T 2791/19 () of 26.7.2022

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2022:T279119.20220726
Datum der Entscheidung: 26 Juli 2022
Aktenzeichen: T 2791/19
Anmeldenummer: 14193110.5
IPC-Klasse: E01C 23/088
B60K 13/04
B60K 15/073
F01N 3/20
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Alle Dokumente zum Beschwerdeverfahren finden Sie im Register
Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Selbstfahrende Baumaschine
Name des Anmelders: Wirtgen GmbH
Name des Einsprechenden: Caterpillar Inc.
Kammer: 3.2.01
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 56
Rules of procedure of the Boards of Appeal Art 12(4)
European Patent Convention Art 116
Schlagwörter: Mündliche Verhandlung - vor der Beschwerdekammer
Mündliche Verhandlung - Videokonferenz
Erfinderische Tätigkeit - Hauptantrag (ja)
Spät eingereichte Beweismittel - eingereicht mit der Beschwerdebegründung
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
G 0001/21
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) legte Beschwerde gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung ein, den Einspruch gegen das Streitpatent zurückzuweisen.

II. Die Einspruchsabteilung hatte entschieden, dass der Gegenstand der Ansprüche in der erteilten Fassung erfinderisch ist.

III. Mit Schreiben vom 29. Juni 2022 beantragte die Beschwerdeführerin, die mündliche Verhandlung in den Räumlichkeiten der Beschwerdekammern des EPA anstatt als Videokonferenz abzuhalten.

IV. Am 26. Juli 2022 fand eine mündliche Verhandlung vor der Kammer statt, die in Form einer Videokonferenz abgehalten wurde.

a) Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) beantragte, die angefochtenen Entscheidung aufzuheben und das Patent zu widerrufen.

b) Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte, die Beschwerde zurückzuweisen (Hauptantrag), hilfsweise das Patent in geänderter Fassung auf der Grundlage eines der mit der Beschwerdeerwiderung eingereichten Hilfsanträge I - IV aufrechtzuerhalten.

V. Der unabhängige Anspruch gemäß Hauptantrag (Patent wie erteilt) hat den folgenden Wortlaut:

"Selbstfahrende Baumaschine, insbesondere Straßenfräsmaschine, Recycler, Stabilisierer, Fertiger oder Walze, mit

einem Maschinenrahmen (1), an dem eine Arbeitseinheit (7) zur Durchführung von für die Baumaßnahme erforderlichen Arbeiten angeordnet ist,

einer Antriebseinheit (12) für den Antrieb der Arbeitseinheit, wobei die Antriebseinheit mindestens einen Verbrennungsmotor aufweist,

einem Brennstofftank (13) zur Aufnahme von Brennstoff für den mindestens einen Verbrennungsmotor, und mit

einem Betriebsstofftank (20) zur Aufnahme von Betriebsstoff,

dadurch gekennzeichnet, dass

die Baumaschine einen von Teilen des Maschinenrahmens (1) gebildeten Brennstofftank (13) aufweist, wobei der Betriebsstofftank (20) in den Brennstofftank (13) integriert ist, oder

die Baumaschine einen Wassertank (11) aufweist, der von Teilen des Maschinenrahmens (1) gebildet wird, wobei der Betriebsstofftank (20) in den Wassertank (11) integriert ist."

VI. In der vorliegenden Entscheidung wird auf die folgenden, bereits im Einspruchsverfahren vorgelegten Dokumente Bezug genommen:

KBS3 EP 2 479 393 A1

KBS4 EP 1 970 241 A2

KBS5 DE 10 2010 039060 A1

KBS6 Prospekt Wirtgen Kaltfräse W1000

KBS7 DE 103 33 599 B4

Zudem reichte die Beschwerdeführerin mit der Beschwerdebegründung die folgenden weiteren Dokumente ein:

KBS9 Betriebsanleitung zur Kaltfräse W1000

KBS10 Ersatzteilkatalog der Kaltfräse W1000

KBS11 Fotos einer Fräse W1000 F

VII. Das Vorbringen der Beschwerdeführerin lässt sich wie folgt zusammenfassen:

a) Die Durchführung der Verhandlung in Form einer Videokonferenz sei keine mündliche Verhandlung im Sinne von Artikel 116 EPÜ. Die aktuelle Pandemielage begründe auch keine Notsituation im Sinne der G1/21. Zudem sei eine Verhandlung in Form einer Videokonferenz aufgrund des schlechten Tonqualität der Beschwerdegegnerin anstrengender als eine Verhandlung in Präsenz (vgl. auch die Niederschrift vom 26. Juli 2022).

b) Weder die erste im unabhängigen Anspruch des Hauptantrags definierte Alternative, noch die zweite Alternative beruhe auf einer erfinderischen Tätigkeit.

i) Dabei könne sowohl von KBS3 als nächstkommenden Stand der Technik ausgegangen werden, als auch von KBS6.

ii) Die Dokumente KBS9 - KBS11 würden weitere Merkmale der aus KBS6 bekannten Fräse zeigen und so die Offenbarung der KBS6 ergänzen.

iii) Auf den nächstkommenden Stand der Technik würde der Fachmann dann die Lehre der Dokumente KBS4, KBS5 und/oder KBS7 anwenden und so zum Gegenstand des Anspruchs 1 gelangen.

VIII. Das Vorbringen der Beschwerdegegnerin lässt sich wie folgt zusammenfassen:

a) Die Beschwerdegegnerin habe keine Einwände dagegen, die Verhandlung als Videokonferenz abzuhalten.

b) Keine der beiden im unabhängigen Anspruch des Hauptantrags definierten Alternativen würde durch eine der geltend gemachten Argumentationslinien nahegelegt.

c) Die Dokumente KBS9 - KBS11 seien als verspätetes Vorbringen nicht mehr im Verfahren zu berücksichtigen.

Entscheidungsgründe

Verhandlungsform

1. Die Kammer entschied, die mündliche Verhandlung in Form einer Videokonferenz durchzuführen.

1.1 Die Beschwerdeführerin hatte bereits im Vorfeld der Verhandlung darauf hingewiesen, dass sie einer Videokonferenz nicht zustimmen würde und hielt ihre Einwände auch in der mündlichen Verhandlung aufrecht.

Sie verwies mit Schriftsatz vom 29. Juni 2022 als Begründung ihrer Ablehnung darauf, dass die derzeitige Pandemielage keinen Anlass gäbe, die mündliche Verhandlung anstatt vor Ort in Präsenz als Videokonferenz durchzuführen. Eine Ausnahme von der Durchführung der mündlichen Verhandlung in Präsenz im Sinne der G1/21 sei nicht angebracht, da die tatsächlichen Umstände eine anderweitige Durchführung als in Präsenz nicht notwendig machen würden.

In der mündlichen Verhandlung führte die Beschwerdeführerin zusätzlich aus, dass eine als Videokonferenz abgehaltene Verhandlung keine mündliche Verhandlung im Sinne des Artikels 116 EPÜ sei. Zudem wiederholte sie ihr Argument, dass aktuell keine Notlage im Sinne der G1/21 mehr vorläge, da es keine Beschränkungen des öffentlichen Lebens mehr gäbe. Der Corona-Virus sei inzwischen als allgemeines Lebensrisiko anzusehen, was auch dadurch bewiesen werde, dass ihr persönlich keine schweren Verläufe der Erkrankung bekannt seien. Daher gäbe es auch keinen nachvollziehbaren Grund, die Verhandlung nicht in Präsenz abzuhalten.

1.1.1 Die Möglichkeit, eine mündliche Verhandlung - auch vom Amts wegen - als Videokonferenz durchzuführen ist explizit im Artikel 15a VOBK 2020 vorgesehen.

1.1.2 Darüber hinaus ist eine als Videokonferenz abgehaltene Verhandlung als mündliche Verhandlung im Sinne des Artikels 116 EPÜ anzusehen, wie die Große Beschwerdekammer in der Entscheidung G1/21 im Abschnitt C.3 ("Interpretation of Article 116 EPC", insbesondere Absatz 30) entschied.

1.1.3 Die hier noch zu beantwortende Frage besteht daher darin, ob die mündliche Verhandlung gegen den Willen der Beschwerdeführerin als Videokonferenz durchgeführt werden durfte.

a) In der Entscheidung G1/21 beantwortet die Große Beschwerdekammer die ihr vorgelegte Rechtsfrage wie folgt:

In einem allgemeinen Notfall, der die Möglichkeit der Beteiligten einschränkt, persönlich an einer mündlichen Verhandlung in den Räumlichkeiten des EPA teilzunehmen, ist die Durchführung der mündlichen Verhandlung vor einer Beschwerdekammer in Form einer Videokonferenz mit dem EPÜ vereinbar, auch wenn nicht alle Beteiligten ihr Einverständnis mit der Durchführung der mündlichen Verhandlung in dieser Form erklärt haben.

b) Es ist der Beschwerdeführerin zuzustimmen, dass der Vertreter der Beschwerdeführerin den Zutritt zum Isargebäude (wo die mündliche Verhandlung anfangs geplant war) - unter den dort geltenden Zugangsbedingungen - hätte erhalten können.

Nach Auffassung der Kammer rechtfertigen jedoch die Umstände im vorliegenden Fall, die mündliche Verhandlung nicht als Präsenzverhandlung durchzuführen. Wie die Große Beschwerdekammer in der Entscheidung G1/21 (Punkt 49 der Gründe) angemerkt hat, sollten solche Umstände "sich auf Einschränkungen und Erschwernisse beziehen, die einen Beteiligten daran hindern, persönlich an einer mündlichen Verhandlung in den Räumlichkeiten des EPA teilzunehmen. Im Falle einer Pandemie können solche Umstände allgemeine Reisebeschränkungen oder die Unterbrechung von Reiseverbindungen, Quarantäneauflagen, Zugangsbeschränkungen in den EPA-Gebäuden und andere gesundheitsbezogene Maßnahmen zur Eindämmung der Krankheitsausbreitung sein."

c) Es wurde von der Beschwerdeführerin nicht bestritten, dass in den Wochen vor der mündlichen Verhandlung die Anzahl der Neuinfektionen in der Region München kontinuierlich gestiegen ist - wie auch im Bescheid der Kammer vom 21. Juli 2022 betont wurde. Das Risiko einer Ansteckung eines der Beteiligten durch das Abhalten der Verhandlung als Präsenzverhandlung war daher relativ hoch.

Dieses Risiko stellte aus Sicht der Kammer ein Erschwernis dar, das einen Beteiligten objektiv daran hindert, persönlich an einer mündlichen Verhandlung in den Räumlichkeiten des EPA teilzunehmen.

1.1.4 Aus Sicht der Kammer kann, entgegen der Behauptung der Beschwerdeführerin, eine Infektion mit dem Coronavirus zudem nicht als harmlose Erkrankung angesehen werden, sondern kann einerseits einen langwierigen Arbeitskraftausfall des Erkrankten nach sich ziehen. Andererseits sind aber auch schwere, teils sogar lebensbedrohliche Verläufe nach wie vor nicht auszuschließen - selbst wenn dem Vertreter der Einsprechenden keine derartigen Fälle im persönlichen Umfeld bekannt sind.

1.1.5 Die Vermeidung direkter Kontakte und so die Minimierung des Risiko einer Ansteckung eines (oder mehrerer) der Beteiligten an der mündlichen Verhandlung stand bei der Entscheidung im Vordergrund. Diesen Vorteil hat die Kammer als so maßgeblich eingestuft, dass er die Nachteile der Parteien bei einer Verhandlung in Videokonferenz überwiegt. Somit entschied die Kammer, ihr Ermessen zum Schutz aller Beteiligten (Parteien und Mitglieder der Kammer) dahingehend auszuüben, die mündliche Verhandlung auch ohne Zustimmung der Beschwerdeführerin als Videokonferenz durchzuführen.

1.2 Die Beschwerdeführerin bemängelte zudem, dass aufgrund der schlechten Tonqualität der Beschwerdegegnerin die als Videokonferenz abgehaltene mündliche Verhandlung für sie anstrengender sei, als eine Verhandlung in Präsenz. Zudem ermögliche es eine Videokonferenz nicht, Regungen in den Gesichtern der Kammermitglieder zu erfassen.

1.2.1 Dies mag im Grundsatz richtig sein. Die Große Beschwerdekammer entschied aber in Beantwortung der Frage, ob eine Videokonferenz gleichwertig zu einer Präsenzverhandlung anzusehen sei, in der Entscheidung G1/21 im Abschnitt C.4 ("Is a videoconference equivalent to in-person oral proceedings and, if not, is it a suitable format for conducting oral proceedings?", insbesondere Absatz 43), dass derartige Erschwernisse zwar ärgerlich seien, aber das Recht der Parteien auf rechtliches Gehör dennoch nicht verletzen würden.

1.2.2 Im Rahmen des vorliegenden Falls stoppte der Vorsitzende bei kurzzeitigen Tonverzerrungen den Vortrag der vortragenden Partei und ließ diese ihr Argument wiederholen, so dass alle Beteiligten jedes der vorgetragenen Argumente in seiner Vollständigkeit erfassen konnten.

Hauptantrag (Patent wie erteilt) - erfinderische Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ)

2. Anspruch 1 des Hauptantrags betrifft zwei Alternativen: In der ersten Alternative ist ein Betriebsstofftank im Brennstofftank der Maschine angeordnet, in der zweiten Alternative umfasst die Maschine zusätzlich zu einem Brennstofftank und einem Betriebsstofftank auch einen Wassertank, in dem der Betriebsstofftank integriert ist.

3. Die erste, im unabhängigen Anspruch 1 des Hauptantrags definierte Alternative (Betriebsstofftank ist im Brennstofftank angeordnet) beruht auf einer erfinderischen Tätigkeit im Sinne von Artikel 56 EPÜ.

3.1 Die Beschwerdeführerin argumentiert in einer ersten Argumentationslinie ausgehend von Dokument KBS3 als nächstkommenden Stand der Technik.

3.1.1 KBS3 offenbart unstrittig eine Baumaschine nach dem Oberbegriff des unabhängigen Anspruchs. Ebenfalls unstrittig ist, dass die aus KBS3 bekannte Baumaschine neben dem Brennstofftank (14) auch einen Betriebsstofftank ("liquid reductant tank" 22) aufweist, dieser aber nicht im Brennstofftank integriert ist.

3.1.2 Strittig zwischen den Parteien ist jedoch, ob auch in KBS3 der Brennstofftank ein von Teilen des Maschinenrahmens gebildeter Brennstofftank ist.

a) Die Beschwerdeführerin argumentiert hierzu, dass das Merkmal nur verlange, dass der Brennstofftank in irgendeiner Form Teil des Maschinenrahmens sei bzw. fest mit dem Maschinenrahmen in Verbindung stehe, was auch in KBS3 der Fall sei, da der Brennstofftank (14) auf dem Maschinenrahmen ("upper frame" 7) befestigt sei.

b) Das fragliche Merkmal verlangt jedoch, dass der Brennstofftank von Teilen des Maschinenrahmens gebildet wird, d. h. dass Teile des Maschinenrahmens die strukturellen Bauteile des Brennstofftanks und damit insbesondere dessen Wandungen bilden. Dieses Verständnis wird auch in den Absätzen [0031], [0038] und [0040] der Beschreibung des Streitpatents bestätigt.

c) In KBS3 stellt der Brennstofftank (14) ein eigenständiges Bauteil dar, das nur auf dem Maschinenrahmen angeordnet und befestigt ist, nicht aber durch Teile des Maschinenrahmens gebildet wird.

3.1.3 Der Gegenstand des Anspruchs 1 unterscheidet sich somit in der ersten Alternative von der aus KBS3 bekannten Baumaschine dahingehend, dass

a) die Baumaschine einen von Teilen des Maschinenrahmens gebildeten Brennstofftank aufweist, und

b) der Betriebsstofftank in den Brennstofftank integriert ist.

3.1.4 Entgegen der Auffassung der Beschwerdegegnerin lösen die Merkmale nicht ein und das selbe Problem, sondern zwei Teilprobleme, die voneinander getrennt betrachtet werden dürfen:

Die Bildung des Brennstofftanks durch Teile des Maschinenrahmens ermöglicht eine Minimierung sowohl des konstruktiven Aufwands, als auch des Montageaufwands (siehe [0012] des Streitpatents).

Die Integration des Betriebsstofftanks im Brennstofftank hat dagegen den Vorteil, dass der Betriebsstofftank nicht zu einer Vergrößerung des Platzbedarfs führt, so dass auch eine nachträgliche Montage möglich ist (siehe [0014] des Streitpatents).

3.1.5 Das Dokument KBS7 lehrt, dass Tanks in einem Maschinenrahmen angeordnet werden können, so dass Teile des Maschinenrahmens den Tank bilden.

Diese Lehre kann der Fachmann aber nicht auf KBS3 anwenden, da der dort offenbarte Maschinenrahmen ("upper frame" 7) bereits nicht zweifelsfrei hohl ist. Selbst wenn der Maschinenrahmen der KBS3 aber hohl wäre, umschließt er kein ausreichend großes Volumen, so dass darin ein Hohlraum angeordnet werden könnte, der den Inhalt des Brennstofftanks (14) aufnehmen könnte.

Daher wird bereits das unterscheidende Merkmal a) nicht nahegelegt.

3.1.6 Die Dokumente KBS4 und KBS5 zeigen jeweils Brennstofftanks mit darin integrierten Betriebsstofftanks.

Der Fachmann hat aber keine Veranlassung, die Baumaschine der KBS3 so zu modifizieren, dass der schon vorhandene, separat vom Brennstofftank angeordnete Betriebsstofftank im Brennstofftank integriert wird. Um den Fachmann dazu zu bringen, ohne Kenntnis der Erfindung des Streitpatents den Betriebsstofftank tatsächlich in den Brennstofftank zu verschieben, bräuchte es eine Motivation, die für die Kammer nicht erkennbar ist.

Eine nachträgliche und/oder besonders platzsparende Montage des Betriebsstofftanks ist hier nicht notwendig, da bei der Baumaschine der KBS3 bereits eine räumliche Anordnung für alle Tanks gefunden wurde. Entsprechend ist auch die von der Beschwerdeführerin genannte Aufgabe (siehe Beschwerdebegründung Punkt 1.5.4 und 1.5.5) bereits von KBS3 gelöst, da der für den Betriebsstofftank notwendige Platz nicht erst geschaffen werden muss, sondern bereits vorhanden ist.

Daher wird auch das unterscheidende Merkmal b) nicht durch den von der Beschwerdeführerin aufgeworfenen Stand der Technik nahegelegt.

3.2 Die Beschwerdeführerin argumentiert in einer zweiten Argumentationslinie ausgehend von Dokument KBS6 als nächstkommenden Stand der Technik. Zudem legte sie die Dokumente KBS9 - KBS11 mit der Beschwerdebegründung als Ergänzung der Offenbarung von KBS6 vor.

3.2.1 Die Beschwerdeführerin beantragt, die mit der Beschwerdebegründung erstmals vorgelegten Dokumente KBS9 - KBS11 unter Artikel 12(4) VOBK 2007 nicht zum Verfahren zuzulassen, da sie bereits im Einspruchsverfahren hätten vorgebracht werden können.

3.2.2 Das Dokument KBS6 offenbart unstrittig zwischen den Parteien eine Baumaschine mit einer Antriebseinheit, die einen Verbrennungsmotor, sowie einen Brennstofftank aufweist. Es ist auch unstrittig, dass KBS6 keinen im Brennstofftank integrierten Betriebsstofftank offenbart.

3.2.3 Es ist jedoch strittig, ob die Baumaschine überhaupt einen zusätzlichen Betriebsstofftank zur Aufnahme von Betriebsstoff aufweist.

a) Die Beschwerdeführerin argumentiert hierzu, dass aufgrund des Hinweises unter der Überschrift "Antriebsaggregat" auf die strengen Anforderung der amerikanischen und europäischen Abgasnormen die Zugabe einer Harnstofflösung ("ad blue") implizit offenbart sei, da nur so die Abgasnormen erfüllt werden könnten.

b) Es ist jedoch festzustellen, dass weder konkrete Normen genannt werden, die zwingend die Verwendung von Harnstoff zur Abgasreinigung verlangen, noch ein Hinweis auf einen SCR-Katalysator (und damit indirekt eine Harnstoffeinspritzung) der KBS6 zu entnehmen ist.

Auf der zweiten Seite von KBS6 wird unter der Überschrift "Füllmengen" ein Kraftstofftank, ein Hydrauliköltank und ein Wassertank erwähnt, nicht jedoch ein Betriebsstofftank. Die drei dort aufgeführten Tanks werden dann auch in der technischen Beschreibung unter der Überschrift "Chassis" erneut genannt.

c) Daher kann nicht eindeutig und zweifelsfrei davon ausgegangen werden, dass die aus KBS6 bekannte Baumaschine bereits eine Harnstoffeinspritzung aufweisen muss und entsprechend ein Betriebsstofftank zusätzlich zu den drei explizit genannten Tanks zumindest implizit vorhanden sein muss. Daraus folgt auch, dass in KBS6 auch nicht offenbart sein kann, dass der (nicht zwingend vorhandene) Betriebsstofftank im Brennstofftank integriert ist.

3.2.4 Ferner ist jedoch auch zwischen den Parteinen strittig, ob der Brennstofftank der KBS6 von Teilen des Maschinenrahmens gebildet wird.

a) Die Beschwerdeführerin führt hier an, dass im Abschnitt "Chassis" von einem "integrierten Tank für Treibstoff" die Rede ist. Ein im Chassis integrierter Brennstofftank würde dabei implizit durch Teile des Maschinenrahmens gebildet. Dies würde auch durch KBS9 und KBS10 bestätigt, da dort Füllstutzen gezeigt würden, die zu einem durch den Maschinenrahmen gebildeten Tank führen würden. Auch die Bilder der KBS11 würden zeigen, dass der Tankstutzen unmittelbar am Maschinenrahmen angebracht sei, so dass der Tank zwingend durch Teile des Maschinenrahmens gebildet werden müsse.

b) Aus der Formulierung "integriert" kann aber nicht zwingend geschlossen werden, dass der entsprechende Tank durch Teile des Maschinenrahmens gebildet wird. Ein integrierter Tank ist lediglich im Inneren der Maschine angeordnet - im Unterschied zu einem externen, außenliegenden Anbautank. Man kann aus der Formulierung "integriert" auch nicht darauf schließend, wie der Tank aufgebaut ist, insbesondere aber kann nicht ausgeschlossen werden, dass ein in sich geschlossener Tank im Inneren des Maschinenrahmens angeordnet wird, so dass die Wände des Tanks gerade nicht durch Teile des Maschinenrahmens, sondern durch davon eigenständige, unabhängige Bauteile gebildet werden.

c) Aus der Figur der KBS10 wird zudem deutlich, dass der Treibstofftank nicht durch Teile des Maschinenrahmens gebildet werden kann: Wie der Detaildarstellung links unten zu entnehmen ist, besteht der dort gezeigte Längsholm des Maschinenrahmens aus einem nach unten offenen U-förmigen Profil, das nicht dazu geeignet ist, einen Brennstofftank zu bilden. Allenfalls kann in dieses U-förmige Profil ein eigenständiger Tank eingeschoben werden. Dieser Tank wäre dann auch im U-förmigen Profil integriert, aber nicht durch Teile des Profils gebildet.

d) Auch KBS9 und den Bildern der KBS11 kann nur entnommen werden, dass die Maschine eine geschlossene Verkleidung aufweist, an der ein Füllstutzen für den Brennstofftank, sowie ein Füllstandsrohr vorgesehen ist. Ob die zu sehende Verkleidung Teil des Maschinenrahmens ist, ob dieser an der Stelle des Einfüllstutzens hohl ausgebildet ist und ob der Maschinenrahmen den Brennstofftank unmittelbar bildet ist dagegen nicht ersichtlich.

3.2.5 Entsprechend kann auch offen bleiben, ob die Dokumente KBS9 - KBS11 zum Verfahren zuzulassen sind, da sie inhaltlich nichts maßgebliches beitragen können. Zudem kann auch offen bleiben, ob die Dokumente KBS9 - KBS11 eigenständige Veröffentlichungen darstellen oder als Ergänzung zu KBS6 verwendet werden können.

3.2.6 Die Beschwerdeführerin argumentiert ferner, die Beschwerdegegnerin als Herstellerin der in KBS6 gezeigten Baumaschine habe die Verpflichtung, wahrheitsgemäß den Aufbau der Baumaschine in allen Details offenzulegen. Insbesondere habe die Beschwerdegegnerin den Nachweis zu führen, dass die Baumaschine der KBS6 keinen durch Teile des Maschinenrahmens gebildeten Brennstofftank aufweise. Die Umkehr der Beweislast ergäbe sich aus den Zivilprozessordnungen der nationalen Rechtssysteme und sei Artikel 125 EPÜ folgend auch in Verfahren vor dem EPA zugrunde zu legen. Solange dieser Nachweis nicht erbracht sei, müsse davon ausgegangen werden, dass der Brennstofftank der KBS6 von Teilen des Maschinenrahmens gebildet werde.

Es ist ein rechtliches Grundprinzip in den Verfahren vor dem EPA, dass jeder Verfahrensbeteiligte grundsätzlich die Beweislast für die von ihm geltend gemachten Tatsachen trägt (siehe hierzu "Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts", 9. Auflage, I-C-3.5.1). Auch in der Zivilprozessordnung des deutschen nationalen Systems ist die Beweislast nicht anderweitig geregelt, so dass die von der Beschwerdeführerin behauptete Beweislastumkehr weder im EPÜ kodifiziert ist, noch durch die Wahrheitspflicht der Parteien begründet werden kann. Wenn die Beschwerdeführerin die Behauptung aufstellt, auch in KBS6 sei der Brennstofftank von Teilen des Maschinenrahmens gebildet, so ist sie für diese Behauptung beweispflichtig. Ein entsprechender Beweis wurde jedoch nicht erbracht.

3.2.7 Der Gegenstand des Anspruchs 1 in der ersten Alternative unterscheidet sich daher von der aus KBS6 bekannten Baumaschine dahingehend, dass

a) der Brennstofftank von Teilen des Maschinenrahmens gebildeten wird;

b) die Baumaschine einen Betriebsstofftank zur Aufnahme von Betriebsstoff aufweist; und

c) dieser Betriebsstofftank in den Brennstofftank integriert ist.

3.2.8 Nachdem der Aufbau der Baumaschine der KBS6 weitestgehend unbekannt ist, wird zwar durch KBS7 angeregt, einen Brennstofftank so auszugestalten, dass er durch Teile des Maschinenrahmens gebildet wird. Ob dies aber auch in KBS6 grundsätzlich möglich ist, ist nicht eindeutig und zweifelsfrei zu bejahen.

Dabei ist insbesondere unklar, ob der Maschinenrahmen der KBS6 tatsächlich einen Hohlraum aufweist, der als Brennstofftank genutzt werden könnte, da KBS10 nur einen nach unten offenen U-förmigen Längsholm zeigt (wie vorstehend zum Offenbarungsgehalt von KBS6 in Verbindung mit KBS10 ausgeführt).

Zudem fehlt jede konkrete Veranlassung, warum der Fachmann eine Konstruktion gemäß KBS7 auch in KBS6 wählen sollte, zumal unklar ist, ob der Maschinenrahmen in KBS6 ausreichend voluminös ausgebildet ist, um ein geeignetes Tankvolumen vollständig aufzunehmen.

Daher ist bereits das unterscheidende Merkmal a) nicht nahegelegt.

3.2.9 Des weiteren hat der Fachmann aber auch keine Veranlassung, bei KBS6 einen Betriebsstofftank vorzuhalten, da die aus KBS6 bekannte Baumaschine ja schon die strengen Umweltnormen in den USA und Europa erfüllt.

3.2.10 Selbst wenn der Fachmann aber tatsächlich das Merkmal b) auch bei KBS6 umsetzen würde, hätte er immer noch keine Veranlassung, diesen zusätzlichen Tank analog zu KBS4 oder KBS5 in den Brennstofftank zu integrieren. Stattdessen kann er ihn auch ohne Einschränkung der Allgemeinheit im gegenüberliegenden Längsholm integrieren oder aber an anderer Stelle auf der Baumaschine anordnen.

3.2.11 Daher kann auch ausgehend von KBS6 der im Verfahren aufgeworfene Stand der Technik den Gegenstand des Anspruchs 1 in der ersten Alternative nicht nahelegen.

4. Die zweite, im unabhängigen Anspruch 1 des Hauptantrags definierte Alternative (zusätzlicher Wassertank mit darin angeordnetem Betriebsstofftank) beruht ebenfalls auf einer erfinderischen Tätigkeit im Sinne von Artikel 56 EPÜ.

4.1 Die Beschwerdeführerin argumentiert hier analog zur ersten in Anspruch 1 definierten Alternative. Dabei kann aus ihrer Sicht ein Brennstofftank auch als Wassertank verwendet werden, so dass die von KBS3 bzw. KBS6 ausgehenden Argumentationslinien unmittelbar auch auf die zweite Alternative in Anspruch 1 übertragen werden können.

4.1.1 Anspruch 1 betrifft jedoch nicht eine Ansammlung an einzelnen Komponenten, unter denen sich auch mehrere Tanks befinden, sondern eine Baumaschine mit einem Brennstofftank und einem Betriebsmitteltank. Damit einhergehend wird auch eine implizite Verbindung des Brennstofftanks mit dem ebenfalls in Anspruch 1 genannten Verbrennungsmotor über Brennstoffleitungen beansprucht, so dass der in KBS3 als Brennstofftank bezeichnete Tank nicht als Wassertank im Sinne des Kennzeichens von Anspruch 1 angesehen werden kann.

4.1.2 Der Gegenstand des Anspruchs 1 in der zweiten Alternative unterscheidet sich daher von der aus KBS3 bekannten Baumaschine dahingehend, dass

a) die Baumaschine einen Wassertank aufweist;

b) der Wassertank von Teilen des Maschinenrahmens gebildet wird; und

c) der Betriebsstofftank in den Wassertank integriert ist.

4.1.3 Die Baumaschine der KBS3 ist ein Löffelbagger, bei dem es keine Veranlassung gibt, einen Wassertank auf der Maschine anzuordnen. Entsprechend aber würde der Fachmann auch nicht einen Wassertank durch Teile des Maschinenrahmens bilden und/oder in den Wassertank den bereits vorhandenen Betriebsstofftank (22) integrieren.

Ausgehend von KBS3 würde der Fachmann daher nicht auf naheliegender Weise zum Gegenstand in der zweiten Alternative des Anspruchs 1 gelangen.

4.2 Die Beschwerdeführerin argumentiert schließlich zur zweiten Alternative des Anspruchs 1 ausgehend von KBS6 als nächstkommendem Stand der Technik.

4.2.1 Es ist unstrittig zwischen den Parteien, dass die aus KBS6 bekannte Fräsmaschine auch einen Wassertank aufweist.

4.2.2 Es ist aber auch in Hinblick auf den Wassertank strittig, wo dieser auf der Maschine angeordnet ist und insbesondere ob er von Teilen des Maschinenrahmens gebildet wird.

4.2.3 Auch hier argumentiert die Beschwerdeführerin, dass - solange die Beschwerdegegnerin, die die Maschine herstellt nicht nachgewiesen hätte, wie der Wassertank gebildet werde - davon auszugehen ist, dass der Wassertank durch Teile des Maschinenrahmens gebildet wird.

Wie vorstehend bei der Analyse von KBS6 zur ersten Alternative ausgeführt, ist die Beschwerdeführerin für ihre Behauptungen beweispflichtig. Nachdem aber kein schlüssiger Beweis vorliegt, dass der Wassertank der KBS6 durch Teile des Maschinenrahmens gebildet wird, kann dieses Merkmal nicht als in KBS6 verwirklicht angesehen werden.

4.2.4 Daher unterscheidet sich der Gegenstand des Anspruchs 1 in der zweiten Alternative von der aus KBS6 bekannten Baumaschine dahingehend, dass

a) der Wassertank von Teilen des Maschinenrahmens gebildet wird;

b) die Baumaschine einen Betriebsstofftank aufweist; und

c) der Betriebsstofftank in den Wassertank integriert ist.

4.2.5 Ohne weitere Informationen zum Aufbau der aus KBS6 bekannten Maschine ist es auch weiterhin unbewiesen, dass es prinzipiell möglich ist, den laut technischen Daten der KBS6 580 l fassenden Wassertank im Maschinenrahmen unterzubringen.

Selbst wenn es aber möglich sein sollte, fehlt es dem Fachmann - wie bereits zur ersten Alternative des Anspruchs 1 ausgeführt - an einer Motivation, den Wassertank durch Teile des Maschinenrahmens zu bilden.

Entsprechend kann das unterscheidende Merkmal a) nicht als naheliegend angesehen werden.

4.2.6 Zudem aber ist es auch in dieser Argumentationslinie nach wie vor nicht naheliegend, bei der aus KBS6 bekannten Maschine eine Abgasnachbehandlung mit einem Betriebsstofftank vorzusehen (siehe hierzu ebenfalls die Ausführungen im Zusammenhang mit der ersten Alternative des Anspruchs 1).

4.2.7 Selbst wenn der Fachmann aber eine Abgasnachbehandlung in Betracht ziehen würde, wird durch die Dokumente KBS4 bzw. KBS5 nur nahegelegt, den Betriebsstofftank im Brennstofftank zu integrieren, nicht aber im Wassertank.

a) Die Beschwerdeführerin argumentiert hierzu zwar, dass der Fachmann jeden großen Tank als für eine Integration des Betriebsstofftanks möglichen Tank ansehen würde.

b) KBS4 und KBS5 liefern jedoch gerade nicht diese generalisierte Lehre, sondern beschränken sich auf eine Integration des Betriebsstofftanks im Brennstofftank.

4.2.8 Daher werden auch die unterscheidenden Merkmale b) und c) nicht durch den von der Beschwerdeführerin aufgeworfenen Stand der Technik nahegelegt.

5. Weitere Argumentationslinien wurden nicht vorgebracht, so dass die Kammer keinen Grund sieht, von der Entscheidung der Einspruchsabteilung abzuweichen.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

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