T 2424/19 () of 25.7.2022

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2022:T242419.20220725
Datum der Entscheidung: 25 Juli 2022
Aktenzeichen: T 2424/19
Anmeldenummer: 04763105.6
IPC-Klasse: A61K 8/18
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: MITTEL ZUR FÄRBUNG KERATINISCHER FASERN
Name des Anmelders: HFC Prestige International Holding
Switzerland S.a.r.l.
Name des Einsprechenden: Henkel AG & Co. KGaA
Kammer: 3.3.10
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 56
European Patent Convention Art 84
Schlagwörter: Erfinderische Tätigkeit - Hauptantrag (nein)
Deutlichkeit - Hilfsanträge (nein)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
G 0003/14
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerde der Einsprechenden richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, den Einspruch gegen das Patent EP 1 660 022 unter Artikel 101(2) EPÜ zurückzuweisen.

II. Im Einspruchsverfahren wurde das Streitpatent in seinem gesamten Umfang auf der Grundlage von Artikel 100(a) EPÜ wegen mangelnder erfinderischer Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ) angegriffen.

III. Im Laufe des Einspruchsverfahrens wurde auf die folgenden Dokumente verwiesen, die auch für die vorliegende Entscheidung relevant sind:

D1: EP 1 166 748

D2: J.F. Corbett, J. Soc. Cosmet. Chem., 35,

297-310, 1984

D3: W. Umbach (Hrsg.), Kosmetik - Entwicklung,

Herstellung und Anwendung kosmetischer

Mittel, Georg Thieme Verlag, Stuttgart,

2. Auflage 1995, Seiten 294-297

D5: "APPENDIX: Comparative Test Results for

Keratin Coloring Preparations"

(eingereicht von der Patentinhaberin im

Einspruchsverfahren am 17. Februar 2018)

IV. In ihrer Entscheidung kam die Einspruchsabteilung zu dem Schluss, dass der im Streitpatent beanspruchte Gegenstand ausgehend von der technischen Lehre des Dokuments D1 auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe (Artikel 56 EPÜ).

V. Gegen diese Entscheidung wurde von der Einsprechenden Beschwerde eingereicht. Die Einsprechende vertrat auch im Beschwerdeverfahren die Auffassung, dass der im Streitpatent beanspruchte Gegenstand nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe, und zwar ebenfalls ausgehend von der technischen Lehre des Dokuments D1 (Artikel 56 EPÜ).

VI. In Erwiderung der Beschwerdebegründung wurden von der Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) die Hilfsanträge 1 und 2 erneut eingereicht, die erstmalig bereits im Laufe des Einspruchsverfahrens vorgelegt worden waren. Im selben Schriftsatz brachte die Beschwerdegegnerin Argumente insbesondere zur erfinderischen Tätigkeit der Anträge vor.

VII. Am 26. Januar 2022 wurden die Parteien zur mündlichen Verhandlung für den 25. Juli 2022 geladen.

VIII. In einer Mitteilung gemäß Artikel 15(1) VOBK wurden die Parteien über die vorläufige Meinung der Kammer informiert. Die Parteien wurden darin über die Absicht der Kammer unterrichtet, während der mündlichen Verhandlung insbesondere zu erörtern, inwiefern durch die experimentellen Daten des Dokuments D5 eine technische Wirkung gezeigt werden könne, die auf das Unterscheidungsmerkmal zu Beispiel 65 des Dokuments D1 zurückzuführen sei. Des weiteren verwies die Kammer auf die von der Beschwerdeführerin in Bezug auf die Hilfsanträge unter den Artikeln 83, 84 sowie 56 EPÜ vorgebrachten Einwände.

IX. Mit Schriftsatz vom 07. Juni 2022 hat die Beschwerdegegnerin mitgeteilt, dass sie nicht an der mündlichen Verhandlung teilnehmen werde.

X. Anspruch 1 des erteilten Patents (vorliegenden Hauptantrags) lautet wie folgt:

"Mittel zur Färbung von Keratinfasern, welches frei von chemischen Oxidationsmitteln ist, dadurch gekennzeichnet, dass es in Form einer wässrigen oder wässrig-alkoholischen Zubereitung vorliegt und eine Kombination von Oxidationsfarbstoffen und direktziehenden Farbstoffen enthält, wobei mindestens 3 direktziehende Farbstoffe enthalten sind und das gewichtsmäßige Verhältnis von Oxidationsfarbstoffen zu direktziehenden Farbstoffen gleich 5:1 bis 0,5:1 ist und dass die direktziehenden Farbstoffe ausgewählt sind aus Hydroxyethyl-2-nitro-p-toluidin, 2-Hydroxyethyl-pikraminsäure, 4-Nitrophenyl-aminohamstoff, Basic Violet 2, Disperse Violet 1, HC Blue No. 2, HC Blue No. 12, HC Red No. 13, HC YellowNo. 6, HC Red No. 3, 4-Amino-3-nitrophenol, 4-[(2-Hydroxyethyl)-amino]-3-nitrophenol, HC Red No. 10, HC Red No. 11 , 2-Chlor-6-ethylamino-4-nitrophenol, 2-Amino-6-chlor-4-nitrophenol, HC Yellow No. 13, Basic Blue No. 99, Basic Brown No. 16, Basic Brown No. 17, Basic Red No. 76, Basic Yellow No. 57 und 2,6-Diamino-3-[(pyridin-3-yl)azo]-pyridin sowie deren Salzen und dass die Oxidationsfarbstoffe ausgewählt sind aus 2,5-Diamino-toluol, 2,4-Diaminophenoxyethanol, Resorcin, 2-Methylresorcin, m-Aminophenol, 4-Amino-3-methylphenol, 4-Amino-2-hydroxy-toluol, 6-Amino-3-methyl-phenol, 2-Amino-4-hydroxyethylaminoanisol, 1-Naphthol, Hydroxyethyl-3,4-methylendioxyanilin, 2,5-Diamino-phenylethanol, N,N-Bis(2-hydroxyethyl)-p-phenylendiamin, Phenyl-methyl-pyrazolon und 1-Hydroxyethyl-4,5-diamino-pyrazol oder deren Salzen."

XI. Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 unterscheidet sich von Anspruch 1 des Hauptantrags dadurch, dass er zusätzlich ein Merkmal zur Auswahl der Kombination von Oxidationsfarbstoffen und direktziehenden Farbstoffen enthält, welches den folgenden Wortlaut hat:

"... welche so ausgewählt ist, dass bei Anwendung des Mittels Farbergebnisse erhalten werden, die sich durch einen natürlichen Glanz und eine langanhaltende gleichmäßige Färbung ohne Farbveränderung der Ursprungsfarbe auszeichnen, ...".

XII. Anspruch 1 des Hilfsantrags 2 unterscheidet sich von Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 dadurch, dass er ein weiteres Merkmal zur Auswahl der Kombination von Oxidationsfarbstoffen und direktziehenden Farbstoffen enthält, welches den folgenden Wortlaut hat:

"... und sodass ein konstantes Farbbild erreicht wird, das über einen Zeitraum von bis zu 20 Haarwäschen der gefärbten Keratinfasern hält, ...".

XIII. In ihrer Beschwerdebegründung und im weiteren Verfahren brachte die Beschwerdeführerin im Wesentlichen folgendes vor:

Durch das Mittel gemäß Anspruch 1 werde bereits die im Streitpatent genannte subjektive technische Aufgabe nicht gelöst. Es sei nämlich nicht gezeigt worden, dass sich die finale Färbung sofort nach Anwendung des beanspruchten Mittels zur Färbung entwickle. Die Einspruchsabteilung habe zudem die Lehre des Dokuments D1 nicht korrekt interpretiert, da im Dokument sehr wohl formstabile Färbemittel mit sofortiger Entwicklung eines finalen Farbtons offenbart seien.

Die Beschwerdeführerin erachtete auch die im Dokument D5 beschrieben Beispielen als nicht aussagekräftig. Aus der Tabelle 3 des Dokuments ergebe sich nämlich lediglich, dass Unterschiede in den Zusammensetzungen (Anzahl und Art der Direktzieher, Verhältnis von Oxidationsfarbstoff zu Direktziehern) zu unterschiedlichen Farbergebnissen führten. Dies sei für den Fachmann in Anbetracht der jeweiligen spezifischen Zusammensetzungen jedoch nicht überraschend. Ein zeitlicher Verlauf der Farbtonentwicklung sei der Tabelle 3 nicht zu entnehmen. Auch sei unklar, warum die Zusammensetzung E2 des Dokuments D5 nicht erfindungsgemäß sei. Zudem sei auch der Tabelle 2 des Dokuments D5 weder ein zeitlicher Verlauf der Farbtonentwicklung der untersuchten Zusammensetzungen zu entnehmen, noch seien die dargestellten Ergebnisse für den Fachmann überraschend. Ebenso seien die in der Tabelle 1 des Dokuments D5 dargestellten Werte nicht geeignet, eine verbesserte Waschechtheit zu belegen. Daher sei die gelöste technische Aufgabe von der Einspruchsabteilung zu ehrgeizig formuliert worden, sie liege nämlich lediglich in der Bereitstellung von alternativen Färbemitteln. Deren anspruchsgemäße Bereitstellung sei dem Fachmann aus den Dokumenten D2 und D3 sowie durch allgemeines Fachwissen nahegelegt.

In Bezug auf die Hilfsanträge brachte die Beschwerdeführerin bereits im schriftlichen Verfahren, nämlich mit der Beschwerdebegründung vom 23. Oktober 2019, vor, Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 erfülle nicht die Erfordernisse des Artikels 84 EPÜ. Der darin beanspruchte Gegenstand sei nicht deutlich gefasst. Sie verwies hierzu auf das während des Einspruchsverfahrens aus der Beschreibung in den Anspruch aufgenommene Merkmal, insbesondere auf die darin enthaltenen Begriffe "natürlichen Glanz" und "langanhaltende gleichmäßige Färbung".

XIV. In ihrer Antwort auf die Beschwerdebegründung brachte die Beschwerdegegnerin im Wesentlichen folgendes vor:

Die beanspruchten Mittel führten dazu, dass sich die gewünschte Farbe unmittelbar nach der Anwendung einstelle und über einen längeren Zeitraum anhalte. Die Beschwerdegegnerin verwies hierzu insbesondere auf Absatz [0005] der Beschreibung des Streitpatents sowie auf die auch von der Beschwerdeführerin herangezogenen Beispiele des Dokuments D5.

Von der Beschwerdegegnerin wurde des weiteren vorgebracht, dass durch die in die Ansprüche der Hilfsanträge zugefügten Merkmale keine Zweideutigkeiten hervorgerufen würden und dass die Definition von Anspruchsgegenständen durch funktionelle Merkmale prinzipiell erlaubt sei. Zudem werde im Hilfsantrag 2 der Zeitraum präzisiert, über den eine gleichmäßige Färbung auftrete.

XV. Am 25. Juli 2022 fand eine mündliche Verhandlung in Form einer Videokonferenz statt. Die Beschwerdegegnerin war hierbei wie angekündigt nicht vertreten.

XVI. Anträge

Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) beantragt die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Europäischen Patents Nr. 1660022 in vollem Umfang.

Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragt schriftlich die Beschwerde zurückzuweisen (Aufrechterhaltung auf Basis des erteilten Patents) sowie hilfsweise die Aufrechterhaltung des Patents auf der Basis der Hilfsanträge 1 oder 2, erstmalig vorgelegt am 12. April 2019 und wieder vorgelegt im Beschwerdeverfahren am 6. März 2020.

Entscheidungsgründe

Hauptantrag - erfinderische Tätigkeit

1. In der Entscheidung der Einspruchsabteilung wurde erfinderische Tätigkeit ausgehend von der Offenbarung des Dokuments D1, insbesondere Beispiel 65, anerkannt. Die Einspruchsabteilung begründete dies mit Verweis auf Vergleichsversuche der Tabellen 2 und 3 des Dokuments D5. Daraus ließe sich ihrer Ansicht nach eine technische Wirkung ableiten, die auf das Unterscheidungsmerkmal gegenüber D1, nämlich der Anwesenheit wenigstens eines dritten direktziehenden Farbstoffs aus der im Anspruch 1 genannten Gruppe im beanspruchten Mittel, zurückzuführen sei. Die Einspruchsabteilung sah die gelöste technische Aufgabe in der Bereitstellung eines Mittels, welches sofort nach der Anwendung eine einheitliche Färbung ermögliche, die über einen Zeitraum von bis zu 20 Haarwäschen weitestgehend konstant bleibe. Sie führte aus, dass der Fachmann keinem der vorgelegten Dokumente einen konkreten Hinweis darauf entnehmen könne, dass die anspruchsgemäße Kombination an Farbstoffen eine konstante Färbung über einen längeren Zeitraum ermögliche.

2. Die Kammer folgt dieser Auffassung nicht und schließt sich der Argumentation der Beschwerdeführerin an. Die Gründe hierfür sind wie folgt:

Nächstliegender Stand der Technik

2.1 Beide Parteien erachten in Übereinstimmung mit der Einspruchsabteilung Dokument D1, insbesondere Beispiel 65, als geeigneten Ausgangspunkt zur Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit (siehe Tabelle 11 auf Seite 12 des Dokuments D1). Das im Beispiel 65 beschriebene Haarfärbemittel enthält neben Farbstoffen, die in der Listen der Oxidationsfarbstoffe des streitpatentgemäßen Anspruchs 1 angeführt werden (siehe die Verbindungen E7, E8 und K22 im Dokument D1; vgl. hierzu Absatz [0018], Seite 5, Zeilen 20 und 23; Absatz [0018], Seite 4, Zeile 53 in D1), auch zwei der in der Liste der direktziehenden Farbstoffe des Anspruchs 1 des Streitpatents genannten Farbstoffe (die Farbstoffe D1 und D2 im Dokument D1; siehe hierzu Absatz [0018], Seite 5, Zeilen 28 und 30 in D1). In dem von den Parteien alternativ herangezogenen Beispiel 64 ist dahingegen lediglich ein einziger anspruchsgemäßer, direktziehender Farbstoff enthalten (Farbstoff D3 im Dokument D1; siehe hierzu Absatz [0018], Seite 5, Zeile 31 in D1). Die Kammer kann sich daher der Wahl von Beispiel 65 als nächstliegendem Stand der Technik anschließen. Auch das gewichtsmäßige Verhältnis von Oxidationsfarbstoffen zu direktziehenden Farbstoffen beträgt im Beispiel 65 3,24 und liegt damit im anspruchsgemäßen Bereich von 5:1 bis 0,5:1 (Beispiel 65 in Tabelle 11 von D1: 0,01 + 1,06 + 0,55 = 1,62 Anteile Oxidationsfarbstoffe und 0,15 + 0,35 = 0,50 Anteile direktziehende Farbstoffe).

Unterscheidungsmerkmal

2.2 Das Mittel gemäß Anspruch 1 des Streitpatents unterscheidet sich somit vom Mittel gemäß Beispiel 65 des Dokuments D1 dadurch, dass darin "... mindestens 3 direktziehende Farbstoffe enthalten sind ...", also dass zusätzlich mindestens ein weiterer aus der im Anspruch hierzu angegebenen Liste direktziehender Farbstoffe enthalten ist. Dieser Punkt war unstrittig zwischen den Parteien.

Technische Wirkung und objektive technische Aufgabe

2.3 Die Parteien vertraten unterschiedliche Auffassungen, welche technische Wirkung durch die Anwesenheit mindestens eines weiteren direktziehenden Farbstoffs hervorgerufen wird und wie die daraus ableitbare objektive technische Aufgabe zu definieren ist. Jedoch stützten beide Parteien ihre Argumentation auf den Inhalt des Dokuments D5.

2.4 Die Kammer folgt aus folgenden Gründen den Ausführungen der Beschwerdeführerin:

2.4.1 In den Tabellen 1 und 2 des Dokuments D5 wird die Farbveränderung nach Waschen von Haar untersucht, welches mit verschiedenen Zusammensetzungen (A1, A2, B1, B2) gefärbt wurde. Dabei fallen die Zusammensetzungen A1 und B1 in den beanspruchten Bereich (wenigstens drei der angegebenen direktziehenden Farbstoffe und anspruchsgemäßes gewichtsmäßiges Verhältnis, siehe die Zusammensetzungen "Composition A1" und "Composition B1" auf den Seiten 1 und 2 des Dokuments), die Zusammensetzungen A2 und B2 jedoch nicht. Die Zusammensetzung A2 weist nämlich ein gewichtsmäßiges Verhältnis von Oxidationsfarbstoffen zu direktziehenden Farbstoffen von 6:1 auf (siehe Seite 1 des Dokuments: "Composition A2"), die Zusammensetzung B2 eines von 0,3:1 (siehe Seite 2 des Dokuments: "Composition B2"). Die Werte liegen entweder ober- oder unterhalb des beanspruchten Bereichs von 5:1 bis 0,5:1.

Somit kann aus den Tabellen 1 und 2 allenfalls abgeleitet werden, inwiefern sich Zusammensetzungen hinsichtlich Farbstabilität von gefärbtem Haar nach Waschen unterscheiden, deren gewichtsmäßiges Verhältnis von Oxidationsfarbstoffen zu direktziehenden Farbstoffen innerhalb oder außerhalb des anspruchsgemäßen Bereichs liegen. Eine auf das gegenüber Beispiel 65 des Dokuments D1 festgestellte Unterscheidungsmerkmal - der Anwesenheit wenigstens eines zusätzlichen direktziehenden Farbstoffs - begründete technische Wirkung lässt sich daraus nicht ableiten. Alle in den Tabellen 1 und 2 angeführten und getesteten Zusammensetzungen enthalten nämlich bereits mindestens 3 verschiedene direktziehende Farbstoffe (siehe die Liste der Inhaltsstoffe der Zusammensetzungen A1, A2, B1 und B2 auf den Seiten 1 und 2 des Dokuments D5). Die Tabellen 1 und 2 sind daher nicht geeignet, um eine technische Wirkung gegenüber Beispiel 65 des Dokuments D1 zu belegen.

2.4.2 Aus Tabelle 3 des Dokuments D5 wiederum geht kein zeitlicher Verlauf der Farbintensität der getesteten Färbemittel hervor. In der Tabelle wird vielmehr angegeben, welche Färbung durch die verschiedenen Färbemittel erhalten werden kann. In der letzten Spalte der Tabelle wird angegeben, dass in bestimmten Zusammensetzungen mit weniger als 3 direktziehenden Farbstoffen bestimmte Färbungen nicht erhalten werden können. Die Zusammensetzung E2 enthält jedoch ebenfalls drei direktziehende Farbstoffe (Seite 7 von D5, "Composition E2": direct dyes HC Blue No. 12, HC Red No. 10 / HC Red No. 11 (70/30)). Sie wird daher ebenfalls vom Anspruchswortlaut umfasst, liefert jedoch augenscheinlich keine zufriedenstellenden Färbungen (siehe letzter Eintrag in Tabelle 3). Somit sind die Ergebnisse der Tabelle allenfalls dazu geeignet, zu zeigen, dass verschiedene Färbezusammensetzungen zu verschiedenartigen Färbungen von Haar führen. Eine zeitliche Abhängigkeit der Farbintensitäten, beruhend auf dem Unterscheidungsmerkmal gegenüber Beispiel 65 des Dokuments D3, lässt sich Tabelle 3 nicht entnehmen.

2.5 Daher besteht die objektive technische Aufgabe darin, zum in Beispiel 65 des Dokuments D1 offenbarten Färbemittel alternative Mittel zur Färbung von Keratinfasern bereitzustellen, mit denen andere Farbtöne erhalten werden können.

Anspruchsgemäße Lösung der technischen Aufgabe

2.6 Die gestellte technische Aufgabe wird anspruchsgemäß dadurch gelöst, dass im beanspruchten Mittel mindestens ein weiterer direktziehender Farbstoff, ausgewählt aus der im Anspruch angeführten Liste von Verbindungen, enthalten sein muss. Dass diese Aufgabe gelöst wird, war unstrittig.

Naheliegen der vorgeschlagenen Lösung

2.7 Bereits aus dem Dokument D1 selbst entnimmt der Fachmann, dass "zur Abrundung des Farbergebnisses sowie zur Erzeugung von speziellen Farbeffekten der vorgenannten Farbsoffkombination weitere übliche Oxidationsfarbstoffvorstufen ... sowie übliche direktziehende Farbstoffe aus der Gruppe ... aromatische Nitrofarbstoffe ..." zugesetzt werden können (Absatz [0009]). Konkret wird hierzu im Dokument D1 mit der Verbindung D3 (2-Amino-6-chlor-4-nitro-phenol, Absatz [0018], Seite 5, Zeile 32 sowie Tabelle 11, Beispiel 64) ein aromatischer Nitrofarbstoff als direktziehender Farbstoff vorgeschlagen. Dieser findet sich in der Liste der direktziehenden Farbstoffe des Anspruchs 1 gemäß Streitpatent.

Daher wird es als für den Fachmann naheliegend angesehen, unter Berücksichtigung der gestellten technischen Aufgabe das Beispiel 65 des Dokumentes D1 durch Zugabe zumindest eines weiteren, in der Liste des Anspruchs 1 enthaltenen, direktziehenden Farbstoffs abzuändern, nämlich beispielsweise durch Zugabe der Verbindung D3. Der Fachmann gelangt durch dieses Vorgehen direkt zum beanspruchten Gegenstand.

3. Die Bereitstellung eines Mittels zur Färbung von Keratinfasern gemäß Anspruch 1 des Streitpatents beruht daher nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit. Der Hauptantrag der Beschwerdegegnerin ist somit nicht gewährbar (Artikel 56 EPÜ).

Hilfsantrag 1 - Artikel 84 EPÜ

4. Die Kammer folgt aus folgenden Gründen auch hier der Argumentation der Beschwerdeführerin:

4.1 Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 wurde gegenüber Anspruch 1 des erteilten Patents durch Aufnahme eines Merkmals aus der Beschreibung des Streitpatents geändert (Seite 2, Absatz 2). Das Vorbringen der Beschwerdeführerin bezieht sich auf die durch dieses aus der Beschreibung neu in den erteilten Anspruch aufgenommene Merkmal durchgeführte Änderung des Anspruchs 1. Daher sind die Ansprüche dieses Antrags auf die Erfordernisse des Artikels 84 EPÜ zu prüfen (G 0003/14).

4.2 Durch das aufgenommene Merkmal wird das beanspruchte Mittel zur Färbung von Keratinfasern dadurch definiert, dass die Kombination von Oxidationsfarbstoffen und direktziehenden Farbstoffen derart auszuwählen ist, dass sich die erhaltenen Farbergebnisse durch einen "natürlichen" Glanz und eine "langanhaltende" gleichmäßige Färbung auszeichnen. Keiner dieser in den Anspruch neu eingeführten Begriffe ist geeignet, den Anspruchsgegenstand in einer Weise zu definieren, die eine deutliche Abgrenzung zum Stand der Technik erlaubt. Insbesondere fehlt es an einer eindeutigen Information, wann der Glanz von gefärbtem Haar als "natürlich" und wann eine gleichmäßige Färbung als "langanhaltend" beurteilt wird, bzw. wann dies nicht der Fall ist. Daher ist der Anspruch nicht deutlich gefasst.

5. Hilfsantrag 1 erfüllt somit nicht die Erfordernisse des Artikels 84 EPÜ.

Hilfsantrag 2 - Artikel 84 EPÜ

6. Anspruch 1 des Hilfsantrags 2 leitet sich von Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 ab. Er enthält das unter Punkt XII. der vorliegenden Entscheidung angeführte zusätzliche Merkmal, welches definiert, dass ein nach der Färbung erhaltenes Farbbild über einen Zeitraum von bis zu 20 Haarwäschen der gefärbten Keratinfasern hält.

7. Da Anspruch 1 des Hilfsantrags 2 jedoch weiterhin den Begriff "natürlichen Glanz" enthält, und zumindest dieser Begriff durch das zusätzlich aufgenommene Merkmal nicht klar gestellt wurde, erfüllt der Antrag aus den vorstehend genannten Gründen ebenfalls nicht die Erfordernisse des Artikels 84 EPÜ.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Das Patent wird widerrufen.

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