T 2373/19 () of 24.7.2024

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2024:T237319.20240724
Datum der Entscheidung: 24 Juli 2024
Aktenzeichen: T 2373/19
Anmeldenummer: 13739210.6
IPC-Klasse: H05B 3/84
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: SCHEIBE MIT ELEKTRISCHEM ANSCHLUSSELEMENT UND KOMPENSATORPLATTEN
Name des Anmelders: Saint-Gobain Glass France
Name des Einsprechenden: Pilkington Group Limited
Kammer: 3.4.02
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 113(2)
European Patent Convention 1973 Art 101
Schlagwörter: Grundlage der Entscheidung - Rücknahme der Zustimmung zur vorgelegten oder gebilligten Fassung des Patents
Grundlage der Entscheidung - Widerruf des Patents
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
T 1651/14
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Einspruchsabteilung hat mit ihrer Zwischenentscheidung festgestellt, dass das europäische Patent Nr. 2 923 529 in geänderter Fassung den Erfordernissen des Übereinkommens genügt.

II. Gegen diese Entscheidung hat die Einsprechende (Beschwerdeführerin) Beschwerde eingereicht und beantragt, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent zu widerrufen. Sie machte zudem eine Verletzung ihres rechtlichen Gehörs durch die Einspruchsabteilung geltend.

III. Die Patentinhaberin (Beschwerdegegnerin) beantragte in ihrer Beschwerdeerwiderung, die Beschwerde zurückzuweisen und damit das Patent im Umfang der in der angefochtenen Entscheidung als patentfähig angesehenen Fassung aufrechtzuerhalten.

IV. In einer Mitteilung gemäß Artikeln 15 VOBK 2020 teilte die Beschwerdekammer ihre vorläufige und nicht bindende Meinung zu bestimmten, wesentlichen Punkten mit.

V. Mit Schreiben vom 24. Juni 2024 reichte die Patentinhaberin Hilfsanträge 1 bis 4 ein.

VI. Eine mündliche Verhandlung fand am 24. Juli 2024 vor der Kammer statt. Im Verlauf der Verhandlung

zog die Patentinhaberin alle ihre Anträge zurück und erklärte, dass sie der Aufrechterhaltung des Patents in der der angefochtenen Zwischenentscheidung zugrundeliegenden Fassung nicht mehr zustimme.

VII. Die finalen Anträge der Parteien lauten wie folgt:

Die Einsprechende beantragt die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents.

Die Patentinhaberin stimmt der Aufrechterhaltung des Patents in der der angefochtenen Zwischenentscheidung zugrundeliegenden Fassung nicht mehr zu.

Entscheidungsgründe

1. Verletzung des rechtlichen Gehörs - Gelegenheit zur Stellungnahme

1.1 Im Einspruchsverfahren reichte die Einsprechende in Erwiderung auf die Ladung zur mündlichen Verhandlung die Dokumente D12 bis D16 ein (bezüglich weiterer Informationen zu diesen Dokumenten verweist die Kammer auf Punkt 7 der angefochtenen Entscheidung).

Im Beschwerdeverfahren trug die Einsprechende vor, dass sie in der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung keine Gelegenheit bekommen hätte, zu diesen Dokumenten Argumente zur mangelnden erfinderischen Tätigkeit vorzutragen. Die Einspruchsabteilung hätte der Einsprechenden zu verstehen gegeben, dass nur ein einziger Einwand gemäß Artikel 56 EPÜ erlaubt wäre und alle weiteren Einwände eine Beschwerde voraussetzen würden. Das Protokoll zur mündlichen Verhandlung zeige dies jedoch nicht.

Die Einsprechende beantragte diesbezüglich, dass die Kammer klarstellen solle, ob in einer mündlichen Verhandlung generell mehr als ein Dokument, welches den nächstliegenden Stand der Technik darstellt, berücksichtigt werden könne.

1.2 Die Patentinhaberin trug vor, dass die Einsprechende es versäumt und offenbar als nicht notwendig erachtet hätte, ihr Vorbringen in der mündlichen Verhandlung auf die Dokumente D12 bis D16 zu stützen, obgleich sie hierzu ausreichend Gelegenheit gehabt hätte. Die Einsprechende sei nicht daran gehindert worden, in der mündlichen Verhandlung Ausführungen zu den Dokumenten D12 bis D16 zu machen, sondern sei nur auf die geltende Rechtslage hingewiesen worden, wonach der nächstliegende Stand der Technik der aussichtsreichste Startpunkt für die Bewertung der erfinderischen Tätigkeit sei und wobei bei mehreren Dokumenten darzulegen sei, warum diese als gleichwertig zu erachten seien.

Die Patentinhaberin bestritt, dass ein lückenhaftes Protokoll vorliege. Zudem sei eine Korrektur des vermeintlich lückenhaften Protokolls seitens der Einsprechenden nicht beantragt worden.

1.3 Die Kammer ist der Meinung, dass es der Einsprechenden obliegt, einen Punkt, den sie für relevant hält, anzusprechen und - gegebenenfalls mit einem formalen Antrag - auf seiner Behandlung zu bestehen (siehe Rechtsprechung der Beschwerdekammern, 10. Auflage, 2020, III.B.2.6, zweiter Absatz). Laut Protokoll der mündlichen Verhandlung (siehe insbesondere Punkt 1.4) und der Entscheidung (siehe Punkt 5) war dies bezüglich der Zulassung der Dokumente D12 bis D16 sowie der Diskussion darauf basierender Einwände nach Artikel 56 EPÜ nicht der Fall.

Zudem ist nach ständiger Rechtsprechung der Beschwerdekammern von den Parteien und deren Vertretern zu erwarten, dass die Vollständigkeit und Korrektheit der Niederschrift einer Verhandlung direkt nach dem Erhalt sorgfältig geprüft und ggf. zeitnah bemängelt wird (siehe Rechtsprechung der Beschwerdekammern, Ausgabe 2022, III.C.7.10.3: Berichtigung der Niederschrift). Da die Einsprechende im vorliegenden Fall keine Korrektur des Protokolls beantragt hat, folgert die Kammer, dass die Richtigkeit des Protokolls formal nicht im Zweifel stand.

Die Behauptung der Einsprechenden, dass sie weitere Gründe vortragen wollte und ihr dieses Recht verweigert wurde, kann auf Basis der vorliegenden Tatsachen (Protokoll der mündlichen Verhandlung und Entscheidung der Einspruchsabteilung) nicht nachvollzogen werden.

Die Kammer ist daher der Meinung dass der Einsprechenden in der mündlichen Verhandlung ausreichend Gelegenheit gegeben wurde, sich zur Zulassung und dem Inhalt der Dokumente D12 bis D16 zu äußern und dass sich daher die Entscheidung der Einspruchsabteilung nur auf Gründen stützt, zu denen sich die Einsprechende äußern konnten.

Bezüglich des Antrags der Einsprechenden zu der Frage, ob mehrere Ausgangspunkte zur Diskussion der erfinderischen Tätigkeit möglich sind, stellt die Kammer fest, dass ein Beschwerdeverfahren keine Möglichkeit ist, generelle Aussagen zu bestimmten rechtlichen Fragen zu beantragen. Allgemeine Informationen zu dieser Fragestellung finden sich jedoch in der Rechtsprechung zu erfinderischen Tätigkeit (siehe Rechtsprechung, Kapitel I.D.3.4.2 Das erfolgversprechendste Sprungbrett).

2. Widerruf des Patents

Nach Artikel 113 (2) EPÜ kann das europäische Patent nur in einer Fassung aufrechterhalten werden, der die Patentinhaberin zustimmt. Dieser Grundsatz gilt sowohl im Einspruchs- als auch im Einspruchsbeschwerdeverfahren. Aus dem Umstand, dass die Fassung des Patents der Verfügungsgewalt der Patentinhaberin unterliegt, folgt, dass ein Patent nicht gegen den Willen der Patentinhaberin aufrechterhalten werden kann.

Die Patentinhaberin hat im Rahmen der mündlichen Verhandlung erklärt, dass sie der Aufrechterhaltung des Patents in der der angefochtenen Zwischenentscheidung zugrundeliegenden Fassung nicht mehr zustimme.

Nach ständiger Rechtsprechung ist das Patent ohne Sachprüfung zu widerrufen, wenn es keine Fassung des Patents gibt, auf deren Grundlage die Kammer die Beschwerde prüfen kann (s. Rechtsprechung der Beschwerdekammern, 10. Auflage 2022, IV.D.2, T 1651/14).

Das Patent ist daher nach Artikel 101 (3) b) EPÜ zu widerrufen, da keine von der Patentinhaberin gebilligte Fassung vorliegt.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Das Patent wird widerrufen.

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