T 1134/19 () of 19.10.2022

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2022:T113419.20221019
Datum der Entscheidung: 19 October 2022
Aktenzeichen: T 1134/19
Anmeldenummer: 10181792.2
IPC-Klasse: B29C 45/04
B29C 45/32
B29C 45/16
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Spritzgiessvorrichtung
Name des Anmelders: Foboha GmbH Formenbau
Name des Einsprechenden: KraussMaffei Technologies GmbH
Kammer: 3.2.05
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 76(1)
European Patent Convention Art 123(2)
Rules of procedure of the Boards of Appeal 2020 Art 013
Schlagwörter: Unzulässige Erweiterung - Hauptantrag (ja)
Zulassung - Hilfsantrag (nein)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
G 0001/05
G 0002/10
T 0989/15
T 0709/16
T 0584/17
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerde der Einsprechenden richtet sich gegen die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung, dass unter Berücksichtigung der von der Patentinhaberin im Einspruchsverfahren vorgenommenen Änderungen gemäß dem am 9. Januar 2019 eingereichten geänderten Hauptantrag das europäische Patent Nr. 2 266 773 den Erfordernissen des EPÜ genügt.

II. Das europäische Patent Nr. 2 266 773 beruht auf einer Teilanmeldung zu der früheren europäischen Patent­anmeldung Nr. 05708001.2 ("Stammanmeldung") mit der internationalen Veröffentlichungsnummer WO 2005/077637 ("WO-Schrift").

III. Der Einspruch war gegen das Streitpatent in vollem Umfang eingelegt und auf die Einspruchsgründe nach Artikel 100 a) EPÜ i.V.m. Artikel 56 EPÜ (mangelnde erfinderische Tätigkeit) und Artikel 100 c) EPÜ gestützt worden.

IV. Anträge

Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des europäischen Patents.

Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte die Zurückweisung der Beschwerde (Hauptantrag) oder hilfsweise die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des europäischen Patents in geänderter Fassung auf der Grundlage der Ansprüche des Hilfsantrags, eingereicht in der mündlichen Verhandlung am 19. Oktober 2022.

V. Anspruch 1 des der angefochtenen Entscheidung zugrunde liegenden Antrags (Hauptantrag) lautet wie folgt:

"Spritzgiessvorrichtung (1) mit einer Spritzgiessmaschine (2) mit

a. zwei unteren und zwei oberen Holmen (4), sowie

b. einer Halterung (10) für ein Oberteil (12, 13) eines Mittelteils (6, 7), die Halterung (10) umfassend

c. eine unterhalb des Oberteils (12, 13) und zwischen den unteren Holmen (4) angeordnete Basis (14, 15) des Mittelteils (6, 7), und

d. eine an den beiden oberen Holmen (4) gelagerte, oberhalb des Oberteils (12, 13) angeordnete Traverse (31, 32), sowie

e. eine untere und eine obere Dreheinheit (16,17) des Mittelteils (6, 7), wobei die untere und obere Dreheinheit (16, 17) im Bereich der Basis (14, 15) und der oberen Traverse (31, 32) derart angeordnet sind, dass das Oberteil (12, 13) durch einen Antrieb des Mittelteils (6, 7) um eine Achse (8, 9) drehbar ist, dadurch gekennzeichnet, dass

f. die Traverse (31, 32) so ausgestaltet, ist, dass zur Entnahme der Spritzgiessvorrichtung die Wirkverbindung mit den Holmen (4) gelöst werden kann,

g. die Basis (14, 15) auf Führungsschienen (11) abgestützt und geführt ist, wobei die Führungsschienen (11) mit einem Maschinenbett (18) der Spritzgiessmaschine (2) wirkverbunden sind,

h. wobei eine untere Lagerung des Mittelteils (6, 7) so ausgestaltet ist, dass eine Wirkverbindung des Mittelteils (6, 7) zu den Schienen (11) im Bereich der unteren Dreheinheit (16, 17) oder zwischen der Basis (14, 15) und den Schienen (11) trennbar ist."

VI. Anspruch 1 des während der mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer eingereichten Hilfsantrags hat den folgenden Wortlaut:

"Spritzgiessvorrichtung (1), mit einem oder zwei Mittelteilen, mit einer Spritzgiessmaschine (2) mit

a. zwei unteren und zwei oberen Holmen (4), sowie

b. einer Halterung (10) für ein Oberteil (12, 13) jedes Mittelteils (6, 7), die Halterung (10) umfassend

c. eine unterhalb des Oberteils (12, 13) und zwischen den unteren Holmen (4) angeordnete Basis (14, 15), und

d. eine an den beiden oberen Holmen (4) gelagerte, oberhalb des Oberteils (12, 13) angeordnete Traverse (31, 32), sowie

e. eine untere und eine obere Dreheinheit (16,17), wobei die untere und obere Dreheinheit (16, 17) im Bereich der Basis (14, 15) und der oberen Traverse (31, 32) derart angeordnet sind, dass das Oberteil (12, 13) durch einen Antrieb um eine Achse (8, 9) drehbar ist, dadurch gekennzeichnet, dass

f. die Traverse (31, 32) so ausgestaltet, [sic] ist, dass zur Entnahme der Spritzgiessvorrichtung die Wirkverbindung mit den Holmen (4) gelöst werden kann,

g. die Basis (14, 15) auf Führungsschienen (11) abgestützt und geführt ist, wobei die Führungsschienen (11) mit einem Maschinenbett (18) der Spritzgiessmaschine (2) wirkverbunden sind,

h. wobei eine untere Lagerung des Mittelteils (6, 7) so ausgestaltet ist, dass eine Wirkverbindung des Mittelteils (6, 7) zu den Schienen (11) im Bereich der unteren Dreheinheit (16, 17) oder zwischen der Basis (14, 15) und den Schienen (11) trennbar ist."

VII. Das für diese Entscheidung relevante Vorbringen der Beschwerdeführerin lässt sich im Wesentlichen wie folgt zusammenfassen:

a) Unzulässige Erweiterung hinsichtlich der Reduzierung auf ein (einziges) Mittelteil

Würden mehrere Merkmale aus einem Anspruch gestrichen und werde er dadurch z.B. auf lediglich einen Teil der ursprünglich beanspruchten Vorrichtung beschränkt, so müsse der Gegenstand des geänderten Anspruchs unmittelbar und eindeutig aus der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung als Erfindung als solche ableitbar sein; d.h. er müsse eine technische Aufgabe lösen und auch ohne die gestrichenen Merkmale funktionsfähig sein (siehe Richtlinien für die Prüfung im Europäischen Patentamt, H-V.3.1).

Aus dem ursprünglich eingereichten Anspruch 1 der Stammanmeldung (WO-Schrift) sei kein einziges Merkmal übriggeblieben. Der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hauptantrags habe mit der Erfindung, die in der WO-Schrift offenbart sei, nichts gemein. Die gesamte WO-Schrift befasse sich durchgängig mit dem Thema der Wirkverbindung von spritzgegossenen Teilen (siehe WO-Schrift, Seite 7, erster und zweiter Absatz; siehe Stammpatent EP 1 725 386 B1). Ein Teilaspekt hiervon, nämlich die Verwendung der Kragarme (siehe WO-Schrift, Figur 9: 36 und 37) sei im streitgegenständlichen (Teil-)Patent EP 2 266 774 B1 beansprucht. Das Vorhandensein einer mittleren Trennebene sei hierfür essenziell.

Im vorliegenden Anspruch 1 des Hauptantrags gehe es nicht mehr um die Wirkverbindung von in zwei äußeren Trennebenen spritzgegossenen Teilen in einer dritten, mittleren Trennebene, sondern nur um eine Spritzgieß­maschine mit einem Mittelteil. Die genannte Wirkverbindung in einer mittleren Trennebene ist hiermit nicht mehr durch­führbar. Es seien willkürlich Merkmale herausgepickt worden, die in keinerlei Zusammenhang mit der Erfindung stünden und auch nicht so offenbart seien.

Eine Spritzgießmaschine sei nicht Gegenstand der ursprünglich eingereichten Ansprüche der Stammanmeldung gewesen. Diese sei nur als Bezugspunkt angegeben gewesen. Daher dürften auch nur solche Spritzgieß­maschinen beansprucht werden, die unmittelbar und eindeutig in der WO-Schrift offenbart seien. Es werde nicht bestritten, dass sich der zitierte Stand der Technik auf eine Spritzgieß­vorrichtung mit einem Mittelteil beziehe. Die Erfindung der Stammanmeldung befasse sich im Gegensatz dazu mit einer Spritzgieß­vorrichtung mit zwei Mittelteilen. Dies ziehe sich wie ein roter Faden durch die gesamte Anmeldung.

Hierzu gehörten z.B. die Spritzgießmaschinen nach Figur 1 oder Figur 2 der WO-Schrift. Unmittelbar und eindeutig offenbart seien somit nur Spritzgieß­vor­richtungen mit mehreren Mittelteilen.

Der zweite Absatz auf Seite 10 der WO-Schrift müsse im Kontext der Gesamtoffenbarung gesehen werden. Auf Seite 10, Zeile 25 der WO-Schrift würden die Halterungen der Mittelteile im Plural erwähnt. Die Feststellung, dass die Halterung zudem den Vorteil aufweise, dass sie für die Verwendung mit konventionellen Spritzgießmaschinen und Spritzgießvorrichtungen mit einem oder zwei Mittel­teilen geeignet sei (siehe WO-Schrift, Seite 10, Zeilen 27 bis 29), ändere nichts an der beanspruchten Spritzgießmaschine. Es handle sich lediglich um eine alternative Verwendung. Der Stand der Technik könne nicht als Grundlage für eine ausreichende Offenbarung heran­gezogen werden.

Auch der zweite Absatz auf Seite 7 der WO-Schrift ändere nichts an der Gesamtoffenbarung einer Spritzgieß­vorrichtung mit zwei Mittelteilen und mindestens drei Trennebenen. Die Kunststoffteile würden im Bereich von mindestens zwei Trennebenen durch Spritzgießen gefertigt und im Bereich von mindestens einer weiteren Trennebene montiert. Dies bedeute, dass mindestens zwei Mittelteile vorlägen. Auch im daran anschließenden Satz würden Mittelteile im Plural erwähnt.

Es gebe in der gesamten WO-Schrift keine Offenbarungs­stelle, die eine Spritzgießvorrichtung bzw. eine Spritzgießmaschine mit nur einem einzigen Mittelteil unmittelbar und eindeutig offenbart.

b) Nicht-Zulassung des während der mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer eingereichten Hilfsantrags

Der Hilfsantrag sei verspätet eingereicht worden und solle nicht zugelassen werden, da keine außer­gewöhnlichen Umstände vorlägen. Sowohl in der Beschwerde­begründung als auch in der Beschwerde­erwiderung sei der Einwand unter Artikel 76 (1) EPÜ diskutiert worden. Die Beschwerdekammer habe diesbezüglich in ihrer Mitteilung unter Artikel 15 (1) VOBK 2020 eine vorläufige Meinung geäußert, dass der Gegenstand des vorliegenden Anspruchs 1 nicht die Erfordernisse des Artikel 76 (1) EPÜ erfülle. Es sei kein neuer Aspekt hinzugekommen. Ferner löse der Hilfsantrag das Problem der unzulässigen Erweiterung nicht.

VIII. Die Beschwerdegegnerin hat hinsichtlich der für diese Entscheidung relevanten Punkte im Wesentlichen Folgendes vorgetragen:

a) Keine unzulässige Erweiterung hinsichtlich der Reduzierung auf ein Mittelteil

Das vorliegende europäische Patent beruhe auf der europäischen Patentanmeldung Nr. 10181792.2, welche eine Teilanmeldung der früheren europäischen Patentanmeldung Nr. 05708001.2 (Stammanmeldung) sei. Sinn- und zweckgemäß sei die Teilanmeldung auf einen Gegenstand gerichtet, der zwar in den ursprünglich eingereichten Unterlagen offenbart, aber auf Grund mangelnder Einheitlichkeit nicht beansprucht worden sei. Daher seien die Ansprüche des Hauptantrags auf einen anderen Gegenstand gerichtet als die Ansprüche der Stammanmeldung. Während die Ansprüche des Stammpatents auf eine Spritzgieß­vorrichtung mit mehreren Mittelteilen gerichtet seien, sei der Anspruch 1 des vorliegenden Hauptantrags auf eine Spritzgießvorrichtung mit einer Spritzgießmaschine und einer Haltevorrichtung für ein Oberteil eines Mittelteils gerichtet. Da es sich um eine Teilanmeldung handle, sei die Beschreibung nicht an die vorliegende Erfindung angepasst worden. Ein Dritter müsse damit rechnen, dass aus der Gesamtoffenbarung einer Stamm­anmeldung vor deren Erteilung weitere Gegenstände in Teilanmeldungen beansprucht würden. Die einzige Bedingung sei eine eindeutige und unmittelbare Offenbarung in der ursprünglich eingereichten Stamm­anmeldung. Hierfür gälten klare Kriterien gemäß der ständigen Rechtsprechung der Beschwerdekammern (siehe Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts, 9. Auflage, Juli 2019, II.F.2.1.1; II.E.1.3.2; II.E.1.4.5). Die Stammanmeldung enthalte zwei verschiedene technische Lehren. Einerseits sei eine Spritzgießvorrichtung mit zwei Mittelteilen und drei Trennebenen zum Wirkverbinden spritzgegossener Teile offenbart und als zweite Lehre eine Gesamtanordnung einer Spritzgießvorrichtung mit einer Spritzgieß­maschine, wobei die Spritzgieß­vorrichtung entnehmbar sei. Die Ausgestaltung der Halterung und die Zentrierung und Ausrichtung der Formhälften und der Mittelteile zueinander seien verschiedene Aspekte der Teilanmeldung. Auch wenn die Halterung nur im Kontext von zwei Mittelteilen beschrieben werde, so sei dem Fachmann - beispielsweise aus Seite 7, Zeile 8 der WO-Schrift - klar, dass lediglich mindestens zwei Trenn­ebenen, d.h. ein Mittelteil, vorhanden sein müssten.

Die zweite Lehre der Stammanmeldung finde sich in der WO-Schrift auf Seite 10, Zeile 24 bis Seite 11, Zeile 15; Seite 16, Zeilen 19 bis 22 und in der Figuren­beschreibung im Zusammenhang mit Figur 1 auf Seite 18, Zeilen 14 bis 16; mit Figur 2 auf Seite 19, Zeilen 10 bis 11, Seite 20, Zeile 3 bis 14; mit Figur 3 auf Seite 22, Zeilen 17 bis 19 und mit den Figuren 5 bis 8 auf Seite 28, Zeilen 19 bis 27. Die Figuren 1 und 5 bis 8 beträfen Ausführungsbeispiele mit drei Trennebenen und die Figur 2 ein Ausführungsbeispiel mit vier Trenn­ebenen. Bereits daraus sei dem Fachmann klar, dass die Anzahl der Mittelteile und die Anzahl der Trennebenen für die Entnehmbarkeit der Spritzgieß­vorrichtung unwesentlich seien. Dass die Halterung für Spritzgieß­vorrichtungen mit einem oder zwei Mittel­teilen geeignet sei, gehe insbesondere aus den folgenden Stellen der WO-Schrift hervor: Seite 7, zweiter Absatz und Seite 10, Zeilen 24 bis 28.

In der Prüfungsphase sei vom Dokument JP-A-56044635 als nächstliegendem Stand der Technik ausgegangen worden, das eine Spritzgießvorrichtung gemäß dem Oberbegriff des Anspruchs 1 offenbare (siehe Streitpatent, Absatz [0008]), also eine Spritzgiessvorrichtung mit einem Mittelteil. Dies gelte auch für die anderen im Stand der Technik erwähnten Dokumente. Eine Spritzgieß­vorrichtung mit einem Mittelteil und zwei Trennebenen sei somit allgemein bekannt. Absatz [0010] des Streit­patents erwähne als Aufgabe des Streitpatents, die Nachteile des Standes der Technik zu vermeiden.

In den Figuren der Stammanmeldung seien verschiedene Ausführungsbeispiele gezeigt. In Figur 1 sei das Mittelteil über die Basis nur einseitig gelagert (siehe WO-Schrift, Figur 1, Seite 15, Zeilen 23 bis 25), während bei dem Ausführungsbeispiel der Figur 2 das Mittelteil aus Dreheinrichtung, Traverse, Oberteil und Basis bestehe (siehe WO-Schrift, Figur 2, Seite 18, zweiter Absatz, Seite 19, zweiter Absatz). Die Entnehmbarkeit der Spritzgießvorrichtung werde auf Seite 20, zweiter Absatz der WO-Schrift diskutiert. Die Entnehmbarkeit der Spritzgießvorichtung sei für den Fachmann eindeutig als unabhängig von der Anzahl der Mittelteile zu erkennen. Da sich der "Goldstandard" darauf beziehe, was der Fachmann der Gesamtheit der Unterlagen unmittelbar und eindeutig entnehmen könne, liege keine Zwischenverallgemeinerung vor, wenn in der Spritzgießvorrichtung die Anzahl der Mittelteile auf eins reduziert werde. Dies stehe im Einklang u.a. mit der Entscheidung T 1906/11. Relevant sei die Frage, ob ein technischer Zusammenhang zwischen der Entnehmbarkeit und der Mehrzahl der Mittelteile bestehe, was hier klar verneint werden könne.

Dass eine untrennbare Verknüpfung weder hinsichtlich der Entnehmbarkeit und der Mehrzahl der Mittelteile noch bezüglich der Mittelteile untereinander hinsichtlich ihrer Anordnung und Zentrierung vorliege, sei explizit daraus ersichtlich, dass die Spritzgieß­vorrichtung auch für konventionelle Spritzgieß­vorrichtungen geeignet sei (siehe WO-Schrift, Seite 10, Zeilen 24 bis 28). Diese Textstelle offenbare, dass die Halterung zudem den Vorteil aufweise, dass sie für konventionelle Spritzgieß­maschinen mit einem oder zwei Mittelteilen geeignet sei. Damit sei auch das Gesamtsystem der Spritzgieß­vorrichtung mit einer Spritzgießmaschine mit einem einzigen Mittelteil und der erfindungsgemäßen Halterung offenbart. Aus dem Gesamtzusammenhang der Offenbarung auf Seite 10, Zeile 24 bis Seite 11, Zeile 15 seien nur die als nicht-optional genannten Merkmale in den Anspruch aufgenommen worden. Die Einspruchs­abteilung habe diese Sichtweise bestätigt und festgestellt, dass die Halterung und deren Vorteile nur unter Bezugnahme auf die Holme und die Führungsschienen auf dem Maschinen­bett und unabhängig von der Anzahl der Mittelteile offenbart seien (siehe angefochtene Entscheidung, Gründe, Punkt 15.1, Seite 7). Die relevante Passage auf Seite 10 der WO-Schrift, durch die Anspruch 1 des Hauptantrags gestützt sei, stehe ferner im allgemeinen Beschreibungs­teil und könne nicht eingeschränkt auf die Ausführungsbeispiele in den Figuren ausgelegt werden. Elemente, die für die erste Lehre wesentlich seien, könnten nicht auch für die zweite Lehre als wesentlich eingestuft werden.

Auch auf Seite 11, Zeilen 4 bis 6 der WO-Schrift werde die Halterung im Singular verwendet. Seite 14, zweiter Absatz der WO-Schrift offenbare, dass pro Mittelteil ein Drehantrieb vorhanden sei, was ein weiterer Hinweis auf die Unabhängigkeit der Mittelteile voneinander sei.

Insgesamt liege keine unzulässige Erweiterung vor und die Voraussetzungen des Artikels 76 (1) EPÜ seien erfüllt.

b) Zulassung des während der mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer eingereichten Hilfsantrags

Der Hilfsantrag solle zugelassen werden, da außer­gewöhnliche Umstände vorlägen. Der Aspekt der Zentrierung und der Wechselwirkung zwischen den Mittelteilen sei erstmalig in der mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer diskutiert worden. Der Einwand der unzulässigen Erweiterung sei aus­geräumt, da nun eine Spritzgießvorrichtung mit einem oder zwei Mittelteilen beansprucht werde und somit zwei Mittelteile eindeutig umfasst seien.

Entscheidungsgründe

1. Anzuwendendes Recht

Die dem Streitpatent zugrunde liegende Patentanmeldung wurde am 29. September 2010 als Teil­anmeldung zu einer früheren europäischen Patentanmeldung ("Stamm­anmeldung") mit dem 10. Februar 2005 als Anmeldetag eingereicht. In Anwendung der "Mitteilung des Europäischen Patentamts vom 20. September 2007 zur Umsetzung der Übergangs­bestimmungen zum EPÜ 2000 in der Übergangsphase vom EPÜ 1973 zum EPÜ 2000" (ABl. EPA 2007, 504) entscheidet bei einer Teilanmeldung der Tag ihrer Einreichung darüber, ob die Eingangs- und Formalerfordernisse nach dem EPÜ 2000 oder dem EPÜ 1973 behandelt werden; der Anmelde- oder Prioritätstag der Stammanmeldung ist in diesem Zusammenhang nicht relevant. Dementsprechend sind vorliegend die Bestimmungen des Artikels 76 (1) EPÜ nach der revidierten Fassung des Übereinkommens (EPÜ 2000) anzuwenden.

2. Hauptantrag: unzulässige Erweiterung

Im Folgenden wird hinsichtlich der ursprünglich eingereichten Fassung der Stammanmeldung auf die von den Beteiligten als "WO-Schrift" bezeichnete veröffentlichte Stammanmeldung (WO 2005/077637 A1) Bezug genommen.

2.1 Anspruch 1 des Hauptantrags ist gerichtet auf eine Spritzgießvorrichtung mit einer Spritzgießmaschine, wobei die beanspruchte Spritzgießvorrichtung nach Auffassung der Beschwerdegegnerin ein Mittelteil umfasst.

Darin liegt ein wesentlicher Unterschied des Anspruchs 1 des vorliegenden Hauptantrags zum Anspruch 1 der Stammanmeldung, der auf eine Spritzgießvorrichtung mit einem ersten und einem zweiten Mittelteil gerichtet ist. Es ist strittig, ob diese Reduzierung auf ein (einziges) Mittelteil, also die Streichung des zweiten Mittelteils und damit einer weiteren Trennebene im Anspruch 1 des Hauptantrags den Erfordernissen von Artikel 76 (1) EPÜ genügt.

2.2 Artikel 76 (1) Satz 2 EPÜ legt fest, dass eine Teilanmeldung nur für einen Gegenstand eingereicht werden kann, der nicht über den Inhalt der früheren Anmeldung in der ursprünglichen Fassung hinausgeht. Dieses Erfordernis entspricht im Wesentlichen demjenigen von Artikel 123 (2) EPÜ, dem zufolge ein europäisches Patent nicht in der Weise geändert werden darf, dass sein Gegenstand über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgeht.

2.3 In ihrer Entscheidung G 2/10 hat die Große Beschwerde­kammer die frühere Rechtsprechung bekräftigt, der zufolge das Grundprinzip des Artikels 123 (2) EPÜ darin besteht, dass jede Änderung an den die Offenbarung betreffenden Teilen einer europäischen Patentanmeldung oder eines europäischen Patents (der Beschreibung, der Patentansprüche und der Zeichnungen) nur im Rahmen dessen erfolgen darf, was der Fachmann der Gesamtheit dieser Unterlagen in ihrer ursprünglich eingereichten Fassung unter Heranziehung des allgemeinen Fachwissens - objektiv und bezogen auf den Anmeldetag - unmittelbar und eindeutig entnehmen kann (siehe Entscheidung G 2/10, Punkt 4.3 der Entscheidungsgründe). Zu prüfen ist also, ob der Fachmann unter Heranziehung des allgemeinen Fachwissens den beanspruchten Gegenstand als - explizit oder implizit - unmittelbar und eindeutig in der ursprünglichen Fassung der Anmeldung offenbart ansehen würde (siehe Entscheidung G 2/10, Punkt 4.5.4 der Entscheidungsgründe). Dieser allgemein akzeptierte Maßstab für die Beurteilung der Frage, ob eine Änderung mit Artikel 123 (2) EPÜ in Einklang steht, wird von der Großen Beschwerdekammer selbst als "Goldstandard" bezeichnet.

2.4 Der "Goldstandard" ist analog bei der Prüfung, ob das Erfordernis von Artikel 76 (1) Satz 2 EPÜ erfüllt ist, anzuwenden, wobei diesbezüglich anstatt der ursprünglichen Fassung der Anmeldung die ursprüngliche Fassung der Stamm­anmeldung in Betracht zu ziehen ist (siehe dazu Entscheidung G 1/05, Entscheidungsgründe, Punkt 5.1).

2.5 Die Einspruchsabteilung hat sich mit diesem Einwand der Beschwerdeführerin in Punkt 15.1 der Gründe der angefochtenen Entscheidung auseinandergesetzt. Sie thematisiert dort insbesondere den Satz auf Seite 10, Zeilen 26 bis 28 der WO-Schrift, der lautet:

"Die Halterung weist zudem den Vorteil auf, dass sie für die Verwendung mit konventionellen Spritz- giessmaschinen und Spritzgiessvorrichtungen mit einem oder zwei Mittelteilen geeignet ist."

Nach Auffassung der Einspruchsabteilung ist diese Passage nicht auf den Stand der Technik bezogen, da bereits ab Seite 4 der WO-Schrift von der Erfindung die Rede sei. Die Aussage, dass die Halterung für Spritzgieß­maschinen mit einem Mittelteil geeignet ist, impliziere, dass eine solche Spritzgießmaschine auch tatsächlich offenbart sei. Die Einspruchsabteilung sah keine unzulässige Erweiterung, da die Vorteile der Halterung unabhängig seien von der Anzahl der Mittelteile. In der Entscheidung wird in Punkt 15.1 der Entscheidungsgründe darauf hingewiesen, dass

"[a]us der Passage auf Seite 10, Zeile 24 bis Seite 11, Zeile 15 der WO-Schrift [...] unmittelbar und eindeutig die Vorteile der Halterung hervor[gehen]. Auch geht hieraus unmittelbar und eindeutig hervor, dass diese Vorteile von der Anzahl der Mittelteile, der Anordnung der Abstützplatte und Anordnung der Spritzeinheiten unabhängig sind. Wesentlich für die Halterung sind nur die Holmen und die Führungsschienen auf dem Maschinenbett. Diese Merkmale sind im Anspruch 1 mitumfasst. Die genannten [sic] Passage stellt somit eine Offenbarung einer alternativen, von der ersten Erfindung unabhängigen Erfindung dar."

2.6 Die Argumentation der Einspruchsabteilung und der Beschwerdegegnerin hat die Kammer nicht überzeugt. Die Gründe dafür sind wie folgt.

Nach der Offenbarung in der Stammanmeldung beruht das "Ziel der Erfindung [...] auf der Umsetzung eines Spritzgiessverfahrens bei dem zwei oder mehrere gleiche oder unterschiedliche Teile aus derselben oder unterschiedlichen Materialkomponenten miteinander direkt oder indirekt wirkverbunden werden" (WO-Schrift, Seite 4, Zeilen 4 bis 6).

Hinsichtlich der erfindungsgemäßen Lösung offenbart die Stammanmeldung auf Seite 5, letzter Absatz und Seite 6, erster Absatz der WO-Schrift Folgendes:

"Eine zur Durchführung des Verfahrens geeignete Vorrichtung weist eine erste, feststehend angeordnete Formhälfte und eine zweite, gegenüber der ersten entlang von Führungsmitteln (Holmen, Führungsschienen) beweglich angeordnete, Formhälfte auf. Zwischen der ersten und der zweiten Formhälfte sind mindestens zwei je um eine Drehachse drehbare Mittelteile angeordnet. [...]. Die Mittelteile sind entlang von Führungsmitteln geführt. [...]. Die Mittelteile sind um eine senkrecht zur Hauptbewegungsrichtung der Spritzgiessmaschine stehende Achse drehbar und parallel dazu verschiebbar angeordnet, so dass sie bei geöffneter Spritzgiessvorrichtung um ihre Achse drehbar sind. [...]".

Zudem lehrt Seite 7, zweiter Absatz der WO-Schrift Folgendes:

"Die erfindungsgemässe Spritzgiessvorrichtung eignet sich zur Herstellung und Montage von mehrteiligen Kunststoffteilen. Dabei werden im Bereich von mindestens zwei Trennebenen Kunststoffteile durch Spritzgiessen gefertigt und im Bereich von mindestens einer weiteren Trennebene montiert, respektive wirkverbunden."

Diese Offenbarung der Erfindung in der Beschreibung der ursprünglichen Stammanmeldung spiegelt sich im einzigen unabhängigen Vorrichtungsanspruch der Stammanmeldung wider:

"1. Spritzgiessvorrichtung (1) mit einer feststehenden ersten Formhälfte (3), einer in Richtung (y) von Holmen (4) einer Spritzgiessmaschine (2) verschiebbar angeordneten zweiten Formhälfte (5), einem ersten und einem zweiten zwischen den Formhälften (3, 5) angeordneten und in Richtung der Holmen (4) verschiebbaren Mittelteil (6, 7) mit je einem bezüglich einer Halterung (10) um eine Drehachse (8, 9) drehbaren Formträger (12, 13), wobei im Bereich von mindestens einer Seitenfläche eines Formträgers (12, 13) mindestens ein Wirkverbindungsmittel (46) vorhanden ist, das zum Wirkverbinden von Teilen im Bereich der mittleren Trennebene (23) dient."

2.7 Nach Auffassung der Kammer ist die Stammanmeldung in der Beschreibung, den Ansprüchen und den Figuren durchgehend auf eine Spritzgießvorrichtung mit mindestens zwei Mittelteilen und drei Trennebenen gerichtet. Damit bietet die Stammanmeldung keine unmittelbare und eindeutige Offenbarung für das Weglassen des zweiten Mittelteils bzw. der zwischen den beiden Mittelteilen befindlichen mittleren Trennebene im vorliegenden Anspruch 1.

2.8 Zu den von der Beschwerdegegnerin genannten Offenbarungs­stellen in der Stammanmeldung ist festzustellen, dass die Entnahme der Spritzgieß­vorrichtung in allen zitierten Passagen der WO-Schrift ausschließlich die Entnahme einer Spritzgießvorrichtung mit zwei Mittelteilen betrifft (vgl. Seite 11, Zeilen 4 bis 6: "Die Halterung ist so ausgebildet, dass die Mittelteile in Richtung der Holmen der Spritzgiessmaschine verschiebbar sind."; Seite 16, Zeilen 19 bis 25: "Die Führungsschienen 11, respektive die Halterung 10 der Oberteile 12, 13 sind vorzugsweise so ausgestaltet, dass sie in Winkel und Ausrichtung justierbar sind, so dass eine präzise Ausrichtung gegenüber den Formhälften 3, 5 und den Führungsmitteln 4, 11 möglich ist"; Seite 18, Zeilen 10 bis 16: "Damit die beiden Formhälften 4, 5 und die beiden Mittelteile 6, 7 der Spritzgiessvorrichtung 1 überhaupt geschlossen werden können, sind die Zentrierzapfen 26 und die Zentrierbohrungen 27 mit Bezug auf die Drehachsen 8, 9 drehsymmetrisch alternierend angeordnet. Im Unterschied zu einer Spritzgiessvorrichtung mit keinem oder nur einem Mittelteil muss die Anordnung der Zentriermittel einer besonderen Anordnung genügen. Wie zu erkennen ist, sind die Zentriermittel 26, 27 hier im Randbereich der Formhälften 4, 5, respektive der Mittelteile 6, 7, angeordnet. Andere Anordnungen sind möglich. Die Zentriermittel 26,27 können bei Bedarf so ausgestattet werden, dass sie bei geschlossener Spritzgiessvorrichtung 1 zur Entnahme der Spritzgiessvorrichtung 1 aus der Spritzgiessmaschine 2 dienen."; Seite 19, Zeilen 9 bis 11: "Die Halterung 10 und Führung der Oberteile 12, 13 der Mittelteile 6, 7 umfasst je eine auf dem Maschinenbett 18 abgestützte Basis 14, 15 und je eine obere Traverse 31, 32. Die Vorrichtung ist so ausgestaltet, dass sie einfach aus der Spritzgiessmaschine entnehmbar ist."; Seite 20, Zeilen 3 bis 14 beschäftigt sich mit der Entnahme der Spritzgießvorrichtung und offenbart in den Zeilen 10 bis 12: "Je nach Ausführungsform erfolgt die Trennung der Wirkverbindung im Bereich der Dreheinheiten 16, 17 der Mittelteile 6, 7 oder zwischen den Basen 14, 15 (Unterteile) und den Führungsschienen 11."; Seite 22, Zeilen 17 bis 22: "Damit die Spritzgiessvorrichtung 1 einfach ein und ausgebaut werden kann, ist die Wirkverbindung zwischen den Traversen 14, 15 und den Holmen 4.1 einfach lösbar. Bei einer weiteren Ausführungsform stehen die Traversen 14, 15 mit den oberen beiden Holmen 4.2 in Wirkverbindung und die Mittelteile 6, 7 sind hängend angeordnet. Diese Ausführungsform bietet den Vorteil, dass sie ein [sic] Wechsel der Spritzgiessvorrichtung besonders einfach möglich ist [sic]."; Seite 28, Zeilen 19 bis 21: "Bei der Entnahme der beschriebenen Spritzgiessvorrichtung 1 aus einer normierten Spritzgiessmaschine 1 werden die vier Koordinationsmittel 65 entfernt, so dass die Mittelteile relativ zueinander frei bewegbar sind."; Unterstreichungen durch die Kammer).

2.9 Folglich offenbart die Stammanmeldung die technische Lehre betreffend die Gesamtanordnung einer Spritzgieß­vorrichtung mit einer Spritzgießmaschine, wobei die Spritzgießvorrichtung der Spritzgießmaschine entnehmbar ist, nur im Kontext einer Spritzgießvorrichtung mit zwei Mittelteilen. Eine von der Beschwerdegegnerin behauptete unabhängige Offenbarung einer ersten, die Spritzgießvorrichtung mit zwei Mittelteilen betreffenden Lehre und einer zweiten technischen Lehre, die die Entnahme der Spritzgießvorrichtung aus der Spritzgießmaschine im Allgemeinen betrifft, ist weder aus den Ansprüchen noch aus der Beschreibung oder den Zeichnungen der Stammanmeldung unmittelbar und eindeutig ersichtlich. Daran ändert nach Auffassung der Kammer nichts, dass die im Kontext der Spritzgieß­vorrichtung mit zwei Mittelteilen offenbarte Halterung laut Seite 10, Zeilen 26 bis 28 der WO-Schrift den zusätzlichen Vorteil aufweist, dass sie (auch) geeignet ist für die Verwendung mit konventionellen Spritzgieß­maschinen und Spritzgießvorrichtungen mit einem oder zwei Mittelteilen, wobei die Stammanmeldung dazu keine weiteren, über diesen allgemeinen Hinweis hinaus­gehenden Ausführungen enthält. Zu berücksichtigen ist auch, dass im vorhergehenden Satz die Halterungen und Mittelteile im Plural erwähnt werden. Der vollständige Absatz lautet (siehe WO-Schrift, Seite 10, zweiter Absatz):

"Damit die Spritzgiessvorrichtung in der Regel einfach zwischen die Holmen einer Spritzgiessmaschine eingesetzt und entnommen werden kann, genügen die Halterungen der Mittelteile und, falls vorgesehen, der weiteren Formhälften besonderen Anforderungen genügen [sic]. Die Halterung weist zudem den Vorteil auf, dass sie für die Verwendung mit konventionellen Spritz- giessmaschinen und Spritzgiessvorrichtungen mit einem oder zwei Mittelteilen geeignet ist."

Eine bevorzugte Ausführungsform einer Halterung wird im Anschluss daran beschrieben. Demgemäß ist die Halterung so ausgebildet, "dass die Mittelteile in Richtung der Holmen der Spritzgiessmaschine verschiebbar sind." (siehe WO-Schrift, Seite 11, Zeilen 4 bis 6).

Daher ist die Halterung für sich genommen zwar unabhängig von der Anzahl der Mittelteile beschrieben, die beanspruchte Spitzgießvorrichtung aber nicht mit nur einem Mittelteil.

2.10 Die Beschwerdegegnerin sieht die grundsätzliche Idee der Erfindung der Teilanmeldung insbesondere im Merkmal f, das sich auf die Entnahme der Spritzgieß­vorrichtung bezieht.

Sie hat diesbezüglich insbesondere geltend gemacht, dass der Fachmann aus der Gesamtoffenbarung der Stammanmeldung erkenne, dass die Anzahl der Mittelteile/Trennebenen für die Entnehmbar­keit der Spritzgießvorrichtung keine Rolle spiele, daher kein wesentliches Merkmal sei und deshalb deren Streichung keine unzulässige Erweiterung darstelle. Hierzu verweist die Beschwerdekammer auf die gängige Rechtsprechung (siehe Rechtsprechung der Beschwerde­kammern des Europäischen Patentamts, 10. Auflage, Juli 2022, "Rechtsprechung", II.E.1.4.4), dass der sogenannte "Wesentlichkeitstest" nicht als Nachweis für das Erfüllen des "Goldstandards" geeignet ist. Unter gewissen Umständen, wenn beispielsweise ein Merkmal in der ursprünglichen Unterlagen durchgehend als wesentlich dargestellt ist, kann er als Hilfsmittel zur Klärung der ursprünglichen Offenbarung dienen. Der Wesentlichkeitstests kann jedoch den "Goldstandard" nicht ersetzen, sodass letztlich immer dessen Erfordernisse erfüllt sein müssen, weshalb der Fachmann auch bei einer Streichung den geänderten Anspruchs­gegenstand aus der Gesamtheit der Unterlagen in ihrer ursprünglich eingereichten Fassung unter Heranziehung des allgemeinen Fachwissens - objektiv und bezogen auf den Anmeldetag - unmittelbar und eindeutig entnehmen können muss. Dies ist - wie oben dargelegt - vorliegend nicht der Fall.

2.11 Die Beschwerdegegnerin zitiert zur Stützung ihrer Argumentation, dass beim Vorliegen zweier technisch unverknüpfter Lehren diese getrennt voneinander beansprucht werden könnten, die Rechtsprechung der Beschwerde­kammern, Kapitel II.E.1.4.5. Abgesehen davon, dass die Stammanmeldung nicht zwei unverknüpfte technische Lehren enthält, betont die Kammer, dass es nach der genannten Rechtsprechung auch in diesem Fall eine unabdingbare Voraussetzung ist, dass der Anspruchsgegenstand der Teil­anmeldung in der Stammanmeldung unmittelbar und eindeutig offenbart ist, was vorliegend nicht der Fall ist.

2.12 Ferner betont die Beschwerdegegnerin unter Verweis auf die Rechtsprechung (siehe Rechtsprechung, II.E.1.3.2), dass beim "Goldstandard" insbesondere die Sichtweise des Fachmanns relevant sei. Der Fachmann würde die Entnehmbarkeit der Spritzgießvorrichtung für ein Mittelteil mitlesen, so dass sich diese Information implizit dem Fachmann erschließe (siehe Rechtsprechung, II.F.2.1.1). Wie oben ausführlich dargelegt, ist nach Auffassung der Kammer in der Stammanmeldung keine Spritzgießvorrichtung mit einem Mittelteil und damit auch nicht die Entnehmbarkeit einer solchen Spritzgieß­vorrichtung offenbart. Es ist auch nicht ersichtlich, weshalb der Spritzgießfachmann eine solche Offenbarung hätte mitlesen sollen, zumal das eine Abkehr von der auf die Verbesserung des Montagespritzgusses abzielende Lehre der Stammanmeldung bedeutet hätte. Aus dem gleichen Grund sieht die Kammer auch keine Grundlage für eine implizite, aber eindeutige Offenbarung einer Spritzgießvorrichtung mit einem Mittelteil in der WO-Schrift.

2.13 Auch der Verweis der Beschwerdegegnerin, dass der im Streitpatent zitierte Stand der Technik eine Spritzgieß­vorrichtung mit einem Mittelteil betreffe (siehe Streitpatent, Absatz [0008]), verfängt nicht. Dies wird nicht bezweifelt, denn gerade dagegen ist die in der Stammanmeldung offenbarte Erfindung abgegrenzt und die Nachteile dieser bekannten Vorrichtungen soll die in der Stammanmeldung als Erfindung offenbarte Vorrichtung mit ihren zwei Mittelteilen vermeiden (siehe WO-Schrift, Seite 4, Zeilen 1 bis 11). Die zu beantwortende Frage ist, ob die Erfindung in der Stammanmeldung eine Spritzgieß­vorrichtung mit einem einzigen Mittelteil offenbart, was - wie vorstehend ausgeführt - verneint werden muss.

2.14 Die Beschwerdegegnerin verweist zusätzlich auf Seite 7, Zeile 8 der WO-Schrift, in der mindestens zwei Trennebenen offenbart seien, was einem einzigen Mittelteil entspreche. Nach Auffassung der Kammer ist diese Darstellung allerdings verkürzt. Denn der vollständige Absatz lautet folgendermaßen:

"Die erfindungsgemässe Spritzgiessvorrichtung eignet sich zur Herstellung und Montage von mehrteiligen Kunststoffteilen. Dabei werden im Bereich von mindestens zwei Trennebenen Kunststoffteile durch Spritzgiessen gefertigt und im Bereich von mindestens einer weiteren Trennebene montiert, respektive wirkverbunden. Alternativ oder in Ergänzung werden die Teile ausserhalb im Bereich der freien Seitenflächen der Mittelteile bearbeitet und/oder montiert und/oder entnommen."

Neben den mindestens zwei Trennebenen zum Spritzgießen wird noch mindestens eine weitere Trennebene offenbart, in der die Kunststoffteile wirkverbunden werden. Auch im dritten Satz dieses Abschnitts werden Mittelteile nur im Plural erwähnt. Somit wird hier nicht unmittelbar und eindeutig ein einziges Mittelteil offenbart, sondern zwei.

2.15 Die von der Beschwerdegegnerin zitierte Entscheidung T 1906/11 beschäftigt sich mit Zwischen­verall­gemeinerungen (siehe Rechtsprechung, II.E.1.9.1). Die Entscheidung betont vor allem, dass die Einstufung einer Änderung als "Zwischenverallgemeinerung" keine Schlussfolgerung über die Zulässigkeit dieser Änderung nach Artikel 123 (2) EPÜ erlaubt. Gemäß dieser Entscheidung ist ausschließlich die Frage relevant, ob ein Fachmann der abgeänderten Fassung zusätzliche technisch relevante Informationen entnimmt. In der Rechtsprechung (siehe Rechtsprechung, II.E.1.9.1) wurde diese Entscheidung dahingehend eingeordnet, dass der Hinweis auf die "technische Relevanz" zusätzlicher Informationen nicht so zu verstehen ist, dass damit ein neuer Standard für die Beurteilung, ob Änderungen gegen Artikel 123 (2) EPÜ verstoßen oder nicht, eingeführt wird, da dies nicht mit dem "Goldstandard" gemäß der Entscheidung G 2/10 vereinbar wäre. Auch im Falle einer Zwischenverallgemeinerung ist der "Goldstandard" zu erfüllen. Die obigen Ausführungen gelten daher unverändert.

3. Schlussfolgerung

Der Gegenstand von Anspruch 1 des Hauptantrags ist im Hinblick auf die ursprünglich eingereichte Fassung der Stammanmeldung unzulässig erweitert und genügt somit nicht den Erfordernissen von Artikel 76 (1) EPÜ.

Angesichts dieses Ergebnisses kann dahingestellt bleiben, ob die anderen gegen den Hauptantrag erhobenen Einwände stichhaltig sind.

Dem Hauptantrag der Beschwerdegegnerin kann nicht entsprochen werden.

4. Hilfsantrag: Zulassung

4.1 Der Hilfsantrag wurde während der mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer erstmals eingereicht und ist somit eine Änderung des Beschwerde­vorbringens der Beschwerdegegnerin. Die Ladung zur mündlichen Verhandlung erging vorliegend am 16. Juli 2021. Somit sind für die Frage der Zulassung dieses Hilfsantrags nach den in Artikel 25 (1) und (3) VOBK 2020 geregelten Übergangsbestimmungen die Vorschriften des Artikels 13 (2) VOBK 2020 anzuwenden.

4.2 Artikel 13 (2) VOBK 2020 implementiert die sogenannte dritte Stufe des im Beschwerdeverfahren anzuwendenden Konvergenzansatzes und sieht somit die am weitesten reichenden Beschränkungen für Beschwerdevorbringen vor, das erst in einem vorgerückten Verfahrensstadium erfolgt (siehe Dokument CA/3/19, Abschnitt VI, Erläuterungen zu Artikel 13 (2), erster Absatz, erster Satz; siehe auch Zusatzpublikation 2, ABl. EPA 2020, Seite 17 ff.). Nach dem Wortlaut des Artikels 13 (2) VOBK 2020 bleiben Änderungen des Beschwerdevorbringens eines Beteiligten nach Zustellung der Ladung zur mündlichen Verhandlung grundsätzlich unberücksichtigt, es sei denn der betreffende Beteiligte hat stichhaltige Gründe dafür aufgezeigt, dass außergewöhnliche Umstände vorliegen. Stichhaltige Gründe für das Vorliegen solcher Umstände können z.B. gegeben sein, wenn die Kammer einen Einwand das erste Mal in einer Mitteilung erhoben hat (siehe Dokument CA/3/19, Abschnitt VI, Erläuterungen zu Artikel 13 (2), dritter Absatz, dritter Satz). Wenn außergewöhnliche Umstände vorliegen, dann kann die Kammer in Ausübung ihres Ermessens entscheiden, eine Änderung zu diesem fortgeschrittenen Zeitpunkt des Verfahrens zuzulassen (siehe Dokument CA/3/19, Abschnitt VI, Erläuterungen zu Artikel 13 (2), dritter Absatz, letzter Satz; siehe auch T 709/16, Entscheidungsgründe, Punkt 5.2 bis 5.4).

4.3 Die Beschwerdegegnerin hat vorgetragen, dass außergewöhnliche Umstände vorgelegen hätten, da erstmals in der mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer eine funktionelle Wechselwirkung der Mittelteile untereinander erwähnt worden sei. Dies sei aus der Mitteilung der Kammer gemäß Artikel 15 (1) VOBK 2020 nicht hervorgegangen und damit unvorhersehbar gewesen.

4.4 Dieses Argument hat die Kammer nicht überzeugt. Der Einwand der Beschwerdeführerin, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hauptantrags hinsichtlich des Weglassens des zweiten Mittelteils erweitert sei, ist von der Beschwerdeführerin bereits mit ihrer Beschwerdebegründung vorgebracht worden, die dazu eine ausführliche Argumentation enthält (siehe Beschwerdebegründung, Punkte 3.1. und 3.3.). Explizit wird darin auf Seite 15, Punkt 3.3.5. ausgeführt: "Nach Ansicht der Einsprechenden gibt es keine Offenbarungsstelle in der WO-Schrift, die es erlauben würde, einen solchen Gegenstand (Spritzgießvorrichtung bzw. Spritzgießmaschine mit nur einem einzigen Mittelteil) als unmittelbar und eindeutig in der WO-Schrift offenbart anzusehen."

4.5 In ihrer Mitteilung gemäß Artikel 15 (1) VOBK 2020 hat die Kammer unter Punkt 9.4 die vorläufige Meinung hierzu abgegeben, dass der Gegenstand des vorliegenden Anspruchs 1 nicht die Erfordernisse von Artikel 76 (1) erfüllt. Da sämtliche in der Mitteilung der Kammer behandelten Einwände bereits Gegenstand des bisherigen Beschwerdeverfahrens waren, enthielt diese Mitteilung keinen neuen Einwand und kann deshalb das Vorliegen außergewöhnlicher Umstände im Sinne von Artikel 13 (2) VOBK 2020 nicht begründen. In der mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer sind auch keine neuen Einwände oder Fragen behandelt worden, die die Beschwerdegegnerin mit einer neuen Situation hätten konfrontieren können. Die Wechselwirkung der Mittelteile hinsichtlich ihrer Anordnung und Zentrierung wurde im Rahmen der Textstelle auf Seite 18, Zeilen 10 bis 17 der WO-Schrift diskutiert, ebenso wie bereits unter Punkt 9.4, Seite 12 der Mitteilung gemäß 15 (1) VOBK 2020. Diese Textstelle der WO-Schrift war zudem schon in Punkt 36 der Beschwerdeerwiderung thematisiert worden. Aufgrund der Ausführungen in der Beschwerde­begründung hätte die Beschwerdegegnerin damit rechnen müssen, dass der Einwand unter Artikel 76 (1) EPÜ bezüglich des einen Mittelteils die Gewährbarkeit des vorliegenden Hauptantrags in Frage stellen könnte. Daher hat die Beschwerdegegnerin die Kammer nicht überzeugen können, dass in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer eine neue Verfahrenssituation für sie entstanden ist.

4.6 Aus diesen Gründen ist nicht ersichtlich, dass die Mitteilung der Kammer oder die Diskussion in der mündlichen Verhandlung das Vorhandensein von "außergewöhnlichen Umständen" im Sinne von Artikel 13 (2) VOBK 2020 hätte begründen können.

4.7 In der dritten Stufe des im Beschwerdeverfahren anzuwendenden Konvergenzansatzes steht es der Kammer frei, die in Artikel 13 (1) VOBK 2020 angegebenen Kriterien heranzuziehen, wenn sie in Anwendung des Artikels 13 (2) VOBK 2020 und in Ausübung ihres Ermessens darüber entscheidet, ob eine in diesem Verfahrensstadium vorgenommene Änderung zugelassen wird (siehe z.B. T 989/15, Punkt 16.2 der Entscheidungs­gründe und T 584/17, Punkte 1.2.7 bis 1.2.10 der Entscheidungsgründe). Diesbezüglich merkt die Kammer ergänzend an, dass auch bei Heranziehung der in Artikel 13 (1) VOBK 2020 angegebenen Kriterien der in der mündlichen Verhandlung überreichte Hilfsantrag nicht zuzulassen gewesen wäre, da dessen Anspruch 1 immer noch eine Spritzgießvorrichtung mit einem einzigen Mittelteil umfasst und daher aus den gleichen Gründen wie für den Anspruch 1 des Hauptantrags prima facie nicht gewährbar wäre.

4.8 Aus den oben genannten Gründen hat die Kammer in Ausübung ihres Ermessens nach Artikel 13 (1) und (2) VOBK 2020 entschieden, den in der mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer eingereichten Hilfsantrag der Beschwerdegegnerin nicht in das Beschwerdeverfahren zuzulassen.

5. Schlussfolgerung

Da der Hauptantrag nicht gewährbar ist (siehe Punkt 3.) und der in der mündlichen Verhandlung eingereichte Hilfsantrag der Beschwerdegegnerin nicht in das Verfahren zugelassen wurde (siehe Punkt 4.8 oben), ist das Patent zu widerrufen.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Das Patent wird widerrufen.

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