T 1170/19 () of 23.9.2022

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2022:T117019.20220923
Datum der Entscheidung: 23 September 2022
Aktenzeichen: T 1170/19
Anmeldenummer: 10752733.5
IPC-Klasse: B22C 1/02
B22C 1/04
B22C 1/26
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: GIESSEREIADDITIV AUF GRAFITBASIS
Name des Anmelders: Clariant International Ltd
Name des Einsprechenden: Imerys Metalcasting Germany GmbH
Kammer: 3.2.03
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 54
European Patent Convention Art 56
Rules of procedure of the Boards of Appeal Art 12(4)
Schlagwörter: Spät eingereichte Beweismittel - zugelassen (ja)
Neuheit - zufällige Offenbarung (nein)
Neuheit - unschädliche Offenbarung (nein)
Neuheit - implizite Offenbarung (ja)
Erfinderische Tätigkeit - naheliegende Alternative
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
G 0001/03
G 0002/03
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Das europäische Patent EP 2 477 766 B1 ("das Patent") betrifft ein Gießereiadditiv auf Grafitbasis.

II. Gegen das erteilte Patent hatte die Einsprechende Einspruch eingelegt. Als Einspruchsgründe wurden unzureichende Offenbarung (Artikel 100 b) EPÜ) sowie mangelnde Neuheit und mangelnde erfinderische Tätigkeit (Artikel 100 a) EPÜ) geltend gemacht.

III. Die Einspruchsabteilung war unter anderem der Ansicht,

- dass der Gegenstand von Anspruch 1 in der erteilten Fassung nicht neu gegenüber der Offenbarung in D2 sei,

- dass das Patent in eingeschränkter Fassung gemäß dem in der Verhandlung vor der Einspruchsabteilung eingereichten Hilfsantrag I nicht neu gegenüber der Offenbarung in D3 sei und

- dass das Patent in eingeschränkter Fassung gemäß dem in der Verhandlung vor der Einspruchsabteilung eingereichten Hilfsantrag II ausgehend von der Offenbarung in D1 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe.

Sie hat daher entschieden, das Patent zu widerrufen.

Die Patentinhaberin ("Beschwerdeführerin") hat gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung Beschwerde eingelegt.

IV. In der als Anlage zur Ladung zur mündlichen Verhandlung beigefügten Mitteilung gemäß Artikel 15(1) der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern (VOBK 2020) teilte die Kammer den Beteiligten ihre vorläufige Einschätzung des der Beschwerde zugrundeliegenden Sachverhalts mit. Insbesondere wies sie darauf hin, dass mit einer Zurückweisung der Beschwerde zu rechnen sei.

V. Eine mündliche Verhandlung fand am 23. September 2022 in Form einer Videokonferenz statt, und zwar ungeachtet der bereits mit Schreiben vom 6. September 2022 angekündigten Abwesenheit der Einsprechenden ("Beschwerdegegnerin"), Artikel 15(3) VOBK 2020 und Regel 115(2) EPÜ. Im Laufe der mündlichen Verhandlung nahm die Beschwerdeführerin ihren Antrag auf Durchführung der mündlichen Verhandlung in personam sowie ihren mit Schreiben vom 15. September 2022 eingereichten Hilfsantrag 3 zurück.

VI. Anträge

Am Schluss der mündlichen Verhandlung bestand folgende Antragslage:

Die Beschwerdeführerin beantragte, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent wie erteilt (Hauptantrag), oder in in geänderter Fassung auf Grundlage eines der Hilfsanträge 1 oder 2, die den in der angefochtenen Entscheidung als Hilfsanträge I oder II bezeichneten Anträgen entsprechen, aufrechtzuerhalten.

Die Beschwerdegegnerin beantragte mit ihren schriftlichen Vorbringen, die Beschwerde zurückzuweisen.

VII. Ansprüche

Die Entscheidung der Einspruchsabteilung betraf den folgenden Anspruch 1 wie erteilt gemäß Hauptantrag:

"Gießereiadditiv, umfassend feingemahlenen mikrokristallinen oder amorphen Grafit, welcher eine mittlere Partikelgröße D50 von weniger als 100 mym aufweist."

Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 lautet:

"Gießereiadditiv, umfassend feingemahlenen mikrokristallinen oder amorphen Grafit, welcher eine mittlere Partikelgröße D50 von weniger als 100 mym und eine mittlere Kristallitgröße von weniger als 90 nm aufweist."

Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 2 ist gerichtet auf ein:

"Gießereiadditiv, umfassend feingemahlenen mikrokristallinen oder amorphen Grafit, welcher eine mittlere Partikelgröße D50 von weniger als 100 mym, eine mittlere Kristallitgröße von weniger als 90 nm aufweist und dem Gießereiadditiv ein Bentonit zugegeben ist."

VIII. Stand der Technik

a) Die folgenden, in der angefochtenen Entscheidung genannten Dokumente sind für diese Entscheidung relevant:

D1: DE 32 46 324 A1

D3: EP 2 233 226 A1

D3a: WO 2009/093621 A1

b) In der Beschwerdebegründung verweist die Beschwerdeführerin zudem auf folgende Beweismittel:

D13: Annex 4 zur Niederschrift über die mündliche

Verhandlung vor der Einspruchsabteilung;

modifizierte Tabelle 3 des Patents

D14: Grafische Darstellung zur Erklärung der

Partikelgröße D50-

D15: Tabelle 3 des Patents, erweitert um

Emissionswerte und Vergleichsversuch

D16: Darstellung Partikelgrößenverteilung D10, D50,

D90

Dl7: N. Nathier-Dufour et al., "Comparison of sieving

and laser diffraction for the particle size measurements of raw materials used in foodstuff", Powder Technology, 76 (1993),

Seiten 191 bis 200

IX. Das schriftsätzliche und mündliche Vorbringen der Beschwerdeführerin lässt sich wie folgt zusammenfassen:

a) Zulassung der Beweismittel D13 bis D17

Die Beweismittel D13 bis D17 seien in Reaktion auf die angefochtene Entscheidung eingereicht worden, um die im Einspruchsverfahren bereits vorgetragenen Argumente zu untermauern.

b) Artikel 54 EPÜ - Hauptantrag

D3 offenbare in den Absätzen [0092], [0093] und [0098] Gießereiadditive aus amorphen Grafitpartikeln. Der für diese Additive in D3 offenbarte mittlere Partikeldurchmesser sei nicht identisch zu der mittleren Partikelgröße D50 und lasse diesbezüglich auch keine Rückschlüsse zu. D17 belege anhand der Figuren 7 bis 10, dass unterschiedliche Methoden zur Bestimmung der Partikelgröße unterschiedliche Ergebnisse lieferten bzw. ein Unterschied bestehe zwischen mittlerem Partikeldurchmesser und mittlerer Partikelgröße.

D3 betreffe nicht die gleiche Zielsetzung wie das Patent. Für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit komme es nicht in Betracht. Die Offenbarung von D3 stelle mithin eine rein zufällige Offenbarung von Gießereiadditiven dar. Gemäß gängiger Rechtsprechung sei D3 für die Beurteilung der Neuheit nicht in Betracht zu ziehen.

Ein mittlerer Partikeldurchmesser von 56 mym, 29 mym bzw. 30 mym werde in D3 nur im Zusammenhang mit den Negativbeispielen beschrieben. Diese seien kein Bestandteil der Erfindung von D3 und daher für die Beurteilung der Neuheit nicht relevant.

c) Artikel 54 EPÜ - Hilfsantrag 1

Der Gegenstand des Anspruchs 1 von Hilfsantrag 1 unterscheide sich von der Offenbarung in D3 aus den in Bezug auf den Hauptantrag vorgebrachten Gründen.

d) Artikel 54/56 EPÜ - Hilfsantrag 2

D1 offenbare kohlenstoffhaltige Zusätze für Gießereiformsande mit einer Teilchengröße von kleiner als 1 mm, vorzugsweise kleiner als 0,15 mm (150 mym) siehe Seite 9, zweiter Absatz.

D1 gebe keinen Hinweis auf die Partikelgrößenverteilung des Grafits oder gar darauf, eine mittlere Partikelgröße D50 von weniger als 100 mym zu wählen.

Grafit einer bestimmten Teilchengröße enthalte regelmäßig größere und kleinere Teilchen, so dass die mittlere Partikelgrößenverteilung variiere und basierend auf der Maximalpartikelgröße auch nicht vorhersagbar sei.

Ausgehend von D1 würde der Fachmann die Verwendung von Grafit alleine vermeiden, da gemäß D1 eine Kombination der kristallinen Kohlenstoffprodukte mit Anthrazit- bzw. Magerkohlen als Zumischprodukt besonders vorteilhaft sei, siehe Seite 13, zweiter Absatz.

Das Patent beruhe auf der überraschenden Erkenntnis, dass sich auch dann noch emissionsarme und formstabile sowie glatte Gießereiformen erzielen ließen, wenn das dem Gießereiformsand zugesetzte Grafit nur zum Teil aus feinteiligen Partikeln bestehe. Aufgrund dieser Erkenntnis sei es möglich, kostengünstigere Gießereiadditive bereitzustellen, da der Mahlschritt bei deren Herstellung kürzer durchgeführt werden könne und die entsprechende Qualitätskontrolle weniger aufwändig erfolgen könne.

Diese Erkenntnis werde in Anspruch 1 durch die Angabe der Partikelgröße D50 zum Ausdruck gebracht, die von einem Fachmann immer dann verwendet werde, wenn Partikel mit einer breiten Partikelgrößenverteilung charakterisiert werden sollen.

Weiterhin zeige D1 nicht, dass die Partikelgröße der Gießereiadditive einen Einfluss auf die Freisetzung flüchtiger Bestandteile wie Benzol, Toluol, Xylol etc. habe. Der Fachmann erhalte aus D1 keinen Hinweis darauf, dass der Einsatz von Additiven mit einer Partikelgröße D50 von kleiner 100 mym weniger Emissionen flüchtiger Bestandteile generiere.

Ausgehend von der Offenbarung in D1 habe der Fachmann mithin keine Veranlassung, Grafit als Gießereiadditiv mit einer Partikelgröße D50 von kleiner 100 mym einzusetzen, also Grafit mit einer breiten Partikelgrößenverteilung, um ein kostengünstigeres, emissionsärmeres Additiv bereitzustellen.

X. Das Vorbringen der Beschwerdegegnerin lässt sich folgendermaßen zusammenfassen:

a) Zulassung der Beweismittel D13 bis D17

Die Beweismittel D13 bis D17 seien erstmals im Beschwerdeverfahren und damit verspätet von der Beschwerdeführerin eingereicht worden.

Es bestünden keinerlei rechtfertigende Gründe dafür, die in D13 und D15 beschriebenen weiteren experimentellen Daten erstmals im Beschwerdeverfahren vorzulegen. Zudem enthielten D13 und D15 keinerlei Angaben dazu, wie die experimentellen Daten erhalten worden seien, so dass eine Wiederholung und Überprüfung der darin beschriebenen Experimente durch die Beschwerdegegnerin nicht möglich sei.

Die weiteren Beweismittel D14, D16 und D17 seien unsubstantiiert bzw. irrelevant. Es bestehe daher kein Grund, diese im Beschwerdeverfahren zu berücksichtigen.

b) Artikel 54 EPÜ - Hauptantrag

Der Gegenstand des Anspruchs 1 sei gegenüber D3 nicht neu, da D3 in den Absätzen [0092], [0093] und [0098] Gießereiadditive, enthaltend amorphe Grafitpartikel mit einer mittleren Partikelgröße D50 von jeweils 56 mym, 29 mym bzw. 30 mym, offenbare.

c) Artikel 54 EPÜ - Hilfsantrag 1

Gemäß D3 gelange ein amorpher und künstlich hergestellter Grafit zum Einsatz, siehe die Absätze [0008], [0035], [0037] und [0038]. Dieser Grafittyp sei durch eine Kristallitgröße von weniger als 90 nm charakterisiert.

Der Gegenstand des Anspruchs 1 von Hilfsantrag 1 sei daher aus den in Bezug auf den Hauptantrag vorgebrachten Gründen nicht neu.

d) Artikel 54/56 EPÜ - Hilfsantrag 2

D1 offenbare in den Beispielen 1 bis 5 auf Seite 15 ein Gießereiadditiv enthaltend Bentonit und Naturgrafit mit einer mittleren Partikelgröße von weniger als 0,15 mm (150 mym). Das Patent bestätige in Absatz [0037], dass Naturgrafit eine extrem kleine Kristallitgröße aufweise und daher eine Kristallitgröße kleiner als 90 nm aufweisen müsse.

In Anbetracht der im Patent beschriebenen üblichen Partikelverteilung sei der Gegenstand von Anspruch 1 nicht neu gegenüber D1.

Das Patent belege keinen überraschenden Vorteil, der sich durch die Wahl von Grafit mit einer bestimmten Partikelgrößenverteilung erzielen lasse.

Die Wahl eines Grafits mit einer Partikelgröße D50 von weniger als 100 mym stelle eine willkürliche Auswahl innerhalb der Lehre von D1 dar, die für einen Fachmann naheliegend sei, um eine Alternative bereitzustellen.

Entscheidungsgründe

1. Anwendbare Verfahrensordnung der Beschwerdekammern

Die Beschwerde ist vor dem Inkrafttreten der revidierten Fassung der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern (VOBK 2020) am 1. Januar 2020 eingelegt worden. Entsprechend den in Artikel 25 VOBK 2020 getroffenen Übergangsregelungen ist für am Tag des Inkrafttretens bereits anhängige Beschwerden die VOBK 2020 ebenso anwendbar wie für danach eingelegte Beschwerden (Artikel 25 (1) VOBK 2020).

Gemäß Artikel 25 (2) VOBK 2020 sind Artikel 12 (4) und (6) VOBK 2020 auf vor ihrem Inkrafttreten eingereichte Beschwerdebegründungen und darauf fristgerecht eingereichte Erwiderungen nicht anzuwenden. Stattdessen gilt weiterhin Artikel 12(4) VOBK 2007.

2. Zulassung von D13 bis D17 (Artikel 12(4) VOBK 2007)

2.1 D13 wurde zusammen mit den weiteren erstmals im Beschwerdeverfahren zitierten Beweismitteln D14 bis D17 mit der Beschwerdebegründung eingereicht.

Artikel 12(4) VOBK 2007 in Verbindung mit Artikel 12 (2) VOBK 2007 stellt es in das Ermessen der Kammer, Tatsachen, Beweismittel oder Anträge nicht zuzulassen, die bereits im erstinstanzlichen Verfahren hätten vorgebracht werden können bzw. die von der Einspruchsabteilung nicht zugelassen wurden.

2.2 Hierauf beruft sich die Beschwerdegegnerin jedoch aus folgenden Gründen erfolglos.

2.2.1 D13 wurde bereits im Einspruchsverfahren während der Verhandlung vor der Einspruchabteilung diskutiert, siehe Punkt 11 bzw. Annex 4 der Niederschrift über die mündliche Verhandlung vor der Einspruchsabteilung.

D13 befindet sich mithin als im Einspruchsverfahren diskutiertes Dokument ohnehin im Beschwerdeverfahren.

2.2.2 D15 beruht auf Tabelle 3 des Patents und soll den im Patent beschriebenen technischen Effekt durch weitere experimentelle Daten bestätigen. Dieses Beweismittel stellt daher eine Reaktion auf die Begründung zur erfinderischen Tätigkeit in der angefochtenen Entscheidung dar.

2.2.3 Zu D14 gibt die Beschwerdeführerin an, dieses Beweismittel illustriere, dass der volumetrische Durchmesser Auskunft darüber gebe, wie die Masse der Substanz auf die Partikel verteilt sei.

Ebenso adressieren auch D16 und D17 die Problematik der Vergleichbarkeit von Ergebnissen der Bestimmung von Partikelgrößenverteilungen, die eine zentrale Rolle in der Begründung der Einspruchsabteilung spielt.

D14, D16 und D17 untermauern daher lediglich das erstinstanzliche Vorbringen der Beschwerdeführerin und stellen mithin eine angemessene Reaktion auf die Begründung der angefochtenen Entscheidung dar.

2.2.4 Für ein entsprechendes Einreichen der Beweismittel D15 bis D17 schon im Rahmen des Einspruchsverfahrens bestand aus Sicht der Kammer wiederum kein zwingender Handlungsbedarf, da die Einspruchsabteilung im Anhang zur Ladung zur mündlichen Verhandlung in ihrer vorläufigen Meinung im Wesentlichen der Argumentation der Beschwerdeführerin gefolgt war.

2.3 In Ausübung ihres Ermessens gemäß Artikel 12(4) VOBK 2007 berücksichtig die Kammer daher D14 bis D17 im Verfahren.

3. Hauptantrag - Neuheit gegenüber D3/D3a

3.1 D3a ist eine Offenlegungsschrift in japanischer Sprache und unstreitig Stand der Technik nach Artikel 54 (2) EPÜ. D3, das nach dem Prioritätsdatum des Patents veröffentlicht wurde, offenbart ebenso unstreitig den gleichen Gegenstand wie D3a und stellt ein Patentfamilienmitglied in englischer Sprache von D3a dar.

Im Folgenden wird daher in Übereinstimmung mit dem Vorbringen der Verfahrensbeteiligten anstelle auf D3a selbst auf das in einer Amtssprache abgefasste D3 verwiesen.

3.2 D3 offenbart in den Beispielen Gießereiadditive umfassend Grafitpulver mit einer mittleren Partikelgröße von jeweils

56 mym ("flake graphite 1", Absatz [0092]),

29 mym ("flake graphite 2", Absatz [0093]) und

30 mym ("amorphous graphite 2", Absatz [0098]).

Die mittleren Partikelgrößen werden gemäß D3 jeweils mittels Laserdiffraktometrie bestimmt. Diese Messmethode wird auch gemäß Absatz [0032] des Patents eingesetzt, um die Partikelgröße D50 zu bestimmen.

Weiterhin entsprechen die Partikelgrößen gemäß D3 einem D50-Wert, der auf die Masse der Partikel bezogen ist:

"a diameter at which a mass accumulation is 50% is set to an average particle diameter", siehe Absatz [0039] der D3.

Da die Masse und das Volumen direkt proportional sind, entspricht die mittlere Partikelgröße gemäß D3 der Partikelgröße D50 gemäß Anspruch 1.

Die Negativbeispiele von D3 erfüllen daher alle Merkmale des Gießereiadditivs nach Anspruch 1 wie erteilt.

3.3 Das Argument der Beschwerdeführerin mit Verweis auf D17, wonach die Ergebnisse einer Partikelgrößenbestimmung von der Messmethode abhängen können und die Angabe einer mittlere Partikelgröße nicht notwendigerweise immer gleichbedeutend mit der Angabe einer Partikelgröße D50 ist, geht ins Leere, da gemäß D3 die gleiche Messmethode wie im Patent eingesetzt wird und die Angabe der Partikelgröße sich ebenfalls auf einen D50-Wert bezieht.

3.4 Das weitere Argument der Beschwerdeführerin, wonach D3 eine zufällige Offenbarung darstelle und bei der Beurteilung der Neuheit nicht zu berücksichtigen sei, überzeugt nicht.

3.4.1 Auch wenn D3 nicht im Detail exakt die gleiche Problemstellung wie das Patent adressiert, so stellt es dennoch keine Offenbarung auf einem fernliegenden technischen Gebiet dar. Vielmehr betrifft D3 genau den gleichen Gegenstand und im allgemeinen die gleiche Zielsetzung wie das Patent, nämlich ein Gießereiadditiv bereitzustellen. Damit stellt D3 keine zufällige Offenbarung im Sinne der gängigen Rechtsprechung dar, die in dem von der Beschwerdeführerin zitierten Kapitel I.C.4.10 der Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts, 9. Auflage, 2019 zusammengefasst wird.

3.4.2 Selbst wenn man um des Argumentes willen unterstellen würde, dass es sich bei D3 um eine zufällige Offenbarung handelt, so wäre die Lehre derartiger Dokumente bei der Beurteilung der Neuheit nichtsdestotrotz zu berücksichtigen. Gemäß Artikel 54(2) EPÜ ist schließlich jeglicher Stand der Technik bei der Neuheit zu berücksichtigen.

Dies wird auch durch die von der Beschwerdeführerin im Kapitel I.C.4.10 der Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts zusammengefasste ständige Rechsprechung nicht in Frage gestellt. Auch wenn die Rechtsprechung zur zufälligen Offenbarung in einem Unterkapitel zur Neuheit abgehandelt wird (während die sogenannten zufällig Neuheit in einem entgegengehaltenen Dokument in der Praxis zu einer Abgrenzung mittels eines Disclaimers vom Stand der Technik und damit zur Herstellung der Neuheit eine Rolle spielt) so findet sich darin kein Hinweis darauf, dass derartige Dokumente unbeachtlich bleiben könnten. Vielmehr zeigt die in dem zitierten Kapitel diskutierte Rechtsprechung auf, in welchen Fällen es zulässig sein kann, mittels nicht-offenbarten Disclaimern Neuheit gegenüber einer zufälligen Offenbarung herzustellen, siehe beispielsweise die in dem von der Beschwerdeführerin zitierten Kapitel I.C.4.10 auch genannten Entscheidungen der Großen Beschwerdekammer G 1/03 und G 2/03.

Weder das EPÜ noch die Rechtsprechung zur zufälligen Offenbarung stützen daher das Argument der Beschwerdeführerin, dass eine zufällige Offenbarung bei der Neuheit unbeachtet bleiben müsse.

3.4.3 Bei den in D3 beschriebenen Gießereiadditiven mit einer Partikelgröße kleiner 100 mym gemäß Tabelle 1 der D3 handelt es sich zwar um Additive, die im Rahmen der Erfindung der D3 als Vergleichsbeispiele dienen. Gemäß Artikel 54(2) EPÜ ist allerdings jede Art von Veröffentlichung zu berücksichtigen. Es gibt folglich keine rechtliche Grundlage dafür, eine konkrete und explizite Offenbarung in einem Dokument bei der Beurteilung der Neuheit außer Acht zu lassen.

3.5 Der Gegenstand von Anspruch 1 wie erteilt ist mithin nicht neu gegenüber der Offenbarung in D3/D3a. Der Einspruchsgrund nach Artikel 100 (a) EPÜ in Verbindung mit Artikel 54 EPÜ steht einer Aufrechterhaltung des Patents wie erteilt entgegen.

4. Hilfsantrag 1 - Neuheit gegenüber D3/D3a

4.1 Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 ist im Vergleich zu Anspruch 1 des Hauptantrags durch die Angabe der durchschnittlichen Kristallitgröße des Grafits eingeschränkt, die weniger als 90 nm betragen soll.

In den Absätzen [0035] bis [0037] offenbart das Patent, dass die Begriffe "amorpher Grafit", "Naturgrafit" und "mikrokristalliner Grafit" synonym verwendet werden und dass der Begriff "amorpher Grafit" im Patent einen mikrokristallinen Grafit mit einer extrem geringen Kristallitgröße bezeichnet.

Es ist angesichts dieser Aussage im Patent zwischen den Verfahrensbeteiligten unstreitig, dass amorpher Grafit bzw. Naturgrafit eine Kristallitgröße gemäß Anspruch 1 aufweist.

4.2 Dementsprechend argumentiert auch die Beschwerdeführerin, dass sich der Gegenstand von Anspruch 1 gegenüber D3/D3a nur dadurch unterscheidet, dass das Grafitpulver eine Partikelgröße D50 von unter 100 mym aufweist.

4.3 Wie bereits für den Gegenstand des Anspruchs 1 wie erteilt oben dargelegt, ist dieses Argument allerdings nicht überzeugend.

Die Kammer kommt daher zu dem Schluss, dass der Gegenstand von Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 nicht neu ist und die Erfordernisse des Artikels 54 EPÜ nicht erfüllt.

5. Hilfsantrag 2

5.1 Es ist zwischen den Verfahrensbeteiligten unstreitig, dass D1 in Übereinstimmung mit Punkt II.13.2 der angefochtenen Entscheidung als Ausgangspunkt für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit dienen kann.

5.2 Offenbarung von D1

5.2.1 D1 offenbart in den Beispielen auf Seite 15 ein Gießereiadditiv enthaltend 70 % Bentonit und 30 % Kohlenstoffträger. Als Kohlenstoffträger wird bei den Mischungen 1 bis 5 Naturgrafit mit unterschiedlichen Oberflächen eingesetzt. Die Lehre von D1 ist daher entgegen der Argumentation der Beschwerdeführerin nicht auf Ausführungsformen beschränkt, bei denen ein Gemisch von Kohlenstoffträgern eingesetzt wird.

Auf Seite 9, zweiter Absatz offenbart D1 in Bezug auf die Partikelgröße der Kohlenstoffprodukte, dass diese eine Teilchengröße von kleiner als 1 mm, vorzugsweise kleiner als 0,15 mm (150 mym) aufweisen.

5.2.2 Selbst wenn man davon ausgeht, dass der in den Beispielen der D1 eingesetzte Naturgrafit eine Teilchengröße kleiner als 0,15 mm gemäß der bevorzugten Ausführungsform der D1 aufweist, so enthält D1 keinen weiteren Hinweis darauf, welche Partikelverteilung der Naturgrafit hat.

Es mag, wie von der Beschwerdegegnerin vorgetragen, die Möglichkeit bestehen, dass der Grafit eine Gauß'sche Partikelgrößenverteilung aufweist. Daraus könnten im Lichte der Figuren des Patents gegebenenfalls Abschätzungen zur wahrscheinlich vorliegenden Partikelgröße D50 gemacht werden. Diese Argumentationskette der Beschwerdegegnerin beruht aber auf hypothetischen Annahmen und einer Frage der Wahrscheinlichkeit, beides Punkte, die bei der Beurteilung der Neuheit unberücksichtigt bleiben, siehe Rechtsprechung der Beschwerdekammern, a.a.O., Kapitel I.C.4.3.

5.3 Unterscheidungsmerkmal

Der Gegenstand des Anspruchs 1 von Hilfsantrag 2 ist folglich neu gegenüber D1 und unterscheidet sich von der Offenbarung in D1 nur dadurch, dass das Grafitpulver eine Partikelgröße D50 von unter 100 mym aufweist.

Dies wurde von der Beschwerdeführerin nicht bestritten.

5.4 Bestimmung der objektiven technischen Aufgabe

5.4.1 Die Beschwerdeführerin argumentiert, dass durch den Einsatz von Grafit mit einer Partikelgröße D50 von kleiner 100 mym eine Reduktion der Emissionswerte in der Gießerei erzielt wird.

Dieses Argument überzeugt nicht.

a) Auch wenn das Patent in den Absätzen [0007], [0021] und [0022] allgemein offenbart, das die Emission toxischer Substanzen minimiert werden soll, wird der postulierte Effekt im Vergleich zu den Gießereiprodukten gemäß D1 im Patent nicht gezeigt. Insbesondere in den Beispielen des Patents werden keine konkreten Angaben zu den Emissionswerten gemacht.

b) D13 basiert auf Tabelle 3 des Patents, wobei die Tabelle um Ergebnisse weiterer Formstoffmischungen ergänzt wurde. Unter anderem wurden die Ergebnisse einer Formstoffmischung ohne jeglichen Kohlenstoffzusatz sowie weiterer erfindungsgemäßer Beispiele hinzugefügt. Angaben zur Reduktion der Emission organischer Substanzen aufgrund der Verwendung von Grafit mit einer bestimmten Partikelgröße, insbesondere im Vergleich zu den in Tabelle 3 von D1 zusammengefassten Beispielen, werden von D13 allerdings nicht belegt.

c) D15 beruht ebenfalls auf den in Tabelle 3 des Patents zusammengefassten Versuchen und zeigt zudem eine Reduktion der Emissionen der gesundheitsschädlichen organischen Substanzen Benzol, Toluol, Ethylbenzol und Xylol beim Einsatz von Grafit mit geringer Partikelgröße im Vergleich zu Steinkohle (Ecosil).

Auch D15 zeigt jedoch keine Vergleichsversuche, in denen Grafit mit einer Partikelgröße nach D1 eingesetzt wird. D15 enthält auch keine Angaben zur Partikelgrößenverteilung der zum Vergleich eingesetzten Steinkohle (Ecosil).

Daher liefern die in D15 zusammengefassten Ergebnisse ebenso wenig wie die in D13 beschriebenen Versuche einen Vergleich zu der Lehre von D1, die ja bereits anregt, Grafit mit einer Partikelgröße kleiner als 150 mym einzusetzen.

d) Ferner ist auch inhärent aus der Zusammenschau der in D1 bzw. in D15 beschriebenen Versuchsergebnisse keine Verbesserung der Emissionseigenschaften erkennbar, die auf den Einsatz von Grafitpulvern mit einer bestimmten Partikelgrößenverteilung zurückzuführen wäre.

Sowohl D1 als auch der Vergleichsversuch in D15 belegen zwar, dass die jeweils eingesetzten Grafitpulver zu weniger Emissionen führen als entsprechende Kohleadditive.

Die in Tabelle 3 von D1 für bestimmte Grafitadditive beschriebene Emission flüchtiger Bestandteile nach DIN 51720 liegt stets bei <0.5. Eine separate Analyse der Emission von Benzol, Toluol, Ethylbenzol und Xylol erfolgt in D1 an dieser Stelle nicht. Zudem wurde bei einer weiteren Gasanalyse im Rahmen eines realen Gießversuchs gemäß D1 kein Benzol festgesellt ("C6H6 n. n."), siehe Seite 16 von D1.

Bei den Versuchen gemäß D15 wurde dagegen eine im Vergleich zu D1 völlig andere Methode zur Bestimmung der Emissionswerte eingesetzt, bei der die komplette Abluft über ein Aktivkohlebett geschickt wurde, siehe Beschwerdebegründung Seite 18, vorletzter Absatz. Die Emission der ausgewählten flüchtigen Bestandteile Benzol, Toluol, Ethylbenzol und Xylol wurde dabei jeweils zu <0.1 mg/kg Fe bestimmt.

Ein direkter Vergleich dieser Versuchsergebnisse gemäß D1 und D15 ist aufgrund der völlig unterschiedlichen Messmethoden als solches nicht möglich.

5.4.2 Die Beschwerdeführerin argumentiert weiterhin, dass der Einsatz von Grafitpulver mit einer breiten Partikelgrößenverteilung zu einer Kostenreduzierung führe. Diese Kostenreduzierung sei aufgrund der Erkenntnis seitens der Erfinder des Patents möglich, dass sich auch dann noch emissionsarme und formstabile sowie glatte Gießereiformen erzielen ließen, wenn das dem Gießereiformsand zugesetzte Additiv nur zum Teil aus feinteiligen Partikeln bestehe. Der Mahlvorgang könne daher kürzer ausgeführt und eine gegebenenfalls erforderliche Qualitätskontrolle mit weniger Aufwand durchgeführt werden. Der Einsatz von Grafit mit einer breiten Partikelgrößenverteilung, die aus einem verkürzten Mahlvorgang resultieren könne, werde inhärent von einem Fachmann durch die Angabe der Partikelgröße D50 mitgelesen.

Dieses Argument überzeugt ebenfalls nicht.

In Absatz [0020] offenbart das Patent zwar allgemein, dass in der Gießereiindustrie aus Kostengründen oft relativ grobkörnige Grafitpulver eingesetzt werden. Weitere Angaben oder gar Belege, aus denen überzeugend ableitbar wäre, dass ein Grafit mit einer Partikelgröße D50 immer kostengünstiger herstellbar ist als ein gemäß D1 bevorzugt einzusetzender Grafit, der durch die Angabe einer maximalen Partikelgröße definiert wird, finden sich in Absatz [0020] des Patents allerdings nicht.

Eine Partikelgröße D50 bedingt lediglich, dass 50 % der Teilchen größer und 50 % der Teilchen kleiner als die angegebene Partikelgröße D50 sind, siehe Absatz [0030] des Patents.

Die alleinige Charakterisierung der Grafitpartikel anhand der Partikelgröße D50 stellt in Anbetracht dieser Definition mithin keine Limitierung auf Grafitpulver dar, die aufgrund eines verkürzten Mahlvorgangs eine besonders breite Partikelgrößenverteilung aufweisen.

Gemäß den Angaben im ersten Satz von Absatz [0029] des Patents kann "die Verteilung der Grafitpartikel recht breit sein". Anspruch 1 enthält jedoch weder eine allgemeine Angabe zu einer (recht) breiten Verteilung noch weitere Parameter (beispielsweise das Verhältnis D90/D10), die die Breite der Partikelverteilung charakterisieren könnten.

Die Kammer kommt daher zu dem Schluss, dass die durch eine Partikelgröße D50 von weniger als 100 mym charakterisierten Grafitpartikel nach Anspruch 1 sowohl eine breite als auch eine enge Partikelgrößenverteilung aufweisen können. Weiterhin bedingt die Angabe einer Partikelgröße D50 von weniger als 100 mym nicht, dass noch viele grobkörnige Grafitpartikel vorhanden sein müssen. Ferner schließt diese Angabe nicht aus, dass alle Partikel eine Partikelgröße von weniger als 100 mym aufweisen und beispielsweise nach einem übliche langen Mahlschritt alle als feinkörnige Partikel mit einer Partikelgröße von wenigen mym vorliegen.

Diese Ansicht seitens der Kammer wird durch die Lehre des Patents selbst gestützt.

Das Patent belegt im zweiten Satz von Absatz [0029], dass erfindungsgemäß Grafit mit einem Verhältnis D90/D10 von weniger als 6, also mit einer relativ engen Partikelverteilung eingesetzt werden kann.

Dementsprechend wird in den konkreten Ausführungsbeispielen des Patents (siehe Figuren 2 bis 4) auch bevorzugt Grafit mit einer relativ engen Partikelgrößenverteilung eingesetzt, beispielsweise mit einer Partikelgröße D100 von 33,39 mym und kleiner, siehe Tabellen 1b, 1c und 1d.

Der lediglich durch eine Partikelgröße D50 von weniger als 100 mym charakterisierte Grafit nach Anspruch 1 umfasst daher in Anbetracht der Ausführungsbeispiele des Patents gerade auch Partikelmischungen, die genügend lang gemahlen wurden, um eine relativ enge Partikelgrößenverteilung mit kleiner Partikelgröße aufzuweisen.

Es ist für diese bevorzugten Ausführungsformen des Patents nicht nachvollziehbar, dass deren Herstellung kostengünstiger ist als Partikel gemäß D1, die allgemein durch eine Partikelgröße von kleiner als 150 mym charakterisiert sind.

5.4.3 In Anbetracht der obigen Ausführung ist daher festzustellen, dass ausgehend von D1 für die Wahl einer Partikelgröße D50 von weniger als 100 mym kein besonderer Effekt im Patent glaubhaft gemacht wird.

5.5 Die objektive technische Aufgabe kann folglich der Begründung in Punkt II.13.2 der angefochtenen Entscheidung folgend lediglich darin gesehen werden, ein alternatives Gießereiadditiv bereitzustellen.

5.6 Der Einsatz von Grafitpartikeln mit einer willkürlich gewählten Partikelgrößenverteilung innerhalb der technischen Lehre gemäß D1 (Partikelgröße kleiner als 150 mym) liegt im Rahmen des routinemäßigen Handelns des Fachmanns.

Die Argumente der Beschwerdeführerin lassen folglich keine Zweifel daran aufkommen, dass die Begründung der angefochtenen Entscheidung zur mangelnden erfinderischen Tätigkeit des Gegenstands von Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 2 zutreffend ist.

Der Gegenstand von Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 2 erfüllt daher nicht die Erfordernisse von Artikel 56 EPÜ.

6. Da nach alledem kein gewährbarer Anspruchssatz vorliegt, hat die Beschwerde keinen Erfolg.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

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