T 1263/19 () of 29.4.2022

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2022:T126319.20220429
Datum der Entscheidung: 29 April 2022
Aktenzeichen: T 1263/19
Anmeldenummer: 06014748.5
IPC-Klasse: G07F 17/32
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Verfahren zum Betreiben eines geldbetätigten Unterhaltungsgerätes
Name des Anmelders: Novomatic AG
Name des Einsprechenden: -
Kammer: 3.4.03
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
Rules of procedure of the Boards of Appeal Art 12(4)
Rules of procedure of the Boards of Appeal 2020 Art 013(2)
European Patent Convention Art 52(1)
European Patent Convention 1973 Art 56
European Patent Convention 1973 Art 111(1)
Schlagwörter: Zulassung eines erstmalig mit der Beschwerdebegründung vorgebrachten Antrags (nein)
Änderung nach Ladung - außergewöhnliche Umstände (nein)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
T 1212/08
T 1768/11
T 0419/12
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerde richtet sich gegen die Entscheidung der Prüfungsabteilung, die europäische Patentanmeldung Nr. 06 014 748 zurückzuweisen, da der beanspruchte Gegenstand gemäß damaligem Hauptantrag und Hilfsantrag 1 keine erfinderische Tätigkeit gemäß Artikel 52 (1) EPÜ in Kombination mit Artikel 56 EPÜ 1973 aufweise.

II. In der mündlichen Verhandlung vor der Kammer beantragte die Beschwerdeführerin (Anmelderin) abschließend, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und ein Patent auf Grundlage der Ansprüche gemäß Hauptantrag oder Hilfsantrag 1, beide eingereicht mit der Beschwerdebegründung vom 15. April 2019, oder gemäß Hilfsantrag 2, gestellt in der mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer und eingereicht mit Schriftsatz vom 10. September 2018 als Hilfsantrag 1 und der angefochtenen Entscheidung als Hilfsantrag 1 zugrunde liegend, zu erteilen.

III. Der unabhängige Anspruch 1 des Hauptantrags lautet wie folgt:

"Verfahren zum Betreiben eines geldbetätigten Unterhaltungsgerätes mit einer rechnergesteuerten Steuereinheit, einer Spieleinrichtung (1), einer Punkteanzeige (25) und einer Guthabenanzeige (9), dadurch gekennzeichnet, dass bei einem Guthaben in der Guthabenanzeige (9) über eine Extra-Spieleinrichtung (26) innerhalb einer vorgegebenen Mindestspieldauer fortlaufend ein bestimmter Geldbetrag aus der Guthabenanzeige (9) in einen bestimmten Punktegewinn umgewandelt sowie in der Punkteanzeige (25) aufaddiert und von der Punkteanzeige (25) eine bestimmte Punktezahl als Einsatz für ein Spiel in der Spieleinrichtung (1) abgebucht wird, wobei die Transformation des bestimmten Geldbetrages aus dem Guthaben der Guthabenanzeige in den bestimmten Punktegewinn fortlaufend jeweils innerhalb der vorgegebenen Mindestspieldauer ohne Zeitverzug solange erfolgt, bis das Guthaben aufgebraucht ist, und wobei bei einem Punkteguthaben in der Punkteanzeige (25) nach Betätigung einer Taste (28), die zum Auslösen eines Transferwechsels der Extra-Spieleinrichtung (26) ausgebildet ist, über die Extra-Spieleinrichtung (26), die zum bidirektionalen Umwandeln von Geldbeträgen in Punktegewinne und von Punkten in Geldbeträge ausgebildet ist, eine bestimmte Punkteanzahl in einen bestimmten Geldbetrag umgewandelt und dieser in der Guthabenanzeige (9) aufaddiert wird und während einer Umwandlung einer bestimmten Punkteanzahl von der Punkteanzeige (25) in einen bestimmten Geldbetrag in die Guthabenanzeige (9) das Basisspiel in der Spieleinrichtung (1) oder das Risikospiel in einer Risiko-Spieleinrichtung (15, 16) weiter läuft."

Der unabhängige Anspruch 3 des Hauptantrags lautet wie folgt:

"Verfahren zum Betreiben eines geldbetätigten Unterhaltungsgerätes mit einer rechnergesteuerten Steuereinheit, einer Spieleinrichtung (1), einer Punkteanzeige (25) und einer Guthabenanzeige (9), dadurch gekennzeichnet, dass bei einem Guthaben in der Guthabenanzeige (9) über eine Ausspieleinrichtung (27) mit einer möglichst nahe an 100% liegenden Trefferquote innerhalb einer vorgegebenen Mindestspieldauer fortlaufend ein bestimmter Geldbetrag aus der Guthabenanzeige (9) in einen bestimmten Punktegewinn umgewandelt sowie in der Punkteanzeige (25) aufaddiert und von der Punkteanzeige (25) eine bestimmte Punktezahl als Einsatz für ein Spiel in der Spieleinrichtung (1) abgebucht wird, wobei die Transformation des bestimmten Geldbetrages aus dem Guthaben der Guthabenanzeige in den bestimmten Punktegewinn fortlaufend jeweils innerhalb der vorgegebenen Mindestspieldauer ohne Zeitverzug solange erfolgt, bis das Guthaben aufgebraucht ist, und wobei bei einem Punkteguthaben in der Punkteanzeige (25) nach Betätigung einer Taste (28), die zum Auslösen eines Transferwechsels der Ausspieleinrichtung (27) ausgebildet ist, über die Ausspieleinrichtung (27), die zum bidirektionalen Umwandeln von Geldbeträgen in Punktegewinne und von Punkten in Geldbeträge ausgebildet ist, eine bestimmte Punkteanzahl in einen bestimmten Geldbetrag umgewandelt und dieser in der Guthabenanzeige (9) aufaddiert wird und während einer Umwandlung einer bestimmten Punkteanzahl von der Punkteanzeige (25) in einen bestimmten Geldbetrag in die Guthabenanzeige (9) das Basisspiel in der Spieleinrichtung (1) oder das Risikospiel in einer Risiko-Spieleinrichtung (15, 16) weiter läuft."

IV. Die für die Entscheidung wesentlichen Argumente der Beschwerdeführerin werden wie folgt zusammengefasst:

Der Hauptantrag sei in das Verfahren zuzulassen, da der jetzige Vertreter die Angelegenheit erst nach Einreichung der Beschwerde übernommen habe, und eine Reaktion auf die Entscheidung möglich sein solle. Das neu aufgenommene Merkmal sei konvergierend und in der Sache nicht kompliziert, sondern einfach verständlich. Der Antrag solle aus Fairness der Beschwerdeführerin gegenüber berücksichtigt werden. Es solle möglich sein, auf die Verfahrensentwicklung zu reagieren und ein aufgeworfenes Problem behandeln zu können. Auch habe der Vertreter den Eindruck, dass hier wegen der derzeit gültigen neuen Verfahrensordnung, obwohl für die Zulassung des Hauptantrags die alte Verfahrensordnung gelte, ein strengerer Maßstab als früher angewandt werde. Dies widerspreche dem gebotenen Vertrauensschutz.

Gleiches gelte für die Zulassung des Hilfsantrags 1.

Der Hilfsantrag 2 solle berücksichtigt werden, da er identisch zu dem der Entscheidung zugrunde liegenden Hilfsantrag 1 sei, sodass dieser eine Überprüfung der erstinstanzlichen Entscheidung ermögliche.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Zulassung des Hauptantrags in das Verfahren (Artikel 12 (4) VOBK 2007)

2.1 Anspruch 1 des Hauptantrags wurde erstmalig mit der Beschwerdebegründung vorgelegt und gegenüber dem der angefochtenen Entscheidung zugrunde liegenden Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 durch Hinzunahme der unterstrichenen Merkmale (Unterstreichen durch die Kammer) geändert:

"wobei bei einem Punkteguthaben in der Punkteanzeige (25) nach Betätigung einer Taste (28), die zum Auslösen eines Transferwechsels der Extra-Spieleinrichtung (26) ausgebildet ist, über die Extra-Spieleinrichtung (26), die zum bidirektionalen Umwandeln von Geldbeträgen in Punktegewinne und von Punkten in Geldbeträge ausgebildet ist, eine bestimmte Punkteanzahl in einen bestimmten Geldbetrag umgewandelt und dieser in der Guthabenanzeige (9) aufaddiert wird"

Die unabhängigen Ansprüche 3 und 12 wurden in gleicher Weise entsprechend geändert, um das "bidirektionale Umwandeln" der Geldbeträge in Punkte und umgekehrt im Anspruchswortlaut aufzunehmen.

Basis für diese Änderung ist in der Beschreibung (ursprüngliche Beschreibung, Seite 5, letzter Absatz) gegeben.

2.2 Dieser geänderte Hauptantrag wurde erstmals mit der Beschwerdebegründung vorgelegt; die Kammer hat daher gemäß Artikel 12 (4) VOBK 2007, welcher hier gemäß Artikel 25 (2) VOBK 2020 anzuwenden ist, ein Ermessen, diesen Antrag nicht in das Verfahren zuzulassen, wenn er bereits im erstinstanzlichen Verfahren hätte vorgebracht werden können und sollen (Rechtsprechung der Beschwerdekammern des EPA, 9. Aufl. 2019, Abschnitt V.A.4.1.2). Auch besteht keine Verpflichtung, diesen erstmalig mit der Beschwerdebegründung eingereichten Antrag zuzulassen, wenn sich hieraus ein neuer Fall ergibt (Rechtsprechung der Beschwerdekammern des EPA, 9. Aufl. 2019, Abschnitt V.A.4.2.2).

2.3 Im vorliegenden Fall wurde der Einwand mangelnder erfinderischer Tätigkeit im Prüfungsverfahren erstmals im erweiterten europäischen Recherchenbericht erhoben und in drei Prüfungsbescheiden sowie in der Ladung zur mündlichen Verhandlung vor der Prüfungsabteilung wiederholt und weiter ausgeführt. Die Ansprüche 4 und 5 des der angefochtenen Entscheidung zugrunde liegenden Hauptantrags wurden in Antwort auf den zweiten Bescheid der Prüfungsabteilung eingereicht und die Ansprüche des der angefochtenen Entscheidung zugrunde liegenden Hilfsantrags 1 in Antwort auf die Ladung zur mündlichen Verhandlung vor der Prüfungsabteilung.

2.4 Die der angefochtenen Entscheidung zugrunde liegenden Anträge (Haupt- und Hilfsantrag 1) wurden in der mündlichen Verhandlung vor der Prüfungsabteilung bezüglich erfinderischer Tätigkeit diskutiert. Hierbei ergaben sich offensichtlich inhaltlich keine neuen Sachverhalte gegenüber der Ladung zur mündlichen Verhandlung, da die Argumentation zur erfinderischen Tätigkeit in der Entscheidung mit derjenigen in der Ladung zur mündlichen Verhandlung im Wesentlichen identisch ist. Alle Tatsachen, Gründe und Argumente, auf welche sich die Entscheidung der Prüfungsabteilung stützt, waren folglich der Beschwerdeführerin bereits vor der mündlichen Verhandlung vor der Prüfungsabteilung bekannt. Offensichtlich wurden sie in der mündlichen Verhandlung lediglich wiederholt. Ein neuer oder überraschender Sachverhalt ist in der Entscheidung der Prüfungsabteilung gegenüber der Sachlage zum Zeitpunkt der Ladung zur mündlichen Verhandlung vor der Prüfungsabteilung nicht erkennbar. Folglich kann der mit der Beschwerdebegründung eingereichte Hauptantrag keine Reaktion auf in der mündlichen Verhandlung oder der Entscheidung erstmalig vorgetragene Tatsachen, Gründe, Sachverhalte oder Argumente sein. Hierzu konnte die Beschwerdeführerin auch keine überzeugenden Gründe vortragen.

2.5 Des Weiteren ist die Kammer der Auffassung, dass die Beschwerdeführerin spätestens als Antwort auf die Ladung zur mündlichen Verhandlung, allerspätestens jedoch während der mündlichen Verhandlung vor der Prüfungsabteilung auf die ihr bekannten Tatsachen, Gründe und Argumente zur mangelnden erfinderischen Tätigkeit mit einer Änderung gemäß dem jetzigen Hauptantrag reagieren hätte können und sollen. Die Beschwerdeführerin konnte nicht überzeugend darlegen, warum sie den nun vorliegenden Hauptantrag mit der Aufnahme eines nun angeblich erfindungswesentlichen Merkmals (Beschwerdebegründung, Seite 4, dritter und vierter Absatz) nicht bereits im Laufe des Prüfungsverfahrens trotz des damaligen regen Schriftwechsels (siehe Punkt 2.2 oben), allerspätestens jedoch in der mündlichen Verhandlung vor der Prüfungsabteilung, eingereicht hat.

2.6 Folglich stellt nach Ansicht der Kammer der nun im Beschwerdeverfahren erstmalig eingereichte Hauptantrag keine legitime Reaktion auf die Entscheidung der Prüfungsabteilung dar. Er hätte bereits im erstinstanzlichen Verfahren vorgebracht werden können und sollen.

2.7 Weiter erschwerend kommt hinzu, dass das neu aufgenommene Merkmal des "bidirektionalen Umwandeln[s]" der Beschreibung entnommen wurde. Dieses neue Merkmal hat seine Basis nur in der Beschreibung und findet keine Äquivalenz in den von der Prüfungsabteilung abschließend gewürdigten Ansprüchen. Somit stellt der Hauptantrag nicht nur einen "neuen Fall" dar, sondern müsste überdies möglicherweise nachrecherchiert werden.

2.8 Würde die Kammer diesen nun erstmalig vorgelegten Hauptantrag in das Verfahren zulassen, so müsste sie gemäß Artikel 111 (1) EPÜ 1973 den dort definierten Gegenstand entweder erstmalig im Beschwerdeverfahren prüfen oder die Angelegenheit zur weiteren Entscheidung an die erste Instanz zurückverweisen. Keine dieser beiden prozessualen Optionen ist nach Meinung der Kammer aus den nachfolgenden Gründen adäquat und akzeptabel.

2.9 Nach gängiger Rechtssprechung der Beschwerdekammern ist das Beschwerdeverfahren ein vom erstinstanzlichen Verfahren vollständig unabhängiges, eigenständiges Verfahren, es ist insbesondere keine Fortsetzung des Prüfungsverfahrens (Rechtsprechung der Beschwerdekammern des EPA, 9. Aufl. 2019, Abschnitte V.A.4.2.2 und 4.11.4 b), 5. Absatz).

Dies wurde unter anderem auch in den von der Beschwerdeführerin zitierten Entscheidungen angemerkt (T 1768/11, Entscheidungsgründe, Punkt 3.4; T 419/12, Entscheidungsgründe, Punkt 2.1.2). Die vorrangige Aufgabe des Beschwerdeverfahrens liegt in der Überprüfung der erstinstanzlichen Entscheidung auf ihre Richtigkeit. Eine Prüfung durch die Kammer gemäß Artikel 111 (1) EPÜ 1973 sollte nur dann erfolgen, wenn sich der rechtliche und faktische Rahmen des Falls nicht derart geändert hat, dass sich daraus ein "neuer Fall" ergibt.

2.10 Da das nun neu aufgenommene Merkmal des "bidirektionalen Wandelns" seine Basis in der Beschreibung hat und weder eine Entsprechung in den von der Prüfungsabteilung abschließend gewürdigten Ansprüchen noch in den ursprünglich eingereichten Ansprüchen findet, müsste es vermutlich nachrecherchiert werden. Dies schließt eine erstmalige Prüfung dieses neuen Sachverhalts durch die Kammer nahezu aus. Auch ist nicht sichergestellt, dass der im Hauptantrag definierte Gegenstand prima facie betrachtet alle bisherigen Einwände aus dem Weg räumt (siehe Bescheid gemäß Artikel 15 (2) VOBK 2020, Punkt 6.2.3) und keine weiteren neuen Einwände aufwirft. Somit besteht nach Auffassung der Kammer keine berechtigte Veranlassung, den Hauptantrag im Rahmen der Zuständigkeit der Prüfungsabteilung selbst zu prüfen.

2.11 Eine Zurückverweisung der Angelegenheit an die erste Instanz ist nach Meinung der Kammer ebenfalls nicht geboten. Das Verfahren dauert bereits übermäßig lange an, die erfinderische Tätigkeit wurde seit Verfahrensbeginn ausführlich diskutiert (die Anmeldung wurde am 14. Juli 2006 eingereicht; siehe Punkt 2.3 oben) und eine Zurückverweisung würde das Verfahren weiter beträchtlich verlängern. Dies widerspricht nach Meinung der Kammer eindeutig der gebotenen Verfahrensökonomie.

2.12 Zu den von der Beschwerdeführerin vorgetragenen Argumenten in Bezug auf die Zulassung des Hauptantrags in das Verfahren sei Folgendes angemerkt.

Gemäß der gängigen Rechtsprechung der Beschwerdekammern war es gemäß Artikel 12 (4) VOBK 2007 für die Zulassung eines erstmals im Beschwerdeverfahren vorgelegten Antrags in das Verfahren nicht alleinig ausreichend, eine konvergierende Weiterführung des Anspruchsgegenstands vorzulegen. Dies traf insbesondere dann nicht zu, wenn ein neuer Sachverhalt erstmalig im Beschwerdeverfahren vorgelegt wurde, welcher neu hätte geprüft werden müssen (siehe Rechtsprechung der Beschwerdekammern des EPA, 9. Aufl. 2019, Abschnitte V.A.4.2.2 und 4.11.4 b); T 1212/08, Entscheidungsgründe, Punkt 4 mit Unterpunkten). Im vorliegenden Fall versprach überdies der neu eingereichte Hauptantrag inhaltlich gesehen wenig Erfolg (siehe die vorläufige Meinung der Kammer gemäß Artikel 15 (1) VOBK 2020).

Die bloße Tatsache einer konvergierenden, einfach verständlichen Änderung ist folglich nicht ausreichend für die Zulassung eines neuen Antrags, erst recht nicht, wenn die Änderung auf einem der Beschreibung entnommenem Merkmal basiert und prima facie betrachtet die Voraussetzungen des EPÜ nicht zu erfüllen scheint.

Auch sind hier weder die Fairness noch der Vertrauensschutz ein überzeugendes Argument, solange die Änderung wenig erfolgversprechend ist und bereits lange vor der Entscheidung der Prüfungsabteilung hätte eingereicht werden können.

Die Beschwerdeführerin hatte im Prüfungsverfahren ausreichend Möglichkeit, auf den Verfahrensverlauf und die aufgeworfenen Probleme zu reagieren. Die Begründung zur mangelnden erfinderischen Tätigkeit erfolgte nicht erst in der mündlichen Verhandlung oder gar überraschend in der schriftlichen Entscheidung, sondern wurde der Beschwerdeführerin bereits mit der Ladung vollständig mitgeteilt.

Unzutreffend ist die Behauptung, die Kammer habe nun strengere Maßstäbe als üblich in Anlehnung an die neue Verfahrensordnung 2020 angewandt. Die Kammer hat gemäß Artikel 12 (4) VOBK 2007 und in Übereinstimmung mit der gängigen Rechtsprechung der Beschwerdekammern zu dieser Vorschrift in ihrer alten Fassung (Rechtsprechung der Beschwerdekammern des EPA, 9. Aufl. 2019, Abschnitte V.A.4.2.2 und 4.11.4 b)) die Zulassung des Hauptantrags in das Verfahren bewertet. Sie kam hier zum Schluss, dass der vorliegende Hauptantrag keine Reaktion auf die Entscheidung der Prüfungsabteilung darstellt und dessen Zulassung in das Verfahren eine inadäquate, erstmalige Prüfung des neu aufgenommenen Merkmals erfordert (vgl. auch T 1212/08, Entscheidungsgründe, Punkt 4 mit Unterpunkten). Die Kammer hat nicht im Hinblick auf außergewöhnliche Umstände argumentiert, sondern lediglich die Zulassung eines erstmals im Beschwerdeverfahren vorgelegten Antrags gemäß Artikel 12 (4) VOBK 2007 beurteilt.

Schließlich kann auch das Argument des Vertreterwechsels, welcher erst nach Einreichung der Beschwerde erfolgte, nicht überzeugen. Ein Vertreterwechsel darf keinen Einfluss auf eine Zulassungsfrage haben, denn sonst könnte ein ganz offensichtlich der Zulassung nicht zugänglicher Antrag in einfacher Weise dank eines Vertreterwechsels wieder zulassungsfähig gemacht werden.

2.13 Auf Grund all dieser vorgenannten Sachverhalte und Argumente stellt die Kammer fest, dass der erstmalig im Beschwerdeverfahren eingereichte Hauptantrag bereits im Prüfungsverfahren hätte vorgelegt werden können und sollen und keine legitime Reaktion auf die Entscheidung der Prüfungsabteilung darstellt. Er stellt einen "neuen Fall" dar, für welchen weder eine Prüfung durch die Kammer, noch eine Zurückverweisung an die erste Instanz angemessen sind. Folglich übt die Kammer ihr gemäß Artikel 12 (4) VOBK 2007 eingeräumtes Ermessen aus und lässt den erstmalig im Beschwerdeverfahren eingereichten Hauptantrag nicht in das Verfahren zu.

3. Zulassung des Hilfsantrags 1 in das Verfahren (Artikel 12 (4) VOBK 2007)

3.1 Der erstmalig mit der Beschwerdebegründung vorgelegte Hilfsantrag 1 basiert auf dem erstmalig mit der Beschwerdebegründung vorgelegten Hauptantrag, wobei

- die Ansprüche 1, 2, 5 und 6 gestrichen wurden,

- die verbleibenden Ansprüche entsprechend neu durchnummeriert wurden,

- der dann verbleibende unabhängige Anspruch 1 (basierend auf Anspruch 3 des Hauptantrags) durch Aufnahme des folgenden Merkmals ergänzt wurde:

"wobei die Geldbeträge, die in der Ausspieleinrichtung (27) für die Transformation eingesetzt werden, von der Ausspieleinrichtung (27) in unterschiedlich hohe Punktezahlen transformiert werden," und

- der weitere unabhängige Anspruch 8 dem Anspruch 1 entsprechend angepasst wurde.

3.2 Die Kammer stellt fest, dass in Anbetracht der durchgeführten Änderungen alle zum Hauptantrag vorgetragenen Argumente in unveränderter Weise auch für den Hilfsantrag 1 zutreffen. Somit lässt die Kammer mutatis mutandis zum Hauptantrag auch Hilfsantrag 1 gemäß Artikel 12 (4) VOBK 2007 nicht in das Verfahren zu.

4. Zulassung des Hilfsantrags 2 in das Verfahren (Artikel 13 (2) VOBK 2020)

4.1 Während der mündlichen Verhandlung vor der Kammer hat die Beschwerdeführerin als Hilfsantrag 2 den der angefochtenen Entscheidung zugrunde liegenden Hilfsantrag 1 erneut eingereicht.

4.2 Für die Zulassung dieses Antrags ist folglich Artikel 13 (2) VOBK 2020 anzuwenden, wonach "Änderungen des Beschwerdevorbringens eines Beteiligten ... nach Zustellung der Ladung zur mündlichen Verhandlung ... grundsätzlich unberücksichtigt [bleiben], es sei denn, der betreffende Beteiligte hat stichhaltige Gründe dafür aufgezeigt, dass außergewöhnliche Umstände vorliegen".

4.3 Die Kammer kann in der vorliegenden Konstellation solche außergewöhnlichen Umstände für das spätestmögliche Einreichen dieses Antrags in diesem sehr fortgeschrittenen Verfahrensstadium nicht erkennen. Wenn die Beschwerdeführerin ein Patent auf Grundlage dieses Anspruchssatzes hätte begehren wollen, hätte sie ihn ohne Weiteres zumindest hilfsweise mit der Beschwerdebegründung aufrecht erhalten können. Stattdessen hat sie einen entsprechenden (Hilfs-)Antrag, wie er noch im Prüfungsverfahren Gegenstand war, zu Beginn des Beschwerdeverfahrens fallen gelassen und ihr Begehren auf einen neuen Gegenstand gelenkt. Hierdurch hat sie zu erkennen gegeben, dass sie auf ein Patent auf Grundlage des ursprünglich beanspruchten Gegenstands bewusst verzichtet. Entsprechend hatte die Kammer auch keinen Anlass, die Gewährbarkeit des ursprünglich beanspruchten Gegenstands zu überprüfen und hierzu im Bescheid gemäß Artikel 15 (1) VOBK 2020 Ausführungen zu machen. Einen stichhaltigen rechtfertigenden Grund dafür, dass sich die Kammer erst während der mündlichen Verhandlung erstmals mit diesem Gegenstand auseinandersetzen soll, kann die Kammer nicht erkennen und konnte auch von der Beschwerdeführerin nicht vorgebracht werden.

4.4 Ohne, dass es vor diesem Hintergrund noch darauf ankommen würde, weist die Kammer im Übrigen darauf hin, dass sie prima facie auch in diesem Antrag keinen Gegenstand erkennen kann, welcher alle Erfordernisse des EPÜ erfüllt. Was nämlich auf den enger formulierten Hauptantrag zutrifft, muss umso mehr auf den breiter formulierten Hilfsantrag 2 zutreffen (siehe insofern die Ausführungen zum Hauptantrag im Bescheid gemäß Artikel 15 (1) VOBK 2020).

4.5 Die Kammer lässt folglich den Hilfsantrag 2 gemäß Artikel 13 (2) VOBK 2020 nicht in das Verfahren zu.

5. Zusammenfassend kommt die Kammer zum Schluss, dass die Beschwerde erfolglos bleibt, da keiner der im Beschwerdeverfahren abschließend gestellten Anträge in das Verfahren zugelassen werden konnte.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

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