European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:2022:T171719.20220930 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 30 September 2022 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 1717/19 | ||||||||
Anmeldenummer: | 15156589.2 | ||||||||
IPC-Klasse: | C08K 5/3492 C08K 7/14 C08K 7/20 C08K 3/40 C08L 77/02 C08L 77/06 C08K 3/22 |
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Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | D | ||||||||
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Bezeichnung der Anmeldung: | POLYAMIDZUSAMMENSETZUNGEN | ||||||||
Name des Anmelders: | LANXESS Deutschland GmbH | ||||||||
Name des Einsprechenden: | RHODIA OPERATIONS | ||||||||
Kammer: | 3.3.03 | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: |
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Schlagwörter: | Neuheit - offenkundige Vorbenutzung Neuheit - Geheimhaltungsverpflichtung (nein) Neuheit - Hauptantrag und Hilfsantrag 1 (nein) Neuheit - Hilfsantrag 2 (ja) Antrag eingereicht mit der Beschwerdebegründung - Substantiierung Änderung nach Ladung - außergewöhnliche Umstände (nein) |
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Orientierungssatz: |
- |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
I. Die Beschwerde richtet sich gegen die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung bezüglich der Aufrechterhaltung des Europäischen Patents Nr. 2 924 069 in geänderter Fassung auf Grundlage der Ansprüche des Hauptantrags, welche mit Schriftsatz vom 4. Juni 2018 eingereichten wurden, und einer angepassten Beschreibung.
II. Im Einspruchsverfahren wurden unter anderem folgende Dokumente herangezogen:
D2: EP 2 924 067 A1
D3: EP 2 924 070 A1
D5: EP 2 924 068 A1
D6: DE 20 2014 008 607 U1
D7: US 2012/0165439 A1
D8: DE 20 2010 017 765 U1
D9: "Delivery Note Nr 82608410" bzgl. 11 Tonnen
"TECHNYL C52G1 V25 GREY 2225 CF" an ETI
PROPLAST D.O.O., datiert vom 28. November 2013
D10: "Purchase Order Nr 110008910" von ETI PROPLAST
d.o.o. an RHODIA POLYAMIDE POLSKA SP.Z. bzgl.
u.a. 11 Tonnen "TECHNYL C52 G1 V25 GREY 2225
CF", datiert vom 23. August 2013
D11: "Order Confirmation Nr 1601794" von RHODIA
POLYAMIDE POLSKA Sp.Z.O.O. an ETI PROPLAST
D.O.O., datiert vom 23. August 2013 und
geändert am 8. November 2013
D12: "Invoice Nr 94054566" gesendet an
ETI PROPLAST D.O.O., datiert vom
28. November 2013
D13: Zahlungsbeleg von ETI PROPLAST D.O.O., datiert
vom 30. Januar 2014
D13a: Englische Übersetzung von D11
D14: "Production transfer sheet" bezüglich der
Zusammensetzung des Produkts TECHNYL C52 G1
V25 GREY 2225 CF, datiert vom 13. Juni 2013
D15: Produktdatenblatt "TECHNYLSTAR XS 1131
NATURAL", datiert vom 4. April 2013
D15a: Französische Übersetzung von D15
D16: Produktdatenblatt "POLYMER 6 S 27 BL NATURAL
S", datiert vom 28. September 2012
D16a: Englische Übersetzung von D16
D18: Produktdatenblatt "Glass powder, glass grain
220-N", datiert vom 11. Januar 2010
D19: Bericht "Poudre de verre 220 N pour opposition
au brevet Lanxess", Solvay, datiert vom
18. Dezember 2017
D20: D18: "Certificate of analysis" bezüglich des
Produkts "ECS 301 HG-4.5", datiert vom
4. Februar 2008
D36: "Chart of Inspections and tests during the
production stage"; Technyl C 52G1 V25 GREY
2225 CF; Batch-Nr. 4311907; in Polnisch
D36a: Englische Übersetzung von D36
D37: "Chart of Inspections and tests during the
production stage"; Technyl C 52G1 V25 GREY
2225 CF; Batch-Nr. 4320997; in Polnisch
D37a: Englische Übersetzung von D37
D38: Ausdruck aus CAS-Datenbank betreffend
Melapur MC25
D39: Erklärung der Firma CPIC zu Glasfasern
ECS301 HG-4.5, datiert vom 3. Januar 2019
D40: Produktinformation der Sympatec GmbH zu
"Helos Sucell"
III. In der angefochtenen Entscheidung wurden unter anderem folgende Schlussfolgerungen gezogen:
- Die Erfordernisse der ausreichenden Offenbarung seien erfüllt (Artikel 100 b) EPÜ);
- Da die vom Streitpatent beanspruchte Priorität gültig sei, stellten die Dokumente D2, D3, D5 und D6 keinen relevanten Stand der Technik für das Streitpatent dar;
- Der Gegenstand der Ansprüche des Hauptantrags sei neu gegenüber D7 und D8;
- Was die vorgebrachte offenkundige Vorbenutzung betreffe, werde von der Patentinhaberin nicht bestritten, dass die von der Einsprechenden zitierten Dokumente zeigen, dass eine Lieferung des Produkts "Technyl C52 G1 V25 Grey 2225 CF" mit der Batchnummer 4311907 und 4320997, welches der Zusammensetzung des Anspruchs 1 des Hauptantrags entspreche, vor dem Prioritätstag des Streitpatents, bei ETI, Slowenien, angekommen sei (siehe insbesondere den letzten Satz der jeweiligen Abschnitte 4.4.1.1 und 4.4.1.2 der Begründung). Jedoch sei von der Einsprechenden nicht bewiesen worden, dass "Technyl C52 G1 V25 Grey 2225 CF" mit der Batchnummern 4311907 und 4320997 vor dem Prioritätstag des Streitpatents der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden sei (Abschnitt 4.4.1.3 der Begründung). Daher sei der Gegenstand der Ansprüche des Hauptantrags neu gegenüber der von der Einsprechenden vorgebrachten Vorbenutzung;
- Der Gegenstand der Ansprüche des Hauptantrags sei ferner erfinderisch ausgehend von D7 als nächstliegendem Stand der Technik, gegebenenfalls in Kombination mit D8.
Somit wurde entschieden, dass das Patent in geänderter Fassung auf Grundlage der Ansprüche des Hauptantrags den Erfordernissen des EPÜ genüge.
IV. Gegen diese Entscheidung erhob die Einsprechende (Beschwerdeführerin) Beschwerde. Mit ihrer Beschwerdebegründung reichte die Beschwerdeführerin unter anderem folgendes Dokument ein:
D44: Erklärung von ETI PROPLAST d.o.o., datiert
vom 16. Mai 2019
V. In einer Mitteilung gemäß Artikel 15 (1) VOBK 2020 teilte die Kammer ihre vorläufige Meinung zur Vorbereitung auf die mündliche Verhandlung mit.
VI. Mit Schriftsatz vom 19. Juli 2022 reichte die Patentinhaberin (Beschwerdegegnerin) die Hilfsanträge 12 bis 15 sowie, unter anderem, folgende Dokumente ein:
D59: DIN EN ISO 9001:2008-12
D60: Produktdatenblatt Technyl® A218
D61: Produktdatenblatt Technyl® A218 BLACK 21N
D62: Brüderle Kunststofftechnik,
Materialförderanlagen
VII. Die mündliche Verhandlung vor der Beschwerdekammer fand am 30. September 2022 in Anwesenheit beider Parteien statt (Videokonferenz).
VIII. Die Schlussanträge der Parteien lauteten wie folgt:
Die Beschwerdeführerin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents.
Die Beschwerdegegnerin beantragte die Zurückweisung der Beschwerde (Hauptantrag), hilfsweise die Aufrechterhaltung des Patents in geänderter Fassung auf der Grundlage eines der Hilfsanträge 1 bis 5, eingereicht mit Eingabe vom 4. Juni 2018, oder eines der Hilfsanträge 6 bis 11, eingereicht mit Eingabe vom 8. März 2019, oder eines der Hilfsanträge 12 bis 15, eingereicht mit Eingabe vom 19. Juli 2022.
IX. Ansprüche 1 und 13 des Hauptantrags lauteten wie folgt:
"1. Zusammensetzungen enthaltend
A) 5 bis 92,8 Gew.-% Polyamid 6 oder Polyamid 66,
B) 5 bis 80 Gew.-% eines nicht-faserförmigen und nicht-geschäumten gemahlenen Glases mit einem d90 bestimmt durch Laserdiffraktometrie im Bereich von 5 bis 250 mym,
C) 2 bis 8 Gew.-% geschnittene Langglasfasern mit einer Ausgangslänge im Bereich von 1 bis 50 mm,
D) 0,1 bis 40 Gew.-% Melamincyanurat und
E) 0,1 bis 10 Gew.-% Titandioxid,
mit der Maßgabe, dass die Summe aller Gewichtsprozente stets 100 ergibt."
"13. Verwendung der Zusammensetzungen gemäß einem der Ansprüche 1 bis 12 zur Herstellung von Erzeugnissen, bevorzugt von Elektrobauteilen, besonders bevorzugt FI-Schaltern und Leitungsschutzschaltern, ganz besonders bevorzugt Leitungsschutzschaltern mit Bemessungsströmen >16 A, insbesondere bevorzugt von Leitungsschutzschaltern mit Bemessungsströmen >32 A, insbesondere ganz besonders bevorzugt von Leitungsschutzschaltern mit Bemessungsströmen >64 A."
Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 unterschied sich vom Anspruch 1 des Hauptantrags durch folgende Änderungen im Merkmal B) (Hinzufügungen in fett, Streichungen in [deleted: gestrichen]):
"B) 5 bis 80 Gew.-% eines nicht-faserförmigen und nicht-geschäumten gemahlenen Glases mit einem d90 bestimmt nach dem Prinzip der Laserverdunkelung mit einem Teilchengrößenanalysator der Firma Ankersmid [deleted: bestimmt durch Laserdiffraktometrie] im Bereich von 5 bis 250 mym,"
Anspruch 1 des Hilfsantrags 2 war auf "Elektrobauteile, vorzugsweise FI-Schalter und Leitungsschutzschalter, basierend
auf Zusammensetzungen" gemäß Anspruch 1 des Hauptantrags gerichtet.
Die anderen Ansprüche des Hilfsantrags 2 und die weiteren geltenden Hilfsanträge sind für die vorliegende Entscheidung nicht relevant.
X. Die für die vorliegende Entscheidung relevanten Argumente der Beschwerdeführerin sind den Entscheidungsgründen zu entnehmen. Die Beschwerdeführerin trug folgende Einwände vor:
a) Die Dokumente D59 bis D62 seien ins Verfahren nicht zuzulassen;
b) Der Gegenstand von Anspruch 1 sowohl des Hauptantrags als auch des Hilfsantrags 1 sei
gegenüber der offenkundigen Vorbenutzung nicht neu;
c) Der Hilfsantrag 2 sei wegen mangelnder Substantiierung nicht ins Verfahren zuzulassen;
d) Der Einwand der mangelnden erfinderischen Tätigkeit ausgehend von D7 als nächstliegendem Stand der Technik gegen den Anspruch 1 des Hilfsantrags 2 sei zuzulassen.
XI. Die für die vorliegende Entscheidung relevanten Argumente der Beschwerdegegnerin sind den Entscheidungsgründen zu entnehmen. Zusammenfassend brachte die Beschwerdegegnerin folgendes vor:
a) Die Dokumente D59 bis D62 seien ins Verfahren zuzulassen;
b) Der Gegenstand von Anspruch 1 sowohl des Hauptantrags als auch des Hilfsantrags 1 sei
gegenüber der offenkundigen Vorbenutzung neu;
c) Es sei nicht gerechtfertigt, den Hilfsantrag 2 nicht ins Verfahren zuzulassen;
d) Der Einwand der mangelnden erfinderischen Tätigkeit ausgehend von D7 als nächstliegendem Stand der Technik gegen den Anspruch 1 des Hilfsantrags 2 sei nicht zuzulassen.
Entscheidungsgründe
1. Zulassung der Dokumente D59 bis D62
1.1 Die Dokumente D59 bis D62 wurden von der Beschwerdegegnerin mit ihrem Schriftsatz vom 19. Juli 2022 eingereicht, nach der Ladung zur mündlichen Verhandlung und der Mitteilung der Kammer gemäß Artikel 15 (1) VOBK 2020. Nach den Übergangsbestimmungen des Artikels 25 (1) und (3) VOBK 2020 ist für die Frage der Zulassung dieser Dokumente daher Artikel 13 (2) VOBK 2020 anzuwenden.
1.2 Gemäß Artikel 13 (2) VOBK 2020 bleiben Änderungen des Beschwerdevorbringens eines Beteiligten unter anderem nach Zustellung der Ladung zur mündlichen Verhandlung grundsätzlich unberücksichtigt, es sei denn, der betreffende Beteiligte hat stichhaltige Gründe dafür aufgezeigt, dass außergewöhnliche Umstände vorliegen.
1.2.1 Die Beschwerdegegnerin hat allerdings zu keinem Zeitpunkt gezeigt, dass außergewöhnliche Umstände vorliegen, die die Einreichung von D59 bis D62 in einem solch späten Verfahrensstadium rechtfertigen würden.
1.2.2 a) Während der mündlichen Verhandlung vor der Kammer brachte die Beschwerdegegnerin vor, dass die Einreichung von D59 bis D62 als Reaktion auf die vorläufige Meinung der Kammer bezüglich der offenkundigen Vorbenutzung zu verstehen sei, die nicht im Einklang mit den entsprechenden Schlussfolgerung zweier Einspruchsabteilungen stehe (nämlich in der angefochtenen Entscheidung und in der im parallelen Fall T 296/20 angefochtenen Entscheidung).
b) Jedoch kann der Umstand, dass die Kammer eine andere Meinung als eine oder mehrere Einspruchsabteilung(en) vertritt, die Einreichung von neuen Dokumenten nicht rechtfertigen. Da der auf der offenkundigen Vorbenutzung beruhende Einwand mangelnder Neuheit im Rahmen der Beschwerdebegründung weiter ausgeführt wurde, musste die Beschwerdegegnerin damit rechnen, dass die Kammer möglicherweise von der Auffassung der Einspruchsabteilung abweicht. Somit hätte die Beschwerdegegnerin die Dokumente D59 bis D62 bereits während des Einspruchsverfahrens oder spätestens mit der Beschwerdeerwiderung einreichen können und sollen, wenn sie der Meinung war, dass diese Dokumente für ihre Verteidigungslinie relevant sein könnten.
c) Die Beschwerdegegnerin legte ferner schriftlich dar, dass die Dokumente D59 bis D62 eingereicht worden seien, um zu zeigen, dass der Verkauf nicht dem in einem freien Markt allgemein anerkannten Prinzip von "Angebot und Nachfrage" unterlegen habe (Schriftsatz vom 19. Juli 2022: Abschnitt I.6, letzter Absatz; Abschnitt V.3).
Jedoch betreffen die vorgebrachten Argumente lediglich die Frage der Relevanz der Dokumente D59 bis D62. Sie können jedoch nicht rechtfertigen, weshalb diese Dokumente erst mit Schriftsatz vom 19. Juli 2022 eingereicht wurden.
d) Ferner wurde während der mündlichen Verhandlung vor der Kammer nicht gezeigt, dass die Mitteilung nach Artikel 15 (1) VOBK 2020 der Kammer neue Einwände oder Fragen enthalten habe, wodurch die Beschwerdegegnerin mit einer neuen Verfahrenssituation konfrontiert worden sei.
1.2.3 Daher liegen keine außergewöhnlichen Umstände im Sinne des Artikels 13 (2) VOBK 2020 vor, die eine Einreichung der Dokumente in einem solch späten Verfahrensstadium rechtfertigen könnten. Die Dokumente D59 bis D62 wurden daher nicht in das Verfahren zugelassen.
Hauptantrag
2. Neuheit gegenüber der offenkundigen Vorbenutzung
2.1 Die Beschwerdeführerin brachte vor, dass eine offenkundige Vorbenutzung der Zusammensetzung gemäß Anspruch 1 des Hauptantrags durch Verkauf von 11 Tonnen "Technyl C52 G1 V25 Grey 2225 CF" an ETI PROPLAST d.o.o. am 28. November 2013 belegt sei (Beschwerdebegründung: Abschnitt 5, siehe insbesondere den letzten Absatz).
2.2 Um festzustellen, ob eine Erfindung der Öffentlichkeit durch Vorbenutzung zugänglich gemacht wurde, müssen nach ständiger Rechtsprechung folgende Sachverhalte geklärt werden (Rechtsprechung der Beschwerdekammern, 10. Auflage, 2022, I.C.3.2.4.a):
i) der Zeitpunkt der Benutzung (d. h. wann die Benutzungshandlung stattfand),
ii) der Gegenstand der Benutzung (d. h. was der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde) und
iii) die Umstände der Benutzungshandlung (d. h. wo, wie und durch wen der Gegenstand der Benutzung der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde).
2.3 Wo / Wann / Durch wen?
2.3.1 Die Kammer teilt die Meinung der Beschwerdeführerin, dass die Dokumente D9 bis D12 und D13/D13a zeigen, dass 11 Tonnen des Produkts "Technyl C52 G1 V25 Grey 2225 CF" der Firma RHODIA POLYAMIDE POLSKA SP.Z.O.O. (Rhodia, Polen) mit den Batchnummern 4311907 und 4320997 vor dem Prioritätstag des Streitpatents an die ETI PROPLAST d.o.o., Slowenien, geliefert wurden (Abschnitt 5.1 der Beschwerdebegründung). Die Art und Sequenz der Dokumente (D10: Bestellung/purchase order; D11: Bestellung Bestätigung/order confirmation; D9: Lieferung/delivery note; D12: Rechnung/invoice; D13a: Rechnungsbeleg/proof of payment) zeigen insbesondere, dass eine Lieferung tatsächlich stattgefunden hat.
2.3.2 Diese Schlussfolgerung wurde bereits von der Einspruchsabteilung gezogen (angefochtene Entscheidung: Abschnitt 4.4.1.1 der Begründung), wobei die Einspruchsabteilung betonte, dass "die Patentinhaberin während der mündlichen Verhandlung mit dieser Schlussfolgerung ausdrücklich einverstanden war".
In ihrer Beschwerdeerwiderung (Abschnitt III.5) brachte die Beschwerdegegnerin jedoch vor, dass die Beschwerdeführerin nicht gezeigt habe, i) was tatsächlich das Werk der Rhodia in Polen verließ, ii) dass ein chemisches Gefahrengut über 3 Ländergrenzen und mehr als 1000 km hinweg transportiert wurde (Frachtpapiere/Zollpapiere) und iii) was bei ETI PROPLAST d.o.o. in Slowenien tatsächlich angekommen sei (Eingangspapiere/Eingangsanalysen).
Selbst wenn zusätzliche Dokumente die Argumentationslinie der Beschwerdeführerin weiter untermauern hätten können, sind die genannten Dokumente dennoch ausreichend, um nachzuweisen, "wann", wo" und durch "wen" die behauptete offenkundige Vorbenutzung stattgefunden hat. Die Argumente der Beschwerdegegnerin geben keinen Anlass, von der diesbezüglich gezogenen Schlussfolgerung der Einspruchsabteilung abzuweichen.
2.4 Gegenstand der Vorbenutzung ("was?")
2.4.1 Wie von der Beschwerdeführerin dargelegt (Beschwerdebegründung: Abschnitt 5.2 auf Seiten 15 und 16) ist aus den Produktionsdatenblättern D36a und D37a ersichtlich, dass die gelieferten Produkte "Technyl C52 G1 V25 Grey 2225 CF" mit den Batchnummern 4311907 und 4320997 unter anderem folgende Komponenten enthielten:
- 33,412 Gew.-% PA6 S-27 BL NAT (entspricht der Komponente A) gemäß Anspruch 1 des Hauptantrags; siehe D16/D16a: Seite 1, Punkt 1.1 und Seite 2, Punkt 3.2);
- 33,005 Gew.-% TY XS 1131 BL NAT (Batch 4311907) oder XS 1131 BL NAT S (Batch 4320997) (entspricht ebenfalls der Komponente A) gemäß Anspruch 1 des Hauptantrags; siehe D15/D15a, Seite 1, Punkt 1.1 und Seite 2, Punkt 3.2);
- 17 Gew.-% Glass Powder 220-N (entspricht der Komponente B) gemäß Anspruch 1 des Hauptantrags: siehe D18 und D19: Seite 4, "HELOS" = Laserdiffraktometer gemäß D40; "x(90%) = 45.71 mym" = d90 gemäß Anspruch 1),
- 5 Gew.-% GF-ECS 301 HG 4.5 MM (entspricht der Komponente C) gemäß Anspruch 1 des Hauptantrags: siehe D20, Product Code und Chopped Strand length gemäß D39);
- 9,5 Gew.-% Melapur MC 25 (entspricht der Komponente D) gemäß Anspruch 1 des Hauptantrags: siehe D38); und
- 1,3 Gew.-% TiO2 Sachtleben R420 (Batch 4311907) oder Titanium Sachtleben R420 (Batch 4320997) (entspricht der Komponente E) gemäß Anspruch 1 des Hauptantrags).
2.4.2 Während diese Schlussfolgerung weder im Einspruchsverfahren (siehe angefochtene Entscheidung: Abschnitt 4.4.1.2, letzter Satz) noch in der Beschwerdeerwiderung bestritten wurde, hat die Beschwerdegegnerin in ihrer letzten Eingabe (Schriftsatz vom 19. Juli 2022: Abschnitt V.2) vorgebracht, dass weder aus D14, noch aus D19 hervor gehe, dass das in den Batches eingesetzte "220-N" ein Mahlglas mit einem d90 bezogen auf die Teilchenoberfläche und bestimmt durch Laserdiffraktometrie im Bereich von 5 bis 250 mym aufweise. Ferner gebe D19 keine Auskunft darüber, ob die Messung im Jahr 2017 oberflächenbasiert oder volumenbasiert durchgeführt bzw. ausgewertet worden sei und ob in den Batches 4311907 und 4320997 Mahlglas 220-N der Lot Nr. 2949181013 - wie in D19 - eingesetzt worden sei.
a) Diesbezüglich ist zuerst festzustellen, dass im geltenden Anspruch 1 keine Einschränkung bezüglich der Definition der d90 Werte - z.B. ob Teilchenoberfläche oder Teilchenvolumen definiert - angegeben wird. Somit sollte das Merkmal d90 des Anspruchs 1 in seiner breitesten, technisch sinnvollen Bedeutung gelesen werden. Die Tatsache, dass in Absatz 45 des Streitpatents angegeben wird, dass die Angaben der Teilchengrößenverteilung bzw. der Teilchengrößen sich auf sogenannte oberflächenbasierte Teilchengrößen beziehen, ändert an dieser Schlussfolgerung nichts, da
sich eine solche Interpretation aus dem Wortlaut des Anspruchs 1 per se nicht eindeutig ergibt.
b) Ferner wird in D19 angegeben, dass das dort untersuchte Mahlglas einen d90 von 45.71 mym (Seite 4, oben und Seite 5) bestimmt durch Lasergranulometrie (siehe angefochtene Entscheidung: Seite 11, erster und fünfter Absatz) aufweist. Wie von der Beschwerdeführerin dargelegt, ist ferner aus D40 ersichtlich, dass die Angabe "HELOS" (D19: Seite 4, oben) zeigt, dass die Messung von D19 durch Laserdiffraktometrie durchgeführt wurde, was nicht bestritten wurde. Der von der Beschwerdegegnerin in ihrem letzten Schriftsatz vorgebrachte Einwand, dass die d90 des Mahlglases gemäß D19 nicht der Definition der Komponente B) des geltenden Anspruchs 1 entspreche, ist demnach von Dokumenten nicht unterstützt und stellt somit eine bloße Behauptung dar, die nicht zu überzeugen vermag.
2.4.3 Es wurde von der Beschwerdegegnerin auch nicht mit stichhaltigen Beweismitteln gezeigt, dass sich der d90-Wert des Mahlglases "220-N" mit der Zeit verändert haben. Somit stellt auch das Argument, dass das in D18 und D19 untersuchte Mahlglas "220-N" dem Produkt "220-N" der D36a oder D37a nicht zwangsläufig entspreche, eine reine Behauptung dar, der die Kammer nicht folgt.
2.4.4 Es wurde daher ausreichend nachgewiesen, dass der Gegenstand ("was") der Vorbenutzung einer Zusammensetzung gemäß Anspruch 1 des Hauptantrags entspricht.
2.5 Die Umstände der Vorbenutzung ("wie?")
2.5.1 Es war zwischen den Parteien strittig, ob die Lieferung der Batches 4311907 und 4320997 im Rahmen eines normalen Verkaufsvertrags zwischen zwei Unternehmen erfolgt sei (wie von der Beschwerdeführerin vorgetragen) oder, ob das vorbenutzte Produkt im Rahmen eines gemeinsamen Projekts der beiden Unternehmen entwickelt worden sei, und die Lieferung der Batches zu Testzwecken erfolgt sei und einer impliziten Geheimhaltung unterlegen habe (so der Vortrag der Beschwerdegegnerin).
2.5.2 In diesem Zusammenhang ist die Kammer der Auffassung, dass die Dokumente D9 bis D12 und D13/D13a, wie im Abschnitt 2.3.1 oben bereits ausgeführt, auf einen normalen Verkaufsvorgang (bezüglich 11 Tonnen der Batchnummern 4311907 und 4320997) zwischen zwei Unternehmen hinweisen.
2.5.3 Während der mündlichen Verhandlung vor der Kammer, brachte die Beschwerdegegnerin vor, dass D9 bis D12 und D13/D13a keinen normalen Verkauf dokumentieren würden. Die bezahlte Summe sei lediglich eine Vergütung für die Testlieferung der genannten Batches, die im Rahmen eines Entwicklungsauftrags der ETI PROPLAST d.o.o. erfolgt sei. Es handele sich bei dem Produkt um eine spezielle Zusammensetzung, die von Rhodia nach den Spezifikationen von ETI PROPLAST d.o.o. individuell hergestellt worden sei.
Wie jedoch bereits oben ausgeführt (vgl. Punkt 2.3.1) betreffen die Dokumente D9 bis D12 und D13/D13a explizit die Abwicklung der Lieferung der Batches 4311907 und 4320997, wobei alles dafür spricht, dass es sich dabei um den Verkauf einer Ware (Auftrag, Bestätigung des Auftrags, Lieferschein, Rechnung, Zahlung) und nicht um eine Vergütung im Rahmen einer gemeinsamen Entwicklungstätigkeit handelt.
2.5.4 Die Beschwerdegegnerin brachte dagegen vor, dass aus D14 ersichtlich sei, dass nicht ein Standardprodukt geliefert worden sei, sondern dass es sich hierbei um eine nach den Spezifikationen von ETI PROPLAST d.o.o. speziell angefertigte Zusammensetzung gehandelt habe, sodass aufgrund dieser gemeinsamen Entwicklung eine implizite Geheimhaltungsverpflichtung anzunehmen sei (wie von der Einspruchsabteilung auch berücksichtigt, siehe angefochtene Entscheidung: Abschnitt 4.4.1.3 der Begründung, letzter Satz).
a) Hierzu ist zu bemerken, dass es sich bei der D14 um ein "Production Transfer Sheet" der Rhodia, Frankreich, für das Material "Technyl C52 G1 V25 Grey 2225 CF" handelt, wobei nicht bestritten wurde, dass dieses die Zusammensetzungen der Batches 4311907 und 4320997 betrifft. Die Kammer stimmt der Beschwerdegegnerin insofern zu, als daraus hervorgeht, dass die Forschungs- und Entwicklungsabteilung ("R&D") der Rhodia, eine Zusammensetzung speziell für ETI PROPLAST d.o.o. entwickelt hat (siehe Anmerkung in D14 "C52 G1 V25 grade specially developed for ETI"). In der D14 werden offenbar Spezifikationen für die Zusammensetzung des herzustellenden Produkts "Technyl C52 G1 V25 Grey 2225 CF" angegeben. Aus den Dokumenten D36a und D37a geht ferner hervor, dass dieses unter den Batchnummern 4311907 und 4320997 produziert wurde, wie von der Beschwerdeführerin dargelegt (Beschwerdebegründung : Abschnitt 5.2). Obgleich somit davon auszugehen ist, dass die Zusammensetzungen speziell für ETI PROPLAST d.o.o. entwickelt wurden, reichen die Angaben in der D14 jedoch nicht aus, um daraus zu schließen, dass diese im Rahmen einer gemeinsamen Entwicklungstätigkeit beider Unternehmen erstellt wurden. Die D14 spricht eher für eine - übliche - Anpassung einer Formulierung an Kundenanforderungen (z.B. beruhend auf gesetzlichen Anforderungen oder im Hinblick auf einen konkreten Einsatzzweck, wie auch in D14 angegeben - "Used for: Mini-circuit breakers" -), ohne dass es sich hierbei um eine gemeinsame Entwicklung eines Produkts handelt, bei dem von einer Geheimhaltungsverpflichtung ausgegangen werden könnte. Nach der Überzeugung der Kammer handelt es sich somit um eine gewöhnliche Auftragsarbeit auf der Grundlage von Spezifikationen im Sinne von technischen Anforderungen, nicht jedoch um eine gemeinsame Entwicklungstätigkeit, bei der beide Seiten zum Gelingen eines gemeinsamen Projekts einen Entwicklungsbeitrag leisten. Vielmehr ist davon auszugehen, dass der Verkäufer Rhodia eine bestehende Produktlinie lediglich im Hinblick auf die konkreten technischen Anforderungen des Kunden ETI PROPLAST d.o.o. angepasst hat, was jedoch nicht als eine gemeinsame Entwicklung eines Produkts durch die Vertragspartner angesehen werden kann.
b) In der Beschwerdebegründung machte die Beschwerdeführerin geltend, dass im Hinblick auf D44 (erster Satz unter der Tabelle) davon auszugehen sei, dass der Verkauf von "Technyl C52 G1 V25 Grey 2225 CF" an ETI PROPLAST d.o.o. ohne Geheimhaltungsverpflichtung stattgefunden habe.
In der Tat stützt die in D44 enthaltene Erklärung ("We also confirm that no NDA or binding agreement whatsoever was mutually signed by ETI and Solvay prior to the development or commercialization of the aforementioned Technyl grade") die Auffassung der Beschwerdeführerin, dass weder eine explizite noch eine implizite Geheimhaltungsverpflichtung bestanden hat.
c) Angesichts der obigen Ausführungen kommt die Kammer zu der Schlussfolgerung, dass eine über eine gewöhnliche Geschäftsbeziehung im Rahmen eines Verkaufsgeschäfts hinausgehende, gemeinsame Entwicklungstätigkeit nicht vorlag, welche ein beidseitiges Interesse an der Geheimhaltung von Entwicklungsergebnissen hätte begründen können.
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2.5.5 Die Beschwerdegegnerin brachte vor, dass angesichts der gelieferten Menge, nämlich 11 Tonnen aufgeteilt in einen ersten kleinen Ansatz von 1250 kg und danach einen zweiten Ansatz im Maßstab von 9900 kg, von einer Testlieferung (d.h. keine Serienproduktion) auszugehen sei (Schriftsatz vom 19. Juli 2022: Abschnitt V.4). Jedoch teilt die Kammer die Meinung der Beschwerdegegnerin nicht, da angesichts des Umfangs einer Lieferung von 11 Tonnen nicht mehr von einer Stichprobe oder einer Lieferung zu Testzwecken ausgegangen werden kann. Eine Lieferung im Umfang von 11 Tonnen zu Testzwecken entspricht jedenfalls nicht den Usancen des Geschäftsverkehrs. | |
2.5.6 Nach der Beschwerdegegnerin sei eine Vorbenutzung nicht anzuerkennen, da nicht belegt worden sei, was ETI PROPLAST d.o.o. vor dem Prioritätstag des Streitpatents mit der geliefertem Zusammensetzung produziert hat (vgl. Beschwerdeerwiderung: Abschnitt III.5, Seite 6, fünfter Unterpunkt).
a) Die Frage, was ETI mit der gelieferten Zusammensetzung gemacht hat und welche Produkte damit produziert wurden, ist jedoch für den vorliegenden Fall nicht relevant. In der Tat ist es ausreichend (siehe Abschnitt 2.6 unten), um eine offenkundige Vorbenutzung anzuerkennen, dass belegt ist, dass eine Zusammensetzung gemäß Anspruch 1 des Hauptantrags vor dem Prioritätstag/Anmeldedatum des Streitpatents ohne (implizite) Geheimhaltungsverpflichtung verkauft wurde.
b) Aus dem gleichen Grund ist im vorliegenden Fall auch nicht relevant, ob - wie von der Beschwerdegegnerin geltend gemacht - die zitierten Dokumente belegen, dass die Batches 4311907 und 4320997 von ETI PROPLAST d.o.o. vor dem Prioritätstag des Streitpatents zu einem kommerziellen Produkt verarbeitet und vor dem Prioritätstag des Streitpatents der Öffentlichkeit zum Kauf angeboten worden sei oder, ob eine Serienproduktion lief (vgl. Beschwerdeerwiderung: Abschnitt III.5, Seite 6, erster und letzten beiden Unterpunkte; Schriftsatz vom 19. Juli 2022: Seiten 21-22, Punkte a) bis l)). Auch ist nicht relevant, ob Produkte wie Leitungsschutzschalter als "sicherheitsrelevante Erzeugnisse" einen langen behördlichen Genehmigungsprozess durchlaufen müssen (vgl. Beschwerdeerwiderung: Abschnitt III.5, Absatz zwischen der Seiten 6 und 7).
c) Somit sind diese Argumente der Beschwerdegegnerin nicht überzeugend.
2.5.7 In Anbetracht des Vorstehenden ist die Kammer zu dem Schluss gelangt, dass die Lieferung von 11 Tonnen "Technyl C52 G1 V25 Grey 2225 CF" am 28. November 2013 (Batches 4311907 und 4320997) gemäß geltend gemachter Vorbenutzung weder einer ausdrücklichen noch einer stillschweigenden Geheimhaltungsvereinbarung zwischen Rhodia, Polen und ETI PROPLAST d.o.o. unterlag.
2.6 Gemäß ständiger Rechtsprechung ist der Verkauf eines Produktes ? sofern keine besonderen Umstände vorliegen ? ausreichend, um dieses der Öffentlichkeit zugänglich zu machen (Rechtsprechung, supra, I.C.3.2.4.b, in Bezug auf T 1682/09 und I.C.3.3.1, erster Absatz).
2.6.1 Die Beschwerdegegnerin wandte ein, dass die Entscheidung T 1682/09 für den vorliegenden Fall nicht relevant sei (Schriftsatz vom 19. Juli 2022: Abschnitt V.1).
Dem kann die Kammer nicht folgen, da in den Gründen 3.2.3 (erster Absatz, zweiter Satz; siehe auch den letzten Satz desselben Absatzes) der T 1682/09 explizit festgehalten wird, dass die Kammer den oben genannten Grundsatz angewendet hat, d.h. dass der Verkauf eines Produktes ? sofern keine besonderen Umstände vorliegen ? ausreichend ist, um dieses der Öffentlichkeit zugänglich zu machen.
2.7 Da die Lieferung von 11 Tonnen "Technyl C52 G1 V25 Grey 2225 CF" am 28. November 2013 im Rahmen eines gewöhnlichen Verkaufs an ein Mitglied der Öffentlichkeit erfolgte, wurden dadurch der Kunststoff und seine Zusammensetzung vor dem Prioritätstag/Anmeldedatum des Streitpatents öffentlich zugänglich gemacht. Die Vorbenutzung "Technyl C52 G1 V25 Grey 2225 CF"/Batches 4311907 und 4320997 gehört somit zum Stand der Technik gemäß Artikel 54 (2) EPÜ.
2.8 Angesichts der in Abschnitt 2.4 ("was?") gezogene Schlussfolgerung, dass die Zusammensetzung der Batches 4311907 und 4320997 dem Gegenstand des Anspruchs 1 des Hauptantrags entspricht, ist dieser Gegenstand nicht neu und der Hauptantrag nicht gewährbar.
Hilfsantrag 1
3. Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 unterscheidet sich vom Anspruch 1 des Hauptantrags lediglich dadurch, dass die Definition der Messmethode für die Bestimmung der d90 von Komponente B) geändert wurde. Während der mündlichen Verhandlung erklärte insbesondere auch die Beschwerdegegnerin, dass die Schlussfolgerung zum Hauptantrag hinsichtlich der Neuheit auch für die Zusammensetzung nach dem Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 gelten würde. Der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hilfsantrags 1 ist somit gegenüber der offenkundigen Vorbenutzung nicht neu.
Hilfsantrag 2
4. Zulassung des Hilfsantrags 2
4.1 Während der mündlichen Verhandlung vor der Kammer wandte die Beschwerdeführerin ein, dass der Hilfsantrag 2 wegen mangelnder Substantiierung nicht ins Verfahren zuzulassen sei.
4.2 In diesem Zusammenhang war es zwischen den Parteien nicht strittig, dass der Hilfsantrag 2 bereits im Einspruchsverfahren eingereicht und mit der Beschwerdeerwiderung weiterverfolgt wurde. Gemäß Artikel 12 (4) VOBK 2007 "wird das gesamte Vorbringen der Beteiligten nach Absatz 1 von der Kammer berücksichtigt, wenn und soweit es sich auf die Beschwerdesache bezieht und die Erfordernisse nach Absatz 2 erfüllt", wobei Artikel 12 (2) VOBK 2007 unter anderem angibt, dass die Beschwerdebegründung und die Erwiderung den vollständigen Sachvortrag eines Beteiligten enthalten müssen.
4.3 Diesbezüglich wurde von der Beschwerdegegnerin nicht bestritten, dass sie im Beschwerdeverfahren nicht dargelegt hat, inwiefern die im Hilfsantrag 2 durchgeführten Änderungen zur Frage der ausreichenden Offenbarung, der Neuheit und/oder der erfinderischen Tätigkeit beitragen würden.
4.4 Gemäß ständiger Rechtsprechung kann ein Hilfsantrag, der in der Beschwerdeerwiderung gemäß Artikel 12 (2) VOBK (auf welchen Artikel 12 (4) VOBK 2007 wie oben angegeben verweist) nicht substantiiert wurde, aus diesem Grund nicht zugelassen werden (Rechtsprechung, supra, V.A.5.12.6, in Bezug auf T 217/10; siehe auch T 420/14). Eine Substantiierung ist nach ständiger Rechtsprechung jedoch nicht erforderlich, wenn der Hilfsantrag keiner Erklärung bedarf, weil die Änderungen selbsterklärend sind (Rechtsprechung, supra, V.A.5.12.6, in Bezug auf T 217/10, letzter Satz "zumindest, wenn dies anhand der hierin eingefügten Änderungen nicht offensichtlich ist"; siehe auch die Absätze in Bezug auf T 1836/12 und T 568/14).
4.5 Im vorliegenden Fall unterscheidet sich Anspruch 1 des Hilfsantrags 2 vom Anspruch 1 des Hauptantrags lediglich dadurch, dass er auf "Elektrobauteile, vorzugsweise FI-Schalter und Leitungsschutzschalter, basierend auf Zusammensetzungen" gemäß Anspruch 1 des Hauptantrags gerichtet ist. Somit ist es offensichtlich, dass die durchgeführten Änderungen jedenfalls dazu dienen, den Einwand mangelnder Neuheit gegenüber der offenkundigen Vorbenutzung - welcher ausschließlich die Zusammensetzungen selbst und nicht die daraus hergestellten Gegenstände betraf - auszuräumen. Aus diesen Gründen bedurfte die Einreichung des Hilfsantrags 2 im vorliegenden Fall keiner ausdrücklichen Substantiierung.
4.6 Somit folgte die Kammer dem Antrag der Beschwerdeführerin, den Hilfsantrag 2 nicht in das Verfahren zuzulassen (Artikel 12 (4) VOBK 2007), nicht, sodass der Hilfsantrag 2 im Verfahren ist.
5. Zulassung des Einwands mangelnder erfinderischer Tätigkeit ausgehend von D7 als nächstliegendem Stand der Technik
5.1 Während der mündlichen Verhandlung vor der Kammer brachte die Beschwerdeführerin den Einwand, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hilfsantrags 2 ausgehend von D7 als nächstliegendem Stand der Technik nicht erfinderisch sei, erstmals vor und beantragte die Zulassung dieses Einwands in das Verfahren. Sie führte hierzu aus, bereits in der Beschwerdebegründung und in der Einspruchsschrift einen Einwand mangelnder erfinderischer Tätigkeit ausgehend von D7 gegen den Verwendungsanspruch des Hauptantrags vorgebracht zu haben. Aus diesem Grund sei implizit auch ein Einwand mangelnder erfinderischer Tätigkeit gegenüber dem Anspruch 1 des Hilfsantrags 2 vorgetragen worden. Ferner sollte berücksichtigt werden, dass der Hilfsantrag 2 ohne explizite Substantiierung zugelassen wurde. Aus dem gleichen Grund sollte der - mindestens implizit vorgebrachte - Einwand mangelnder erfinderischer Tätigkeit ausgehend von D7 zugelassen werden.
5.2 Explizit befragt vom Vorsitzenden der Kammer konnte die Beschwerdeführerin jedoch während der mündlichen Verhandlung nicht zeigen, dass in der Beschwerdebegründung ein Einwand mangelnder erfinderischer Tätigkeit gegen den Verwendungsanspruch des Hauptantrags (Anspruch 13) erhoben wurde. Zudem konnte die Beschwerdeführerin auch nicht zeigen, dass die in der Beschwerdebegründung vorgebrachte Argumentationslinie bezüglich des Fehlens der erfinderischen Tätigkeit bezüglich des Gegenstands des Anspruchs 1 des Hauptantrags mit der Frage der erfinderischen Tätigkeit der im Anspruch 1 des Hilfsantrags 2 definierten Elektrobauteile zusammenhängen würde. Somit kann dieser in der Beschwerdebegründung enthaltene Einwand nicht ohne weiteres als für die beanspruchten Elektrobauteile implizit gültig angesehen werden. Der von der Beschwerdeführerin vorgebrachte Verweis auf im Einspruchsverfahren vorgetragene Argumente entspricht jedoch nicht dem Substantiierungserfordernis des Artikels 12 (2) VOBK 2007 und kann daher eine solche Substantiierung nicht ersetzen.
Somit stellt der gegen den Hilfsantrag 2 erstmals während der mündlichen Verhandlung vorgebrachte Einwand der fehlenden erfinderischen Tätigkeit ausgehend von D7 als nächstliegendem Stand der Technik eine Änderung des Beschwerdevorbringens der Beschwerdeführerin dar, deren Zulassung ins Verfahren nach Artikel 13 (2) VOBK 2020 zu prüfen ist (siehe Abschnitt 1.2 oben).
5.3 Die Beschwerdegegnerin hat allerdings zu keinem Zeitpunkt gezeigt, dass außergewöhnliche Umstände vorliegen, die das Vorbringen dieses neuen Einwands zu einem solch späten Zeitpunkt des Beschwerdeverfahrens rechtfertigen könnten.
5.4 Da der Hilfsantrag 2 bereits im Einspruchsverfahren vorgelegt und mit der Beschwerdeerwiderung weiter aufrechterhalten wurde, hätte der Einwand jedenfalls als Reaktion auf die Beschwerdeerwiderung vorgebracht werden können und sollen, falls die Beschwerdeführerin einen solchen Einwand im Beschwerdeverfahren verfolgen wollte.
5.5 Die Tatsache, dass der Hilfsantrag 2 trotz mangelnder Substantiierung zugelassen wurde, ist für die Frage der Zulassung des neuen Einwands nicht entscheidend. In der Tat ist durch die Zulassung des Hilfsantrags 2, der bereits im Einspruchsverfahren vorhanden war und mit der Beschwerdeerwiderung weiterverfolgt wurde, keine geänderte Verfahrenslage entstanden, die die Zulassung eines solch späten Einwands im Sinne des Artikels 13 (2) VOBK 2020 rechtfertigen könnte.
5.6 Aus diesen Gründen wurde der erstmals in der mündlichen Verhandlung vorgebrachte Einwand der fehlenden erfinderischen Tätigkeit ausgehend von D7 als nächstliegendem Stand der Technik gegen den Hilfsantrag 2 nicht ins Verfahren zugelassen (Artikel 13 (2) VOBK 2020).
6. Wie in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer erklärt (siehe Protokoll: Seite 3, vierter Absatz), erhob die Beschwerdeführerin gegen den Hilfsantrag 2 keine weitere Einwände.
7. Da der einzige gegen den Hilfsantrag 2 vorgebrachte Einwand der Beschwerdeführerin nicht zugelassen wurde, ist das Patent auf der Grundlage der Ansprüche des Hilfsantrags 2 aufrecht zu erhalten.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Angelegenheit wird an die erste Instanz mit der Anordnung zurückverwiesen, das Patent auf der Basis der Ansprüche des Hilfsantrags 2, eingereicht mit Schreiben vom 4. Juni 2018, und einer noch anzupassenden Beschreibung aufrecht zu erhalten.