T 1577/19 () of 4.12.2020

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2020:T157719.20201204
Datum der Entscheidung: 04 Dezember 2020
Aktenzeichen: T 1577/19
Anmeldenummer: 15770794.4
IPC-Klasse: B25B5/12
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: KNIEHEBELSPANNVORRICHTUNG, INSBESONDERE ZUR VERWENDUNG IM KAROSSERIEBAU DER KFZ-INDUSTRIE
Name des Anmelders: Olaf und Andre Tünkers GBR
Name des Einsprechenden: -
Kammer: 3.2.07
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 97(2) (2007)
European Patent Convention Art 111(1) (2007)
European Patent Convention Art 112(1) (2007)
European Patent Convention Art 113(1) (2007)
European Patent Convention Art 114(1) (2007)
European Patent Convention R 115(2) (2007)
RPBA2020 Art 011 (2020)
RPBA2020 Art 012(2) (2020)
Rules of procedure of the Boards of Appeal Art 12(4) (2007)
RPBA2020 Art 013(1) (2020)
RPBA2020 Art 015(3) (2020)
RPBA2020 Art 024(1) (2020)
RPBA2020 Art 025 (2020)
Schlagwörter: VOBK 2020 - Anwendbarkeit auf bereits vor Inkrafttreten anhängige Beschwerdeverfahren - (ja)
Vorlage an die Große Beschwerdekammer - (nein)
vorrangiges Ziel des Beschwerdeverfahrens - Beschwerdevorbringen ist auf Anträge gerichtet, die Entscheidung zugrunde liegen (nein)
Änderung des Beschwerdevorbringens
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
G 0009/92
G 0004/93
T 1704/06
Anführungen in anderen Entscheidungen:
T 0264/18
T 1165/19

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerdeführerin (Anmelderin) hat gegen die Entscheidung der Prüfungsabteilung über die Zurückweisung der Anmeldung Nr. 15 770 794.4 Beschwerde eingelegt.

II. Nach den Feststellungen der Prüfungsabteilung erfüllte keiner der vorgelegten Anträge (Hauptantrag und Hilfsanträge 1-3, eingereicht mit Schriftsatz vom 2. Januar 2019, sowie Hilfsantrag 4 eingereicht während der mündlichen Verhandlung) die Erfordernisse von Artikel 84 EPÜ wegen mangelnder Klarheit des jeweiligen Anspruchs 1.

Bezüglich der Hilfsanträge 2 und 4 stellte die Prüfungsabteilung zudem fest, dass die Gegenstände des jeweiligen Anspruchs 1 eine unzulässige Erweiterung im Sinne von Artikel 123 (2) EPÜ aufwiesen und auch aus diesem weiteren Grund nicht gewährbar waren.

III. Die von der Beschwerdeführerin letztendlich zur Entscheidung durch die Kammer gestellten Anträge ergeben sich aus den Schriftsätzen vom 10. Juni 2020 (Anträge 1 bis 8), 11. August 2020 (Anträge 9 bis 11) und 2. September 2020 und lauten wörtlich wie folgt:

"1. Das Patent mit den Ansprüchen gemäß dem Hauptantrag des Beschwerdeverfahrens zu erteilen.

2. Hilfsweise das Patent mit den in dem angefochtenen Beschluss der Prüfungsstelle zurückgewiesenen Patentansprüchen zu erteilen.

3. Hilfsweise das Patent mit den aus Anlage B8 ersichtlichen Unterlagen zu erteilen.

4. Hilfsweise das Patent mit den aus Anlage B9 ersichtlichen Unterlagen zu erteilen.

5. Einen Fragenkatalog zuzustellen, auf den gezielt geantwortet werden kann.

6. Einen Termin zur mündlichen Verhandlung anzuberaumen.

7. Hilfsweise das Verfahren zurückzuverweisen an eine neu besetzte Prüfungsstelle oder an eine Einspruchsabteilung.

8. Im Falle der Verweigerung der gestellten Anträge unter 1. bis 7. diesen Fall der Großen Beschwerdekammer vorzulegen."

"9. Eine verfahrensleitende Verfügung zuzustellen, auf die gezielt geantwortet werden kann, um die Unterlagen in eine nach Auffassung der Beschwerdekammer zur Erteilung eines Patents erforderliche Fassung zu bringen.

10. Zur sachgerechten Abwicklung und Beantwortung einer verfahrensleitenden Verfügung wird hiermit der unter Ziffer 6. im Schriftsatz vom 10. Juni 2020 gestellte Antrag auf Anberaumung einer mündlichen Verhandlung auf Anweisung der Anmelderin zurückgenommen.

11. Im Falle der Verweigerung einer verfahrensleitenden Verfügung beschleunigt nach Lage der Akten Beschluss zu fassen."

Zuvor hatte die Beschwerdeführerin in ihrer mittels zwei Schriftsätzen eingereichten Beschwerdebegründung vom 14. Mai 2019 und vom 10. Juli 2019 sowie in ihren Schriftsätzen vom 31. Januar 2020 und vom 12. März 2020 Anträge formuliert, die jedoch durch die oben aufgeführten Anträge ersetzt wurden und deshalb nicht wiedergegeben werden.

IV. Mit der Ladung zu einer für den 1. April 2020 anberaumten mündlichen Verhandlung äußerte die Kammer ihre vorläufige Meinung u.a im Hinblick auf die der angefochtenen Entscheidung zugrunde liegenden Zurückweisungsgründen sowie auf die mit der Beschwerdebegründung formulierte Beweisangebote.

In dieser Mitteilung wies die Kammer die Beschwerdeführerin in prozessualer Hinsicht unter Hinweis auf den Artikel 12 (4) VOBK 2007 darauf hin, dass der Hauptantrag wie auch die Hilfsanträge 1 bis 3 erstmals im Beschwerdeverfahren ohne rechtfertigende Begründung eingereicht wurden, warum diese nicht bereits im Prüfungsverfahren hätten eingereicht werden können, so dass ihre Zulassung ins Verfahren fraglich wäre (siehe Punkt V.1. der Mitteilung).

Mit Mitteilung vom 24. Februar 2020 äußerte die Kammer erneut eine vorläufige negative Auffassung hinsichtlich der Zulassung der mit Schriftsatz vom 31. Januar 2019 neu vorgelegten Anspruchsformulierungen.

Mit einer auf den 11. März 2020 datierte Mitteilung hob die Kammer, auf Antrag der Beschwerdeführerin (Schriftsatz vom 10. März 2020), den bereits anberaumten Verhandlungstermin auf.

Mit einer auf den 30. März 2020 datierten Mitteilung äußerte sich die Kammer zu den mit Schriftsatz vom 12. März 2020 vorgelegten Anträgen auf Zurückverweisung und Vorlage an die Größe Beschwerdekammer, sowie zu den bereits erhobenen und noch nicht ausgeräumten Zulässigkeitseinwänden.

Auf Antrag der Beschwerdeführerin (Schriftsatz vom 10. Juni 2020) hat die Kammer dann einen Termin zur mündlichen Verhandlung für den 4. Dezember 2020 anberaumt, zu dem die Beschwerdeführerin trotz ordnungemäßer Ladung entsprechend ihrer Ankündigung im Schriftsatz vom 2. September 2020 nicht erschien.

V. Die mündliche Verhandlung wurde in Abwesenheit der Beschwerdeführerin unter Anwendung der Vorschriften von Regel 115 (2) EPÜ und Artikel 15 (3) VOBK 2020 durchgeführt.

Der Entscheidungsausspruch wurde am Ende der mündlichen Verhandlung verkündet. Wegen der weiteren Einzelheiten des Verlaufs der mündlichen Verhandlung wird auf das Verhandlungsprotokoll Bezug genommen.

VI. Der unabhängige Anspruch 1 des Hauptantrags (eingereicht mit Schriftsatz vom 31. Januar 2020) lautet wie folgt:

"Verfahren zur Optimierung einer bestehenden Kniehebelspannvorrichtung (1), zur Verwendung im Karosseriebau der Kfz-Industrie, mit nach Normvorgaben der Industrie bestimmten Anschlussmaßen für Bohrungen mit Gewinde am Spannkopf (2) zum Anordnen der Kniehebelspannvorrichtung (1) in einer Fertigungslinie, mit einer durch Druckluft zu beaufschlagenden Antriebseinheit (3), deren Kolben (5) abwechselnd in entgegengesetzten Hubrichtungen (X - Y)durch Druckluft zu beaufschlagen ist, der in einem im Querschnitt kreisrunden oder von der Kreisform abweichenden - zum Beispiel flachovalen - Zylinder nach von der Industrie vorgegebenen Normen oder Bezeichnungen, zum Beispiel 40, 50, 63 - 40 mm, 50 mm, 63 mm -, längsverschieblich und dichtend geführt ist, wobei der Kolben (5) in Hubrichtung (X - Y) ein Stellglied (6) antreibt, das an seinem kolbenfernen Ende über ein Kniehebelgelenkgetriebe (10) einen Kraftübertragungsarm (14) antreibt, der über eine im Spannkopf (2) schwenkbewegliche, aber ansonsten ortsunbewegliche Drehachse (15) getrieblich verbunden und gelagert ist, die aus dem Spannkopf (2) einseitig oder beidseitig herausgeführt ist und die einen Spannarm oder dergleichen schwenkbeweglich antreibt, dadurch gekennzeichnet, dass ein mit der Industriebezeichnung 63 bezeichneter Zylinder (4) - Zylinderdurchmesser 63 mm - durch einen mit der Industriebezeichnung 50 bezeichneten Zylinder (4) - Zylinderdurchmesser 50 mm - und ein mit der Industriebezeichnung 50 bezeichneter Zylinder (4)- Zylinderdurchmesser 50 mm - durch einen mit der Industriebezeichnung 40bezeichneten Zylinder (4) - Zylinderdurchmesser 40 mm - ausgetauscht wird und dass bei der hierdurch erfolgten Verkleinerung des Zylinderdurchmessers von 63 mm auf 50 mm und von 50 mm auf 40 mm die wirksame Hebellänge (L) zwischen der ortsunbeweglichen Drehachse (15) für den Spannarm und der Schwenkachse (12) des Kniehebelgelenkgetriebes (10) derart vergrößert wird, dass mit dem jeweils ausgetauschten Zylinderdurchmesser 63 zu 50 mm und 50 zu 40 mm das durch den größeren Zylinder (4) 63 mm oder 50 mm erreichte Drehmoment oder Haltemoment durch den Zylinder (4) von 50 mm oder 40 mm an der Drehachse (15), bei einem Winkel von sieben Grad, ausgehend von der Totpunktlage des Kniehebelgelenkgetriebes (10), unter Beibehaltung der Anschlussmaße des Spannkopfes (2), erreicht wird."

VII. Der unhabhängige Anspruch 1 des in der angefochtenen Entscheidung diskutierten Hauptantrags lautet wie folgt:

"Kniehebelspannvorrichtung (1 ), insbesondere zur Verwendung im Karosseriebau der Kfz-Industrie, mit nach Normvorgaben der Industrie bestimmten Anschlussmaßen für Bohrungen mit Gewinde am Spannkopf (2) zum Anordnen der Kniehebelspannvorrichtung (1) in einer Fertigungslinie, mit einer durch Druckluft zu beaufschlagenden als Kolben-Zylinder-Einheit ausgebildeten Antriebseinheit (3), deren Kolben (5) abwechselnd in entgegengesetzten Hubrichtungen durch Druckluft zu beaufschlagen ist, der in einem kreisrunden oder von der Kreisform abweichenden Zylinder längsverschieblich und dichtend geführt ist, wobei der Kolben (5) über ein Kniehebelgelenkgetriebe (10) einen Kraftübertragungsarm (14) antreibt, der über eine im Spannkopf (2) schwenkbewegliche, aber ansonsten ortsunbewegliche Drehachse (15) getrieblich verbunden und gelagert ist, die aus dem Spannkopf (2) einseitig oder beidseitig herausgeführt ist, und einen Spannarm oder dergleichen schwenkbeweglich, zum Beispiel über einen Schwenkwinkel von 135 Grad, antreibt, dadurch gekennzeichnet, dass unter Beibehaltung des Drehmoments an der Drehachse (15) und unter Beibehaltung der Anbaumaße des Spannkopfes (2) entsprechend den Normvorgaben der Industrie und unter Beibehaltung des Drehmoments an der Drehachse ( 15) dem Spannkopf (2) jeweils eine kleinere Antriebseinheit (3) mit entsprechend kleinerer auf das Kniehebelgelenkgetriebe (10) zu übertragende Druckkraft zugeordnet ist, derart, dass zum Beispiel ein mit der Industriebezeichnung ,,63" bezeichneter Zylinder (4) der Antriebseinheit (3) - innerer Zylinderdurchmesser und damit wirksamer Kolbendurchmesser 63 mm

- durch einen mit der Industriebezeichnung ,,50" bezeichneten Zylinder (4) der Antriebseinheit (3) - innerer Zylinderdurchmesser und damit wirksamer Kolbendurchmesser 50 mm - oder zum Beispiel ein mit der Industriebezeichnung ,,50" bezeichneter Zylinder (4) der Antriebseinheit (3) - innerer Zylinderdurchmesser und damit wirksamer Kolbendurchmesser 50 mm - durch einen mit der Industriebezeichnung ,,40" bezeichneten Zylinder (4) - innerer Zylinderdurchmesser und damit wirksamer Kolbendurchmesser 40 mm - ersetzt ist und die dadurch verminderte Kraft, mit der die Kolbenstange (6) angetrieben wird, ausgeglichen ist, derart, dass bei gleich bleibenden Anschlussmaßen für den jeweiligen Spannkopf (2) die entsprechend größere Spannkraft (Drehmoment), wie bei einer sonst größeren Kolben-Zylinder-Einheit (3), durch Vergrößerung der wirksamen Hebellänge (L) des als wirksamen Hebelarm ausgebildeten Kraftübertragungsarms (14), mit dem das Kniehebelgelenkgetriebe (10) den Spannarm antreibt, erzielt wird, wodurch eine wesentliche Energieersparnis erreichbar ist, zum Beispiel durch Verwendung einer Kniehebelspannvorrichtung (1) mit der Zylinderbezeichnung ,,U-63" - innerer Zylinderdurchmesser und damit wirksamer Kolbendurchmesser 63 mm - mit einem Zylinder (4) der Antriebseinheit (3) mit einem wirksamen Kolbendurchmesser von 50 mm und mit einem wirksamen Hebelmaß (L) des durch das Kniehebelgelenkgetriebe (10) angetriebenen Kraftübertragungsarms (14) von 42 mm, bei einem Gesamthub des Kolbens (5) dieser Kniehebelspannvorrichtung von 103 mm und einem Schwenkwinkel von maximal 135 Grad."

VIII. Der unhabhängige Anspruch 1 des in der angefochtenen Entscheidung diskutierten 1. Hilfsantrags lautet wie folgt:

"Kniehebelspannvorrichtung (1) zur Verwendung im Karosseriebau der Kfz Industrie, mit einem Spannkopf (2) und einer an diesem auswechselbar angeordneten durch Druckluft zu beaufschlagenden Kolben-Zylinder-Einheit (3), wobei die Kniehebelspannvorrichtung (1) bedarfsweise an allen vier Seiten des Spannkopfes (2) mit Sackbohrungen mit Gewinde versehen ist, um sie gegebenenfalls an allen vier Seitenflächen anbauen zu können, mit einem in einem Zylinder (4) längsverschieblich und dichtend geführten Kolben (5), der abwechselnd beidseitig gesteuert durch Druckluft beaufschlagt wird und eine Kolbenstange in entgegengesetzten Richtungen antreibt, die mit einem Kniehebelgelenkgetriebe (10) getrieblich verbunden ist, wobei das Kniehebelgelenkgetriebe (10) mit einem Kraftübertragungsarm (4) getrieblich verbunden ist, der wiederum mit einer ortsunbeweglichen Drehachse (15) getrieblich verbunden ist, die aus dem Spannkopf (2) seitlich herausgeführt ist und die einen Spannarm schwenkbeweglich antreibt, der mit einem Widerlager zum Spannen blechförmiger Werkstücke zusammenwirkt, dadurch gekennzeichnet, dass unter Beibehaltung des Drehmoments an der Drehachse (15) dem Spannkopf (2) jeweils eine kleinere als Kolben-Zylinder-Einheit ausgebildete Antriebseinheit (3) mit entsprechend kleinerer auf das Kniehebelgelenkgetriebe (10) zu übertragende Druckkraft zugeordnet ist und die dadurch verminderte Kraft, mit der die Kolbenstange (6) angetrieben wird, derart ausgeglichen ist, dass bei gleich bleibenden Anschlussmaßen der Gewindebohrungen für den jeweiligen Spannkopf (2) die entsprechend größere Spannkraft, die bei einer sonst größeren Kolben Zylinder-Einheit (3) erzielt wird, durch Vergrößerung der wirksamen Hebellänge (L) des als wirksamen Hebelarm ausgebildeten Kraftübertragungsarm (14), mit dem das Kniehebelgelenkgetriebe (10) den Spannarm antreibt, erzielt ist."

IX. Der unhabhängige Anspruch 1 des in der angefochtenen Entscheidung diskutierten 2. Hilfsantrag lautet wie folgt:

"Kniehebelspannvorrichtung (1 ), insbesondere zur Verwendung im Karosseriebau der Kfz-Industrie, mit nach Normvorgaben der Industrie bestimmten Anschlussmaßen für Bohrungen mit Gewinde am Spannkopf (2) zum Anordnen der Kniehebelspannvorrichtung (1) in einer Fertigungslinie, mit einer durch Druckluft zu beaufschlagenden als Kolben-Zylinder-Einheit ausgebildeten Antriebseinheit (3), deren Kolben (5) abwechselnd in entgegengesetzten Hubrichtungen durch Druckluft zu beaufschlagen ist, der in einem kreisrunden oder von der Kreisform abweichenden Zylinder längsverschieblich und dichtend geführt ist, wobei der Kolben (5) über ein Kniehebelgelenkgetriebe (10) einen Kraftübertragungsarm (14) antreibt, der über eine im Spannkopf (2) schwenkbewegliche, aber ansonsten ortsunbewegliche Drehachse (15) getrieblich verbunden und gelagert ist, die aus dem Spannkopf (2) einseitig oder beidseitig herausgeführt ist, und einen Spannarm oder dergleichen schwenkbeweglich, zum Beispiel über einen Schwenkwinkel von 135 Grad, antreibt, dadurch gekennzeichnet, dass dem Spannkopf (2) jeweils eine kleinere Antriebseinheit (3) mit entsprechend kleinerer auf das Kniehebelgelenkgetriebe (10) zu übertragende Druckkraft zugeordnet ist, und die dadurch verringerte Spannkraft derart ausgeglichen ist, dass die verminderte Kraft, mit der die Kolbenstange (6) durch die kleinere Antriebseinheit (3) angetrieben wird, durch Vergrößerung der wirksamen Hebellänge (L) des als wirksamen Hebelarm ausgebildeten Kraftübertragungsarm (14), mit dem das Kniehebelgelenkgetriebe (10) den Spannarm antriebt, ausgeglichen ist."

X. Der unhabhängige Anspruch 1 des in der angefochtenen Entscheidung diskutierten 3. Hilfsantrag lautet wie folgt:

"Kniehebelspannvorrichtung (1 ), insbesondere zur Verwendung im Karosseriebau der Kfz-Industrie, mit einem Spannkopf (2), einer daran angeordneten, durch Druckluft abwechselnd zu beaufschlagenden Kolben-Zylinder-Einheit (3), die ein sich in Hubrichtung (X-Y) des Kolbens (5) erstreckendes, ggf. längenveränderliches Stellglied (6), antreibt, das an seinem kolbenfernen Ende über ein Kniehebelgelenkgetriebe (10) und über einen Kraftübertragungsarm (14), der über eine im Spannkopf (2) ortsunbewegliche Drehachse (15), die aus dem Spannkopf (2) seitlich herausgeführt ist, einen Spannarm oder dergleichen schwenkbeweglich antreibt, dadurch gekennzeichnet, dass unter Beibehaltung der Spannkraft am Spannarm und unter Beibehaltung der Anbaumaße für die mit Gewinde versehenen Bohrungen am Spannkopf (2) dem Spannkopf (2) jeweils eine kleinere Antriebseinheit (3) mit kleineren Kolben zugeordnet ist, der das Stellglied (6) antreibt und die verringerte Kolbenkraft durch Vergrößerung der wirksamen Hebellänge (L) des Kraftübertragungsarms (14) des Kniehebelgelenkgetriebes (10) entsprechend der verringerten Kolbenkraft des Kolbens (5) wieder auf den ursprünglichen Wert einer größeren Kolben-Zylinder-Einheit (3) hergestellt ist."

XI. Der unhabhängige Anspruch 1 des in der angefochtenen Entscheidung diskutierten 4. Hilfsantrag lautet wie folgt:

"Verfahren zum Reduzieren des Druckluftverbrauchs beim Antrieb von Kniehebelspannvorrichtungen in Fertigungsanlagen des Karosseriebaus der Kfz-Industrie zum Halten/Spannen blechförmiger Teile in Position, damit diese dauerhaft miteinander verbunden werden, wobei in einem kreisrunden oder von der Kreisform abweichenden Zylinder ein abwechselnd beidseitig durch Druckluft zu beaufschlagender Kolben (5) längsverschieblich und dichtend geführt ist, wobei der Kolben (5) in Hubrichtung ein längliches Stellglied (6) antreibt, das an seinem kolbenfernen Ende über ein Kniehebelgelenkgetriebe (10) einen Kraftübertragungsarm (14) antreibt, der über eine im Spannkopf (2) schwenkbewegliche Drehachse (15) getrieblich verbunden und gelagert ist, die aus dem Spannkopf (2) einseitig oder beidseitig herausgeführt ist, wobei der Kraftübertragungsarm (14) einen Spannarm schwenkbeweglich antreibt, wobei unter Beibehaltung des Drehmoments oder Haltemoments und unter Beibehaltung der von der Industrie vorgegebenen Anschlussmaße am Spannkopf (2) zum Beispiel ein mit der Industriebezeichnung 63 bezeichneter Zylinder (4) mit Kolben (5) (Zylinderdurchmesser 63 mm) durch einen mit der Industriebezeichnung 50 bezeichneten Zylinder (4) mit Kolben (5) (Zylinderdurchmesser 50 mm), oder zum Beispiel ein mit der Industriebezeichnung 50 bezeichneter Zylinder (4) mit Kolben (5) (Zylinderdurchmesser 50 mm) durch einen mit der Industriebezeichnung 40 bezeichneten Zylinder (4) mit Kolben (5) (Zylinderdurchmesser 40 mm), oder zum Beispiel eine mit der Zylinderbezeichnung U63 mit Kolben (5) (Zylinderdurchmesser 63 mm) bezeichnete Kolben-Zylinder-Einheit (3) durch einen Zylinder (4) mit einem Kolbendurchmesser von 50 mm ersetzt wird, wobei das wirksame Hebelmaß (L) der Kraftübertragungsarms 42 mm beträgt bei einem Gesamthub des Kolbens (5) von 103 mm und einem Schwankwinkel von max. 135° und die jeweils verringerte Kolbenkraft die auf das kolbenstangenförmige längliche Stellglied (6) einwirkt durch Vergrößerung der wirksamen Hebellänge (L) des Kraftübertragungsarms (14) des Kniehebelgelenkgetriebes (10) entsprechend der Verringerung der Kolbenkraft des betreffenden Kolbens (5) wieder auf den ursprünglichen Wert oder praktisch auf den ursprünglichen Wert der Halte oder Drehmoment der grösseren Kolben-Zylinder-Einheit (3) hergestellt wird, wobei Druckluft zwischen 25 bis 60 %, bevorzugt etwa 38 bis 40%, weiterhin bevorzugt 25 bis 26%, insbesondere bevorzugt um 31% gesenkt wird."

XII. Der unhabhängige Anspruch 1 gemäß Anlage B8 lautet wie folgt:

"Kniehebelspannvorrichtung ( 1 ), zur Verwendung im Karosseriebau der Kfz-Industrie, mit nach Normvorgaben der Industrie bestimmten Anschlussmaßen für Bohrungen mit Gewinde am Spannkopf (2) zum Anordnen der Kniehebelspannvorrichtung (1) in einer Fertigungslinie, mit einer durch Druckluft zu beaufschlagenden als Kolben-Zylinder-Einheit ausgebildeten Antriebseinheit (3), deren Kolben (5) abwechselnd in entgegengesetzten Hubrichtungen durch Druckluft zu beaufschlagen ist, der in einem Zylinder längsverschieblich und dichtend geführt ist, wobei der Kolben (5) über ein Kniehebelgelenkgetriebe (10) einen Kraftübertragungsarm (14) antreibt, der über eine im Spannkopf (2) schwenkbewegliche, aber ansonsten ortsunbewegliche Drehachse (15) getrieblich verbunden und gelagert ist, die aus dem Spannkopf (2) einseitig oder beidseitig herausgeführt ist, und einen Spannarm oder dergleichen schwenkbeweglich, zum Beispiel über einen Schwenkwinkel von 135 Grad, antreibt, dadurch gekennzeichnet, dass unter Beibehaltung des Drehmoments an der Drehachse (15) und unter Beibehaltung der Anbaumaße des Spannkopfes (2) jeweils eine kleinere Antriebseinheit (3) mit entsprechend kleinerer auf das Kniehebelgelenkgetriebe (10) zu übertragende Druckkraft zugeordnet ist, derart, dass zum Beispiel ein mit der Industriebezeichnung ,,63" bezeichneter Zylinder (4) der Antriebseinheit (3) - innerer Zylinderdurchmesser und damit wirksamer Kolbendurchmesser 63 mm - durch einen mit der Industriebezeichnung ,,50" bezeichneten Zylinder (4) der Antriebseinheit (3) - innerer Zylinderdurchmesser und damit wirksamer Kolbendurchmesser 50 mm - oder zum Beispiel ein mit der Industriebezeichnung ,,50" bezeichneter Zylinder (4) der Antriebseinheit (3) - innerer Zylinderdurchmesser und damit wirksamer Kolbendurchmesser 50 mm - durch einen mit der Industriebezeichnung ,,40" bezeichneten Zylinder (4) - innerer Zylinderdurchmesser und damit wirksamer Kolbendurchmesser 40 mm - ersetzt ist und die dadurch verminderte Kraft, mit der die Kolbenstange (6) angetrieben wird, ausgeglichen ist, derart, dass bei gleich bleibenden Anschlussmaßen für den jeweiligen Spannkopf (2) die entsprechend größere Spannkraft (Drehmoment), wie bei einer sonst größeren Kolben-Zylinder-Einheit (3), durch Vergrößerung der wirksamen Hebellänge (L) des als wirksamen Hebelarm ausgebildeten Kraftübertragungsarms (14), mit dem das Kniehebelgelenkgetriebe (10) den Spannarm antreibt, erzielt wird, zum Beispiel durch Verwendung einer Kniehebelspannvorrichtung (1) mit der Zylinderbezeichnung ,,U-63" - innerer Zylinderdurchmesser und damit wirksamer Kolbendurchmesser 63 mm - mit einem Zylinder (4) der Antriebseinheit (3) mit einem wirksamen Kolbendurchmesser von 50 mm und mit einem wirksamen Hebelmaß (L) des durch das Kniehebelgelenkgetriebe (10) angetriebenen Kraftübertragungsarms (14) von 42 mm, bei einem Gesamthub des Kolbens (5) dieser Kniehebelspannvorrichtung von 103 mm und einem Schwenkwinkel von maximal 135 Grad."

XIII. Der unhabhängige Anspruch 1 gemäß Anlage B9 lautet wie folgt:

"Kniehebelspannvorrichtung (1), zur Verwendung im Karosseriebau der Kfz-Industrie, mit nach Normvorgaben der Industrie bestimmten Anschlussmaßen für Bohrungen mit Gewinde am Spannkopf (2) zum Anordnen der Kniehebelspannvorrichtung (1) in einer Fertigungslinie, mit einer durch Druckluft zu beaufschlagenden Antriebseinheit (3), deren Kolben (5) abwechselnd in entgegengesetzten Richtungen durch Druckluft zu beaufschlagen ist, der in einem Zylinder nach von der Industrie vorgegebenen Bezeichnungen, zum Beispiel 40, 50, 63 - 40 mm, 50 mm, 63 mm-, längsverschieblich und dichtend geführt ist, wobei der Kolben (5) in Hubrichtung (X-Y) ein Stellglied (6) antreibt, das an seinem kolbenfernen Ende über ein Kniehebelgelenkgetriebe (10) einen Kraftübertragungsarm (14) antreibt, der über eine im Spannkopf (2) schwenkbewegliche, aber ansonsten ortsunbewegliche Drehachse (15) getrieblich verbunden und gelagert ist, die aus dem Spannkopf (2) einseitig oder beidseitig herausgeführt ist und die einen Spannarm oder dergleichen schwenkbeweglich antreibt, dadurch gekennzeichnet, dass

z.B. ein mit der Industriebezeichnung 63 bezeichneter Zylinder (4)

- Zylinderdurchmesser 63 mm - durch einen mit der Industriebezeichnung 50 bezeichneten Zylinder (4)

- Zylinderdurchmesser 50 mm-, und z.B. ein mit der Industriebezeichnung 50 bezeichneter Zylinder (4)

- Zylinderdurchmesser 50 mm - durch einen mit der Industriebezeichnung 40 bezeichneten Zylinder (4)

- Zylinderdurchmesser 40 mm - ausgetauscht wird und

dass bei der hierdurch erfolgten Verkleinerung des Zylinderdurchmessers von z.B. 63 mm auf 50 mm und von z.B. 50 mm auf 40 mm die wirksame Hebellänge (L) des Kraftübertragungsarms (14) derart vergrößert wird, dass mit dem jeweils ausgetauschten Zylinderdurchmesser 63 zu 50 mm bzw. 50 zu 40 mm das durch den größeren Zylinder (4) 63 mm oder 50 mm erreichte Drehmoment oder Haltemoment durch den Zylinder (4) von 50 mm bzw. 40 mm an der Drehachse (15) erreicht wird".

Entscheidungsgründe

1. Rechtliches Gehör

Obwohl die Beschwerdeführerin nicht an der mündlichen Verhandlung teilnahm, wurde das Prinzip des rechtlichen Gehörs gemäß Artikel 113 (1) EPÜ nicht verletzt, da es ausreicht, dass sie die Gelegenheit dazu hatte, gehört zu werden. Durch das Fernbleiben von der mündlichen Verhandlung verzichtet die fernbleibende Partei auf diese Möglichkeit (siehe die Erläuterung zu Artikel 15 (3) VOBK, zitiert in T 1704/06, nicht veröffentlich im ABl. EPA, sowie die Rechtsprechung der Beschwerdekammern des EPA, 9. Auflage 2019, Abschnitte III.B.2.7.3).

Im übrigen hat die Beschwerdeführerin sich vollumfänglich schriftlich geäußert, und dieses Vorbringen ist in dieser Entscheidung berücksichtigt (Artikel 15 (3) VOBK 2020).

2. Anwendbarkeit der VOBK 2020, einschließlich von Artikel 13 (1) VOBK 2020

2.1 Die Beschwerdeführerin hat einen Antrag auf Vorlage der folgenden die Anwendbarkeit der VOBK 2020 auf die vorlegende Beschwerde betreffenden Rechtsfrage an die Große Beschwerdekammer gestellt und geltend gemacht, dass es sich dabei um eine Rechtsfrage von grundlegender Bedeutung handele.

2.1.1 Die entsprechende Frage ist so formuliert:

"ob die neue Verfahrensbestimmungen, die Anfang des Jahres 2020 auf Verfahren vor den Beschwerdekammern anzuwenden sind, auf Altfälle, also mit Rückwirkung, angewendet werden dürfen."

2.2 Die Kammer hat dazu entschieden, diese Frage der Großen Beschwerdekammer nicht vorzulegen (siehe dazu auch Punkt 2 des Bescheids vom 30. März 2020).

Grund dafür ist, dass diese Frage durch das Gesetz, die geltende Verfahrensordnung der Beschwerdekammern (VOBK 2020), selbst und durch die Rechtsprechung bereits einheitlich positiv beantwortet wurde (siehe dazu die Punkte 2.2.1 und 2.2.2. unten).

Das vorliegende Verfahren unterliegt nach dem klaren Gesetzeswortlaut wie auch dessen Sinn und Zweck der revidierten Fassung der Verfahrensordnung, die nach Artikel 24 (1) VOBK 2020 am 1. Januar 2020 in Kraft getreten ist.

Dabei findet Artikel 13 (1) VOBK 2020 uneingeschränkt Anwendung.

Eine Vorlage an die Grosse Beschwerdekammer ist somit für die Entscheidung des Falles im Sinne von Artikel 112 (1) a) EPÜ nicht erforderlich.

2.2.1 Die VOBK 2020, einschließlich von Artikel 13 (1) VOBK 2020, ist grundsätzlich auf alle Beschwerden anzuwenden, die am Tag ihres Inkrafttretens anhängig sind (Artikel 25 (1) VOBK 2020). Da dies Auswirkungen auf bereits in der Akte enthaltenes Vorbringen haben kann, sind vom Gesetzgeber zwei Ausnahmen vorgesehen (Artikel 25 (2) und (3) VOBK 2020), um das Vertrauen der Beteiligten auf etwaige zum Zeitpunkt der früheren Eingaben bestehende Erwartungen zu schützen.

2.2.2 Eine Ausnahme ist in Bezug auf die revidierte Fassung der Absätze 4 bis 6 von Artikel 12 VOBK 2020 vorgesehen (Artikel 25 (2) VOBK 2020). Diese Bestimmungen sind nicht auf Beschwerdebegründungen anzuwenden, die vor dem Tag des Inkrafttretens der revidierten Fassung eingereicht wurden, und auch nicht auf Erwiderungen darauf, die fristgerecht eingereicht wurden, unabhängig davon, ob die Frist vor, am oder nach dem Tag des Inkrafttretens der revidierten Fassung abläuft.

Vorbringen, das bereits vor dem Inkrafttreten der revidierten Fassung in der Akte ist und das nach der Beschwerdebegründung bzw. der Erwiderung darauf eingereicht wurde, unterliegt dagegen allen Bestimmungen der revidierten Fassung von Artikel 13 (1) VOBK 2020, einschließlich der analogen Anwendung der revidierten Fassung der Absätze 4 bis 6 von Artikel 12 VOBK 2020.

2.2.3 Eine weitere Ausnahme wird im Hinblick auf die strikte Regelung der revidierten Fassung von Artikel 13 (2) VOBK 2020 gemacht (Artikel 25 (3) VOBK 2020). Diese Regelung gilt nur für Vorbringen, das nach der Beschwerdebegründung bzw. der Erwiderung darauf eingereicht wurde, wenn am Tag des Inkrafttretens der revidierten Fassung die Ladung zur mündlichen Verhandlung bzw. eine Mitteilung der Kammer nach Regel 100 (2) EPÜ noch nicht zugestellt war. Andernfalls ist weiterhin Artikel 13 der zuvor geltenden Fassung (VOBK 2007) anzuwenden.

3. Beschwerdegegenstand

3.1 Die Beschwerdeführerin hat auch einen Antrag auf Vorlage einer Rechtsfrage an die Große Beschwerdekammer gestellt, die den Umfang der Prüfung durch eine Kammer betrifft.

Diese Frage lautet wie folgt:

"ob es rechtens ist, im Falle dessen, dass erstinstanzlich überhaupt noch nicht die Kriterien ,,Neuheit" und die ,,erfinderische Tätigkeit" abschließend geprüft wurden, bei Beanstandung der ,,Klarheit" gemäß Artikel 84 EPÜ es gerechtfertigt ist, eine Anmeldung auch dann zurückzuverweisen, wenn sowohl für die Kategorie ein unzutreffender Begriff gewählt und dadurch der Schutzbereich eines zur Erteilung gelangenden Patents unbillig erheblich beschränkt wurde, als auch die Auslegungsregeln gemäß Artikel 69 EPÜ und des Protokolls nicht beachtet wurden."

3.2 Die Kammer sieht auch diesbezüglich keine Grundlage und keine Notwendigkeit für eine solche Vorlage (siehe dazu auch Punkt 2 des Bescheids vom 30. März 2020).

Grund dafür ist, dass diese Frage ebenfalls durch das Gesetz, nämlich Artikel 111 (1), Satz 2, 114 (1) und 97 (2) EPÜ, eindeutig beantwortet ist.

In einem Verfahren über die Beschwerde gegen eine Entscheidung einer Prüfungsabteilung, mit der eine europäische Patentanmeldung zurückgewiesen worden ist, hat die Kammer die Befugnis zu überprüfen, ob die Anmeldung und die Erfindung, die sie zum Gegenstand hat, den Erfordernissen des EPÜ genügen (Artikel 111 (1), Satz 2, 114 (1) und 97 (2) EPÜ).

Alle Patentierbarkeitsvoraussetzungen - und zwar jede einzelne für sich - müssen vorliegen, um eine Anmeldung erteilen zu können.

Dies gilt u.a. auch für Erfordernisse, die die Prüfungsabteilung im Prüfungsverfahren nicht in Betracht gezogen oder als erfüllt angesehen hat.

Eine Vorlage an die Große Beschwerdekammer ist somit für die Entscheidung des Falles im Sinne von Artikel 112 (1) a) EPÜ nicht erforderlich.

Dazu merkt die Kammer an, dass diese Frage die konkreten Fallumstände und die Anwendung des Rechts auf den konkreten Einzelfall betrifft, mithin keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinne von Artikel 112 (1) EPÜ sein kann.

4. Vorlage des "Falles"

4.1 Der von der Beschwerdeführerin gestellten Antrag Nr. 8 lautet wörtlich wie folgt:

"8. Im Falle der Verweigerung der gestellten Anträge unter 1. bis 7. diesen Fall der Großen Beschwerdekammer vorzulegen."

4.2 Eine solche Vorlage ist im EPÜ nicht vorgesehen.

Die Große Beschwerdekammer wird nicht als Überprüfungs- oder "Superrevisions-Instanz" in Sachfragen tätig und stellt dementsprechend keine den Beschwerdekammern übergeordnete Rechtsmittelinstanz für "Beschwerden" gegen der Beschwerdekammern dar (siehe die Rechtsprechung der Beschwerdekammern, a.a.O., V.B.2.3.4 und V.B.3.1).

Die Große Beschwerdekammer ist zuständig für Entscheidungen über Rechtsfragen, die ihr von einer Beschwerdekammer vorgelegt werden, wenn diese hierzu eine Entscheidung durch die Große Beschwerdekammer für erforderlich hält (Artikel 112 (1) a) EPÜ), und die Abgabe von Stellungnahmen zu Rechtsfragen, die ihr vom Präsidenten des EPA vorlegt werden, wenn zwei Beschwerdekammern über diese Frage voneinander abweichende Entscheidungen getroffen haben (Art. 112 (1) b) EPÜ).

5. Hauptantrag

5.1 Der von der Beschwerdeführerin letztendlich gestellten Hauptantrag (Antrag 1 gemäß den Schriftsätzen vom 10. Juni 2020, 11. August 2020 und 2. September 2020) lautet wörtlich wie folgt:

"1. Das Patent mit den Ansprüchen gemäß dem Hauptantrag des Beschwerdeverfahrens zu erteilen."

5.2 Die Beschwerdeführerin hat den mit der Beschwerdebegründung vom 14. Mai 2019 eingereichten Hauptantrag zunächst durch einen neuen Hauptantrag ersetzt (Schriftsatz vom 31. Januar 2020).

5.3 Wie bereits oben unter Punkt 2.2.1 festgestellt, unterliegt das vorliegende Verfahren nach dem klaren Gesetzeswortlaut wie auch dessen Sinn und Zweck der revidierten Fassung der Verfahrensordnung. Dabei findet Artikel 13 (1) VOBK 2020 uneingeschränkt Anwendung.

Gemäß Artikel 13 (1) VOBK 2020 steht die Zulassung von Änderungen des Beschwerdevorbringens eines Beteiligten nach Einreichung seiner Beschwerdebegründung oder Erwiderung im Ermessen der Kammer. Ein Verfahrensbeteiligter muss die Gründe dafür angeben, weshalb er die Änderung erst in dieser Phase des Beschwerdeverfahrens einreicht.

5.4 In vorliegendem Fall hat die Beschwerdeführerin im Schriftsatz vom 31. Januar 2020 keinerlei solche Gründe für die verspätete Vorlage dieses Hauptantrags geltend gemacht (siehe insbesondere Punkt 6. dieses Schriftsatzes).

5.5 Unter diesen Umständen und unter Berücksichtigung aller relevanten Aspekte in Bezug auf diese Fragen sieht die Kammer keinen Grund, den Hauptantrag ins Beschwerdeverfahren zuzulassen.

6. Anträge, die der angefochtenen Entscheidung zugrunde lagen

6.1 Die Beschwerdeführerin hat diese Anträge mit Schriftsatz vom 10. Juni 2020 erstmals im Beschwerdeverfahren eingeführt.

Antrag 2 gemäß den Schriftsätzen vom 10. Juni 2020, 11. August 2020 und 2. September 2020 lautet nämlich wörtlich wie folgt:

"2. Hilfsweise das Patent mit den in dem angefochtenen Beschluss der Prüfungsstelle zurückgewiesenen Patentansprüchen zu erteilen."

Dabei handelt es sich um den Hauptantrag, sowie die Hilfsanträge 1-4, die gemäß der angefochtenen Entscheidung als nicht Patentfähig zurückgewiesen wurden (siehe Punkt VII oben).

6.2 Wie bereits diskutiert, sieht Artikel 13 (1) VOBK 2020 vor, dass Änderungen des Beschwerdevorbringens eines Beteiligten nach Einreichung seiner Beschwerdebegründung rechtfertigender Gründe seitens des Beteiligten bedürfen.

Die Kammer stellt fest, dass die Beschwerdeführerin mit der Beschwerdebegründung nicht diese, sondern andere Anträge vorgelegt hatte (siehe die Schriftsätze vom 14. Mai 2019 und 10. Juli 2019) und nun mit Schriftsatz vom 10. Juni 2020 neue Anträge geltend macht.

Hierfür hat die Beschwerdeführerin keine rechtfertigende Gründe geltend gemacht.

Sie hat es versäumt, jegliche Form der Substantiierung für diese Anträge vorzulegen (siehe Schriftsatz vom 10. Juni 2020).

In diesem Zusammenhang merkt die Kammer an, dass in den Entscheidungen der Großen Beschwerdekammer G 9/92 und G 4/93 (ABl. EPA 1994, 875) entschieden wurde, dass die Beschwerde den Umfang des Beschwerdeverfahrens bestimmt.

Prozessuale Anträge oder Verfahrenserklärungen eines Beteiligten während des dem Beschwerdeverfahren vorausgegangenen Verwaltungsverfahrens (wie vorliegend, die in der angefochtenen Entscheidung diskutierten Anträge) gelten somit nicht für ein anschließendes Beschwerdeverfahren, wenn diese nicht zu Beginn des Beschwerdeverfahrens in der Beschwerdeschrift und der Beschwerdebegründung in spezifizierender und substantiierter Weise wiederholt wurden.

Im Übrigen hatte die Beschwerdeführerin in verfahrensrechtlicher Hinsicht eigenverantwortlich den Hauptantrag aus der Beschwerdebegründung vom 14. Mai 2019 im Wege des Ersetzens durch einen anderen Hauptantrag im Schriftsatz vom 31. Januar 2020 zurückgenommen.

Zwar bleibt es einem Beschwerde führenden Verfahrensbeteiligten im Rahmen der Dispositionsmaxime überlassen, ob er Beschwerde einlegt und sein Begehren auf diese Weise vor den Beschwerdekammern gerichtlich anhängig machen will oder nicht. Auch bestimmt er selbst Umfang seines Begehrens. Dies bedeutet indes, dass er einen gewählten Umfang (d.h. einen Antrag) zwar grundsätzlich nach Maßgabe der Verfahrensordnung ändern kann, er ist dabei aber auch unabhängig von Verspätungsregelungen insoweit gebunden, das er einen einmal bestimmten Umfang seines Beschwerdebegehrens (hier durch den mit den zu Beginn des Beschwerdeverfahrens eingereichten Hauptantrag und die zugleich eingereichten Hilfsanträge 1 bis 3, wobei der Hauptantrag erneut durch einen geänderten Hauptantrag im Schriftsatz vom 31. Januar 2020 ersetzt wurde) nicht durch die Wiedereinführung zuvor nicht weiterverfolgter Anträge (hier den Hauptantrag und die Hilfsanträge 1 bis 4, die allesamt der angefochtenen Entscheidung zugrunde lagen) faktisch rückgängig machen kann.

Die Kammer entscheidet somit, sowohl den Hauptantrag als auch die Hilfsanträge, die der angefochtenen Entscheidung zugrunde lagen, nicht in das Beschwerdeverfahren zuzulassen (Artikel 13 (1) VOBK 2020).

7. Hilfsanträge B8 und B9

7.1 Die Beschwerdeführerin hat auch diese Anträge mit Schriftsatz vom 10. Juni 2020 als Anträge 3 und 4 erstmals ins Beschwerdeverfahren eingeführt.

Diese Anträge gemäß den Schriftsätzen vom 10. Juni 2020, 11. August 2020 und 2. September 2020 lauten nämlich wörtlich wie folgt:

"3. Hilfsweise das Patent mit den aus Anlage B8 ersichtlichen Unterlagen zu erteilen.

4. Hilfsweise das Patent mit den aus Anlage B9 ersichtlichen Unterlagen zu erteilen."

7.2 Die Kammer stellt fest, dass auch in Bezug auf diese Anträge keine Substantiierung und somit auch keine rechtfertigenden Gründe seitens der Beschwerdeführerin geltend gemacht wurden (siehe Schriftsatz vom 10. Juni 2020).

Die Kammer entscheidet somit, auch diese Anträge nicht zuzulassen (Artikel 13 (1) VOBK 2020).

8. Zwischenergebnis

Die Kammer stellt fest, dass aufgrund der besonderen Verfahrensführung der Beschwerdeführerin kein zulässiger Antrag vorliegt, der als Basis für eine eventuelle Diskussion der Patentierbarkeitsvoraussetzungen dienen könnte.

9. Beweisangebote

Soweit die Beschwerdeführerin die Vorlage von Bestätigungen von Automobilfirmen und/oder des einschlägigen Verbandes für das Kraftfahrtwesen, die das Fachwissen bestätigen könnten, angeboten bzw. um Anforderung derartiger Bestätigungen ersucht hat, kommt es auf diese für die Entscheidung im gegenwärtigen Verfahren auch nicht an.

Entsprechendes gilt für die angebotene Vorlage von Prüfungszeugnissen der in der angefochtenen Entscheidung erwähnten Konkurrenzartikel, sowie für die Teilnahme der Kammer an entsprechenden Messungen bei der Beschwerdeführerin.

Die Kammer sieht auch keine Grundlage und keine Notwendigkeit für eine Beweisaufnahme oder für eine spezifische Aufforderung an die Beschwerdeführerin zur Vorlage weiterer Unterlagen in Form von Bestätigungen Dritter oder von Prüfungserzeugnissen zu erkennen.

Diese Beweisangebote sind nicht entscheidungsrelevant, da keine zulässige Anspruchsfassung vorgelegt wurde (siehe Punkt 8 oben).

Vielmehr stützt sich die unten dargelegte Begründung der vorliegenden Entscheidung auf die in den VOBK 2020 vorgesehene Zulässigkeitskriterien und auf die besondere Verfahrensführung der Beschwerdeführerin, ohne dass es auf das Fachwissen oder die Beurteilung von Einschätzungen Dritter ankäme.

10. Zurückverweisung

10.1 Die Beschwerdeführerin beantragt (wörtliche Wiedergabe aus dem Schriftsatz vom 10. Juni 2020):

"7. Hilfsweise das Verfahren zurückzuverweisen an eine neu besetzte Prüfungsstelle oder an eine Einspruchsabteilung."

10.2 Zum Antrag auf Zurückverweisung an die Prüfungsabteilung merkt die Kammer Folgendes an.

Eine Kammer verweist die Angelegenheit nur dann zur weiteren Entscheidung an das Organ zurück, das die angefochtene Entscheidung erlassen hat, wenn besondere Gründe dafür sprechen. Besondere Gründe liegen in der Regel vor, wenn das Verfahren vor diesem Organ wesentliche Mängel aufweist (Artikel 11 VOBK 2020).

Eine Zurückverweisung ist im vorliegenden Fall aber nicht geboten, weil die Patentinhaberin es versäumt hat, einen zulässigen Anspruchssatz zu formulieren, auf dessen Basis die Vorinstanz die Prüfung überhaupt wiederaufnehmen könnte.

Nach ständiger Rechtsprechung der Beschwerdekammern besteht kein grundsätzliches Recht der Parteien auf die Prüfung eines Sachverhalts in zwei Instanzen, denn Artikel 111 (1), Satz 2 EPÜ stellt es in das Ermessen der Kammer, bei ihrer Entscheidung über die Beschwerde entweder im Rahmen der Zuständigkeit des erstinstanzlichen Organs tätig zu werden oder die Angelegenheit an dieses Organ zurückzuverweisen.

10.3 Zum Antrag auf Zurückverweisung an eine Einspruchsabteilung merkt die Kammer an, dass diese ohnehin gemäß dem EPÜ nicht möglich ist, da die Einspruchsabteilung die angefochtene Entscheidung nicht erlassen hat, und für das Prüfungsverfahren überhaupt nicht zuständig sein könnte.

11. Fragenkatalog - Verfahrensleitende Verfügung

Zu den von der Beschwerdeführerin letztendlich zur Entscheidung durch Kammer gestellten Anträge gehört ebenfalls (aus dem Schriftsatz vom 10. Juni 2020, wörtliche Wiedergabe):

"5. Einen Fragenkatalog zuzustellen, auf den gezielt geantwortet werden kann."

sowie

"9. Eine verfahrensleitende Verfügung zuzustellen, auf die gezielt geantwortet werden kann, um die Unterlagen in eine nach Auffassung der Beschwerdekammer zur Erteilung eines Patents erforderliche Fassung zu bringen."

11.1 Es ist nicht Aufgabe einer Beschwerdekammer "Fragenkataloge" zu erstellen oder mit "verfahrensleitende Verfügungen" die Beschwerdeführerin aktiv zu unterstützen, zu einer gewährbaren Anspruchsfassung einer Anmeldung zu gelangen.

Das Beschwerdeverfahren ist ein vom Verfahren vor den Verwaltungsorganen (hier der Prüfungsabteilung) vollständig getrenntes, unabhängiges justizförmiges Verfahren.

Seine Aufgabe besteht darin, ein gerichtliches Urteil über die Richtigkeit einer davon strikt zu trennenden früheren Entscheidung des Verwaltungsorgans zu fällen, das die angefochtene Entscheidung erlassen hat.

Gemäß Artikel 12 (2) VOBK 2020 wäre im Hinblick auf das vorrangige Ziel des Beschwerdeverfahrens, die angefochtene Entscheidung gerichtlich zu überprüfen, das Beschwerdevorbringen der Anmelderin in erster Linie auf die Anträge, Tatsachen, Einwände, Argumente und Beweismittel zu richten gewesen, die der angefochtenen Entscheidung zugrunde lagen.

Hinzu kommt, dass nach der ständigen Rechtsprechung die Überprüfung einer Entscheidung der Prüfungsabteilung grundsätzlich nur auf der Grundlage der bereits vor dieser geltend gemachten Gründe erfolgen kann, wobei der einleitende Antrag einer Beschwerdeführerin das Verfahren bestimmt (ne ultra petita) (vgl. Entscheidungen G 9/92 und G 4/93, supra).

Damit ist der Anwendungsbereich des Artikels 114 (1) EPÜ definiert und eine klare Abgrenzung zwischen der Befugnis, das Verfahren einzuleiten und dessen Gegenstand zu bestimmen, und der Befugnis, den relevanten Sachverhalt zu erläutern.

12. Schlussbemerkungen

Durch die eigenverantwortliche, besondere Verfahrensführung der Beschwerdeführerin war die Beschwerdekammer zu keinem Zeitpunkt des Beschwerdeverfahren in die Lage versetzt worden, in eine Sachprüfung einzusteigen.

Deshalb bleibt das Beschwerdebegehren der Beschwerdeführerin insgesamt erfolglos, weshalb die Beschwerde zurückgewiesen wird. Dies betrifft zugleich die als integraler Teil des Beschwerdebegehrens mit beantragte Vorlage an die Große Beschwerdekammer, die ebenfalls zugewiesen wird. Insoweit wird der am Schluss der mündlichen Verhandlung verkündete und auf die Zurückweisung der Beschwerde bezogene Entscheidungsausspruch ergänzt.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Der Antrag auf Vorlage an die Große Beschwerdekammer wird zurückgewiesen.

2. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

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