T 1449/19 () of 25.10.2022

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2022:T144919.20221025
Datum der Entscheidung: 25 October 2022
Aktenzeichen: T 1449/19
Anmeldenummer: 07110866.6
IPC-Klasse: B21B 1/22
B21B 27/00
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Flachprodukt aus einem Metallwerkstoff, insbesondere einem Stahlwerkstoff, Verwendung eines solchen Flachprodukts sowie Walze und Verfahren zur Herstellung solcher Flachprodukte
Name des Anmelders: ThyssenKrupp Steel Europe AG
Walzen-Service-Center GmbH
Name des Einsprechenden: Salzgitter Flachstahl GmbH
Topocrom GmbH
Tata Steel IJmuiden B.V.
ArcelorMittal France
Kammer: 3.2.03
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
Rules of procedure of the Boards of Appeal Art 12(4)
European Patent Convention Art 54
European Patent Convention Art 56
European Patent Convention Art 123(3)
European Patent Convention Art 112(1)
Schlagwörter: Änderungen - Berichtigung von Mängeln (ja)
Änderungen - Erweiterung des Patentanspruchs (nein)
Änderung des Vorbringens - Gründe warum Änderung im Beschwerdeverfahren erfolgt (nein)
Änderung des Vorbringens - Beweismittel
Änderung des Vorbringens - Gebot der Verfahrensökonomie
Änderung des Vorbringens - Änderung zugelassen (nein)
Neuheit - (ja)
Neuheit - offenkundige Vorbenutzung (nein)
Neuheit - nicht ausreichend bewiesen
Erfinderische Tätigkeit - (ja)
Vorlage an die Große Beschwerdekammer - (nein)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
G 0010/91
G 0003/08
G 0001/10
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Das europäische Patent Nr. 2 006 037 B1 betrifft die Texturierung von metallischen Flachprodukten, insbesondere Feinblechen, durch Dressierwalzung und die Texturierung von Dressierwalzen selbst, insbesondere durch Funkenerosion (Electro Discharge Texturing, "EDT").

II. Gegen das Patent im gesamten Umfang wurden vier Einsprüche eingelegt. Als Einspruchsgründe wurden unzureichende Offenbarung, unzulässige Änderung vor der Erteilung sowie mangelnde Neuheit und mangelnde erfinderische Tätigkeit vorgebracht.

III. Die Einspruchsabteilung hat mit der Entscheidung vom 26. Februar 2013 entschieden, das Patent wegen unzureichender Offenbarung zu widerrufen.

IV. Im anschließenden Beschwerdeverfahren kam die Kammer in T 1052/13 zu dem Schluss, dass weder Artikel 123 (2) EPÜ noch Artikel 84 EPÜ, noch die Einspruchsgründe der unzulässigen Änderung vor der Erteilung (Artikel 100 c) EPÜ) und der unzureichenden Offenbarung (Artikel 100 b) EPÜ) der Aufrechterhaltung des Patents im Umfang des Hilfsantrags II (eingereicht am 15. September 2016) entgegenstehen, siehe Punkt 9 der Entscheidungsgründe.

V. Im darauf folgenden Einspruchsverfahren wurde von den Verfahrensbeteiligten der Einspruchsgrund nach Artikel 100 a) EPÜ diskutiert. Die Einspruchsabteilung entschied mit der Entscheidung vom 15. März 2019 ("angefochtene Entscheidung"), dass unter Berücksichtigung der von den Patentinhaberinnen im Einspruchsverfahren vorgenommenen Änderungen das Patent in geändertem Umfang auf Basis des Hilfsantrags 2, eingegangen am 15. September 2016, den Erfordernissen des EPÜ genügt.

VI. Gegen diese Entscheidung haben die Einsprechende 1 ("Beschwerdeführerin 1") und auch die Einsprechende 4 ("Beschwerdeführerin 4") Beschwerde eingelegt.

VII. Die Beschwerdeführerinnen 1 und 4 beantragten im schriftlichen Verfahren, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent zu widerrufen.

Die Beschwerdeführerin 1 beantragte zudem hilfsweise, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Verfahren an die Einspruchsabteilung zurückzuverweisen. Die Beschwerdeführerin 1 beantragte weiter die Vorlage von drei Fragen an die Große Beschwerdekammer (siehe die drei ausformulierten Fragen in ihrer Beschwerdebegründung, Abschnitt A).

Die beiden Patentinhaberinnen ("Beschwerdegegnerinnen") beantragten, die Beschwerden zurückzuweisen. Der von der Einspruchsabteilung für gewährbar erachtete Hilfsantrag 2 liegt diesem Beschwerdeverfahren folglich als Hauptantrag zugrunde.

Die Einsprechenden 2 und 3 ("Verfahrensbeteiligte 2 und 3") haben sich an diesem Beschwerdeverfahren nicht beteiligt.

VIII. Beweismittel

a) Die folgenden Dokumente aus dem Einspruchsverfahren sind für das Beschwerdeverfahren von Bedeutung:

D1: W. Zimnik et al., "Pretex - Ein neues Verfahren

zur Erzeugung texturierter Feinbleche für höchste Ansprüche", Stahl und Eisen 118 (1998) Nr. 3, 16. März 1998, Seiten 75 bis 80

D3: Lieferbestätigung (Zeugnis) vom 01. Oktober 2004

an Ets. Robert et Cie S.A.S., F-95508 Le Thillay Cedex

D4: Prüfbericht SZMF-ES-PB-2011-0017 der Salzgitter

Mannesmann Forschung GmbH vom 3. Mai 2011

D6: Prüfbericht SZMF-ES-PB-2011-0016 der Salzgitter

Mannesmann Forschung GmbH vom 06. Mai 2011

D10: US 5,532,051

D11: M. Vermeulen et al., "Characterisation of

EBT surfaces", SIBETEX 2 Seminar, OCAS, Zelzate, Belgien, 20. Oktober 1994

D15: Vergleichstabelle der Merkmale der Ansprüche des

Patents mit den vorgebrachten offenkundige Vorbenutzungen nach D4 und D6

D20: J.P. Nauzin et al., "Paint Finish in Automotive

Bodies", SAE 2002 World Congress, Detroit, 4. bis 7. März 2002

D21: B. Ritterbach, "Qualitätsregelkreis zur Erzeugung

definierter Feinblechrauheiten mit verschiedenen Texturierverfahren", VDI Verlag GmbH-Düsseldorf 1999, ISBN 3-18-351702-7

D22: H. Meier, "Über die Aufrauhung von

Walzenoberflächen mit Funkenentladungen", Shaker Verlag Aachen 1999, ISBN 3-8265-6112-0

b) Die Beschwerdeführerin 1 verwies zudem auf folgende weitere Beweismittel, die von der Einspruchsabteilung nicht ins Verfahren zugelassen worden waren:

D16: Ablichtung einer Zulassungsbescheinigung für

einen Mercedes und Inserat dieses Fahrzeugs

D17: Prüfbericht der Salzgitter Mannesmann Forschung

mit der Nummer SZMF-ES PB-2012-0582

D18: Vergleich des Mess- und Auswerteverfahren des

Patents mit den Normen EN ISO 25178, DIN EN 10049 und ISO 25178

c) Mit ihren Beschwerdebegründungen reichten die Beschwerdeführerinnen 1 und 4 zusätzlich erstmals folgende weitere Beweismittel ein:

Beschwerdeführerin 1

D27: SEP 1160, Teil 2 Stahl Eisen Prüfblatt (6/2004)

D28: "Schichtdickenmessung von organischen

Beschichtungen auf Aluminium und Stahl", ECCA Anwendungsbericht, 2013

D29: "KTL Beschichtung mit anschließender Entlackung",

Untersuchungsbericht der Salzgitter Mannesmann Forschung GmbH vom 22. Oktober 2018

D30: M. Pfestorf et al., "3D Surface Parameters and

their Application on Deterministic Textured Metal Sheets", Int. J. Mach. Tools Manufact. Vol. 38, 1998, Seiten 607 bis 614

D31: SEP 1940 Stahl Eisen Prüfblatt (10/2002)

D32: Prüfbericht SZMF-ES-PB-2019-0200 der Salzgitter

Mannesmann Forschung GmbH vom 22. Juli 2019

D33: Eidesstattliche Erklärung Dr. M. Stolzenberg

Beschwerdeführerin 4

D25: GB 1 293 576

D26: "Präzisionsbearbeitung durch Bandschleifen", MO

Mechanisches Bearbeiten, 55 (2001), Seiten 24 und 25

IX. In der als Anlage zur Ladung zur mündlichen Verhandlung beigefügten Mitteilung gemäß Artikel 15(1) VOBK 2020 teilte die Kammer den Beteiligten ihre vorläufige Einschätzung des der Beschwerde zugrundeliegenden Sachverhalts mit. Insbesondere wies sie darauf hin, dass sie weder die von der Beschwerdeführerin 1 neu vorgebrachten Dokumente noch die neu vorgebrachten Einwände zu berücksichtigen gedenke und mit einer Zurückweisung der Beschwerden zu rechnen sei.

X. Mit Schreiben vom 23. Mai 2022 (eingegangen am 24. Mai 2022) reichten die Beschwerdegegnerinnen die Hilfsanträge 1 und 2 ein.

XI. Die Beschwerdeführerin 1 reichte mit Schreiben vom 25. August 2022 weitere Argumente u.a. zur Neuheit in Bezug auf D4 ein.

XII. Eine mündliche Verhandlung fand am 25.Oktober 2022 wie angekündigt in Abwesenheit der Verfahrensbeteiligten 2 und 3 gemäß Artikel 15 (3) VOBK und Regel 115 (2) EPÜ statt. Im Rahmen der mündlichen Verhandlung teilte die Beschwerdeführerin 1 mit, dass sie sich nicht mehr auf die Dokumente D16, D17 und D18, sowie D27 bis D31 beziehen werde und daher deren Zulassung nicht mehr beantrage. Zudem nahm die Beschwerdeführerin 1 die erste und die dritte Frage zur Vorlage an die Große Beschwerdekammer zurück. Die Vorlage der zweiten Frage betreffend die Überprüfbarkeit eines Einwands nach Artikel 123 (3) EPÜ wurde weiter beantragt.

XIII. Am Schluss der mündlichen Verhandlung bestand somit folgende Antragslage:

Die Beschwerdeführerinnen 1 und 4 beantragten, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent zu widerrufen.

Die Beschwerdeführerin 1 beantragte zudem die Vorlage der folgenden Frage an die Große Beschwerdekammer:

"Ist eine im Rahmen einer Beschwerdeinstanz festgestellte Zulässigkeit eines nach einem geänderten Hilfsantrag nach Artikel 123(2) in Bezug auf eine Verletzung des Artikels 123(3) in nachgeschalteten Verfahren überprüfbar, insbesondere wenn die als nach Artikel 123(2) zulässig angesehene Änderung einer Entscheidung der großen Beschwerdekammer in Bezug auf Änderungen nach der Patenterteilung widerspricht

(G l/10 vom 27.07.2012)?"

Die Beschwerdegegnerinnen beantragten, die Beschwerden zurückzuweisen. Hilfsweise beantragten sie die Aufrechterhaltung des Patents in geänderter Fassung auf Grundlage eines der Hilfsanträge 1 und 2.

XIV. Wortlaut der Ansprüche gemäß dem dieser Entscheidung zugrundeliegenden Hauptantrag (entspricht dem der angefochtenen Entscheidung zugrundeliegenden Hilfsantrag II, eingereicht am 15. September 2016)

Anspruch 1 lautet:

"Flachprodukt aus einem Metallwerkstoff, insbesondere einem Stahlwerkstoff, mit einer stochastischen Oberflächenstruktur, wobei für die Oberfläche des Flachprodukts auf einer mindestens 0,8 x 0,8 mm**(2) großen Grundfläche nach einer Bereinigung einer möglichen Schieflage in ihrer Topographie, einer Ausfilterung von Hochfrequenzanteilen mittels Gauß'schem Tiefpassfilters (lambdas= 10 mym) und einer Ermittlung der Häufigkeitsverteilung der Höhenwerte mit einer Klassenbreite von 0,1 mym gilt:

a) Die Häufigkeitsverteilung der Höhenwerte weist zwei

ausgeprägte Maxima auf, die für entsprechend ausgeprägte Berg- und Tal-Niveaus der Oberfläche stehen.

b) Bei Betrachtung allein derjenigen

Topografiebereiche, die eine Neigung von maximal 5° gegenüber der waagerecht ausgerichteten Grundfläche aufweisen, zerfällt die Häufigkeitsverteilung der Höhenwerte in mindestens zwei lokale Hauptmaxima. Die lokalen Hauptmaxima sind für die Berge mit einer Standardabweichung (Breite) von 2 sigma <= 2 mym und für die Täler mit einer Standardabweichung von 2 sigma <= 1 mym näherungsweise normal verteilt.

c) Die Häufigkeit der Berge ist größer als die

Häufigkeit der Täler.

d) Das die Berge repräsentierende obere Hauptmaximum

ist gleichzeitig auch ein absolutes Maximum.

e) Der Abstand zwischen den Hauptmaxima der

Häufigkeitsverteilung der Höhenwerte beträgt 1 mym bis 5 mym.

f) In einer Ebene, die genau mittig zwischen Berg- und

Tal-Niveau liegt, beträgt die halbe Breite der Täler bzw. Berge höchstens 40 mym bzw. 100 mym, wobei mindestens 99,99 % der Topografie-Messpunkte einen minimalen Abstand zum Rand der Täler bzw. Berge besitzen, der diese Bedingung erfüllt."

Der unabhängige Anspruch 5 ist gerichtet auf eine

"Verwendung eines gemäß einem der Ansprüche 1 bis 4 ausgebildeten Flachprodukts für die Herstellung von Bauteilen, die mit einer Lackschicht beschichtet werden."

Der unabhängige Anspruch 6 lautet

"Walze zur Herstellung von gemäß einem der Ansprüche 1 bis 4 ausgebildeten Flachprodukten, mit einer stochastischen Oberflächenstruktur, die mittels Electro Discharge Texturing ("EDT") mit anschließendem Feinschleifprozess erzeugt worden ist, wobei für die Walzenoberfläche der Walze auf einer mindestens 0,8 x 0,8 m**(2) großen Grundfläche nach einer Bereinigung einer möglichen Schieflage in ihrer Topographie, einer Ausfilterung von Hochfrequenzanteilen mittels Gauß'schem Tiefpassfilters (lambdas= 10 mym) und einer Ermittlung der Häufigkeitsverteilung der Höhenwerte mit einer Klassenbreite von 0,1 mym gilt:

a) Die Häufigkeitsverteilung der Höhenwerte weist zwei

ausgeprägte Maxima auf, die für entsprechend ausgeprägte Berg- und Tal-Niveaus der Oberfläche stehen.

b) Bei Betrachtung allein derjenigen

Topografiebereiche, die eine Neigung von maximal 5° gegenüber der waagerecht ausgerichteten Grundfläche aufweisen, zerfällt die Häufigkeitsverteilung der Höhenwerte in mindestens zwei lokale Hauptmaxima. Die lokalen Hauptmaxima sind für die Berge mit einer Standardabweichung (Breite) von 2 sigma <= 10 mym und für die Täler mit einer Standardabweichung von 2 sigma <= 1 mym näherungsweise normal verteilt.

c) Die Häufigkeit der Täler ist auf der

Walzenoberfläche größer als die Häufigkeit der Berge.

d) Der Abstand zwischen dem ausgeprägten Berg-Niveau

und den Tal-Niveaus der Walzenoberfläche ist größer als der Abstand zwischen Berg- und Tal-Niveau auf der erzeugten Flachproduktoberfläche.

e) In einer Ebene, die genau mittig zwischen Berg- und

Tal-Niveau liegt, beträgt die halbe Breite der Täler bzw. Berge höchstens 100 mym, wobei mindestens 99,99 % der Topografie-Messpunkte einen minimalen Abstand zum Rand der Täler bzw. Berge besitzen, der diese Bedingung erfüllt."

Der weitere unabhängige Anspruch 7 betrifft ein

"Verfahren zur Herstellung eines gemäß einem der Ansprüche 1 bis 4 ausgebildeten Flachprodukts, bei dem - ein aus einem Metallwerkstoff bestehendes

Flachprodukt zur Verfügung gestellt wird, bei dem zumindest die mit der gemäß Anspruch 1 beschaffenen Oberflächentopographie zu versehende Oberfläche eine arithmetische Mittenrauheit von max. 1,5 mym aufweist, und

- das zur Verfügung gestellte Flachprodukt einer

Dressierwalzung unterzogen wird, bei der eine gemäß Anspruch 6 beschaffene Walze auf die mit der Oberflächentopographie gemäß Anspruch 1 zu versehende der[sic] Oberfläche wirkt, so dass ein Flachprodukt mit einer gemäß Anspruch 1 beschaffenen Oberfläche erhalten wird."

Die weiteren Hilfsanträge 1 und 2 sind für diese Entscheidung unerheblich. Ihr Wortlaut kann daher dahingestellt bleiben.

XV. Das für diese Entscheidung relevante schriftsätzliche und mündliche Vorbringen der Beschwerdeführerinnen 1 und 4 in Bezug auf den Hauptantrag lässt sich wie folgt zusammenfassen:

a) Artikel 123 (3) EPÜ

Die Änderung des Begriffs "senkrecht" in "waagrecht" in Anspruch 6 führe zu einer unerlaubten Erweiterung des erteilten Schutzbereichs und sei gemäß den in G1/10 entwickelten Grundsätzen nicht gewährbar.

b) Zulassung der Dokumente D25, D26 und D32, D33

Die Dokumente D32 und D33 stellten lediglich eine Ergänzung der geltend gemachten Vorbenutzung nach D3 und des dazugehörigen Prüfberichts D4 dar. Erst während der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung sei der Beschwerdeführerin 1 klar geworden, wie die Einspruchsabteilung die Merkmale in Anspruch 1 interpretiere. Insbesondere in Bezug auf Merkmal 1f habe es sich erst während der Verhandlung vor der Einspruchsabteilung herauskristallisiert, dass dieses Merkmal acht unterschiedliche Auslegungen ermögliche und die Einspruchsabteilung dieses Merkmal überraschender Weise in Kombination mit den Bedingungen in Merkmal 1b berücksichtige. Die Einreichung von D32 stelle daher eine Reaktion auf Vorkommnisse im Einspruchsverfahren und die Begründung in der angefochtenen Entscheidung dar.

D32 bestätige die Ergebnisse aus D4 und belege zweifelsfrei, dass ein Flachprodukt gemäß Anspruch 1 bereits vor dem Anmeldetag des Patents öffentlich vorbenutzt wurde.

Die Einreichung der übrigen Beweismittel D25 und D26 sei ebenfalls durch die Vorkommnisse im Einspruchsverfahren und die Begründung in der angefochtenen Entscheidung veranlasst.

c) Neuheit

D4 belege unter Bezugnahme auf D3 eine offenkundige Vorbenutzung eines Kaltfeinblechs, das einem Flachprodukt gemäß Anspruch 1 entspreche. Auch wenn in D4 in Analogie zum Streitpatent die Oberflächentopographie unter anderem anhand einzelner Schnitte untersucht worden sei, so verstehe ein Fachmann nichtsdestotrotz, dass in D4 auch die ganze Fläche analysiert wurde. Dies werde sowohl in Punkt 2 als auch in der Beschreibung zur Abbildung 6 für einen Fachmann klar zum Ausdruck gebracht. Die Annahme, wonach die Oberflächeneigenschaften durch Extrapolation der nur entlang einzelner Schnittlinien ermittelten Messwerte lediglich berechnet worden seien, sei unhaltbar. Ein Fachmann würde im Kontext von stochastischen Oberflächenstrukturen ein derartiges Vorgehen schließlich nicht in Betracht ziehen.

Auch wenn D4 keine expliziten Angaben zu der halben Breite der Täler und Berge gemäß Merkmal 1f mache, könnten diese Breiten unmittelbar aus den Abbildungen von D4 abgelesen werden. Zudem bestätige D4 ohnehin allgemein, dass das in D4 untersuchte Blech auch das Merkmal 1f erfülle.

D4 belege daher zweifelsfrei, dass das darin untersuchte Kaltfeinblech eine Oberfläche aufweise, die die in den Merkmalen 1a bis 1f definierten Parameter erfülle.

d) erfinderische Tätigkeit ausgehend von D1 oder D4

Gemäß Anspruch 1 sei es lediglich erforderlich, dass eine winzige Oberfläche von 0,8 mm x 0,8 mm eine bestimmte Oberflächenstruktur aufweise. Die Oberflächenstruktur einer derartig kleinen Messfläche lasse keine Rückschlüsse auf die Eigenschaften eines Bleches zu, dass hunderte Meter lang sein könne.

Die von Anspruch 1 definierte Oberflächenstruktur löse mithin keine technische Aufgabe.

Die willkürliche Wahl von bestimmten Parametern, die eine Oberflächenstruktur charakterisieren, stelle ausgehend von D1 oder D4 keine Erfindung, sondern eine einfache "design choice" dar. Zudem seien die in Anspruch 1 genannten Merkmale als solches übliche Parameter zur Charakterisierung einer Blechoberfläche wie D10 zeige. Zur Bereitstellung einer einfachen Alternative liege es für den Fachmann auf der Hand, übliche Parameter zur Charakterisierung zu wählen und diese im Bereich üblicher Erfahrungswerte einzustellen.

e) erfinderische Tätigkeit ausgehend von D10

D10 ziele darauf ab, ein Blech mit einer gleichmäßigen Oberfläche bereitzustellen, siehe Anspruch 1.

Mit Ausnahme der stochastischen Oberflächenstruktur weise das Blech von D10 alle Merkmale von Anspruch 1 auf.

Zwar offenbare D10 gemäß den konkreten Ausführungsformen eine deterministische Oberflächenstruktur. D10 schließe eine stochastische Oberflächenstruktur jedoch nicht aus. Ohnehin erziele eine "stochastischen Oberfläche" keinen technischen Effekt. Das Merkmal "stochastisch" sei daher gemäß G3/08 bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit zu ignorieren.

Ein Fachmann werde von der Lehre in D10 auch nicht davon abgehalten, alternativ zu dem in D10 beschriebenen Dressierverfahren ein bekanntes Verfahren einzusetzen, das eine gleichmäßige stochastische Oberfläche erzeugt.

D21 beschreibe das allgemeine Fachwissen und bestätige, dass gerade auch stochastische Oberflächen eine gleichmäßige Oberflächenstruktur aufweisen. D21 belege zudem, dass mit einer Walze, deren Oberfläche mittels einem EDT-Verfahren mit anschließendem Feinschleifen dressiert wurde, Bleche mit guten Lackier- und Umformeigenschaften hergestellt werden können.

Ausgehend von D10 sei es daher naheliegend, ein Blech mit stochastischer Oberflächenstruktur bereitzustellen, um die Lackier- und Umformungseigenschaften zu verbessern.

XVI. Das Vorbringen der Beschwerdegegnerinnen zu diesen Punkten lässt sich folgendermaßen zusammenfassen:

a) Artikel 123 (3) EPÜ

Die Beschwerdekammer habe in T 1052/13 bereits entschieden, dass die Einspruchsgründe nach Artikel 100 b) und c) EPÜ der Aufrechterhaltung des Patents auf Grundlage des Hilfsantrags 2 nicht entgegenstehen. Daher seien diese Einspruchsgründe in diesem sich anschließenden Beschwerdeverfahren nicht mehr zu diskutieren.

Die in G 1/10 entwickelten Grundsätze seien für den vorliegenden Fall nicht relevant. Die Korrektur eines offensichtlichen Fehlers führe zu keiner unerlaubten Erweiterung des erteilten Schutzbereichs. Vielmehr entspreche der korrigierte Wortlaut genau dem, was ein Fachmann ohnehin als vom Patent beansprucht verstanden hätte.

b) Zulassung der Dokumente D25, D26 und D32, D33

Die Einreichung von D25, D26 und D32, D33 diene lediglich dazu, das Verfahren in die Länge zu ziehen. Es gebe keinerlei Grund, warum diese Beweismittel nicht schon im Rahmen des Einspruchsverfahrens eingereicht wurden. Der Umstand, dass die Beschwerdeführerinnen den beanspruchten Gegenstand des Patents bisher in anderer Weise verstanden bzw. anders ausgelegt hätten, rechtfertige nicht, eine Vielzahl neuer Dokumente einzureichen.

Zudem sei keines dieser Beweismittel für den beanspruchten Gegenstand prima facie relevant. Insbesondere zeige D32 nicht Merkmal 1a, da die Verteilung - vgl . Seite 7 oben der D32- gerade nicht zwei ausgeprägte Maxima aufweise.

c) Neuheit

D4 belege nicht, dass die Oberflächenstruktur des untersuchten Kaltfeinblechs über die ganze Testfläche analysiert wurde. Vielmehr offenbare D4 explizit, dass die Oberflächenstruktur entlang einzelner Profilschnitte bestimmt und für die ganze Fläche berechnet wurde. Die Bestimmung der Oberflächenstruktur mittels Berechnung mit Hilfe einer Extrapolation einzelner Messwerte entlang von Profilschnitten sei bei stochastischen Oberflächen nicht möglich. Daher könnten die in D4 bestimmten Parameter nicht mit den in Anspruch 1 definierten Parametern verglichen werden. Zudem entspreche die in D4 bestimmte Häufigkeitsverteilung der Höhenwerte nicht jeweils annähernd einer Normalverteilung, wie es Merkmal 1b erfordere. Im Übrigen postuliere D4 nur, dass Merkmal 1f erfüllt sei. Belegt werde dies nicht.

d) erfinderische Tätigkeit ausgehend von D1 oder D4

D1 offenbare ein Blech, das mit einem Pretex-Verfahren dressiert werde und eine stochastische Oberflächenstruktur aufweise.

D1 gebe allerdings keinerlei Hinweis darauf, dass ein Blech mit einer durch die in Anspruch 1 definierten Parameter charakterisierten Oberflächenstruktur verbesserte Lackier- und Umformeigenschaften aufweise.

Die in Anspruch 1 definierte Größe der zu analysierenden Messfläche sei ausreichend, um eine statistisch signifikante Aussage für die Oberflächeneigenschaften des ganzen Bleches zu treffen.

D4 sei ein Prüfbericht für ein Feinblech. Dieser Bericht liefere ebenso wenig wie D1 eine Veranlassung dafür, ein Blech mit anderer Oberflächenstruktur bereitzustellen. Zudem biete D4 dem Fachmann keine Motivation, die Oberflächenstruktur des Feinblechs zu ändern, um die Lackier- und Schmiereigenschaften des Blechs zu verbessern.

D10 offenbare ein Blech mit deterministischer Oberflächentopographie. D10 betreffe daher einen völlig anderen Gegenstand als D1 oder D4 und liefere dem Fachmann keinen Anreiz, die Oberflächenstruktur eines in D1 oder D4 beschriebenen Blechs zu ändern.

e) erfinderische Tätigkeit ausgehend von D10

Die Begriffe "deterministisch" und "stochastisch" hätten im Kontext von Oberflächentypologien eine klar definierte Bedeutung. Eine deterministische Oberfläche weise ein gleichmäßig, sich wiederholendes Muster auf und sei mit einer stochastischen Oberfläche nicht vergleichbar.

Die von Anspruch 1 definierte stochastische Oberflächenstruktur löse die technische Aufgabe, ein Kaltfeinblech mit verbesserten Oberflächeneigenschaften bereitzustellen.

Ausgehend von einem Blech mit einer gleichmäßigen deterministischen Oberflächenstruktur gemäß D10 sei es nicht naheliegend, zur Texturierung der Dressierwalze ein EDT-Verfahren einzusetzen, das eine stochastische und damit eine völlig andere Oberflächenstruktur erzielt. Selbst wenn ein Fachmann ein anderes Dressierverfahren in Abwandlung der Lehre von D10 einsetzen wollte, gebe es in diesem Fall keine Veranlassung darauf zu achten, ein Blech mit einer Oberflächenstruktur zu erhalten, das die gleichen Parameter erfülle wie ein Blech, das mit dem in D10 beschriebenen Dressierverfahren erhalten werde.

Der beanspruchte Gegenstand sei daher ausgehend von D10 auch unter Berücksichtigung von D21 nicht naheliegend.

Entscheidungsgründe

1. Anwendbare Verfahrensordnung der Beschwerdekammern

Die revidierte Fassung der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern (VOBK 2020) ist am 1. Januar 2020 in Kraft getreten. Vorbehaltlich der Übergangsbestimmungen (Artikel 25 VOBK 2020) ist die revidierte Fassung auch auf am Tag des Inkrafttretens bereits anhängige Beschwerden anwendbar. Im vorliegenden Fall wurde die Beschwerdebegründung und die Erwiderung darauf vor dem 1. Januar 2020 eingereicht. Daher ist Artikel 12 (4)-(6) VOBK 2020 nicht anzuwenden. Stattdessen ist Artikel 12 (4) VOBK 2007 sowohl auf die Beschwerdebegründung als auch auf die Erwiderung anzuwenden (Artikel 25 (2) VOBK 2020).

2. Zulassung des Einwands nach Artikel 123 (3) EPÜ in Bezug auf G 1/10 (Artikel 12 (4) VOBK 2007)

2.1 Weder in dem dieser Beschwerdesache vorangehenden ersten Beschwerdeverfahren (T 1052/13) noch in dem der angefochtenen Entscheidung zugrundeliegenden Einspruchsverfahren erhob eine der Verfahrensbeteiligten einen Einwand unter Artikel 123 (3) EPÜ (mit oder ohne Bezug auf G 1/10).

Damit handelt es sich bei dem Einwand unter Artikel 123 (3) EPÜ seitens der Beschwerdeführerin 1 um gänzlich neues Vorbringen in diesem Beschwerdeverfahren.

2.2 Das Vorbringen einer neuen Angriffslinie ist nicht vereinbar mit dem Sinn und Zweck des Beschwerdeverfahrens, das der Überprüfung der angefochtenen Entscheidung dient, wodurch dem Unterlegenen die Möglichkeit gegeben wird, die ihm nachteilige Entscheidung anzufechten und ein gerichtliches Urteil über die Richtigkeit einer erstinstanzlichen Entscheidung zu erwirken (Rechtsprechung der Beschwerdekammern, 10. Auflage, 2022, Kapitel V.A.5.2.1). Eine Erweiterung des Streitstoffes ist im Beschwerdeverfahren nicht vorgesehen, insbesondere sollte kein neuer Fall generiert werden (a.a.O., Kapitel V.A.5.11.1).

Da die Änderungen bereits im ersten Beschwerdeverfahren ausgiebig diskutiert wurden, hätten etwaige Einwände bereits dort vorgebracht werden sollen. Selbst wenn die nun erstmals vorgebrachten Einwände zu diesem Zeitpunkt nicht erkannt wurden, hätte im Rahmen des folgenden Einspruchsverfahrens ausgiebig Gelegenheit bestanden, weitere Einwände zu erheben.

Der bisherige Verfahrensverlauf liefert daher keine Rechtfertigung, im späten Stadium des Beschwerdeverfahrens erstmals einen weiteren neuen Einwand zu erheben.

2.3 Der Einwand unter Bezugnahme auf G 1/10 ist zudem prima facie nicht überzeugend.

Gemäß Punkt 13 der Entscheidungsgründe von G 1/10 hat der "Patentinhaber...stets die Möglichkeit, im Einspruchs- oder Beschränkungsverfahren eine Änderung seines Patents anzustreben und dadurch die mutmaßliche Unrichtigkeit auszuräumen. Diese Änderung müsste natürlich alle für Änderungen geltenden rechtlichen Erfordernisse erfüllen, einschließlich derer des Artikels 123 EPÜ. Da es sich dann um einen Antrag auf Änderung nach Artikel 123 EPÜ und nicht um einen Antrag auf Berichtigung nach Regel 140 EPÜ handelt und somit um ein normales Ereignis im Einspruchs- oder Beschränkungsverfahren, stellt sich nicht die Frage, welches Organ für die Behandlung des Antrags zuständig ist. Im Falle des Einspruchsverfahrens würde die Einspruchsabteilung die Änderung prüfen und darüber befinden (s. Artikel 19 (1) und 100 EPÜ) ...".

Im Einspruchsbeschwerdeverfahren wird diese Überprüfung durch die Beschwerdekammer vorgenommen, die dabei im Rahmen der Zuständigkeit des Organs tätig wird, das die angefochtene Entscheidung erlassen hat (Artikel 111 (1) zweiter Satz EPÜ). In ebendieser Weise hat die Kammer in der ersten Beschwerdesache dieses Patents (T 1052/13) die entsprechende Überprüfung der Änderungen vorgenommen und hat entschieden, dass diesbezüglich die Erfordernisse des Artikels 123 (2) EPÜ erfüllt sind.

Ein Widerspruch in Bezug auf die in der Entscheidung G 1/10 vom 27. Juli 2012 getätigten Feststellungen besteht somit nicht.

2.4 Ferner ist der Einwand zu Artikel 123 (3) EPÜ auch per se, also ohne Bezug auf G 1/10, nicht prima facie überzeugend.

2.4.1 In T 1052/13 wird in Punkt 6.4 der Entscheidungsgründe festgestellt, der Fachmann erkenne beim Lesen der Anmeldungsunterlagen auf Anhieb, dass "die in Anspruch 6 definierte Walze zum Dressieren des im Anspruch genannten Flachprodukts vorgesehen ist, wobei die Walzenoberflächenstruktur im Wesentlichen ein negatives Abbild der auf dem Flachprodukt zu erzeugenden Oberflächenstruktur darstellt (Anmeldungsunterlagen, Seite 9, Absatz 2; Seite 14, Absatz 2). Der Fachmann versteht deshalb unmittelbar, dass die in Merkmal (b) von Anspruch 6 definierte, mindestens zweigipflige Häufigkeitsverteilung der Höhenwerte nicht für die Bereiche der Oberfläche mit einem Hangwinkel (ß) von maximal 5° gegenüber der Senkrechten vorgeschrieben sein kann, sondern für die Bereiche mit einem Neigungswinkel (a) von maximal 5° gegenüber der Waagerechten, wie in Merkmal (b) von Anspruch 1 verlangt wird. Dieses Verständnis wird durch die in Figur 1 dargestellte Oberflächenstruktur der Walze und die damit auf dem Flachprodukt erzeugte Oberflächenstruktur bestätigt (Figuren 2, 3, 6 und 7)."

Genau diese technische Lehre der Anmeldung wird auch vom Patent vermittelt.

Mithin liest der Fachmann dementsprechend auch in Anspruch 6 wie erteilt inhärent statt "gegenüber der senkrecht ausgerichteten Grundfläche" auch "gegenüber der waagerecht ausgerichteten Grundfläche". Folglich entspricht der durch den korrigierten Wortlaut definierte Schutzbereich genau dem Schutzbereich, den der Fachmann dem erteilten Anspruch 6 ohnehin zugewiesen hätte.

Die Korrektur des offensichtlichen Fehlers in Anspruch 6 führt mithin zu keiner Erweiterung des Schutzbereichs im Sinne von Artikel 123 (3) EPÜ. Damit besteht auch keine Verletzung eines Rechtschutzbedürfnisses Dritter vor einer Erweiterung des Schutzumfangs.

2.4.2 Die Beschwerdeführerinnen argumentierten, dass ein klarer Anspruch gemäß ständiger Rechtsprechung für sich betrachtet zu interpretieren sei. Da der Wortlaut von Anspruch 6 als solches klar sei, würde der Fachmann den Schutzbereich auch entsprechend dem konkreten Wortlaut ermitteln. Zudem generiere auch der Rückbezug auf Anspruch 1 keinen Widerspruch, der eine vom expliziten Wortlaut abweichende Interpretation erforderlich erscheinen lasse, da Anspruch 1 und Anspruch 6 jeweils unterschiedliche Testflächen definieren könnten.

Dieses Argument überzeugt nicht.

Ein Patentanspruch wird immer aus der Sicht des Fachmanns ausgelegt. Im vorliegenden Fall würde der Fachmann aber bei der Auslegung nicht zu dem Schluss gelangen, dass der Wortlaut der Patentansprüche klar ist, denn durch den expliziten Rückbezug des Anspruchs 6 auf den Anspruch 1 liegt ein Widerspruch im Anspruchswortlaut vor. Der Fachmann würde somit die Beschreibung heranziehen, um zu einer fachgerechten Auslegung zu kommen.

Für die Bestimmung des zur Beurteilung des Artikels 123 (3) EPÜ entscheidenden Schutzbereichs des Patents ist es zudem gemäß Artikel 69 (1) Satz 2 EPÜ gesetzlich vorgeschrieben, dass die Beschreibung und die Zeichnungen bei der Auslegung der Patentansprüche heranzuziehen sind (siehe auch Rechtsprechung der Beschwerdekammern, 10. Auflage, 2022, Kapitel II.E.2.3.1).

Im vorliegenden Fall lässt das Patent dem Fachmann keinerlei Zweifel, dass die Oberfläche der Walze und des damit dressierten Blechs komplementär sein sollen. Diese Komplementarität ergibt sich bereits aus dem Anspruchssatz mit seinem expliziten Rückbezug des Anspruchs 6 auf den Anspruch 1, demgemäß die in Anspruch 6 definierte Walze gerade zur Herstellung des entsprechenden Blechs gemäß Anspruch 1 geeignet sein soll. Dies gilt unabhängig davon, ob an der Walze und dem Feinblech unterschiedliche oder exakt korrespondierende Testflächen untersucht werden.

Eine wörtliche und isolierte Auslegung des erteilten Anspruchs 6 gemäß der Argumentation der Beschwerdeführerinnen würde somit dazu führen, dass alle offenbarten Ausführungsformen aus dem Schutzbereich des erteilten Anspruchs 6 ausgeschlossen würden. Dies stellt eine sinnentfremdende Auslegung dar, die bei der Feststellung des Schutzbereichs des Patents nach Artikel 69 EPÜ nicht zu berücksichtigen ist.

2.5 Die Beschwerdekammer lässt daher unter Ausübung ihres Ermessens nach Artikel 12 (4) VOBK 2007 die Einwände nach Artikel 123 (3) EPÜ auf Grund ihrer prima facie mangelnden Relevanz nicht ins Beschwerdeverfahren zu.

3. Zulassung von D25 und D26

D25 und D26 wurden von der Beschwerdeführerin 4 eingereicht und sollen als ergänzender Stand der Technik im Rahmen der Diskussion der erfinderischen Tätigkeit ausgehend von D10 dienen. D25 und D26 adressieren die Begründung in Punkt II.3.2. der angefochtenen Entscheidung in Bezug auf den Gegenstand von Anspruch 6, wonach der Einsatz eines Feinschleifprozesses im Anschluss an das EDT-Verfahren nicht im Stand der Technik bekannt sei.

Unter Ausübung ihres Ermessens nach Artikel 12 (4) VOBK 2007 lässt die Kammer die Beweismittel D25 und D26 daher ins Verfahren zu.

4. Zulassung von D32 und D33

4.1 D32 ist ein Prüfbericht über Messungen an dem Kaltfeinblech 24187 und soll den Einwand zur offenkundigen Vorbenutzung in Bezug auf den Prüfbericht D4 für das Kaltfeinblech 24187 von D3 ergänzen. Die Beschwerdeführerin 1 argumentiert, dass das späte Einreichen von D32 gerechtfertigt sei, da die Einspruchsabteilung keine detaillierte vorläufige Meinung im Anhang zur Ladung präsentiert habe und zudem während der mündlichen Verhandlung erstmals eine unerwartete Interpretation des Anspruchsgegenstands der Beurteilung der Neuheit zugrunde gelegt habe, wonach die gemäß Merkmal 1b zu verwendende Filterung der Topographiebereiche auch in Merkmal 1f zu berücksichtigen sei. Gerade die vielfältigen Auslegungsmöglichkeiten von Merkmal 1f als solches rechtfertigten die späte Einreichung von D32.

4.2 Diese Argumente überzeugen nicht.

4.2.1 In den Ansprüchen 1 und 6 des Patents und unverändert auch des Hauptantrags wird eindeutig definiert, dass die beanspruchten Topographieeigenschaften nicht entlang einer Linie, sondern auf einer Fläche mit einer definierten Mindestgröße vorhanden sein müssen (Anspruch 1: "[...]für dessen Oberfläche auf einer mindestens 0,8 x 0,8 mm**(2) großen Grundfläche [...] gilt:"; Anspruch 6: "[...] wobei für die Walzenoberfläche der Walze auf einer mindestens 0,8 x 0,8 mm**(2) großen Grundfläche [...] gilt:").

Sowohl im Anhang zur Ladung zur mündlichen Verhandlung vom 24. August 2012 (vgl. Punkt 7) als auch im Anhang zur Ladung zur zweiten mündlichen Verhandlung vom 3. Mai 2018 (vgl. Punkt 2.1.1) hat die Einspruchsabteilung ihre Ansicht dargelegt, dass in D4 die Häufigkeitsverteilung der Höhenwerte entlang einer Linie ermittelt worden sei und damit nicht den Anforderungen von Anspruch 1 des Patents entspreche, wonach die Höhenverteilung über die gesamte Messfläche ermittelt werden müsse.

Insbesondere im Anhang zur Ladung zur zweiten mündlichen Verhandlung wies die Einspruchsabteilung zudem explizit in Bezug auf die in D4 beschriebenen Untersuchungsergebnisse darauf hin,

- dass eine Bestimmung der Häufigkeitsverteilung der Höhenwerte über die komplette Messfläche aufgrund der vorhandenen stochastischen Oberflächenstruktur zwingend nötig sei,

- dass für beide gezeigte Hauptmaxima keine näherungsweise normale Verteilung der Höhenwerte nach Merkmal 1b des Anspruchs 1 vorliege,

- dass zur flächigen Verteilung der Höhenwerte entsprechend Merkmal 1f des Anspruchs 1 keine Aussage gemacht werden könne.

Diese auch der angefochtenen Entscheidung zugrundeliegenden Hauptargumente in Bezug auf D4 (vgl. Punkt II.2.1 der Entscheidung) wurden der Beschwerdeführerin 1 daher schon im Ladungszusatz von der Einspruchsabteilung klar mitgeteilt und begründet.

Damit bestand für die Beschwerdeführerin 1 schon im Rahmen des Einspruchsverfahrens seit dem Jahr 2012 ein konkreter Anlass, ihr Vorbringen in Bezug auf die offenkundige Vorbenutzung nach D3 bzw. in Bezug auf den entsprechenden Prüfbericht D4 zu ergänzen.

Diese Möglichkeit wurde trotz des vorhandenen mehrmaligen Hinweises seitens der Einspruchsabteilung von der Beschwerdeführerin 1 nicht wahrgenommen.

4.2.2 Ferner kann es nicht überraschen, dass ein Anspruchswortlaut von einer Patentinhaberin und dementsprechend auch von einer Einspruchsabteilung seinem expliziten Wortlaut nach interpretiert wird und alle Merkmale eines Anspruchs im Rahmen einer Neuheitsdiskussion während einer mündlichen Verhandlung diskutiert werden.

Gerade auch in Bezug auf Merkmal 1f ist diesbezüglich keine überraschende Neuinterpretation seitens der Einspruchsabteilung feststellbar.

Im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung wurde die Neuheit von Anspruch 1 unter Berücksichtigung von D4 diskutiert. Die Patentinhaberin legte dazu völlig verfahrensüblich die einzelnen Unterscheidungsmerkmale dar (siehe Niederschrift über die mündliche Verhandlung, Seite 2, 6. Absatz).

Die Beschwerdeführerinnen verwiesen während der mündlichen Verhandlung in Bezug auf ihren Einwand zur mangelnden Neuheit lediglich auf ihr schriftliches Vorbringen (siehe Niederschrift, Seite 2, 5. Absatz), obgleich die Einspruchsabteilung, wie bereits im vorangehenden Punkt dargelegt, bereits im Anhang zur Ladung zur zweiten Verhandlung klarstellte, dass die Merkmale 1b und 1f nicht in D4 offenbart seien.

Weder ist aus der Niederschrift ableitbar, dass die Interpretation des Merkmals 1f somit überhaupt streitig war, noch dass die Einspruchsabteilung oder die Patentinhaberin der Ansicht gewesen seien, dass die gemäß Merkmal 1b zu verwendende Filterung der Topographiebereiche entgegen dem Wortlaut der Ansprüche 1 und 6 auch in Merkmal 1f zu berücksichtigen sei.

Auch ist nicht erkennbar, dass eine derartige, etwaig überraschende Neuinterpretation des Merkmals 1f der Begründung in Punkt II.2.1 der angefochtenen Entscheidung zu Grunde liegt.

Vielmehr begründet die Einspruchsabteilung die Neuheit in Bezug auf das in D4 untersuchte Blech in Übereinstimmung mit ihrer vorläufigen Meinung in Punkt II.2.1 damit,

- dass die Messergebnisse aus D4 nicht mit den Angaben in Anspruch 1 verglichen werden können, da keine Messung über die komplette Messfläche erfolgt sei (Seite 7, letzter Absatz, Sätze 1-3),

- dass für beide gezeigte Hauptmaxima keine näherungsweise normale Verteilung der Höhenwerte nach Merkmal 1b des Anspruchs 1 vorliege (Seite 8, erster Absatz, Satz 1),

- dass zur flächigen Verteilung der Höhenwerte entsprechend Merkmal 1f des Anspruchs 1 keine Aussage in D4 gemacht werden können, und dass gegebenenfalls anhand einer vermessenen Profillinie ermittelte Werte keinen Rückschluss auf die Verteilung über die komplette Fläche erlauben (Seite 7, letzter Absatz).

Die Begründung der Einspruchsabteilung als auch der Verfahrensverlauf während der mündlichen Verhandlung liefern daher keine Rechtfertigung dafür, erst im Beschwerdeverfahren neue Messungen durchzuführen und deren Messergebnisse einzureichen.

4.3 Nach den obigen Feststellungen kommt es für die Frage der Zulassung von D32 nicht auf dessen prima facie Relevanz an. Die Kammer stellt dennoch fest, dass D32 auch nicht prima facie relevant ist.

Zahlreiche Datenpunkte liegen bei dem in Abbildung 2a von D32 dargestellten Kurvenverlauf deutlich "innerhalb" oder auch "außerhalb" der eingezeichneten Normalverteilungen. Dies trifft auch für die aus der Überlagerung der beiden Normalverteilungen resultierende Summenkurve zu.

FORMEL/TABELLE/GRAPHIK

Die oben wiedergegebene Abbildung 2a von D32 zeigt zudem entgegen Merkmal 1a nur ein ausgeprägtes Maximum (bedingt durch die Berge). Es lässt sich zwar eine den Tälern entsprechende zweite Normalverteilung unter die Kurve legen, wobei die Fitkurve dann ein eigenes Maximum aufweist. Dies ändert aber nichts daran, dass die Häufigkeitsverteilung insgesamt (Summe Berg und Tal) keine zwei ausgeprägten Maxima aufweist.

Daher lässt D32 prima facie nicht erkennen, dass das in D32 untersuchte Blech Merkmal 1a von Anspruch 1 erfüllt.

4.4 Die eidesstattliche Erklärung D33 bestätigt lediglich, dass die in D32 untersuchte Probe aus dem gemäß D3 offenkundig vorbenutzten Blech stammt und damit das gleiche Blech betrifft wie D4. D33 ist folglich ebenfalls nicht weiter relevant und ändert nichts an den obigen Ausführungen in Bezug auf die fehlende Rechtfertigung für das verspätete Einreichen von D32.

4.5 Die Beschwerdekammer lässt daher D32 und D33 unter Ausübung ihres Ermessens nach Artikel 12 (4) VOBK 2007 nicht in das Beschwerdeverfahren zu.

5. Hauptantrag - Neuheit

5.1 Die Verfahrensbeteiligten sind sich darin einig, dass D3 eine offenkundige Vorbenutzung eines mit einer Pretex-Walze texturierten Kaltfeinbleches (D3: Produkt 24187/002) belegt, welches an die Firma Ets. Robert et Cie S.A.S. geliefert wurde.

D4 ist ein Prüfbericht zu einer Probe dieses Kaltfeinbleches 24187.

D4 verdeutlicht allerdings nicht eindeutig und zweifelsfrei, dass das untersuchte Blech alle Merkmale von Anspruch 1 erfüllt.

5.2 Es ist bereits fraglich, ob in D4 die Oberflächentopographie über die ganze Fläche analysiert wurde.

In Punkt 2 wird dazu in D4 folgendes angegeben:

"In das 3D-Topographiebild werden Profilschnitte gelegt, deren Daten sich hinsichtlich der Verteilung und der Absolutwerte charakteristischer Profilkenngrößen auswerten lassen."

Dementsprechend wird in Abbildung 4 die Lage der Profilschnitte illustriert und die Höhenprofile der einzelnen Schnittebenen angegeben. Auch in der folgenden Abbildung 5 von D4 wird lediglich eine Profilkurve entlang einer Schnittebene dargestellt.

Angaben dazu, ob und wie viele weiterer Profilschnitte vorgenommen wurden, sowie ob und wie deren Höhenprofile gegebenenfalls ausgewertet wurden, finden sich in D4 nicht.

Dadurch unterscheidet sich D4 auch von der technischen Lehre des Patents. Im Patent werden zwar einzelne Aspekte auch anhand von Profilschnitten illustriert, siehe beispielsweise die "Prinzip-Skizze" in Abbildung 3 oder auch in Abbildung 8b. Allerdings verdeutlicht das Patent zweifelsfrei, dass es sich bei der "Prinzip-Skizze" lediglich um ein "Anschauungsbeispiel" handelt, siehe Absatz [0049], welches nicht ein Beispiel für die Messung über die ganze Messfläche darstellen soll.

Auch die weitere Beschreibung von D4 belegt nicht, dass in D4 die Oberflächentopographie über die ganze Fläche ermittelt wurde.

Dies gilt insbesondere auch für die Beschreibung zu Abbildung 6 von D4 (direkt oberhalb der Figur):

"Um eine statistisch gesicherte Aussage über die Profilhöhenverteilung der Probe Nr. 24187 treffen zu können, wurde zusätzlich zur Betrachtung der einzelnen 2D Profilschnitte auch die Häufigkeitsverteilung der Profilhöhenwerte für die gesamte Messfläche berechnet. Diese ist in Abbildung 6 dargestellt und basiert auf allen im 1.5 x 1.5mm2 großen Messfeld ermittelten Höhenwerten."

Gemäß diesem Wortlaut wurden die Profilhöhenwerte für die gesamte Messfläche "berechnet". Aus einer Angabe, wonach die Profilhöhenwerte berechnet wurden, kann nicht unmittelbar und eindeutig abgeleitet werden, dass die gesamte Messfläche analysiert wurde. Es mag möglich oder gar wahrscheinlich sein, dass die explizite Angabe einer Berechnung nur die Bereinigung einer Schieflage der Topographie, eine Ausfilterung von Hochfrequenzanteilen oder die Berechnung der Standardabweichung betrifft. Für eine derartige Interpretation der Offenbarung in D4 fehlt allerdings jeglicher Hinweis in D4.

Ein Fachmann mag sich zudem der Tatsache bewusst sein, dass eine Berechnung der Profilhöhenverteilung über eine Fläche bei stochastischen Oberflächenstrukturen nicht sinnvoll ist. Im Umkehrschluss kann daraus allerdings nicht gefolgert werden, dass in dem von der Beschwerdeführerin vorgelegten Prüfbericht D4 zwangsläufig eine Analyse der gesamten Oberfläche erfolgt sein muss. Ein Nachweis, der dies belegen würde, wurde von der Beschwerdeführerin nicht erbracht. Eine Zwangsläufigkeit ergibt sich auch nicht direkt und unmittelbar aus den konkreten Angaben in D4.

Es wurde daher von der Beschwerdeführerin nicht belegt, dass die in D4 beschriebenen Testergebnisse mit den Anforderungen in Anspruch 1 verglichen werden können.

5.3 Selbst wenn man um des Arguments willen davon ausgehen würde, dass Abbildung 6 von D4 eine Profilhöhenverteilung zeigt, die über die ganze Messfläche bestimmt wurde, so belegt D4 nicht, dass das darin untersuchte Blech die Merkmale 1b und 1f von Anspruch 1 erfüllt.

5.3.1 Abbildung 6 von D4 zeigt zwar eine Profilhöhenverteilung mit zwei Maxima.

FORMEL/TABELLE/GRAPHIK

Allerdings zeigen diese Maxima nicht das in der Merkmalsgruppe 1b geforderte Merkmal "näherungsweise normal verteilt".

Vielmehr weist die Verteilung im Bereich der Täler in dem Bereich von -7 µm bis -2 µm eine breite "Schulter" auf, die bei der Überlagerung zweier normalverteilter Hauptmaxima gerade nicht auftritt.

Auch wenn der in Anspruch 1 verwendete Begriff "näherungsweise" eine gewisse Unschärfe bedingt und der Ausdruck "näherungsweise normal verteilt" keine klar definierte Bedeutung aufweist, so impliziert der Begriff für einen Fachmann nichtsdestotrotz, dass die zu erwartenden Kurven einer Normalverteilung ähneln.

Dies ist aufgrund der Schulter im Bereich von -7 µm bis -2 µm nicht der Fall.

5.3.2 Weiterhin offenbart D4 nicht das Merkmal 1f, wonach in einer Ebene, die genau mittig zwischen Berg- und Tal-Niveau liegt, die halbe Breite der Täler bzw. Berge höchstens 100 mym beträgt, wobei mindestens 99,99 % der Topografie-Messpunkte einen minimalen Abstand zum Rand der Täler bzw. Berge besitzen, der diese Bedingung erfüllt.

D4 postuliert zwar auf Seite 8 in dem Absatz oberhalb von Abbildung 5, dass "die Bedingung aus Anspruch 1.f) erfüllt" sei. D4 offenbart allerdings nicht, wie diese Schlussfolgerung erzielt wurde. Insbesondere gibt D4 keinen konkreten Wert an, der für die halbe Breite der Täler bzw. Berge ermittelt worden sein soll.

Eine bloße Behauptung in D4, wonach die Bedingung 1f von Anspruch 1 erfüllt sein soll, stellt keinen ausreichenden Nachweis dar, dass dieses Merkmal 1f erfüllt wird.

Dieser Nachweis ergibt sich auch nicht direkt und unmittelbar aus den übrigen Angaben in D4.

Eine Ermittlung der halben Breite der Täler bzw. Berge mag anhand der in Abbildung 5 dargestellten Profilkurve entlang einer Schnittebene möglich sein. Ein Abstand zum Rand der Täler bzw. Berge, der aus einer einzigen Profilkurve abgelesen werden könnte, erlaubt allerdings keinen Rückschluss darauf, ob wie von Anspruch 1 gefordert mindestens 99,99 % der Topografie-Messpunkte den gleichen minimalen Abstand zum Rand der Täler bzw. Berge besitzen.

5.4 Die Argumentation der Beschwerdeführerinnen lässt daher nicht unmittelbar und eindeutig erkennen, dass das in D4 untersuchte Blech die Merkmale von Anspruch 1 erfüllt.

5.5 Die gleichen Argumente gelten in Übereinstimmung mit dem Vorbringen der Verfahrensbeteiligten auch für den Gegenstand der Ansprüche 6 und 7.

5.6 Der Gegenstand der Ansprüche gemäß Hauptantrag ist daher neu.

6. Erfinderische Tätigkeit

6.1 D1 als Ausgangspunkt

D1 beschreibt ein Flachprodukt, dessen Oberfläche mittels des Pretex-Verfahrens (Beschichtung der Arbeitswalzen in einem geschlossenen Reaktorsystem mit Topocrom) mit stochastisch verteilten Kalotten versehen ist, um einerseits Schmiertaschen für eine gute Umformbarkeit und andererseits eine gute Lackhaftung und geringe längerwellige, einen Orangenhauteffekt verursachende Strukturanteile bereit zu stellen, siehe rechte Spalte auf Seite 79 der D1.

D1 macht keine Angaben zur Oberflächentopographie des mittels einem Pretex-Verfahren behandelten Blechs.

Der Gegenstand von Anspruch 1 unterscheidet sich von einem Blech nach D1 daher dadurch, dass die Oberfläche die Merkmale 1a bis 1f erfüllt.

Zwar ist die in Anspruch 1 angegebene Größe der Messfläche im Vergleich zur Gesamtfläche des Blechs klein. Allerdings wird aufgrund des großen Aufwands zur Untersuchung derartiger Oberflächeneigenschaften in fachüblicher Weise nur eine kleine Prüffläche untersucht. Diese muss nur groß genug sein, um eine statisch signifikante Aussage über die Gesamtfläche zu ermöglichen. Die in Anspruch 1 angegebene Fläche gibt hier insoweit einen Hinweis dafür, welche Flächengröße erforderlich ist.

Es ist für den Fachmann klar, dass die untersuchte Messfläche stellvertretend für das ganze Blech untersucht wird. Ein fehlender technischer Effekt lässt sich aus der Größe der Messfläche nicht ableiten.

Aus den in den Punkten a) bis f) des Anspruchs 1 definierten Bedingungen ergibt sich eine feingliedrige Struktur mit Bergen und Tälern auf jeweils weitgehend demselben Niveau (siehe Merkmal 1b).

Gemäß Absatz [0073] des Patents ist der vorteilhafte Effekt, auf die Behebung von Umformproblemen insbesondere in der möglichst einheitlichen (und auch geringen) Tiefe der Täler zu suchen.

Die in Anspruch 1 definierten Bedingungen sind mithin nicht bedeutungslos und auch nicht ohne technische Wirkung und definieren daher nicht lediglich eine bloße "design choice".

Ausgehend von D1 kann die objektive technische Aufgabe in Anlehnung an die Lehre im Patent daher darin gesehen werden, ein Flachprodukt zu schaffen, welches bei guten Umformeigenschaften auch bei niedrigeren Lackschichten, d. h. selbst bei Verzicht auf eine Füller-Beschichtung, im fertig lackierten Zustand ein hervorragendes Erscheinungsbild aufweist (siehe Absätze [0013], [0024], [0061] und [0073] des Patents).

D1 selbst macht keine detaillierten Angaben zur Oberflächenstruktur und legt daher eine durch die Merkmale 1a bis 1f definierte Oberflächentopographie auch nicht als solches nahe. Diese ergibt sich ausgehend von D1 auch nicht ohne weiteres im Rahmen der experimentellen Routine des Fachmanns. Die durch das in D1 beschriebene Pretex-Verfahren eingeformten Kalotten weisen keine flache Struktur auf, sondern eine weitgehend kugelförmige (vgl. Seite 79, linke Spalte, 4. Absatz). Daraus folgt, dass die Vertiefungen nicht weitgehend auf einem Niveau liegen. Um eine von Merkmal 1b bedingte Struktur mit Bergen und Tälern auf jeweils weitgehend demselben Niveau zu erhalten, müsste daher eine Änderung der für das Pretex-Verfahren charakteristischen Kalottenform vorgenommen werden. Dies ist ohne weiteren Anreiz dazu ausgehend von D1 nicht naheliegend.

Auch kein von den Beteiligten zusätzlich vorgebrachter Stand der Technik (und insbesondere nicht D4 oder D10) liefern eine Motivation, eine Oberflächenstruktur gemäß Anspruch 1 zur Lösung der genannten technischen Aufgabe bereitzustellen.

D10 betrifft ein Blech mit deterministischer Oberflächenstruktur, also ein Blech mit fundamental anderen Oberflächeneigenschaften. Ohne konkreten Anreiz besteht ausgehend von einem Blech mit stochastischer Oberflächenstruktur keine Veranlassung dafür, ein Dokument zu konsultieren, das ein Blech mit deterministischer Oberflächenstruktur adressiert.

Selbst wenn ein Fachmann D10 in Betracht ziehen würde, findet sich in D10 kein Hinweis darauf, dass ein Pretex-Verfahren so gesteuert werden sollte, dass die Oberflächentopologie die gleichen Parameter aufweist, wie die deterministische Oberfläche von D10.

Dies ergibt sich auch nicht unmittelbar aus dem Fachwissen oder im Rahmen der experimentellen Routine. Eine stochastische Oberfläche und eine deterministische Oberfläche weisen schließlich unterschiedliche Oberflächenstrukturen und -eigenschaften auf. Beim Wechsel zwischen diesen beiden Oberflächentypologien ist also ein Wechsel der Oberflächeneigenschaften gerade gewünscht und dementsprechend auch eine Änderung der Werte der die Oberfläche charakterisierenden Parameter.

Dies gilt unabhängig davon, ob ein Fachmann auf der Suche nach einer Lösung für die oben genannte objektive Aufgabe ist oder ob er, wie von den Beschwerdeführerinnen argumentiert, lediglich auf der Suche nach einer Alternative ist.

6.2 D4 als Ausgangspunkt

Der Prüfbericht D4 dient dazu, die Oberflächeneigenschaften des vorbenutzten Blechs von D3 zu belegen. D3 belegt zwar, dass ein mittels eines Pretex-Verfahrens hergestelltes Blech mit den in D4 beschriebenen Eigenschaften öffentlich zugänglich war. Ein Anreiz dafür, die Oberflächentopographie in eine bestimmte Richtung zu ändern, ergibt sich allerdings weder aus der Lieferung des Blechs gemäß D3 als solches noch gegebenenfalls aus der Analyse seiner Oberflächeneigenschaften wie sie im Prüfbericht D4 beschrieben werden.

In Bezug auf D4 (in Kombination mit D3) gilt daher im Wesentlichen die gleiche Argumentation wie in Bezug auf D1.

6.3 D10 als Ausgangspunkt

6.3.1 D10 zielt wie das Patent darauf ab, ein Stahlblech mit guter Umformbarkeit und guten Lackiereigenschaften bereitzustellen, siehe D10, Spalte 1, Zeilen 7 bis 10.

D10 offenbart in Anspruch 1 ein Stahlblech, dessen Oberfläche zu mindestens 30% Vertiefungen aufweist, die als Öldepot dienen und gleichmäßig über die Oberfläche verteilt sind.

Auch wenn Anspruch 1 von D10 nicht explizit deterministische Oberflächenstrukturen nennt, wird aus den entsprechenden Ausführungsbeispielen in Bezug auf die Abbildungen 2, 4, 8 und 9 der D10 deutlich, dass D10 auf ein Blech mit sich wiederholenden Strukturmerkmalen auf der Oberfläche abzielt.

Daher ist D10 auf ein Flachprodukt und eine Walze mit deterministischer Oberflächenstruktur gerichtet.

Das Patent ist im Gegensatz dazu auf ein Flachprodukt und eine Walze mit jeweils stochastischer Oberflächenstruktur gerichtet.

6.3.2 Im Gebiet der Blechumformung haben die verwendeten Begriffe "stochastisch" und "deterministisch" jeweils eine allgemein anerkannte, technische Bedeutung, vgl. T 1052/13, Punkt 2.4 der Entscheidungsgründe. In der Praxis lassen sich die mit konventionellem Texturieren erzeugten Oberflächenstrukturen je nach der Verteilung ihrer Strukturmerkmale in deterministische, stochastische und quasi- bzw. pseudostochastische Oberflächenstrukturen gliedern (siehe z. B. D21, Bilder 36 bis 41; D22, Bild 1-6 auf Seite 77).

Anders als von der Beschwerdeführerin 4 vorgetragen, hat der Begriff "stochastisch" auf dem Gebiet der Oberflächentopographie also eine technische Bedeutung. Die in G 3/08 entwickelten Prinzipien zu den Patentierbarkeitskriterien für Computerprogramme sind daher für den vorliegenden Fall nicht maßgeblich.

6.3.3 Die Lehre in D10 entspricht der in den Absätzen [0009] und [0010] des Patents beschriebenen Offenbarung des Stands der Technik zu Blechen mit deterministischen Oberflächenstrukturen.

6.3.4 Gemäß den Absätzen [0012] und [0013] zielt das Patent ausgehend davon darauf ab, ein Flachprodukt zu schaffen, welches bei guten Umformeigenschaften auch bei niedrigeren Lackschichten, d. h. selbst bei Verzicht auf eine Füller-Beschichtung, im fertig lackierten Zustand ein hervorragendes Erscheinungsbild aufweist.

6.3.5 Die für eine gute Umformbarkeit erforderliche Ölretention ist maßgeblich durch die Anordnung der Oberflächenstrukturen beeinflusst und verändert die Reibung. Eine stochastische Oberfläche verhält sich dabei anders als eine deterministische Oberfläche, da bei einer stochastischen Verteilung die Gefahr von längeren durchgehenden Bereichen ohne Schmierwirkung deutlich verringert ist.

Daher wird das zugrundeliegende Problem in nachvollziehbarer Art und Weise durch die stochastische, feingliedrige Oberflächenstruktur (Verteilung von Tälern und Bergen gemäß Anspruch 1) gelöst.

6.3.6 Ausgehend von D10 besteht keinerlei Veranlassung zur Lösung der zugrundeliegenden Aufgabe ein EDT-Verfahren anstelle des in D10 beschriebenen mikrolithographischen Verfahrens zur Texturierung der Dressierwalzen anzuwenden (vgl. D10, Spalte 6, Zeilen 13 bis 33). Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass der Fachmann gemäß T 1052/13, Punkte 8.4.4.-8.4.5 der Entscheidungsgründe, Kenntnisse über das EDT-Verfahren selbst (wie z. B. Kenntnisse über EDT-Maschinen und deren wichtigste Betriebsparameter, sowie Feinschleifprozesse) besitzt.

D10 liefert noch nicht einmal einen Anreiz, ein alternatives Verfahren einzusetzen, das in Analogie zu dem in D10 beschriebenen mikrolithographischen Verfahren eine alternative deterministische Oberfläche erzeugt. Daher ist kein Grund erkennbar, warum ein Fachmann ausgehend von D10 gerade ein Verfahren einsetzen würde, das eine völlig andere Oberflächentopographie erzeugen würde als das in D10 vorgeschlagene Verfahren.

6.3.7 Dazu liefert auch D21 keinen Anreiz. Die Tabelle auf Seite 58 von D21 fasst die Eigenschaften von unterschiedlichen Dressierverfahren zusammen und spiegelt daher das allgemeine Fachwissen zu den Vor- und Nachteilen gängiger Dressierverfahren wider.

Allerdings liefert D21 keinen Hinweis darauf, dass mit einer stochastischen Oberflächenstruktur mit der in Anspruch 1 definierten Täler/Bergeverteilung eine Reduzierung der Farbschichtdicke bzw. ein Verzicht auf eine Füller-Beschichtung ermöglicht werden kann. Auch gibt D21 keinen Hinweis darauf, dass zur Lösung des zugrundeliegenden Problems ein EDT-Verfahren anstelle des in D10 beschriebenen mikrolithographischen Verfahrens eingesetzt werden kann.

Dieser Anreiz ist insbesondere nicht daraus ableitbare, dass sowohl in D10 in Bezug auf die deterministische Oberflächenstruktur als auch in D21 in Bezug auch stochastische Oberflächen das Wort "gleichmäßig" zum Einsatz gelangt.

Auch wenn in D10 eine gleichmäßige Verteilung von Öldepots ("oil pools") in Anspruch 1 adressiert wird und in Kapitel 4.3.1.2 auf Seite 54 von D21 davon die Rede ist, dass mittels dem EDT-Verfahren eine gleichmäßige Verteilung der gebirgsähnlich ineinander übergehenden Gestaltsmerkmale erzielt werden soll, kann alleinig aus der jeweiligen Verwendung des Begriffs "gleichmäßig" nicht abgeleitet werden, dass die Öldepotwirkung einer in D10 vorgesehene Oberfläche mit gleichmäßig verteilten Öldepots durch eine mittels EDT hergestellte gleichmäßige stochastische Oberfläche vorteilhaft ersetzt werden kann.

Der allgemeinen Lehre der D21 kann kein Anreiz entnommen werden, die Dressierwalze der D10 gerade gemäß den Anforderungen nach Anspruch 6 auszubilden, um ein Flachprodukt nach Anspruch 1 herzustellen. Insbesondere ist kein Grund dafür erkennbar, warum ein Fachmann ausgehend von D10 einerseits ein völlig anderen Verfahren der Oberflächentexturierung wie beispielsweise das EDT-Verfahren zur Erzielung der dafür in D21 beschriebenen Vorteile einsetzten sollte, aber andererseits nichtsdestotrotz darauf achten sollte, die aus D10 für eine deterministische Oberfläche ableitbaren Oberflächencharakteristiken gemäß den Merkmalen 1a bis 1f des Anspruchs 1 des Hauptantrags beizubehalten.

6.3.8 Zudem ist das EDT-Verfahren nicht ohne weiteres alternativ zu dem in D10 beschriebenen mikrolithographischen Verfahren einsetzbar, denn während des EDT-Verfahrens können sich aufgrund von aufgeschmolzenem Material und aufgrund von überlappenden Funkenentladungen unterschiedliche Berghöhen auf der Walzenoberfläche ergeben, was zu unterschiedlichen Tiefen der Täler führt (siehe Absätze [0030], [0031] des Patents).

Es mag möglich sein, diese unbeabsichtigten Nebeneffekte wieder zu beheben, beispielsweise durch Feinschleifen. D10 und D21 enthalten jedoch keinen Hinweis auf eine derartige Vorgehensweise und liefern auch keinen Anreiz diesbezüglich weiteren Stand der Technik, wie beispielsweise D25 und D26 zu suchen oder zu konsultieren.

6.4 Der Gegenstand des Anspruchs 1 ist daher unabhängig vom gewählten Ausgangspunkt nicht naheliegend.

Dies gilt dementsprechend und in Übereinstimmung mit dem Vorbringen der Verfahrensbeteiligten auch für die Walze gemäß Anspruch 6 und das entsprechende Verfahren nach Anspruch 7.

7. Antrag auf Vorlage einer Frage an die Große Beschwerdekammer

7.1 Die Beschwerdeführerin 1 beantragt die Vorlage der folgenden Frage an die Große Beschwerdekammer.

"Ist eine im Rahmen einer Beschwerdeinstanz festgestellte Zulässigkeit eines nach einem geänderten Hilfsantrag nach Artikel 123(2) in Bezug auf eine Verletzung des Artikels 123(3) in nachgeschalteten Verfahren überprüfbar, insbesondere wenn die als nach Artikel 123(2) zulässig angesehene Änderung einer Entscheidung der großen Beschwerdekammer in Bezug auf Änderungen nach der Patenterteilung widerspricht (Gl/10 vom 27.07.2012)?" (zweite Frage in Punkt A der Beschwerdebegründung der Beschwerdeführerin 1).

7.2 Wie die obigen Ausführungen in Punkt 2 zur Zulassung des verspätet vorgebrachten Einwands unter Artikel 123 (3) EPÜ erkennen lassen, hält es die Kammer für möglich, die Erfordernisse des Artikels 123 (3) EPÜ zu überprüfen, auch wenn in einem vorangegangenen Beschwerdeverfahren die Zulässigkeit einer Änderung in Bezug auf die Erfordernisse von Artikel 123 (2) EPÜ bereits bestätigt wurde. Denn bei Artikel 123 (2) und 123 (3) EPÜ handelt es sich um unterschiedliche Erfordernisse des EPÜ. Insofern ist die Frage hier positiv - im Sinne der Beschwerdeführerin 1 - zu beantworten, auch wenn ein Widerspruch zu G1/10 nicht besteht (s. Punkt 2.3).

Die Antwort auf die Frage der Beschwerdeführerin ergibt sich daher in zweifelsfreier Weise aus dem EPÜ. Eine Vorlage an die Große Beschwerdekammer erübrigt sich somit.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die Beschwerden werden zurückgewiesen.

2. Der Antrag der Beschwerdeführerin 1 auf Vorlage der in Punkt A der Beschwerdebegründung formulierten zweiten Frage an die Große Beschwerdekammer wird zurückgewiesen.

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