren

Erteilungsvoraussetzungen an eine andere

Prüfungsabteilung zurückverweisen.

Weiterhin beantragte die Beschwerdeführerin die Rückzahlung der Beschwerdegebühr.

II. In ihrer vorläufigen Meinung führte die Kammer unter anderem aus, der Gegenstand des zweiten Hilfsantrags sei neu (Artikel 54 (2) EPÜ) aber nicht erfinderisch gegenüber D1 (Artikel 56 EPÜ).

III. Nach dem Erhalt der vorläufigen Meinung der Kammer reichte die Beschwerdeführerin einen neuen Hauptantrag und zwei neue Hilfsanträge ein und machte unter anderem Ausführungen zur erfinderischen Tätigkeit gegenüber D1.

IV. Nach dem Erhalt einer zweiten Mitteilung der Kammer zog die Beschwerdeführerin alle Anträge bis auf den mit Schreiben vom 5. März 2019 eingereichten zweiten Hilfsantrag zurück. Die Beschwerdeführerin zog außerdem den Antrag auf mündliche Verhandlung zurück und beantragte eine Entscheidung nach Aktenlage.

V. Die endgültigen Anträge der Beschwerdeführerin waren wie folgt:

Die Beschwerdeführerin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung, die Feststellung der Neuheit des mit Eingabe vom 5. März 2019 als zweiter Hilfsantrag eingereichten Anspruchssatzes, die Zurückverweisung der Sache an eine andere Prüfungsabteilung sowie die Rückzahlung der Beschwerdegebühr.

VI. Anspruch 1 dieses Antrags hat den folgenden Wortlaut:

"1. Beschichtungsmaterial, umfassend

(a) mindestens ein organisches Bindemittel,

(b) mindestens einen sulfidischen photokatalytisch

wirksamen Halbleiter und

(c) mindestens einen Füllstoff und/oder ein Pigment,

wobei

(d) das Beschichtungsmaterial weniger als 1 Gew.%

TiO2 enthält und wobei das organische Bindemittel ausgewählt ist aus Polymerdispersionen, Redispergiermitteln, Alkydharzen, Polyvinylacetaten, Vinylacetat-Ethylen, Vinylacetat-Vinylester, Polyurethan-Dispersionen, OH-funktionalen Dispersionen, Epoxidharzen, Silikonharzen, Silanen, Siloxanen, Polysiloxanen und Mischungen davon."

Entscheidungsgründe

1. Artikel 54 (2) EPÜ

Der Gegenstand von Anspruch 1 des zweiten Hilfsantrags ist neu gegenüber D1, denn das Beschichtungsmaterial gemäß Ausführungsbeispiel 1 (Absatz 0053) enthält mehr als 1 Gew.% TiO2 und keinen sulfidischen photokatalytisch wirksamen Halbleiter. Für diese Ausführungsform sind also die Merkmale b) und d) nicht offenbart.

Der allgemeinen Teil von D1 (Absatz 0001, 0012 und 0034) offenbart Beschichtungsmaterialien, die mindestens ein organisches Bindemittel, Zinksulfid als photokatalytisch wirksames Mittel und BaSO4 als funktionellen Füllstoff umfassen, und somit die Merkmale (a) - (c) aufweisen. Es fehlt jedoch eine eindeutige und unmittelbare Offenbarung von Merkmal (d).

Die Prüfungsabteilung gründete ihren Neuheitseinwand auf der Zusammenschau von Ausführungsbeispiel 1 und Absatz 0034 der D1. Ein solcher Ansatz widerspricht jedoch dem Erfordernis einer unmittelbaren und eindeutigen Offenbarung (Rechtsprechung der Beschwerdekammern, neunte Auflage, 2019, I.C.4.1.).

2. Artikel 56 EPÜ

Der Gegenstand von Anspruch 1 beruht nicht auf einer

erfinderischen Tätigkeit.

2.1 Die Erfindung betrifft photokatalytisch aktive Beschichtungsmaterialien (Seite 1, Zeile 14-21).

2.2 D1 beschäftigt sich unbestritten ebenfalls mit solchen Materialien. Für die Kammer stellt die allgemeine Lehre von D1 den nächstliegenden Stand der Technik dar. Wie unter Punkt 1. bereits erwähnt, unterscheidet sich der Gegenstand von Anspruch 1 von dieser Lehre durch Merkmal (d).

2.3 Der Anmeldung liegt die Aufgabe zugrunde, ein Beschichtungsmaterial zur Verfügung zu stellen, das gegen Schadgase, insbesondere gegen Kohlenwasserstoffe, eine hohe Aktivität aufweist und außerdem haltbar ist, d.h. insbesondere keine Verkreidungsneigung zeigt (Seite 6, Zeile 27 - Seite 7, Zeile 5).

2.3.1 Die Ausführungsbeispiele 1-3 zeigen in der Tat gegenüber den Vergleichsbeispielen 1 und 2 einen verbesserten Methanabbau (Seite 20, Zeile 19 - 24) und Ausführungsbeispiel 1 zeigt gegenüber Vergleichsbeispiel 1 eine deutlich geringere Verkreidungsneigung (Seite 20, Zeile 26 - Seite 21, Zeile 4). Die Beschichtungsmaterialien der Vergleichsbeispiele enthalten allerdings jeweils photokatalytisch aktives TiO2 (Anatas) und sind somit nicht repräsentativ für die Ausführungsform der D1, bei denen als Photokatalysator ZnS eingesetzt wird. Gegenüber solchen Beschichtungsmaterialien ist somit kein Effekt gezeigt.

2.3.2 Die Beschwerdeführerin hat vorgebracht, gemäß Dl sei Titandioxid (TiO2) stärker bevorzugt als Zinksulfid (ZnS), so dass bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit von einem TiO2-haltigen Beschichtungsmaterial auszugehen sei. Gegenüber einem solchen Material seien vorteilhafte Effekte durch die Vergleichsbeispiele in der Anmeldung belegt.

2.3.3 Dieses Argument überzeugt jedoch nicht, denn es läuft darauf hinaus, dass die unbestritten in Dl ebenfalls offenbarten ZnS-haltigen Beschichtungsmischungen (Absatz 0034) als Ausgangspunkt für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit ignoriert werden können. Dieser Ansicht kann sich die Kammer jedoch nicht anschließen, denn auch diese ZnS-haltigen Beschichtungsmischungen gehören zum relevanten Stand der Technik. Der Einwand, der Gegenstand von Anspruch 1 sei naheliegend gegenüber diesem Stand der Technik, kann nicht mit dem Argument entkräftet werden, es gäbe mit den TiO2-haltigen Beschichtungsmischungen einen noch näherliegenden Stand der Technik, ausgehend von dem der Gegenstand des Anspruchs nicht nahegelegt werde (Rechtsprechung der Beschwerdekammern, neunte Auflage, 2019, I.D.3.1., insbesondere T 1742/12).

2.3.4 Es folgt, dass die Aufgabe umformuliert werden muss, nämlich als das Zurverfügungstellen einer weiteren, photokatalytisch aktiven Beschichtung.

2.4 Als Lösung für diese Aufgabe schlägt die Anmeldung eine Beschichtungsmischung mit den Merkmalen (d) vor, d.h. eine Mischung, die weniger als 1 Gew.% TiO2 enthält und die mindestens eines der genannten Bindemittel aufweist.

2.5 Ausgehend von D1 ist Merkmal (d) naheliegend.

Die Kammer stellt zunächst fest, dass ein technisches Zusammenwirken bzw. eine Synergie der beiden Teilaspekte von Merkmal (d) (Gehalt an TiO2 und Bindemitteltyp) weder gezeigt noch vorgetragen wurde, so dass die beiden Aspekte bei der Prüfung auf Naheliegen getrennt behandelt werden dürfen.

Was den Gehalt an TiO2 von weniger als 1 Gew.% angeht, so offenbart D1 in Absatz 0040, dass die Beschichtungsmischung außer BaSO4 keinen weiteren Füllstoff enthalten muss. Eine solche Beschichtungsmischung (die bereits ZnS als Photokatalysator enthält) enthält nicht nur kein photokatalytisch aktives, sondern überhaupt kein TiO2. Selbst wenn ein weiterer Füllstoff zugegeben werden soll, ist das Weißpigment TiO2 (Rutil) nur eine Möglichkeit unter vielen (Absatz 0028). Wird ein Carbonat, ein Silikat, Sand oder Aluminiumhydroxid ausgewählt, erhält man ebenfalls eine Beschichtungsmischung, die kein TiO2 enthält. Der Aspekt von Merkmal (d) ist somit naheliegend.

Gleiches gilt für den zweiten Aspekt, denn Absatz 0032 offenbart unter anderem die Verwendung von Polymerdispersionen, Redispergiermitteln, Alkydharzen, Epoxidharzen, Polyvinylacetat, Silikonharzen, Silanen und Siloxanen als Bindemittel.

Um zum Gegenstand von Anspruch 1 zu gelangen, muss der Fachmann also lediglich in D1 bereits offenbarten Möglichkeiten auswählen, ohne dass durch diese Auswahl ein technischer Effekt erzielt wird. Damit ist der Gegenstand von Anspruch 1 zwar neu, aber nicht erfinderisch (Artikel 56 EPÜ).

3. Rückzahlung der Beschwerdegebühr

Die Beschwerdeführerin hat vorgebracht, die Prüfungsabteilung hätte die Frage der Neuheit gegenüber D1 rechtsfehlerhaft eingeschätzt. Eine fehlerhafte Beurteilung von Sachfragen stellt jedoch keinen Verfahrensmangel dar (Rechtsprechung der Beschwerdekammern, Neunte Auflage, 2019, V.A.9.5.1.). Da außerdem der Beschwerde nicht stattgegeben wird, kann die Beschwerdegebühr nicht zurückgezahlt werden (Regel 103 (1) a) EPÜ).

4. Antrag auf Zurückverweisung

Da weder Verfahrensmängel noch sonstige besondere Gründe im Sinne von Artikel 11 VOBK 2020 vorliegen, bestand keine Veranlassung, dem Antrag auf Zurückverweisung nach der Feststellung der Neuheit stattzugeben.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

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