T 2654/19 () of 20.12.2022

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2022:T265419.20221220
Datum der Entscheidung: 20 Dezember 2022
Aktenzeichen: T 2654/19
Anmeldenummer: 14179525.2
IPC-Klasse: C09J 133/08
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: HAFTKLEBEMASSE
Name des Anmelders: tesa SE
Name des Einsprechenden: certoplast Technische Klebebänder GmbH
3M Innovative Properties Co.
Lohmann GmbH & Co. KG
Kammer: 3.3.10
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 123(2)
European Patent Convention Art 84
European Patent Convention Art 54
European Patent Convention Art 56
European Patent Convention R 49(8)
European Patent Convention R 82(1)
European Patent Convention R 82(2)
Schlagwörter: Änderungen - zulässig (ja)
Patentansprüche - Klarheit
Patentansprüche - Hauptantrag (ja)
Neuheit - (ja)
Erfinderische Tätigkeit - (ja)
Hinweis auf Korrektur handschriftlicher Änderungen nach Regel 82(2) - keine Aufforderung und keine Frist nach Regel 82(2), zweiter Satz, EPÜ
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
T 1742/12
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerden der Beschwerdeführerinnen (Einsprechende 1-3) richten sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, das Streitpatent unter Artikel 101(3)(a) EPÜ auf Basis des von der Patentinhaberin (Beschwerdegegnerin) im Einspruchsverfahren vorgelegten Hauptantrags aufrechtzuerhalten.

II. Der unabhängige Anspruch 1 der aufrechterhaltenen Fassung des Patents hat folgenden Wortlaut:

"Haftklebemasse, enthaltend

a) 30-65 Gew.-% bezogen auf das Gesamtgewicht der Haftklebemasse, mindestens eines Poly(meth)acrylats;

b) 5-20 Gew.-% bezogen auf das Gesamtgewicht der Haftklebemasse, mindestens eines Synthesekautschuks;

c) mindestens einen mit dem/den Poly(meth)acrylat(en) verträglichen Tackifier; und

d) mindestens ein von (c) unterschiedliches und mit dem/den Synthesekautschuk(en) verträgliches Kohlenwasserstoffharz;

dardurch gekennzeichnet, dass der mit dem/den Poly(meth)acrylat(en) verträgliche Tackifier ein Terpenphenolharz oder ein Kolophoniumderivat ist und dass die Haftklebemasse geschäumt ist."

III. Dokumente

Auf folgende Dokumente wird Bezug genommen:

D1: |DE10 2008 0622 368 A1|

D5: |US 2010/0075132 A1 |

D6: |US 2010/0098962 A1 |

D7: |US 2012/0216953 A1 |

D8: |US 2012/0285618 A1 |

D9: |US 2011/0256395 A1 |

D10:|WO 2014/026668 A1 |

D11:|US 6,503,621 B1 |

D16:|WO 01/59025 A1 |

D17:|US 5,876,855 |

D19:|WO 00/06637 A1 |

D22:|WO 01/59024 A1 |

IV. Der angefochtenen Entscheidung zufolge gehen die Änderungen nicht über den ursprünglichen Inhalt der Patentanmeldung hinaus (Artikel 123(2) EPÜ). Einwände unter Artikel 84 und 83 EPÜ wurden nicht ins Verfahren zugelassen. Neuheit gegenüber den angeführten Dokumenten, insbesondere gegenüber D1 und D9, sei gegeben. Ebenso beruhe die beanspruchte Haftklebemasse ausgehend von D7 als nächstem Stand der Technik auf erfinderischer Tätigkeit.

V. In ihren Beschwerdebegründungen und im weiteren Verlauf des Beschwerdeverfahrens brachten die Beschwerdeführerinnen im wesentlichen folgendes vor:

Das im Rahmen des Prüfungsverfahrens eingefügte Merkmal, dass der Bestandteil (d) ein "von (c) unterschiedliches" Kohlenwasserstoffharz ist, sei so in der ursprünglichen Patentanmeldung nicht offenbart gewesen. Es liege daher ein Verstoß gegen Artikel 123(2) EPÜ vor.

Durch diese Änderung würde der Wortlaut des Anspruchs verlangen, dass nun auch die Komponente (c) ein Kohlenwasserstoffharz sei. Dies sei ebenso wenig ursprünglich offenbart gewesen. Überdies seien die Ansprüche dadurch nun unklar (Artikel 84 EPÜ) und nicht ausführbar (Artikel 83 EPÜ).

Die im Einspruchsverfahren geänderte Beschreibung sei nicht gemäß Regel 49(8) EPÜ abgefasst, es liege daher ebenfalls ein Verstoß gegen Artikel 84 EPÜ vor.

Neuheit gegenüber D1 und D9 sei nicht gegeben.

Die beanspruchten Haftklebemassen beruhten ausgehend von D7, D8, D16 und/oder D17 nicht auf erfinderischer Tätigkeit. Insbesondere unterschieden sich die beanspruchten Klebemassen nur durch deren Schäumung. Weder mit der Schäumung, noch mit dem Gehalt an Synthesekautschuk, sollte dieser ein weiteres unterscheidendes Merkmal darstellen, sei ein überraschender technischer Effekt verbunden. Es handle sich daher bei den beanspruchten Klebemassen um bloße Alternativen, die dem Fachmann aus einer Reihe von anderen Dokumenten nahegelegt seien. Gleiches gelte für die Ansprüche der Hilfsanträge.

VI. In ihrer Beschwerdeerwiderung und im weiteren Verlauf des Beschwerdeverfahrens bringt die Beschwerdegegnerin dagegen im wesentlichen folgendes vor:

Die beanstandete Änderung in Merkmal (d) bringe keine ursprünglich nicht offenbarten Sachverhalte ein. Die Komponente (d) sei ohnehin im weiteren Verlauf des Anspruchs näher spezifiziert.

Der geänderte Anspruch verlange keineswegs, dass nun auch die Komponente (c) ein Kohlenwasserstoffharz sei. Auf diese Lesart gestützte Einwände seien haltlos.

Neuheit gegenüber D1 und D9 sei gegeben, die Anspruchsmerkmale müssten durch eine Reihe von Auswahlschritten aus der Lehre dieser Dokumente kombiniert werden.

Die beanspruchten Haftklebemassen beruhten auch auf erfinderischer Tätigkeit. Ausgehend von den angeführten Dokumenten sei es dem Fachmann weder nahegelegt, den Anteil an Synthesekautschuk zu reduzieren, noch, die Klebemassen zu schäumen. Im übrigen seien D16 und D17 als Ausgangspunkt ohnehin ungeeignet.

VII. Die weiteren Einzelheiten der Argumente der Parteien, soweit entscheidungsrelevant, sind der Entscheidungsbegründung zu entnehmen.

VIII. Mit Ladung vom 1. Februar 2022 wurde für den 20. Dezember 2022 den Anträgen der Parteien folgend eine mündliche Verhandlung angesetzt. Ein verfahrensleitender Bescheid unter Artikel 15(1) RPBA 2020 erging mit Datum vom 3. August 2022.

IX. Die Schlussanträge der Parteien waren die folgenden:

Die Beschwerdeführerinnen 1, 2 und 3 beantragten die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents im vollen Umfang.

Die Beschwerdegegnerin beantragte die Zurückweisung der Beschwerden. Hilfsweise beantragte sie die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Europäischen Patents in geänderter Form im Umfang der bereits im Einspruchsverfahren eingereichten Hilfsanträge 1-3.

X. Die Entscheidung wurde am Ende der mündlichen Verhandlung verkündet.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerden sind zulässig.

2. Änderungen (Artikel 123(2) EPÜ)

2.1 Die Einwände der Beschwerdeführerinnen beziehen sich auf das im Rahmen des Prüfungsverfahrens eingefügte Merkmal, dass der Bestandteil (d) ein "von (c) unterschiedliches" Kohlenwasserstoffharz ist.

2.2 Die Einspruchsabteilung hatte in ihrer Entscheidung darauf hingewiesen, dass die Komponente (c) im Anspruch definiert ist, nämlich als Terpenphenolharz oder Kolophoniumderivat. Da diese Harze Sauerstoff enthalten, sei ein Überlapp beider Definitionen ohnehin nicht möglich. Überdies sei auf Seite 17 der Beschreibung ausgeführt, dass die Haftklebemassen "ferner" ein Kohlenwasserstoffharz enthielten, was bereits eine Abgrenzung von der Komponente (c) impliziere.

2.3 Die Beschwerdeführerin 2 brachte vor, es gebe in den ursprünglichen Unterlagen keine Lehre, dass das Harz (d) von (c) verschieden sein müsse. Der Begriff "Kohlenwasserstoffharze" umfasse auch phenolhaltige Verbindungen; dazu verwies sie auf D10.

Der geänderte Anspruch verlangt, dass das Kohlenwasserstoffharz (d) kein Terpenphenolharz und kein Kolophoniumderivat ist. Dies ist keine Lehre, die über den ursprünglichen Offenbarungsgehalt hinausgeht. Wie von der Einspruchsabteilung richtig festgestellt, enthalten diese Verbindungen Sauerstoff und sind daher von der Definition für (d) ohnehin nicht gedeckt. Ein Verweis auf einzelne Dokumente des Standes der Technik, in denen wie in D10 (oder auch in dem von der Beschwerdeführerin 1 in einer späteren Eingabe zitierten D22) Terpenphenolharze als aromatische Kohlenwasserstoffharze bezeichnet werden, geht schon deshalb ins Leere, weil vorliegend ja noch zusätzlich verlangt wird, dass das Kohlenwasserstoffharz mit dem Synthesekautschuk verträglich sein soll, was in diesen Dokumenten nicht Bedingung ist. Die in der dem Streitpatent zugrundeliegenden Anmeldung genannten, mit dem Synthesekautschuk verträglichen Kohlenwasserstoffharze enthalten jedenfalls keinen Sauerstoff, siehe Seite 17 Zeilen 5ff der ursprünglichen Offenbarung. Die Bedingung, dass die Komponenten (d) und (c) verschieden sein müssen, geht daher nicht über die ursprüngliche Anmeldung hinaus.

2.4 Die Beschwerdeführerinnen 1 und 3 brachten vor, durch die Änderung würde der Wortlaut des Anspruchs implizit verlangen, dass nun auch die Komponente (c) ein Kohlenwasserstoffharz sei. Schließlich werde in Punkt (d) ein "von (c) unterschiedliches (...) Kohlenwasserstoffharz" definiert. Dies sei ursprünglich nicht offenbart. Zudem sei dadurch ein unauflösbarer Widerspruch entstanden; die Komponente (c) sei einerseits als Kohlenwasserstoff, andererseits als sauerstoffhaltige Spezies definiert.

Die Kammer hält dies für eine unfachmännische Lesart des Anspruchs. Der Anspruch verlangt einen später näher definierten Tackifier (c) und ein davon verschiedenes Kohlenwasserstoffharz. Der Anspruch verlangt keineswegs, dass nun auch die Komponente (c) ein Kohlenwasserstoffharz sein muss, zumal diese Komponente (c) am Ende des Anspruchs eigens definiert ist.

Auf diese Überlegungen basierende Einwände unter Artikeln 123(2), 84 oder 83 EPÜ sind daher unbegründet, unbeschadet der Frage ihrer Zulässigkeit.

3. Klarheit, Stütze in der Beschreibung (Artikel 84 EPÜ)

3.1 Das Merkmal, dass der Bestandteil (d) ein "von (c) unterschiedliches" Kohlenwasserstoffharz ist, ist einer Klarheitsprüfung schon deshalb nicht zugänglich, da es während des Prüfungsverfahrens eingeführt wurde und Bestandteil der erteilten Ansprüche ist, siehe G 03/14. Die darauf gerichteten Einwände der Beschwerdeführerinnen können im Einspruchsverfahren nicht behandelt werden. Daran ändert auch nichts, dass der Hauptanspruch im Rahmen des Einspruchsverfahrens weiter geändert wurde, denn die im Einspruchsverfahren vorgenommenen Änderungen beziehen sich auf die Aufnahme der abhängigen Ansprüche 7 und 9 in den unabhängigen Anspruch. Dadurch entsteht kein zusätzliches Klarheitsproblem; eventuelle Unklarheiten bestanden bereits im erteilten Anspruchssatz.

3.2 Die Einsprechende 1 hat in ihrer Eingabe vom 6. Dezember 2020 vorgebracht, die geänderte Beschreibung sei in Form handschriftlicher, nicht gemäß Regel 49(8) EPÜ abgefasster Seiten eingereicht worden. Dies sei in der Einspruchsentscheidung moniert und es sei auf die Prozedur gemäß Regel 82(2) EPÜ hingewiesen worden. Die entsprechende Frist sei allerdings bereits abgelaufen.

Die Kammer kann dem nicht zustimmen.

Zum Einen wurde die Frist gar nicht in Gang gesetzt. Regel 82(2), zweiter Satz, EPÜ schreibt folgendes vor: "Wurden in der mündlichen Verhandlung Entscheidungen (...) auf Schriftstücke gestützt, die nicht den (...) vorgeschriebenen Erfordernissen entsprachen, so wird der Patentinhaber aufgefordert, die geänderte Fassung innerhalb der Dreimonatsfrist (...) einzureichen,..." (Hervorhebung der Kammer). Die genannte Dreimonatsfrist bezieht sich auf die Frist nach Regel 82(2), erster Satz, EPÜ, nämlich die Frist für die Zahlung der Gebühren und die Einreichung der Übersetzung der Ansprüche, die wiederum erst durch eine nach Ablauf der Frist nach Regel 82(1) EPÜ erlassene Aufforderung zu laufen beginnt. Die Zwischenentscheidung setzt keine neue Frist (ab der Entscheidung) in Gang, auch wenn die Einspruchsabteilung auf Regel 82 EPÜ hingewiesen hat. Eine Aufforderung nach Regel 82(2), erster Satz, EPÜ erfolgt erst nach Rechtskraft der Zwischenentscheidung (Richtlinien, D-VI.7.2.3).

Zum Zweiten, selbst wenn man annimmt, dass die Einspruchsabteilung tatsächlich beabsichtigte, eine Aufforderung nach Regel 82(2) EPÜ zu erlassen, hat eine Beschwerde aufschiebende Wirkung (Artikel 106(1) EPÜ). Der Sinn, Beschwerden nach Artikel 106(2) EPÜ auch gegen Zwischenentscheidungen der Einspruchsabteilung gemäß Artikel 103(3)(a) EPÜ zuzulassen, besteht ja gerade darin, dass formale Anforderungen zur Aufrechterhaltung des Patents in geändertem Umfang, etwa die in Regel 82(2) EPÜ erwähnte Form von Schriftstücken, erst zu einem Zeitpunkt erfüllt sein müssen, zu dem die aufrechtzuerhaltende Fassung feststeht. Die vermeintliche Aufforderung zur Einreichung der berichtigten Unterlagen im vorliegenden Fall war auch nicht Teil der formellen Entscheidung (Tenor), aber selbst wenn dies so gewesen wäre, hätte sich die aufschiebende Wirkung der Beschwerde auch auf diese Anweisung der Einspruchsabteilung erstreckt.

Ein Fristversäumnis seitens der Patentinhaberin liegt daher nicht vor.

4. Neuheit (Artikel 54 EPÜ)

4.1 Mangelnde Neuheit wurde von den Beschwerdeführerinnen gegenüber D1 und D9 angeführt. D1 und D9 entstammen derselben Patentfamilie und ihr Inhalt ist weitgehend identisch; im folgenden wird daher lediglich auf D1 Bezug genommen.

4.2 D1 offenbart in Anspruch 2 eine Klebemasse enthaltend eine Naturkautschukkomponente, eine Polyacrylatkomponente und eine Klebharzkomponente. Gemäß Anspruch 6 ist die Klebharzkomponente ein Kohlenwasserstoffharz und/oder Terpenphenolharz. Gemäß Anspruch 7 können weitere Additive enthalten sein, unter anderem Blähmittel. Laut Absatz [0018] der Beschreibung kann der Naturkautschuk teilweise oder ganz auch durch Synthesekautschuk ersetzt werden.

Die Beschwerdeführerinnen argumentieren, dadurch sei eine neuheitsschädliche Offenbarung gegeben. Insbesondere sei keine Mehrfachauswahl nötig, um zu den beanspruchten Haftklebemassen zu gelangen.

4.3 D1 enthält allerdings keine neuheitsschädliche Offenbarung.

Die Beispiele in D1 sind weder geschäumt, noch enthalten sie Synthesekautschuk, noch gleichzeitig Terpenphenol- und ein Kohlenwasserstoffharz.

Wie von der Einspruchsabteilung zutreffend festgestellt, muss aus dem allgemeinen Teil der D1 eine unter die vorliegenden Ansprüche fallende Offenbarung durch mehrfache Auswahl aus verschiedenen Möglichkeiten konstruiert werden.

Das gleichzeitige Vorhandensein von Terpenphenolharz und Kohlenwasserstoffharz in Anspruch 6 ist nur eine von drei Möglichkeiten. Dies muss mit dem Vorhandensein eines Blähmittels als Additiv aus der Liste in Anspruch 7 kombiniert werden und zudem muss noch gemäß Absatz [0020] Naturkautschuk zumindest anteilsweise durch Synthesekautschuk ersetzt werden. Dabei müssen außerdem noch die im Anspruch angegebenen Gewichtsanteile eingehalten werden. Dies alles ohne einen Hinweis auf eine derartige Kombination, da die Beispiele der D1 in eine andere Richtung weisen.

Eine direkte und eindeutige Kombination der Anspruchsmerkmale wird in D1 nicht offenbart.

4.4 Andere Dokumente wurden im Beschwerdeverfahren bezüglich Neuheit nicht mehr angeführt. Neuheit ist daher gegeben.

5. Erfinderische Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ)

5.1 Ausgehend von D7

Die Einspruchsabteilung hat in ihrer Entscheidung festgestellt, dass die beanspruchten Haftklebemassen ausgehend von D7 auf erfinderischer Tätigkeit beruhen, siehe Seiten 9-13 der angefochtenen Entscheidung. Diese Feststellung ist auch unter Berücksichtigung des Vorbringens der Beschwerdeführerinnen im Beschwerdeverfahren im Ergebnis nicht zu beanstanden. Die Gründe dafür sind im folgenden dargelegt.

5.1.1 Das Patent beschäftigt sich mit Haftklebemassen, die auch auf unpolaren Untergründen eine hohe Klebkraft aufweisen sollen und hohe Scherfestigkeit zeigen, siehe Absatz [0012] der Patentschrift. In D7 wird ebenfalls angestrebt, eine gute Klebkraft auf unpolaren Oberflächen zu erzielen, siehe Absatz [0002] dort.

5.1.2 Die Unterschiede der vorliegenden Ansprüche gegenüber der Lehre der D7 waren zwischen den Parteien strittig.

Unstrittig war, dass D7 das Merkmal "geschäumt" nicht offenbart.

Strittig war, ob sich die Ansprüche auch im Anteil des Synthesekautschuks unterscheiden.

Die Beschwerdegegnerin verwies darauf, dass in den Beispielen 13 und 15 der D7, die eine anspruchsgemäße Klebharzkombination aufweisen, der Anteil der Summe der verwendeten Synthesekautschuke über den beanspruchten 20% liegt. Die allgemeine Offenbarung beschreibe zwar Gehalte von funktionalisiertem synthetischem Kautschuk in Absatz [0036] zu 2-40 Gew.-% und von unfunktionalisiertem Synthesekautschuk in Absatz [0052] zu 5-50 Gew.-%, dies deute aber eher auf einen Gesamtgehalt von über 20 Gew.-% hin.

Die Beschwerdeführerinnen 1 und 2 argumentierten demgegenüber, in der allgemeinen Offenbarung der D7 seien auch Klebstoffe mit einem Anteil an Synthesekautschuken von weniger als 20 Gew-%. beschrieben. Zudem wurde die Auffassung vertreten, die im Anspruch definierte Obergrenze beziehe sich nicht auf die Summe aller Synthesekautschuke, sondern auf jeden Bestandteil einzeln.

5.1.3 Nach Überzeugung der Kammer geht der Fachmann im Rahmen des Aufgabe-Lösungsansatzes zunächst einmal, falls vorhanden, von einer konkreten Ausführungsform aus, die die meisten technischen Merkmale mit dem beanspruchten Gegenstand teilt. Ob der Fachmann weitere, nur in der allgemeinen Beschreibung offenbarte Merkmale auf eine solche Ausführungsform anwenden würde oder nicht, ist bereits Bestandteil der später zu behandelnden Frage des Naheliegens der beanspruchten Lösung des Problems, nicht der Definition der Unterschiede des Anspruchs in Bezug auf den gewählten Ausgangspunkt.

Dies ist vorliegend insbesondere deshalb der Fall, da die angeführten Beispiele 13 und 15 die einzigen Stellen der D7 sind, in denen ein anspruchsgemäßer Tackifier, ein Kolophoniumharz, verwendet wird. Der allgemeine Teil der Beschreibung der D7 offenbart solche Produkte nicht, bei den in Absatz [0058] der Beschreibung genannten Produkten handelt es sich sämtlich um Kohlenwasserstoffe.

Die Ansicht, die Obergrenze der Synthesekautschuks von 20 Gew.-% gelte für jeden verwendeten Synthesekautschuk individuell, entspringt nach Überzeugung der Kammer einer unfachmännische Lesart des Anspruchs. Der Anspruch definiert verschiedene Komponenten einer Haftklebemasse, die in verschiedenen Gewichtsanteilen darin enthalten sein sollen. Solche Gewichtsangaben werden üblicherweise so verstanden, dass sie für die gesamte definierte Komponente gelten; dies geht auch aus Absatz [0055] des Patents hervor ("...sind Synthesekautschuke in der Haftklebemasse zu 5 bis 20 Gew.-%, bezogen auf das Gesamtgewicht der Haftklebemasse, enthalten").

5.1.4 Die beanspruchten Haftklebemassen unterscheiden sich daher von den konkreten Ausgangspunkten des Standes der Technik durch zwei Unterschiede. Ein Unterschied besteht in der Schäumung, ein anderer darin, dass der Anteil des Synthesekautschuks unter 20 Gew.-% liegt. Die Beispielzusammensetzungen 13 und 15 enthalten ca. 37 bzw. 26 Gew.-% davon.

5.1.5 Verbesserte Eigenschaften gegenüber den Haftklebemassen der D7 wurden im Verfahren nicht belegt. Die ausgehend von D7 zu lösende technische Aufgabe bestand daher darin, eine alternative Haftklebemasse zur Verfügung zu stellen, die auch auf unpolaren Untergründen eine hohe Klebkraft besitzt, siehe Absatz [0012] des Patents.

5.1.6 Diese Aufgabe wird von den beanspruchten Haftklebemassen gelöst, die sich gegenüber denen der Beispiele 13 und 15 der D7 dadurch auszeichnen, dass sie geschäumt sind und einen Gehalt an Synthesekautschuk von 5-20 Gew.-% aufweisen.

Dass die beanspruchten Haftklebemassen die gestellte Aufgabe lösen, war unstrittig, dies geht auch aus Tabelle 1 des Patents hervor.

Nach Auffassung der Beschwerdeführerinnen war diese Lösung dem Fachmann allerdings aus dem Stand der Technik nahegelegt.

5.1.7 Zum Erreichen des anspruchsgemäßen Merkmals, dass der Anteil an Synthesekautschuk unter 20 Gew.-% liegt, muss der Fachmann ausgehend von den Beispielen dessen Gehalt verringern.

Zu diesem Merkmal haben die Beschwerdeführerinnen auf den allgemeinen Teil der D7 verwiesen, der in Absätzen [0036], [0052] und [0055] Aussagen über den Gehalt an unfunktionalisierten bzw. funktionalisierten Synthesekautschuken macht. Dabei wird in Absatz [0036] ein Anteil funktionalisierter Synthesekautschuke von 2-40 Gew.-%, und in Absatz [0052] der Anteil unfunktionalisierter Synthesekautschuke von 5 bis 50 Gew.-% angegeben. Die Angabe aus Absatz [0055] beschreibt einen Teil der unfunktionalisierten Kautschuke. Insgesamt ergibt sich daher in D7 ein Bereich von 7 bis 90 Gew.-%.

Es ist natürlich richtig, dass der im Anspruch definierte Gewichtsanteil von 5 bis 20 Gew.-% Synthesekautschuk mit dem in D7 beschriebenen Bereich überlappt, und die Untergrenze von 7% in den beanspruchten Bereich fällt. Andererseits weist keine der in D7 enthaltenen 26 Beispielzusammensetzungen einen Gehalt an Synthesekautschuk von unter 20 Gew.-% auf, auch nicht diejenigen, in denen ein anderer als der beanspruchte Tackifier verwendet wird. Ausgehend von den Beispielen 13 und 15 bestand daher für den Fachmann kein Anlass, den Gehalt an Synthesekautschuk zu reduzieren.

Die Beschwerdeführerin 1 hat auf Beispiel 3 und Vergleichsbeispiel 4 des Patents verwiesen und argumentiert, die Zusammensetzung des Vergleichsbeispiels 4 enthalte bei gleicher oder sogar besserer Klebkraft überhaupt keinen Synthesekautschuk. Es sei daher klar, dass es auf den Synthesekautschuk nicht ankomme, und die Grenzen im Anspruch willkürlich gesetzt seien. Der von D7 ausgehende Fachmann hatte allerdings diese Information nicht zur Verfügung. Daten aus dem Patent selbst können nicht nahelegen, ausgehend von den Beispielen der D7 den Anteil dieser Komponente zu verringern.

5.1.8 Schäumen der Klebstoffmasse ist in D7 nicht erwähnt. In D7 wird nur die Möglichkeit erwähnt, dass die Klebemasse auf einen geschäumten Träger aufgebracht werden kann, siehe [0063]. Dies ist aber nicht mit einer Schäumung der Klebemasse selbst gleichzusetzen.

Die Beschwerdeführerinnen haben vorgebracht, das Schäumen der Klebemasse sei eine triviale Maßnahme und bereits aus dem Stand der Technik bekannt. Dazu wurde insbesondere auf D1, D11 und D19, sowie auf D5, D6, D9 und D14 verwiesen. Dies sei sogar im Patent selbst erwähnt, siehe Absatz [0079]ff.

Bei den Haftstoffen in D1 und D11 handelt es sich um Klebemassen, für die auch Blähmittel oder Polymerblasen als mögliche Additive genannt werden (D1 Anspruch 7, D11 Spalte 8 Zeilen 8-16). Aus D1 oder D11 entnimmt der Fachmann nicht, dass das Schäumen von Haftklebemassen, die auf unpolaren Oberflächen haften sollen, angezeigt, noch, dass dies allgemein für Haftklebemassen üblich wäre. Gleiches gilt für D5, D6, D9 und D14.

D19 ist ein Dokument, das expandierbare Mikroballons zur Herstellung polymerer Schäume beschreibt. Ein derartiges Verfahren wird auch in den Beispielen des Streitpatents verwendet. Die Beschwerdeführerinnen haben hier pauschal auf die einleitenden Passagen auf Seiten 1 und 2 verwiesen.

Es ist unbestritten, dass das Schäumen von Klebemassen an sich im Stand der Technik bekannt ist. Die Frage ist jedoch vorliegend, weshalb der Fachmann ausgehend von D7 die dort offenbarten Klebemassen schäumen hätte sollen. Dass der Fachmann die Möglichkeit des Schäumens an sich gekannt hätte, ist dafür alleine nicht ausreichend.

5.1.9 Insgesamt ist festzuhalten, dass der Fachmann ausgehend von den beiden Beispielzusammensetzungen 13 und 15 der D7 auf der Suche nach Alternativen, die insbesondere auf unpolaren Oberflächen haften, keine Hinweise darauf hatte, diese Zusammensetzungen zu schäumen und/oder den Gehalt an Synthesekautschuk zu reduzieren. Den Ausführungen der Einspruchsabteilung ist daher im Ergebnis zuzustimmen.

5.2 Ausgehend von anderen Dokumenten

5.2.1 D8

5.2.2 Im Rahmen der Diskussion der D7 wurde auch D8 angeführt; da sich die Parteien aber einig waren, dass D7 und D8 sehr ähnliche Offenbarungen enthalten, braucht auf D8 nicht weiter eingegangen zu werden.

5.3 D16

5.3.1 Die Beschwerdeführerin 3 hat auch D16 als nächsten Stand der Technik angesehen, und zwar insbesondere im Hinblick auf die im Streitpatent ebenfalls herangezogene Aufgabe, eine Haftklebemasse mit hoher Scherkraft zur Verfügung zu stellen, siehe Absatz [0012].

5.3.2 Allerdings ergeben sich bei der Diskussion ausgehend von D16 keine neuen Gesichtspunkte, da die unterscheidenden Merkmale dieselben sind.

Die Schäumung der Haftklebemasse ist in D16 nicht offenbart.

Des weiteren ist die Offenbarung des Merkmals, dass die Haftklebemassen einen Anteil von Synthesekautschuk im Bereich von 5-20% enthalten sollen, in den Stellen, auf die sich die Beschwerdeführerin 3 beruft (Seite 6 Zeilen 22-25, Seite 9 Zeile 15 bis Seite 10 Zeile 3) nicht eindeutig. Alleine die Tatsache, dass diese Polymere konjugierte Diene enthalten, qualifizieren sie noch nicht als Synthesekautschuke. Zudem wird zwar ein Bereich von 10 bis 90 Gew.-% für den Anteil an der gesamten Zusammensetzung angegeben, aber der bevorzugte Bereich liegt mit mindestens 30 Gew-% bereits außerhalb der Ansprüche.

Zur Offenbarung von Kohlenwasserstoffharzen und Kolophoniumderivaten als Tackifier verweist die Beschwerdeführerin 3 auf Seite 9 oben und auf Seite 10, Zeile 31 bis Seite 11, Zeile 3. Dort wird allerdings nicht das gleichzeitige Vorhandensein eines Kolophoniumderivats und eines Kohlenwasserstoffharzes offenbart, die beiden werden nur als Alternativen aufgelistet.

Die vorliegenden Ansprüche unterscheiden sich daher von den Haftklebemassen der D16 in drei technischen Merkmalen. Zwei davon sind die, die die Ansprüche auch von D7 in erfinderischer Weise abgrenzen.

Selbst wenn man von D16 ausginge, so ergäbe sich daher eine Analyse, die zum gleichen Ergebnis führen muss.

5.4 D17

D17 beschäftigt sich mit auf der Haut haftenden Klebstoffzusammensetzungen, siehe Spalte 1 "Field of the Invention" und ist deshalb als Ausgangspunkt weniger geeignet.

Die Beschwerdeführerin 3 hat insbesondere auf die Passage in Spalte 2, Zeilen 43-47 verwiesen, die ihrer Ansicht nach eine allgemeine Lehre in Bezug auf Eigenschaften von Klebemassen beschreibt. Die Lehre der D17 sei daher nicht auf Hautkleber beschränkt.

Diese Passage muss allerdings im Zusammenhang mit dem Abschnitt gelesen werden, in dem sie steht. Dieser Abschnitt in Spalten 1 und 2 ist als "Background" bezeichnet und beschreibt Hintergrundinformationen von Klebstoffen, insbesondere Hautklebern. Dieser Abschnitt beschäftigt sich nicht mit der in D17 beschriebenen Erfindung. Die Erfindung der D17 wird zusammenfassend im folgenden, mit "Summary" betitelten Abschnitt beschrieben und ist auf medizinische Kleber beschränkt.

Die Beschwerdeführerin 3 hat insbesondere auf die Entscheidung T 1742/12 und die Prüfungsrichtlinien G-VII, 5.1 hingewiesen. Sie hat argumentiert, es sei nicht zulässig, bei verschiedenen möglichen Ausgangspunkten die Analyse der erfinderischen Tätigkeit gemäß des Aufgabe-Lösungsansatzes auf einen Angriff ausgehend von einem "nächstliegenden" Stand der Technik zu beschränken.

Die Kammer bestreitet nicht, dass es möglich ist, sich einer Erfindung von verschiedenen Seiten aus zu nähern. Im vorliegenden Fall ist die Beschwerdeführerin 3 jedoch eine überzeugende Erklärung schuldig geblieben, weshalb ein Fachmann, der sich die Aufgabe stellt, Klebemassen aufzufinden, die insbesondere auf unpolaren Oberflächen wie Autolacken gut haften sollen (Absätze [0002] und [0012] des Patents), ausgerechnet ein Dokument als Startpunkt verwenden soll, das sich mit medizinischen Klebstoffen beschäftigt. D17 beschreibt schließlich in der Hintergrundinformation in Spalten 1 und 2, dass für medizinische Kleber besondere Anforderungen zu erfüllen sind.

Die Beschwerdeführerin 3 hat nicht ausgeführt, aufgrund welcher Überlegungen ein Fachmann eventuelle Erkenntnisse, die für medizinische Klebstoffe gelten, auf andere Klebemassen übertragen hätte. Sie hat argumentiert, dies sei unerheblich, da die Ansprüche des Streitpatents auch medizinische Haftklebemassen einschließen.

Dem ist allerdings entgegenzuhalten, dass gemäß ständiger Rechtsprechung der Beschwerdekammern bei der Auswahl eines geeigneten Sprungbretts zur beanspruchten Erfindung "der Formulierung der ursprünglichen Aufgabe und der beabsichtigten Verwendung sowie der zu erzielenden Wirkungen generell mehr Gewicht beigemessen werden als einer Höchstzahl identischer technischer Merkmale", siehe Rechtsprechung, 10. Auflage 2022, I.D.3.1. Ob die Ansprüche des Streitpatents auch medizinische Klebemassen umfassen oder nicht, ist daher unerheblich.

Im vorliegenden Fall ist D17 kein besser geeigneter Ausgangspunkt als D7 zur Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit.

5.5 Insgesamt beruhen daher die in Anspruch 1 des Hauptantrags definierten Haftklebemassen auf erfinderischer Tätigkeit.

6. Zusammenfassend ist festzustellen, die Entscheidung der Einspruchsabteilung, das Patent auf der Grundlage des von der Patentinhaberin im Einspruchsverfahren vorgelegten Hauptantrags unter Artikel 101(3)(a) EPÜ in geänderter Form aufrechtzuerhalten, Bestand hat. Auf die Hilfsanträge der Patentinhaberin braucht daher nicht weiter eingegangen zu werden.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerden werden zurückgewiesen.

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