T 1212/19 () of 24.11.2021

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2021:T121219.20211124
Datum der Entscheidung: 24 November 2021
Aktenzeichen: T 1212/19
Anmeldenummer: 13182057.3
IPC-Klasse: F16L 37/084
F16L 37/32
E03C 1/04
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Auslaufarmatur umfassend einen als Tischkaraffe ausgebildeten Auslaufkörper
Name des Anmelders: Hansgrohe SE
Name des Einsprechenden: -
Kammer: 3.2.05
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 54
European Patent Convention Art 56
European Patent Convention R 103(1)(a)
European Patent Convention R 137(3)
Schlagwörter: Neuheit (ja)
Erfinderische Tätigkeit (ja)
Rückzahlung der Beschwerdegebühr (nein)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
T 0792/12
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerde der Anmelderin richtet sich gegen die am 27. November 2018 zur Post gegebene Entscheidung der Prüfungsabteilung, mit der die europäische Patentanmeldung Nr. 13 182 057.3 wegen mangelnder Neuheit zurückgewiesen worden ist.

II. Auf die Mitteilung der Beschwerdekammer gemäß Regel 100 (2) EPÜ vom 30. April 2021 hat die Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 28. Juni 2021 geänderte Anmeldungsunterlagen gemäß einem neuen Hauptantrag eingereicht. Auf die weitere Mitteilung der Beschwerdekammer gemäß Regel 100 (2) EPÜ vom 6. Oktober 2021 hat sie mit Schreiben vom 18. Oktober 2021 eine angepasste Beschreibungsseite 17 eingereicht.

III. Die Beschwerdeführerin beantragt die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Erteilung eines Patents mit folgenden Unterlagen:

Ansprüche: 1 bis 9 gemäß Hauptantrag eingereicht mit

Schreiben vom 28. Juni 2021.

Beschreibung: - Seiten 8 bis 16 wie ursprünglich

eingereicht;

- Seiten 1 bis 4 eingereicht mit

Schreiben vom 15. Mai 2018;

- Seiten 5, 6, 7, 7a, 7b, 18 eingereicht

mit Schreiben vom 28. Juni 2021;

- Seite 17 eingereicht mit Schreiben vom

18. Oktober 2021.

Zeichnungen: Figuren 1 bis 10 wie ursprünglich

eingereicht.

Die Rückzahlung der Beschwerdegebühr wird "in das Ermessen der Kammer gelegt".

IV. Es wird insbesondere auf folgende Druckschriften Bezug genommen:

D1: JP H09 78641 A

D2: WO 2006/084448 A1

D3: WO 2007/124931 A1

D4: KR 10-2011-0124879 A

D5: DE 10 2007 040 495 A1

D6: DE 20 2004 006 464 U1

D7: US 1,417,583 A

V. Der unabhängige Anspruch 1 nach dem Hauptantrag lautet wie folgt:

"Sanitäre Waschtisch- oder Spültisch-Auslaufarmatur zum Abgeben einer zugeführten Flüssigkeit, umfassend

- einen Grundkörper (1), der einen Anschluss zum Anschließen an eine Flüssigkeitsversorgung aufweist, und

- einen am Grundkörper (1) über eine lösbare Verbindung (2) angebrachten Auslaufkörper (3), der als Wasserauslauf der sanitären Waschtisch- oder Spültisch-Auslaufarmatur fungiert, wenn er an den Grundkörper (1) angekoppelt ist,

dadurch gekennzeichnet, dass

- der Grundkörper (1) Befestigungsmittel zum Befestigen an einem Waschtisch oder Spültisch aufweist,

- der Auslaufkörper (3) als vom Grundkörper (1) abnehmbarer Flüssigkeitstransportbehälter ausgebildet ist und

- die lösbare Verbindung (2) als Steckverbindung ausgeführt ist, durch die der Auslaufkörper (3) auf eine obere Stirnseite des Grundkörpers (1) aufsetzbar und wieder von diesem lösbar ist, wobei die Steckverbindung zugehörige Steckverbindungsmittel (5, 1a) an einer Unterseite des Auslaufkörpers und an der oberen Stirnseite des Grundkörpers umfasst."

VI. Die Beschwerdeführerin argumentiert im Wesentlichen wie folgt:

Neuheit - Anspruch 1 des Hauptantrags

Die Druckschrift D1 offenbare eine sanitäre Waschtisch- oder Spültisch-Auslaufarmatur (faucet) 8 mit einem wandmontierten Grundkörper und einem als Wasserauslauf der sanitären Waschtisch- oder Spültisch-Auslaufarmatur fungierenden Auslaufkörper in Form eines einteilig mit dem Grundkörper gebildeten Auslaufrohrs 8d (siehe Figur 10). Diese Eigenschaft behalte die Armatur 8 unabhängig davon, ob über die Schläuche 9 und 10 der Wasserreservoirkanister 4 angekoppelt sei oder nicht. Daher zeige diese Druckschrift keinen Auslaufkörper, der über eine lösbare Verbindung am Grundkörper angebracht und als vom Grundkörper abnehmbarer Flüssigkeitstransportbehälter ausgebildet ist. Der Wasserreservoirkanister 4 bilde zwar einen Flüssigkeits­transportbehälter, aber keinen Auslaufkörper, der als Wasserauslauf der sanitären Waschtisch- oder Spültisch-Auslaufarmatur fungiere. Selbst wenn man der Argumentation der Prüfungsabteilung folgte, dass der Wasserreservoirkanister 4 zusammen mit den Schläuchen 9, 10 den Auslaufkörper bilde, wäre dieser nicht auf die obere Stirnseite des Grundkörpers aufsetzbar, sondern nur ein Teil davon, nämlich der Schlauch 10, wäre auf die obere Stirnseite des Grundkörpers aufsetzbar.

Auch die im obiter dictum genannte Druckschrift D2 offenbare nicht die Merkmale des Anspruchs 1, da der Wasserauslauf fest angeschlossen sei. Der Auslaufkopf 6, 6'. 6" sei über das Verbindungsglied 8, 8', 8" fest mit dem Grundkörper verbunden und auch nicht als Flüssigkeitstransportbehälter ausgebildet. Die auswechselbare Einheit 4, 4', 4" stelle eine auswechselbare Filtereinheit dar, sei nicht auf die obere Stirnseite des Grundkörpers aufsetzbar, könne nicht als Auslaufkörper betrachtet werden und sei auch nicht zum Flüssigkeitstransport geeignet.

Die Neuheit werde auch nicht von der im obiter dictum genannten Druckschrift D3 vorweggenommen. Die dort offenbarte sanitäre Waschtisch- oder Spültisch-Auslaufarmatur bestehe aus einem Grundkörper 20 und einem als Wasserauslauf der Armatur fungierenden Wasserhahnkörper 10, welcher jedoch keinerlei Bevorratungsvolumen zum Bevorraten einer Flüssigkeit aufweise. Auch wenn "Wasser im [sic] unteren Ecken des "Ablaufstutzens 11" bleiben kann" (siehe angefochtene Entscheidung, Punkt 20.3.1), gehe dies am fachmännischen Verständnis weit vorbei.

Erfinderische Tätigkeit - Anspruch 1 des Hauptantrags

Der Gegenstand des Anspruchs 1 beruhe gegenüber dem aktenkundigen Stand der Technik auch auf einer erfinderischen Tätigkeit. Insbesondere erhalte der Fachmann ausgehend von den Druckschriften D1, D2 oder D3 als nächstliegendem Stand der Technik weder durch die Druckschriften D1, D2 oder D3 selbst noch den übrigen aktenkundigen Stand der Technik naheliegende Hinweise oder Anregungen, die Armatur derart zu modifizieren, dass dies zu einer sanitären Waschtisch- oder Spültisch-Auslaufarmatur mit allen Merkmalen des vorliegenden Anspruchs 1 führen würde, wenn der Fachmann sich vor die Aufgabe gestellt sähe, die betreffende Auslaufarmatur hinsichtlich ihrer Funktionalität zu verbessern.

Wesentliche Verfahrensmängel

Die Grundsätze des Fairnessgebots, des Begründungs­gebots sowie des rechtlichen Gehörs seien im erstinstanzlichen Prüfungsverfahren einschließlich der mündlichen Verhandlung und des Zurückweisungs­beschlusses nicht hinreichend beachtet worden.

a) Nicht-Zulassung der Anträge

Für die Nicht-Zulassung der in Vorbereitung der erstinstanzlichen mündlichen Verhandlung mit der Eingabe vom 21. September 2018 eingereichten Anträge (Hauptantrag sowie Hilfsanträge 1 bis 5) mit Ausnahme eines einzigen dieser Anträge unter Berufung auf Regel 137 (3) EPÜ habe kein ausreichender, rechtfertigender Grund bestanden. Das Ermessen nach Regel 137 (3) EPÜ sei von der Prüfungsabteilung nicht korrekt ausgeübt und die Nicht-Zulassung der Erteilungsanträge sei auch nicht begründet worden.

Gerade in einer Situation, in der es primär auch um die Begriffsauslegung gehe, verstoße es gegen das Gebot der Fairness, für die mündliche Verhandlung nur noch eine einzige Fassung für den Anspruch 1 unter Ablehnung weiterer Hilfsanträge zuzulassen. Im Anmeldeverfahren diene eine mündliche Verhandlung dazu, im Dialog mit der Prüfungsabteilung zu einer sachgerechten Fassung der Patentansprüche zu gelangen. Die Prüfungsabteilung habe daher bei der Ausübung ihres Ermessens bezüglich der Zulassung von Anspruchsänderungen dem Interesse des Anmelders nicht ausreichend Rechnung getragen. Im Übrigen seien die eingereichten Anträge direkt aus den zuvor im Prüfungsverfahren anhängigen Patentansprüchen ableitbar gewesen, so dass die Prüfungsabteilung nicht mit neuen Sachverhalten konfrontiert gewesen sei.

Ebenso bestehe ein Kausalzusammenhang zwischen dem wesentlichen Verfahrensmangel und der Nicht-Zulassung der Anträge, da die Anmelderin auch mit einer Erteilung in der entsprechenden Hilfsantragsfassung zufrieden gewesen wäre. Eine Beschwerde wäre höchstwahrscheinlich überflüssig gewesen, wenn die Prüfungsabteilung die Patentfähigkeit im Umfang eines der Hilfsanträge 3 bis 5 anerkannt hätte, wozu es aber auf Grund der verfahrensfehlerhaften Nicht-Zulassung diese Anträge nicht gekommen sei.

b) Verletzung des rechtlichen Gehörs bei der Diskussion der Neuheit von Anspruch 1

Die Neuheit des Gegenstands von Anspruch 1 gegenüber der Druckschrift D1 sei in der angefochtenen Entscheidung nicht im Hinblick auf den tatsächlichen Wortlaut insbesondere des letzten Anspruchsmerkmals diskutiert worden. Während im Bescheid vom 4. Juli 2018 unter Punkt 2.1.1. damit argumentiert worden sei, dass der Auslaufkörper in Form des Kanisters 4 und der Schläuche 9, 10 an den Grundkörper ankoppelbar sei, sei in der angefochtenen Entscheidung darauf abgestellt worden, dass "der Schlauch 10 [...] als Teil des Auslaufkörpers auf eine obere Stirnseite des Grundkörpers aufsetzbar" sei (siehe angegriffene Entscheidung, Punkt 18.1.1). Dies sei in der mündlichen Verhandlung (siehe Niederschrift, Punkte 17 und 18) nicht diskutiert worden. In der Entscheidung sei nicht begründet worden, inwiefern der Auslaufkörper und nicht nur ein Teil des Auslaufkörpers auf die obere Stirnseite des Grundkörpers aufsetzbar sei. Somit handle es sich hierbei nicht bloß um eine sachlich falsche Begründung, sondern um einen Begründungsmangel und um eine daraus resultierende Versagung des rechtlichen Gehörs selbst.

c) Erstmalige Diskussion der Druckschrift D3

Ferner sei die Druckschrift D3 erstmals in der mündlichen Verhandlung als neuheitsschädlich genannt worden. Der Verweis der Prüfungsabteilung, dass die Druckschrift D3 bereits im Recherchenbericht zitiert gewesen sei (siehe Niederschrift, Punkt 6), verfange nicht, da dort diese Druckschrift in der Kategorie Y klassifiziert und nicht als neuheitsschädliche Druckschrift aufgeführt gewesen sei. Dieses Vorgehen entspreche nicht einer fairen Verfahrensführung. Das Recht der Anmelderin auf rechtliches Gehör sei nicht ausreichend berücksichtigt worden.

Entscheidungsgründe

1. Änderungen

Der unabhängige Vorrichtungsanspruch 1 beruht im Wesentlichen auf einer Kombination der ursprünglich eingereichten Ansprüche 1 bis 3 und 12, sowie der Offenbarung in der ursprünglich eingereichten Beschreibung auf Seite 3, Zeilen 9 bis 12 und Seite 7, Zeile 22.

Die abhängigen Ansprüche 2 bis 9 entsprechen den ursprünglich eingereichten Ansprüchen 4 bis 11.

Die Erfordernisse von Artikel 123 (2) EPÜ sind folglich erfüllt.

2. Neuheit - Anspruch 1 des Hauptantrages

2.1 Neuheit gegenüber der Druckschrift D1

2.1.1 Die Druckschrift D1 offenbart eine sanitäre Waschtisch- oder Spültisch-Auslaufarmatur (faucet 8; siehe Figuren 8, 9, 10 und Absätze [0016], [0018] und [0022]) mit einem Grundkörper 8a (siehe Figur 10) und einem als Wasserauslauf der sanitären Waschtisch- und Spültisch-Auslaufarmatur fungierenden Auslaufkörper in Form eines einteilig mit dem Grundkörper gebildeten Auslaufrohrs 8d (siehe Figur 10).

In der Druckschrift D1 ist der Grundkörper der Waschtisch- oder Spültisch-Auslaufarmatur an der Wand montiert. Grundkörper 8a und Auslaufkörper 8d sind einteilig. Somit unterscheidet sich der Gegenstand von Anspruch 1 von der Druckschrift D1 darin, dass

- der Grundkörper Befestigungsmittel zum Befestigen an einem Waschtisch oder Spültisch aufweist,

- der Auslaufkörper als vom Grundkörper abnehmbarer Flüssigkeitstransportbehälter ausgebildet ist und

- die lösbare Verbindung als Steckverbindung ausgeführt ist, durch die der Auslaufkörper auf eine obere Stirnseite des Grundkörpers aufsetzbar und wieder von diesem lösbar ist, wobei die Steckverbindung zugehörige Steckverbindungsmittel an einer Unterseite des Auslaufkörpers und an der oberen Stirnseite des Grundkörpers umfasst.

2.1.2 Die Prüfungsabteilung argumentierte in der angefochtenen Entscheidung (siehe angefochtene Entscheidung, Punkt 18), dass die Druckschrift D1 neuheitsschädlich sei. Es wurde auf die Figuren 1 und 8 bis 10 Bezug genommen. Als Grundkörper wurde die gesamte Armatur 7, 8 betrachtet, als Auslaufkörper der Zusammenbau des Schlauches 9 bzw. 10 mit dem Wasserreservoirtank 4 zusammen mit dem Auslass 5. Laut der Prüfungsabteilung seien die Befestigungsmittel des Grundkörpers am Waschtisch oder Spültisch implizit offenbart. Der Auslaufkörper bestehend aus den Teilen 9 bzw. 10, 4 und 5 sei als Flüssigkeits­transportbehälter ausgeführt, siehe Wasserreservoirtank 4. Die lösbare Verbindung werde in Figur 1 vom Schlauch 9 bzw. in Figur 8 vom Schlauch 10 gebildet, die jeweils auf den Hahn 7, 8 aufgesteckt seien. In der Figur 8 sei der Schlauch 10 außerdem auf eine obere Stirnseite des Grundkörpers aufsetzbar und wieder von diesem lösbar. Somit seien alle Merkmale des Anspruchs 1 von der Druckschrift D1 neuheitsschädlich vorweggenommen.

Dieser Argumentation schließt sich die Kammer aus folgenden Gründen nicht an. Der Zusammenbau des Hahnes 7, 8 mit dem Schlauch 9 bzw. 10, dem Wasserreservoirtank 4 und der Auslasshahn 5 kann in seiner Gesamtheit nicht als sanitäre Waschtisch- oder Spültisch-Auslaufarmatur bezeichnet werden. Selbst in der Druckschrift D1 wird diese Vorrichtung als Notfallwasserspeichersystem 1 (siehe Absatz [0010]) betrachtet und nicht als Auslaufarmatur. Vielmehr stellt der Hahn 7 die Auslaufarmatur dar. Der Begriff "faucet", wie er in der englischen Zusammenfassung der Druckschrift D1 benutzt wird, bedeutet "der (Wasser-)Hahn". Der in den Figuren 8 bis 10 dargestellte Wasserhahn 8 ist einstückig und kann daher nicht die Merkmale des Anspruchs 1 vorwegnehmen. Sogar wenn der Wasserhahn in Figur 1 aus einem festen Grundkörper (ohne Nummerierung, wandseitig montiert) und aus einem Auslaufkörper 7 bestünde, wären die kennzeichnenden Merkmale nicht offenbart, da der Grundkörper nicht am Waschtisch oder Spültisch, sondern wandseitig montiert ist, der Auslaufkörper 7 keinen abnehmbaren Flüssigkeitstransportbehälter bildet, die Steckverbindung nicht als lösbar offenbart ist und auch nicht auf einer oberen Stirnseite des Grundkörpers aufsetzbar ist.

Die Prüfungsabteilung führt in der angefochtenen Entscheidung weiterhin aus, dass der Wortlaut des Anspruchs 1 eine breitere Interpretation erlaube, so dass das in Figur 8 gezeigte Ausführungsbeispiel als Ganzes als Spültisch bzw. Waschtisch interpretiert werden könne. Dieser Auslegung folgt die Kammer nicht. Weder erwähnt die Druckschrift D1 einen Waschtisch oder Spültisch noch würde der Fachmann die in Figur 8 gezeigten Teile 7, 8, 9, 10, 4 und 5 in ihrer Gesamtheit als eine Waschtisch- oder Spültisch-Auslaufarmatur ansehen.

Auch der Verweis der Prüfungsabteilung, dass es sich bei dem Anspruch 1 um einen Produktanspruch handele, der nicht mit Verwendungsmerkmalen abgegrenzt werden dürfe, verfängt nicht. Der Produktanspruch 1 ist strukturell eindeutig definiert. Die in den Figuren 1 und 8 bis 10 dargestellte Vorrichtung wäre auch nicht für den Einsatz als Waschtisch- oder Spültisch-Auslaufarmatur geeignet. Ein Flüssigkeitstransport­behälter ist ein Behälter, der zum Transport von Flüssigkeit dient. Aus der Druckschrift D1 geht klar hervor, dass hierzu der Kanister 4 geeignet wäre (siehe Griff 4a in den Figuren 1 und 8). Dieser Kanister ist jedoch nicht Bestandteil einer Waschtisch- oder Spültisch-Auslaufarmatur. Als solche wird nur der Hahn 7, 8 bezeichnet.

2.1.3 Zusammenfassend ist festzustellen, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 neu ist gegenüber der Druckschrift D1 (Artikel 54 EPÜ).

2.2 Neuheit gegenüber der Druckschrift D2

2.2.1 Die Druckschrift D2 offenbart eine Armatur (Figuren 1 bis 3), bei der der Wasserauslass 6, 6', 6" über ein Verbindungsglied 8, 8', 8" fest an den Grundkörper 2, 2', 2" angeschlossen ist. Die auswechselbare Einheit 4, 4', 4" ist lösbar mit dem Grundkörper verbunden und hat die Form einer zylindrischen Filterkartusche. Das Vorhandensein von Befestigungsmitteln am Grundkörper kann als implizit betrachtet werden. Der Gegenstand des Anspruchs 1 unterscheidet sich daher von der in der Druckschrift D2 offenbarten Waschtisch- oder Spültisch-Auslaufarmatur dadurch, dass der Auslaufkörper über eine lösbare Verbindung am Grundkörper angebracht ist, dass der Auslaufkörper als vom Grundkörper abnehmbarer Flüssigkeitstransportbehälter ausgebildet ist, dass die lösbare Verbindung als Steckverbindung ausgeführt ist, und dass der Auslaufkörper auf eine obere Stirnseite des Grundkörpers aufsetzbar und wieder von diesem lösbar ist.

2.2.2 Die auswechselbare Einheit stellt - im Gegensatz zur Auffassung der Prüfungsabteilung (siehe angefochtene Entscheidung, Punkt 20.2) - keinen Auslaufkörper dar, ist nicht auf die obere Stirnseite des Grundkörpers aufsetzbar und auch nicht als Flüssigkeitstransport­behälter ausgebildet. Als Auslaufkörper fungiert der Wasserauslass 6. Die auswechselbare Einheit 4 ist an der oberen Längsseite des Grundkörpers eingesetzt und nicht als Flüssigkeitstransportbehälter, sondern als Filterkartusche näher spezifiziert. In dieser Filterkartusche kann keine nennenswerte Menge Flüssigkeit transportiert werden, selbst wenn im unteren Teil bzw. den unteren Ecken der auswechselbaren Einheit Wasser verbleiben kann. Daher folgt die Kammer nicht der Argumentation der Prüfungsabteilung.

2.2.3 Der Gegenstand des Anspruchs 1 ist somit neu gegenüber der Druckschrift D2 (Artikel 54 EPÜ).

2.3 Neuheit gegenüber der Druckschrift D3

2.3.1 Die Druckschrift D3 zeigt eine Waschtisch- oder Spültisch-Auslaufarmatur mit einem Grundkörper 20 (siehe Figur 4) und einem Auslaufkörper 10. Der Auslaufkörper 10 ist mit dem Grundkörper 20 über Schrauben 14 verbunden (siehe Seite 7, letzter Absatz bis Seite 8, erster Absatz). Der Grundkörper weist einen Flansch und implizit Befestigungsmittel zum Befestigen an einem Waschtisch oder Spültisch auf (siehe Figur 4, Flansch 23). Der Gegenstand des Anspruchs 1 unterscheidet sich von der Druckschrift D3 darin, dass der Auslaufkörper als vom Grundkörper abnehmbarer Flüssigkeitstransportbehälter ausgebildet ist und dass die lösbare Verbindung als Steckverbindung ausgeführt ist, durch die der Auslaufkörper auf eine obere Stirnseite des Grundkörpers aufsetzbar und wieder von diesem lösbar ist, wobei die Steckverbindung zugehörige Steckverbindungsmittel an einer Unterseite des Auslaufkörpers und an der oberen Stirnseite des Grundkörpers umfasst.

2.3.2 Im Gegensatz zu der Auffassung der Prüfungsabteilung (siehe angefochtene Entscheidung, Punkt 20.3) weist der Auslaufkörper 10 der aus der Druckschrift D3 bekannten Armatur keinen vom Grundkörper 20 abnehmbaren Flüssigkeitstransportbehälter auf. Die Prüfungs­abteilung betrachtete den Ablaufstutzen 11 als Flüssigkeitstransportbehälter, da sich dort das Wasser in der unteren Ecke sammeln kann. Die Kammer hingegen ist der Auffassung, dass der Ablaufstutzen 11 keinen Flüssigkeitstransportbehälter darstellt, da das Volumen in der unteren Ecke, in der sich Wasser sammeln kann, im Vergleich zum Volumen des Ablaufstutzens zu klein ist, um eine nennenswerte Menge Wasser transportieren zu können. Vielmehr handelt es sich dabei lediglich um Restwasser. Der Ablaufstutzen 11 aus der Druckschrift D3 eignet sich somit nach fachmännischem Verständnis nicht für den Transport von Wasser.

Weiterhin betrachtete die Prüfungsabteilung das Unterbrechungsventil 22 und den Schieber 49 als lösbare Steckverbindung zwischen dem Auslaufkörper 10 und dem Grundkörper 20 (siehe Druckschrift D3, Figur 4, Seite 10, Zeile 8 bis Seite 11, 3. Absatz). Diese Steckverbindung bezieht sich jedoch auf die Verbindung des Adapters 40 mit dem Grundkörper 20. Der Schieber 49 ist nicht mit dem Körper 10 des Wasserhahns fest verbunden, sondern wird von dem Adapter 40 gehaltert (siehe Druckschrift D3, Seite 10, Zeilen 20 bis 33). Letzterer ist in den Hohlraum des Körpers 10 eingesetzt. Es handelt sich bei dem Adapter somit um ein separates Bauteil. Die Verbindung zwischen dem Auslaufkörper 10 und dem Grundkörper 20 ist in der Druckschrift D3 auf Seite 7, letzter Absatz bis Seite 8, erster Absatz beschrieben. Dort heißt es, dass der Körper 10 mit Schrauben 14 an der Trägerbasis 20 befestigt wird. Bei einer Schraubenverbindung handelt es sich um eine lösbare Verbindung, aber nicht um eine Steckverbindung.

2.3.3 Folglich ist der Gegenstand des Anspruchs 1 auch neu gegenüber der Druckschrift D3 (Artikel 54 EPÜ).

2.4 Keine der anderen im Prüfungsverfahren oder Recherchenbericht zitierten Druckschriften (Druckschriften D4 bis D7) zeigt den Gegenstand des Anspruchs 1.

In der Druckschrift D4 geht es um einen Aufsatz für den Wasserhahn zum Abmessen der Wassermenge, aber nicht um eine sanitäre Waschtisch- oder Spültisch-Auslaufarmatur. In der Druckschrift D5 ist der Auslaufkörper nicht als abnehmbarer Flüssigkeitstransportbehälter ausgebildet. Der Auslaufkörper ist mit dem Gehäuse fest verbunden bzw. verbindbar, wobei im letzteren Fall keine lösbare Steckverbindung offenbart ist. Die Druckschrift D6 offenbart keinen über eine lösbare Verbindung angebrachten Auslaufkörper, sondern einen zusätzlichen Wassersparauslass. Die Druckschrift D7 zeigt eine einteilige Armatur.

Der Gegenstand des Anspruchs 1 ist somit auch gegenüber den Druckschriften D4 bis D7 neu (Artikel 54 EPÜ).

3. Erfinderische Tätigkeit - Anspruch 1 des Hauptantrages

3.1 Als nächstliegender Stand der Technik wird die Druckschrift D3 betrachtet, weil die dort offenbarte Armatur der anspruchsgemäßen sanitären Waschtisch- oder Spültischarmatur strukturell am nächsten kommt. Der Gegenstand von Anspruch 1 unterscheidet sich von der Druckschrift D3 in den unter Punkt 2.3.1 aufgeführten Merkmalen.

3.2 Die unterscheidenden Merkmale haben die technische Wirkung, dass der Auslaufkörper leicht abgenommen und zum Transport von Wasser verwendet werden kann. Die objektive technische Aufgabe lautet daher, eine in der Sanitärtechnik verwendbare Auslaufgarnitur mit einer verbesserten Funktionalität bereitzustellen, die z.B. einen Becher oder eine Karaffe zum Transport von Wasser an einen entfernten Einsatzort überflüssig macht (siehe ursprünglich eingereichte Beschreibung, Seite 2, zweiter und dritter Absatz).

3.3 Die Lösung, dass der Auslaufkörper als vom Grundkörper abnehmbarer Flüssigkeitstransportbehälter ausgebildet und über eine wie in Anspruch 1 spezifizierte lösbare Steckverbindung mit Grundkörper verbunden ist, ist aus dem vorliegenden Stand der Technik weder bekannt noch nahegelegt. Tatsächlich zeigt keines der vorliegenden Dokumente des Standes der Technik eine Waschtisch- oder Spültisch-Auslaufarmatur, bei der der Auslaufkörper als vom Grundkörper abnehmbarer Flüssigkeitstransport­behälter ausgebildet ist. Angesichts der konkreten Ausgestaltung der im Anspruch 1 definierten sanitären Wasch-und Spültischarmatur kann diese auch vor dem Hintergrund des allgemeinen Fachwissens nicht als naheliegend betracht werden.

3.4 Daher beruht der Gegenstand von Anspruch 1 auf einer erfinderischen Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ).

4. Rückzahlung der Beschwerdegebühr - Vorliegen eines wesentlichen Verfahrensmangels

4.1 Gemäß Regel 103 (1) a) EPÜ wird die Beschwerdegebühr in voller Höhe zurückgezahlt, wenn der Beschwerde abgeholfen oder ihr durch die Beschwerdekammer stattgegeben wird und die Rückzahlung wegen eines wesentlichen Verfahrensmangels der Billigkeit entspricht. Da die angefochtene Entscheidung aufgehoben und der Beschwerde stattgegeben wird, ist zu prüfen, ob angesichts der von der Beschwerdeführerin geltend gemachten Verfahrensfehler eine Rückzahlung der Beschwerdegebühr nach Regel 103 (1) a) EPÜ wegen eines wesentlichen Verfahrensmangels der Billigkeit entspricht.

4.2 Fehlender Kausalzusammenhang

Hinsichtlich der in der angefochtenen Entscheidung nicht behandelten Erteilungsanträge ist festzustellen, dass die Beschwerdeführerin den einzigen von der Prüfungsabteilung beschiedenen Antrag im Beschwerdeverfahren als Hauptantrag weiterverfolgt. Diesen Antrag hatte die Beschwerdeführerin als Hilfsantrag 2 mit Schreiben vom 21. September 2019 eingereicht und dann in der erstinstanzlichen mündlichen Verhandlung zum Hauptantrag erklärt, nachdem der Vorsitzende in der mündlichen Verhandlung darauf hingewiesen hatte, dass die Prüfungsabteilung "gemäß Regel 137(3) EPÜ und EPA Richtlinie H-II, erster Absatz" nur mehr einen der mit Schreiben vom 21. September 2018 eingereichten Anträge (Hauptantrag und Hilfsanträge 1 bis 5) zulasse, und die mündliche Verhandlung unterbrochen worden war, "damit der Anmelder Gelegenheit habe, sich für einen Antrag zu entscheiden" (siehe Punkt 5 und 7 der Niederschrift über die mündliche Verhandlung vor der Prüfungsabteilung; Hervorhebung durch die Kammer). Die Beschwerdeführerin hat sich nach der Unterbrechung der mündlichen Verhandlung vor der Prüfungsabteilung dafür entschieden, der Auforderung der Prüfungsabteilung zu folgen und aus den von ihr mit Schreiben vom 21. September 2019 eingereichten Anträgen den Hilfsantrag 2 zu wählen, den sie dann zum einzig verbleibenden Hauptantrag erklärt hat. Dieser einzige Antrag wurde dann erörtert und von der Prüfungsabteilung in das Verfahren zugelassen, jedoch wegen mangelnder Neuheit für nicht gewährbar gehalten. Laut Niederschrift ist die Anmelderin selbst davon ausgegangen, dass ihre weiteren Anträge gemäß Regel 137(3) EPÜ nicht zugelassen werden würden (siehe Punkt 9 der Niederschrift). Das Argument der Beschwerdeführerin, dass das Einlegen einer Beschwerde "höchstwahrscheinlich" überflüssig gewesen wäre, wenn einer ihrer Hilfsanträge 3 bis 5 zugelassen worden wäre, verfängt daher nicht, da es sich um eine hypothetische Situation handelt, die auch nicht den von der Beschwerdeführerin im Prüfungs- und Beschwerdeverfahren tatsächlich gestellten Anträgen entspricht. Mit ihrer Beschwerdebegründung verfolgte die Beschwerdeführerin als Hauptantrag nicht einen der von der Prüfungsabteilung unberücksichtigt gelassenen Hilfsanträge 3 bis 5, sondern den in das Prüfungsverfahren zugelassenen und als nicht neu beschiedenen Hauptantrag, der dem Hilfsantrag 2 vom 21. September 2018 entspricht.

Selbst wenn hinsichtlich der weiteren im erstinstanzlichen Prüfungsverfahren vorgelegten, aber nicht beschiedenen Hilfsanträge 3 bis 5 ein Verfahrensmangel vorliegen sollte, hätte die Beschwerdeführerin eine Beschwerde einlegen müssen, um die Entscheidung über die fehlende Neuheit des Gegenstands des von ihr weiterverfolgten Hauptantrags überprüfen zu lassen. Unter diesen Umständen mangelt es somit in dieser Hinsicht an einem von der Rechtsprechung geforderten Kausalzusammenhang zwischen dem behaupteten wesentlichen Verfahrensmangel und der Notwendigkeit, Beschwerde einzulegen (siehe Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts, im Folgenden "Rechtsprechung", 9. Auflage, Juli 2019, V.A.9.7.1). Eine Rückerstattung der Beschwerdegebühr aufgrund dieses möglichen Verfahrensmangels würde folglich nicht der Billigkeit entsprechen (vgl. z.B. T 792/12 vom 14. September 2016, Entscheidungsgründe, Punkt 10.3.1).

4.3 Begründung der fehlenden Neuheit

Bezüglich der Begründung der fehlenden Neuheit des Gegenstands von Anspruch 1 im Hinblick auf die Druckschrift D1 hat die Prüfungsabteilung ausweislich des Punkts 18 der angefochtenen Entscheidung das Anspruchsmerkmal "lösbare Verbindung ... durch die der Auslaufkörper (3) auf eine obere Stirnseite des Grundkörpers (1) aufsetzbar und wieder von diesem lösbar ist" ausgelegt als "lösbare Verbindung ... durch die ein Teil des Auslaufkörpers (3) auf eine obere Stirnseite des Grundkörpers (1) aufsetzbar und wieder von diesem lösbar ist". Basierend auf dieser Auslegung hat sie die Anordnung der Figur 8 der Druckschrift D1 als neuheitsschädlich angesehen. Dabei handelt es sich nach Auffassung der Kammer allerdings um eine zwar sachlich falsche, aber aus der Begründung der angefochtenen Entscheidung nachvollziehbare Beurteilung der Neuheit und nicht um einen Verfahrensmangel (siehe "Rechtsprechung", V.A.9.5.10 b)). Zudem wurde dieser Aspekt, insbesondere die Offenbarung des Auslaufkörpers in der Druckschrift D1 und seine Aufsetzbarkeit auf eine obere Stirnseite des Grundkörpers, in der mündlichen Verhandlung vor der Prüfungsabteilung im Rahmen der Neuheitsdiskussion erörtert (siehe Punkte 17 und 18 der Niederschrift).

4.4 Erstmalige Nennung der Druckschrift D3 in Bezug auf fehlende Neuheit

Das Vorbringen der Beschwerdeführerin, dass die Druckschrift D3 von der Prüfungsabteilung erstmals in der mündlichen Verhandlung als neuheitsschädlich genannt worden sei, geht ins Leere, da sich die Zurückweisungsentscheidung nicht auf diese Druckschrift stützt.

4.5 In Anbetracht der obigen Ausführungen ist eine Rückzahlung der Beschwerdegebühr nach Regel 103 (1) a) EPÜ nicht gerechtfertigt.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Angelegenheit wird an die erste Instanz mit der Anordnung zurückverwiesen, ein Patent mit folgender Fassung zu erteilen:

Beschreibung:

Seiten 8 bis 16 wie ursprünglich eingereicht;

Seiten 1 bis 4 eingereicht mit Schreiben vom 15. Mai 2018;

Seiten 5, 6, 7, 7a, 7b, 18 eingereicht mit Schreiben vom 28. Juni 2021;

Seite 17 eingereicht mit Schreiben vom 18. Oktober 2021

Ansprüche:

Nr. 1 bis 9 gemäß Hauptantrag eingereicht mit Schreiben vom 28. Juni 2021

Zeichnungen:

Figuren 1 bis 10 wie ursprünglich eingereicht

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