T 2106/19 () of 28.6.2023

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2023:T210619.20230628
Datum der Entscheidung: 28 Juni 2023
Aktenzeichen: T 2106/19
Anmeldenummer: 13747816.0
IPC-Klasse: B29D 99/00
B29C 70/44
B29C 70/48
B29C 70/54
B29C 44/56
B29C 70/86
B29C 67/24
F01D 5/28
B29K 27/06
B29K 75/00
B29K 25/00
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
Download und weitere Informationen:
Text der Entscheidung in DE (PDF, 606 KB)
Alle Dokumente zum Beschwerdeverfahren finden Sie im Register
Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Verfahren zur Fertigung eines Rotorblattes und ein Rotorblatt einer Windenergieanlage
Name des Anmelders: Siemens Gamesa Renewable Energy Service GmbH
Name des Einsprechenden: Vestas Wind Systems A/S
Kammer: 3.2.05
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 54
European Patent Convention Art 56
Rules of procedure of the Boards of Appeal 2020 Art 013(2)
Schlagwörter: Neuheit - ja
Erfinderische Tätigkeit - ja
Spät eingereichter Einwand - zugelassen
Spät eingereichter Einwand - ja
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
T 0623/97
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerde der Einsprechenden richtet sich gegen die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung, dass das europäische Patent Nr. 2 890 552 (das Patent) unter Berücksichtigung der von der Patentinhaberin im Einspruchsverfahren vorgenommenen Änderungen gemäß dem Hilfsantrag 1, eingereicht in der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung, den Erfordernissen des Übereinkommens genügt.

II. Der Einspruch war gegen das Streitpatent in vollem Umfang eingelegt und auf die Einspruchsgründe nach Artikel 100 a) EPÜ i.V.m. Artikel 54 EPÜ (fehlende Neuheit) und Artikel 56 EPÜ (mangelnde erfinderische Tätigkeit) gestützt worden.

III. Am 11. Mai 2022 wurde gemäß Regel 115 (1) EPÜ zur mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer geladen.

IV. Am 23. Mai 2023 erging eine Mitteilung der Kammer gemäß Artikel 15 (1) VOBK 2020.

V. Am 28. Juni 2023 fand die mündliche Verhandlung vor der Beschwerdekammer statt.

VI. In der vorliegenden Entscheidung wird auf folgende Dokumente Bezug genommen:

E5: "Structural Design of Composite Blades for Wind and

Hydrokinetic Turbines", Danny Sale und Alberto

Aliseda, veröffentlicht am 13. Februar 2012;

E6: CORE-CELL**(®) A-Foam, Structural Foam Core,

Produktdatenblatt, veröffentlicht im

September 2004;

E7: G-PET, Recyclable structural foam, veröffentlicht

im Oktober 2011;

E8: Masterarbeit von Ramin Karaminezhaad Ranjbar,

"MODELING AND SIMULATION OF FLOW PATTERN AND CURING

DURING MANUFACTURING OF COMPOSITE WIND TURBINE

BLADES USING VARTM PROCESS", Wichita State

University, veröffentlicht im Mai 2010;

E9: WO 2009/003477 A1;

E10: "Core for composites: Winds of Change", Jeff

Sloan, Composite World CW, veröffentlicht am

1. Juni 2010;

E11: "Focused Performance, Divinycell Matrix", DIAB;

E12: US 2011/0076442 A1;

E13: WO 2011/081662 A1;

E14: WO 2009/047483 A1;

E15: WO 2011/035541 A1;

E16: "Getting To The Core Of Composite Laminates", Sara

Black, Composite World CW, veröffentlicht am

1. Oktober 2003;

E20: WO 2009/003476 A1;

E21: "Materials technology for the wind energy market",

veröffentlicht im Mai 2008;

E22: EP 1 310 351 A1.

VII. Anträge

Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents in vollem Umfang.

Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte die Zurückweisung der Beschwerde (Hauptantrag) und hilfsweise die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents in geänderter Fassung auf der Grundlage der Ansprüche gemäß einem der mit der Beschwerdeerwiderung eingereichten Hilfsanträge 1 bis 3.

VIII. Die unabhängigen Ansprüche 1 und 6 des der angefochtenen Entscheidung zugrundeliegenden Hilfsantrags 1 lauten wie folgt (die in der Entscheidung der Einspruchsabteilung verwendete Merkmalsgliederung ist in eckigen Klammern eingefügt):

"1. [M1.1] Verfahren zur Fertigung eines Rotorblattes, indem [M1.2] Schaum (23, 24) in einem Halbzeug angeordnet wird,

[M1.3] in das schaumhaltige Halbzeug Harz eingebracht wird,

[M1.4] das eingebrachte Harz bei Wärmeabgabe aushärtet und sich dabei eine Aushärtetemperaturverteilung ausbildet,

dadurch gekennzeichnet, dass

[M1.5] in Bereichen des Halbzeugs, in denen sich eine erste Aushärtetemperatur einstellt, ein erster Schaum (23) und [M1.6] in Bereichen, in denen sich eine zweite Aushärtetemperatur einstellt, ein zweiter Schaum (24) angeordnet wird und

[M1.7] als erster Schaum (23) ein Schaum mit einer höheren Temperaturfestigkeit als der zweite Schaum (24) gewählt wird und

[M1.8] die erste Aushärtetemperatur höher als die zweite Aushärtetemperatur ausgebildet wird."

"6. [M6.1] Rotorblatt, [M6.2] hergestellt in einem Verfahren nach einem oder mehreren der Ansprüche 1 bis 5,

[M6.3] mit einem Schaum (23, 24)

und [M6.4] einem in den Schaum (23, 24) eingebrachten, sich unter Wärmeabgabe aushärtenden, eine Aushärtetemperaturverteilung ausbildenden Harz,

dadurch gekennzeichnet, dass

[M6.5] in Bereichen des Halbzeugs, in denen sich eine erste Aushärtetemperatur einstellt, ein erster Schaum (23) und [M6.6] in Bereichen, in denen sich eine zweite Aushärtetemperatur einstellt, ein zweiter Schaum (24) angeordnet ist und

[M6.7] der erste Schaum (23) eine höhere Temperaturfestigkeit als der zweite Schaum (24) aufweist und

[M6.8] die erste Aushärtetemperatur höher als die zweite Aushärtetemperatur ist und [M6.9] eine Rotorblatthalbschale (1, 2) und eine korrespondierende Rotorblatthalbschale (1, 2) jeweils einen Gurt (7, 8) aufweisen und [M6.10] der erste Schaum streifenförmig entlang der Gurte (7, 8) zwischen den Gurten (7, 8) und dem zweiten Schaum (24) angeordnet ist."

IX. Die Beschwerdeführerin hat im Wesentlichen Folgendes vorgetragen:

Der der angefochtenen Entscheidung zugrundeliegende Hilfsantrag 1:

Fehlende Neuheit des Gegenstands des Anspruchs 1 (Artikel 54 EPÜ)

Der Gegenstand des Anspruchs 1 sei nicht neu gegenüber dem Dokument E5 und gegenüber dem Dokument E15.

Fehlende Neuheit des Gegenstands des Anspruchs 1 gegenüber dem Dokument E5

Dokument E5 zeige in der Figur auf Seite 6 ein Rotor­blatt mit einem Steg aus Schaum, einem Gurt und einem Streifen eines verstärkenden Schaums zwischen dem Gurt und der Hinterkante des Rotorblatts. Der Steg (shear web) bestehe aus Corecell und der Streifen längs des Rotorblatts bestehe aus G-PET. G-PET habe eine höhere Temperaturfestigkeit als Corecell (siehe beispielsweise Dokument E6 und Dokument E7).

Auch wenn das Dokument E5 nicht explizit die Ver­fahrens­schritte beschreibe, so bestünden diese für den Fachmann implizit aus dem Anordnen des Schaummaterials in einem Halbzeug, der Zugabe von Harz und dem Aushärten, wobei eine Aushärtetemperatur­verteilung auftrete. Daher seien die Merkmale M1.1 bis M1.4 vom Dokument E5 vorweggenommen.

Die kennzeichnenden Merkmale beträfen nur die Positionierung der Schäume an den verschiedenen Stellen. Der G-PET Schaum sei in der Figur auf Seite 6 des Dokuments E5 dort angeordnet, wo die höhere Aushärtetemperatur auftrete. Daher seien auch die Merkmale M1.5 bis M1.7 im Dokument E5 gezeigt. Entgegen der Auffassung der Einspruchsabteilung seien die Schäume in der Figur des Dokuments E5 auch in einem Halbzeug angeordnet, denn der Begriff Halbzeug sei breit auszulegen. In den Absätzen [0011] und [0036] des Patents werde lediglich der Begriff "trockenes Halbzeug" als trockener Gelegeaufbau beschrieben. Diese Beschränkung finde sich jedoch nicht in den Ansprüchen, so dass jedes halbfertige Produkt vom Begriff Halbzeug umfasst sei. Auch könnten die Aushärtetemperaturen zu unterschiedlichen Zeiten auftreten. Es fände sich diesbezüglich keine Limitierung im Anspruch 1.

Das Merkmal M1.8 sei entgegen der Auffassung der Einspruchsabteilung aus dem Dokument E5 bekannt, da der Fachmann sich bewusst sei, dass die Rotorblatt­halbschalen dickere Bereiche darstellten, wo viel Material angeordnet und daher viel Harz erforderlich sei, bei dessen Aushärtung hohe Temperaturen entstünden. Die Tatsache, dass die Menge des Harzes direkt mit der Aushärtetemperatur korreliere, sei allgemein bekannt, z.B. aus dem Dokument E8 (siehe Dokument E8, Seite 58, Seite 60, Figur 5.23 auf Seite 63).

Somit sei der Gegenstand des Anspruchs 1 nicht neu gegenüber dem Dokument E5.

Fehlende Neuheit des Gegenstands des Anspruchs 1 gegenüber dem Dokument E15

Das Dokument E15 offenbare das gleiche Prinzip wie der Gegenstand des Anspruchs 1. Bei dem Rotorblatt gemäß dem Dokument E15 würden verschiedene Schäume mit unterschiedlicher Temperaturfestigkeit an unterschiedlichen Stellen des Rotorblatts eingesetzt. Für die Rotorblatthalbschale werde beispielsweise ein günstiger PVC Schaum und für die innere Verstärkung, einem Prepreg mit höherer Aushärtetemperatur, ein teurer PET Schaum mit höherer Temperaturfestigkeit eingesetzt (siehe Dokument E15: Seite 11, letzter Absatz und Seite 10, erster Absatz, Figur 13: 114, 119 und 123 und Figur 12; siehe Dokumente E7 und E16). Da jedes halbfertige Produkt von dem Begriff Halbzeug umfasst sei, seien die Rotorblatthalbschale und die Strukturbox zusammen als Halbzeug zu betrachten. Daher seien die Merkmale M1.5 bis M1.8 vom Dokument E15 vorweggenommen. Folglich sei der Gegenstand des Anspruchs 1 neuheitsschädlich vorweggenommen.

Falls der Begriff Halbzeug wie von der Beschwerde­gegnerin vorgetragen und gemäß der vorläufigen Meinung der Kammer als in einer Herstellungsform über- und/oder nebeneinander angeordnete Schichten ausgelegt werden würde, stellten im Dokument E15 die Strukturbox und die Halbschale getrennte Formen und nicht ein Halbzeug dar. Allerdings werde darauf hingewiesen, dass im Dokument E15 die getrennte Herstellung der Rotorblatthalbschale und der Strukturbox nur eine optionale Möglichkeit darstelle (siehe Dokument E15, Seite 3, letzter Satz; Anspruch 2). Die andere Möglichkeit, die der Fachmann implizit mitlese, sei die Herstellung der Rotorblatt­halb­schale und der Strukturbox in einem Halbzeug. Diese Herstellung in einer Form stelle allgemeines Fachwissen dar, wie es beispielsweise aus dem Dokument E22, einem Dokument aus dem Jahre 2003, ersichtlich sei. Die Tatsache, dass die Strukturbox mit Prepreg und die Rotorblatthalbschale mit Infusionsverfahren hergestellt würden, spiele keine Rolle, da auch im Dokument E22 eine Kombination aus Infusionsverfahren und Prepregs erwähnt sei (siehe Dokument E22, Absätze [0032] bis [0034]).

Zulassung des neuen Einwands der fehlenden erfinderischen Tätigkeit des Gegenstands des Anspruchs 1 ausgehend vom Dokument E15 in Kombination mit dem Dokument E22 (Artikel 13 (2) VOBK 2020)

Dieser neue Einwand unter Artikel 56 EPÜ solle nach Artikel 13 (2) VOBK 2020 in das Beschwerdeverfahren zugelassen werden, da er eine Reaktion auf die in der Mitteilung der Kammer nach Artikel 15 (1) VOBK 2020 geäußerte vorläufige Meinung bezüglich der Neuheit gegenüber dem Dokument E15 darstelle. Unter Punkt 9.7 dieser Mitteilung seien erstmals die unterschiedlichen Verfahren erwähnt worden. Dies seien stichhaltige Gründe, weshalb außergewöhnliche Umstände i.S.v. Artikel 13 (2) VOBK 2020 vorlägen.

Fehlende erfinderische Tätigkeit des Gegenstands des Anspruchs 1 (Artikel 56 EPÜ)

Der Gegenstand des Anspruchs 1 sei nicht erfinderisch gegenüber folgenden Kombinationen:

- Dokument E15 mit Dokument E22,

- Dokument E13 oder Dokument E14 mit einem der Dokumente E15 und E16 in Kombination mit dem allgemeinen Fachwissen bezüglich der Temperaturverteilung aus Dokument E8 und mit dem allgemeinen Fachwissen bezüglich der Verwendung verschiedener Schäume in einem Halbzeug aus einem der Dokumente E9 bis E12, insbesondere den Dokumenten E10 und E11,

- Dokument E8 mit Dokument E15,

- Dokument E5 mit Dokument E22 und

- Dokument E20 mit Dokument E15.

Kombination des Dokuments E15 mit dem Dokument E22:

Der Gegenstand des Anspruchs 1 unterscheide sich vom Dokument E15 nur darin, dass die Strukturbox und die Halbschale in einer Form hergestellt würden. Die technische Wirkung dieses Unterscheidungsmerkmals sei es, Klebeverbindungen zu vermeiden. Die objektive technische Aufgabe läge folglich darin, ein Verfahren zur Fertigung eines Rotorblatts zu finden, bei dem keine Klebeverbindungen erforderlich seien. Dokument E22 adressiere das Problem der Klebeverbindungen (siehe Dokument E22, Absätze [0007] bis [0010]), weshalb der Fachmann es zu Rate gezogen hätte. Ferner verwendeten beide Dokumente die gleichen Materialien, nämlich sowohl ein trockenes Gelege als auch Prepregs (siehe Dokument E22, Absätze [0033] and [0034]). Die hierfür erforderliche Heizung sei im Dokument E22, Absatz [0029] beschrieben. Ebenso wie im Dokument E15 bereits offenbart, hätte der Fachmann bei den Prepregs die höher temperaturfesten, teueren Schäume eingesetzt und wäre so zum Gegenstand des vorliegenden Anspruchs 1 gelangt.

Kombination des Dokuments E13 oder E14 mit dem Dokument E15 oder E16:

Aus dem Dokument E13 bzw. E14 sei bereits das Problem bekannt, dass durch das Aushärten des Harzes hohe Temperaturen entstünden, weshalb der Schaum eine höhere Temperaturfestigkeit aufweisen müsse (siehe Dokument E13, Seite 4, Zeilen 5 bis 14; Dokument E14, Seite 3, Zeilen 10 bis 16, Seite 15, Zeilen 23 bis 28 und Seite 20, Zeilen 4 bis 8). Die aus dem Dokument E14 bekannte Lösung bestehe in einer speziellen Schaummischung aus PPO und PS, um den Anteil an teuerem Schaum zu reduzieren (siehe Dokument E14, Seite 3, dritter Absatz). Im Dokument E13 werde hierfür ein spezieller Polyurethanschaum vorgeschlagen. Das Dokument E13 bzw. E14 offenbare somit die Merkmale M1.1 bis M1.5. Der Gegenstand des Anspruchs 1 unterscheide sich vom Dokument E13 bzw. E14 darin, dass ein zweiter Schaum dort eingesetzt werde, wo niedrigere Aushärte­temperaturen aufträten, und der erste teurere Schaum an Stellen mit höherer Aushärtetemperatur. Der technische Effekt liege darin, dass die Konstruktion billiger werde. Es stelle sich somit die objektive technische Aufgabe, beim Verfahren zur Herstellung eines Rotorblatts die Kosten zu reduzieren. Dem Dokument E15 bzw. E16 entnehme der Fachmann, dass Schäume mit höherer Temperaturfestigkeit teurer seien als solche mit geringerer Temperaturfestigkeit. Aus dem Dokument E8 erhalte der Fachmann die Information, dass sich beim Aushärten eine Temperaturverteilung entwickle. Ferner sei dem Fachmann aus den Dokumenten E9 bis E12 bekannt, dass "overengineering" vermieden werde solle, und dass aus Kostengründen in einer Form verschiedene Schäume verwendet werden könnten (siehe Dokument E10, Seite 3, erster Absatz; Dokument E11, Spalte 5, unter der Überschrift: CORE). Mit diesem allgemeinen Fachwissen würde der Fachmann, um Kosten zu sparen, in Teilen der Form günstigere Schäume platzieren und so zu der beanspruchten Lösung gelangen. Der Fachmann habe keine andere Möglichkeit. Gemäß der Entscheidung T 623/97 (siehe Entscheidungsgründe, Punkt 4.4) würde der Fachmann explizit Schritt für Schritt zu dieser Lösung geleitet. Daher ergebe sich die Lösung, auch wenn zwei oder mehrere solcher Schritte erforderlich seien, in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik (siehe Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts, 8. Auflage, Kapitel I.D.9.18.8).

Kombination des Dokuments E8 mit dem Dokument E15:

Bei dem Dokument E8 handle es sich um eine Diplom­arbeit, die bei der Herstellung von Rotorblättern mittels Vakuuminfusionsverfahren die Aushärtung und die Temperaturverteilung untersuche. Als Kern werde PVC Schaum eingesetzt (siehe Dokument E8, Seite 11, Abschnitt 2.3; Seite 14, Zeilen 2 und 3; Seite 62, Figur 5.22; Seite 60, Figur 5.21; Seite 63, Figur 5.23).

Das unterscheidende Merkmal sei, dass der Schaum mit höherer Temperaturfestigkeit an den Stellen eingesetzt werden, an denen eine höhere Aushärtetemperatur auftrete. Die objektive technische Aufgabe laute daher, das aus dem Dokument E8 bekannte Verfahren auf größere Rotorblätter zu übertragen und zu verbessern. Dem Dokument E8 entnehme der Fachmann, dass bei mehr Harz höhere Temperaturen aufträten (siehe Dokument E8, Seite 58). Der Fachmann habe nur zwei Möglichkeiten: entweder er setze überall hochtemperaturfeste Schäume ein oder aber er differenziere, so wie es aus dem Dokumente E15 bekannt sei. Dort würden zur Kostenersparnis der hochtemperaturfeste Schaum in der Strukturbox beim Prepreg und der günstigere Schaum in den Rotorblatt­halbschalen eingesetzt. Da der Fachmann wisse, dass PET eine höhere Temperaturfestigkeit habe als PVC (siehe Dokumente E7, E8), wäre der Fachmann veranlasst worden, an den Stellen der Figur 5.22 des Dokuments E8, an denen die hohen Aushärtetemperaturen aufträten, den PET Schaum einzusetzen, und wäre so in naheliegender Weise zum Gegenstand des Anspruchs 1 gelangt.

Kombination des Dokuments E5 mit dem Dokument E22:

Für den Fall, dass das Dokument E5 derart ausgelegt werde, dass die Schäume G-PET und Corecell nicht in einem Halbzeug angeordnet seien, müssten der Steg ("shear web of the blade") und die Rotorblatthalb­schalen verklebt werden. Da der Fachmann sich der Nachteile des Verklebens bewusst sei, würde er alternative Lösungs­möglichkeiten suchen. Dabei würde der Fachmann auf das Dokument E22 stoßen, das sich insbesondere mit den Nachteilen von Klebeverbindungen auseinandersetze (siehe Dokument E22, Absätze [0006] bis [0010]). Als Lösung werde im Dokument E22 die Herstellung in einem geschlossenen Verfahren und insbesondere die Herstellung in einem Stück ohne Klebeverbindungen offenbart (siehe Dokument E22, Absatz [0011]). Das Rotorblatt stelle eine integrierte Einheit aus der äußeren Schale 18, dem Sandwich Kern 19, der inneren Schale 20 und dem Steg 21 dar (siehe Dokument E22, Absatz [0021]). Das Herstellungsverfahren werde in den Absätzen [0023] bis [0030] und den Figuren 5 bis 11 des Dokuments E22 beschrieben. Insbesondere die Absätze [0028] und [0029] des Dokuments E22 zeigten die Herstellung in einem Schritt, d.h. dass die Materialien, die die Halbschalen und den Steg bildeten, in die Form gelegt würden und das Harz eingebracht und ausgehärtet werde. Der G-PET Schaum mit der hohen Temperaturbeständigkeit wäre dann in den Halbschalen und der Corecell Schaum mit der niedrigeren Temperatur­beständigkeit im Steg angeordnet. Somit wäre der Fachmann in naheliegender Weise zum Gegenstand des Anspruchs 1 gelangt.

Kombination des Dokuments E20 mit dem Dokument E15:

Das Dokument E20 beschreibe die Herstellung eines Rotor­blattes mittels Vakuuminfusionsverfahrens. Die Verbund­struktur bestehe aus mehreren Faserlagen und einem verstärkenden Material (siehe Dokument E20, Figur 10). Als Kern würden Blöcke aus verschiedenen Materialien, z.B. Balsa-Holz und PVC Schaum, verwendet, um das Gewicht und die Festigkeit des Rotorblattes zu optimieren (siehe Dokument E20, Seite 14, Zeilen 15 bis 28 und Seite 17, Zeilen 18 and 19). Das Dokument E20 offenbare keine verschiedenen Schäume unterschiedlicher Temperaturfestigkeit. Der technische Effekt dieser unterscheidenden Merkmale sei es, die Herstellungskosten für ein Rotorblatt zu optimieren. Diese Reduzierung der Herstellungskosten sei im Dokument E15 beschrieben. Das Dokument E15 beschäftige sich mit der Optimierung der Herstellung hinsichtlich Qualität und Kosten (siehe Dokument E15, Seite 3, erster Absatz unter "Summary of the invention"). Als Lösung werde vorgeschlagen, in den Rotorblatthalb­schalen einen billigeren PVC Schaum und in der Strukturbox einen PET Schaum mit höherer thermischer Stabilität einzusetzen.

Entgegen der Argumentation der Einspruchsabteilung hätte der Fachmann sehr wohl das Dokument E20 mit dem Dokument E15 kombiniert, da sich der Fachmann der Problematik der Hitzeentwicklung beim Aushärtevorgang bewusst gewesen sei (siehe Dokument E21, Seite 5, zweiter Absatz). Daher hätte der Fachmann ausgehend vom Dokument E20 die verschiedenen Schäume aus dem Dokument E15 verwendet und den günstigeren Schaum dort ein­gesetzt, wo niedrigere Aushärtetemperaturen vorlägen.

Der Fachmann wäre somit ausgehend vom Dokument E20 in Kombination mit der Lehre des Dokuments E15 in nahe­liegender Weise zum beanspruchten Gegenstand gelangt.

Fehlende erfinderische Tätigkeit des Gegenstands des Anspruchs 6 (Artikel 56 EPÜ)

Wie von der Einspruchsabteilung festgestellt, seien die Merkmale M6.1 bis M6.8 vom Dokument E5 vorweggenommen. Die Merkmale M6.9 und M6.10 spezifizierten die Anordnung der Schäume.

Das Dokument E21 beschreibe, dass der Gurt des Rotor­blatts hinsichtlich der Wärmeentwicklung einen kritischen Bereich darstelle (siehe Dokument E21, Seite 5, unter der Überschrift: "Spar caps for structural cells"). Vor diesem Hintergrund und mit dem allgemeinen Fachwissen aus dem Dokument E8 (siehe Dokument E8, Seite 58), dass mehr Harz eine größere Wärmeentwicklung hervorrufe, hätte der Fachmann gewusst, dass der Gurt höhere Aushärtetemperaturen hervorrufe, so dass der Fachmann im Hinblick auf eine Kostenreduktion einen ersten teureren Schaum zwischen dem Gurt und dem zweiten günstigeren Schaum angeordnet hätte. Aus diesen Gründen sei der Gegenstand des Anspruchs 6 nicht erfinderisch.

X. Der Vortrag der Beschwerdegegnerin lässt sich folgendermaßen zusammenfassen:

Der der angefochtenen Entscheidung zugrundeliegende Hilfsantrag 1:

Neuheit des Gegenstands des Anspruchs 1 (Artikel 54 EPÜ)

Der Gegenstand des Anspruchs 1 sei neu sowohl gegenüber dem Dokument E5 als auch gegenüber dem Dokument E15.

Neuheit des Gegenstands des Anspruchs 1 gegenüber dem Dokument E5

Gemäß Absatz [0011] des Patents würden Rotorblatt­halbschalen der Rotorblätter in separaten Herstellungs­formen hergestellt. In den Herstellungs­formen würden zunächst mehrere Schichten, wie faserhaltige Gewebe­lagen, Schäume, Balsa usw., übereinander- und/oder nebeneinandergelegt. Dieses sogenannte Halbzeug werde im Infusionsverfahren mit Harz getränkt, wobei Bereiche mit unterschiedlicher Aushärtetemperatur aufträten. Der Anspruch 1 sei auf ein Halbzeug und ein Infusionsverfahren gerichtet.

Das Dokument E5 zeige in der Figur auf Seite 6 ein Rotorblatt mit verschiedenen Schäumen, das aus verschiedenen Bauteilen aufgebaut sei. Der Fachmann erkenne, dass das dort gezeigte Rotorblatt nicht einteilig herstellbar sei. Im Dokument E5 stünden das strukturelle Design und die Festigkeit des Rotorblatts im Vordergrund. Ein Verfahren werde nicht offenbart. Eine Temperaturverteilung sei nicht gezeigt. Daher seien die Merkmale M1.5 bis M1.8 vom Dokument E5 nicht vorweggenommen.

Neuheit des Gegenstands des Anspruchs 1 gegenüber dem Dokument E15

Das Dokument E15 offenbare eine separate Herstellung der Rotorblatthalbschale und der Strukturbox. Kern der im Dokument E15 offenbarten Erfindung sei die Ver­klebung (adhesive bonding) des Prepregs der Strukturbox mit den im Infusionsverfahren hergestellten Rotorblatt­halb­schalen (siehe Dokument E15, Seite 2, dritter Absatz; Seite 6). Das Wesen der vor­liegenden Erfindung, nämlich die Verwendung ver­schiedener Schäume in einem Halbzeug in Abhängigkeit von der Aushärte­temperatur, sei im Dokument E15 nicht offenbart. Das Dokument E22 zeige die Herstellung eines kompletten Rotorblattes. Das Dokument E22 offenbare keine Temperaturverteilung. Ferner könne das Dokument E22 nicht das allgemeine Fachwissen dokumentieren, und eine Kombination mehrerer Dokumente sei bei der Neuheits­diskussion nicht möglich.

Nicht-Zulassung des neuen Einwands der fehlenden erfinderischen Tätigkeit des Gegenstands des Anspruchs 1 ausgehend vom Dokument E15 in Kombination mit dem Dokument E22 (Artikel 13 (2) VOBK 2020)

Der Einwand der fehlenden erfinderischen Tätigkeit basierend auf dem Dokument E15 in Kombination mit dem Dokument E22 solle nicht zugelassen werden, da keine außer­gewöhnlichen Umstände i.S.v. Artikel 13 (2) VOBK 2020 vorlägen.

Erfinderische Tätigkeit des Gegenstands des Anspruchs 1 (Artikel 56 EPÜ)

Der Gegenstand des Anspruchs 1 sei erfinderisch.

Kombination des Dokuments E15 mit dem Dokument E22:

Ausgehend vom Dokument E15 würde der Fachmann das Dokument E22 nicht heranziehen, weil im Dokument E15 die Strukturbox aus einem Prepreg sei, weshalb die Herstellung eines Rotorblatts in einem Stück gemäß dem Dokument E22 nicht möglich sei. Das Dokument E22 offenbare zwar auch die Kombination eines Prepregverfahrens mit einem Infusionsverfahren (siehe Dokument E22, Absätze [0006], [0033] und [0034]), aber Prepregs seien nur für die Rotorblatthalbschalen und nicht für die Stege erwähnt. Stege bzw. eine Strukturbox aus Prepregs könnten mit dem im Dokument E22 offenbarten Verfahren nicht hergestellt werden, da Prepregs mittels Heiß­press­verfahrens verarbeitet würden, und somit die Stege bzw. die Strukturbox im Inneren des Rotorblattes nicht ausgehärtet werden könnten.

Selbst wenn der Fachmann das Dokument E15 mit dem Dokument E22 kombiniert hätte, so offenbare keines der beiden Dokumente eine Temperatur­verteilung in einem Halbzeug (Merkmal M1.8). Außerdem verwende keines der beiden Dokumente unterschiedlich temperatur­feste Schäume in einem Halbzeug. Im Dokument E15 würden diese in verschiedenen Halbzeugen eingesetzt. Im Dokument E22 werde zwar ein Rotorblatt mittels eines Infusions­verfahrens in einem Halbzeug hergestellt, aber es seien dort keine verschiedenen Schäume offenbart.

Der Gegenstand des Anspruchs 1 werde nicht nahegelegt vom Dokument E15 in Kombination mit dem Dokument E22.

Kombination des Dokuments E13 oder E14 mit einem der Dokumente E15 oder E16:

Aus dem Dokument E13 bzw. E14 sei bekannt, dass hohe Aushärtetemperaturen hochtemperaturfeste Schäume erfordern, allerdings sei keine Temperaturverteilung innerhalb der Rotorblatthalbschale offenbart. Zwar habe der Fachmann, u.a. aus dem Dokument E8, die Information, dass beim Aushärten eine Temperatur­verteilung auftrete, aber diese hänge von vielen Einflussgrößen ab, wie z.B. der Anordnung der Einlassöffnungen, der Temperaturen des Harzes und der Halbschale (siehe Dokument E8, Seite 67, zweiter Absatz). Das Dokument E8 enthalte keine Lehre zur Veränderung des Schaums.

Den Dokumenten E9 und E10 entnehme der Fachmann die Information, verschiedene Schäume je nach mechanischer Festigkeit zu wählen. Eine Anregung, dies auch in Abhängig­keit der Aushärtetemperaturen zu machen, erhalte der Fachmann nicht.

Es könne in der vorliegenden Sache auch nicht mit einem mehrstufigen Ansatz argumentiert werden. Vielmehr handle es sich bei der Argumentation der Beschwerde­führerin um eine Ex-post-facto-Analyse, bei der im Nachhinein das Passende zusammengesucht werde.

Eine Kombination des Dokuments E13 bzw. E14 mit dem Dokument E15 führe weg vom beanspruchten Gegenstand, da im Dokument E15 eben nicht unterschiedlich temperatur­feste Schäume in einem Halbzeug, sondern in verschiedenen Halbzeugen eingesetzt würden. Auch das Dokument E16 biete hier keine weitergehende Offenbarung.

Kombination des Dokuments E8 mit dem Dokument E15:

Das Dokument E8 offenbare die Temperaturverteilung in einem Schaum und zeige die Komplexität der Temperatur­verteilung und der einzelnen Parameter auf. Das Dokument E15 offenbare die Herstellung verschiedener Bauteile mit einem bestimmten Schaum. Keines dieser Dokumente offenbare den Kern der vorliegenden Erfindung. Insbesondere seien die Merkmale M1.6 bis M1.8 nicht offenbart, weshalb der Gegenstand des Anspruchs 1 durch eine Kombination dieser Dokumente nicht nahegelegt sei.

Kombination des Dokuments E5 mit dem Dokument E22:

Im Dokument E5 würden die mechanischen Eigenschaften der einzelnen Abschnitte/Bauteile und des "structural adhesive" SP340 an der Hinterkante des Rotorblatts diskutiert. Eine Temperaturverteilung während eines Infusionsverfahrens werde an keiner Stelle offenbart oder angedeutet.

Das Dokument E22 offenbare ein Infusionsverfahren für ein Rotorblatt, bei dem Klebeverbindungen vermieden werden sollten. Ausgehend vom Dokument E5, das an keiner Stelle Infusionsverfahren thematisiere, hätte der Fachmann keinerlei Veranlassung gehabt, das Dokument E22 zu berücksichtigen. Selbst wenn der Fachmann das Dokument E22 in Betracht gezogen hätte, so hätte er keinerlei Hinweis erhalten, anstelle des aus dem Dokument E5 bekannten "structural adhesive" mit hoher Festigkeit ein Zweikomponentenharz wie im Dokument E22 zu verwenden, da die mechanische Haltbarkeit nicht mehr gewährleistet gewesen wäre.

Ferner sei der Kern der Erfindung, nämlich die Schäume in einem Rotorblatt in einem Halbzeug so anzuordnen, dass ihre Temperaturfestigkeit mit den Aushärte­temperaturen des Harzes korreliere (siehe Merkmale M1.7 und M1.8), weder im Dokument E5 noch im Dokument E22 offenbart oder auch nur angedeutet.

Der Gegenstand des Anspruchs 1 sei erfinderisch ausgehend vom Dokument E5 in Kombination mit dem Dokument E22.

Kombination des Dokuments E20 mit dem Dokument E15:

Im Dokument E20 werde eine Rotorblatthalbschale offen­bart, in deren Kern Halbzeugblöcke aus beispiels­weise Balsa-Holz oder geschäumtem PVC verwendet würden (siehe Dokument E20, Seite 14, Zeilen 15 bis 18). Die Blöcke des Dokuments E20 wiesen Rillen auf, um während des Infusionsverfahrens das Harz zügig durchzuleiten.

Das Dokument E15 offenbare ein Rotorblatt mit PET Schaum in den Stegen und PVC Schaum in den Rotorblatt­halbschalen. Der Fachmann hätte die Dokumente E20 und E15 nicht kombiniert. Selbst wenn er es getan hätte, so hätte er allenfalls die Schaumbereiche des Dokuments E15 durch die aus dem Dokument E20 bekannten Schaum­blöcke ersetzt. Aber diese Kombination lege nicht das erfindungsgemäße Verfahren nahe, bei dem innerhalb eines Halbzeugs in einem Infusionsverfahren den unter­schiedlichen Aushärtetemperaturen dadurch Rechnung getragen werde, dass an den warmen Stellen temperatur­feste und an den kälteren Stellen weniger temperatur­feste Schäume angeordnet seien.

Der Gegenstand des Anspruchs 1 werde ausgehend vom Dokument E20 in Kombination mit dem Dokument E15 nicht nahegelegt.

Erfinderische Tätigkeit des Gegenstands des Anspruchs 6 (Artikel 56 EPÜ)

Die Merkmale M6.9 und M6.10 seien weder im Dokument E5 noch im Dokument E21 offenbart, weshalb eine Kombination dieser Dokumente den Gegenstand des Anspruchs 6 nicht nahelegen könne. Die Figur auf Seite 6 des Dokuments E5 zeige zwar Gurte, aber keinen ersten Schaum streifenförmig entlang der Gurte. Der erste Schaum sei auch nicht zwischen den Gurten und dem zweiten Schaum angeordnet.

Entscheidungsgründe

1. Neuheit des Gegenstands des Anspruchs 1 des der angefochtenen Entscheidung zugrundeliegenden Hilfsantrags 1 (Artikel 54 EPÜ)

1.1 Die Neuheit des Gegenstands des Anspruchs 1 wurde sowohl mit dem Dokument E5 als auch mit dem Dokument E15 angegriffen.

1.2 Die Kammer ist in Übereinstimmung mit der Einspruchs­abteilung (siehe Gründe der angefochtenen Entscheidung, Punkt 2.3.1 bis 2.4) der Auffassung, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 neu ist gegenüber dem Dokument E5.

Das Dokument E5 offenbart unter anderem nicht unmittelbar und eindeutig, dass das auf Seite 6 des Dokuments E5 gezeigte Rotorblatt mit verschiedenen Schäumen in einem einzigen Halbzeug im Sinne des Streitpatents gefertigt wird.

Der Begriff Halbzeug wird von der Kammer im vorliegenden Kontext so ausgelegt (siehe Patent, Absätze [0011] und [0036]), dass es sich dabei um in einer Herstellungsform über- und/oder nebeneinander angeordnete Schichten handelt, wie beispielsweise faserhaltige Gewebelagen, Schäume oder Balsa. Dass das Halbzeug trocken, also nicht mit Harz imprägniert ist, ist zwar nach Absatz [0011] bevorzugt, ändert aber nichts an dem grundsätzlichen Verständnis des Begriffs "Halbzeug" durch den Fachmann. Diese Auslegung spiegelt sich auch im Wortlaut des Anspruchs 1 wider. Gemäß den Merkmalen M1.2 und M1.3 wird der Schaum als Teil eines Halbzeugs ("schaumhaltige[s] Halbzeug") angeordnet, in das dann das Harz eingebracht wird. Das kennzeichnende Merkmal M1.5 bezieht sich explizit auf Bereiche des Halbzeugs.

Auch ist - wie die Beschwerdegegnerin vorträgt - der Schaum des Hinterkantengurtes im Dokument E5 nicht definiert. Es ist nicht offenbart, ob dieser aus Corecell, G-Balsa, G-PET oder PVCell besteht. Es ist somit nicht ausgeschlossen, dass der Steg und die Rotorblatthalbschale beide Corecell aufweisen und somit die Merkmale M1.6 und M1.7 nicht verwirklicht sind.

Selbst wenn bei der Rotorblatthalbschale als Schaum G-PET eingesetzt würde, und die Rotorblatthalbschale und der Steg mit einem Halbzeug gefertigt würden, wäre das Merkmal M1.8 vom Dokument E5 nicht vorweggenommen, da das Dokument E5 keine Aussagen zur Temperaturverteilung bei der Fertigung des Rotorblattes macht. Der Beschwerde­führerin ist zwar zuzustimmen, dass es zum allgemeinen Fachwissen gehört, dass in Bereichen, wo mehr Harz vorhanden ist, höhere Temperaturen auftreten (siehe z.B. Dokument E8, Seite 58). Wie von der Beschwerdegegnerin unter Hinweis auf das Dokument E8 vorgetragen wurde, hängt die Temperatur­verteilung jedoch von weiteren Faktoren ab, z.B. der Lage der Einlasskanäle, der Temperatur des Harzes und der Form (siehe Dokument E8, Seite 67, zweiter Absatz). Außerdem lässt sich aus dem Dokument E5 auf Grund fehlender Dimensionen und Angaben bezüglich Art und Menge des eingesetzten Harzes nicht ableiten, dass im Dokument E5 unterschiedlich hohe Aushärte­temperaturen in verschiedenen Bereichen auftreten. Daher kann das Argument der Beschwerdeführerin, dass an den Stellen im Dokument E5, an denen sich der G-PET Schaum befindet, hohe Aushärtetemperaturen erreicht würden, da dieser Bereich dick sei und eine große Menge an Harz erfordere, nicht überzeugen.

Die Kammer ist folglich der Auffassung, dass die Merkmale M1.6 bis M1.8 des Anspruchs 1 im Dokument E5 nicht unmittelbar und eindeutig offenbart sind.

1.3 Auch bezüglich der Neuheit gegenüber dem Dokument E15 ist die Kammer der gleichen Auffassung wie die Einspruchs­abteilung (siehe Gründe der angefochtenen Entscheidung, Punkt 4.1.1).

Das Dokument E15 zeigt unbestritten, dass zwecks Kostenoptimierung verschiedene Schäume mit unter­schiedlicher Temperaturfestigkeit für die Rotorblatt­halbschale (blade shell; siehe Dokument E15, Figur 13: 119 und 114) und für die innere Strukturbox (structural box; siehe Dokument E15, Figur 12: 123) eingesetzt werden. Für die Rotorblatthalbschale wird beispiels­weise ein günstiger PVC Schaum eingesetzt. Der teurere und temperaturbeständigere Schaum wird im Dokument E15 dort verwendet, wo sich höhere Aushärtetemperaturen entwickeln, nämlich beim Prepreg der Strukturbox (siehe Dokument E15, Seite 3, Zeilen 1 bis 6; Seite 11, letzter Absatz und Seite 10, erster Absatz).

Bezüglich der Merkmale M1.5 bis M1.8 argumentiert die Beschwerde­führerin einerseits, dass beispielsweise die mit der unteren Rotorblatthalbschale verbundene Strukturbox in ihrer Gesamtheit als Halbzeug gemäß Anspruch 1 betrachtet werde, so dass die Merkmale M1.5 bis M1.7 vom Dokument E15 neuheitsschädlich vorweggenommen seien, und sich das Merkmal M1.8 implizit daraus ergebe. Auf Grund der Auslegung des Begriffes Halbzeug (siehe Punkt 1.2) kann die Kammer dieser Argumentation nicht folgen. Die mit der unteren Rotorblatt­halbschale verbundene Strukturbox stellt zwar ein halbfertiges Produkt dar, das aber gemäß der anspruchs­gemäßen Auslegung und der Definition des Begriffes Halbzeug im Patent mittels zweier Halbzeuge hergestellt wurde, die jeweils getrennt in unterschiedlichen Verfahren verarbeitet worden sind (siehe Dokument E15, Ansprüche 2 und 6).

Andererseits verweist die Beschwerdeführerin auf die Seite 3, letzte Zeile und den Anspruch 2 des Dokuments E15, wonach es sich bei der separaten Herstellung der Rotorblatthalbschale und der Strukturbox lediglich um eine Möglichkeit handele, und die Alternative, eine Herstellung mittels eines einzigen Halbzeugs, somit nicht ausge­schlossen sei. Auch dies überzeugt die Kammer nicht. Das Dokument E15 erwähnt an keiner Stelle eine Herstellung der Rotorblatthalbschale und der Strukturbox mittels eines Halbzeugs. Vielmehr ist explizit offenbart, dass die Rotorblatthalbschale und die Strukturbox unabhängige Teile sind, die in separaten Formen hergestellt und mittels Kleben (adhesive bonding) zusammengefügt werden (siehe Dokument E15, Seite 6, Zeilen 14 bis 16, Anspruch 1, Seite 12, zweiter und dritter Absatz; Figur 12).

In diesem Zusammenhang argumentierte die Beschwerde­führerin, dass der Fachmann auf Grund seines allgemeinen Fachwissens die Herstellung der beiden Teile in einer Form mitlesen würde, und dies somit implizit im Dokument E15 offenbart sei. Als Beleg für das allgemeine Fachwissen zum relevanten Zeitpunkt wurde das Dokument E22 zitiert. Die Kammer betont, dass nach ständiger Rechtsprechung das Dokument E22 als einzelne Patentliteratur nicht als Beleg für das allgemeine Fachwissen herangezogen werden kann (siehe Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts, 10. Auflage, Juli 2022,"Rechtsprechung" I.C.2.8.2).

Ferner werden im Dokument E15 keine Aussagen zu den Aushärte­temperaturen gemacht.

Die Kammer ist folglich der Auffassung, dass zumindest die Merkmale M1.6 bis M1.8 des Anspruchs 1 im Dokument E15 nicht offenbart sind.

1.4 Schlussfolgerung bezüglich Neuheit des Gegenstands des Anspruchs 1

Der Gegenstand des Anspruchs 1 des der angefochtenen Entscheidung zugrundeliegenden Hilfsantrags 1 ist neu gegenüber dem Dokument E5 und neu gegenüber dem Dokument E15.

2. Zulassung des neuen Einwands der fehlenden erfinderischen Tätigkeit des Gegenstands des Anspruchs 1 ausgehend vom Dokument E15 in Kombination mit dem Dokument E22 (Artikel 13 (2) VOBK 2020)

2.1 Der Einwand der fehlenden erfinderischen Tätigkeit des Gegenstands des Anspruchs 1 ausgehend vom Dokument E15 in Kombination mit dem Dokument E22 wurde von der Beschwerdeführerin erstmals in der mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer erhoben.

2.2 Nach Artikel 13 (2) VOBK 2020, der gemäß den Übergangsbestimmungen nach Artikel 25 (1) und (3) VOBK 2020 vorliegend anzuwenden ist, bleiben Änderungen des Beschwerdevorbringens eines Beteiligten nach Zustellung der Ladung zur mündlichen Verhandlung grundsätzlich unberücksichtigt, es sei denn, der betreffende Beteiligte hat stichhaltige Gründe dafür aufgezeigt, dass außergewöhnliche Umstände vorliegen.

2.3 Die Beschwerdeführerin machte außergewöhnliche Umstände angesichts der in Punkt 9.7 der Mitteilung nach Artikel 15 (1) VOBK 2020 dargelegten vorläufigen Meinung der Kammer geltend, wonach die mit der unteren Rotorblatt­halb­schale verbundene Strukturbox mittels zweier Halbzeuge hergestellt worden sei, die jeweils getrennt in unter­schiedlichen Verfahren verarbeitet worden seien (siehe Dokument E15, Ansprüche 2 und 6). Die Tatsache, dass die Rotorblatthalbschale und die Strukturbox mit unter­schiedlichen Verfahren hergestellt würden, sei zuvor nicht adressiert worden.

2.4 Aufgrund dieses von der Kammer in der Mitteilung nach Artikel 15 (1) VOBK 2020 erstmals identifizierten Unterscheidungs­merkmals im Hinblick auf das Dokument E15 erkennt die Kammer in der Rechtfertigung der Beschwerdeführerin stichhaltige Gründe dafür, dass außergewöhnliche Umstände im Sinne von Artikel 13 (2) VOBK 2020 vorliegen.

2.5 In Anbetracht dieser Erwägungen hat die Kammer daher in Ausübung ihres Ermessens nach Artikel 13 (2) VOBK 2020 entschieden, den neuen Einwand fehlender erfinderischer Tätigkeit ausgehend vom Dokument E15 in Kombination mit dem Dokument E22 in das Beschwerdeverfahren zuzulassen.

3. Erfinderische Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ)

3.1 Erfinderische Tätigkeit des Gegenstands des Anspruchs 1 gegenüber einer Kombination des Dokuments E15 mit dem Dokument E22

3.1.1 Die Kammer ist zu der Schlussfolgerung gelangt, dass der Gegenstand des vorliegenden Anspruchs 1 gegenüber einer Kombination der Dokumente E15 und E22 nicht nahegelegt ist.

3.1.2 Das Dokument E15 stellt einen möglichen Ausgangspunkt für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit des Gegenstands des Anspruchs 1 dar. Der Kern der Erfindung im Dokument E15 ist die Herstellung eines Rotorblatts, bei dem die Strukturbox aus einem monolithischen Epoxy Prepreg und die Rotorblatt­halbschalen aus einer mit Polyester oder Vinylester infundierten Schale bestehen. Da das Prepreg höhere Aushärtetemperaturen erfordert, wird dort der teurere Schaum mit höherer Temperaturfestigkeit eingesetzt. Beide Teile werden separat hergestellt und mittels Klebens (adhesive bonding) verbunden. Der Gegenstand des vorliegenden Anspruchs 1 unterscheidet sich vom Dokument E15 zumindest darin, dass die Herstellung des Rotor­blatts mittels eines Halbzeugs erfolgt, und somit in den Merkmalen M1.6 bis M1.8 des vorliegenden Anspruchs 1.

3.1.3 Weil durch die anspruchsgemäße Lösung ein Kleben vermieden werde, formuliert die Beschwerde­führerin die Vermeidung des Klebevorgangs als objektive technische Aufgabe. Soweit ist der Vortrag der Beschwerdeführerin nicht bestritten.

3.1.4 Der Fachmann hätte nach Auffassung der Beschwerde­führerin ausgehend vom Dokument E15 das Dokument E22 heran­gezogen, da sich das Dokument E22 mit der Vermeidung von Klebeverbindungen (siehe Dokument E22, Absätze [0006] und [0007] bis [0010]) beschäftige und als Lösung die Herstellung des Rotorblatts in einer Form vorschlage. Der Fachmann wäre daher ohne erfinderische Tätigkeit zum Gegenstand des vorliegenden Anspruchs 1 gelangt.

3.1.5 Die Kammer ist davon nicht überzeugt. In Überein­stimmung mit der Beschwerdegegnerin ist die Kammer der Auffassung, dass der Fachmann ausgehend vom Dokument E15 zur Vermeidung von Klebeverbindungen keine Veran­lassung gehabt hätte, das Dokument E22 heranzuziehen, und falls er es doch getan hätte, er nicht zu der beanspruchten Lösung gelangt wäre.

Wie die Beschwerdegegnerin vorträgt, betrifft das Dokument E22 ein Verfahren, bei dem die Rotorblattschale und die Stege aus einem trockenen Gelegeaufbau bestehen und im Infusionsverfahren hergestellt werden. Auch wenn gemäß dem Dokument E22 zudem Prepregs eingesetzt werden können, ist dort nicht eindeutig offenbart, dass die innen liegenden Stege aus einem Prepreg bestehen (siehe Dokument E22, Absätze [0006] und [0034]). Der Aufbau im Dokument E15 ist insofern anders, als die Rotorblatthalbschalen mit dem Infusionsverfahren hergestellt werden und die innere Strukturbox aus einem Prepreg besteht. Wie die Beschwerdegegnerin überzeugend dargelegt hat, hätte die Notwendigkeit einer Aushärtung des im Inneren der Rotorblattschale liegenden Prepregs mittels Druck und Temperatur in einer geschlossenen Form für das Infusionsverfahren wie jener von Dokument E22 den Fachmann vor Schwierigkeiten gestellt und von einer Kombination der Dokumente E15 und E22 abgehalten.

Der Verweis der Beschwerdeführerin auf die Temperierung der Form im Dokument E22 (siehe Dokument E22, Absatz [0029], Figur 11) ist hier nicht zielführend, da sich dieser Absatz auf ein Rotorblatt bezieht, das ausschließlich im Infusionsverfahren hergestellt wird. Der Einsatz von Prepregs wird im Dokument E22 im Rahmen der dortigen Erfindung nur in den Absätzen [0033] und [0034] erwähnt, ohne auf Details der Herstellung einzugehen.

Auch das Argument der Beschwerdeführerin, dass in den Dokumenten E15 und E22 die gleichen Materialien verwendet würden, greift nicht. Zwar besteht im Dokument E15 die Strukturbox aus einem Prepreg mit einem PET Schaum (siehe Dokument E15, Seite 10, Zeile 1) und die Rotorblatthalbschale aus kostengünstigerem PVC Schaum (siehe Dokument E15, Seite 11, letzter Absatz). Jedoch ist die Lehre, die der Fachmann aus dem Dokument E22 erhält, die Verwendung eines Infusionsverfahrens für das gesamte Rotorblatt, weshalb der Fachmann keine Veranlassung gehabt hätte, die in den unterschiedlichen Herstellungsverfahren begründete Differenzierung hinsichtlich der Schäume im Dokument E15 auch beim Infusionsverfahren nach dem Dokument E22 vorzunehmen.

3.1.6 Daher ist die Kammer in Übereinstimmung mit der Beschwerde­gegnerin der Auffassung, dass der Fachmann, falls er das Dokument E22 überhaupt herangezogen hätte, das Rotorblatt insgesamt mit dem Infusionsverfahren hergestellt hätte und dabei von der Ausgestaltung mit den verschiedenen Schäumen, nämlich dem hochpreisigen, temperaturbeständigen Schaum für das Prepreg in der Strukturbox und dem günstigeren, nicht so hoch temperaturbeständigen Schaum in den Rotorblatt­halbschalen, abgesehen hätte. Sogar im Fall einer Kombination der Dokumente E15 und E22 wäre der Fachmann folglich nicht zu dem vorliegend beanspruchten Gegenstand gelangt.

3.2 Erfinderische Tätigkeit des Gegenstands des Anspruchs 1 gegenüber dem Dokument E13 oder E14 mit einem der Dokumente E15 oder E16

3.2.1 Die Kammer ist zu der Auffassung gelangt, dass der Gegenstand des vorliegenden Anspruchs 1 nicht nahegelegt ist von einer Kombination des Dokuments E13 oder E14 mit dem Dokument E15 oder E16, unter Berücksichtigung des Dokuments E8 als Beleg für das allgemeine Fachwissen bezüglich der Temperatur­verteilung in der Halbschale und der Dokumente E9 bis E12 als Belege für das allgemeine Fachwissen bezüglich des Einsatzes verschiedener Schäume in einem Bauteil zur Kostenreduzierung.

3.2.2 Die Dokumente E13 und E14 zeigen jeweils ein Verfahren zur Fertigung eines Rotorblattes mit den Merkmalen M1.1 bis M1.5 des vorliegenden Anspruchs 1. Beide Dokumente sprechen das Problem der exothermen Reaktion und der deshalb erforderlichen Temperatur­beständigkeit der Schäume an. Dieses Problem wird auch im Patent, Absatz [0011] adressiert. Als Lösung werden in den Dokumenten E13 und E14 spezielle, temperaturfeste Schäume offenbart (siehe Dokument E13, Seite 4, Zeilen 5 bis 14 und Dokument E14, Seite 3, Zeilen 10 bis 16 und 23 bis 27; Seite 15, vierter Absatz; Seite 20, erster Absatz). Der Gegen­stand des vorliegenden Anspruchs 1 unterscheidet sich von den Dokumenten E13 und E14 darin, dass dort, wo niedrigere Aushärtetemperaturen auftreten, ein günstigerer Schaum eingesetzt wird (Merkmale M1.6 bis M1.8 des vorliegenden Anspruchs 1).

3.2.3 Der technische Effekt der unterscheidenden Merkmale M1.6 bis M1.8 des vorliegenden Anspruchs 1 liegt in einer Kostenreduktion (siehe Patent, Absatz [0009]). Die objektive technische Aufgabe ist die Reduzierung der Herstellungskosten des Rotorblatts.

3.2.4 Die Beschwerdeführerin argumentiert, dass der Fachmann zur Lösung dieser Aufgabe auf das Dokument E15 oder das Dokument E16 zurückgreifen würde.

Die Kammer stimmt der Beschwerdeführerin zu, dass aus dem Dokument E15 (siehe Dokument E15, Seite 3, erster Absatz) und ebenso aus dem Dokument E16 (siehe Dokument E16, Seite 2, zweitletzter Absatz) hervorgeht, dass Schäume mit höherer Temperaturfestigkeit teurer sind bzw. dass PVC-Schaum weniger temperaturbeständig ist. Auch das allgemeine Fachwissen, dass beim Aushärten eine Temperatur­verteilung im Bauteil auftritt (siehe Dokument E8), wird nicht bestritten. Außerdem weiß der Fachmann, dass in einer Herstellungsform verschiedene Schäume an unterschied­lichen Stellen eingesetzt werden können (siehe Dokument E9 bis E12; Dokument E10: Seite 3, erster Absatz; Dokument E11: Seite 5 (unter der Überschrift CORE)).

Vor diesem Hintergrund habe der Fachmann nach Auffassung der Beschwerdeführerin nur eine Möglichkeit gehabt, die Herstellungskosten zu senken, nämlich an Stellen mit niedrigerer Aushärtetemperatur kostengünstigere Schäume zu verwenden.

3.2.5 Die Kammer teilt diese Schlussfolgerung der Beschwerdeführerin nicht. Hätte der Fachmann ausgehend von einem der Dokumente E13 oder E14 das Dokument E15 oder E16 in Betracht gezogen, so hätte der Fachmann die aus dem Dokument E15 bekannte Lösung gewählt, nämlich unter­schied­lich temperaturfeste Schäume in verschiedenen Halbzeugen einzusetzen. Diese Lösung hätte jedoch nicht der beanspruchten Lösung entsprochen. Aus dem Dokument E16 hätte der Fachmann lediglich erfahren, dass Schäume mit geringerer Temperaturfestigkeit billiger sind als solche mit hoher Temperaturfestigkeit, was jedoch einerseits bereits aus den Dokumenten E13 und E14 bekannt ist und andererseits für sich genommen nicht zum Gegenstand des vorliegenden Anspruchs 1 geführt hätte.

Eine weitere Kombination mit dem allgemeinen Fachwissen, um in einem nächsten Schritt zur beanspruchten Lösung zu gelangen, hätte auf einer rückschauenden Betrachtungsweise beruht, die unzulässigerweise von der Kenntnis der Erfindung Gebrauch gemacht hätte (siehe Rechtsprechung, I.D.6.).

3.2.6 Auch der Verweis der Beschwerdeführerin auf die Entscheidung T 623/97 (siehe Rechtsprechung, I.D.9.21.10; entspricht dem von der Beschwerdeführerin zitierten Kapitel I.D.9.18.8 der achten Auflage der Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts) führt zu keinem anderen Ergebnis. Die Beschwerdeführerin stützt sich insbesondere auf die folgende Passage im Punkt 4.4 der Gründe der Entscheidung T 623/97: "Wenn aber, wie im vorliegenden Fall, die technische Aufgabe, die sich der Fachmann zu lösen gestellt hat, den Fachmann Schritt für Schritt zur Lösung führt, und jeder Einzelschritt für den Fachmann unter dem Gesichtspunkt des Erreichten und der noch zu lösenden Restaufgabe naheliegend ist, so ergibt sich die Lösung, auch wenn sie zwei oder mehrerer solcher Schritte erfordert, für Fachmann in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik."

Dies trifft in vorliegender Sache schon deshalb nicht zu, weil die gestellte Aufgabe den Fachmann nicht Schritt für Schritt zur beanspruchten Lösung geführt hätte. Die Kammer betont zudem, dass der Fachmann bereits aus einer Kombination des Dokuments E13 oder E14 mit dem Dokument E15 zu einer Lösung der objektiven technischen Aufgabe gelangt wäre, auch wenn diese nicht der beanspruchten Lösung entsprochen hätte. Der Fachmann hätte also keinerlei Veranlassung gehabt, in einem weiteren Schritt aus seinem allgemeinen Fachwissen heraus gezielt jene zusätzlich erforderlichen Modifikationen an der bereits gefundenen Lösung vorzunehmen, um zum Gegenstand des vorliegenden Anspruchs 1 zu gelangen. Dies wäre nur in Kenntnis der Erfindung möglich gewesen und stellt somit eine rückschauende Betrachtungsweise dar.

3.3 Erfinderische Tätigkeit des Gegenstands des Anspruchs 1 gegenüber einer Kombination des Dokuments E8 mit dem Dokument E15

3.3.1 Die Kammer gelangt zu der gleichen Schlussfolgerung wie die Einspruchsabteilung (siehe angefochtene Entscheidung, Gründe, Punkt 6.4), dass der Gegenstand des vorliegenden Anspruchs 1 durch eine Kombination der Dokumente E8 und E15 nicht nahegelegt ist.

3.3.2 Bei dem Dokument E8 handelt es sich um eine Master­arbeit, in der unter anderem die Temperaturverteilung beim Aushärte­vorgang einer Rotorblatthalbschale untersucht wird (siehe Dokument E8, Seite 60, Figur 5.21; Seite 62, Figur 5.22; Seite 63, Figur 5.23). Bei der Herstellung größerer Rotorblätter muss berück­sichtigt werden, dass an Stellen mit mehr Harz auch mehr Hitze entsteht (siehe Dokument E8, Seite 58).

3.3.3 Ausgehend von dieser Offenbarung formuliert die Beschwerdeführerin die objektive technische Aufgabe, das aus dem Dokument E8 bekannte Verfahren auf größere Rotorblätter zu übertragen und zu verbessern.

3.3.4 Die Argumentation der Beschwerdeführerin, dass der Fachmann das Dokument E15 heranziehen würde, und so ausgehend vom Dokument E8 zum beanspruchten Gegenstand gelangen würde, überzeugt die Kammer nicht. Erstens fehlt angesichts der konzeptionellen Unterschiede zwischen diesen Entgegenhaltungen jede Veranlassung für ihre Kombination. Zweitens ist selbst bei einer Zusammenschau kein Grund ersichtlich, warum der Fachmann an unterschiedlichen Stellen eines Halbzeugs für eine mittels VARTM hergestellte Rotorblattschale nach dem Dokument E8 unterschiedlich temperaturbeständige Schäume hätte einsetzen sollen, zumal im Dokument E15 die unterschiedlich temperaturbeständigen Schäume in verschiedenen Halbzeugen, die mit unterschiedlichen Verfahren weiterverarbeitet werden, zum Einsatz kommen.

Keines der Dokumente E8 oder E15 offenbart, dass in einem Halbzeug in Bereichen, wo beim Aushärten höhere Temperaturen auftreten, temperaturfestere Schäume als in Bereichen mit tieferer Aushärtetemperatur angeordnet sind. Aus dem Dokument E15 kann zwar entnommen werden, dass für die Strukturbox ein PET Schaum mit höherer Temperaturbeständigkeit eingesetzt wird, was allerdings keinen Rückschluss auf die Rotorblatthalbschale des Dokuments E8 bezüglich der Merkmale M1.5 bis M1.8 des vorliegenden Anspruchs 1 erlaubt.

3.4 Erfinderische Tätigkeit des Gegenstands des Anspruchs 1 gegenüber einer Kombination des Dokuments E5 mit dem Dokument E22

3.4.1 Die Kammer ist zur gleichen Schlussfolgerung gelangt wie die Einspruchsabteilung (siehe angefochtene Entscheidung, Gründe, 3.2.1 und 3.3), dass der Gegenstand des vorliegenden Anspruchs 1 durch eine Kombination der Dokumente E5 und E22 nicht nahegelegt ist.

3.4.2 Der Gegenstand des vorliegenden Anspruchs 1 unterscheidet sich vom Dokument E5 in den Merkmalen M1.6 bis M1.8. Entgegen der Argumentation der Beschwerdeführerin ist nicht nur die Verwendung der verschiedenen Schäume in einem Halbzeug ein unter­scheidendes Merkmal, sondern das Dokument E5 offenbart auch nicht, dass die verschiedenen Schäume in Abhängig­keit von der Aushärtetemperatur eingesetzt werden (siehe Punkt 1.2).

3.4.3 Ausgehend vom Dokument E5, das kein Herstellungs­verfahren, sondern die mechanischen Eigenschaften des Rotorblatts diskutiert, hätte der Fachmann keine Veranlassung gehabt, das Dokument E22, das sich mit Infusionsverfahren für Rotorblätter beschäftigt, heranzuziehen. Selbst wenn der Fachmann dies gemacht hätte, so offenbart keines der beiden Dokumente den Erfindungsgedanken, nämlich in einem Halbzeug verschiedene Schäume je nach Aushärtetemperatur des Bauteils einzusetzen.

3.5 Erfinderische Tätigkeit des Gegenstands des Anspruchs 1 gegenüber einer Kombination des Dokuments E20 mit dem Dokument E15

3.5.1 Die Kammer ist zur gleichen Schlussfolgerung wie die Einspruchsabteilung gelangt (siehe angefochtene Entscheidung, Gründe, 5.2 bis 5.5), dass der Gegenstand des vorliegenden Anspruchs 1 durch eine Kombination der Dokumente E20 und E15 nicht nahegelegt ist.

3.5.2 Das Dokument E20 offenbart eine Rotorblatthalbschale mit einem Kern aus Blöcken bestehend aus geschäumtem Polymer oder aus einem Materialmix, z.B. Balsaholz und geschäumtem PVC. Ein Block aus verschiedenen Schäumen ist nicht offenbart. Ziel des Dokuments E20 ist es unter anderem, die Verbundstruktur hinsichtlich des Gewichts und der Festigkeit zu verbessern (siehe Dokument E20, Seite 14, Zeilen 15 bis 28). Das Dokument E20 offenbart somit nicht die Merkmale M1.5 bis M1.8 des vorliegenden Anspruchs 1.

3.5.3 Der technische Effekt dieser Unterscheidungsmerkmale ist dem Patent, Absatz [0009] zu entnehmen. Die objektive technische Aufgabe ist die Optimierung der Herstellungskosten.

3.5.4 Die Beschwerdeführerin argumentiert, dass genau diese Aufgabe und die zugehörige Lösung im Dokument E15 beschrieben seien. Das Dokument E15 beschäftige sich mit der Optimierung der Herstellung hinsichtlich Qualität und Kosten (siehe Dokument E15, Seite 3, erster Absatz unter "Summary of the invention"). Als Lösung werde vorgeschlagen, in den Rotorblatthalbschalen einen billigen PVC Schaum und in der Strukturbox einen PET Schaum mit höherer thermischer Stabilität einzusetzen.

Die Kammer folgt nicht der Argumentation der Beschwerde­führerin. Die Kammer kann nicht erkennen, warum der Fachmann von der im Dokument E20 offenbarten Lösung abweichen hätte sollen, und durch welches Material er die aus dem Dokument E20 bekannten Blöcke ersetzt hätte. Selbst wenn der Fachmann - evtl. unter Berücksichtigung des aus dem Dokument E21 bekannten Wissens (siehe Dokument E21, Seite 5, zweiter Absatz unter der Überschrift "Spar caps for structural shells") - erkannt hätte, dass im Bereich der Rotorblatthalbschale Probleme auf Grund der Wärme­entwicklung beim Aushärten entstehen, hätte der Fachmann weder aus dem Dokument E20 selbst noch aus dem Dokument E15 einen Hinweis auf die im Anspruch 1 beanspruchte Lösung, nämlich in verschiedenen Bereichen eines Halbzeugs für das Rotorblatt verschiedene Schäume mit unterschiedlichen Temperaturfestigkeiten einzusetzen, bekommen.

Wie oben dargelegt werden im Dokument E15 verschiedene Schäume mit unterschiedlichen Temperaturfestigkeiten nicht in einem Halbzeug, sondern in verschiedenen Bauteilen, d.h. in der Rotorblatthalbschale und in dem Steg, eingesetzt, die zudem mit unterschiedlichen Verfahren hergestellt werden.

3.6 Erfinderische Tätigkeit des Gegenstands des Anspruchs 6 (Artikel 56 EPÜ)

Die erfinderische Tätigkeit des vorliegenden Anspruchs 6 wurde angegriffen ausgehend vom Dokument E5 in Kombination mit dem Dokument E21.

Der Gegenstand des Anspruchs 6 unterscheidet sich vom Dokument E5 in den Merkmalen M6.9 und M6.10. Diese Merkmale beschreiben die Anordnung der Schäume in Bezug auf die Gurte. Weder das Dokument E5 noch das Dokument E21 offenbaren das Merkmal M6.10, wonach der erste Schaum streifen­förmig entlang der Gurte zwischen den Gurten und dem zweiten Schaum angeordnet ist. Zwar lehrt das Dokument E21 den Fachmann, dass der Gurt des Rotor­blatts hinsichtlich der Wärmeentwicklung beim Aushärten einen kritischen Bereich darstellt (siehe Dokument E21, Seite 5, unter der Überschrift: "Spar caps for structural cells"), was aber den Fachmann für sich genommen noch nicht zu der beanspruchten streifenförmigen Anordnung der Schäume gemäß Merkmal M6.10 führt. Eine Kombination der Dokumente E5 und E21 kann den Gegenstand des vorliegenden Anspruchs 6 somit nicht nahelegen.

3.7 Schlussfolgerung bezüglich erfinderischer Tätigkeit

Der Gegenstand des Anspruchs 1 und des Anspruchs 6 des des der angefochtenen Entscheidung zugrundeliegenden Hilfsantrags 1 ist durch den zitierten Stand der Technik nicht nahegelegt. Er beruht folglich auf einer erfinderischen Tätigkeit im Sinne von Artikel 56 EPÜ.

4. Schlussfolgerung

Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass der der angefochtenen Entscheidung zugrundeliegende Hilfsantrag 1 die Erfordernisse des EPÜ erfüllt, so dass es keinen Grund für eine Aufhebung der angefochtenen Entscheidung gibt. Dem Hauptantrag der Beschwerdegegnerin auf Zurückweisung der Beschwerde ist daher stattzugeben.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Quick Navigation